Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben:Das sollte verwundern :?
Haha, so ein Quatsch :lol: 1990 war's natürlich, hab's korrigiert...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Treibjagd

„Internet ist nur für Spacken!“

Der elfte Fall des Kriminalhauptkommissars Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und der fünfte der Oberkommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) wurde im Frühjahr 2018 in Hamburg gedreht und im November desselben Jahres erstausgestrahlt. Die Drehbuchautoren sind Benjamin Hessler und Florian Öller, die Regie übernahm Serienregisseurin Samira Radsi, die kurz zuvor mit dem „Tatort: Schlangengrube“ innerhalb der Reihe debütiert hatte.

Hamburg-Neugraben, zu Teilen ländliches, bürgerliches Randgebiet im Süden, zu Teilen Migrantenhochburg, wird von einer Einbruchsserie heimgesucht. Widerstand bildet sich, die Bevölkerung will das Gesetz in eigene Hände nehmen. Julia Grosz und Thorsten Falke sollen vor Ort Präsenz zeigen und die Situation beruhigen, können jedoch nicht verhindern, dass eines Nachts ein Einbrecher (Tilman Pörzgen, „Abschussfahrt“) von Hausbesitzer Kranzbühler (Jörg Pose, „Einer trage des anderen Last…“) erschossen wird. Dass man gegen den Notwehr beteuernden Schützen zu ermitteln beginnt, bringt die Bürgerwehr erst recht auf Zinne…

Schnell stellt sich heraus, dass der Tote, der vorher beim Vögeln mit seiner Freundin (Michelle Barthel, „Der zehnte Sommer“) im Auto gezeigt wurde, mitnichten in Notwehr erschossen wurde. Kranzbühler hatte sich von den markigen Worten der Bürgerwehr beeinflussen lassen und wollte ein Zeichen setzen. Sichtlich irritiert und erst im Nachhinein die Tragweite seiner Tat erkennend, lässt er sich von seinem Bruder (Andreas Lust, „Schwarzfahrer“) helfen, der ihn deckt. Jedoch: Es gab einen zweiten Einbrecher, die Freundin des Erschossenen. Auch auf diese wurde gefeuert. Verletzt versteckt sie sich im Wald, auf der Flucht sowohl vor der Bürgerwehr, die in ihr eine unliebsame Zeugin sehen, als auch vor der Polizei.

Falkes und Grosz‘ Fall orientiert sich stark an realen Fällen, in denen in Hamburg bzw. im Hamburger Umland Hausbesitzer junge Einbrecher erschossen, z.B. einen fliehenden in den Rücken. Wahr ist auch, dass gewisse Gegenden stark von Diebesbanden frequentiert werden und sich die Anwohner mehr Schutz wünschen. Wohin es führen kann, wenn sich diese alleingelassen fühlen, illustriert dieser „Tatort“, in der die Bürger zur Selbstjustiz greifen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes übers Ziel hinausschießen. Parallel zu ihren handfesten Aktivitäten betreibt man ein soziales Netzwerk im World Wide Web, in dem man sich gegenseitig aufputscht und die Polizei verhöhnt – was Konsequenzen in der nichtvirtuellen Welt nach sich zieht, beispielsweise wenn Falkes Sohn auf der Straße bedroht wird. Jenes Bürgerforum wird mit seinen Beiträgen und Likes auf die Kamerabilder gelegt, wie man es auch aus anderen zeitgenössischen TV-Produktionen kennt. Damit sprechen die Autoren diesem und ähnlichen Phänomenen Relevanz zu, statt sie als Internetgequatsche abzutun und damit zu verharmlosen – was Falke anzunehmen schwerfällt, wie sein obiges Zitat beweist.

