bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Rheingold

„Ich mache große ZUGeständnisse!“

Abteilung „Filme, die in der Bahn spielen“: Der Schweizer Niklaus Schilling („Nachtschatten“) präsentierte im Jahre 1978 auf der 28. Berlinale seinen deutsch (von Hauptdarstellerin Haltaufderheide) produzierten Thriller „Rheingold“, dessen Handlung sich im gleichnamigen Trans-Europ-Express abspielt, der die Niederlande über Deutschland fahrend mit der Schweiz verbindet.

Als der Rheingold in Düsseldorf hält, steigt Elisabeth Drossbach (Elke Haltaufderheide, „Die nackte Gräfin“) zu. Die Ende-30-jährige Frau trifft sich in der Bahn mit Zugkellner Wolfgang Friedrichs (Rüdiger Kirschstein, „Tatort: Reifezeugnis“), mit dem sie ihren Ehemann Karl-Heinz (Gunther Malzacher, „Der scharfe Heinrich“) betrügt, seit dieser aufgrund seiner Tätigkeit für die UNO kaum noch Zeit für sie hat. Als unerwartet auch Karl-Heinz zusteigt, droht das Verhältnis aufzufliegen…

Ein Scrolltext informiert über den titelgebenden Rheingold-Express, gefolgt von Bildern des ein- und abfahrenden Zugs zu unheilschwangerer Musik. Zugkellner Wolfgang latscht mit Fluppe im Mundwinkel durch die Waggons und fordert Elisabeth auf, ihren Mann zu verlassen. Doch dieser steigt in Bonn zu, womit die konfliktträchtige Ménage à trois komplett versammelt ist. Die wechselnde Landschaft fährt ständig an einem vorbei, womit dem Filmpublikum ein Blick durchs Zugfenster simuliert wird. Dass Elisabeth ihrem Mann, der mittlerweile kapiert hat, was läuft, einen Brieföffner schenkt, erweist sich – natürlich – als grob fahrlässig und es kommt, wie es kommen muss: Er sticht auf sie ein und verlässt den Rheingold.

Kurioserweise scheint Elisabeth wohlauf. Während ihr Mann versucht, den Zug per Taxi einzuholen, weil er dort seinen Koffer vergessen hat, bekommt die kaum blutende Elisabeth Besuch verschiedener Passagiere, die in ihr Abteil zu- und wieder aussteigen. Ein Opa erzählt seiner Enkelin die Legende von der Loreley, während sie am Rhein entlangfahren. Ein Astrologe quatscht sie voll, später ein schwarzfahrender Erfinder. Dieser wird erwischt, doch sie zahlt für ihn. Regisseur Schilling visualisiert Erinnerungen ihres Mannes aus glücklichen gemeinsamen Tagen sowie Elisabeths Erinnerungen, in denen jedoch hauptsächlich Wolfgang vorkommt, bis zurück in ihre Kindheit – denn so lange kennt man sich schon. Auch eine Sexszene im Zug wird in einer der Rückblenden angedeutet und beim Waschen auf dem Klo zeigt sie sich kurz oben ohne.

All das ist langsam bis langatmig erzählt, Elisabeth wirkt permanent seltsam phlegmatisch. Aufgelockert wird das Geschehen durch einige Außenaufnahmen des Rheingolds, u.a. aus der Vogelperspektive, sowie durch Blicke durch die Windschutzscheibe des Lokführers. Bahn-Nerds dürften frohlocken, Freundinnen und Freunde des gediegenen Thrills hingegen auf (Achtung, Spoiler!) eine spannende Zuspitzung durch das erneute Zusteigen Karl-Heinz‘ hoffen. Tatsächlich kommt es zu einer nonverbalen Auseinandersetzung zwischen beiden Männern, viel mehr aber auch nicht – bis zum überraschenden Dann-doch-noch-Ableben der Protagonistin. Man sah also gewissermaßen einer sterbenden Frau in ihren letzten Minuten zu.

Ob das der besondere Kniff dieses Films sein soll, weiß ich nicht, denn so oder so ist er inhaltlich wie dramaturgisch recht mau. Interessanter ist seine angenehme Ästhetik, insbesondere im Zusammenhang mit dem dann und wann regelrecht den 1980ern vorgreifenden Soundtrack Eberhard Schoeners. „Rheingold“ ist anscheinend so etwas wie style over substance aus deutschen Landen, weitestgehend unbekannt, aber formal vor allem dadurch bemerkenswert, dass er die zweite Hälfte der 1970er möglichst schnell hinter sich lassen zu wollen scheint und ebenso ungezwungen wie erfrischend die audiovisuellen Möglichkeiten des Kinos nutzt bzw. erforscht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Robin Hood und seine lüsternen Mädchen

„Was machen wir mit den Frauen?“

Der Schweizer Erwin C. Dietrich war nicht nur einer der europäischen Erotik- und Sexfilmpioniere nach der sexuellen Revolution in seinen Eigenschaften als Autor, Regisseur und Produzent, sondern im Falle der US-Kostüm-Erotikdramödie „The Ribald Tales of Robin Hood“, einer Sexploitation-Variation der klassischen Robin-Hood-Sage, auch ein gewiefter Einkäufer. Diesen im Jahre 1969 in den USA veröffentlichten Film des US-Regisseurs Richard Kanter („Das Schiff der liebestollen Frauen“), der vom Softsex kam und später auch echte Pornos zu drehen begann, erwarb Dietrich mit deutschen Produktionsgeldern, drehte einige Szenen nach und erweiterte ihn um Außenaufnahmen, um ihn 1970 als „Robin Hood und seine lüsternen Mädchen“ mit großem Erfolg in die europäischen Kinos zu bringen.

„Eine wilde hemmungslose Katze bist du!“

Robin Hood (Ralph Jenkins, „Träume junger Mädchen“) und seine Gefolgsleute Little John (Frank Nathan), Bruder Tuck (Eddie Nova, „Down and Dirty“), Will Scarlett (Paul Smith, „Immer wenn er Pillen nahm“) und Alan-A-Dale (Al Cranston) vergnügen sich im Sherwood Forest mit Wein, Weib und Gesang. Doch dem Sheriff von Nottingham (C.S. Poole), der aufgrund des intriganten Prinzen John (Steve Vincent, „Django Nudo und die lüsternen Mädchen von Porno Hill“) und dessen Ritters Sir Guy (James Brand, „Laila – Vampir der Lust“) auf Kriegsfuß mit dem rechtmäßigen König Löwenherz steht, sind sie ein Dorn im Auge. Eines Tages versucht er, ihnen mithilfe der attraktiven Maid Marian (Dee Lockwood, „Das geheime Sexualleben von Romeo und Julia“) eine tödliche Falle zu stellen…

„Was gilt schon das Wort eines Banditen?“

Nun also mal rein mit der Scheibe in den Player und für, ähem, Liebesfilmstudium fleißig mitnotiert (inklusive aller Spoiler, denn ein Spannungsfilm ist das nun eher nicht): Der Prolog erwischt einen direkt auf dem falschen Fuß, ist er doch alles andere als komödiantisch! Auf einen Disput folgen Vogelfreierklärung und ein Schwertkampf, in dessen Folge man sich auf die Frauen der Besiegten stürzt, ihnen die Kleider vom Leib reißt und sie misshandelt sowie vergewaltigt. Eine wahrlich fiese Szene. Doch ein totgeglaubter Jüngling erwacht auf dem Schlachtfeld… Nach dem Vorspann sieht man den ausgewachsenen Robin Hood mit einem Kompagnon trainieren, parallel dazu wird der Sheriff weiter gegen Hood aufgehetzt. Bei Hood und seinen Männern geht’s fröhlich und freizügig zu, es wird munter gevögelt – beispielsweise Hood mit der rothaarigen Polly (Bambi Allen, „Die Sadisten des Satans“), wie eine längere Softsexszene offenbart. Bei einem Kampf mit den Truppen des Sheriffs, die Lady Sallyforth (Lynn Cartwright, „Die Wespenfrau“) im Schlepptau haben, welche sich direkt mal oben ohne präsentiert, werden diese natürlich besiegt, was mit einem ausgelassenen Fest gefeiert wird. Blondine Tina (Terry Sands) zieht sich aus und legt sich auf den Sheriff, anschließend hält Hood ein Plädoyer für die Freiheit Englands, fesselt den Sheriff und die Lady nackt auf einen Esel und schickt sie zurück. Nun ist der Film eindeutig komödiantisch.

