bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Moderator: jogiwan
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
World War Z
„Wir machen nur einen Ausflug...“
Einen Ausflug in den Mainstream-Blockbuster-Bereich machte der Zombiefilm im Jahre 2013 mit dem in US-amerikanisch-maltesischer Koproduktion entstandenen und vom deutschen Regisseur Marc Forster („Ein Quantum Trost“) inszenierten „World War Z“, der lose auf Max Brooks‘ Buch „Operation Zombie: Wer länger lebt, ist später tot“ aus dem Jahre 2006 basiert. In kommerzieller Hinsicht wurde der für die Kinos ins 3D-Format konvertierte Film ein Erfolg, obwohl er zuvor mit mindestens einem Bein in der Produktionshölle stand: Die ursprüngliche Schnittfassung war auf keine Gegenliebe bei Paramount gestoßen. Ein neu engagierter Drehbuchautor schrieb die letzten 40 Minuten des Films um; zudem wurde penibel darauf geachtet, ein PG-13- und somit jugendfreies Rating zu erreichen. Ein Zombie-Massaker als Familienfilm also? Nicht ganz; viel mehr der Versuch, anstelle eines morbiden Untoten-Spektakels voller Splatter und Gore eine Mischung aus rasantem Katastrophen-Actionfilm und Pandemie-Thriller mit Science-Fiction-Anleihen und lediglich Einsprengseln klassischen Zombie-Horrors zu erschaffen.
„Der Präsident ist tot.“
Ein neues Virus verwandelt Menschen innerhalb kürzester Zeit in hyperaggressive und durch ihre Bisse ansteckende zombieähnliche Wesen und breitet sich in rasender Geschwindigkeit pandemisch aus. Gerry Lane (Brad Pitt, „Fight Club“), ehemaliges Mitglied einer Spezialeinheit der UNO, erhält den Auftrag, zusammen mit dem Virologen Andrew Fassbach (Elyes Gabel, „Game of Thrones“) den Ursprung der Seuche ausfindig zu machen, damit auf Basis dieser Erkenntnisse möglicherweise ein Impfstoff entwickelt werden kann. Für Gerry, der zusammen mit seiner Frau Karen (Mireille Enos, „The Killing“) und seinen Töchtern in Philadelphia nur knapp den Attacken der Infizierten entkommen konnte, bedeutet dies eine Reise um die Welt nach Südkorea, Jerusalem und andere Orte, stets den Tod im Nacken…
„Ich stoße dabei immer wieder auf Analogien zur spanischen Grippe!“
Zu Beginn konterkariert die Lane’sche Familienidylle das den Film eröffnende Nachrichtenpanorama, in dem von einer diffusen Bedrohung die Rede ist – womit Regisseur Forster die Familie als gesellschaftliche Institution in den Mittelpunkt der Bedrohung rückt. Kurz darauf folgt der eigentliche Auftakt, die unheimlich stark inszenierte Entstehung einer Massenpanik im Straßenverkehr. Es geht gleich in die Vollen. Durch eine atemberaubende Rettungsaktion per Helikopter überleben Gerry und seine Familie den ersten Zombieangriff. Früh wird deutlich: Forster und sein Team beherrschen das Action-Handwerk. Die Handlung fokussiert sich unterdessen immer stärker auf eine Einzelperson, noch konsequenter gar als in handelsüblichen älteren Katastrophenfilmen. Das geht hier sogar so weit, dass sich Virologe Fassbach, den Gerry zur ersten Station nach Südkorea begleitet, dort direkt erschießt.
„Das klingt für mich so gar nicht nach Virus, Sportsfreunde!“
Zombies, die keine aus den Gräbern steigenden Untoten, sondern mit einem Erreger Infizierte sind, waren bereits vor „World War Z“, auch vor „28 Days Later“ bekannt. Hier treten sie nun in der bis dahin wahrscheinlich modernsten Form auf, als rasend schnell und der Schwarmintelligenz mächtig. Statt sich röchelnd heranzuschlurfen, treten sie hier als die Erde überflutende Naturkatastrophe in Erscheinung. Das passt zum hohen Tempo des Films, der sich unter weitestgehender Reduktion auf einen Einzelkämpfer wenig um Charakterisierungen, dafür umso mehr um die Vermittlung des globalen Ausmaßes schert – was ihm als einem von nur wenigen Zombiefilmen gelingt. Seine Massenpanikszenen sind grandios und die Bedeutung des Individuums innerhalb von Pandemien wird negiert, wobei insbesondere der Verlust der Familie als verheerend herausgestellt wird.
Dies geht jedoch einher mit Actionfilm-typischer Emotions- und Empathiearmut bzw. Heuchelei und macht auch vor Action-Genreklischees nicht Halt. Eines davon ist die weitestgehende Unverwundbarkeit des Protagonisten, der sogar einen Flugzeugabsturz überlebt, was den arg unglaubwürdigen Schlusspunkt hinter eine ansonsten im positiven Sinne deftige Sequenz setzt, in der Gerry alle Passagiere opfert (was zu moralischen Überlegungen führen kann). Doch auch wie die Handlung vorangetrieben wird, erscheint mitunter fragwürdig. So fliegt man prompt von Korea nach Israel, nur weil ein geisteskranker und krimineller CIA-Mann, den vorher niemand ernstgenommen hat, Gerry einen entsprechenden Hinweis gibt…? Immerhin spielt sich dort eine originelle und beeindruckende Szene ab: Die Zombies bilden eine Art Leiter, um eine Mauer zu Jerusalem zu überwinden. Aber ausgerechnet in jenem Moment, in dem Gerry dort eintrifft? Generell leidet die mit ein paar Rückblenden angereicherte Handlung unter ein bisschen arg vielen Zufällen.
Der gebissenen, nur „Segen“ genannten israelischen Soldatin hackt Segen die Hand ab, was jedoch ebenso so blutarm gerät wie der gesamte Film (in seiner Kino-Schnittfassung). Wenn man schon mit derartigen Gewaltspitzen arbeitet, wäre man gut beraten gewesen, sie auch entsprechend drastisch zu inszenieren (was aber das eingangs angesprochene Rating verhindert hätte). Dafür vermittelt die Machart des Films einen ungefähren Eindruck von Abläufen in Kriegsgebieten, auch ohne Blutfontänen. Dem hiesigen Schauspieler Moritz Bleibtreu („München“) begegnet man in einer Nebenrolle bei der WHO, bevor das Ende überraschend ruhig und reduziert ausfällt und der Epilog mit einem Nachrichtenpanorama stilistisch an den Prolog anknüpft. Gerrys Stimme aus dem Off verdeutlicht, dass dieses Ende ein offenes ist. Die angekündigte Fortsetzung wurde jedoch im Jahre 2019 endgültig begraben.
„World War Z“ ist weder ein sozialkritischer Film, in dem die Zombies als Allegorie auf gesellschaftliche oder systemische Missstände fungieren, noch eine grafische Spezialeffektorgie für Splatter-Fans und auch keine Computerspielverfilmung, wenngleich vieles hier aus dem PC kommt. Von seinen genannten Schwächen abgesehen, unterhält er aber nicht nur mit einigen echten Spannungsszenen doch ziemlich gut – und weiß man vorher, welcher Film einen in etwa erwartet, erlaubt er vermutlich eine vorbehaltlosere Rezeption als in Erwartung eines an Romero oder Fulci anknüpfenden Films. Die (mir unbekannte) Buchvorlage indes hätte sich anscheinend eher für eine reportagehafte Verfilmung angeboten, eine Mockumentary o.ä.; dass dieses Potenzial verschenkt wurde, ist ein bisschen schade. Aber auch Brad Pitt als nicht mehr nur staats- sondern die ganze Welt tragende und erhaltende Instanz, als zu einer Einzelperson komprimierten Form einer das Überleben sichernden Exekutive, entfaltet als den Regeln des Action-Genres in ungewohntem Sujet gehorchende Figur ihren Reiz gegenüber einem Publikum, das beim Mainstream-Blockbuster auch mal Fünfe gerade sein lassen kann. Dafür sind die Macher hinter dem Film letztlich abgewichste Profis genug.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Was ihr nicht seht
„Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn.“
Der bereits 16. Fall des Dresdner „Tatort“-Ermittlungsteams aus Karin Gorniak (Karin Hanczewski), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) – wobei es für Winkler „erst“ der zehnte ist, Glückwunsch zum Jubiläum! – ist zugleich das Regiedebüt Lisa Stahls („Alle Tage meines Lebens“) innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Zusammen mit Peter Dommaschk und Ralf Leuther verfasste sie auch das Drehbuch der am 5. November 2023 erstausgestrahlten Episode.
„Ich hab‘ Scheiße gebaut!“
Sarah Monet (Deniz Orta, „Dogs of Berlin“) erwacht nach einer harten Partynacht – und findet ihren Freund leblos neben ihr vor: Erstochen. Sarah fehlt die Erinnerung daran, was genau passiert ist. Hat sie ihn auf dem Gewissen? Für die Polizei ist sie erst einmal tatverdächtig, was Kommissarin Winkler in Gewissensnöte bringt, denn Sarah ist eine alte Freundin. Für ihren Vorgesetzten Schnabel ist sie damit nicht mehr geeignet, unbefangen in diesem Fall zu ermitteln, weshalb er sie abzieht. Damit ist Kommissarin Gorniak auf sich allein gestellt, obwohl der Fall zu etwas noch Größerem heranwächst: Es geht um K.O.-Tropfen und Vergewaltigung…
„Gorniak, Winkler: Meine besten Männer!“
Nach einem blutverschmierten Prolog erhält man, wie in halbwegs realistischer Polizeiarbeit verpflichteten „Tatort“-Episoden nicht unüblich, Einblicke in die Spurensicherung und die erkennungsdienstliche Behandlung, bevor Winkler sich der Verdächtigen Sarah widmet und dabei wenig souverän Privates mit ihrem Dienst vermischt. Die Quittung folgt auf dem Fuße, indirekt und ungewollt verhilft sie Sarah zur Flucht. Nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit scheint jedoch klar, dass Sarah unverdächtig ist und ein Serientäter sein Unwesen treibt. Bis zu dieser Erkenntnis begleitet man die kantigen, klischeearmen Figuren auf ausgesprochen spannende Weise und lernt auch den Toten auf nicht immer für ihn vorteilhafte Weise posthum kennen. Im Anschluss setzen Stahl und Ihr Team verstärkt auf eine düstere, unbehagliche Atmosphäre während der Jagd auf ein Phantom. Die Felder K.O.-Tropfen und Vergewaltigung gehen nun mit Home-Invasion-Motiven einher.
