bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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Eddie the Eagle – Alles ist möglich

„Eddie, du bist kein Sportler!“

Noch vor „Rocketman“ verfilmte der britische Schauspieler und Regisseur Dexter Fletcher die sportliche Karriere des Briten Michael „Eddie“ Edwards (Taron Egerton, „Legend“), der sich als unterprivilegierter und wenig talentierter Hobbysportler seinen Traum von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen erfüllte: Er trat allen Widerständen zum Trotz bei der Winterolympiade 1988 in Calgary als Skispringer für das Vereinigte Königreich an. Die britisch-US-amerikanisch-deutsche Koproduktion wurde im Jahre 2015 gedreht und kam 2016 in die Kinos.

„Aus Ihnen wird niemals ein Olympia-Teilnehmer werden!“

Stuckateur Eddie träumt seit seiner Kindheit davon, einmal an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Doch der Junge aus der Arbeiterklasse ist aufgrund seiner Kurzsichtigkeit mit dicken Brillen gestraft und findet einfach keine Sportart, für die er wirklich begabt wäre. Unterstützung seiner Eltern (Jo Hartley, „This is England“ und Keith Allen, „Kafka“) hat er auch nicht zu erwarten. Dennoch hält er an seinem Traum fest und schafft es sogar ins britische Alpin-Ski-Team, wird dort aber noch vor der Olympiade 1984 entlassen. Als er feststellt, dass es gar kein britisches Skispringer-Team gibt, er auf nationaler Ebene also ohne Konkurrenz wäre, versucht er, sich das Skispringen anzueignen und reist ins Trainingslager nach Garmisch-Partenkirchen. Das olympische Komitee seiner britischen Heimat ist von seinen Plänen wenig begeistert und legt ihm Steine in den Weg, wo es nur kann. Als er den abgehalfterten ehemaligen Skispringer Bronson Peary (Hugh Jackman, „X-Men“) als Trainer gewinnen kann, wendet sich das Blatt jedoch zu Eddies Gunsten…

„Er bricht sich das Genick...“ – „ICH brech' ihm das Genick!“ (Eddies Eltern)

Zunächst sehen wir Eddie als Kind im Jahre 1973 während einer Tauchübung in der Badewanne – er will zur Olympiade im Luftanhalten… Je älter er wird, an desto mehr Disziplinen versucht er sich und zerdeppert dabei immer mehr seiner Brillen. Ab 1987, als er für den Abfahrtslauf aussortiert wird, befinden wir uns in der filmischen Gegenwart. In Garmisch verspotten ihn arrogante Profispringer. Die Norweger haben dort ihr Trainingslager aufgeschlagen und werden als komplette Arschlöcher dargestellt. Alle Welt scheint gegen ihn zu sein, und sein Training ist bestimmt von zahlreichen Stürzen – visualisiert durch eine Menge entsprechender Stunts. Von einer 70-Meter-Schanze stürzt er wirklich schlimm. So skurril einem der naiv wirkende, unter seiner optisch unvorteilhaften Brille oft etwas tumb hervorstierende Eddie und so aussichtslos sein Unterfangen auch erscheinen mögen, so leidet man doch mit ihm, hofft mit ihm, drückt ihm die Daumen. Die für diesen Film frei erfundene Figur Bronson Peary, ein verbitterter Trinker, wird dann zum Gamechanger: Es gelingt ihm einfach nicht, Eddie abzuwimmeln. Er blättert im Buch seines Ex-Trainers Sharp (Christopher Walken, „Dead Zone – Der Attentäter“), was den Ausschlag dafür gibt, endlich aufzutauen und Eddie unter seine Fittiche zu nehmen – wenn auch immer noch recht widerwillig.

„Ich wette, bis zum Wochenende ist er tot.“

Dadurch wird aber mitnichten alles gut, die Handlung hält – trotz eigentlich dem Großteil des Filmpublikums sicherlich bekanntem Ausgang – die Spannung weiter hoch. Eddie nimmt zunächst am Seniorenspringen in Garmisch teil, um sich damit für Olympia zu qualifizieren, doch das Komitee legt eine Mindestdistanz fest, damit Eddie nicht antreten kann. Grund ist der schnöde Mammon, denn potenzielle Sponsoren wollen nicht mit Eddie in Verbindung gebracht werden. Der Film wirft wahrlich kein gutes Licht auf die Sportkomitees. Für eine Teilnahme an europäischen Wettkämpfen braucht Eddie Geld, das er nicht hat; sein Vater versucht ihm seine Ambitionen noch immer auszureden, woraufhin Eddie das elterliche Wohnmobil und Sparbuch entwendet… Als sein Traum abermals zu zerplatzen scheint, wird jedoch ein Trainingssprung anerkannt, womit die Tür zu Olympia ’88 offensteht! Bronson würde zwar lieber bis 1992 mit Eddie trainieren, doch sein Schützling tritt 1988 an.

„Der Adler ist gelandet!“

Fletcher integriert nun Originalbilder von der Eröffnungsfeier in seinen Film, die Eddie verpasst, weil man ihn abfüllt. Sein letzter Platz im Wettbewerb ist zugleich ein neuer britischer Rekord, ein Paradoxon, das er enthusiastisch feiert und zum Publikums- und Medienliebling avanciert. Eddie ist Letzter und trotzdem ein Gewinner. Dies war der Moment, in dem die Weltöffentlichkeit auf ihn aufmerksam wurde und an dem er seinen Spitznamen „The Eagle“ verpasst bekam. Von den Offiziellen und den Mitbewerbern wird er aber weiterhin geschnitten. Er beschließt, doch noch auch die 90-Meter-Schanze anzutreten, und dieser Sprung gerät zum dramaturgischen Höhepunkt des Films. Das Happy End deckt nun wirklich alles ab – auch Bronson und dessen Ex-Trainer Sharp – und ist vielleicht ein bisschen arg dick aufgetragen, enthält aber auch einen Originalauszug aus Eddies Abschlussrede und damit weiteres authentisches Archivmaterial.

Der Film verzichtet auf Sprachbarrieren, die es in der Realität natürlich gegeben haben wird, und fabuliert zu Eddies Geschichte, als sei sie nicht eigentlich bereits aufregend und unglaublich genug gewesen, so einigen Döntjes dazu, sodass von einer authentischen Biografie offenbar nicht mehr die Rede sein kann. Das ist schade und wertet „Eddie the Eagle – Alles ist möglich“ ein wenig ab, wenngleich er ansonsten weit nach vorne springt: Eine im Kern reale Außenseiter-Aufstiegserzählung vermengt Fletcher mit einem nahezu perfekten Gespür für Timing und auf weitestgehend unkitschige Weise mit dem olympischen Gedanken sowie sportlicher Wettkampfphilosophie. Dabei führt er seinen Protagonisten nicht etwa in Slapstick-Manier vor, sondern macht ihn zum Helden, der tapfer seinen Traum verfolgt und sich von der Hochnäsig- und Gehässigkeit anderer ebenso wenig demotivieren lässt wie von den leider nicht mehr in erster Linie dem Sport verpflichtet zu sein scheinenden professionellen Strukturen, die das olympische „Dabei sein ist alles“-Motto konterkarieren – ohne dabei Eddie komische Seite zu verleugnen. Zudem sensibilisiert dieser Film eindrucksvoll für den Ski-Sport und dessen Herausforderungen.