Maid Marian, eine ehemalige, unbedarfte und etwas naive, dafür umso süßere Freundin Hoods wird durch Erpressung widerwillig als Köder auf ihn angesetzt. Nichts Böses ahnend, verteidigt Hood sie gegen einen Lüstling aus den eigenen Rahmen. Man badet im See, zeigt sich nackt, macht miteinander rum und bekommt eine Softsexszene, die parallel zu Bildern eines Wasserfalls montiert wird. Als Köder taugt sie danach nicht mehr, denn sie sagt Hood die Wahrheit. Jedoch: Aus Eifersucht wird Polly abtrünnig und zur Verräterin. Dennoch wird sie von den Fieslingen gefoltert, damit sie das Goldversteckt verrät, und Hood tappt in die Falle. Der Film ist damit zurück im wenig appetitlichen Dramabereich. Die blonde Tina wird vergewaltigt und stirbt dadurch sogar. Marian und Hood landen in derselben Zelle, ihre Zuneigung ist stärker als die Zwietracht. Wie genau Hood aus seinem Gefängnis entkommt, wird seitens der Handlung kaum Beachtung geschenkt, dafür umso mehr, dass Marian angekettet und von der Lady entkleidet sowie sexuell bedrängt wird. Marian verweigert sich, wird aber mittels einer Vogelfelder gefoltert und zum Lecken gezwungen – womit der Film in tatsächlich recht erotische S/M-Gefilde vordringt.

Komödiantisch wird’s dann wieder während einer Nacktbadeszene dreier Mädels in der freien Natur, die von einem Mönch bespannt werden, der daraufhin ins Wasser fällt. Der Film endet mit Hoods Rache in Form eines finalen Kampfes, für den man sich offenbar daran erinnerte, dass er doch eigentlich als König der Bogenschützen gilt, und ihn nun erstmals Pfeil und Bogen einsetzen lässt. Marian wird befreit und alles ist erst einmal wieder gut.

Die Kampfszenen wirken mitunter etwas ungelenk, andererseits hat man nicht bei der Ausstattung gegeizt und ansehnliche Sets und Kostüme bereitgestellt. Dramaturgisch und atmosphärisch wirkt der Film, der einen gewagten Spagat zwischen Drama, Komödie und Erotik versucht, gerade deshalb ziemlich unrund, andererseits ist er doch relativ weit vom grottigen Humor vor allem deutscher Nackedei-Produktionen, die vornehmlich die 1970er fluten sollten, entfernt. Einerseits hat Kanter mit einem Laienensemble gedreht (in das sich irgendwie Paul Smith verirrt hat), andererseits ist dieses ziemlich gut aufgelegt. Einerseits ist die Mixtur aus Kostüm- und Erotik- bzw. Sexfilm arg gewöhnungsbedürftig und eigentlich ein Garant für schlechten Geschmack, andererseits geht man recht offenherzig vor und beschränkt sich nicht auf eine reine Oberweitenparade. Und last but not least erinnern die reinen Abenteuerszenen an nette Unterhaltung für den Sonntagnachmittag, sollte der Film andererseits aber wohl besser nicht gerade laufen, wenn die Schwiegereltern oder Nachbarn zum Kaffeeklatsch vorbeischauen. Als Kostümfilmmuffel hege ich den instinktiven Verdacht metaphysischen Charakters, dass es sich trotz allem um eine der unterhaltsamsten Robin-Hood-Verfilmungen handelt…
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Comedown

„Es ist scheiße dunkel hier...“

Der britische Regisseur Menhaj Huda („Streets of London – Kidulthood”) inszenierte mit „Comedown” einen im Jahre 2012 veröffentlichten Neo-Slasher, für den er ein Bemühen um Sozialrealismus mit den Regeln des Subgenres verband.

„Wir sind fett wie die Natter, aber wir müssen sie finden!“

Lloyd (Jacob Anderson, „Streets of London – Tag der Vergeltung“) ist Mitglied einer kleinkriminellen Jugendclique, die sich im Londoner Vorstadt-Ghetto durchzuschlagen versucht. Dieses möchte der gerade aus dem Strafvollzug entlassene junge Mann schnellstmöglich hinter sich lassen, denn seine Freundin Jemma (Sophie Stuckey, „The Dark“) erwartet ein Kind von ihm. In einem scheinbar leerstehenden Hochhaus soll er eine Antenne für einen Piratensender anbringen und im Gegenzug etwas Geld und Rauschmittel erhalten. Diesen Job nimmt er noch an und sucht zusammen mit Jemma und seiner Clique das Gebäude auf, gerät dort aber in Streit mit Jemma. Die Party lässt man sich davon erst einmal nicht vermiesen – sehr wohl aber von Jemmas plötzlichem Verschwinden und der baldigen Erkenntnis, in diesem Wohnblock nicht allein zu sein…

„Comedown“ reiht sich in eine Reihe von Genrefilmen ein, die in unübersichtlichen und mehr oder weniger gefährlichen bzw. gespenstischen Hochhäusern spielen. Hudas Stadtpanoramen, unter anderem aus der Vogelperspektive gefilmt, sehen beeindruckend aus und stimmen auf das für Slasher eher ungewöhnliche urbane Setting ein. Die sozialrealistischen Ansätze spiegeln sich in der vulgären Jugendsprache und der Zusammensetzung der Clique wider, zu der Schwarze und ein Pakistani (gleichwohl eine aufbrausende Nervensäge) zählen. Mit Taschenlampen erkundet man das dunkle Gebäude, mischt Drogen ins Bier und feiert, was in der Postproduktion mit ein paar Jumpcuts versehen wurde. Als Jemma entführt wird, bleibt ihr Entführer im Verborgenen, sodass Täter und Motiv offenbleiben. Dass man unter Drogeneinfluss steht, macht die Suche nach Jemma nicht unbedingt einfacher.

So hat der Antagonist dann auch relativ leichtes Spiel und kann weitestgehend unbehelligt seine Fallen aufstellen, während er Jemma in einem Käfig hält. Nun wird fies gefoltert, gemordet und zersägt, bei lebendigem Leibe verbrannt, eine Nagelpistole zweckentfremdet und Kelly (Jessica Barden, „Immer Drama um Tamara“), ein weiteres weibliches Mitglied der Clique, den Müllschacht heruntergeworfen, nachdem sie dem Psychokiller in Mike-Tyson-Manier ein Ohr abgebissen hat. Der Härtegrad ist also nicht von schlechten Eltern, in dieser Hinsicht erfüllt „Comedown“ die Erwartungen seines Publikums.
Der Täter wird nach und nach entmystifiziert. Erst bekommt man sein Gesicht zu sehen, dann wird seine Wohnung innerhalb des ansonsten leerstehenden Gebäudes entdeckt und schließlich seine Identität geklärt. Erkenntnis: Manchmal zerfallen Menschen zusammen mit dem Haus. Aber gehen sie auch gemeinsam unter?