Ein früheres Opfer macht durch seine Verzweiflung deutlich, was derartige Verbrechen für eine Frau bedeuten, ohne dass die Handlung zu moralisierenden Litaneien ansetzen würden. Die Stimmung des Films, die eingefangenen Emotionen und die beeindruckenden, eindringlichen Bilder machen eine dialoglastigere Ausarbeitung überflüssig. Vielmehr arbeitet man mit kurzen Flashbacks, Zeitlupen, sphärischer und diffus enervierender musikalischer Untermalung. Im letzten Drittel bekommt man den maskierten Täter in Aktion zu sehen, womit dieser „Tatort“ seinen unheimlichen Höhepunkt erhält. Auf das Finale mit Schusswaffeneinsatz folgt eine wahrlich fiese epilogische Wendung, die zwischenzeitlich sicher Geglaubtes ad absurdum führt bzw. böse Vorahnungen bestätigt.
Der Dresdner „Tatort“ hat zu alter Stärke zurückgefunden, wie auch „Was ihr nicht seht“ eindrucksvoll beweist. Handlung, Dramaturgie, Kameraarbeit und Schauspiel stützen und befeuern sich gegenseitig, sodass es höchstens am nicht immer 100%ig nachvollziehbaren Verhalten der Beamt(inn)en etwas zu bekritteln gäbe. Trotz des einen oder anderen gewohnt flapsigen Spruchs Schnabels ein bitterernster Fall, der der einen oder anderen Zuschauerin bzw. dem einen oder anderen Zuschauer eine unruhigere Sonntagnacht als erwartet bereitet haben dürfte.
Mit Jakob Klasen (Timur Işık, „5 Seasons – Eine Reise“) wird übrigens ein neuer, junger Staatsanwalt eingeführt. Inwieweit dieser in zukünftigen Episoden eine größere Rolle spielen wird, wird sich zeigen.
„Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn.“
Der bereits 16. Fall des Dresdner „Tatort“-Ermittlungsteams aus Karin Gorniak (Karin Hanczewski), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) – wobei es für Winkler „erst“ der zehnte ist, Glückwunsch zum Jubiläum! – ist zugleich das Regiedebüt Lisa Stahls („Alle Tage meines Lebens“) innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Zusammen mit Peter Dommaschk und Ralf Leuther verfasste sie auch das Drehbuch der am 5. November 2023 erstausgestrahlten Episode.
„Ich hab‘ Scheiße gebaut!“
Sarah Monet (Deniz Orta, „Dogs of Berlin“) erwacht nach einer harten Partynacht – und findet ihren Freund leblos neben ihr vor: Erstochen. Sarah fehlt die Erinnerung daran, was genau passiert ist. Hat sie ihn auf dem Gewissen? Für die Polizei ist sie erst einmal tatverdächtig, was Kommissarin Winkler in Gewissensnöte bringt, denn Sarah ist eine alte Freundin. Für ihren Vorgesetzten Schnabel ist sie damit nicht mehr geeignet, unbefangen in diesem Fall zu ermitteln, weshalb er sie abzieht. Damit ist Kommissarin Gorniak auf sich allein gestellt, obwohl der Fall zu etwas noch Größerem heranwächst: Es geht um K.O.-Tropfen und Vergewaltigung…
„Gorniak, Winkler: Meine besten Männer!“
Nach einem blutverschmierten Prolog erhält man, wie in halbwegs realistischer Polizeiarbeit verpflichteten „Tatort“-Episoden nicht unüblich, Einblicke in die Spurensicherung und die erkennungsdienstliche Behandlung, bevor Winkler sich der Verdächtigen Sarah widmet und dabei wenig souverän Privates mit ihrem Dienst vermischt. Die Quittung folgt auf dem Fuße, indirekt und ungewollt verhilft sie Sarah zur Flucht. Nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit scheint jedoch klar, dass Sarah unverdächtig ist und ein Serientäter sein Unwesen treibt. Bis zu dieser Erkenntnis begleitet man die kantigen, klischeearmen Figuren auf ausgesprochen spannende Weise und lernt auch den Toten auf nicht immer für ihn vorteilhafte Weise posthum kennen. Im Anschluss setzen Stahl und Ihr Team verstärkt auf eine düstere, unbehagliche Atmosphäre während der Jagd auf ein Phantom. Die Felder K.O.-Tropfen und Vergewaltigung gehen nun mit Home-Invasion-Motiven einher.
Ein früheres Opfer macht durch seine Verzweiflung deutlich, was derartige Verbrechen für eine Frau bedeuten, ohne dass die Handlung zu moralisierenden Litaneien ansetzen würden. Die Stimmung des Films, die eingefangenen Emotionen und die beeindruckenden, eindringlichen Bilder machen eine dialoglastigere Ausarbeitung überflüssig. Vielmehr arbeitet man mit kurzen Flashbacks, Zeitlupen, sphärischer und diffus enervierender musikalischer Untermalung. Im letzten Drittel bekommt man den maskierten Täter in Aktion zu sehen, womit dieser „Tatort“ seinen unheimlichen Höhepunkt erhält. Auf das Finale mit Schusswaffeneinsatz folgt eine wahrlich fiese epilogische Wendung, die zwischenzeitlich sicher Geglaubtes ad absurdum führt bzw. böse Vorahnungen bestätigt.
Der Dresdner „Tatort“ hat zu alter Stärke zurückgefunden, wie auch „Was ihr nicht seht“ eindrucksvoll beweist. Handlung, Dramaturgie, Kameraarbeit und Schauspiel stützen und befeuern sich gegenseitig, sodass es höchstens am nicht immer 100%ig nachvollziehbaren Verhalten der Beamt(inn)en etwas zu bekritteln gäbe. Trotz des einen oder anderen gewohnt flapsigen Spruchs Schnabels ein bitterernster Fall, der der einen oder anderen Zuschauerin bzw. dem einen oder anderen Zuschauer eine unruhigere Sonntagnacht als erwartet bereitet haben dürfte.
Mit Jakob Klasen (Timur Işık, „5 Seasons – Eine Reise“) wird übrigens ein neuer, junger Staatsanwalt eingeführt. Inwieweit dieser in zukünftigen Episoden eine größere Rolle spielen wird, wird sich zeigen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
New Yorker Geschichten
Die Weltklasse-Regisseure Martin Scorsese („Taxi Driver“), Francis Ford Coppola („Der Pate“) und Woody Allen („Der Stadtneurotiker“) inszenieren einen Episodenfilm – was soll da schon schiefgehen können? Nun ja, beispielsweise, dass die daraus resultierende Erwartungshaltung unterlaufen wird, insbesondere wenn es einen großen Ausreißer gibt. Der 1989 veröffentlichte Film setzt sich aus drei in sich abgeschlossenen Episoden zusammen, eine Rahmenhandlung o.ä. gibt es nicht; es ist lediglich allen gemein, dass sie in New York spielen:
„Du wirst es packen, Lionel!“
Martin Scorsese verfilmte für seine „Lebensstudien“ ein Drehbuch Richard Price‘: Nick Nolte („Nur 48 Stunden“) mimt den etwas exzentrischen bildenden Künstler Lionel Dobie, der kurz vor einer wichtigen Ausstellung von seiner Freundin Paulette (Rosanna Arquette, „Susan … verzweifelt gesucht“) verlassen wird. Paulette interessiert sich vielmehr für den Performance-Künstler Gregory Stark (Steve Buscemi, „Abschiedsblicke“), was Lionel hinzunehmen vorgibt und Paulette seine Freundschaft vorgaukelt, sich ihr gegenüber jedoch als große Nervensäge erweist.
„Ich muss nicht mehr mit dir ins Bett?“
Die Episode thematisiert die schwierige Beziehung der beiden zueinander, was visuell mit Zeitlupen, Liebesfantasien unterm Blaufilter und verengten Blickfeldern Lionels einhergeht, während wiederkehrend der ‘60er-Evergreen „A Whiter Shade of Pale“ ertönt und man auch eine interessante Version von „Like a Rolling Stone“ zu hören bekommt. Leider kann die Pointe da nicht mithalten, in der (Achtung: Spoiler!) Lionel sich schlicht bereits nach kurzer Zeit die Nächste aufreißt. Unterm Strich bleibt eine gut geschauspielerte Warnung vor alternden, schlecht allein sein könnenden Künstlern, die für einen Scorsese aber ein wenig enttäuscht. 6 von 10 Punkten.
„Wir sind von den Irren Nachrichten, nicht vom Playboy!“
Francis Ford Coppola verfasste das Drehbuch zu seiner Episode „Leben ohne Zoe“ zusammen mit seiner Tochter Sofia. Die zwölfjährige Zoe (Heather McComb, „Generation X“) ist ein verwöhntes, im Hotel lebendes Töchterchen reicher, aber getrenntlebender Eltern (Talia Shire, „Der Pate“ und Giancarlo Giannini, „Sieben Schönheiten“). Sie freundet sich dem Neffen (Selim Tlili, „Cantara“) eines arabischen Scheichs an und wird Zeugin, wie das Hotel überfallen wird. Fortan spielt ein Ohrring eine große Rolle, der ihren Vater in die Bredouille bringt, letztendlich dazu führt, dass Zoe ihre Eltern wieder zusammenbringen kann.
