Seite 217 von 426

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 21. Jun 2017, 19:43
von jogiwan
Songs from the Second Floor

Bild

Impressionen vom vermeintlichen Ende der Welt bzw. einer überalterten Gesellschaft die im Jahr 2000 dort angekommen scheint. Pelle hat sein Möbelgeschäft abgefackelt, um die Versicherung zu betrügen und ist betrübt über die Tatsache, dass sein ältester Sohn kein Wort mehr spricht, seitdem er beim Gedichteschreiben den Verstand verloren hat. Wenig später begegnet Pelle Geistern aus der Vergangenheit, die er nicht mehr loszuwerden scheint, während er von Uffe einen Tipp zu einer neuen Geschäftsidee bekommt, die kurz vor dem Millennium besonders begehrt zu sein scheinen. Während Pelle daher wieder nach Größerem strebt wird seine namen- wie trostlose Heimatstadt von einer seltsamen Fluchtbewegung erfasst, deren Grund vage bleibt und wie das ständige Streben ihrer unterschiedlichen Einwohner nach Erfolg, Anerkennung und einem vermeintlich besseren Leben sinnlos erscheint…

Der schwedische Streifen „Songs of the Second Floor“ war ja kürzlich auf der von Arkschi geposteten Liste, der „total bizarren 2000er Filme, die man vermutlich übersehen hat“ und in diesem Fall hat der Ersteller der Liste auch nicht zu viel versprochen. Roy Andersson präsentiert dem Zuschauer eine Ansammlung sehr schräger Momente und seltsamer Charaktere, irgendwo zwischen Drama, schwarzer Komödie, Sozialstudie und Gaga, dass seine alternden Darsteller in einer entrückten, farbarmen und namenlosen Plattenbau-Welt zeigt, in der so etwas wie Glück und Zufriedenheit längst abhandengekommen zu sein scheint. Stattdessen quält man sich tagtäglich in die Arbeit und setzt sich selbst unter Druck, ohne offenbar zu wissen, dass man schon längst einer kollektiven Leistungs-Idee erlegen ist, die die Menschheit ohnehin geradewegs in den Abgrund führt. Im Falle von „Songs of the Second Floor“ ist es dann auch sinnbildlich ein junges Mädchen, das für die falschen Ideale vorangegangenen Generationen über die Klippe springen muss bzw. geopfert wird, während die Gesellschaft munter weiter an ihrem eigenen Abgesang arbeitet. Alles in „Songs of the Second Floor“ ist dabei sperrig und rätselhaft und Roy Andersson besitzt wohl nicht nur ein sehr seltsames Humorverständnis, sondern hat wohl jahrzehntelang an den Ideen zu seiner gesellschaftlichen Parabel gearbeitet, mit Darstellern improvisiert und dann seine Settings im Studio nachgebaut. Das Ergebnis kann sich aber durchaus sehen lassen und herausgekommen ist ein schräges, aber auch sehr forderndes Stück Kino, das nicht nur vollkommen am Mainstream vorbeigeht, sondern über das man wohl auch wochenlang diskutieren könnte.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 22. Jun 2017, 18:58
von jogiwan
Gandahar

Bild

Auf dem von weiblicher Hand regierten und fernen Planeten Gandahar lebt die Bevölkerung halbnackt und glücklich und im perfekten Einklang mit der reichhaltigen Natur. Als eines Tages jedoch an einer entlegenen Stelle Gandahars metallene Soldaten auftauchen, die das friedliche Volk aus unbestimmten Gründen angreift und in Stein verwandelt, wird der Soldat Sylvain von dem weiblichen Führungszirkel ausgewählt um der Sache auf den Grund zu gehen. Dieser stößt bei seinen Ermittlungen zuerst auf ein Volk missgebildeter Menschen mit mentalen Fähigkeiten, die im Untergrund leben und übersteht gemeinsam mit der hübschen Airelle einen Angriff und Entführung der fremden Soldaten, die fortan nicht mehr von seiner Seite weicht. Wenig später wird jedoch auch die Hauptstadt von Gandahar angegriffen und der Kampf gegen die Armee scheint aussichtlos, als Sylvain erkennt, dass die Bedrohung aus der Zukunft stammt und daher der Schlüssel zur Lösung ebenfalls in dieser zu suchen ist...