Statt einer US-Kleinstadt oder gar Hinterwäldler-Backwoods haben wir hier also ein urbanes Hochhaus, der Täter hat keine übermenschlichen Kräfte und versteckt sich in einer Wohnung, statt in einer entlegenen Holzhütte, und die jugendlichen Opfer machen keinen Campingausflug und feiern kein Halloween und auch keinen Valentinstag oder Schulabschluss. Von diesen veränderten Parametern abgesehen, ist „Comedown“ letztlich aber doch ein recht konventioneller Slasher, was ein bisschen enttäuscht – denn aus seiner Prämisse hätte Huda weit mehr herausholen können. Für das, was er ist, ist der leider auch mit ein paar als solchen erkennbaren CGI agierende „Comedown“ aber wahrlich nicht schlecht und dürfte diejenigen, die keine wirkliche Innovation erwarten, ansprechend bis gut unterhalten.

6,5 von 10 zersägten Ghettokids dafür.
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Testament in Blei

„Willst du denn immer nur kleine Brötchen backen?“

Zwischen „Der Sizilianer“ mit Bud Spencer und seinem „Straßenmädchen-Report“ drehte der italienische Genre-Regisseur Carlo Lizzani („Mögen sie in Frieden ruhen“) den 1974 veröffentlichten Mafia-Gangster-Film „Testament in Blei“. Entstanden ist dieser in italienisch-US-amerikanischer Koproduktion und so spielt er auch nicht in Lizzanis Heimat, sondern in New York. Er basiert auf dem Leben des realen Gangsters Joseph „Crazy Joe“ Gallo.

„Das waren die Nigger! Die Nigger!“

Joe (Peter Boyle, „Frankenstein Junior“) und sein Bruder Richie (Rip Torn, „Wendekreis des Krebses“) haben wenig Lust, nur unterbezahlte Handlanger der Mafia zu sein, sondern wollen innerhalb der Organisation höher hinaus. Das klappt jedoch nicht so recht, und so landet Joe für zehn Jahre im Knast. Dort lernt er Willy (Fred Williamson, „Hammer“) kennen, einen Schwarzen, für den er eine Art Mentor wird und der nach seiner Haftentlassung zu einem großen Fisch im Drogenhandel avanciert. Mit ihm macht Joe gemeinsame Sache, sodass die erste afroamerikanisch-Italienische Mafia entsteht – die der alten Organisation ein Dorn im Auge ist…

Jener Willy ist angelehnt an den realen Mafioso Leroy Barnes; in welchen Aspekten dieser Film nah an Gallos Biographie bleibt und wo er sich Abweichungen erlaubt, vermag ich aber nicht zu bestimmen. Im Prolog jedenfalls sieht sich Joe den Gangsterstreifen „Der Todeskuss“ im Kino an – und wiederholt jede Dialogzeile. Wer sich darüber beschwert, wird mit dem Messer bedroht. Die Handlung steigt am 15. September 1960 ein, wie eine Datumseinblendung verrät. Während einer Fahrt zu einem brutalen Überfall singt man ausgelassen „Figaro“. Joe terrorisiert Ladenbesitzer, ist aber beliebt bei Kindern – er rettet sogar welche aus einem brennenden Haus. Lizzani scheint daran gelegen, Joe Gallo als ambivalente Figur zu zeichnen, die eben nicht nur skrupelloser Gangster und Gewaltverbrecher ist.

In recht hohem Erzähltempo leitet der Film durch mehrere Zeitsprünge: 1961, 1964, schließlich 1970. Häufig wird das genaue Datum eingeblendet, was dem Film einen dokumentarischen Charakter verleiht. Während Joes Gefängnisaufenthalt vermittelt er bei einem Aufstand der Insassen. In diesem Zusammenhang wird antischwarzer Rassismus thematisiert, gegen den Joe sich ausspricht. Die mafiöse Zusammenarbeit mit schwarzen Kriminellen liegt da nahe. Nebenher wirft Lizzani ein Auge auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen, zeigt, wie Italiener in die Politik gehen und große Demonstrationen anberaumt werden. Leider wirkt der Film dabei ziemlich unentschlossen und lässt Tiefgang vermissen, reißt soziale und gesellschaftliche Begleitumstände letztlich nur an.

Zugunsten eines intensiveren, persönlicheren „Crazy Joe“-Biopics hätte man darauf gut und gern verzichten können. So wirkt Lizzanis Film – aller Qualitäten zum Trotz – etwas halbgar und in seinen Versuchen, einen Mafiakiller als Sympathieträger zu charakterisieren, mal genial, mal schräg. Dafür kann die Besetzung voll überzeugen und ist auch der Soundtrack Giancarlo Chiaramellas ein Genuss, der zudem mit vielen zeitgenössischen Hits angereichert wurde. Fast alle Szenen sind mit Musik unterlegt – und das ohne, dass es nervig würde. Eine Texttafel am Schluss informiert darüber, wie es weiterging. Das sei hier natürlich nicht verraten, lässt sich aber vielerorts nachlesen. Eines ist „Testament in Blei“ in jedem Falle: ein interessanter, sehenswerter italo-amerikanischer New-York-Film.
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Unternehmen Köpenick

„Am liebsten wäre ich Seeräuber geworden.“

Wolfgang Menge, Drehbuchautor u.a. manch bissiger TV-Satire („Ein Herz und eine Seele“, „Das Millionenspiel“), irritierte das bundesdeutsche Fernsehpublikum im Jahre 1986 mit der sechsteiligen Gaunerkomödie „Unternehmen Köpenick“, die erst auf 3sat und schließlich sonntags im Vorabendprogramm des ZDF ausgestrahlt wurde. Regisseur der jeweils knapp 45-minütigen Episoden ist Hartmut Griesmayr (u.a. diverse „Tatort“-Folgen), die Hauptrollen bekleiden Hansjörg Felmy (WDR-„Tatort“-Kommissar von 1974 bis 1980), Ulli Philipp („Monaco Franze – Der ewige Stenz“) und Wolfgang Völz („Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“).

„Kunst und Feinkost haben eine Menge miteinander zu tun.“

Nachdem der kleine Hamburger Konservenhersteller „Feinkost Kelch“ vom Einzelhandelskettenleiter Anton Galewski (Alexander May, „Die Wicherts von nebenan“) bewusst in die Insolvenz getrieben wurde und schließlich droht, von diesem feindlich übernommen, sprich: aufgekauft zu werden, steht Inhaber Philipp Kelch (Hansjörg Felmy) vor den Trümmern seiner unternehmerischen Existenz. Der alleinerziehende Vater von zwei Kindern im Grundschulalter sieht nur noch einen Ausweg, seinen Lebensstandard zu halten und eventuell sein Unternehmen zurückzugewinnen: den Weg in die Illegalität. Seine Sekretärin Sabine Brinkmann (Ulli Philipp) und seinen Chauffeur Butzke (Wolfgang Völz) macht er kurzerhand zu Komplizen. Zu dritt schlüpft man in die verschiedensten Rollen und Maskeraden, um mit teils kapitalen, teils kleineren Betrügereien Reibach zu machen. Zu einem der Opfer von Kelch & Co. wird ausgerechnet der pensionierte Kriminalkommissar Gustav Suhrbier (Joachim Wichmann, „Der Schnüffler“) vom Betrugsdezernat, dessen Wege immer wieder jene Kelchs kreuzen…

Auf einen verdammt coolen Spielautomatenvorspann, an dessen Ende Kelch schelmisch und zugleich süffisant in die Kamera lächelt, folgt zunächst der von Galewski initiierte Konkurs Kelchs, gefolgt von einem großartigen wirtschaftskritischen Monolog Kelchs über Ökonomie und Moral, aus dem man deutlich Menges Handschrift heraushört, und eben Kelchs folgenschwerem Entschluss, kriminell zu werden. Kelch wird als sehr kultiviert, aber auch rechthaberisch und herrisch, mitunter pingelig und aufgeblasen charakterisiert. Mittels einer genial durchgeplanten Köpenickiade ergaunert man sich wertvolle Gemälde von Galewski persönlich – und verkauft diese an einen Sammler in Übersee. Der erste Schachzug ist fulminant geglückt.