Dennoch werden die „Wutbürger“ nicht pauschal verteufelt, in vielerlei Hinsicht bringt man Verständnis für sie auf. Dieses für die Diebestouren der jungen Bulgaren zu entwickeln, dürfte den Zuschauerinnen und Zuschauern wesentlich schwerer fallen, dafür schlägt man sich jedoch auf ihre Seite, wenn es um Leib und Leben geht. Wie sich Maya verletzt durchs Unterholz schlägt, transportiert diese besondere juvenile Mischung aus Schwermut und Kampfeswille. Die Kamera fängt dabei bemerkenswerte Bilder einer eher untypischen Gegend der Hansestadt ein. Mit dem Verzicht aufs Whodunit? und starker Fokussierung auf die Bürgerwehr inszenierte man „Treibjagd“ eher in Thriller- denn gewohnter TV-Krimi-Manier und landet schließlich im tragischen Drama, wenn am Ende ein weiteres Opfer hinzukommt und gleich mehrere Leben verpfuscht sind. Ein Fatalismus, der in seiner Konsequenz überrascht und nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Woran es diesem über weite Strecken gut gelungenem „Tatort“ mangelt, sind nachhaltige Lösungsangebote an die einbruchsgeplagten Stadtbewohner. Dafür überzeugt er mit seiner differenzierten Darstellung beider bzw. inkl. Polizei aller drei Parteien – was mehr ist, als man von vielen sich Stereotypen bedienender Produktionen erwarten darf.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Wir kriegen euch alle

Batic/Leitmayr (Miroslav Nemec/Udo Wachtveitl) und kein Ende: Der 80. Fall des Münchener Ermittlerduos entstand unter der Regie Sven Bohses – nach „Borowski und das Land zwischen den Meeren“ sein zweiter Beitrag zur Krimireihe – nach einem Drehbuch Michael Proehls und Michael Comtesses und wurde am ersten Advent 2018 erstausgestrahlt. Achtung: Diese Kritik enthält Spoiler.

Die Kommissare sehen sich mit einem grausamen Verbrechen konfrontiert: Die Eltern der kleinen Lena (Romy Seitz) wurden in ihrer Villa ermordet und verstümmelt. Dem Vater wurden die Genitalien abgetrennt und mit Blut die Drohung „Wir kriegen euch alle“ an die Wand geschrieben. Lena wiederum war betäubt und in den Garten gesetzt worden. Diese hatte, wie auch die Bilder der Überwachungskamera belegen, einem Mann im Weihnachtsmannkostüm nachts die Tür geöffnet, nachdem sie jemand über ihre sprechende Smart-Puppe Senta darum gebeten hatte. Lenas Vater stand im Verdacht, seine Tochter zu missbrauchen, ihre Mutter, tatenlos zuzusehen. Die Ermittlungen führen deshalb zunächst zu einer Selbsthilfegruppe für männliche Missbrauchsopfer, in die sich Batic unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einschleust. Zum engsten Kreis Verdächtiger zählt schnell das erwachsene Missbrauchsopfer Hasko (Leonard Carow, „Kaltfront“), dem die Kripo nun auf die Pelle rückt. Jedoch bestehen berechtigte Zweifel, dass er der alleinige Täter ist…

Früher gruselte man sich vor sprechenden, allzu menschlichen Puppen, heute holen sich Kinder respektive deren Eltern solche Exemplare in Form moderner Superwanzen, die die Gespräche der Kinder mit ihnen „in der Cloud“ speichern und die zudem derart hackbar sind, dass Dritte die Kommunikation steuern können, freiwillig ins Haus. U.a. vor dem allzu laxen Umgang mit derartigen Gadgets möchte dieser „Tatort“ warnen, wobei der Verkauf solcher Puppen in Deutschland mittlerweile untersagt ist. Das wissen auch die Täter dieser Episode und lassen sich die Geräte aus Österreich importieren. Mit seinem Weihnachtsmann-Motiv passt dieser Fall gut zum ersten Advent, sollte man meinen. Er spielt jedoch in der warmen Jahreszeit, dennoch scheint sich keines der Kinder über den Besuch des Weihnachtsmanns zu wundern. Das „Tatort“-Publikum umso mehr, das zumindest die in bester Horrormanier inszenierten Sequenzen um Sprechpuppe und nächtlichen Mörderbesuch genießen und wohligen Schauer empfinden darf.

