Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Do 6. Jun 2024, 18:42
Furiosa: A Mad Max Saga
„Where are you going, so full of hope? There is no hope!“
Mit „Mad Max: Fury Road“ belebte der australische Erfinder der Reihe, George Miller, im Jahre 2015 sein eigenes Endzeit-Action-Franchise fulminant wieder und räumte zurecht diverse Oscars ab. Neun Jahre später erzählt er nun die Vorgeschichte der dort eingeführten Figur Furiosa – in fünf Kapiteln zweieinhalb Stunden lang.
„Lady and gentlemens, start your engines!”
Die kleine Furiosa (Alyla Browne, „Three Thousand Years of Longing“) ist Teil des Vuvalini-Stamms, der in Eintracht mit der Natur eine grüne Oase bewohnt. Eines Tages wird sie von zwei zu Dementus‘ (Chris Hemsworth, „Thor“) nomadischer Motorradbande gehörenden Banditen entführt, um gegenüber ihrem Anführer den Beweis zu erbringen, dass ein solches Fleckchen Erde zwischen all den postapokalyptischen Ödlanden existiert. Ihre Mutter Mary (Charlee Fraser, „Wo die Lüge hinfällt“) verfolgt die Banditen und versucht, ihre Tochter zu befreien, was jedoch misslingt und sie mit dem Tod bezahlt. Fortan ist Furiosa gezwungen, bei Dementus zu leben. Als dieser nach einiger Zeit von einem Warboy des Warlords Immortan Joe (Lachy Hulme, „Matrix Revolutions“, der den 2020 verstorbenen Hugh Keays-Byrne ersetzt) zu dessen Zitadelle geführt wird, sieht er seine Chance gekommen, von dessen Zugriff auf Treibstoff und Munition zu profitieren. Er nimmt die Ölraffinerie ein und zwingt Immortan Joe zu einem Abkommen: Er liefert das Benzin, Immortan Joe im Gegenzug Nahrungsmittel. In diesem Zuge muss er aber auch Furiosa an Immortan Joes Volk übergeben. Mit viel List gelingt es ihr dort, ihrem Schicksal als Gebärmaschine zu entkommen. Sie entwickelt sich zu einer wehrhaften jungen Frau (nun Anya Taylor-Joy, „Das Damengambit“), die stets die Rache an Dementus im Hinterkopf behält…
Eine Erzählinstanz aus dem Off führt in den Film ein, meldet sich im weiteren Verlauf aber nur höchst selten zu Wort, bis sie am Ende ihren Monolog wieder aufgreifen darf; sie verleiht dem Film etwas von einer unwahrscheinlichen Lagerfeuergeschichte. Der Auftakt ist geprägt von einer Verfolgungsjagd, die nicht nur spannend inszeniert ist, sondern auch dafür genutzt wird, mit den Gegebenheiten – allen voran der Ressourcenknappheit, dem Umgang der Menschen damit und dem wenigen Wert, dem ein Menschenleben beigemessen wird – dieser postapokalyptischen Wüstenwelt vertraut zu machen, und zwar über unkommentierte Bilder und Handlungselemente, denn „Furiosa: A Mad Max Saga“ ist alles andere als ein geschwätziger Film. Im weiteren Verlauf wird dann auch nicht alles haarklein auserzählt, konzentriertes Hinsehen hilft aber ebenso wie 1 und 1 zusammenzuzählen, um sich Auslassungen selbst herzuleiten. Auch wenn „Furiosa: A Mad Max Saga“ auf Schauwerte setzt, ist er kein stumpfsinniger, oberflächlicher Film.
Er deckt einen enormen Zeitraum und damit mehrere Phasen aus Furiosas Leben ab, die verständlich machen, wer Furiosa ist und wie sie zu jener Frau wurde, wie sie in „Fury Road“ noch von Charlize Theron verkörpert wurde. Wie Miller und sein Team diese Kapitel gestalten, steckt einmal mehr voller abgefahrener Ideen, von denen Dementus‘ Biker-Gang vermutlich noch die Endzeit-Action-konventionellste ist – auch wenn sie nirgends sonst derart groß gewesen sein dürfte. Immortan Joes Reich aus Zitadelle, Gas Town und Bullet Farm ist eine beängstigend verrückte Dystopie mit „Warboys“ als treu ergebenen Kamikaze-Kämpfern, versklavten Frauen und Madenzucht auf Leichenteilen. Der „History Man“ (George Shevtsov, „Backtrack – Tote vergessen nicht“) scheint das Weltwissen in komprimierter Form auf seinem Körper tätowiert zu tragen. Technik inmitten all dem Archaischen wirkt funktional improvisiert und ausgetüftelt zugleich. Und dann sind da natürlich noch die Fortbewegungsmittel, von wüstentauglichen Motorrädern über Dementus‘ von Motorrädern statt Pferden gezogenen Streitwagen und seinen Monstertruck bis hin zum gepanzerten und schwerbewaffneten Treibstofftransporter.
Die bis ins Detail liebevoll ausgearbeiteten Stunts und Actionsequenzen („Szenen“ wäre untertrieben) spotten jeder Beschreibung, ihr Höhepunkt ist ein verlustreicher Überfall auf den von Praetorian Jack gesteuerten (Tom Burke, „Mank“) Treibstoff-Konvoy. Dem gegenüber stehen ruhigere Passagen, die dem Film eine wundervolle Dynamik verleihen und vornehmlich genutzt werden, um Furiosa zu charakterisieren. Und während wir einer Frau bei ihrer Entwicklung zu einer erwachsenen Kämpferin zusehen, beobachten wir nach und nach ihren Gegenspieler Dementus beim Verfall. Bei aller Grausamkeit hat diese Figur in ihrem Größenwahn, kombiniert mit Zynismus und Nihilismus, etwas Tragikomisches, ohne dass sie an Gefährlichkeit einbüßen würde. Im letzten Filmdrittel folgen mehrere Showdowns aufeinander, von denen der letzte der ruhigste und intimste ist und Furiosas Talisman, einen Pfirsichkern, seiner Bestimmung in einem grotesken, horriblen Bild zuführt.
„Furiosa: A Mad Max Saga“ ist ein intensives und bildgewaltiges, mit überbordender Lust an visueller Gestaltung und Ästhetik ausgearbeitetes Rache-Epos, das Endzeit-Action mit Italo-Western-Nihilismus und -Atmosphäre sowie comichafter Überzeichnung, insbesondere bei den Figuren, zu einem wahrlich furiosen Spektakel vereint. Dass Miller & Co. dafür, wie bereits für „Mad Max: Fury Road“, auf Computerunterstützung zurückgreifen, schadet dem Film dabei nicht. Zumindest im Zusammenhang mit ohnehin artifiziell-comichaften Werken stören mich CGI in dieser Qualität nicht mehr. Der von Junkie XL komponierte Soundtrack lässt ebenfalls nichts anbrennen, haut ordentlich auf die Kacke, beherrscht aber auch die Klaviatur der leisen Töne.
Good old Max taucht gegen Ende kurz auf, aber, wie es der Titel bereits verrät, gehört dieser Film in erster Linie Furiosa. Klar, der ganz große Knall- und Überraschungseffekt, den „Fury Road“ noch bescherte, bleibt hier aus. Man setzt nicht noch einen drauf, sondern variiert in Konzept, Stimmung, Tempo. Dennoch beweist „Furiosa: A Mad Max Saga“, dass George Miller und der „Mad Max“-Reihe nach wie vor so schnell niemand in Sachen Endzeit-Action etwas vormacht. Am besten im Kino genießen!