In der zweiten Episode allerdings verkauft man Kühe als Anlageobjekte an normale, „kleine“ Leute, darunter besagten pensionierten Ex-Kommissar Suhrbier, und verschickt billige Briefmarken als „Porträts von Persönlichkeiten“ an eine ahnungslose Kundschaft. Menge verpackt eine Diskussion über Steuersparmodelle von Zahnärzten und EG-Landwirtschaftssubventionen in Dialoge; ein Lamento über teure Zahnärzte zieht sich durch die Episode. Hier wird’s erstmals eigenartig, denn die von Kelch, Brinkmann und Butzke betriebene Bauernfängerei ist nicht sonderlich sympathisch, die eingeflochtene Polit-Kritik wirkt etwas erzwungen und während die Zahnarztthematik allenfalls für augenzwinkernde Seitenhiebe gut wäre, scheint sie hier die Methoden Kelchs und Konsorten rechtfertigen zu sollen.

In Episode 3 tritt Brigitte Mira („Berlin Alexanderplatz“) als Schwester Herrn Suhrbiers in Erscheinung (und bleibt als solche auch in den weiteren Episoden erhalten), während Kelch mit Haushälterin und Kindern urlaubt – auf Sylt, wo alles teuer ist bzw. extra kostet – und die anderen beiden versuchen, billige Bücher überteuert unters Volk zu bringen. Kelch debattiert uneinsichtig mit Gert Haucke („Didi und die Rache der Enterbten“) über die Kurtaxe, die ja nun einmal – Bonzen-Sylt hin oder her – ihren Sinn hat, prellt diese und holt seine Komplizen nach. Pikanterweise reisen auch Galewski zusammen mit einer Mitarbeiterin und die Suhrbiers nach Sylt. Während Herr Suhrbier den Gaunern auf die Schliche zu kommen versucht, treiben Kelch & Co. als falsche Kurverwaltungsmitarbeiter auf dem Autozug nach Sylt vermeintliche Kurtaxe ein – u.a. bei Galewski. Damit gelingt dieser Episode dann doch noch eine sehr vergnügliche Pointe.

Den Suhrbiers begegnet Kelch in der vierten Episode erneut, diesmal auf einem Jahrmarkt, wo er anderen als falscher Geschäftsführer das Essen stiehlt. Seine Kinder versuchen, ihn mit Brinkmann zu verkuppeln, und er erschleicht sich einen sündhaft teuren Konzertflügel – denn für ihn muss es stets vom Besten sein… Die Ausgangssituation der vorletzten Episode ist dann bemerkenswert schräg: Brinkmann vertritt eine Freundin als auf Bahnfahrten buchbare Sekretärin im Zugabteil, die Diktate wechselnder Geschäftsreisender entgegennimmt und tippt. Darüber lernt sie den Botschafter eines kleinen und armen südamerikanischen Staats kennen, der jemandem für die Übereignung einer Landpartie sucht. Brinkmann fällt sofort Kelch ein, doch dieser hadert zunächst und weiß nichts mit dieser Chance anzufangen. Dennoch fädelt Brinkmann eine Verlosung auf einem Presseball ein, durch den die großartig aufspielende Ingrid Steeger („Ich – Ein Groupie“) als Moderatorin führt und wo sich auch Carlo von Tiedemann (in Norddeutschland bekannter Radio- und TV-Moderator) ein Stelldichein gibt. Vom Gewinner des Grundstücks zockt Kelch Notariatsgebühren und dergleichen ab. Eine dann doch, auch innerhalb dieses Sujets, etwas arg überkonstruierte Folge.

Zu guter Letzt wird man in der finalen Episode auf eine Segelyacht im Hamburger Hafen aufmerksam, die von ihren Besitzern mehr oder weniger unbeachtet zurückgelassen wurde. Also gibt man sich als zum Verkauf bevollmächtigt aus, droht aber an internationalen Vorschriften und Bürokratie zu scheitern. Aus diesem Grund verübt man sogar einen Brandanschlag (!) auf das Schiff. Der Kaufinteressent wird an der Nase herumgeführt, man macht ihn gewissermaßen sogar ohne dessen Wissen zu einem Komplizen. Anschließend geht’s nach Mallorca, wo auch die Suhrbiers gerade weilen. Wird nun das dicke Ende eingeleitet? Achtung, Spoiler: Mitnichten, vielmehr das große Happy End. Gentleman-Gauner Kelch gibt den Suhrbiers ihr Geld zurück – „mit Zinsen“. Schwester Suhrbier freut sich, knuddelt ihn und meint, er brauche eigentlich nichts zurückzahlen – ihr Bruder habe das wegen seiner Doofheit verdient. Doch Kelch, nun ganz in Geberlaune, spielt ihnen sogar den Ertrag der Yacht zu. Man geht davon aus, dass der wahre Besitzer der Yacht sich ohnehin nie melden werde… Ein Showdown steht noch aus: Kelch düpiert Galewski und kauft per Aktienmehrheit sein Unternehmen zurück.

Es fällt nicht leicht, das Gesehene zu beurteilen. So viel für Wolfgang-Menge-Verhältnisse ungewohnte Naivität im Finale auch mitspielt, so sehr bereitet es über weite Strecken doch ein diebisches Vergnügen, den viele Jahre als äußerst populärer „Tatort“-Kommissar für Recht und Gesetz kämpfenden Felmy einmal auf der anderen Seite des Gesetzes agieren zu können. Generell ist das Ensemble vom Feinsten und weiß auch der Deutschland-in-den-‘80ern-Look zu gefallen. Die Hauptdarsteller spielen im Prinzip gleich mehrere Rollen, schlüpfen sie für ihre Gaunereien doch in unterschiedlichste Masken. Der Titel „Unternehmen Köpenick“ verspricht in dieser Hinsicht nicht zu viel. Doch was verspricht man sich von einem Menge? Sicherlich nicht, einen aufgeblasenen Popanz, der eben nicht nur Mitglieder der vermögenden Oberschicht, sondern auch einfache Leute skrupellos über den Tisch zieht, zum Sympathieträger einer komödiantischen Serie zu stilisieren.