Zoe führt per Voice-over über Flötenspielklängen in die Episode ein, bevor Rückblenden in ihre Kindheit und ein animierter Vorspann in die eigentliche Handlung übergehen. Auch diese wird von Zoe wiederholt aus dem Off kommentiert. Mit ihrer Mutter spricht sie auf sehr altkluge Weise, was angesichts ihrer Alters irritiert. Der Stil der Episode ist komödiantisch, zu lachen gibt es aber nichts. Zirkuseinlagen auf einem Kostümfest und ein Flötenkonzert Zoes Vaters strecken den Kurzfilm, der ein paar schräge Kameraperspektiven und eine niedlich anzusehende Hauptdarstellerin anzubieten hat, darüber hinaus jedoch nicht viel. Und wer glaubte, Scorseses Pointe sei bereits schwach gewesen, wird sich eingestehen müssen, dass Coppola diese locker unterbietet. Nichtssagend und enttäuschend, daher nicht mehr als 3 von 10 Punkten wert, aber immerhin von ein wenig filmhistorischem Interesse, da Schauspielerin Heather McComb hier debütiert.
„Gott, du siehst ja furchtbar aus!“
Am stärksten die Handschrift des Regisseurs erkennt man in Woody Allens Komödienepisode „Ödipus Ratlos“, für die er nicht nur auch das Drehbuch verfasste, sondern wie gewohnt auch die Hauptrolle bekleidet. Er mimt Rechtsanwalt Sheldon Mills, einen Mann mittleren Alters, der sein ungeklärtes Verhältnis zu seiner Mutter (Mae Questel, „A Majority of One“) in Therapiesitzungen psychologisch behandeln lässt. Das ist ziemlich witzig, weil seine Mutter tatsächlich unmöglich ist: Sie behandelt ihn wie einen unselbständigen Einfaltspinsel und glaubt, seine Verlobte Lisa (Mia Farrow, „Peyton Place“) sei zu gut für ihn. Die Alpträume, von denen er seinem Therapeuten erzählt, werden anschaulich visualisiert. Als seine Mutter bei einem Zaubertrick auf der Bühne plötzlich verschwindet, ist er zunächst schockiert – doch bereits kurz darauf empfindet er ihre Abwesenheit als große Entlastung. Dass sie aber schließlich unvermittelt überlebensgroß am Himmel erscheint und mit ihm und einigen Passanten spricht, scheint zunächst eine weitere Vision Sheldons zu sein, entpuppt sich jedoch überraschend als filmische Realität, die die Episode zur Groteske macht. Sogar das Fernsehen berichtet über dieses außergewöhnliche Phänomen. All das belastet seine Beziehung enorm. Schließlich sucht er ein Medium auf…
…und findet in ihr (Achtung: Spoiler!) endlich eine Frau, die seiner Mutter gefällt! Diese Verfilmung und Verarbeitung eines Ödipus-Komplexes geht mit viel Allen-typischem Humor einher und unterhält prächtig, bietet aber nicht viel, was man nicht bereits von Allen gekannt hätte. Dennoch ist „Ödipus Ratlos“ der Gewinner dieser Anthologie. 7 von 10 Punkten und auch hier ein nicht ganz unbedeutendes Schauspielerinnen-Debüt: Lisas kleine Tochter wird von niemand Geringerer als Kirsten Dunst („Spider-Man“) verkörpert.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia
„Solang ich denken kann, wollte ich schon immer Gangster werden.“
Nachdem US-Ausnahmeregisseur Martin Scorsese („King of Comedy“) mit „Die letzte Versuchung Christi“ (einem religiösen Fantasy-Monumental-Kostümdrama-Epos) und seinem Beitrag zum Episodenfilm „New Yorker Geschichten“ (in dem Scorsese seinen Hang zum detaillierten, epischen Erzählen nicht nachgehen konnte) in für ihn eher fremden Gefilden orientierungslos zu irrlichtern schien, besann er sich mit der Verfilmungen des auf wahren Ereignissen und Figuren basierenden Romans „Wiseguy – Der Mob von innen“ des Autors und Journalisten Nicholas Pileggi, mit dem zusammen er auch das Drehbuch vefrasste, auf seine alten Stärken – die Zeichnung toxischer italoamerikanischer Männlichkeitsmilieus –, erfand sich damit zugleich neu und läutete seinen zweiten Frühling als Regisseur ein.
Henry Hill (Ray Liotta, „Gefährliche Freundin“) hat seit jeher auf die Mafiosi in seinem New Yorker Viertel aufgeschaut. Insbesondere Jimmy (Robert De Niro, „Taxi Driver“) und Tommy (Joe Pesci, „Es war einmal in Amerika“) bewunderte er für ihren scheinbar unbeschwerten Lebenswandel. So diente er sich ihnen an, bis er selbst Mitglied der vermeintlich ehrenwerten „Familie“ um Oberhaupt Paul „Paulie“ Cicero („Cruising“) wurde. 30 Jahre lang steht er in ihren Diensten, beteiligt sich an Kapitalverbrechen und organisiert sie schließlich selbst. Doch Jimmy, Tommy und andere sind menschliche Zeitbomben, deren Wege von Leichen gepflastert sind.
Scorseses Milieu- und Sittenporträt beginnt im Jahre 1970 mit einem ultrabrutalen Prolog, der bereits klarstellt, dass es keinesfalls sein Anliegen ist, etwas zu romantisieren oder zu beschönigen. Henry fungiert zusätzlich als Off-Erzähler, Rückblenden in seine Kindheit zeigen u.a., wie sein Vater ihn misshandelt. Die Gewalt ist also keineswegs ein Mafia-exklusives Phänomen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem – womit auch die nur allzu bequeme Möglichkeit entfällt, „GoodFellas“ als ein soziale und private Missstände an eine geschlossene Gruppierung externalisierendes Unterhaltungsfilmchen zu rezipieren. Vielmehr ist es ein unangenehmer Realismus, der den Film so stark macht.
Henry berichtet von seiner Jugend in der Mafia, davon, wie er seine spätere Ehefrau Karen (Lorraine Bracco, „Das Traum-Team“) kennenlernte, die zeitweise als weitere Erzählinstanz auf dem Off fungiert, von seiner Heirat und einigem Drumherum – bis die Handlung wieder an Prolog anknüpft. Tommy lernen wir als Soziopathen mit ausgeprägter Profilneurose kennen, doch ist er bei Weitem nicht der Einzige, der nicht vor Morden zurückschreckt. Auf Henrys Untreue seiner Frau gegenüber und weitere Eheprobleme folgt eine Inhaftierung Henrys und Jimmys, die jedoch keinerlei Resozialisation zur Folge hat, im Gegenteil: Im Knast genießen sie zahlreiche Privilegien und fühlen sich wie Könige, kommen zudem mit dem Geschäftsmodell des Drogenhandels in Berührung. Nach einem Zeitsprung von vier Jahren werden sie aus der Haft entlassen. Paulie möchte nichts mit Drogenhandel zu tun haben, doch Henry, Jimmy und Tommy und handeln hinter dessen Rücken mit Kokain. Und Henry beginnt es selbst zu konsumieren, womit Scorsese ein weiteres typisches Mafiafilm-Motiv aufgreift.
Ein spektakulärer Coup, bei dem man die Lufthansa um rund sechs Millionen Dollar erleichtert, rückt „GoodFellas“ zeitweise in Richtung Heist Movie. Seine unmittelbare Folge ist jedoch eine Mafia-interne Mordserie, die die Freude über den Erfolg stark relativiert und auch etwaig mitgefiebert habende Zuschauerinnen und Zuschauer harsch auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Und wer glaubt, dass der eigentlich erwartete Konflikt mit einer anderen Bande, deren Mitglied Tommy totgeschlagen hatte, im Sande verläuft oder gar vollständig in Vergessenheit geraten sein könnte, sieht sich getäuscht. Der Tonfall des Films ändert sich ab dem Jahre 1980 radikal und alles geht den Bach herunter.
Die Selbstverständlich- und Beiläufigkeit, wie hier Menschenleben ausgelöscht und Freunde zu Feinden werden, hat nichts Attraktives an sich und lässt die Vorteile einer kriminellen Mafioso-Laufbahn verblassen. Scorsese gelang ein herausragender Film über Menschen, für die der Zweck wirkliches jedes Mittel heiligt, und der in seinen knapp zweieinhalb Stunden Laufzeit etliche Fragen aufwirft und verhandelt. Dass „GoodFellas“ dabei keinerlei Längen aufweist, liegt neben dem grandiosen, häufig improvisierten (!) Schauspiel eines Ensembles, in dem verdiente Recken auf frische, unverbrauchter Gesichter treffen, an der audiovisuellen Vollbedienung: Scorseses Stamm-Kameramann Michael Ballhaus darf Plansequenzen drehen, Stamm-Cutterin Thelma Schoonmakers Schnitt (inklusive Gebrauch von Freeze Frames) ist nah an der Perfektion und der stets zeitgenössische Rock’n’Roll-Soundtrack ein Fest – mit Sid Vicious‘ „My Way“-Version zum Abspann als Höhepunkt. Einer von Scorseses Besten!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Freiwild
„Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun.“
Der fünfte und damit vorletzte Einsatz des West-Berliner Kriminalhauptkommissars Friedrich Walther (Volker Brandt) ist zugleich der letzte von Regisseur Wolfgang Staudte („Rosen für den Staatsanwalt“) zu Lebzeiten vollendete Film. Dieser verfilmte ein Drehbuch Heinz-Dieter Ziesings im Sommer des Jahres 1983. Staudtes siebter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ wurde am 5. Februar 1984 erstausgestrahlt.