Schauspielerisch liefert nicht nur Taron Egerton hier großes Kino. Matthew Margeson komponierte eine schöne, sich variierend durch den Film ziehende Melodie, und zu Eddies waghalsigstem Sprung ertönt passenderweise Van Halens „Jump“. Nicht zuletzt passte Fletchers herzerwärmender Film (unbewusst) mit seiner hauptsächlich in den Jahren 1987 und 1988 angesiedelten Handlung und seiner entsprechenden musikalischen Untermalung auch prima in den ‘80er-Retro-Trend seiner Zeit. Wäre das Drehbuch ohne derart viele Hinzudichtungen ausgekommen, dass der reale Eddie damit zitiert wird, der Film entspreche kaum noch der historischen Wirklichkeit, fiele meine Wertung noch etwas höher aus, 7,5 von 10 Brillengläsern packe ich „Eddie the Eagle – Alles ist möglich“ aber locker unter die Ski-Brille und erfreue mich an der positiven Botschaft nicht nur dieses Films, sondern auch Eddies sportlicher Erfolge.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Sneakers – Die Lautlosen

„Wir werden die Welt verändern, Marty.“

Phil Alden Robinson („Feld der Träume”), vornehmlich als Drehbuchautor tätig, inszenierte den im Jahre 1992 veröffentlichen „Sneakers – Die Lautlosen“, eine US-amerikanische Mischung aus Heist-Movie und Spionage-Thriller, der sich als äußerst massenwirksam erwies und zum Riesenerfolg an den Kinokassen wurde.

„Man kann heutzutage niemandem mehr trauen!“

Die „Sneakers“ sind eine Hackerorganisation unter der Leitung Martin Bishops (Robert Redford, „Die Unbestechlichen“), die sich von Unternehmen dafür bezahlen lässt, deren Sicherheitssysteme zu knacken, um Schwachstellen aufzudecken. Eines Tages bittet der US-amerikanische Geheimdient NSA die Sneakers darum, für ihn ein im Ausland entwickeltes universelles Dechiffriergerät zu stehlen, das jeden Sicherheitscode knacken kann. Bei der Übergabe des Diebesguts müssen die Hacker jedoch realisieren, auf Martins totgeglaubten ehemaligen Partner Cosmo (Ben Kingsley, „Gandhi“) hereingefallen zu sein, der nun eine Verbrecherorganisation anführt. Das Gerät, ein äußerlich unscheinbarer schwarzer Kasten, muss also schnellstmöglich zurück…

„Wir werden langsam zu alt für sowas!“

Der Hacking-Aktivitäten zweier Studenten, aus denen soziale Geldtransfers resultieren, zeigende Prolog in blassen Farben entpuppt sich als Martins Erinnerungen an den Dezember 1969, als sein Freund Cosmo verhaftet wurde, er aber entkommen und untertauchen konnte. In der filmischen Gegenwart des Jahres 1992 wird die volle Farbintensität ausgeschöpft und geben sich Martins Angestellte ein Stelldichein: Der durchgeknallte Mother (Dan Aykroyd, „Ghostbusters“), der erblindete Whistler (David Strathairn, „Auf kurze Distanz“), der besonnene ehemalige CIA-Mann Crease (Sidney Poitier, „Die Saat der Gewalt“) und Jüngling Carl (River Phoenix, „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“). Eine tolle, charakterlich sehr diverse, sich mit ihren individuellen Fähigkeiten aber prima gegenseitig ergänzende Nerd-Truppe, die Martin um sich geschart hat. Nach dem dramatischen Prolog ist die Stimmung locker und beschwingt, ins Komödiantische tendierend, und die Ausrichtung anarchistisch: Ein vermeintlicher Bankraub, der gerade durchgeführt wird, fasziniert, und Marty ist um keinen CIA- und NSA-feindlichen Spruch verlegen. Dies soll uns sagen, dass, auch wenn er längst für die freie Wirtschaft tätig ist, er sich eine Ideale bewahrt hat.

Jedoch: Martin hat sich seit den schicksalhaften Ereignissen aus dem Dezember 1969 eine Scheinidentität zugelegt, lebt seither also inkognito. Dies weiß die vermeintliche NSA, als sie Martin mit ihrem Ersuchen konfrontiert – und bietet ihm als Gegenleistung an, sämtliche Vorwürfe gegen ihn fallenzulassen. Ein für Martin attraktiver Deal, auf den er sich daher einlässt. Der Coup ist dann auch recht schnell erledigt – derart schnell gar, dass man ahnt, dass das nicht bereits die Klimax des Films gewesen sein kann. Und tatsächlich ist spätestens ab der Hälfte Schluss mit lustig und es gibt Tote.

Die Versatzstücke kennt man aus diversen Filmklassikern: Die späte Konfrontation zu Erzfeinden gewordener ehemaliger bester Freunde, ein überzeichneter Superschurke, atemberaubende Heist-Szenen, ein MacGuffin als Objekt der Begierde, Misstrauen in Regierungsorganisationen und vermutete bzw. reale Verschwörungen (u.a. wird augenzwinkernd auf die Theorie der gefälschten Mondlandung Bezug genommen), ein bisschen Romantik um Martins ebenfalls involvierte Ex-Freundin Liz (Mary McDonnell, „Der mit dem Wolf tanzt“), wohldosierte Action und aus skurrilen Figuren resultierender Humor. Regisseur und Autor Robinson fügt all dies jedoch dramaturgisch meisterlich zusammen. Zudem fasziniert „Sneakers – Die Lautlosen“ mit all den Gerätschaften der Hacker und sensibilisiert für die technischen Möglichkeiten, die diese mit sich bringen. Die Vermittlung eigentlich komplexer Ereignisse und Zusammenhänge ist erzählerisch gut gelungen, wenngleich Hintergrundinformationen zu Martys Angestellten leider auf das Nötigste beschränkt bleiben.

Dennoch: Der Film mischt klassische Motive mit moderner Hochtechnologie und wird von einem Top-Schauspielensemble getragen. Er arbeitet mit erlesenen Kameraperspektiven und wunderbaren Bildkompositionen, die die visuellen Möglichkeiten freudig nutzen. „Sneakers“ markiert den Beginn der Zeit der Warnungen vor dem informationszeitalter und vor der Macht der Daten – und lässt auch an der realen US-Stasi kaum ein gutes Haar. Das Ende mit einer etwas befremdlichen Wunschrunde fällt dann leider recht albern aus, der antirepublikanische Epilog wiederum ist höchst befriedigend. Ein bis auf seine marginalisierten Frauenrollen sehr gut gealterter, unterhaltsamer Hacktivismus-Film (was indes leider nicht gerade für unsere gegenwärtige Realität spricht).
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Tatort: Schicki-Micki

„Auch unter den Kriminellen gibt es Anständige und weniger Anständige.“

Ludwig Lenz‘ (Helmut Fischer) fünfter Fall als Kriminalhauptkommissar entstand im September und Oktober des Jahres 1985 unter der Regie Hans-Reinhard Müllers („Tiefe blaue See“), der damit seinen einzigen „Tatort“ inszenierte und zugleich seine letzte Regiearbeit ablieferte. Der am 29. Dezember 1985 erstausgestrahlte Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe basiert auf den Erfahrungen der „Süddeutsche Zeitung“-Journalisten Ernst Fischer und Herbert Riehl-Heyse, die auch das Drehbuch verfassten.