Tatsächlich gibt es immer wieder Szenen, in denen Kelch wenig schmeichelhaft dargestellt wird, etwa wenn er im Restaurant auf feinen Pinkel macht und seinen Chauffeur unerträglich belehrend vollquatscht, weil dieser sich ein ehrliches Pils bestellt. Manch einer wurde für ein solches Verhalten schon verprügelt, und das vollkommen zurecht. Wenig sympathisch sind auch Felmys „konservative“ Einstellung zur Kindererziehung – autoritär und körperlicher Züchtigung nicht grundsätzlich abgeneigt – sowie seine Mentalität, dass das Beste für ihn gerade gut genug sei. Zeitweise steht der Verdacht im Raum, Menge treibe ein perfides Spiel mit seinem Publikum, indem er einen vermeintlichen Sympathieträger zur Identifikationsfigur und Mittelpunkt der Serie macht. Doch dazu passen weder Griesmayrs Inszenierung noch das Happy End. Oder wollte Menge vor den hier von Kelch angewandten und somit einem breiten Publikum präsentierten Methoden warnen? Wenn ja, so schwingt doch aber stets ein kräftiges, selbstgefälliges „Selbst schuld, wenn ihr so doof seid“ mit. Vermutlich ist „Unternehmen Köpenick“ auch schlicht eine als solche missglückte Persiflage auf die Wirtschaft und ihre Methoden, die im Endergebnis zu einer fragwürdigen Mischung aus Robin Hood, David gegen Goliath und schrulliger Gaunerklamotte geriet – die aber dennoch das Zeug dazu hat, kurzweilig zu unterhalten und sogar Spannung zu erzeugen, wenn einem das Lachen auch manchmal im Halse stecken bleibt.
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The Substance

Ein schlimmer Finger

„Es gibt kein du und sie – ihr seid eins.“

Die französische Autorenfilmerin Coralie Fargeat, deren harscher Rape’n’Revenge-Streifen „Revenge“ im Jahre 2017 sein Genrepublikum fand, legte im Jahre 2024 ihren in britisch-US-amerikanischer Koproduktion entstandenen, aber in Frankreich gedrehten zweiten abendfüllenden (mit rund 140 Minuten Laufzeit vielleicht sogar mehr als das) Kinofilm „The Substance“ vor – eine inhaltlich offenbar von Brian Thomas Jones‘ „Rejuvenator“ aus dem Jahre 1987 und dem Literaturklassiker „Das Bildnis des Dorian Gray“ inspirierte Bodyhorror-Groteske und starbesetzte Major-Produktion, die es in sich hat.

„Man muss sich immer wieder klarmachen, dass man auch selbst noch etwas wert ist.“

Die einst überaus erfolgreiche Schauspielerin Elizabeth Sparkle (Demi Moore, „St. Elmo's Fire“) hat seit einiger Zeit eine beliebte Sendung für rhythmische Sportgymnastik im Frühstücksfernsehen, in der sie in enger Sportkleidung die Vortänzerin gibt. Doch an ihrem 50. Geburtstag eröffnet ihr Produzent Harvey (Dennis Quaid, „Enemy Mine – Geliebter Feind“), dass sie auch für diesen Job zu alt geworden sei und er sich nach einer wesentlich jüngeren Nachfolgerin umsehen werde. Als Elizabeth nach einem Autounfall in eine Klinik kommt, gibt ihr ein Pfleger Hinweise auf ein experimentelles Schwarzmarkt-Medikament, das, einmal eingenommen, eine jüngere Version des jeweiligen Probanden produziert. Alle sieben Tage wechselt man sich mit dem bisherigen Ich ab, dessen Hülle wie in einem Koma daliegt und künstlich ernährt wird. Der wöchentliche Wechsel muss jedoch unbedingt eingehalten werden. In einer Mischung aus Neugier und Verzweiflung probiert Elizabeth die Substanz aus und findet schnell Gefallen an ihrem Alter Ego Sue (Margaret Qualley, „Poor Things“), das ihre Nachfolge in der Sportsendung antritt und zum gefeierten Fernsehstar avanciert. Doch fällt es ihr mit der Zeit immer schwerer, den Identitätstausch pünktlich zu vollziehen – mit unabsehbaren, fürchterlichen Folgen…

„Hat sie schon angefangen, dich aufzufressen?“

Wir sehen zunächst den von seiner Kalkhülle befreiten und wie ein Spiegelei daliegenden Inhalt eines Vogeleis. Durch eine Injektion bildet sich ein zweites Eigelb, das eine perfekt kreisrunde Form aufweist. Schnitt. Im Zeitraffer sehen wir, wie Elizabeth Sparkles Stern auf dem Walk Of Fame gegossen wird, wie er zunächst bewundert, aber bald beim Passieren und Überqueren nicht mehr sonderlich beachtet wird, wie er sich im Laufe der Jahre verändert und Risse bekommt. Schnitt. Nach diesem bedeutungsschwanger-metaphorischen Einstieg beginnt die Handlung, eine Groteske, in einem satirischen Zerrbild unserer Realität spielend. Dennis Quaid overactet karikierend als unangenehmer, sexistischer Produzent, der mit Sicherheit nicht zufällig Harvey heißt. Elizabeth‘ Autounfall wird, fulminant gefilmt, aus dem Inneren ihres Autos gezeigt – man ist mittendrin statt nur dabei. Die Kamera versorgt einen mit extremen, unappetitlichen Nahaufnahmen, die fast wie Blicke durchs Mikroskop wirken, und mit Logik, wie wir sie kennen, ist es nicht weit her: Wer mit welcher Intention genau hinter der Substanz steckt und ob die ein Luxus-Penthouse mit Blick über Hollywood bewohnende Elizabeth sie auf irgendeine Weise monetär begleichen muss, bleibt ungeklärt und für die Handlung gänzlich uninteressant, sprich: wird gar nicht erst thematisiert. Zudem werden zwar die konspirative Übergabe und äußerst knappen Anleitungen gezeigt bzw. zitiert, wie medizinisch voraussetzungsreich die Handhabe aber ist, und weshalb Elizabeth bzw. Sue all das – Spritzen setzen, Kanülen legen, Rückenmarksflüssigkeit absaugen, den komplett offenen Rücken des Wirtskörpers, aus dem Sue schlüpft, zunähen – aus dem Effeff beherrschen, darüber kann man sich nur wundern. Ebenso darüber, dass niemand einen Personalausweis oder ein anderes urkundliches Dokument von Sue sehen will und anscheinend keinerlei Spuren davon zurückblieben, sich alle zwei Wochen eine Spritze in den Oberschenkel zu rammen.

Man kann es aber auch sein lassen, denn das ist hier völlig gleich. Um die Entrücktheit ihres Films zu verdeutlichen, arbeiten Fargeat und ihr Team sowohl mit surrealistischen Einsprengseln als auch mit an Kubrick gemahnenden, in ihrer Durchästhetisierung künstlich wirkenden Bildern und lassen diesen in der Postproduktionen einen hyperdynamischen Schnitt angedeihen. Hämmernde Elektrobeats unterstreichen den artifiziellen Charakter auf der Tonspur. Dieser „klinischen“ Gestaltung gegenüber steht eine ungeheure Körperlichkeit, die die bereits erwähnten Close-ups bereits andeuten. Diese werden ergänzt von Point-of-View-Perspektiven, unheiligen Geräuschen und, zunächst einmal, Nacktheit. Viel Nacktheit. Sowohl Demi Moore als auch Margaret Qualley zeigen sich komplett unverhüllt in ihrer ganzen Pracht, ohne dass diese Szenen sexploitativ ausgeschlachtet würden. Ihnen haftet viel Natürlichkeit an, bzw., im Falle Sues: Natürlichkeit und Künstlichkeit zugleich. Paradox, ja – aber so ist dieser Film nun einmal. Die Ausschlachtung erfolgt auf eine andere Weise, genaugenommen auf der Meta-Ebene: In den Tanzszenen Sues und ihrer Mittänzerinnen kommt der Male Gaze, also der heterosexuelle, sexualisierte Blick auf Frauen, derart überstilisiert zum Einsatz, dass er dadurch persifliert wird.

Fargeats eigentliche Themen sind Lookismus und Altersdiskriminierung anhand eines exemplarischen Falls aus der Film- und Unterhaltungsbranche, es geht um Körperkult und den fortwährenden, überzogenen Drang nach Selbstoptimierung – und um das Streben nach Geltung und Ruhm. „The Substance“ verhandelt ebenso, wie das Aussehen den Charakter verändern kann. Aussage und Subtext gehen weit über ein einfaches „Steh zu deinem Alter“ hinaus. So sehr Elizabeth ihre Zeit als Sue genießt, so sehr verstärkt es Elizabeth‘ Selbstzweifel. Dies führt zu einer besonderen Art multipler Persönlichkeit und schließlich zu Selbsthass, der sich in Form der externalisierten „Sue“ bahnbricht und in einen ultrabrutalen, vielleicht filmisch etwas zu arg ausgekosteten Vernichtungswillen gegenüber Elizabeth mündet.