Parallel lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer eine weitere vermögende Familie kennen, deren jüngster Spross (Lilly Walleshauser) mutmaßlich vom Familienoberhaupt (Stephan Schad, „Die Lüge“) missbraucht wird. Der über seinen bzw. mit seinem Sohn Louis im jungen Erwachsenenalter (Jannik Schümann, „Homevideo“) höchst abfällig redende Karrierist wird als echter Kotzbrocken charakterisiert, dem man alles zutraut. Den Lebenswandel seines Filius empfindet er als Familienschande und als dieser bekanntgibt, das ostasiatische Au-Pair-Mädchen Maggie (Yun Huang) ehelichen zu wollen, ist endgültig der Ofen aus. Abseits dieses Erzählstrangs verhält sich der verdächtige Hasko reichlich (und unrealistisch) dumm, wenn er erahnt, dass er in einer U-Bahn-Station observiert und verfolgt wird, jedoch eine abonnierte Zeitschrift samt Adressaufkleber im öffentlichen Mülleimer entsorgt. Die Bayernbullen wiederum überschreiten ihre Kompetenzen, dringen ohne Genehmigung in fremde Wohnungen ein, schlagen um sich und sperren einen Klaustrophobiker in eine Zelle, bis dieser sich in Panik den Kopf aufschlägt – jeweils ohne, dass das Drehbuch die Polizeigewalt problematisieren würde. Da mutet es beinahe wie eine sicherheitswahrende Maßnahme an, wenn Batic in einen Keller gesperrt und damit eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt wird.

Anstatt zu Selbstjustiz motivierendem Versagen von Prävention, Kinder-/Jugendschutz und Justiz zu thematisieren oder auch es schlicht bei dieser Konstellation zu belassen, die Täter zu überführen und gleichzeitig das nächste Kind vor weiterem Missbrauch zu bewahren, schlägt das Drehbuch Kapriolen und entspinnt eine hanebüchene Wendung, in der Louis‘ Charakter sich um 180° dreht und er die Mörder per falschem Missbrauchsvorwurf instrumentalisiert, um seinen Vater und dessen Gespielin loszuwerden. Die gezeigte Selbstjustiz wird demnach insofern verurteilt, als man darstellt, wie sie infolge eines Rufmords aus egoistischen Motiven fehlgeleitet wird. Damit umschifft man die eigenen eingangs aufgeworfenen Fragen nach Rache und Genugtuung: Kann eine böse Tat durch eine weitere böse Tat gesühnt werden? Einigen gelungenen, stark symbolschwangeren Szenen wie der des Regenschirms am Ende zum Trotz ist dieser „Tatort“ eine ziemlich dünne Suppe geworden, deren Zutaten nur leidlich zueinander passen wollen und der sich ums eigentliche Thema drückt. Was (hoffentlich) bleibt, ist ein gesteigertes Bewusstsein für die Gefahren sog. Smart-Gadgets.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Borowski und das Land zwischen den Meeren

Nordsee ist Mordsee

„Da haben sich zwei gefunden: Die Wollust und die Gier!“

Sein 31. Fall führt den Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) auf die fiktive nordfriesische Insel Suunholt – erstmals allein, nachdem sich seine Kollegin Sarah Brandt hat versetzen lassen und noch vor Einführung der neuen Kommissarin Mila Sahin. Es handelt sich um den ersten Beitrag des Regisseurs Sven Bohse („Weihnachten für Einsteiger“) zur Krimireihe, der das Drehbuch zusammen mit Peter Bender und Ben Braeunlich verfasste. Bereits am 7. Oktober 2017 wurde dieser „Tatort“ auf dem Hamburger Filmfest gezeigt, die TV-Erstausstrahlung folgte am 25. Februar 2018.