René Laloux dritter und letzter Langfilm aus dem Jahr 1988 versetzt den Zuschauer nach „Der phantastische Planet“ und „Herrscher der Zeit“ abermals auf einen fernen Planeten und erzählt die Geschichte eines friedlichen Volkes, dass von einer seelenlosen Armee aus der Zukunft angegriffen wird. Dabei ist die Sci-Fi-Geschichte nach einem Roman von Jean-Pierre Andrevon natürlich schon sehr abstrakt, scheint aber doch auch von der näheren Geschichte inspiriert und ist auch sehr unvorhersehbar ausgefallen. Auch das Auge des Zuschauers wird neuerlich mit schönen Bildern verwöhnt und die Welt von Gandahar ist durchaus sexueller Natur. So ist es kein Wunder, dass die Figuren nur leicht bekleidet durch die Gegend laufen, phallusartige Gebäude auftauchen und der Ort der Bösen kann man wahlweise entweder als gigantischen Hintern oder Penisspitze interpretieren. Diese ungewöhnliche Optik ist ja wirklich ein großes Highlight und auch wenn die Animationen heutzutage vielleicht etwas altbacken wirken mögen, so sind es die Bilder sicher nicht. „Gandahar“ richtet sich auch an ein erwachsenes Publikum, das hier abermals einen sehr gelungenen Animationsstreifen irgendwo zwischen Comic-Nerd-Fantasie und philosophischen Arthouse vorgesetzt bekommt, der leider nicht so leicht zu bekommen ist. Die Suche danach lohnt sich aber auf jeden Fall und wer so wie ich schon von den beiden anderen Filmen begeistert war, wird hier ebenfalls wieder voll auf seine Kosten kommen.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 5. Jul 2017, 19:42
von jogiwan
Die Wendeltreppe

Bild

Eine mysteriöse Mordserie, in der junge Frauen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung ermordet werden, versetzen eine amerikanische Kleinstadt Anfang des 20. Jahrhunderts in Angst und Schrecken. Daher ist auch das Umfeld der seit einem traumatischen Vorfall stummen Kammerdienerin Helen alarmiert und sowohl ihre Kollegen, der örtliche Arzt und auch ihre bettlägerige Dienstgeberin, Mrs. Warren, sorgen sich um das Wohlergehen der jungen Frau und versuchen diese davon zu überzeugen, trotz Gewitters und starken Regen noch am selben Abend das geräumige Anwesen zu verlassen. Doch unterschiedliche Umstände und Ereignisse verzögern den Plan und als wenig später ein weiterer Mord geschieht, scheint sich die Schlinge um den Hals der jungen Frau noch weiter zusammenzuziehen…

Gediegener und dennoch durchaus spannend erzählter Krimi aus dem Jahr 1945 über eine junge Frau, die seit einem traumatischen Erlebnis an Stimmverlust leidet und daher ins Visier eines Serienmörders gerät, der es auf junge Frauen mit körperlichen oder geistigen Makel abgesehen hat. Dabei ist „Die Wendeltreppe“ für heutige Verhältnisse natürlich herrlich altbacken und bietet auch aufgrund des eingeschränkten Handlungsortes und der Personengruppe nicht allzu viele Möglichkeiten zur Auflösung. Doch das stört natürlich eher wenig und neben der durchaus passablen Geschichte, der schönen Inszenierung und den interessanten Figuren wissen vor allem die Darsteller und die Settings des ländlichen Herrenhauses zu gefallen. Zur seinerzeit nervenzerfetzenden Spannung gesellt sich mit dem „Bluthund“ des Hauses und der trunksüchtigen Köchin auch etwas Humor und selbst eine hoffnungslos verkitschte Traumsequenz mit schrecklichen Ende hat es in den kurzweiligen Krimi geschafft. Alles in allem ein schöner Streifen, den viele vermutlich auch schon irgendwann mal im Fernsehen gesehen haben und der trotz seiner 70 Jahren auf dem Buckel noch immer hübsch anzusehen ist.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 6. Jul 2017, 20:39
von jogiwan
Baxter