Diese Entwicklung erinnert dann auch immer wieder an sozialkritische Horrorcomics der alten Schule, in Kombination mit Masken und Spezialeffekten vor allem aber an den Bodyhorror Cronenbergs, Gordons, Yuznas oder auch Carpenters (vgl. „Das Ding aus einer anderen Welt“), an den „The Substance“ auch eine Hommage ist: Gore, Mutationen und Splatter. Zugleich schuf Fargeat hiermit ein Stück modernes feministisches Kino, dessen vermeintliches Ende „Carrie“ und „Braindead“ zitiert, dabei aber wie ein Gwar-Konzert aussieht. Und als wollte Fargeat immer noch einen draufsetzen, geht es sogar noch weiter, bis sich der Kreis zum Prolog schließt. Welch ein Ritt! „The Substance“ ist vielleicht Demi Moores bester Film, für ihr Schauspiel und ihren Mut zu diesem Projekt kann man ihr nur Respekt zollen. Margaret Qualley steht ihr dabei in nichts nach und beweist einmal mehr ein gutes Händchen bei der Rollenwahl. Neben allen bereits erwähnten Vorzügen ist unbedingt noch zu erwähnen, in welch angenehmem dramaturgischen Tempo „The Substance“ genüsslich die Schraube des Wahnsinns immer weiter anzieht. Interessant zudem, dass, was früher mit Sicherheit keinerlei Jugendfreigabe erhalten hätte, heute mit FSK 16 durchgewunken wird.

Wer die Gelegenheit wahrnahm, „The Substance“ im Kino zu sehen, kann sich glücklich schätzen. 8,5 von 10 eitrigen Einstichen für diese schmodderige, ebenso kluge wie plakative Wiedergeburt des sozialkritischen Bodyhorrors!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Thunder 2 – Ein Indianer nimmt Rache

„Hier ist kein Platz für Ratten wie dich!“

„Thunder“ des italienischen Regisseurs Fabrizio De Angelis war im Erscheinungsjahr 1983 ein gelungenes antireaktionäres, stark von „Rambo“ inspiriertes Action-Vehikel um den gleichnamigen Navajo-„Indianer“ Thunder (Mark Gregory, „The Riffs“), der unter rassistischen weißen Cops kräftig aufräumte. Vier Jahre später erschien diese erste von zwei Fortsetzungen, auf dem Regiestuhl nahm erneut De Angelis Platz.

„Das ist Schnee von gestern, jetzt ist es anders.“

Der Indigene Thunder erwartet ein Kind von seiner Frau (Karen Reel) und ist mittlerweile in den Polizeidienst gewechselt, wo er nach der Rückkehr in seine alte Heimat erneut auf Deputy Barry „Rusty“ Henson (Raimund Harmstorf, „Der Seewolf“) – seinen Erzfeind aus dem ersten Teil – trifft. Dieser Schwerkriminelle in Uniform dealt mit illegalen Drogen, die er u.a. an die Ureinwohner verkauft, und möchte Thunder nicht nur schnellstmöglich loswerden, sondern wittert auch seine Chance auf Rache: Er hängt ihm Drogendeals und einen Mord an, woraufhin dieser ins Kittchen wandert, wo er vom sadistischen Gefängnisdirektor gefoltert wird. Doch Thunder gelingt die Flucht…

„Willst du dich einmischen, Rotarsch?!“

Es beginnt bereits ruppig: Als Thunder zurückkehrt, wird er Zeuge, wie Rocker in einer Bar eine weiße Familie belästigen. Er geht dazwischen und es entbrennt eine wüste Prügelei, bei der es bald um Leben und Tod geht. Dabei erhält er Unterstützung von einem zufällig anwesenden alten Häuptling. Der korrupte Cop Rusty verhaftet und misshandelt Thunder – und muss zu seiner Überraschung feststellen, dass Thunder jetzt selbst ein Bulle ist. Der Sheriff (Bo Svenson, „Night Warning“) ist mittlerweile geläutert und steht Thunder zur Seite, die indigene Bevölkerung jedoch ist zu großen Teilen zu Junkies geworden. Sie sind Opfer des Drogenkartells, das Rusty zusammen mit den Rockern am Laufen hat.

„Er hat euch den Krieg erklärt!“

Auf diese Exposition folgen weitere, vornehmlich in Zeitlupe wiedergegebene Actionszenen: Thunder gerät in eine Prügelei mit einem Transsexuellen und in einen Banküberfall, Schießereien, Verfolgungsjagden und Blechschäden geben sich die Klinke in die Hand. Für seine Verhaftung der Bankräuber wird Thunder noch vom Sheriff gelobt, doch der alte Häuptling „sieht zu viel“ und wird daher von Rocker Max ermordet. Rusty sieht seine Stunde gekommen und intrigiert gegen Thunder. Zwar ist der Sheriff von dessen Unschuld überzeugt, doch da Thunder vor Gericht schweigt, wird er verknackt. Es ist schade, dass die Gerichtsverhandlung gar nicht gezeigt wird. Offenbar wollte man keine Zeit verlieren und sich nicht mit solchen „Nebensächlichkeiten“ aufhalten. „Thunder 2“ wird von nun an aber zunehmend trashig, beispielsweise beim Spezialeffekt mit einer Rampe, als Thunder aus dem Knast entkommt.

Dass er sich mit seiner schwangeren Frau in den Bergen versteckt, ist, wie sich bald herausstellen wird, nicht der klügste Schachzug, denn nachdem sein Freund und Anwalt Thomas zu Besuch kam, werden sie von den Bullen aus einem Helikopter heraus beschossen. Thunder hebt einen Jeep hoch, wobei die Kamera reichlich plump auf seinen Bizeps zoomt. Natürlich geht Rusty ausgerechnet in jenem Moment, in dem sich Thunder an den Helikopter hängt, die Munition aus. Und stets im richtigen Moment kommt der immer selbe Trucker vorbei und nimmt Thunder mit. Die musikalische Untermalung klingt zudem leider eher billig und meist sehr plakativ. Erst als Thunders Frau durch den Angriff ihr ungeborenes Kind verliert und daraufhin Rache fordert, gräbt Thunder das Kriegsbeil wieder aus – und schießt mit hochexplosiven Pfeilen um sich.

Schön ist die Idee, dass Thunder mehrmals für tot gehalten wird. Stand hierfür evtl. Snake Plissken aus „Die Klapperschlange“ Pate? Mark Gregory ist beweglicher als in seinen frühen Filmen und macht das alles sehr passabel. Ansonsten ist „Thunder 2“ aber noch mal plakativer als der erste Teil, was seine Figuren vielfach zu reinen Abziehbildern verkommen lässt, und in all seinen Übertreibungen leider weit weniger ernstzunehmen und dadurch – sowie durch die Vielzahl an Unwahrscheinlichkeiten – trashiger als der Vorgänger. Das Publikum dürfte dadurch weniger empathisch auf das Geschehen reagieren und emotional nicht so abgeholt werden wie zuvor. Kurioserweise setzt „Thunder 2“ zwar stark auf Überzeichnung, kam der Actiongehalt aber dennoch im Erstling besser zur Geltung. Alles in allem also ein wenig inspirierter Neuaufguss des B-Klassikers, der nicht über durchschnittliche Genre-Unterhaltung hinauskommt.
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New Kids Nitro

„Maaskantje gegen Steinwerder!“

Die „New Kids“, jene niederländische Flodders-hoch-zehn-Asiproll-Clique, bekamen im Jahre 2010 ihren ersten Kinoauftritt. Nur ein Jahr später folgte diese Fortsetzung, erneut geschrieben und inszeniert von Steffen Haars und Flip van der Kuil, die auch wieder zwei der Hauptrollen verkörpern. Und auch in „New Kids Nitro“ synchronisierten die „New Kids“-Darsteller sich auf Deutsch mit starkem Akzent selbst, während alle anderen Rollen in der deutschen Fassung professionell hochdeutsch eingesprochen wurden. Die milieu- und gesellschaftssatirische Prekariatskomödie wurde für diese Fortsetzung um Zombie-Splatter-Action (und somit um ein phantastisches Element) sowie eine mitunter recht dominante Meta-Ebene erweitert.