„Das hat eine Methode!“

Stadtrat Völk (Norbert Gastell, „Die Wiesingers“) hält bei den Feierlichkeiten eines neuen Nobelrestaurants im Münchner Stadtteil Schwabing eine Lobrede auf Großgastronom Hörmann (Hans-Reinhard Müller, „Die Undankbare“), während der „Stadtindianer“ und ehemalige Gastronom Dallinger (Volker Prechtel, „Jeder für sich und Gott gegen alle“) draußen vor der Tür gegen die von Hörmann betriebene zunehmende Gentrifizierung des Stadtteils, in deren Zuge alteingesessene Lokale auch mit unlauteren Methoden verdrängt werden, lauthals anschimpft. In der Redaktion einer Münchner Tageszeitung kritisiert der sozial engagierte Journalist Zoller (Felix von Manteuffel, „Marie Ward – Zwischen Galgen und Glorie“) eben diese Verdrängung und verabredet sich telefonisch mit einem Informanten, wovon weder sein Chef noch sein Kollege Richert (Erich Hallhuber junior, „Geschichten aus dem Nachbarhaus“) sonderlich begeistert sind. Zunächst aber trifft er sich in einem Schwabinger Lokal zusammen mit seiner Kollegin Vera Jansen (Hannelore Elsner, „Die Herren mit der weißen Weste“) für eine Reportage mit Kriminalhauptkommissar Lenz und dessen Stammtischbrüdern. Als eine Gruppe Rocker dort Ärger macht, lässt Zoller sich auf eine Prügelei mit ihnen ein und folgt ihnen, als sie das Weite suchen wollen. Am nächsten Morgen wird er erschlagen im Englischen Garten aufgefunden. Der Verdacht fällt sofort auf die Rocker…

„A g’scheiter Indianer kennt keinen Schmerz!“

Nach seinen ersten „Tatorten“, in denen Helmut Fischer den Hauptermittler verkörperte, wurde die famose und überaus publikumswirksame Vorabendserie „Monaco Franze – Der ewige Stenz“ ausgestrahlt, was zur Folge hatte, dass Fischer fortan vornehmlich mit jener Rolle des charmanten, aber auch belächelnswerten Schwabinger Lebemanns in Verbindung gebracht wurde – zumal Lenz und der Stenz nicht nur phonetisch von vornherein gewisse Parallelen aufwiesen. In diesem „Tatort“ ist er nun beinahe ganz der Stenz: Er hängt, wann immer sich die Gelegenheit bietet, in Kneipen herum, interessiert sich für Frauen bzw. beklagt sich über mangelnden Erfolg bei der Damenwelt und agiert nicht immer sonderlich souverän, verfügt aber fast durchgehend über spitzbübischen Charme. Zudem spielt dieser mit einigem feinen Witz erzählte Fall fast schon demonstrativ in Schwabing.

„Jetzt machen Sie sich doch nicht unglücklich!“ – „Das bin ich schon lang!“

Von der medizinischen Massage geht’s ins Lokal, dann in die Rockerkneipe, wo Lenz inkognito – verkleidet als einer der ihren – ermittelt, aber zum Sound von Motörheads Evergreen „Ace of Spades“ gleich von der Wirtin enttarnt wird. So richtig zielführend sind die Ermittlungen zunächst nicht; Zeugenaussagen und Befragungen werden in Schwarzweiß-Rückblenden eingefügt, während die Polizei auf der Stelle zu treten scheint und sogar den „Stadtindianer“, einen alten, als amerikanischen Ureinwohner verkleideten, zivilen Ungehorsam übenden, kauzig-knorrigen Mann, als Täter in Betracht zieht. Lenz‘ Genie blitzt auf, als er sich nicht in die Irre führen lässt und nicht an Dallingers Schuld glaubt. In der Zeitungsredaktion gelangt Lenz schließlich auf die richtige Spur, nämlich die eines geschmierten Journalisten.

Eine weitere Schwarzweiß-Rückblende rekonstruiert gegen Ende, was sich vorm Totschlag zugetragen hatte, und letztlich auch – dann in Farbe – dessen Ausführung. So richtig gut inszeniert ist dieses Quasi-Finale nicht und zuvor wirkten bereits die Rocker alles andere als authentisch, eher wie verkleidete Komparsen mit Sprechrollen. Auch eine Discotanzszene ist im besten Falle kurios, im schlechtesten unfreiwillig komisch. Ferner hätte man in dieser frühen Gentrifizierungskritik die Unterschiede zwischen Hörmanns (titelgebenden) Schicki-Micki-Buden und der organisch gewachsenen Schwabinger Gastronomie- und Kulturlandschaft gern stärker hervorkehren dürfen. Grundsätzlich gut gelungen, wenn auch zuweilen etwas plakativ, ist aber die Vermischung der Themen Gentrifizierung und Kritik an käuflichem Journalismus, ohne in eine pauschale journalistenschelte zu verfallen, wenngleich die Art der Inszenierung angesichts der verhandelten Thematik etwas arg leichtfüßig inszeniert wirkt – und sich wieder ein bisschen viel für nordischere Ohren unverständliches Bayrisch in die Dialoge eingeschlichen hat.

Nichtsdestotrotz möchte man am Schluss am liebsten sofort mit Lenz noch ein Bier trinken gehen.
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Die Wirtin von der Lahn

„Im Lahn-Wirtshaus herrscht Sodom und Gomorrha!“

Kurz vor Durchbruch der sexuellen Revolution in Westdeutschland bzw. der mit ihr einhergehenden Liberalisierung des Erotikfilmmarkts, die Rede ist vom Jahre 1967, meldete sich der Neue deutsche Film mit dem in Liebes-, Libido- und Beziehungsfragen Tabus thematisierenden und damit aufbrechenden, mit einer, neuen frischen Bildsprache aufwartenden „Mädchen Mädchen“ zu Wort. Im Milieufilmbereich arbeitete „St. Pauli zwischen Nacht und Morgen“ mit subtiler Erotik und Adrian Hoven gab dem spanischen Sexploitation-Filmer Jess Franco deutsches Geld, damit er ihm „Succubus“ alias „Necronomicon – Geträumte Sünden“ drehte. Jess‘ Landsmann Luis Buñuel machte derweil in Frankreich Catherine Deneuve für „Belle de Jour“ zur Prostituierten und in Schweden provozierte Bergman-Schüler Vilgot Sjöman mit seinem semidokumentarischen „Ich bin neugierig – gelb“.

Und was machte „der alte deutsche Film“, „Opas Kino“? Der trug seinen Teil aus Österreich in Koproduktion mit Ungarn, Italien und Frankreich bei und hievte im Dezember des Jahres, zwei Tage, nachdem überm Teich der New-Hollywood-Meilenstein „Die Reifeprüfung“ angelaufen war, eine Mischung aus Historien-, Heimat- und Erotikfilm, nein, vielmehr eine Erotiploitation (für Sexploitation ist er zu harmlos) des historischen Heimatfilms, in die Kinos: „Die Wirtin von der Lahn“ basiert auf frecher antiautoritärer Lyrik des 18. Jahrhunderts und ist eine weitere Zusammenarbeit von Drehbuchautor Kurt Nachmann mit Fließband-Regisseur Franz Antel („Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“), die bevorzugt Heimatfilme miteinander erarbeiteten und offenbar ein Jahr zuvor in „Happy End am Wolfgangsee“ bereits die Grenzverschiebung hin zu etwas schlüpfrigeren Inhalten austesteten. „Die Wirtin von der Lahn“ geriet zum Startschuss einer sechsteiligen Filmreihe und zum Vorreiter für die Verquickung historischer mit erotischen Stoffen.

Der Film spielt im Jahre 1810 in Gießen an der Lahn, wo sich die Studenten um ihren Anführer Anselmo (Mike Marshall, „Drei Bruchpiloten in Paris“) in zivilem Ungehorsam und Auflehnung gegen Napoleons Statthalter Graf Dulce (Jacques Herlin, „Der Dämon und die Jungfrau“) üben. Gastwirt Goppelmann (Oskar Sima, „Unsere tollen Nichten“) hat es derweil auf das Wirtshaus abgesehen, doch dessen greise Besitzerin hat keinerlei Interesse daran, es ihm zu veräußern. Stattdessen vererbt sie es kurzerhand an die ziehende Schauspielerin Suzanne (Teri Tordai, „Ferien mit Piroschka“), die damit zur titelgebenden „Wirtin von der Lahn“ avanciert. Goppelmann versucht nun, diese mit Schmäh- und Spottliedern in Verruf zu bringen, wofür er Anselmo auf erpresserische Weise einspannt. Angeblich sei das Wirtshaus ein Sündenpfuhl. Goppelmann verspricht sich davon, dass man Suzanne und ihre Schauspieltruppe aus der Stadt jagt. Stattdessen freunden sich Suzanne und die Studenten miteinander an und unterstützt sie sie sogar beim Druck antifranzösischer Pamphlete. Der Gouverneur lässt nach der Druckpresse forschen, doch der eigens dafür eingesetzten Kommission spielt man das aus den Reimen mittlerweile bekannte lasterhafte Etablissement vor – was den Gouverneur derart neugierig (und geil) macht, dass er ihm höchstpersönlich einen Besuch abstattet. Doch er ahnt nicht, dass er damit in die Sittlichkeitsfalle seiner Gegner läuft…