Dass Inselbewohnerin Famke Oejen (Christiane Paul, „Hindenburg“) ihren Freund Oliver Teuber (Beat Marti, „Callgirl Undercover“) tot in der Badewanne aufgefunden hat, ruft Borowski auf den Plan, der vom Festland nach Suunholt übersetzt. Dort sieht er sich mit einem ungewöhnlichen Beziehungskonstrukt konfrontiert: Wie aus dem Nichts war Teuber auf der Insel aufgetaucht und auf Famke getroffen, woraufhin man sich Hals über Kopf ineinander verliebte, sich jedoch schwor, einander nichts über sich und seine Vergangenheit zu erzählen. Das passte Teuber sehr gut, schließlich handelte es sich bei ihm um einen abgetauchten ehemaligen Mitarbeiter der Bauaufsichtsbehörde, der in einen Bestechungsskandal verwickelt war. Auf der Insel muss Borowski mit den Dorfpolizisten Maren Schütz (Anna Schimrigk, „Endstation Glück“) und Gunnar Peters (Jörn Hentschel, „Willkommen bei den Honeckers“) zusammenarbeiten, die zunächst wenig professionell agieren und derartige Vorfälle auf ihrer beschaulichen Insel sichtlich nicht gewohnt sind. Es stellt sich heraus, dass die sexuell überdurchschnittlich aktive Famke vor Ort nicht den besten Ruf genießt und u.a. Bäcker Torbrink (Yorck Dippe, „Auf der Straße“) zum Ehebruch verhalf. Schweinebauer Iversen (Marc Zwinz, „Die Schimmelreiter“) macht ebenfalls einen nicht ganz unverdächtigen Eindruck und die gottesfürchtige alte Schachtel Margot Hilse (Heike Hanold-Lynch, „Volltreffer“) sowie ihr Neffe Daniel (Leonard Carow, „Kaltfront“) scheinen Teubers Tod für so etwas wie eine logische Konsequenz zu halten. Der Zorn Gottes über das unzüchtige Treiben bringe sich zudem im aufziehenden Unwetter zum Ausdruck…

Eine Schwimmerin entsteigt dem Meer und flüstert etwas aus dem Off. Sie entpuppt sich als Famke Oejen, die mystifiziert wird und bis zum Schluss undurchsichtig bleibt. Ihre Person verknüpft das Drehbuch lose mit der Sage von Rungholt, eine Insel, über die einst tatsächlich der Gotteszorn hereingebrochen sei, sowie Zitaten aus Theodor Storms „Eine Halligfahrt“. Faszinierende Bilder des platten Insellands werden von der Entzauberung einer vermeintlichen Dorfidylle, in der Andersartigkeit und sexuelle Aktivität als Störfaktoren gelten, ebenso kontrastiert wie von aufziehenden, leider recht künstlich aussehenden Naturgewalten und visualisierten Alpträumen Borowskis. So entsteht eine mystisch-melancholische, bedrückende Atmosphäre, eines der größten Pfunde dieses „Tatorts“ und steter Hinweis auf im Verborgenen liegende düstere Geheimnisse.

Während narrativ neben den Ermittlungsergebnissen des betont in sich ruhenden Kommissars mit in Rückblenden visualisierten Erinnerungen gearbeitet wird, bringt Christiane Paul in ihrer Rolle als attraktive Frau mittleren Alters eine kleine erotische Komponente ein und schafft es sogar, Borowski für eine gemeinsame Nacht um den Finger zu wickeln. Dennoch behält Borowski letztlich professionelle Distanz, ist jedoch auf die Mitarbeit der um die Gutmachung anfänglicher Pannen bemühten örtlichen Kolleginnen und Kollegen angewiesen, wobei besonders Jungpolizistin Schütz, von Schimrigk großartig gespielt, sich als unverzichtbar, gar lebensrettend erweist. Nachdem der Schweinebauer seinem eigenen Vieh zum Fraß vorgeworfen wurde, verdichtet sich eine Spur, die in eine Verquickung von weltlichem schnödem Mammon und zu dessen Zwecken ausgebeuteter Sexualität führt, die Teubers Tod aber noch immer nicht erklärt – was bis zum Ende Fragen offenlässt, die letztlich auf befremdliche Weise aufgeklärt werden.