„Drecksscheißfriese!“

Die fünf Maaskantjer Prolls Richard Batsbak (Huub Smit), Gerrie van Boven (Tim Haars), Rikkert Biemans (Wesley van Gaalen), Robbie Schuurmans (Steffen Haars) und Barrie Butsers (Flip van der Kuil) geraten mit einer Clique aus dem verhassten Nachbarort Schijndel aneinander. Als nach diversen Duellen eine viel größere Bedrohung in Form einer Zombie-Epidemie hereinbricht, tut man sich notgedrungen mit den Schijndeler Prolls um deren Oberhaupt Dave (Guido Pollemans, „Fremd im eigenen Leben“) zusammen – denn niemand Geringeres als die holländische Regierung bittet die „New Kids“ um Hilfe…

„Huren bumsen, nie mehr schuften!“

Ein Kino-Gag etabliert direkt zu Beginn die Meta-Ebene – und ein Meteoriteneinschlag in Friesland die Zombie-Epidemie, von der die Jungs aber noch nichts wissen. Anhand der Rivalität zwischen den Maaskantjer und den Schijndeler Asis liefert der Film Hooliganismus in a nutshell, als Running Gags wird ständig jemand überfahren, fährt der Dorfbulle sein Auto zu Schrott und zündet Gerrie nach wie vor permanent Feuerwerk (und packt sich bei seinen Kampfsport-Kicks aufs Maul), während Dave ständig von seiner Freundin Deborah (Juliette van Ardenne, „Claustrofobia“) einen geblasen bekommt – inklusive visualisierter Ejakulationen. Mit Dave gibt es auch auf einem Rave Stress, ein Wettrennen wird vereinbart – und geht für die Maaskantjer verloren. Die schwangere Deborah wird abgefüllt und von den „New Kids“ gevögelt, und sowohl weitere Running Gags als auch weitere Geschmacklosigkeiten geben sich die Klinke in die Hand, bevor der Film zum Zombie-Actioner wird.

Der Vorschlag des Verteidigungsministerium, das zombifizierte Gebiet mit Band abzuriegeln, wird visualisiert und für die Ereignisse in Friesland mit einem Farbfilter gearbeitet. Mangelnden Gestaltungswillen kann man der Produktion nicht vorwerfen, so einige optische Ideen werden amüsant umgesetzt. Einer der Jungs schlägt den Untoten splitternackt die Köpfe ab, der Film setzt nun verstärkt auf Splatter, Stunts und Explosionen. Den gesamten Film über werden Ausschnitte aus Nachrichtensendungen eingeflochten, die eine Perspektive außerhalb des Dorfklüngeln gewähren und die Ausmaße vermitteln.

„New Kids Nitro“ ist ein unheimlich schneller, pickepackevollgepackter Film, der den Stumpfsinn und die Gewalt noch exzessiver zelebriert als Teil 1. Das ist zwar heillos überzogen, vieles jedoch auch durchaus gut beobachtet und durch den expressiven Satirewolf gedreht worden. Und während die „New Kids“ immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen, dass sie keinesfalls als Sympathieträger oder Identifikationsfiguren taugen, bekommen während der Ausflüge auf die Meta-Ebene sowohl jene, die sie dafür halten, als auch die Kritiker, die offenbar nicht verstehen, dass die Filme nicht zuletzt eine Abrechnung mit Typen wie den „New Kids“ sind, kräftigst ihr Fett weg. Das erschließt sich unter der all der abgesonderten Vollgrütze vielleicht nicht gleich jedem und tatsächlich geht subtil nun wirklich anders – ganz anders. Andererseits wird es einem Asi-Humor-gepolten Publikum, zum dem sich auch der Verfasser dieser Zeilen zählt, ziemlich einfach gemacht, über die völlige Verrohung und die damit einhergehende Verrohung ungläubig den Kopf schüttelnd zu lachen. Dafür lasse ich 7 von 10 Crazy-Frog-Klingeltönen springen – ihr Fickschnitzel!
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La donna del lago

„Sie sind sehr müde, oder?“

Der italienische Regisseur Luigi Bazzoni, der es lediglich auf ungefähr eine Handvoll Inszenierungen brachte, ist in erster Linie für seine „Carmen“-im-Italo-Westerngewand-Adaption „Mit Django kam der Tod“, seinen Giallo „Ein schwarzer Tag für den Widder“ sowie den Mystery-/Psycho-Thriller „Spuren auf dem Mond“ bekannt. Er debütierte jedoch bereits im Jahre 1965 (lässt man seine ersten Gehversuche in Form eines Kurzfilms außer Acht) mit dem bis heute nie deutsch synchronisierten, noch (bzw. wahrscheinlich bewusst) in Schwarzweiß gedrehten Frühgiallo „La donna del lago“, den er zusammen mit Co-Regisseur Franco Rossellini realisierte. Es handelt sich um die Verfilmung eines Romans Giovanni Comissos.

„Ich stand Seen immer recht misstrauisch gegenüber...“

Schriftsteller Bernard (Peter Baldwin, „Die zehn Gebote“) spürt, dass er eine Veränderung in seinem Leben braucht, und trennt sich von seiner Lebensgefährtin Claudia. Er nimmt sich eine Auszeit und reist zu einem entlegenen Tiroler Örtchen an einem malerischen See, den er seit Kindheitstagen regelmäßig besucht – und wo er im vergangenen Jahr das attraktive Dienstmädchen Tilde (Virna Lisi, „Wie bringt man seine Frau um?“) heimlich beim Sex beobachtete. Seither geht sie ihm nicht mehr aus dem Kopf; er verspürt einen beinahe manischen Drang, sie wiederzusehen. Vor Ort trifft er statt auf Tilde jedoch auf eine Mauer des Schweigens, bis er erfährt, dass Tilde Suizid begangen haben soll. Der ortsansässige Fotograf Francesco (Pier Giovanni Anchisi, „Die sündigen Nonnen von St. Valentin“) hingegen behauptet Bernard gegenüber, Tilde sei schwanger gewesen und ermordet worden. Da die Polizei die Ermittlungen bereits eingestellt hat, ermittelt der entsetzte Bernard auf eigene Faust. Doch die Mauer des Schweigens bleibt undurchdringlich. Wer es wagt, sie zu durchstoßen, verliert ebenfalls sein Leben – wie Adriane (Pia Lindström, „Hochzeit auf Italienisch“), Tochter des Hotelbetreibers Enrico (Salvo Randone, „Das 10. Opfer“) …

„Sie war sehr hübsch.“

Bernard fungiert auch als Off-Erzähler im Präteritum, ein an den Film noir gemahnendes Stilmittel – und zumindest mit einem Bein scheint „La donna del lago“ auch in jener Gattung zu stehen, der auch die allgegenwärtige Melancholie entlehnt hat. Die Geheimniskrämerei und der sehr zurückgenommene Erzählrhythmus wiederum lassen Rückschlüsse auf ein Mystery-Drama zu (zudem soll er Parallelen zum von mir leider noch immer ungesehenen „Letztes Jahr in Marienbad“ aufweisen), während als typische Giallo-Charakteristika die Ermittlungen eines Fremden ohne Hilfe der Polizei, ein einzelnes, wichtiges Detail (hier auf einem Foto), eine nicht ungefähre Portion Psycho-Thrill und die Dopplung in der Auflösung durchgehen.