„Ratten sind keine Menschen!“
Obdachlose und Stadtstreicher (u.a. Hans Helmut Dickow, „Die wunderbaren Jahre“ und Paul Albert Krumm, „Das Stundenhotel von St. Pauli“) finden eine ermordete Frau im Berliner Tiergarten, einem ihrer bevorzugten sommerlichen Aufenthaltsorte. Diese Klientel ist es auch, unter denen Hauptkommissar Walther und sein Assistent Stettner (Helmut Gauß) Zeugen oder gar den Täter suchen. Einer von Ihnen, der nur „Kutte“ (Bruno Hübner, „Ännchen von Tharau“) genannt wird, wirkt während seiner Befragung auf dem Revier sediert und läuft nach seiner Entlassung vor ein Auto, wobei er tödlich verunglückt. Die Nachricht von Kuttes Tod schreckt den Arzt und Forscher Dr. Konrad Ansbach (Armin Mueller-Stahl, „Lola“) auf, der ein Serum zur Behandlung von Leberzirrhosen entwickelt hat, das sich aber noch im frühen Teststadium befindet. Auf Druck seines Bruders Gerd (Hans Peter Hallwachs, „Der Stoff aus dem die Träume sind“) hin, einem Apotheker, der mit dem Serum möglichst bald Geld verdienen will, hatte Konrad das Serum einigen Tippelbrüdern injiziert, ohne dass diese gewusst hätten, ihm als menschliche Versuchskaninchen zu dienen. Doch obwohl weitere Obdachlose das Zeitige segnen, gehen die Versuche weiter…
Wolfgang Staudte war seit „Die Mörder sind unter uns“ Teil des deutschen Gewissens; so überrascht es denn auch wenig, dass er in diesen „Tatort“ einmal mehr scharfe Sozialkritik einbringt. Dass hier ein Arzt seine eigentlich ehrwürdige Forschung beschleunigt, indem er beschließt, dass das Leben alkoholkranker Obdachloser weniger wert als das anderer Menschen und es daher moralisch vertretbar sei, dass sie ihm ungewollt als Testpersonen zur Verfügung stehen, hat mit dem Eid des Hippokrates nicht mehr viel zu tun. Sein Bruder Gerd fungiert dabei als die personifizierte Pharmaindustrie, die, finanziell gutgestellt, von Gier getrieben über Leichen geht und dabei ebenfalls ihren eigentlich Zweck aus dem Auge verliert.
Gerd zieht Vergleiche zur Nazizeit und gibt sich generell sehr zynisch. Konrad und er haben ein gespaltenes Verhältnis zu ihrer Mutter (Tilly Lauenstein, „Das gelbe Haus am Pinnasberg“), was letztlich aber keine allzu große Rolle spielt. Gerds Tanzeinlage mit seiner Angestellten im Wohnzimmer wirkt befremdlich, auf eine eher unfreiwillig komische Weise. Ein gewisser Jesco von Lipinski (Stefan Gossler, „Wasser für die Blumen“) aus Oldenburg will bei der Kripo hospitieren und wird im weiteren Verlauf tatsächlich einige unbequeme Fragen stellen, obwohl die Polizei gar nicht wirklich ermittelt. Staudte ist mehr an anderen Figuren interessiert, versucht, den einzelnen Wermutbrüdern individuelle Züge angedeihen zu lassen und sie menschlicher zu zeichnen, als die Ansbachs sie sehen, und zeigt beinahe dokumentarisch, wie sie Gerd seinem Bruder Konrad zuspielt.
Das ist durchaus ehrenwert, jedoch gelingt es Staudte nicht mehr, es in eine packende Dramaturgie zu verpacken. Aufbau und Dialoge sorgen von Beginn an für einen immensen Informationsvorsprung auf der Publikumsseite, die wiederum keine verbissen ermittelnde Kommissarsfigur zum Mitfiebern erhält. So plätschert die Handlung etwas dröge vor sich hin und lässt – zwischen versierten Schauspielern – den einen oder anderen Darsteller eher Sätze aufsagen denn schauspielern sowie die Kamera immer wieder reichlich statische Positionen einnehmen, bis sich die noch lebenden Obdachlosen im Finale zusammentun und eine dekadente Feier der feinen Herren Ansbach stürmen. Diese (indes sehr gesittete) Invasion reißt das Ruder dann doch noch herum und sorgt für einen versöhnlich Ausgang dieses inhaltlich ambitionierten, sozial warmherzigen, aber vor allem dramaturgisch schwächeren „Tatorts“, der immer noch gehaltvoller als manch Konkurrenzprodukt ist, aber sicher nicht zu Staudtes besten zählt.
Dennoch: Danke für alles, Wolfgang!
„Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun.“
Der fünfte und damit vorletzte Einsatz des West-Berliner Kriminalhauptkommissars Friedrich Walther (Volker Brandt) ist zugleich der letzte von Regisseur Wolfgang Staudte („Rosen für den Staatsanwalt“) zu Lebzeiten vollendete Film. Dieser verfilmte ein Drehbuch Heinz-Dieter Ziesings im Sommer des Jahres 1983. Staudtes siebter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ wurde am 5. Februar 1984 erstausgestrahlt.
„Ratten sind keine Menschen!“
Obdachlose und Stadtstreicher (u.a. Hans Helmut Dickow, „Die wunderbaren Jahre“ und Paul Albert Krumm, „Das Stundenhotel von St. Pauli“) finden eine ermordete Frau im Berliner Tiergarten, einem ihrer bevorzugten sommerlichen Aufenthaltsorte. Diese Klientel ist es auch, unter denen Hauptkommissar Walther und sein Assistent Stettner (Helmut Gauß) Zeugen oder gar den Täter suchen. Einer von Ihnen, der nur „Kutte“ (Bruno Hübner, „Ännchen von Tharau“) genannt wird, wirkt während seiner Befragung auf dem Revier sediert und läuft nach seiner Entlassung vor ein Auto, wobei er tödlich verunglückt. Die Nachricht von Kuttes Tod schreckt den Arzt und Forscher Dr. Konrad Ansbach (Armin Mueller-Stahl, „Lola“) auf, der ein Serum zur Behandlung von Leberzirrhosen entwickelt hat, das sich aber noch im frühen Teststadium befindet. Auf Druck seines Bruders Gerd (Hans Peter Hallwachs, „Der Stoff aus dem die Träume sind“) hin, einem Apotheker, der mit dem Serum möglichst bald Geld verdienen will, hatte Konrad das Serum einigen Tippelbrüdern injiziert, ohne dass diese gewusst hätten, ihm als menschliche Versuchskaninchen zu dienen. Doch obwohl weitere Obdachlose das Zeitige segnen, gehen die Versuche weiter…
Wolfgang Staudte war seit „Die Mörder sind unter uns“ Teil des deutschen Gewissens; so überrascht es denn auch wenig, dass er in diesen „Tatort“ einmal mehr scharfe Sozialkritik einbringt. Dass hier ein Arzt seine eigentlich ehrwürdige Forschung beschleunigt, indem er beschließt, dass das Leben alkoholkranker Obdachloser weniger wert als das anderer Menschen und es daher moralisch vertretbar sei, dass sie ihm ungewollt als Testpersonen zur Verfügung stehen, hat mit dem Eid des Hippokrates nicht mehr viel zu tun. Sein Bruder Gerd fungiert dabei als die personifizierte Pharmaindustrie, die, finanziell gutgestellt, von Gier getrieben über Leichen geht und dabei ebenfalls ihren eigentlich Zweck aus dem Auge verliert.
Gerd zieht Vergleiche zur Nazizeit und gibt sich generell sehr zynisch. Konrad und er haben ein gespaltenes Verhältnis zu ihrer Mutter (Tilly Lauenstein, „Das gelbe Haus am Pinnasberg“), was letztlich aber keine allzu große Rolle spielt. Gerds Tanzeinlage mit seiner Angestellten im Wohnzimmer wirkt befremdlich, auf eine eher unfreiwillig komische Weise. Ein gewisser Jesco von Lipinski (Stefan Gossler, „Wasser für die Blumen“) aus Oldenburg will bei der Kripo hospitieren und wird im weiteren Verlauf tatsächlich einige unbequeme Fragen stellen, obwohl die Polizei gar nicht wirklich ermittelt. Staudte ist mehr an anderen Figuren interessiert, versucht, den einzelnen Wermutbrüdern individuelle Züge angedeihen zu lassen und sie menschlicher zu zeichnen, als die Ansbachs sie sehen, und zeigt beinahe dokumentarisch, wie sie Gerd seinem Bruder Konrad zuspielt.
Das ist durchaus ehrenwert, jedoch gelingt es Staudte nicht mehr, es in eine packende Dramaturgie zu verpacken. Aufbau und Dialoge sorgen von Beginn an für einen immensen Informationsvorsprung auf der Publikumsseite, die wiederum keine verbissen ermittelnde Kommissarsfigur zum Mitfiebern erhält. So plätschert die Handlung etwas dröge vor sich hin und lässt – zwischen versierten Schauspielern – den einen oder anderen Darsteller eher Sätze aufsagen denn schauspielern sowie die Kamera immer wieder reichlich statische Positionen einnehmen, bis sich die noch lebenden Obdachlosen im Finale zusammentun und eine dekadente Feier der feinen Herren Ansbach stürmen. Diese (indes sehr gesittete) Invasion reißt das Ruder dann doch noch herum und sorgt für einen versöhnlich Ausgang dieses inhaltlich ambitionierten, sozial warmherzigen, aber vor allem dramaturgisch schwächeren „Tatorts“, der immer noch gehaltvoller als manch Konkurrenzprodukt ist, aber sicher nicht zu Staudtes besten zählt.
Dennoch: Danke für alles, Wolfgang!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Die Monster-Uni: Partyzentrale
Der nach „Mike’s neues Auto“ zweite Pixar-Kurzfilm aus der „Monster“-Reihe spielt nach „Die Monster-Uni“, stammt ebenfalls aus dem Jahre 2013 und wurde von Storyboard-Gestalter Kelsey Mann geschrieben sowie inszeniert. Der zwischen fünf und sechs Minuten kurze Animationsfilm landete 2014 als Vorfilm zu „Muppets Most Wanted“ in den Kinos.