Der Auftakt ist sehr gewitzt: Im Vorspann werden alte Gemälde gezeigt, die eine barocke Stimmung generieren, und ein Lauftext erläutert den geschichtlichen Hintergrund, die Besatzung Westfalens durch Frankreich. Dann erscheint direkt ein weiblicher Nackedei, doch prompt wird der Film unterbrochen: Ein Erzähler aus dem Off verweist auf Eingriffe der Sittenkommission – der von 1810, nicht der von heute, wie er betont. Ein Spiel mit der Erwartungshaltung an den Film und dessen Schauwerte und zugleich ein Kommentar zum Umgang mit Freizügigkeit, der sich seit damals (vielleicht dann doch noch gar nicht so sehr?) geändert hat. Die eigentlich gar nicht einmal so doofe Handlung indes wird dann leider in Form einer schlüpfrig-frivolen Klamotte mit diversen Gesangseinlagen dargereicht, in denen fleißig die despektierlichen Wirtin-Verse rezitiert werden, wobei, wie ich an anderer Stelle lesen musste, diese sogar einer Selbstzensur zum Opfer fielen, für den Film also abgeschwächt worden. Ausgerechnet im Jahre 1967 einen Film zu drehen, der unter anderem gegen eine Besatzungsmacht revoltierende Studenten zum Inhalt hat, dürfte entweder ein Versuch Antels sein, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus eine neue Klientel zu erschließen – oder gar eine Art von Sympathiebekundung?

Der französische Befehlshaber spricht Deutsch mit französischem Akzent, sodass keinerlei Sprachbarrieren den Filmgenuss stören, Anselmo fechtet gegen die von der Ungarin Teri Tordai verkörperten sehr attraktive Wirtin, die ihn später bei sich verstecken wird, Harald Leipnitz („Playgirl“) tritt der Armee bei und fungiert als Informant, ansonsten treffen eine orientalische Dessouschau und ein bisschen nackte Haut auf ein paar ganz nette Wortspielereien und alberne Slapstick-Einlagen inklusive beschleunigter Bildwiedergabe.

Wie Antel hier Sexyness und ein wenig Nudität einwebt, ist, betrachtet man die Produktionsumstände noch vor der sexuellen Revolution, geschickt gelöst und vermutlich ein Spagat zwischen dem, was er gern zeigen würde und dem, was noch erlaubt und opportun ist. Wirklich sinnliche Erotik darf man so oder so aber nicht erwarten, dafür über eine bestens aufgelegte Teri Tordai und generell ein spielfreudiges Ensemble. Erwartungsgemäß ist ein solches Kind seiner Zeit nicht sonderlich gut gealtert, mit dem entsprechenden Hintergrundwissen aber nichtsdestotrotz – wie so viele Filme, die sich damals dem Erotikbereich näherten – aber ein interessantes, damals überaus kassenträchtiges Stück Filmgeschichte, das im Guten (zeigefreudige attraktive Darstellerinnen, Verklemmtheit und Doppelmoral aufs Korn nehmende Handlung) wie im Schlechten (schwache Dramaturgie, klamaukiger Humor) einiges vorwegnimmt, was kurz darauf mit der Sexfilmwelle auf das Publikum zurollen sollte…
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Das Grauen schleicht durch Tokio

„Alles ist in Ordnung – nur die Mannschaft fehlt!“ (Na dann…)

„Godzilla“-Regisseur Ishirô Honda drehte nicht nur Kaijūs, sondern bediente auch anderen Sparten des phantastischen Films – beispielsweise mit „Das Grauen schleicht durch Tokio“ aus dem Jahre 1958, einem Science-Fiction- und frühen Bodymelt-Horrorfilm. Dem japanischen Atombomben-Trauma blieb Honda auch hier treu: War Godzilla einst ein Sinnbild für die zerstörerische Kraft der US-Atombomben-Abwürfe auf Nagasaki und Hiroshima, geht es hier offen metaphorisch um die Folgen der Verstrahlung durch nukleare Sprengsätze.

„So'n Blödsinn, ‚Geisterschiff‘!“

Es regnet junge Hunde, als Drogenschmuggler Misaki (Hisaya Itô, „Phantom 7000 – Weltraumbestien“) während einer Übergabe wie aus dem Nichts in Panik verfällt und vor ein Taxi läuft, das ihn erfasst. Und plötzlich ist er verschwunden, nur seine Kleidung bleibt am Unfallort zurück. Inspektor Tominaga (Akihiko Hirata, „Godzilla“) ermittelt in Misakis Umfeld und heftet sich an dessen Freundin, die Nachtclubsängerin Chikako Arai (Yumi Shirakawa, „Rodan“). Auch Misakis kriminelle Geschäftspartner rücken ihr auf der Suche nach ihrem Freund auf die Pelle. Doch der taucht nicht wieder auf, stattdessen verschwinden weitere Personen. Der junge, ambitionierte Wissenschaftler Dr. Masada (Kenji Sahara, „Die Rückkehr des King Kong“) glaubt, dass es sich um Opfer radioaktiver Strahlung handelt, doch will davon zunächst niemand etwas hören. Aber eine grüne amorphe Masse und grünschimmernde, menschenabsorbierende Geistererscheinungen machen Tokio unsicher, auf der Suche nach weiteren Opfern…

„Das könnte ja den Untergang der Menschheit bedeuten!“

Auf Bilder eines Nuklearsprengtests folgt ein Geisterschiff wie der fliegende Holländer, die Handlung steigt mit Misakis Verschwinden ein. Darauf folgen ausgiebige, dialogreiche Polizeiermittlungen, mit denen Honda eine Menge Zeit schindet. Aufgelockert werden sie, nein, nicht durch verstärkten Horror- und Spezialeffekteinsatz, sondern durch Gesangseinlagen im Nachtclub, die später sogar noch einmal aufgegriffen und um eine exotische Tanzdarbietung und ein Stück einer Jazzband erweitert werden. Dennoch handelt es sich natürlich mitnichten um einen Revuefilm. Eine Rückblende visualisiert Erzählungen eines Schiffsunglücksüberlebenden und liefert damit ein paar Hintergrundinformationen, bevor Honda sporadisch sein SFX-Team loslässt. Dieses versieht den Film zunächst mit recht einfach getricksten Spezialeffekten, einem Experiment mit einer Kröte und einem Freeze Frame sowie einer Art Zeichentrick, was doch etwas irritiert. Der nächste Kill wird dafür umso beeindruckender präsentiert und sieht hübsch schrecklich aus. Im Finale bekämpft man kurioserweise quasi Wasser mit Feuer.

„Ein flüssiges Wesen ist in der Stadt!“

Es ist mitunter schon reichlich eigenartig, wozu Honda hier einlädt, und was genau vor sich geht, kann einem auch das pseudowissenschaftliche Gequatsche nicht näherbringen. „Extrablatt!“-Rufe und Zeitungsschlagzeilen unterstreichen reißerisch die Brisanz der Ereignisse und skizzieren die Entwicklung, aber erzählerisch ist noch einige Luft nach oben. Anzuerkennen sind in jedem Falle Hondas Bemühungen um eine düstere Stimmung und einen ernsten Duktus. Der in tollen Farben – 1958 alles andere selbstverständlich – gestaltete, gut ausgeleuchtete und das Scope-Format prima ausnutzende „Das Grauen schleicht durch Tokio“ erinnert mit seiner originellen Bedrohung zuweilen stark an den „Blob“, der sich meinen Quellen zufolge allerdings erst einige Monate später durch die US-amerikanischen Kinosäle walzte…
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Pappa ante portas

„Ehepaare sind nur glücklich, wenn einer keine Zeit hat!“

Der nach „Ödipussi“ zweite und leider letzte Spielfilm des deutschen Ausnahmehumoristen Loriot, „Pappa ante portas“, wurde im Jahre 1990 gedreht um kam im Februar 1991 in die Kinos. Loriot schrieb das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle sowie mehrere Nebenrollen. An seiner Seite befindet sich selbstredend seine unvergleichliche Stammmimin und Schauspielkollegin Evelyn Hamann.