Dieser Aspekt sollte dann jedoch im Publikumsinteresse längst hinter das dysfunktionale Dorfkonstrukt und die Traurigkeit und Zerbrechlichkeit hinter der selbstbewussten Fassade der mysteriösen Famke zurückgefallen sein, die in Kombination mit der oben beschriebenen sehr speziellen Atmosphäre Borowski fast zum Statisten degradiert und uns einen „Tatort“ beschert, bei dem man sich am liebsten tief in eine wärmende Decke kuschelt.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Der treue Roy

Ein Ort namens Lederhose

Mit „Der treue Roy“, dem dritten Einsatz des komödiantischen Weimarer „Tatort“-Ermittlungsduos Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen), brach man erstmals mit dem ursprünglichen Konzept der Ausstrahlung an Feiertagen: Der erneut von Murmel Clausen und Andreas Pflüger geschriebene und diesmal vom bereits „Tatort“-erfahrenen Regisseur Gregor Schnitzler („Was tun, wenn’s brennt?“) inszenierte Fall wurde am 24.04.2016 erstausgestrahlt.

Stahlarbeiter Roy Weischlitz (Florian Lukas, „Der Hauptmann von Köpenick“) scheint Suizid begangen zu haben, indem er in die Hochofenschlacke seines Arbeitgebers sprang – seine Kollegen finden nur noch ein verkohltes Skelett und einen Abschiedsbrief. Die Kripo glaubt jedoch nicht an Selbstmord, sondern vermutet ein Kapitalverbrechen und nimmt ihre Ermittlungen auf. Roys Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt, „Transpapa“) zufolge bemalte Roy in seiner Freizeit Zinnsoldaten und galt eigentlich als unsterblich, seit er eine Hochhaussprengung überlebte – im Inneren des Gebäudes. Sein in Spiegelschrift verfasstes Tagebuch führt zu einem Lottogewinn, da er es stets auf den Rückseiten der Lottoscheine zu verfassen pflegte – und damit zu einem Kreis Verdächtiger auch über den „Flamingo“ genannten Karsten Schmöller (Thomas Wodianka, „Stiller Sturm“) hinaus, Roys Ex-Kollege und Siegrieds Ex-Verlobter, der bei einem von Roy verschuldeten Arbeitsunfall ein Bein verlor. Flamingo wiederum ist befreundet mit Zuhälter bzw. Kommunikationsberatungsspezialist Frank Voigt (Sebastian Hülk, „Wer ist Hanna?“), in dessen vermeintlich tschechische Prostituierte Irina (Nadine Boske, „Tore tanzt“) Roy sich verguckt hatte…

„Kack mir doch in‘ Schuh!“

Skurrile, schrullige Charaktere, ausgetüftelte Pläne und vertrackte Fälle – das sind die Zutaten auch dieses Weimarer „Tatorts“, der besonders schwarzhumorig ausgefallen ist und dessen Zahl Toter sich zum Ende hin potenziert. Rückblenden in Schwarzweiß helfen, das große Puzzle nach und nach zusammenzufügen, während die sarkastische Dorn und Klugscheißer Lessing über die wendungsreiche Entwicklung genauso staunen wie das Fernsehpublikum. Dabei begeben sie sich in manch ungewohnte Situation – so lässt sich Dorn in Siegrids Kosmetikstudio beinahe bis zur Unkenntlichkeit aufdonnern – und geraten sogar in Lebensgefahr. Letzteres wird problematisch, denn dass ein Täter Kira Dorn einen Revolver an die Schläfe hält und abdrückt, entfacht zwar seine volle Wirkung, will aber so gar nicht zum heiteren Tonfall dieser „Tatort“-Episode passen. Auch der Humor fiel diesmal weniger feinsinnig aus und driftet bisweilen ins Klamaukige und Absurde ab. Zudem hapert es mit der Logik hier und da; so halte ich es für fraglich, ob Dorn am Ende tatsächlich so entspannt am Krankenbett eines Typen stehen würde, der sie kurz zuvor beinahe umgebracht hätte.