Die Oozma-Kappa-Verbindungsparty droht ein totaler Reinfall zu werden, doch glücklicherweise haben Mike und Sulley den rettenden Einfall: Sie entwenden eine Portaltür der „Monster’s Inc.“ und nutzen diese, um von den wesentlich besser laufenden Feiern konkurrierender Verbindungen nicht nur deren Gäste zur eigenen Fete zu locken, sondern auch gleich die ganze Peripherie mitzunehmen. Die Portaltür führt durch das Schlafzimmer eines schlafenden Elternpaars, das dadurch immer wieder aufzuwachen droht. Das Risiko ist es aber wert, denn die Party gerät zum rauschenden Fest!
Aufgrund seiner würzigen Kürze legt „Partyzentrale“ ein irres Tempo vor, das aber prima zur Hektik passt, mit der der perfide Plan umgesetzt werden muss, um schnellstmöglich die eigene Feier zu retten. Das Aufgreifen der Portaltürenlogik aus „Die Monster AG“ macht dabei ebenso viel Laune wie die kunterbunte Gestaltung der skurrilen Figuren und das Detailreichtum der hervorragenden, lebendigen Animationen. Überraschender dramaturgischer Höhepunkt ist das Auftauchen einer Monster-Mama, die von der Party im eigenen Hause überrascht wird, dann aber rasch zur größten Partylöwin avanciert. Der Epilog nach dem Abspann zeigt die Menschenfamilie, durch deren elterliches Schlafzimmer der Partytransferprozess ging, und stellt das Eltern-Kind-Klischee humorig ein wenig auf den Kopf.
Ein kurzweiliger Spaß!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Critters – Sie sind da!
„Diese Stadt ist ein einziger Zoo!“
Kleine, in Scharen auftretende Monster waren im phantastischen Film der 1980er seit „Gremlins“ schwer angesagt. Nach den „Ghoulies“, aber noch vor den „Munchies“, genauer: im Jahre 1986 erschien US-Regisseur Stephen Herek auf der Bildfläche, der mit den „Critters“ ziemlich erfolgreich debütierte (und drei Jahre später mit „Bill & Ted's verrückte Reise durch die Zeit“ endgültig den Mainstream eroberte), einem Science-Fiction-Horrorfilm voller Zeitkolorit und einigem Humor.
„Ich glaub', das viele Fernsehen bekommt dir nicht.“
Alarm im All: Die Critters, ein Rudel ewighungriger außerirdischer Kreaturen mit spitzen Zähnen und giftigen Stacheln, können aus einem intergalaktischen Hochsicherheitsgefängnis entkommen – und steuern die Erde an, um schließlich im US-Staat Kansas nahe der Farm der Familie Brown (u.a. Dee Wallace-Stone, „E.T. – Der Außerirdische“ und Billy Green Bush, „Alice lebt hier nicht mehr“) zu landen. Doch ihnen im Genick sitzen bereits zwei interplanetarische Kopfgeldjäger, Gestaltenwandler, die ein menschliches Äußeres annehmen und auf der Sache nach den Critters zunächst in der Kleinstadt Grovers Bend aufschlagen. Sowohl die Delinquenten als auch ihre Jäger hinterlassen eine Spur der Verwüstung – und nicht nur Familie Brown muss ums Überleben bangen…
„Die schlimmsten Bestien, die ich je erlebt habe!“
Alles beginnt mit den Funksprüchen der Crittersjäger im All, dann sieht’s aus wie bei „Unsere kleine Farm“: Wir lernen Familie Brown kennen, die damaligen Vorstellungen einer typischen US-Familie vom Lande entspricht und als Sympathieträger gezeichnet wird. Im Mittelpunkt steht der 13- oder 14-jährige Sohn Brad (Scott Grimes, „Wildfire“), der als Identifikationsfigur für das avisierte Zielpublikum gleichen Alters dient. Er ist ein cooler Junge, der mit Pyrotechnik experimentiert, gern Streiche spielt und sich mit seiner älteren Schwester April (Nadine Van der Velde, „Traffic School – Die Blech- und Dachschaden-Kompanie“) kabbelt – zum Leidwesen seiner Eltern. Und dann ist da noch der Farmangestellte Charlie McFadden (Don Keith Opper, „Der Android“), ein regelmäßig zu tief in die Flasche guckender Tunichtgut und Paranoiker (um nicht zu sagen: der Dorfdepp). Ausgerechnet er bemerkt als Erster die Ankunft des außerirdischen Raumschiffs mit der tödlichen Besatzung – und natürlich glaubt ihm zunächst niemand.
„Die sind aus Hollywood, so sahen die aus!“
Die Kopfgeldjäger suchen sich für ihre Gestaltenwandlungen (die mit sehr gut umgesetzten Transformationseffekten einhergehen) menschliche Vorbilder. Dass einer der beiden dafür ausgerechnet Johnny Steele (Terrence Mann, „A Chorus Line“) auswählt, den auffällig fönfrisierten und prominenten Sänger einer Hardrock-Band, den er während einer Liveperformance in Lederkluft im Fernsehen entdeckte, sorgt für einen irrsinnig komischen Running Gag und platziert die eigens für den Film geschriebene, zum Niederknien kitschige Synthie-Rocknummer „Power of the Night“ im Film, die (wie eigentlich alles hier) dermaßen 80s ist, dass es kracht. Die Critters, deren Dialoge untereinander untertitelt wurden, sieht man lange Zeit nicht, dafür ihre Taten in Point-of-View-Perspektive mit entsprechender Geräuschkulisse oder gleich deren Ergebnisse. Erst wird eine Kuh abgenagt, dann eine Bulle plattgemacht. Ihre roten Augen tauchen in einer verdammt unheimlichen Szene am Küchenfenster der Browns auf, von wo aus es dann nicht mehr lange dauert, bis man das tolle Creature Design der Critters in voller Pracht bewundern kann.
Trotz besagten Running Gags, der meist aus der Konfrontation der Kleinstadtbevölkerung mit den Kopfgeldjägern einhergehenden Situationskomik und einigem Dialogwitz ist der Tonfall des Films relativ ernst. Dadurch wirkt der Humor umso effektiver. Wie die Critters die Familie attackieren, ist aber nun einmal kein Spaß, sondern Terror, der das Figurenensemble ausdünnt. Wenn April im Stall mit ihrem neuen Freund Steve Elliot (Billy Zane, „Zurück in die Zukunft“) herummacht, wird einer von beiden das Techtelmechtel nicht überleben. Auch harsche Szenen wie die der in die Kirche rasenden und dort umherballerden Kopfgeldjäger dürfte manch frommerem Zuschauer eher sauer aufstoßen. Während einer der Jäher in seiner Johnny-Steele-Hülle bleibt, ändert der andere ständig sein Äußeres, was zu einigen Missverständnissen und Verwechslungen führt. Lange beobachtet man parallel die Vorgänge in der Kleinstadt und die Belagerungssituation auf der Farm, bevor beide Erzählstränge zusammengeführt werden.
Die Critters beißen nicht nur, sie schießen auch Giftpfeile aus ihrem Rücken, was sie umso gefährlicher erscheinen lässt. In ihren Dialogen und ihrem Verhalten erhalten jedoch auch sie Raum für Humor; allem voran in jener Szene, in der einer von ihnen eine E.T.-Puppe fragt, wer sie sei, und ihr den Kopf abreißt. Nach einem von echten Suspense-Szenen geprägten Auftakt erzeugen Regisseur Herek und sein Team immer mehr klassische Spannung und sorgen mit diversem Einsatz großkalibriger Waffen und Explosionen für Action.
Die Critters behaupten sich in einem kurzweiligen, sehr unterhaltsamen Alien-Horror als die etwas fieseren Gremlins, was mit wunderbaren Spezialeffekten einhergeht, die damals State of the art waren. „Critters – Sie sind da!“ kann sich zudem auf ein bis in die Nebenrollen hinein toll aufspielendes Ensemble verlassen, das A-Film-Qualität abliefert und mit seinem angemessen ernsten Schauspiel erinnerungswürdigen Figuren Leben und Emotionen einhaucht. Von der albernen Kalauerparade der Fortsetzung ist dieser erste Teil der zur Tetralogie angewachsenen Filmreihe dankenswerterweise noch weit entfernt.
Arg dick aufgetragen ist jedoch das Filmende, das das Spektakel etwas zu freundlich ausgehen lässt. Generell bieten andere Horrorstreifen aus den glorreichen ‘80ern dann doch wesentlich intensivere Filmerlebnisse. Als halbe Horrorkomödie kann er sich jedoch durchaus mit Joe Dantes „Gremlins“ auf Augenhöhe messen. Und der Abspann hält zudem eine coole Synthienummer bereit, die den Soundtrack-Erwerb rechtfertigen würde.
Kurzum: Schwerer ‘80er-Kult!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Blutiger Zahltag
„Die Spuren weisen auf die Tat eines anormalen Mannes hin, gequält von einem Kastrationskomplex.“
In seinem 1978 in italienisch-spanischer Koproduktion erschienenen „Blutiger Zahltag“ spielt der italienische Regisseur Flavio Mogherini („Luncatics and Lovers“) mit Kriminalfilm- und Giallo-Motiven in ungewöhnlicher Erzählweise. Die Handlung basiert auf einem spektakulären australischen Verbrechen: Im Jahre 1934 wurde „Pyjama Girl“ Florence Linda Agostini ermordet.