„Aber ich hab‘ doch noch ‘ne ganze Hunderterpackung!“ – „Frau Lamprecht, Sie haben da nicht den Überblick. Der blattweise Einkauf von Schreibmaschinenpapier ist kaufmännisch nicht zu verantworten.“

Einkaufsleiter Heinrich Lohse (Loriot) wird nach etlichen Berufsjahren 59-jährig von seinem Arbeitgeber, der Deutsche Röhren AG, mit sofortiger Wirkung in den Vorruhestand versetzt, nachdem er einen exorbitant hohen Vorrat an Schreibmaschinenpapier und Radiergummis hat liefern lassen, damit die Firma von einem satten Rabatt profitiert. Überhaupt ist der stets um Akkuratesse bemühte Heinrich etwas schrullig geworden. Darunter haben von nun an seine Frau Renate (Evelyn Hamann) und sein Sohn Dieter (Gerrit Schmidt-Foß, „Ravioli“) zu leiden, denn er möchte sich im Haushalt nützlich machen und glaubt, dass ihm seine berufliche Expertise dabei dienlich sei. Er richtet ein heilloses Chaos an; und zu allem Überfluss haben die benachbarten Mielke-Schwestern (Ortrud Beginnen, „Die Geierwally“ und Dagmar Biener, „Meier“) auch noch ein Auge auf ihn geworfen, womit er nicht umzugehen weiß. Bald plant Renate durch Aufnahme einer beruflichen Nebentätigkeit wieder etwas Abstand von ihrem Mann zu gewinnen, während dieser ohne ihr Wissen das traute Heim in ein Filmset verwandelt…

„Mein Sohn ist sechzehn. Er sitzt und spricht.“

Der Auftakt ist eine urkomische Persiflage alteingesessener, spießiger deutscher Unternehmenskultur, in die sich Heinrich mit seinem – wahrscheinlich dort erlernten – Habitus perfekt einfügt. Als er zum Generaldirektor zum Rapport muss, entpuppt sich dessen Büro als protzig barock eingerichtete, herrschaftliche Suite, größer als jede Durchschnittswohnung. Heinrichs gestelztes Englisch beim Telefonat mit einem vermeintlichen Interessenten, wie er eine mit Aktenordnern überlastete Kollegin aufhält, als er ihr mit Nichtigkeiten in den Ohren liegt und nicht bemerkt, wie sie nur aus reiner Höflichkeit zuhört und dabei fast zusammenbricht, der Dialog mit dem Generaldirektor – all das ist pures Komödiengold. Die Szene, in der Heinrich nach seiner De-facto-Entlassung seine Frau zu Hause überrascht, wurde in Point-of-View-Perspektive wie in einem Thriller gedreht – zurecht, wie sich herausstellen wird, denn der „Nervenkitzel“, den Heinrich bei seiner Familie verursachen wird, ist schlimmer als in jedem Hitchcock-Film (wenn auch ein wenig anderer Natur). Renate reagiert auf Heinrichs Kapriolen u.a. mit köstlichem Sarkasmus bis hin zu von Hamann herrlich expressiv gespielter Empörung, während sein Filius als Running Gag ständig neue Freundinnen mit nach Hause bringt und in aller Knappheit namentlich kurz vorgestellt (eine davon eine einen höflichen Knicks machende Punkerin). Einen Familienhund gibt es auch, aber den bekommt man – als weiteren Running Gag – nie so richtig zu Gesicht, zudem handelt es sich ab- und offensichtlich lediglich um ein Modell eines Vierbeiners.

„Ich halte es für meine Pflicht, auf das Privatleben meiner engsten Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen.“ – „Das ist mir neu!“

„Pappa ante portas“ spielt in einer privilegierten und überzivilisierten bildungsbürgerlichen gehobenen Mittelschicht, aus deren versteiften Versuchen, stets die Etikette zu wahren, sich der Humor vielfach speist – sei es bei Heinrichs Umgang mit den Mielkes oder hausierenden Sektenfuzzis, sei es bei der Rezeption gehobener Kultur: Heinrich begleitet Renate auf eine Lesung des Lyrikers schluckaufgeplagten Lothar Frohwein (Loriot), der in einer furchtbar knarzenden, schweren Lederjacke sein Gedicht „Melusine“ deklamiert („Kraweel, Kraweel!“), dem alle interessiert lauschen, ohne dass es sich ihnen erschließen dürfte (und es wohl auch nicht viel zu erschließen gibt). Eine überaus skurrile und doch so überhaupt nicht weit hergeholte Szene. Heinrichs verzweifelte Versuche, Sinn und Struktur in seine unverhofft viele Freizeit zu bringen, versinnbildlicht vielleicht am besten jene Szene, in der er sich einen Überblick über die Tagespresse verschafft, indem er sie auf dem Wohnzimmerboden ebenso sorgfältig wie großzügig ausbreitet. Den Geburtstag seiner Schwiegermutter vergisst er darüber jedoch immer wieder. Seine Schnapsidee, Renate damit zu überraschen, dass er das gemeinsame Haus für Dreharbeiten zur Verfügung stellt, bringt nicht nur Renate einem Nervenzusammenbruch nah, sondern persifliert zugleich chaotische Drehsets, womit diese Sequenz ein Stück weit in der Tradition des Erwin-Lindemann-Sketchs steht. Ein weiterer Running Gag wiederum ist Heinrichs Leidenschaft für die Nachspeise Birne Helene, die ihm erst so richtig schmeckt, als es sich um Apfelkompott handelt.

„Wir haben aus einem kleinen, miesen Saftladen einen großen... einen... einen... das, was wir heute sind…“

Loriots Film steckt voller feinsinniger, humoristisch detailreich aufbereiteter Beobachtungen hauptsächlich, aber nicht nur des Milieus, in dem er spielt, und ist am überzeugendsten in seinem trockenen Dialogwitz (in dem Loriot niemand etwas vormacht), beherrscht aber auch Situationskomik und etwas Slapstick. Er ist auf positive Weise typisch deutsch, weil er sich eben typisch deutsche Macken vorknöpft, dabei aber all seine Figuren mit Respekt behandelt. Zum Ende hin wird’s etwas klamaukiger, Schwiegermutters Geburtstagsfeier fällt für meinen Geschmack etwas ab und auch die Schlusspointe kann keinen mehr draufsetzen. Nichtsdestotrotz dürfte es sich bis heute um die beste deutsche Komödie handeln, aus der die eine oder andere Formulierung bei nicht wenigen Mitmenschen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Und ist meine Lebensgefährtin einmal mehr der Ansicht, ich hätte, um eine fragwürdige Ersparnis zu erzielen, unnötig viel auf einmal gekauft, behauptet sie, meine Name sei in jenem Moment wohl Lohse gewesen. Sie hat da eben nicht den Überblick…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Und tschüss! Auf Mallorca

„Nicht alle Leute hier sind schlecht!“

Im Anschluss an die Jugendserie „Und tschüss!“ wurden noch drei Spielfilme fürs Fernsehen produziert, von denen der erste, „Und tschüss! Auf Mallorca“, im Jahre 1995 gedreht und im Januar 1996 erstausgestrahlt wurde. Wolfgang Büld schien mit diesem Nachklapp nichts zu tun haben, als Drehbuchautor wird ausschließlich Stefan Cantz genannt und die Regie übernahm Karsten Wichniarz („Sylter Geschichten“).

