DELIRIA ÖVER LÜBECK
– Banditi a Deliria-Italiano –
Vorab: Ich habe mir ein paar Fotos gemopst, aber den Fotografen jeweils genannt. Ich hoffe, das ist ok. Wenn nicht, bitte einfach kurz Bescheid sagen. Wie zuletzt sind auch wieder Bilder von den Einführungen dabei. Wer sich hier lieber nicht sehen möchte, braucht mich nur kurz darauf hinzuweisen.
Da hatten wir also tatsächlich noch ein schönes Kino in einer Stadt gefunden, in der wir bisher noch nicht gewesen waren, und dessen Betreiber Feuer und Flamme für unser Forentreffen war. Die Anreise war für mich diesmal denkbar einfach, von Hamburg ist’s nur ein Katzenwurf, die Regionalbahn war pünktlich – und das Beste: Meine bessere Hälfte diesmal wieder dabei! Auf dem kurzen Weg zum Hotel trafen wir schon die Bremer Delegation und beim Check-in die Frankfurter. Mit den Bremern verabredeten wir uns anschließend zu einem ersten kleinen Stadtbummel, setzten uns bei herrlichem Sonnenschein in den Außenbereich eines Cafés direkt an der Trave und suchten schließlich ein griechisches Restaurant auf, um zu Abend essen. So gut wie alle, die bereits in Lübeck waren, trafen dort nacheinander ein, was nun nicht gerade Wenige waren. Der Gastwirt konnte uns aber einen eigenen Raum zur Verfügung stellen, an dem wir kurzerhand die Tische U-förmig zusammenstellten und somit alle Platz fanden. Ein großes Hallo und wunderbarer Moment, mit so vielen bekannten, aber meist länger nicht mehr gesehenen Gesichtern zusammenzusitzen. Die Stimmung war bestens und die Witze albern, wozu auch ich unfreiwillig beitrug, als ich durch einen Spiegel versuchte, in den Nachbarraum zu lugen.
„Sieht nicht so gut aus“, ja ja… Das Service-Team bestand anscheinend nur aus zwei Leuten, aber diese waren sehr auf zack, sodass niemand dursten oder hungern musste. Gestärkt ging’s zum Kino, wobei Onkel Joe und ich vorgingen, um letzte Details mit Kinobetreiber und One-Man-Army Vitter zu klären. Das klappte alles hervorragend und so hatten wir dieses Jahr vor und zwischen den Filmen auch mal wieder Hintergrundgrafiken auf der Leinwand und einen schönen Soundtrack mit Italo-Klassikern in der P.A. Vitter montierte nicht nur das Filmmaterial und führte es auf, sondern kümmerte sich auch um den Karten- und Getränkeverkauf, die Ausgabe der Lose (einmal mehr liebevoll von jogiwan gestaltet) und was weiß ich nicht noch alles, machte also alles ganz allein – und hatte dabei auch noch Spaß, wie er uns mehrfach versicherte. Bombentyp!
Pünktlich konnten wir eine beachtliche Anzahl Delirierender, Sympathisanten und auch den einen oder anderen Einheimischen begrüßen und mit dem offiziellen Teil des Programms starten. Die einstündige Trailershow, von der ich mich wieder überraschen ließ, sprich: ich hatte keine Ahnung, was Onkel Joe alles herausgesucht hatte, mischte Genre- und Exploitation-Film mit Mainstream-Klassikern und hatte einige echte Kracher zu bieten, die jedoch vom „Rocky IV“-Trailer in den Schatten gestellt wurden: Versehentlich war dieser falschherum aufgezogen worden und lief somit in Bild und Ton rückwärts! Das war Vitter etwas unangenehm, aber dafür ein großer Spaß für alle Anwesenden – und nicht nur ich war der Meinung, dass der Trailer dadurch aufgewertet wurde
Foto: Philipp Muhs
Fotos: Arkadin
Foto: karlAbundzu
Nach einer kurzen Pause übergaben wir an Magdebürger Lars, der – wie nicht anders zu erwarten – eine Spitzeneinführung in „Die Banditen von Mailand“ hielt: Lizzani, Milian, Volonté, die damalige Situation in Italien und das Poliziesco-Genre – alles fand Berücksichtigung, informativ und knackig auf den Punkt. Klasse! Der Film, hierzulande ja eine Rarität, die ich noch gar nicht gesehen hatte, entpuppte sich dann als echtes Qualitätsprodukt und das Material war prima erhalten. Zum Film später im Filmthread mehr. Eine mehr als würdige Eröffnung!