Bild

Eigentlich habe ich mir mit „Baxter“ ja eine schwarzhumorige Komödie erwartet, aber der französische Streifen aus dem Jahre 1988 geht doch in eine etwas andere Richtung und präsentiert unterschiedliche Menschen und seltsame Verhaltensweisen bzw. die Gedankenwelt eines Bullterriers, der ihnen begegnet und bei der Wahl seines Besitzers ebenfalls ein Wörtchen mitzubellen hat. Dabei ist „Baxter“ wohl vor allem ein Film über das Unverständnis zwischen Mensch und Tier, fällt für beide Seiten ziemlich ernüchternd aus und zeigt, was passiert, wenn auf die Bedürfnisse von Lebewesen wenig bis keine Rücksicht genommen wird. Regisseur Jérôme Boivin stellt jedenfalls Mensch und Tier kein gutes Zeugnis aus und obwohl „Baxter“ dabei recht unaufgeregt und inhaltlich nicht immer eindeutig daherkommt und auf plakative Effekte größtenteils verzichtet wird, setzt er sich irgendwie dabei auch prompt zwischen alle Stühle. Horror oder Witz sollte man sich nicht erwarten und auch für Hundefreunde hält der Streifen ebenfalls ein paar unschöne Momente bereit, sodass es auch nicht verwunderlich erscheint, dass „Baxter“ mit seiner unkonventionellen Mischung die breite Masse nicht angesprochen hat. Aber selbst wenn „Baxter“ inhaltlich wohl das Gegenteil eines Feelgood-Movies darstellt, sollte man sich den Streifen als Freund filmischer Besonderheiten trotzdem nicht entgehen lassen.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Fr 7. Jul 2017, 20:14
von jogiwan
Der Dämon der Insel

Bild

Die attraktive und selbstbewusste Gabriele Martin zieht auf eine etwas entlegene Insel an der französischen Küste, um dort nach dem Verlust ihrer Familie wieder als Landärztin zu praktizieren. Doch als sie ihre Arbeit aufnehmen möchte, wird sie vom ersten Tag an nicht nur mit sehr seltsam anmutenden Unglückfällen konfrontiert, sondern erfährt auch erstmals, dass mit Dr. Marshall bereits ein anderer Arzt auf der Insel tätig ist, zu dem die örtliche Bevölkerung trotz modernster Ausstattung aber kein großes Vertrauen zu haben scheint. Als sich die seltsamen Unfälle mit Haushalts- und Spielgeräten häufen und eine Patientin zudem noch höchst seltsame Blutwerte aufweist, beginnt Gabriele auf eigene Faust weiter zu forschen und entdeckt, etwas auf der Insel mitsamt seinen verschlossenen Einwohnern neben grausigen Verstümmelungen und unerklärlichen Todesfällen noch weitere Geheimnisse zu bergen scheint…