„Und tschüss, ihr Anfänger!“

Die Essener Clique aus Günni (Benno Fürmann, „Schicksalsspiel“), Petra (Gesine Cukrowski, „Der letzte Zeuge“), Jürgen (Christian Kahrmann, „Lindenstraße“), Silke (Chrissy Schulz, „Fest im Sattel“) und Raoul (Tom Mikulla, „Rosenheim-Cops“) macht Urlaub am Ballermann auf Mallorca. Dieser gestaltet sich jedoch schwierig, da ihr Gepäck verschwindet, die Hotelbuchung schiefgegangen ist, sodass man ohne Unterkunft dasteht, und dann auch noch die Wertsachen gestohlen werden. Sich der Clique angeschlossen hat Eberhard (Paul Herwig, „Frankie, Jonny und die Anderen“), der mit ihnen im Flugzeug saß und der dieses Schicksal mit Günni, Petra & Co. teilt. Zu allem Überfluss befindet sich auch noch Bonny Bender (Gesine Cukrowski) auf der Insel, Schlagersänger Bernd Benders (Jürg Löw, „Tatort: Herrenboxer“) Tochter, die Petra wie aus dem Gesicht geschnitten ist und von ihrem Vater und dessen Angestellten Werner (Uli Krohm, „Die Katze“) wie in einem goldenen Käfig gehalten wird. Als die beiden Kleinkriminellen Ossie (Rüdiger Wandel, „Berliner Weiße mit Schuss“) und Heinz (Lutz Michael, „Faust“), die auf Benders Yacht arbeiten, Bonnys Entführung planen, geraten sie prompt an die Falsche – und kidnappen Petra…

Der Auftakt klappert beinahe alle Stationen dessen, was bei einer Urlaubsreise schiefgehen kann, nacheinander ab. Jürgens Freundin Eddie fehlt, auf Metalhead Zombie müssen wir ebenfalls verzichten. An seine Stelle tritt mit Eberhard eine esoterisch verwirrte Pfeife, die die Clique eher mitleidig zwischen sich duldet, die aber im Laufe der Zeit etwas auftaut und, erst einmal ein bisschen weniger verhuscht, zu einem nicht mehr ganz nutzlosen Mitglied avanciert. Zunächst einmal aber gilt es, irgendwie an Geld zu kommen, wofür sich Günni und Jürgen als oberkörperfreie Windschutzscheibenputzer versuchen. Fürmann zeigt seinen gut ausgebuildeten Body generell gern ohne Zwirn, auf weibliche Pendants muss man im Gegensatz zur Serie aber trotz Sommer-Sonne-Strand-Sujet mit vielen Ballermann-Impressionen verzichten.

Cukrowski übernimmt fürs etwas abgeschmackte Verwechslungstopos eine Doppelrolle, die beiden Gangster sind in ihrer Dümmlichkeit Karikaturen und die sich aus Eurodance und Bauerntechno zusammensetzende Musik ist schrecklich. Für eine gelungene Komödie fehlen die wirklich zündenden Gags, für eine Fortsetzung der Serie etwas Frechheit und Pepp. Dafür ist das Finale gar nicht so übel ausgefallen und macht es nach wie vor Spaß, dem Ensemble aus Fürmann, Cukrowski, Kahrmann und Konsorten zuzusehen. In seiner platten Durchschnittlichkeit ist „Und tschüss! Auf Mallorca“ aber enttäuschend zahm ausgefallen. Wenn schon Ballermann-Komödie, dann bitte wie in Tom Gerhardts „Ballermann 6“!
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Weltraum-Bestien

„...sieht aus wie in eine Waschmaschine gesteckt und durchgedreht!“

„Godzilla“-Regisseur und fKaijū-Pionier/-Experte Ishirô Honda drehte zwischen „Rodan“ und „Das Grauen schleicht durch Tokio“ eine Mischung aus Science-Fiction- und Kaijū-Film mit dem Hauptaugenmerk auf Action, streifte aber dennoch das sich durch seine frühen Filme ziehende, aus den US-Atombomben-Abwürfe auf Nagasaki und Hiroshima resultierende nationale Trauma. Hierzulande ist der im Jahre 1957 veröffentlichte Film sowohl unter „Weltraum-Bestien“ als auch unter dem Alternativtitel „Phantom 7000“ bekannt, steht aber im Schatten Hondas klassischer Riesenmonsterfilme.

„Seltsame Erscheinungen in der Nähe des Mondes...“

Ryoichi Shiraishi (Akihiko Hirata, „Godzilla“) ist Astrophysiker und wird zusammen mit seiner Verlobten Hiroko (Momoko Kōchi, „Godzilla“), seiner Schwester Etsuko (Yumi Shirakawa, „Rodan“) und seinem Freund Joji Atsumi (Kenji Sahara, „Die fliegenden Monster von Osaka“) Zeuge, wie eine Feuersbrunst traditionelle Feierlichkeiten auf dem Fuji stört. Shiraishi macht sich sofort auf den Weg, um den Brand zu untersuchen. Dabei entdeckt er einen Asteroiden, den er Mysteroid tauft, wovon Atsumi am nächsten Tag Tanjiro Adachi (Takashi Shimura, „Die sieben Samurai“), den Chefastronom des Observatoriums, unterrichtet. Shiraishi geht davon aus, dass es sich dabei um einen Planeten handelt, der sich einst zwischen Mars und Jupiter befunden habe. Adachi steht dieser These skeptisch gegenüber. Kurz darauf zerstört ein Erdbeben ein Dorf. Als Atsumi zusammen mit der Polizei das zerstörerische Naturereignis untersucht, taucht ein riesenhafter Roboter auf, der sogar schwerem Militärbeschuss standhält und nur durch die Sprengung der Koyama-Brücke ausgeschaltet werden kann, als er diese betritt. Bei der Untersuchung seiner Überreste stellt sich heraus, dass er aus einer fremdartigen chemischen Verbindung bestand. Zudem beobachten Astronomen Aktivitäten rund um den Mond. Es dauert nicht mehr lange, bis eine außerirdische Spezies namens Mysterianer auftaucht und Forderungen an die Erdenbewohner stellt: Nach der Zerstörung ihres Heimplaneten durch einen Atomkrieg siedelten Teile der Bevölkerung auf den Mars um, wollen nun aber viel lieber auf der Erde ansässig werden. Um ihrer Schwächung durch radioaktive Strontium-90-Strahlung zu begegnen, wollen sie sich zudem mit Erdenfrauen paaren, um abwehrfähigere Nachkommen zu zeugen. Sie haben bereits drei Frauen entführt und ihre Augen auf zwei weitere geworfen, u.a. Etsuko. Shiraishi ist fasziniert von den Außerirdischen und schließt sich ihnen kurzerhand an, während das japanische Militär verzweifelt gegen die Mysterianer kämpft. Schließlich wendet sich Japan mit einem Hilfegesuch an andere Staaten. Wird es ihnen mit gebündelten Kräften gelingen, die Mysterianer von der Erde zu vertreiben…?

„Unsere Wissenschaft kennt keine Grenzen mehr.“

Der enttäuschend billig gemachte Pappmaché-Roboter lässt „Weltraum-Bestien“ zeitweise wie einen „Godzilla“-Abklatsch aus der Discount-Abteilung erscheinen, wenn er alles in Brand setzt, Menschen panisch fliehen und schließlich das Militär eingreift. Die minutenlange Zerstörungsorgie zu aufgepeitschter, dramatischer Orchestermusik hat, gerade angesichts des um Seriosität bemühten Tonfalls des Films, trashigen Charme. Bei den Außerirdischen wiederum handelt es sich um humanoide Wesen in fremdartigen Raumanzügen, die zunächst vortäuschen, verhandeln und lediglich einen Stützpunkt auf der Erde zwecks friedlicher Forschung errichten zu wollen. Shiraishi kommuniziert durch den Fernseher und will einen Krieg der Menschheit gegen die Mysterianer verhindern – ohne Erfolg. Bald geht’s wieder ausufernd militärisch zur Sache – seinerzeit sicherlich spektakuläre Actioneinlagen, die heute indes etwas ermüdend wirken.