„Wir haben das Bett ganz schön bearbeitet!“
Die Polizei von Sydney steht vor einem Rätsel, nämlich der Identifikation einer halbverbrannten Frauenleiche, die, gekleidet in einen gelben Pyjama, in einem Autowrack am Strand aufgefunden wurde. Erst das Einschalten der Öffentlichkeit führt zu einem Ergebnis. Die Mordkommission um Inspektor Ramsey (Ramiro Oliveros, „Asphalt-Kannibalen“) tritt bei der Suche nach dem Täter jedoch auf der Stelle, während Sydneys Bevölkerung verlangt, den brutalen Mörder dingfest zu machen. Erst durch die Hilfe des pensionierten Inspektors Thompson (Ray Milland, „Der Mann mit den Röntgenaugen“) scheint Bewegung in die Angelegenheit zu kommen – zum Leidwesen Ramseys, der glaubt, mit der Verhaftung eines Voyeurs (Giacomo Assandri, „Hi-Hi-Hilfe, sie liebt mich!“) den Täter bereits geschnappt zu haben. Andere Sorgen hat das ehemalige holländische Freudenmädchen Glenda (Dalila Di Lazzaro, „Frankenstein ‘80“), das zwischen gleich drei Liebhabern steht und sich letztlich für den falschen entscheidet…
„Wenn ich nicht zweimal am Tag ein Bad nehme, werde ich leicht hysterisch.“
In das hörenswerte, von Amanda Lear gesungene Titelstück platzt ein Voice-over-Sprecher, der betont, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruhe – was ja sogar stimmt. Ein kleines Mädchen findet die verkohlte Leiche am Strand und schreit – aber wie! Auf diesen markerschütternden Prolog folgt das Kompetenzgerangel zwischen den Inspektoren Ramsey und Thompson, bevor Regisseur Mogherini zur Rückblende in eine Frauen-WG mit nicht ungefährem Erotikanteil lädt. Mit seinen flinken Figureneinführungen droht „Blutiger Zahltag“ sich zu überschlagen, wenngleich die daraus resultierende Verwirrung zur intendierten Wirkung des Films passt.
„Ich wünsch' dir einen recht schönen Bumsurlaub!“
„Blutiger Zahltag“ entwickelt sich zunächst weiterhin zu einem freizügigen Giallo: Nachdem die Inspektoren den stadtbekannten Spanner Quint bei der Selbstbefleckung überrascht haben, rückt Glenda in den Mittelpunkt der Handlung. Sie treibt’s sowohl mit Professor Douglas (Mel Ferrer, „Der Antichrist“) als auch mit Roy (Howard Ross, „Unmoralische Novizinnen“) aus dem Stahlwerk und sucht ständig ihre Schlüpfer. Dann bekommt sie auch noch Besuch von ihrem italienischem Freund Antonio (Michele Placidom „Magnum 45“), einem eher feinfühligen Typen. Mit der plötzlichen Wiederaufnahme des Erzählstrangs um die polizeilichen Ermittlungen wird Mogherinis Konzept für diesen Film deutlich: Das gleichberechtigte Nebeneinander zweiter Handlungen, der gialloesken um Glendas Promiskuität und der kriminalen um Ramsey und Thompson (in deren Rahmen auch ein pensionierter Cop mal ein Korn findet, genauer: ein Reiskorn…).
„Ihr habt euch auf dieses arme Schwein gestürzt, nur weil er ein Voyeur ist und masturbiert! Im Laufschritt, ihr dummen Ärsche! Nur damit der Alte die Scheißwahl nicht verliert!“
Nach Ermittlungen in einer Wäscherei wird die Leiche in einer ebenso überraschenden wie unangenehmen Szene öffentlich ausgestellt, was Mogherini mit Bildern einer gaffenden Menschenmasse, die sich an ihr vorbeischiebt, kombiniert, unterlegt von Elektromusik Riz Ortolanis. Die Mutter der Toten identifiziert sie schließlich bei der Polizei. Und man darf sich fragen, ob eine solche Zurschaustellung für diesen ersten Teilerfolg wirklich nötig war. Aber auch das passt gewissermaßen zum Film, in dem fast ausschließlich Figuren agieren, die irgendwie neben der Spur sind – inklusive der Ermittler. So schreckt man auch nicht davor zurück, Quint auf der Wache zu foltern. Man lässt quasi seinen Frust über die erfolglose Mördersuche gewaltsam an ihm aus.
„Frauen wie du sind nur zum Bumsen gut!“
Glenda wiederum behauptet plötzlich, schwanger zu sein, und verliert kurz darauf angeblich ihr Kind. Zwischen beiden Szenen muss ein großer Zeitsprung liegen, auf den der Film aber nicht hindeutet. Auch dies ist Teil des Konzepts, Mogherini spielt mit der Chronologie – was sich in Momenten wie diesem aber als störend erweist. Auch dass Glenda sich mittlerweile scheinbar für einen Mann entschieden und Antonio geehelicht hat, ist unvermittelt Teil der neuen filmischen Realität. Doch steht sie weiterhin zwischen drei Männern, die verschiedene Typen verkörpern: dem väterlichen, vermögenden Professor, dem aufregenderen blonden und blauäugigen Roy und dem eher ärmlichen, aber romantischen Südländer Antonio. Aber keiner kann ihr alles bieten – und deren individuelle negative Eigenschaften richten sich schließlich gegen Glenda. Antonio verliert nach der Heirat viel von seinem Zauber und wird zum Pascha und Kontrollfreak.
Eine der Hauptfiguren wird überraschend ungefähr zur Filmmitte umgebracht, was ins Gedächtnis zurückruft, dass da immer noch mindestens ein gefährlicher Mörder frei herumläuft. In einer weiteren unangenehmen Szene prostituiert sich Glenda und es kommt zu hässlichen Szenen einer Ehe. Die Polizei steht dem kaum nach, auch Roy wird von ihr misshandelt und gefoltert. Gegen Ende offenbart sich dann, was zunächst unwahrscheinlich schien: Die Tote ist Glenda, ihre Szenen sind allesamt Rückblenden. Beide Handlungsstränge verlaufen also mitnichten parallel. Dieses interessante Erzählprinzip hat den Nachteil, dass – zumindest während der Erstsichtung – manch Sequenz als irrelevant abgetan werden könnte, obwohl sie eigentlich die Vorgeschichte eines Mords erzählt.
Und tatsächlich holpert es in diesem (auffallend viel in der Gastronomie spielenden) Film dramaturgisch hier und da. Dies wird jedoch zu großen Teilen von seinen Qualitäten wettgemacht, zu denen Riz Ortolanis stilistisch abwechslungsreiche Musik (gleich zwei seiner Stücke darf Amanda Lear singen) ebenso zählt wie die sonnendurchfluteten Bilder, für die die Kamera häufig die Sydney-Oper ins Bild rückt (die Außenaufnahmen wurden tatsächlich in Sydney gedreht) und darüber hinaus sehr bunte, ästhetisierte Bilder liefert. Eine Bank ist zudem Ray Milland, der seinen Ex-Inspektor mit einigem Charme spielt. Eine lautere Figur übrigens, die inspektor Thompsons Methoden kontrastiert, der wiederum als kritischer Kommentar zum damaligen Zustand der italienischen Polizei angelegt worden war. Placido gelingt der Spagat zwischen südländischem Lover und furchtbarem Macho auffallend gut, seine Rolle darf auch als Warnung an die Damenwelt verstanden werden. Di Lazzaro führt ebenfalls souverän durch den Film, wurde in ihren Nacktszenen aber leider gedoubelt. Howard Ross hingegen irritiert in seiner Nebenrolle mit übertrieben blauen Kontaktlinsen, durch die er unfreiwillig befremdlich bis gruselig aussieht.
Interessantes, überwiegend ansprechendes, dabei recht exaltiertes und leicht experimentelles italienisches Kino, das auf zahlreiche Poliziesco- und Giallo-Konventionen pfeift und dabei das Herz am rechten Fleck hat. Sympathisch!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Kulenkampffs Schuhe
„...und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.“
Dokumentarfilmerin Regina Schilling („Geschlossene Gesellschaft – Der Missbrauch an der Odenwaldschule“) beschäftigt sich in ihrem fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen produzierten Essayfilm „Kulenkampffs Schuhe“ vordergründig mit den Samstagabendshows der deutschen TV-Nachkriegsunterhaltung, doch eigentlich geht es um viel mehr.
„Kulenkampff brachte die große weite Welt in unser Zuhause.“
Schon lange ist es in Dokumentarfilmen en vogue, auf eine Voice-over-Erzählinstanz weitestmöglich zu verzichten, stattdessen werden meist Statements aus verschiedenen Gründen Berufener aneinandergereiht, die das jeweilige Thema und das für den Film ausgewählte Bildmaterial kommentieren oder einordnen. Einen radikal anderen Ansatz wählt Schilling: Sie, 1962 geboren, erzählt aus ihrer Kindheit als Teil einer typischen deutschen Familie, als Tochter eines früh verstorbenen Drogisten, mit dem sie und ihre Mutter gern vor dem Fernseher saß, um sich „Einer wird gewinnen“ oder „Dalli Dalli“ anzusehen – frisch gebadet im Pyjama. Die urgemütliche Familienidylle, wie sie so oft von den Mitgliedern jener Generation beschrieben wird, wenn es um die gemütlichen Fernsehabende mit der Familie geht. Als kleine Einschränkung ist nicht Schillings eigene Stimme zu hören, in ihre Rolle schlüpfte die Schauspielerin Maria Schrader.
„Für mich waren sie Familienmitglieder.“
Doch davon ausgehend setzt sie sich nicht nur mit der Vita ihres Vaters auseinander, der aufgrund eines Herzinfarkts verstarb, als sie gerade elf war, sondern auch mit der Hans-Joachim Kulenkampffs, Hans Rosenthals und des Österreichers Peter Alexander – und letztlich mit einem ganzen Land, der BRD der Nachkriegszeit. Hierfür befragt sie keine Zeitzeug(inn)en oder lässt Wissenschaflter(innen) oder Expert(inn)en zu Wort kommen, sondern kontextualisiert aus dem ihr zur Verfügung stehenden Archivmaterial von privaten Super-8-Aufnahmen und Fotos ihrer Familie über Spiel- und Talkshow-Ausschnitte und das Werbefernsehen bis hin zu Propagandareden Hitlers, dokumentarischem Kriegsmaterial – und ihren persönlichen Erinnerungen.