„Führerschein und Jagdlizenz auf Lebenszeit: Das ist Russisch Roulette – mit allen Kugeln!“

Nachdem „Der treue Roy“ mit ein paar dramaturgischen Anlaufschwierigkeiten in Fahrt gekommen ist, bietet er aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit spannende Unterhaltung, immer wieder mal aufgelockert durch ein paar echte Lacher, und macht mit seinem eingespielten Team, vor allem der hervorragenden Chemie zwischen Tschirner und Ulmen, und seinen vielen Charakterfressen im Ensemble viel Freude. Als Zuschauer darf man sich indes wundern, wie wenig man Unsterblichkeit zu schätzen wissen, wie naiv man auf geldgierige, windige Weibsbilder hereinfallen, wie sehr ein Lottogewinn alles zum Negativen wenden kann – und wie schlecht man auch heute noch im Osten Englisch spricht. Verglichen mit anderen Weimarer „Tatorten“ kommen die Weimarer hier nicht sonderlich nicht gut weg, man degradiert sie zu etwas dümmlichen Witzfiguren. Das dürfte im komödiantischen Rahmen noch akzeptabel sein, jedoch auch dazu beigetragen haben, dass sich bei Kenntnis aller bis dato ausgestrahlten Weimarer Fälle dieser aller Qualitäten zum Trotz als der schwächste anfühlt – und im Osten der Republik dürfte man mit ihm einen schwereren Stand gehabt haben.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von Reinifilm »

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Zuletzt geändert von Reinifilm am Mo 7. Jan 2019, 02:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von Reinifilm »

„Weiter, immer weiter“ - von den Kölner Schnarchbacken erwarte ich sonst nicht viel, der hier war aber großartig. Und auch verdammt gut (die Verfolgungsszene in der Waschanlage!) gefilmt. 09/10
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karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von karlAbundzu »

Kennt jemand, oder hat sogar, den Tatort: Peggy hat Angst? Ich bin durch einen Song drauf gekommen, und der klingt echt gut, giallomäßig.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Reinifilm
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von Reinifilm »

karlAbundzu hat geschrieben:Kennt jemand, oder hat sogar, den Tatort: Peggy hat Angst? Ich bin durch einen Song drauf gekommen, und der klingt echt gut, giallomäßig.
Edit: PN kommt gleich... :)
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Der Turm

„Ist ‘ne ziemlich hermetische Angelegenheit, dieser Turm…“

Der am zweiten Weihnachtsfeiertag 2018 ausgestrahlte, gänzlich unsaisonale achte Fall des Frankfurter Ermittlungsduos Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) wurde bereits im Herbst 2017 gedreht und Anfang März 2018 im Rahmen des „Deutschen FernsehKrimi-Festivals“ aufgeführt. Der titelgebende Turm im von Lars Henning („Zwischen den Jahren“) geschriebenen und gedrehten „Tatort“ ist ein 2018 abgerissenes Gebäude der „Deutsche Bank IBCF“. Es handelt sich um Hennings Debüt innerhalb der Krimireihe.