Bilder von „Der Dämon der Insel“ spukten ja seit einer TV-Ausstrahlung im ORF seit knapp 30 Jahren in meinem Kopf herum und im Verlauf der letzten Jahre habe ich in Foren immer wieder versucht, auf den Film zu kommen. Doch niemand konnte oder wollte den Streifen aufgrund meiner Beschreibung erkennen und über die Jahre habe ich dann selbst schon vermutet, dass mir die Erinnerung trotz sehr prägnanter Momente wie der Unfall mit dem Rasierer und dem Elektromesser, sowie die Szenen im Supermarkt einen Streich gespielt hat. Die Hoffnung hatte ich daher schon aufgegeben, als mir jetzt glückliche Fügungen (ein großes, großes Dankeschön nochmals an dieser Stelle!) in kurzer Zeit doch noch ein Wiedersehen ermöglicht haben, welches mich auch nicht enttäuscht hat. „Der Dämon der Insel“ ist eine sehr solide Mischung aus Mystery, Grusel und „Mad Scientist“-Drama“, das zwar schon mit französischer Zurückhaltung inszeniert wurde, aber in der ungekürzten Fassung gleich mit ein paar sehr eindrucksvollen Momenten aufwarten kann. Zwar ist die Geschichte von Regisseur Francis Leroi teils etwas behäbig inszeniert und erinnert inhaltlich an mehrere Werke aus den späten Siebzigern, doch die unvorhersehbaren Momente mit den Haushaltsgeräten sind zweifelsfrei sehr wirkungsvoll inszeniert und auch die interessanten Figuren und das dramatische Finale lassen eigentlich keine großen Wünsche offen. Genauso mysteriös wie die Ereignisse in „Der Dämon der Insel“ ist dann aber auch der Umstand, dass sich anscheinend dennoch nur so wenige an den Streifen erinnern und es wäre auch längst an der Zeit, dass dieser weitgehend unbekannte Streifen von einer breiteren Masse entdeckt werden würde. Verdient hätte es „Der Dämon der Insel“ meines Erachtens auf jeden Fall.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Sa 8. Jul 2017, 19:33
von jogiwan
End of the Line

Bild

Vielleicht sollte man bei manchen Filmen statt nur das Cover zu betrachten doch auch einfach mal das Backcover lesen, auch wenn ich das normalerweise ja vermeide. Jedenfalls gab es im Falle von „End of the Line“ statt der erwarteten U-Bahn-Action mit irgendwelchen Monstern nur religiöse Fanatiker mit Pfadfinder-Optik und handelsübliches „Stalk’s Slash“ durch irgendwelche Gänge, die von Regisseur Maurice Devereaux als vermeintliche U-Bahn-Versorgungsschächte ausgegeben werden. Nach ein paar durchaus funktionalen Schreckmomenten zu Beginn kommt der von „9/11“-geprägte „End of the Line“ auch irgendwie nicht vom Fleck und man merkt einfach zu stark, dass die vorhandenen Ambitionen am schmalen Budget und den unausgegorenen Drehbuch gescheitert sind. Die Sache mit dem religiösen Fanatismus ist auch so überhaupt nicht meins und selbst die teils recht herben Effekte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte für 90 Minuten einfach zu wenig hergibt und es Herr Devereaux auch nicht schafft, religiösen Fanatismus und die Verblendung der scheinbar breiten Masse durch einen einzelnen Prediger glaubhaft zu vermitteln. So ist „End of the Line“ statt Horror mit apokalyptischen Zügen meines Erachtens auch eher ein arg unterdurchschnittlicher Vertreter aus der Diskont-Horrorecke, der auch viel Wohlwollen des Zuschauers vorrausetzt und trotz jeder Menge roten Lebenssaftes sehr farblos bleibt.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: So 9. Jul 2017, 20:16
von jogiwan
Faust

Bild

An einem düsteren Tag im modernen Prag wird der Durchschnittsbürger Faust gleich mehrmals mit einem geheimnisvollen Plan konfrontiert, der einen nicht näher erklärten Punkt in der Stadt zeigt. Als er sich nach einigem Zögern daraufhin auf die Suche nach dem Ort begibt, entpuppt sich das Gebäude als riesiges, wenn auch heruntergekommenes Theater und ist das der Auftakt zu einer Reihe von sehr seltsamen und surrealen Ereignissen, in denen er wie einst sein Namenskollege in Johann Wolfgang von Goehtes Erzählung einen Pakt mit dem Teufel eingeht und seine Seele verliert.