„Hätte man miteinander arbeiten können, wenn man alles vom anderen gewusst hätte?“
Auf dieser Grundlage reflektiert Schilling Zeitgeist und Populärkultur und arbeitet eine Art Porträt einer kriegstraumatisierten Generation heraus. Sie begann nachzudenken, als ihr bewusst geworden war, dass sowohl Kulenkampff als auch ihr Vater Soldaten im Zweiten Weltkrieg waren. Kulenkampff amputierte sich im Krieg eigenhändig vier Zehen. Rosenthal verlor aufgrund seiner jüdischen Herkunft beinahe alles und jeden an den Holocaust und überlebte nur, weil er sich mithilfe einer Nichtjüdin verstecken konnte. Peter Alexander hatte sich gar im letzten Kriegsjahr freiwillig zur Marine gemeldet. Bei ihren Recherchen stieß Schilling auf Fernsehmomente, in denen diese Männer über den Krieg sprachen, obwohl man eigentlich nicht über den Krieg sprach, im Unterhaltungsfernsehen ebenso wenig wie in der Gesellschaft oder in Schillings Familie: Peter Alexander singt ein berührendes, zweckoptimistisches Lied, in dem er seiner Erleichterung über das Kriegsende Ausdruck verleiht, Rosenthal öffnet sich in einem TV-Gespräch gegenüber Joachim Fuchsberger und berichtet von seinem Überleben des Naziterrors und Kulenkampff bringt galgenhumoristische Anspielungen auf den Krieg unter, die die kleine Regina natürlich nicht verstand, das damalige erwachsene Publikum aber ebenso wie die mittlerweile längst erwachsene Frau Schilling.
Daraus leitet sie die These ab, dass diese Sendungen, diese Form der Unterhaltung, eine therapeutische Wirkung auf die Gesellschaft intendierte – und somit auch auf ihren Vater, der an Adenauer und das Wirtschaftswunder glaubte und CDU wählte, obwohl diese bald den Markt für das Großkapital öffnete und sämtliche Protektionen für den Berufsstand der Drogistinnen und Drogisten abschaffte, wodurch ihr Vater als selbständiger Mittelständler bankrottging und nach seinem Tod einen Haufen Schulden hinterließ. Zuvor war ein Herzfehler diagnostiziert worden und er hatte Kette geraucht. Wahrscheinlich auch, um sich wie das HB-Männchen aus der Werbung zu beruhigen – angesichts unverarbeiteter Traumata und Existenzsorgen. Sein beruflicher Niedergang wies dabei Parallelen zum Spielfilm „Industrielandschaft mit Einzelhändlern“ aus dem Jahre 1970 auf, in dem Horst Tappert („Derrick“) einen Drogisten spielte. Jener Horst Tappert, der, wie sich später herausstellen sollte, SS-Mitglied war. Auch darüber war zu dessen Lebzeiten nicht geredet worden.
So tragisch die Geschichte ihres Vaters, so sehr ringt zumindest mir, der ich diese Entertainer nur aus Archivmaterial kenne und eher der TV-Generation Gottschalk & Co. angehöre, dieser Film Respekt vor Kulenkampff, Rosenthal und Alexander ab, die, von Kritik und „Intellektuellen“ häufig belächelt bis verdammt, eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllten. Insbesondere Rosenthal als vom NS-Terror Verfolgter gebührt meine höchste Anerkennung. 40 Jahre nach der Reichspogromnacht wurde ihrer Opfer erstmals gedacht. Exakt an diesem Tag wurde eine „Dalli Dalli“-Episode ausgestrahlt, womit Rosenthal haderte. Wie er letztlich damit umging, zeugt von einer Sensibilität, Souveränität und Professionalität, wie sie im Fernsehen selten geworden ist. Auch dies ist Schilling aufgefallen. Jedes Erscheinen Rosenthals auf dem Bildschirm dürfte seinen ehemaligen Peinigern „Ich lebe noch! Mich habt ihr feige Mörderbande nicht gekriegt!“ ins Gesicht geschrien haben. Ob das zu seiner Entscheidung beigetragen hatte, das deutsche Volk nach dem Zweiten Weltkrieg zu unterhalten, weiß ich nicht. Aber ich hoffe, es war ihm eine Genugtuung.
Schillings streng subjektive, persönliche bis geradezu intime Perspektive gefällt mir ausgezeichnet und passt prima zu ihrem einfühlsamen Film, an dessen Ende ich ein paar Tränchen verdrücken musste. Schilling erhielt für ihren Film den Grimme- und den Deutschen Fernsehpreis.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40653
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Borowski und das unschuldige Kind von Wacken
„Ich steh‘ auf Metal!“
Wenn das ehemalige Wacken-Kult-Festival bisher noch in keinem schleswig-holsteinischen „Tatort“ aufgegriffen wurde, wurd’s aber mal Zeit – dachten sich mutmaßlich die Verantwortlichen, die längst zum überteuerten Megakommerzfestival mutierte Metal-Kirmes vermutlich immer noch „kultig“ findend. So wurde Hauptkommissar Klaus Borowskis (Axel Milberg) 40. Fall (der neunte seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik)) im Sommer 2022 in Wacken und um Wacken herum von Regisseurin Ayşe Pola („Im toten Winkel“) nach einem Drehbuch Agnes Pluchs inszeniert, womit Pola ihren zweiten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete. Uraufgeführt wurde „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ am Tag der deutschen Einheit auf dem Filmfest Hamburg, anschließend lief er auf Nordischen Filmtagen in Lübeck sowie in einem Kieler Kino. Die Fernseherstausstrahlung folgte am 26. November 2023.
„Also komplett falsche Spur…“
Eine aus Osteuropa stammende Mutter (Irina Potapenko, „Revanche“) ist mit ihrem frischgeborenen Baby in der Nähe Kiels unterwegs. Kurz darauf scheint sie vor irgendetwas wegzurennen. Plötzlich ist sie verschwunden – und das Baby wird tot aufgefunden. Um herauszufinden, was passiert ist, wird Hauptkommissar Klaus Borowski aus seinem Urlaub abberufen, um zusammen mit seiner Kollegin Mila Sahin die Spur aufzunehmen. Diese führt nach Wacken, wo gerade die letzten Vorbereitungen für das alljährliche Heavy-Metal-Open-Air laufen und bereits die ersten Gäste anreisen. Borowski und Sahin finden Unterstützung in Person einer örtlichen Dorfpolizistin (Regine Hentschel, „Der Ghostwriter“) und tauchen tief in die Dorfgemeinschaft ein…
„Wenn sich so viel Liebe in einem Menschen anstaut, geht das selten gut…“
Wir sehen eine junge Nachwuchs-Düstermetal-Band in ihrem Proberaum (die Musik stammt von der realen Band NebellebeN); ihr Sänger ist Jan Thomsen (Marven Gabriel Suarez-Brinkert, „The Social Experiment“), der sich im Laufe der Zeit nur zögerlich als Zeuge zu erkennen geben wird. Er probt in Räumlichkeiten der Dorfkneipe Kurt Stindts (Andreas Döhler, „Die Hände meiner Mutter“), dessen Frau Sarah (Anja Schneider, „Niemand ist bei den Kälbern“) ein Kind erwartet. Die erste Befragung nach dem Fund des toten Babys gilt Prostituierten außerhalb Wackens, anschließend unterbricht Borowski seinen Urlaub. Dass Sahin und er ohne Weiteres ein Zimmer finden – wohlgemerkt kurz vor Festivalbeginn –, kann in den Bereich der Fabel verwiesen werden. In Wacken nimmt ein etwas überproportionierter, bärtiger, langhaariger junger Mann (Nicolas Dinkel, „Wendehammer“) in seinem Zimmer unterm Dach einen Metal-Podcast auf, der mehr wie eine Live-Radiosendung wirkt, und begrüßt seine Hörerinnen und Hörer mit „Metal, Leute!“ – offenbar eine (reichlich überflüssige) Reminiszenz an den „Drachenlord“. Dadurch, dass er offenbar wenig Erfolg beim weiblichen Geschlecht hat und in Netzkatalogen nach Frauen aus dem ehemaligen Ostblock sucht, wird er als einer von mehreren Verdächtigen eingeführt. Er ist der Sohn der Polizistin.
„Du brauchst wirklich Urlaub.“
Zunächst etabliert dieser „Tatort“ einen Nebenhandlungsstrang um Jan aus der Nachwuchsband, der jedoch bald mit der eigentlichen Handlung zusammengeführt wird: Borowski und Sahin beziehen ihre Zimmer im Haus seiner Mutter (Bärbel Schwarz, „Last Exit Schinkenstraße“). Dies ist symptomatisch für das sicher nicht unrealistisch dargestellte Phänomen, dass in so einem Dorf jeder jeden kennt und alle miteinander zu tun haben. Daraus resultiert, dass jede Nebenrolle dual angelegt wurde, also in zwei Eigenschaften für die Handlung in Erscheinung tritt. Mittlerweile weiß man auch, dass Christina Chorol, die Mutter des toten Babys, entführt wurde, gefesselt und geknebelt ist sie in einen Kellerraum gesperrt. Mehrere Personen verhalten sich irgendwie verdächtig, doch nach 55 Minuten wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber die Identität des Täters preisgegeben.
„Das war ein Mensch!“
Als Topos dieses „Tatorts“ kristallisiert sich mitnichten irgendein Bezug zu Heavy Metal oder Festivals heraus, sondern das Thema illegaler Leihmutterschaften, das mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen in einem besonders krassen Fall exemplarisch durchexerziert wird. In dieser Hinsicht erweist sich „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ als ein recht empathischer Krimi – mit einem dann doch überraschend deftigen Ende. Das Wacken Open Air ist dabei lediglich Staffage; dessen echter Chef Thomas Jensen darf ein paar wenige Sätze etwas steif in die Kamera sagen und von der Musikspur ertönt für einen „Tatort“ ungewöhnlich viel Musik aus dem Metal- und Punkbereich, ohne dabei allzu dominant zu werden. Ansonsten laufen immer mal wieder Statisten in unkenntlich gemachten Bandshirts durchs Bild und wird zumindest im Ansatz ein Eindruck des Prä-Festival-Gewusels vermittelt.