„Ich bin zu jeder Stunde über Television zu erreichen.“ (Wie auch heute manch Couch-Potato…)

Die Handlung aber wird immer dann interessant, wenn es scheint, dass die Außerirdischen den Menschen gar nichts wirklich Böses wollen, sondern durch menschliche Ignoranz und Xenophobie missverständen werden. Eine Weile scheint es, als wollten sie Japan unter ihre Kontrolle bringen, um zu verhindern, dass die Menschen einen Atomkrieg starten und dieselben Fehler begehen wird wie einst sie selbst. Doch die Menschen bilden ein internationales Bündnis gegen sie. Unter dieser Prämisse hätte „Weltraum-Bestien“ ein richtig guter, zivilisations- und kriegskritischer Film werden können. Doch wenn sogar Shiraishi sich eingestehen muss, dass die Mysterianer bitterböse Invasoren sind, wirkt Hondas Sause eher wie eine Parabel auf die Gründung der Nato. Immerhin beschwört das Ende den Zusammenhalt der Völker auf Erden und schließt somit mit einer positiven Aussage, wenngleich es Honda nicht gelingt, eine Bedrohung apokalyptischen Ausmaßes zu vermitteln. Die Mysterianer haben ganze drei Frauen entführt und wollen sogar noch zwei weitere? Wow… So scheitert „Weltraum-Bestien“ durch unfreiwillige Komik, billige Machart und eine zwischen global und provinziell changierende Handlung, die viel zu sehr auf Action denn auf Spannung, Emotion oder welt(raum)anschauliche Überlegungen setzt, an seinen eigenen Ansprüchen. Schade.
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Und tschüss! In Amerika

„Ich hab‘ immer gehofft, dass Günni irgendwann mal erwachsen wird. Aber das ist einer, der geht von der Pubertät rucklos in die Rente, ohne was dazugelernt zu haben.“

Der zweite abendfüllende Spielfilm zur Jugendserie „Und tschüss!“ wurde im November 1996 erstausgestrahlt. Diesmal war Wolfgang Büld wieder als Drehbuchautor beteiligt, während die Regie auf Michael Keusch („Fatale Mutterliebe“) entfiel.

„You look like perverts to me...”

Günnis (Benno Fürmann, „Schicksalsspiel“) geliebter Ford Mustang ist nur noch ein Haufen Schrott, seit er mit ihm bei einem Wettrennen schwer verunfallte. Sein Kumpel Raoul (Tom Mikulla, „Rosenheim-Cops“) hat es gerade auch nicht leicht: Er möchte eine alte Fabrikhalle in ein schmuckes Restaurant umwandeln, ist dabei aber an den Kredithai Wagner (Norbert Weisser, Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“) als Geldgeber geraten, der Raoul bereits mit empfindlichen Inkassomaßnahmen droht. Geld muss her, und zwar pronto. Gemeinsam beschließt man, dass Günni mit Zombie (Andreas Arnstedt, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) in die USA reist, um dort gebrauchte Wohnmobile zu erstehen und nach Deutschland zu verschiffen, wo Raoul sie mit Gewinn weiterveräußert. In den Vereinigten Staaten angekommen, haut Günni Raouls Kohle jedoch für einen Thunderbird auf den Kopf – bzw. hätte er dies gern, denn stattdessen nimmt ihm Betrüger Bill (Dan Frank, „Vendetta“) beides ab: Geld und Auto. Man trifft sich mit Silke (Chrissy Schulz, „Fest im Sattel“), die gerade als Au-Pair-Mädchen bei vermögenden US-Amerikanern arbeitet, und versucht gemeinsam, zumindest das Geld zurückzubekommen. Leichter gesagt als getan, denn die trinkfreudige Clique landet im Gefängnis, wo sie indes eine Rockerbande kennenlernt, die Günni & Co. helfend zur Seite steht. Mit dem zurückgewonnenen Thunderbird geht’s nach Las Vegas und zu Zombies Tante, doch Bill ist ihnen bereits wieder auf den Fersen…

„Roy Black auf Crack!“

Alles beginnt mit einem aufregend inszenierten Autorennen, das an Bülds vor „Und tschüss!“ gedrehte Kfz-Komödien gemahnt – und bei dem Günni so schwer verunglückt, dass er komatös im Krankenhaus liegt. Die im Anschluss ans Rennen gezeigte Totenandacht scheint ihm zu gelten, was sich aber als erzählerische Finte entpuppt. Dass er ausgerechnet von Zombie ins Leben zurückgeholt wird, ist ein Stück feiner Ironie. Aus dem Gespräch mit Raoul und einem Streit Günnis mit seiner Freundin Petra entwickelt sich der – zugegebenermaßen reichlich bescheuerte – Plan, Ami-Karossen nach Deutschland zu verschiffen. Erst einmal mit dem Flieger in Los Angeles angekommen, wird „Und tschüss! In Amerika“ zu einer Ruhrpott-Prollkomödie mit Culture-Clash-Anleihen, in der sich Bülds zurückgekehrter Einfluss nicht nur im Dead-Kennedys-Zitat „California über alles“ bemerkbar macht. Statt Los Angeles als touristisches Aushängeschild zu inszenieren, lässt man Günni und Zombie (kurioserweise mit Tweety-Motiv auf der Lederjacke) durch ein Elendsviertel fahren, in dem sie beinahe überfallen werden. Tatsächlich überfallen und ausgeraubt werden sie jedoch erst später – von einem Weißen. Mit ein paar Mädels, mit denen es anschließend zum Strand geht, sind auch die (weiblichen) Oben-ohne-Szenen zurück, auf die im Vorgängerfilm fast gänzlich verzichtet wurde. (Günni zeigt seinen trainierten Oberkörper ohnehin wieder zu etlichen Gelegenheiten.) Auch ist die Musik wieder wesentlich besser und wird stets passend eingesetzt, in erwähnter Sequenz z.B. David Lee Roth‘ Version des Klassikers „California Girls“.

„Fuck you fuck! Fuck you! Fuck you!”

Mit Silke stößt ein drittes Stammmitglied der Essener Clique hinzu, während Raoul und Petra nur am Rande stattfinden – und Jürgen und Eddie diesmal gar keine Rolle spielen. Der Humor ist prollig, zuweilen aber auch erfrischend frech. Unsere Clique schlägt sich mit radebrechendem Englisch durch und kollidiert ständig mit den strengen US-Alkoholgesetzen, denn quasi permanent wird Dosenbier verköstigt. Auch wenn nicht jeder Running Gag sitzt (bspw. Günnis falsche Korrekturen von Fremdwörtern), ist die Trefferquote recht hoch. Köstlich zum Beispiel, wie Zombie Country-Musik für sich entdeckt. Trashig hingegen die Rock’n’Roll-Gesangseinlage im Knast, und dass ausgerechnet Günni in Las Vegas als zehnmillionster Besucher eines Kasinos gefeiert wird und dort auch noch fett abräumt, ist ebenfalls großer Quatsch, der die eher karge Handlung etwas notdürftig voranbringt. Die Poolbadeszene mit Silikonhupentussies ist zudem ziemlich abtörnend.

Dafür werden geile Ami-Schlitten hübsch in Szene gesetzt und immer mal wieder die Weite der Highways stilisiert. In dieser Hinsicht ist der Film stark auf Günnis aus der Serie bekannte Leidenschaft für die USA und deren Autos zugeschnitten. Eine Autoverfolgungsjagd gegen Ende mündet in einer netten Pointe und ein bisschen Geballer – man ist schließlich in den NRA-USA. Filmhistorischen Geschmack beweist das „Spiel mir das Lied vom Tod“-Soundtrack-Zitat. Und daheim in Essen? Da hat Raoul tatsächlich eine rettende Idee für sein Restaurant, die eventuell gar spätere Szenegastronomie-Trends vorwegnimmt.