Wunderbar schräger und vor fantasievollen Einfällen überbordende „Faust“-Variation von Regisseur Jan Svankmajer, der mich mit seinem „Alice“ ja bereits total begeistert hat. Auch seine relativ freie Adaption von Goethes allseits bekannter Geschichte im modernen Prag steht dem um nichts nach und der Regisseur vermischt normales Spielfilmmaterial mit Stop-Motion, Puppentheater und Knetanimation zu einem surrealen Cocktail, dass einem als Zuschauer alsbald hören und sehen vergeht. Dabei ist der Streifen aber weniger dramatisch oder gar sperrig ausgefallen, sondern ist ein schwarzhumoriges und schwer kurzweiliges Ereignis für erwachsene Zuschauer, der hier quasi neunzig Minuten Reizüberflutung ausgesetzt wird, bis auch die letzte Kinnlade nach unten geklappt ist. Wie hier im hohen Tempo zwischen theaterhaften Erzählkino, trister Sozialstudie zu surrealen Bildern und lebensgroßen Puppentheater hin- und hergewechselt wird ist atemberaubend und zwischendurch war ich fast geneigt, die Pause-Taste zu drücken um einfach einmal durchzuatmen und die ganzen Eindrücke setzen zu lassen. Svankmajers „Faust“ ist jedenfalls ein Füllhorn der Freude für alle Fans von außergewöhnlichen Filmen und neunzig Minuten pure Kinomagie für ein aufgeschlossenes Publikum. Sensationell!

Ink

Bild

Jede Nacht öffnet sich eine uns unbekannte Welt und sogenannte „Geschichtenerzähler“ und „Incubi“ betreten die Welt um die schlafenden Menschen mit angenehmer Nachtruhe oder Alpträumen zu versorgen. Doch es gibt auch eine dritte Gruppe, die weder der einen, noch der anderen Gruppe angehört und Ink ist einer dieser traurigen Seelen, die dazu verdammt sind, orientierungslos durch die Welt zu wandern. Als er eines Tages die Seele eines jungen Mädchens stiehlt um als Austausch ein „Incubi“ zu werden, machen sich einige „Geschichtenerzähler“ mit einem „Pathfinder“ auf den Weg um die Seele zu retten, was jedoch nur über den entfremdeten Vater funktionieren kann, der längst auf seine Tochter vergessen hat…

„Ink“ ist ja auch ein Streifen der kürzlich auf der Liste der bizarrsten 2000er-Filme war und auch hier wird die Liste ihrem Titel mehr als gerecht. Als Low- bis No-Budget-Film konzipiert, erzählt die Geschichte von Regisseur Jamin Winans eine mehr als schräge Geschichte über einen Kampf verschiedener Welten, der immer dann über und in unseren Köpfen tobt, wenn wir uns im sicheren Schlaf wiegen. Dabei hat „Ink“ einen sehr speziellen und arg künstlichen und farbveränderten Look, der mit persönlich eher weniger zugesagt hat und auf den man sich auch einlassen muss. Dafür fand ich die Geschichte sehr gut, originell und packend und es ist verwunderlich, dass hier noch kein Big-Budget-Remake von Steven Spielberg angekündigt ist. Die Mischung aus moderen Märchen, Familiendrama und Martial Arts (!) ist jedenfalls mindestens so ungewöhnlich ausgefallen, wie sich die Geschichte anhört und dennoch wirkt alles in dem Streifen selbstverständlich, logisch und harmonisch. Den Mut als junger Regisseur ohne Produktionsfirma im Rücken eine derartige Geschichte ohne nennenswertes Budget umzusetzen muss man ja auch erst einmal aufbringen und im Falle von „Ink“ hat sich der Aufwand und der Einsatz aller Beteiligten auch gelohnt. Herausgekommen ist ein in den Staaten gehypter – hier hingegen eher unbekannter Streifen, der seine herzerwärmende Geschichte quasi als modernes und pathetisches Live-Action-Nerd-Märchen für Erwachsene konzipiert, bei dem man auch neidlos zugestehen muss, dass es nach der optischen Eingewöhnungsphase für den Zuschauer auch sehr gut funktioniert.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mo 10. Jul 2017, 19:30
von jogiwan
Nuit Noire - Die schwarze Nacht