Im Frankfurter Bankenviertel wird die Leiche einer jungen Prostituierten gefunden, die von einem der Bürotürme gestürzt sein muss. Kommissarin Janneke knipst einige Fotos des Opfers und betritt das Gebäude, wo sie von einem Unbekannten niedergeschlagen wird und mit einem Schädelhirntrauma ins Krankenhaus eingeliefert wird. Ihr Kollege Kommissar Brix übernimmt die Ermittlungen vor Ort, während Janneke auf eigenen Wunsch das Hospital verlässt und die Fotos auswertet. Die Spur führt zu einem im Turm ansässigen halbseidenen Finanzspekulationsunternehmen, das in hohem Maße abgeschottet und konspirativ agiert – und seine Mitarbeiter zu absolutem Stillschweigen verdonnert hat, das im Zweifelsfall mit anwaltlicher Hilfe (z.B. durch Dr. Rothmann (Katja Flint, „Ballermann 6“)) gesichert wird. Die für die IT des Unternehmens mitverantwortlichen Jonathan (Rouven David Israel, „Der gute Bulle“) und Bijan (Rauand Taleb, „4 Blocks“) brechen jedoch ihr Schweigen und wissen nach anfänglichem Zögern von ausschweifenden Partys zu berichten, zu denen auch die tote Prostituierte bestellt wurde…

Da Janneke verletzungsbedingt im Krankenhaus oder zu Hause weilt, bekommt Brix diesmal Unterstützung von seinem jüngeren Kollegen Jonas (Isaak Dentler) – also wieder einmal alles ein bisschen anders in Frankfurt, was durchaus seinen Reiz besitzt. Henning beginnt seinen „Tatort“ mit stilistisch interessanten und kameratechnisch originellen Blicken durch Jannekes Fotokamera, präsentiert in seinem atmosphärisch unter Zuhilfenahme vieler Grünfilter düster und desillusorisch gestalteten Beitrag unappetitliche Bilder der nackten Leiche sowie eine verstörende Szene, in der sich Janneke einen Finger in ihre blutige Wunde steckt – und er bedient sich der Symbolkraft der Finanzbranche, um diese ein wenig umzudeuten: Der protzige Turm fungiert hier auch als Prestigebau, vor allem aber als technokratisches Monstrum, das die Undurchdringlichkeit eines weitestgehend anonymisierten Finanzspekulationsmarkts symbolisiert und verkörpert.

Die krebsgeschwürartige Geißel des internationalen Kapitalismus, dessen Stützpfeiler u.a. Bankunternehmen sind, die sich weitestgehend jeglicher Regulierungen und Verantwortung entziehen und stattdessen ihre eigenen Spielregeln aufstellt, denen sich längst die internationale Staatengemeinschaft anzupassen hat, ist Thema dieses „Tatorts“. Korruption und damit ihre Macht wird angedeutet, Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern, „Im Labyrinth des Schweigens“) ist nicht wirklich an der Aufklärung des Falls interessiert. So ist auch die Polizei letztlich machtlos und steht einem kaum greifbaren Konstrukt gegenüber, dessen Personalien allesamt nur austauschbare Spielfiguren sind (und eben nicht, wie in den dämlichen Verschwörungstheorien rechtsextremer Dummfatzkes, Mitglieder einer „jüdischen Weltverschwörung“ o.ä.). Tentakeln einer Krake, die die Welt in ihrem Würgegriff hält und der neue Fangarme nachwachsen, sobald man ihr einen abschlägt. Zum Bindeglied zwischen dieser Systemkritik und dem konkreten Fall des toten Mädchens wird ein dunkel gekleideter Motorradfahrer, der in seiner Rolle und Bedeutung stark an Massimo Dallamanos „Der Tod trägt schwarzes Leder“ erinnert. Eine Katharsis enthält Henning seinem Publikum konsequenterweise vor.

Das ungute Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem außerhalb von Recht und Gesetz agierenden Bankensystem vermittelt Henning in seinem dramaturgisch bisweilen unter seinen Möglichkeiten bleibenden „Tatort“, nicht mehr – aber glücklicherweise auch nicht weniger. Als Banken- und damit Verbrechensmetropole – immerhin ist z.B. die Deutsche Bank eines der skrupellosesten Unternehmen weltweit – wäre Frankfurt übrigens prädestiniert dafür, dieses Thema inkl. seiner hier eingeführten gesichtslosen Antagonisten regelmäßig wiederkehrend aufzugreifen, unabhängig davon, dass der Turm inzwischen dem Erdboden gleichgemacht wurde…
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