„Nur eine schwere Grippe, sonst nichts.“

Nicht zu vergessen ist in dieser Aufzählung der Stilwille: Trotz Farblosigkeit werden visualisierte Erinnerungen Bernards bemerkenswert ausgeleuchtet und inszeniert, während Tirol seit Tildes Tod trostlos und trist wirkt (was man wohl auch erst einmal hinkriegen muss) – Leonida Barboni zeigt, was er an der Kamera kann. Bernard träumt schlecht von Enricos Tochter Irma (Valentina Cortese, „Julia und die Geister“), und jene Situation, in der Bernard Tilde beim Sex beobachtete, wird in Form von Rückblenden wiederholt rekapituliert, was seine Besessenheit von ihr illustriert. Die, was das Tempo anbelangt, gemächliche Dramaturgie wird von einer zur Dramatisierung neigenden orchestralen musikalischen Untermalung kontrastiert. Bazzoni und Rossellini arbeiteten mit einer renommierten Besetzung internationaler Schauspieler und italienischer Diven, sodass auch in dieser Hinsicht nichts anbrennt. Der Schnitt jedoch beschert einem mitunter verwirrende Szenenwechsel und die Pointe ist irgendwo zwischen vorhersehbar und abgefahren einzuordnen.

Bazzonis und Rossellinis Debüt geht als gelungener Giallo aus der Prä-Fenech-&-Co.-Phase durch, der mit der in einer Sinnkrise gefangenen, Hoffnungen und Obsessionen auf eine ihm eigentlich nur flüchtig Bekannte projizierenden, künstlerisch und nachdenklich veranlagten männlichen Hauptrolle eine interessante Identifikationsfigur bietet. Diese lässt man genüsslich durch ein düsteres Verwirrspiel irren und das Publikum manch roten Hering schlucken. „La donna del lago“ vermengt seine eingangs erwähnten Gattungs- und Genre-Merkmale mit der einen oder anderen Kriminalfilmkonvention und wirkt dabei noch nicht so leichtfüßig und frei in Stil, Ästhetik und nicht zuletzt Inhalt wie Bazzonis spätere Großtaten, ist aber ein nicht nur für Giallo-Archäologinnen und -Archäologen zweifelsfrei sehenswertes Stück italienischer Genrefilm-Geschichte.
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Novemberkind

„Du bist kein Schriftsteller!“

Das deutsche Coming-of-Age-Drama „Novemberkind“ aus dem Jahre 2008 ist Regisseur Christian Schwochows nach dem Kinderfilm „Marta und der fliegende Großvater“ zweite abendfüllende Inszenierung, mit der der spätere Regisseur von TV-Produktionen wie „Bornholmer Straße“, „Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter“ oder auch der Serie „Bad Banks“ zusammen mit Produzent Matthias Adler und Kameramann Frank Lamm sein Diplom erlangte. Das Drehbuch verfasste Schwochow zusammen mit seiner Mutter Heide und soll autobiographische Züge tragen.

„Fontane ist leider nicht bis nach Malchow gekommen...“

Die 25-jährige alleinlebende Bibliothekarin Inga (Anna Maria Mühe, „Was nützt die Liebe in Gedanken“) lebt im mecklenburgischen Dorf Malchow und ist Halbwaisin. Ihre Mutter sei einst in der Ostsee ums Leben gekommen, heißt es, und wer ihr Vater ist, weiß sie nicht. Sie ist bei ihren Großeltern (Christine Schorn, „Good Bye, Lenin!“ und Hermann Beyer, „Elementarteilchen“) aufgewachsen, wo es ihr an nichts mangelte. Ihre Zufriedenheit mit sich und dem Leben bekommt erste Risse, als Steffi (Christina Drechsler, „Kleeblatt küsst Kaktus“), ihre Busenfreundin, fortgeht. Zudem benötigen ihre Großeltern altersbedingt zunehmend ihre Unterstützung. Den tiefsten Einschnitt bedeutet jedoch der Besuch des ihr fremden Konstanzer Literaturprofessors Robert (Ulrich Matthes, „Der Untergang“), der ihre Mutter gekannt zu haben scheint. Diese sei einst zusammen mit einem desertierenden Sowjetsoldaten aus der DDR in die BRD geflohen und habe sie in Malchow zurückgelassen. Dies trifft Inga hart. Gemeinsam mit Robert macht sie sich auf den Weg, um mehr über ihre Mutter und ihren Vater zu erfahren. Doch welche Rolle genau spielt Robert dabei…?

„Oh Gott, klingt ja wie bei Edgar Wallace!“

Schwochows Film ist von zahlreichen Zeit- und Ortswechseln geprägt, da er zwei Geschichten gleichzeitig erzählt: Die zurückliegende in Form von Rückblenden, in denen Anna Maria Mühe auch ihre Mutter spielt, und die gegenwärtige. Malchow 1980, Konstanz 2007 und Malchow 2007 heißen die ersten Stationen, bis der Film eine wundervolle Szene präsentiert: Inga und Steffi springen ins eiskalte Wasser, nackt bzw. nur mit Fellmütze bekleidet, und lassen die Brüste hüpfen. Diese lebenslustige Szene wird jedoch von den herbstlichen und melancholischen Bildern kontrastiert, die die visuelle Ästhetik des Films bestimmen. Diese Aufnahmen sind perfekt gelungen und decken sich zu großen Teilen mit meiner Lebenswahrnehmung.

Dem gegenüber stehen Rückblenden an zurückliegende Ereignisse um Anne, die zuweilen als Flashbacks Roberts inszeniert werden, obwohl er gar nicht dabei war – das ist etwas unglücklich gelöst. Die Kamera ist sehr nah an ihren Figuren und wackelt manchmal hektisch, um den aufgekratzten Gemütszustand und das erst noch zu ordnende Durcheinander in ihren Köpfen zu illustrieren. Die Rückblenden werden zudem mittels Farbfiltern optisch verfremdet. Irgendwann ist es zu viel des Guten und die Kameraführung macht regelrecht seekrank. Dennoch setzt die Geschichte um Identitätsfindung, aber auch das Herausgerissenwerden aus der Komfortzone durch – zu viele? – Informationen inhaltliche Glanzpunkte, hat sie doch letztlich weniger mit der deutsch-deutschen Nachkriegsteilung als mit beinahe philosophischen Fragen zu tun: Möchte man wirklich alles so genau wissen, wenn man es sich doch eigentlich ganz gemütlich eingerichtet hat? Und welche Auswirkungen hat die Geschichte der Eltern auf das Selbstempfinden? Dazu gesellen sich moralische Fragen, denn Robert nutzt Ingas Lebensgeschichte im Prinzip aus, um sie in Romanform zu Papier zu bringen.

Schauspielerisch ist das alles im grünen Bereich und auch, wenn es nun wirklich kein klassisches Happy End gibt, versteht man es, etwaigen Melodramenfrust zu umgehen, indem man Inga am Schluss eine mögliche Form der Aufarbeitung mit auf ihren Weg gibt. Und so hat dieser Film letztlich auch viel mit Schreiben und Lesen zu tun. Sehenswert!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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