Bild

Oscar arbeitet in einer Welt, in der es nie richtig hell wird als Insektenforscher in einem Museum und archiviert Tag für Tag seine Käfer, für die er mehr Interesse als an den Menschen seiner Umgebung aufbringen kann. Seit er in Kindertagen von seiner Schwester getrennt wurde, scheint ein Teil in seinem Leben zu fehlen, doch weder er, noch sein Psychiater sind sich sicher, ob diese Schwester, die einem Gewaltakt zum Opfer gefallen ist, jemals existiert hat, oder nur der Fantasie des introvertierten Mannes entsprungen ist. Als Oscar eines Tages nach der Arbeit in seinem Bett eine kranke Kollegin findet, ist das der Beginn einer sonderbaren Wandlung, die auch das Leben des Mannes aus den Fugen geraten lässt…

Der belgische Streifen „Nuit Noire“ aus dem Jahr 2005 präsentiert dem aufgeschlossenen Zuschauer ein alptraumhaftes und fragmentarisches Szenario, welches wieder einmal genauso gut von dem in diesen Dingen immer bemühten und stets als Vergleich herangezogenen David Lynch stammen könnte. So etwas wie eine geradlinige Story, eine Erklärung oder Handlungsbogen sollte man sich hier jedenfalls nicht erwarten und Regisseur Olivier Smolders zeigt seltsame Figuren in einem entrückten Setting und lässt alles wie einen unwirklichen Traum mit sexueller Verdrängung erscheinen, in dem Logik, Naturgesetze und sonstige Grenzen auch keine Gültigkeit zu haben scheinen. Wer sich auf „Nuit Noire“ einzulassen vermag, bekommt auch einen hübsch anzusehenden Streifen mit viel hübschen Insektenaufnahmen serviert und dennoch macht es sich Regisseur Smolders meines Erachtens doch auch etwas einfach, in dem er den Zuschauer allerlei bedeutungsschwangere Handlungselemente vor die Füße wirft, bei deren Deutung man in Unkenntnis der Gedankenwelt des Machers wohl nur hoffnungslos scheitern kann. Also habe ich es mir ebenfalls recht einfach gemacht und während andere Filme aus der Kiste ja oftmals noch Tage später in meinem Kopf herumgeistern, habe ich „Nuit Noire“ mit Ende des Abspanns auch gleich als mittelprächtiges Beispiel für die Kategorie „Style over Substance“ und kleinen surrealen Snack für Zwischendurch in meiner eigenen Erinnerung archiviert.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Di 11. Jul 2017, 19:35
von jogiwan
Das Philadelphia Experiment

Bild

Mitten im zweiten Weltkrieg bzw. im Jahr 1943 versucht die amerikanische Navy einen riesiger Zerstörer mittels Kraftfeld auf dem Radar unsichtbar zu machen. Doch das sogenannte „Philadelphia Experiment“ geht schief und das Schiff verschwindet tatsächlich aus dem Hafen von Philadelphia und schickt zwei Marine-Soldaten David und Jim vierzig Jahre in die Zukunft und in die Wüste von Nevada. Während sich die beiden Soldaten langsam an die Begebenheiten dieser Zeit gewöhnen müssen und langsam realisieren, was mit ihren geschehen ist, werden sie jedoch auch vom Militär verfolgt und geraten an die junge Allison, die den Beiden hilft zu entkommen. Als der verletzte Jim spurlos aus dem Krankenhaus verschwindet, macht sich David mit Allison auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit und wenig später liegt nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch das der gesamten Menschheit in seinen Händen…