Unterm Strich ist „Und tschüss! In Amerika“ der verglichen mit dem vorausgegangenen Abstecher nach Mallorca bessere Nachklapp zur Serie, für den man mit dem Regisseur sogar jemand Deutschen verpflichten konnte, der bereits einige Jahr in den USA als Filemacher tätig gewesen war. Nicht übel, wenn auch der Charme der Serie allein schon aufgrund des veränderten Schauplatzes und des Fehlens großer Teile der Clique nicht ganz erreicht wird.
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Türkische Früchte

„Ich fick' besser als Gott!“

Während (nicht nur) Deutschland in der ersten Hälfte der 1970er unter einer Welle billiger Sex-„Report“- und Fummelfilmchen ächzte (und der eine oder andere ganz Fertige vielleicht sogar stöhnte), verfilmte der ambitionierte niederländische Regisseur Paul Verhoeven („RoboCop“) im Jahre 1973, noch am Anfang seiner Karriere stehend, einen autobiographischen Roman Jan Wolkers‘ auf Grundlage eines Drehbuchs Gerard Soetemans und nutze die noch jungen Freiheiten in der Darstellung von Nacktheit und Sexualität für ein Liebesdrama in radikaler Bildsprache. „Türkische Früchte“ wurde im Jahre 2000 auf dem Niederländischen Filmfestival zum besten niederländischen Film des Jahrhunderts gekürt. Rutger Hauer und Monqiue van der Ven debütierten hier eindrucksvoll.

„Bleiben Sie manierlich!“

Bildhauer Eric Vonk (Rutger Hauer, „Blade Runner“) erwacht in seiner Wohnung aus Träumen voller Mordfantasien und onaniert wie besessen, um Druck abzubauen. Da er daraus keine Befriedigung erlangt, räumt er sein verwahrlostes Appartement auf und putzt es heraus, um anschließend die Straßen Amsterdams auf der Suche nach willigen Sexualpartnerinnen zu durchstreifen – mit einigem Erfolg. Eric wurde, wie er jetzt ist, aufgrund eines unverarbeiteten Belastungstraumas, das aus seiner unglücklich verlaufenen Beziehung zu Olga Stapels (Monique van de Ven, „Das Mädchen Keetje Tippel“) resultierte. Diese lernte er vor zwei Jahren kennen, als sie per Anhalter reiste. Sofort hatten sie Sex miteinander. Kurz darauf erleidet er mit ihr zusammen einen Autounfall, an dem Olgas spießbürgerliche Mutter (Tonny Huurdeman, „De blanke slavin“) Eric die Schuld gibt. Sie hasst Eric. Doch Olgas und Erics Liebe zueinander ist stärker und aus einer leidenschaftlichen Affäre wird eine intensive Liebesbeziehung, auf die bald die Heirat folgt. Aber das noch junge Glück erweist sich als zerbrechlich und währt nicht lang…

„Schmeck' ich gut?“ – „Nach Austern!“

Mit einer Abfolge mehrerer Morde lockt Verhoeven sein Publikum zunächst auf eine falsche Fährte, denn sie entpuppen sich als visualisierte Fantasiegebilde Erics, der in seiner Schmuddelbude (mit „Barbarella“-Plakat an der Wand) vor sich hinvegetiert – bis er einen Rappel kriegt und beschließt, zum egoistischen Aufreißer zu werden. So bumst er sich durchs Leben, um seinen Trennungsschmerz zu betäuben, bis eine ausgiebige Rückblende seine Beziehungsanbahnung zu Olga und alles, was daraus folgen sollte, zeigt. Gegen alle Widerstände ziehen sie ihre Beziehung durch, und erstmals wohnt den freizügigen Szenen so etwas wie Erotik inne. Die Eheschließung wird relativ spontan vollzogen, Olga und Eric sind sehr glücklich miteinander – und auch ihre Familie muss dies widerwillig akzeptieren. Eine Hochzeitsreise an den Strand wird in ausgesprochen schönen Bildern illustriert. Eric ist zwar frech, aber nicht das Arschloch, als das wir ihn kennengelernt haben. Sie sind ein freizügiges, lebenslustiges paar, dem Leidenschaft und Glück aus jeder Pore spritzen.

„Du sollst mich nicht mehr küssen!“

Daran ändert auch der Tod Olgas Vaters (Wim van den Brink, „Die Rothaarige“) erst einmal nichts. Doch Eric hat auch einen sehr impulsiven Charakter. Auf einer überdrehten, unter einem Rotfilter gefilmten Familienfeier, auf der ein schlüpfriger Flachwitz nach dem anderen gerissen wird, macht Olga plötzlich mit einem anderen Mann herum, woraufhin er quer über den Esstisch und auf ihr Dekolleté kotzt – welch eine Szene! Er verpasst ihr zudem eine Ohrfeige und haut ab, woraufhin sie telefonisch mit ihm Schluss macht. Eric zerlegt seine Bude, sein Schmerz ist spürbar und er beginnt, zu verwahrlosen. Er besucht sie und redet mit ihr. Sie habe einfach Bock auf einen anderen Mann gehabt, sagt sie ihm offen ins Gesicht. Eric vergewaltigt sie, ihre Mutter erwischt ihn dabei und erzwingt den Abbruch.

Der Tonfall des Films hat sich damit entscheidend geändert. Nun wirkt es, als sei ein gewalttätiger Soziopath auf eine promiskuitive Schlampe getroffen und als habe diese Konstellation ohnehin niemals gutgehen können. Für einen Kontrast sorgen schöne Bilder, in denen Eric einen Vogel, den zuvor gefangen und aufgepäppelt hatte, am Meer freilässt – eine Versinnbildlichung seines Loslassens von Olga? Als sie sich zufällig wiedertreffen, scheint sie verrückt geworden zu sein, bricht zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Nun ist Eric ganz für sie da – als handele es sich zwischen den beiden dann doch um die wahre, große Liebe. Der Tonfall ändert sich erneut; aus der erst bizarren, dann beschwingten und schließlich aggressiven Handlung wird ein todtrauriger Film, der einem ein Happy End vorenthalten wird.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass „Türkische Früchte“ ein inkohärent erscheinendes Filmerlebnis wäre, im Gegenteil: Er deckt anhand eines exemplarischen Extrembeispiels verschiedene Beziehungsphasen ab. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer spießbürgerlichen Moral, die er offensiv angreift und gegen die sich das Paar behaupten muss. Dabei macht er es seinem Publikum nicht immer leicht, denn ein Mindestmaß an Konzentration ist erforderlich, um die Erzählstruktur mit ihren Rückblenden und Zeitsprüngen zu verstehen; die Zeitabstände zwischen seinen Sequenzen werden zudem nur selten näher definiert. Verhoeven vereint hier inhaltliche Einflüsse aus „ Love Story“ mit der Aufbruchsstimmung eines New Hollywood und einem europäischen düsteren Touch. Letzterer nimmt fortwährend zu, nachdem Verhoeven zunächst mit gepfiffener Easy-Listening-Musik manch Szene trotz gewaltvoller Inhalte komödiantisch anmuten ließ.

Auf der visuellen Ebene bietet „Türkische Fürchte“ nicht ganz triviale Kamerafahrten, aber interessanterweise bei Weitem noch nicht die Edel-Optik Verhoevens späterer Filme. Seine Darstellung von Liebe, Lust und Sexualität, aber auch maskuliner Aggressivität wirkt authentisch unbehauen und provoziert mit ihrer Offenheit. Dass sich Erics Gespielinnen ihm zur Triebabfuhr während seiner Kompensationsphase allesamt ohne Weiteres willig hingeben, muss dabei ebenso akzeptiert werden wie Olgas nicht ganz motiviert erscheinende Fremdgeherei, wobei beides im Kontext der Zeit – sexuelle Revolution etc. – betrachtet werden sollte. Alles in allem ist „Türkische Früchte“ ein starker, auf die eine oder andere Weise sicherlich niemanden kaltlassender Film, der hierzulande einen höheren Bekanntheitsgrad verdient hätte.
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