Dass man gegen Ende den kongenialen Motörhead-Song „God Was Never On Your Side“ prominent herausstellt, ist ein echter Glücksgriff, der Epilog hingegen dann doch etwas cringe: Natürlich trifft Borowski einen Kollegen in zivil, der das Festival als normaler Gast besucht, und steht man gemeinsam auf dem Acker (während eines The-Halo-Effect-Auftritts), um zur Erkenntnis zu gelangen, hier werde nicht der Tod, sondern das Leben gefeiert. Die Verquickung des Festivals als Hintergrund der Ermittlungen mit Kritik an einem ausbeuterischen Leihmutterschaftsgeschäft und etwas persönlichem Drama wirkt ein wenig bemüht, der Kontrast von überlauten verzerrten Gitarren und Double-Bassdrums zu Borowskis ruhigem Gemüt wird kaum für unterhaltsame Szenen genutzt. Der Kommissar benimmt sich zuweilen aber recht seltsam – wegen des unterbrochenen Urlaubs? Es wird jedenfalls nicht problematisiert. Und was genau passiert ist und das Baby sein Leben gekostet hat, wird nicht etwa in Form einer Rückblende aufbereitet, sondern bleibt diffus in Streitdialoge verpackt.
Wenn man Borowskis unprätentiöses, nordisch ruhiges Wesen als fast schon trotzigen Gegenentwurf zum Action-Krimi schätzt, hat man vermutlich auch an diesem „Tatort“ seine Freude, und auch den Spagat zwischen seriösem Krimi und subkulturellen Klischees hat man schon schlechter gesehen, sicherlich aber auch besser. Borowski selbst kann und hat hier gar nicht so viel auszurichten und gerät beinahe zum Statist innerhalb einer Dorfgemeinschaft mit nicht uninteressanten Figuren, deren Geheimnisse dramaturgisch jedoch stets dann gelüftet werden, wenn es eigentlich beginnt, wirklich spannend werden zu können…
„Ich steh‘ auf Metal!“
Wenn das ehemalige Wacken-Kult-Festival bisher noch in keinem schleswig-holsteinischen „Tatort“ aufgegriffen wurde, wurd’s aber mal Zeit – dachten sich mutmaßlich die Verantwortlichen, die längst zum überteuerten Megakommerzfestival mutierte Metal-Kirmes vermutlich immer noch „kultig“ findend. So wurde Hauptkommissar Klaus Borowskis (Axel Milberg) 40. Fall (der neunte seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik)) im Sommer 2022 in Wacken und um Wacken herum von Regisseurin Ayşe Pola („Im toten Winkel“) nach einem Drehbuch Agnes Pluchs inszeniert, womit Pola ihren zweiten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete. Uraufgeführt wurde „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ am Tag der deutschen Einheit auf dem Filmfest Hamburg, anschließend lief er auf Nordischen Filmtagen in Lübeck sowie in einem Kieler Kino. Die Fernseherstausstrahlung folgte am 26. November 2023.
„Also komplett falsche Spur…“
Eine aus Osteuropa stammende Mutter (Irina Potapenko, „Revanche“) ist mit ihrem frischgeborenen Baby in der Nähe Kiels unterwegs. Kurz darauf scheint sie vor irgendetwas wegzurennen. Plötzlich ist sie verschwunden – und das Baby wird tot aufgefunden. Um herauszufinden, was passiert ist, wird Hauptkommissar Klaus Borowski aus seinem Urlaub abberufen, um zusammen mit seiner Kollegin Mila Sahin die Spur aufzunehmen. Diese führt nach Wacken, wo gerade die letzten Vorbereitungen für das alljährliche Heavy-Metal-Open-Air laufen und bereits die ersten Gäste anreisen. Borowski und Sahin finden Unterstützung in Person einer örtlichen Dorfpolizistin (Regine Hentschel, „Der Ghostwriter“) und tauchen tief in die Dorfgemeinschaft ein…
„Wenn sich so viel Liebe in einem Menschen anstaut, geht das selten gut…“
Wir sehen eine junge Nachwuchs-Düstermetal-Band in ihrem Proberaum (die Musik stammt von der realen Band NebellebeN); ihr Sänger ist Jan Thomsen (Marven Gabriel Suarez-Brinkert, „The Social Experiment“), der sich im Laufe der Zeit nur zögerlich als Zeuge zu erkennen geben wird. Er probt in Räumlichkeiten der Dorfkneipe Kurt Stindts (Andreas Döhler, „Die Hände meiner Mutter“), dessen Frau Sarah (Anja Schneider, „Niemand ist bei den Kälbern“) ein Kind erwartet. Die erste Befragung nach dem Fund des toten Babys gilt Prostituierten außerhalb Wackens, anschließend unterbricht Borowski seinen Urlaub. Dass Sahin und er ohne Weiteres ein Zimmer finden – wohlgemerkt kurz vor Festivalbeginn –, kann in den Bereich der Fabel verwiesen werden. In Wacken nimmt ein etwas überproportionierter, bärtiger, langhaariger junger Mann (Nicolas Dinkel, „Wendehammer“) in seinem Zimmer unterm Dach einen Metal-Podcast auf, der mehr wie eine Live-Radiosendung wirkt, und begrüßt seine Hörerinnen und Hörer mit „Metal, Leute!“ – offenbar eine (reichlich überflüssige) Reminiszenz an den „Drachenlord“. Dadurch, dass er offenbar wenig Erfolg beim weiblichen Geschlecht hat und in Netzkatalogen nach Frauen aus dem ehemaligen Ostblock sucht, wird er als einer von mehreren Verdächtigen eingeführt. Er ist der Sohn der Polizistin.
„Du brauchst wirklich Urlaub.“
Zunächst etabliert dieser „Tatort“ einen Nebenhandlungsstrang um Jan aus der Nachwuchsband, der jedoch bald mit der eigentlichen Handlung zusammengeführt wird: Borowski und Sahin beziehen ihre Zimmer im Haus seiner Mutter (Bärbel Schwarz, „Last Exit Schinkenstraße“). Dies ist symptomatisch für das sicher nicht unrealistisch dargestellte Phänomen, dass in so einem Dorf jeder jeden kennt und alle miteinander zu tun haben. Daraus resultiert, dass jede Nebenrolle dual angelegt wurde, also in zwei Eigenschaften für die Handlung in Erscheinung tritt. Mittlerweile weiß man auch, dass Christina Chorol, die Mutter des toten Babys, entführt wurde, gefesselt und geknebelt ist sie in einen Kellerraum gesperrt. Mehrere Personen verhalten sich irgendwie verdächtig, doch nach 55 Minuten wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber die Identität des Täters preisgegeben.
„Das war ein Mensch!“
Als Topos dieses „Tatorts“ kristallisiert sich mitnichten irgendein Bezug zu Heavy Metal oder Festivals heraus, sondern das Thema illegaler Leihmutterschaften, das mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen in einem besonders krassen Fall exemplarisch durchexerziert wird. In dieser Hinsicht erweist sich „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ als ein recht empathischer Krimi – mit einem dann doch überraschend deftigen Ende. Das Wacken Open Air ist dabei lediglich Staffage; dessen echter Chef Thomas Jensen darf ein paar wenige Sätze etwas steif in die Kamera sagen und von der Musikspur ertönt für einen „Tatort“ ungewöhnlich viel Musik aus dem Metal- und Punkbereich, ohne dabei allzu dominant zu werden. Ansonsten laufen immer mal wieder Statisten in unkenntlich gemachten Bandshirts durchs Bild und wird zumindest im Ansatz ein Eindruck des Prä-Festival-Gewusels vermittelt.
Dass man gegen Ende den kongenialen Motörhead-Song „God Was Never On Your Side“ prominent herausstellt, ist ein echter Glücksgriff, der Epilog hingegen dann doch etwas cringe: Natürlich trifft Borowski einen Kollegen in zivil, der das Festival als normaler Gast besucht, und steht man gemeinsam auf dem Acker (während eines The-Halo-Effect-Auftritts), um zur Erkenntnis zu gelangen, hier werde nicht der Tod, sondern das Leben gefeiert. Die Verquickung des Festivals als Hintergrund der Ermittlungen mit Kritik an einem ausbeuterischen Leihmutterschaftsgeschäft und etwas persönlichem Drama wirkt ein wenig bemüht, der Kontrast von überlauten verzerrten Gitarren und Double-Bassdrums zu Borowskis ruhigem Gemüt wird kaum für unterhaltsame Szenen genutzt. Der Kommissar benimmt sich zuweilen aber recht seltsam – wegen des unterbrochenen Urlaubs? Es wird jedenfalls nicht problematisiert. Und was genau passiert ist und das Baby sein Leben gekostet hat, wird nicht etwa in Form einer Rückblende aufbereitet, sondern bleibt diffus in Streitdialoge verpackt.
Wenn man Borowskis unprätentiöses, nordisch ruhiges Wesen als fast schon trotzigen Gegenentwurf zum Action-Krimi schätzt, hat man vermutlich auch an diesem „Tatort“ seine Freude, und auch den Spagat zwischen seriösem Krimi und subkulturellen Klischees hat man schon schlechter gesehen, sicherlich aber auch besser. Borowski selbst kann und hat hier gar nicht so viel auszurichten und gerät beinahe zum Statist innerhalb einer Dorfgemeinschaft mit nicht uninteressanten Figuren, deren Geheimnisse dramaturgisch jedoch stets dann gelüftet werden, wenn es eigentlich beginnt, wirklich spannend werden zu können…
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!