Foto: Onkel Joe
Obwohl’s eigentlich noch gar nicht unbedingt vorgesehen war, versammelte sich, zurück am Hotel, eine durstige Meute um den Kofferraum von Reinis Karosse, in dem Onkel Joe und er „Fucking Hell“ geschmuggelt hatten, das sich als bekömmliches, herberes, ins Pilsige tendierendes Helles herausstellte und sich entsprechender Beliebtheit erfreute. Danke euch beiden! Steinalt wurde an diesem Abend aber niemand mehr, zu noch halbwegs ziviler Zeit ging’s in die Koje (im für zwei Personen recht engen Zimmer ohne wirklichen Kleiderschrank und mit zu wenig Haken für alle Handtücher, dafür aber bequemen Doppelbett).
Das Notruftelefon
Am nächsten Morgen vermisste ich, wie offenbar bei B&B üblich, das Rührei (und Canisius seine Bananen), freute mich ansonsten aber über ein reichhaltiges Frühstück und verabredete mich für einen Stadtbummel inklusive Nosferatu-Tour, durch die karlAbundzu mit Unterstützung Salvatore Baccaros führte. Bewaffnet mit einem Stadtplan und ein paar Notizen führte uns Karl zu diversen Drehorten (und einem Dann-doch-nicht-Drehort) sowie enge Gässchen und morbide Teile Lübecks mit so vertrauenserweckenden Straßennamen wie „Düstere Querstraße“ oder „Fegefeuer“. Wie geil wäre bitte eine solche Anschrift? Blap entdeckte einen nach ihm benannten Schnaps (wenn auch mit Schreibfehler) und die eine oder andere Kuriosität wurde gesichtet, bevor ich mich in einer Kleingruppe Richtung Plattenladen abseilte und anschließend noch den Spiele- und Comicladen aufsuchte. Meine Frage, ob ich ein neues Castle Grayskull benötige, verneinte meine Liebste; ob
sie vielleicht eines benötige, leider auch… Übrigens: Keine Müller-Filiale in Lübeck!
‘ne Weile sitzen konnten wir dann in der Dicken Berta, einem sehr empfehlenswerten kleinen Café mit angenehmem Nachhaltigkeitskonzept und Öko-Touch, wo es den weltbesten Möhrenkuchen und hausgemachte Bananenmilch gibt. Einer der unseren musste sich beim Zahlen rechtfertigen, weshalb er nicht aufgegessen hat – zurecht!
Zurück im Hotel war noch ein kurzes Nickerchen drin, bevor wir in kleineren Gruppen essen gingen. Da wir Bock auf Pizza hatten, ging’s ins San Remo, wo es sicher nicht die billigste, aber dafür eine sehr gute Pizza gab. Heizstrahler ließen es sich draußen aushalten, auch wenn sich die Hansestadt Lübeck an diesem Tage leider nicht von seinem besten Wetter zeigte. Das gemütliche Kino machte das aber schnell vergessen! Der gute Reini war kurzfristig für den leider verhinderte Il Grande Racket eingesprungen und führte in Lenzis
Zombie- Infiziertenheuler „Großangriff der Zombies“ ein, als mache er regelmäßig nichts anderes. Wir erfuhren Hintergrundinformationen zum Regisseur sowie zu den Darstellerinnen und Darstellern, abgeschmeckt mit etwas Humor, mussten aber leider auf einen Spitzenwitz verzichten, den er tags zuvor an einem dafür offenbar ungeeigneten Testpublikum ausprobiert hatte. Danke fürs Einspringen, Reini, und deine mehr als gelungene Einführung!
Der Film hatte im ersten Akt mit einer Tonstörung zu kämpfen, die sich unter den normalen Ton gelegt hatte, war ansonsten aber recht gut erhalten. Und er machte natürlich Spaß! Sein trashiger Charme kam auch in Lübeck an und versüßte uns den Abend, wir wurden allesamt gestiglitzt. Für mich war’s bereits das zweite Mal, dass ich das Kinovergnügen hatte.