Das sogenannte „Philadelphia Experiment“ ist ja neben der „Area 51“ ein sehr beliebtes Thema wenn es um Verschwörungen des amerikanischen Militärs und Geheimdienstes geht. In Stewart Refills kurzweiligen und von John Carpenter produzierten Sci-Fi-Film geht es aber ausnahmsweise mal weniger um unterschlagene Beweise, sondern um einen Matrosen, der durch das missglückte Experiment mit einem Kollegen vierzig Jahre in die Zukunft katapultiert wird, die Welt retten muss und dabei auch noch das Herz einer jungen Frau gewinnt. Dabei ist der Streifen eine nette, wenn auch etwas harmlose Mischung aus Action, Sci-Fi und Zeitreise-Abenteuer mit soapigen Zügen, dass die meisten hier ja auch noch aus früheren Videotheken-Tagen kennen werden. Auch knapp dreißig Jahre nach Erscheinen macht der Streifen aber noch immer Spaß und mit Michael Paré und Nancy Allen hat man auch ein sympathisches Gespann engagiert, dass gut miteinander harmoniert und über die bisweilen arg konstruierte und bislweien holprige Story über Kraftfelder, Zeitreise-Problematik und schwarze Löcher hinweg hilft. „Das Phildelphia Experiment“ ist auch ein sympathisches B-Filmchen, dass dem Thema aus der etwas arg naiven Sicht eines Betroffenen durchaus neue Facetten abgewinnt, anstatt immer nur das ewig gleiche Verschwörungs-Gedöns mit vagen Beweisen zu präsentieren. Wenn schon bei Militärexperimenten was daneben geht, dann bitte gleich ordentlich mit einem Helden, der hinterher wieder den Sack zu macht und im Falle von „Das Philadelphia Experiment“ gibt es zumindest auch in diesem Punkt nicht viel zu meckern.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 12. Jul 2017, 19:44
von jogiwan
Multiple Maniacs

Bild

Lady Divine leitet gemeinsam mit ihrem Lover David eine Wander-Freakshow mit dem Titel „Lady Divine's Cavalcade of Perversions” in dem das sensationslüsterne Publikum statt perverser Attraktionen jedoch auf ganz simple Weise ihrer Wertgegenstände beraubt wird. Als sich der eigentlich sensible und von Lady Divine an der kurzen Leine gehaltene David jedoch zu der hübschen Bonnie hingezogen fühlt und Lady Divine verlassen möchte, reagiert diese auf rachsüchtige Weise und beschließt ihren untreuen Lover kurzerhand als mahnendes Beispiel zu ermorden. Doch der Plan ist schwieriger als gedacht und bis zum finalen Massaker muss Lady Divine auch noch ein paar herbe und spirituelle Erfahrungen über sich ergehen lassen, ehe sie aufgrund der traumatischen Ereignisse auch noch dem kompletten Wahnsinn verfällt.

„Multiple Maniacs“ zählte ja lange Zeit neben „Mondo Trasho“ zu den schwer zu bekommenden Frühwerken von John Waters, ehe dieser mit seinem „Pink Flamingos“ im Jahr 1972 die Grenzen des schlechten Geschmacks neu definierte und einen der ersten „Midnight Movies“ der Kinogeschichte ablieferte und in dem Olymp der unkonventionellen Filmemacher aufstieg. „Multiple Maniacs“ steht dem ungleich bekannteren „Pink Flamingos“ aber um wenig nach und zeigt wieder einmal die Vorliebe von Waters für schräge Figuren, Sex und Gewalt, sowie dem unermüdlichen Bestreben, dem Spießbürgertum und Mächten des Staats den Stinkefinger zu zeigen. Wer sich auf sensationslüsterne Weise den Werken des Regisseurs nähert, muss auch damit rechnen, Dinge zu sehen, die man eigentlich gar nicht möchte und in „Multiple Maniacs“ ist das dann auch eine blasphemische Szene, mit der man anderenorts wohl nicht durchgekommen wäre. Im Falle von John Waters gehört das aber ganz selbstverständlich zur Geschichte seiner ambivalenten Hauptfigur dazu und wer sich von dem eher unorthodox erzählten Kreuzweg schockieren lässt, ist ja ebenfalls selber schuld. Filmtechnisch ist „Multiple Maniacs“ ja ein Low-Budget-Werk inklusive Over-Acting, welches wohl in Guerilla-Manier an den Wochenende gedreht wurde – herausgekommen ist dennoch ein spaßiger Schocker irgendwo zwischen Trash, Genre-Perle und offensiver Zuschauerbeleidigung mit zeitpolitischem Bezug, dass Zuschauer wie Darsteller fordert und gleich ein Vielzahl von frag- und erinnerungswürdige Momente bereit hält.