Foto: Onkel Joe
Im Zuge der ersten Verlosung brachten Onkel Joe und ich so einige Filme und auch Filmbücher unters Volk und
spannten die Geduld der Anwesenden auf die Folter steigerten die Vorfreude, weil ich Schussel schlicht alle Lose in den Topf geworfen hatte – und nicht nur die Anzahl der tatsächlich ausgegebenen…
An karlAbundzu und Arkadin war es anschließend, in unseren diesjährigen Sleaze-/Erotikstreifen „Annie Belle – Zur Liebe geboren“ einzuführen – und damit in einen Film, den sie ebenso wenig bisher gesehen hatten wie der Rest des Saals (mit Kampfgigant als wahrscheinlich einziger Ausnahme), inklusive Onkel Joe, Filmkäufer Reini und meiner Wenigkeit. Und das löste das beredte Bremer Duo grandios: Dank Karl weiß ich nun alles über Maria Rohm und wie Arkadin Annie Belles Vita in ein voller Inbrunst geschmettertes Liebesgedicht eingearbeitet hat, zählt zu meinen Höhepunkten des Forentreffens! Der Film präsentierte sich, was das Material (und Annies Erscheinungsbild) betrifft, in bester Qualität, sorgte aber inhaltlich – zurecht – für Diskussionsbedarf. Diese nicht unkontroverse Rarität auf großer Leinwand sehen und damit einen kleinen Tribut an eine etwas in Vergessenheit geratene Erotik-Aktrice der ‘70er zollen zu können, hat mich überaus gefreut – zumal wir ja bereits Fenech, Gemser, Guida, Romay, Neri, Carati und und und… im Programm hatten. Danke, werter Reini! Auch zu diesem Film später im Filmthread mehr.
Das typisch norddeutsche Schietwetter erlaubte leider keine Kofferraumverköstigung. Zusammen mit den Hamburgern, die an diesem Abend dazugestoßen waren, und Graciella Granata kehrten wir in einen auf dem Weg gelegenen Irish Pub ein, wo es auch Livemusik gab. Nach zwei Bierlängen seilten Madame und ich uns ins Hotel ab, wo wir mitten in eine Lobbyparty mit hochgeistigen Getränken aus Peppa-Wutz- und Einhornbechern platzten und natürlich noch ein wenig verweilten. Vorbildlich: Am Ende wurde der Saal sauber und ordentlich hinterlassen und nicht eine einzige Schnapsleiche blieb unter den Frühstückstischen liegen
(Ok, ganz so wild ging’s dann doch nicht zu.)
Foto: Onkel Joe
Da es am Samstag bereits nachmittags mit dem Kinoprogramm weiterging, blieb nach dem Frühstück gar nicht mehr so viel Zeit für anderweitige Aktivitäten, also noch mal ins Bettchen gekuschelt, ein wenig zur Lektüre gegriffen und vorgefreut. Auf unseren allerersten Peplum nämlich, in den dann auch noch Sandalenfilmexperte Salvatore Baccaro einführte. Und wie er das tat: Von der Genre-Historie, dessen Charakteristika (u.a. Homoerotik
) und Subtexte im Allgemeinen über diesen Film „Einer gegen Rom“ alias „Kampf der Gladiatoren“ im Speziellen bis hin zur (einst bereits im Forum zitierten) Psychologie des mystischen Films, deren Fazit er uns mit auf den Weg gab und damit nachdenklich stimmte. Bildungsauftrag einmal mehr übererfüllt! „Kampf der Gladiatoren“ funktionierte für mich dann überraschend gut, mehr dazu später an geeigneterer Stelle. Ja, auch so was kann man ruhig mal bringen, vielleicht irgendwann tatsächlich mal einen mit Phantastik-Elementen.
Foto: Onkel Joe
Nachdem mit der nächsten Verlosung wieder ein ganzer Stapel Blu-rays, DVDs, Mediabooks und Filmbücher den Besitzer gewechselt hatte, kamen wir zum Abschlussfilm, den ich damit ebenfalls bereits zum zweiten Mal im Kino bewundern durfte: Sergio Martinos „Der Schwanz des Skorpions“, nach „Der Killer von Wien“ unser zweiter Martino auf großer Forentreffen-Leinwand. Eigens hierfür war Bretzelburger angereist, der in seiner Einführung speziell auf Martinos Œuvre sowie die Darsteller(innen)-Riege einging und den Bogen vom Mondo-Film zum Giallo spannte, stimmgewaltig und mit gewohntem Enthusiasmus. Der J&B-Werbefilm bot spannende Unterhaltung, denn seit meiner letzten Sichtung hatte ich die Identität des Täters längst wieder vergessen. Ein äußerst unterhaltsamer Ausklang des offiziellen Teils.
Foto: Onkel Joe
Nächster Halt: Die Schiffergesellschaft, jenes etwas hochpreisige, aber auch etwas edlere Restaurant. Eigentlich hatten wir Dr. Monkulas Tipp befolgt und im Kartoffelkeller reserviert, doch wenige Tage vorm Forentreffen sagte uns dieser wegen Personalmangels wieder ab. Keines der weiteren Restaurants, die Onkel Joe antelefonierte, hatte genügend Platz zu bieten, sodass wir letztlich bei den Schiffern landeten, die dafür mit gutem Essen, gutem Service, hanseatischem Ambiente, Teppichboden, gepolsterten Sesseln und tatsächlich angenehm viel Beinfreiheit aufwarteten. 30,- EUR für ‘nen Fisch sind mir trotzdem zu viel, sodass ich mich mit der Gemüse-Paella begnügte (und damit meinen bescheidenen Beitrag gegen die Überfischung der Meere leistete…). Offenbar ist dieses Lokal aber tatsächlich
die Adresse, wenn es darum, in größerer Runde in Lübeck essen zu gehen, und allem Anschein nach haben wir damit an einem urtümlichem Stück Lübeck partizipiert. Bisher habe ich jedenfalls ausschließlich positives Feedback gehört, und ehrlich gesagt fiel mir ein Stein vom Herzen, dass doch noch alles so relativ gut geklappt hatte – unser Samstagabendmahl in großer Runde ist schließlich Deliria-Tradition. Und am Salzspeicher ließ sich dann tatsächlich noch Graf Orlok blicken!
Der – abseits der Filme im Kino – schönste Moment für mich war dann das Austrinken der Kofferräume in bester Gesellschaft bei zwar nicht gerade spätsommerlich warmem, dafür aber endlich trockenem Wetter – und in der Gewissheit, dass alles halbwegs elegant über die Bühne gebracht wurde. Organisatorisch war eigentlich alles glattgelaufen, mit Vitter hatten wir einen äußerst kompetenten Waffenbruder vor Ort, und ich glaube, pro Film waren‘s zwischen 25 und 40 Zuschauer (und vereinzelte Zuschauerinnen). Seltsamerweise war ich trotzdem etwas nervöser als sonst – weiß der Geier, weshalb. Beim Frühstück am Sonntagmorgen trafen wir noch eine ganze Menge Delirierender und ausgerechnet am Abreisetag vertrieb strahlender Sonnenschein auch die letzten Regenwölkchen.
Herzlichen Dank an Vitter und das Koki, an „Magdebürger“ Lars Johansen, Reinifilm, karlAbundzu, Arkadin, Salvatore Baccaro und Bretzelburger Udo für die Einführungen, an Reinifilm zudem für Fahrdienste, die „Annie“-Kopie und Getränke, an McBrewer ebenfalls für Getränke sowie alle weiteren Lieben, die Speis & Trank mit der Gruppe teilten, an Dr. Christoph Seelinger, Cineploit Records & Discs, cmv-Laservision, Colosseo Film, Ostalgica und Kompakt Media fürs Stiften der Verlosungspreise, an jogiwan für die Lose, an Kampfgigant, Canisius, Familie McBrewschi und Dr. Monkula für die Mitbringsel, an fritzcarraldo fürs Zurverfügungstellen eines J&B-Aschenbechers sowie natürlich an alle, die sich aufgerafft haben, um in geselliger Runde Lübeck unsicher zu machen, Filme zu genießen und/oder zu diskutieren und mit uns zu feiern! Und nicht zuletzt danke meinem Kompagnon Onkel Joe, ohne den all das nur schwer möglich wäre.
Ich hoffe, ich habe jetzt nicht vergessen…