Joker: Folie à Deux
„Ich will dein wahres Ich sehen!“
Regisseur Todd Phillips‘ „Joker“ aus dem Jahre 2019 war vor allem ein persönliches Drama, das eigentlich außerhalb jeglicher DC-Universen und
Reboots für sich stand, den komödienerprobten Phillips nachdrücklich fürs ernste Fach empfahl und keiner Fortsetzung bedurft hätte. Diese war ursprünglich auch nicht geplant, doch die Rekordeinnahmen an den Kinokassen, der Überraschungserfolg, der „Joker“ war, und der
Oscar für Hauptdarsteller Joaquin Phoenix („Walk The Line“) schrien förmlich danach. Nun ist sie da: Eine komplett gegen die Erwartungshaltungen des Publikums gebürstete Mischung aus Psychodrama, Knast-/Gerichtposse und Musical.
„Jetzt gibt es nur noch uns!“
Nachdem er mehrere Menschen getötet hat – einen davon höchst publikumswirksam vor laufenden TV-Kameras –, sitzt Arthur Fleck alias „Joker“ (Joaquin Phoenix) im Arkham Asylum Gotham Citys ein, wo er, mittels Medikamenten sediert, auf seinen Prozess wartet. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener, „Being John Malkovich“) fährt die Strategie, den Geschworenen zu verdeutlichen, dass Arthur aufgrund der Missbrauchserfahrungen während seiner Kindheit unter einer gespaltenen Persönlichkeit leidet und demnach nicht er, sondern der Joker die Taten verübt hat – Arthur also schuldunfähig ist. In Arkham jedoch lernt er im Rahmen eines therapeutischen Gesangskurses die eigensinnige, anarchische Harley Quinzel (Lady Gaga, „A Star is Born“) kennen, die vom Joker und dessen Taten fasziniert ist. Arthur und Harley verlieben sich ineinander – und sie motiviert ihn, sich nicht als bemitleidenswertes Opfer seiner Kindheit und der gesellschaftlichen Umstände zu inszenieren, sondern den Joker wieder aufleben zu lassen…
„…dann bauen wir einen Berg – aus einem kleinen Hügel.“
Wie „Joker“ wurde auch „Joker: Folie à Deux“ tief in den
Neo-Noir-Stiltopf getaucht: urbanes Anfang-‘80er-Ambiente, viel Dampf und Qualm – allein schon, weil ständig und überall geraucht wird. Die Gefängnisbilder sind dreckig und unwirtlich, Arthur ist erschreckend abgemagert – im Gegensatz zu den fettleibigen sadistischen Wärtern (u.a. Brendan Gleeson, „Brügge sehen… und sterben?“), die wahllos Insassen misshandeln. Zeitlupen betonen die Relevanz mancher Szene. Die Kamera fängt ihre Figuren bevorzugt in Großaufnahmen ein und filmt viele Bildschirme ab, bevorzugt TV-Geräte, was den Stellenwert dieses Mediums für die Geschichte unterstreicht. Entweder wird Arthur selbst gefilmt oder er sieht TV-Nachrichten und -Berichte über sich, an denen er sich erfreut. Sogar ein Film sei über ihn gedreht worden; gut sei er geworden, er habe ihn leider noch nicht sehen können. Einmal sitzt er auch im Knastkino und schaut sich zusammen mit Harley den Musicalfilm „Vorhang auf!“ an. Das Kennenlernen der beiden wird ziemlich schnell abgefrühstückt, sorgt aber auch rasch für wundervolle düsterromantische Bilder einer Außenseiterromanze – die sich indes bald als Illusion, weil auf Lügen Harleys fußend, entpuppt. Dass es sich bei Harley gar lediglich um ein Hirngespinst Arthurs, um eine weitere Facette einer multiplen Persönlichkeit handeln könnte, scheint anfänglich möglich (und wäre dem Film zuzutrauen gewesen), bewahrheitet sich aber nicht.
„ich will nicht mehr singen, bitte…“
„Joker“ hatte eine sozialkritische, empathische
Origin-Story des in den Comics
Origin-Story-losen psychopathischen Schwerverbrechers angeboten. Anstatt ihn in dieser Fortsetzung nun zum Chefzyniker unter den DC-Schurken hochzustilisieren, inszeniert ihn Phillips entgegen etwaigen Erwartungen seitens der Fans weiterhin über weite Strecken als bemitleidenswertes Opfer, das unter dem Gefängnis leidet, durch die zarten, anscheinend erwiderten Gefühle zu Harley neue Hoffnung und Lebenslust schöpft und sich in bunte Musicalszenen mit ihr hineinfantasiert, die mit verstörenden Gewaltausbrüchen gespickt sind, dadurch kontrastiert werden und ebenfalls einfach großartig sind.
Als es vor Gericht geht, wo er sich letztlich dafür entscheidet, als Joker eine Schmierenkomödie abzuziehen, scheint sich jedoch schlicht seine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu bewahrheiten. Als Zuschauer(in) empfindet man nun verstärkt Empathie für, nein, nicht den aalglatten Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey, „Industry“) zu Prä-Twoface-Zeiten, sondern für die aussagenden Zeuginnen und Zeugen (u.a. Zazie Beetz, „Deadpool 2“). Besonders stark ist in dieser Hinsicht der Auftritt des kleinwüchsigen Gary Puddles (Leigh Gill, „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“), einem ehemaligen Arbeitskollegen Arthurs, der eindringlich seine Verstörung und Angst transportiert und von Arthur respektive Joker verhöhnt wird. Was man zuvor eventuell an Sympathie für Arthur empfand, beginnt hier mehr als nur zu bröckeln. Seine Totschläge und Morde haben auch etwas mit den Lebenden gemacht. Und wer indirekt betroffen ist, zählt ganz bestimmt nicht zu seinem Fanclub, der sich in Clownsmaskerade in Solidaritätsbekundungen und Randale ergeht.
Seine zufällige Befreiung aus dem Gerichtssaal und somit auch der Haft durch die Explosion einer Autobombe lässt vermuten, dass nun doch noch eine Joker-und-Harley-Quinn-Show beginnen könnte, doch Pustekuchen: Offenbar verweigert Phillips eine solche Entwicklung seinem Publikum ganz bewusst. Stattdessen spring Phillips mit Anlauf und
Gebrüll Gesang in die „Rob Zombie’s Halloween“-Falle und entmystifiziert eine Figur komplett, die nicht entmystifiziert werden darf, damit sie funktioniert. Dabei geht er sogar einen entscheidenden Schritt weiter als der seinerzeit mutmaßlich aus Unverständnis handelnde Rob Zombie und verwehrt diesem Joker sogar komplett die Möglichkeit, auch nur ansatzweise zu jenem Oberschurken zu werden, wie man ihn kennt – vermutlich, um die von Arthurs Fans, allen voran Harley, zelebrierte Faszination für das Böse nachhaltig zu ersticken und, mit dem Zaunpfahl gen aktuelle Realität winkend, davor zu warnen, sich mit Vorliebe öffentlich profilierenden Schizos zu verfallen. Da passt es ins Bild, dass Harley bald das Interesse an Arthur verliert und bis auf ein wenig Maskerade nicht viel von der geläufige Harley-Quinn-Figur erkennen lässt.
So nachvollziehbar dieser Ansatz grundsätzlich sein mag, erscheint mir die Figur des Jokers eher ungeeignet, um diese Aussage nicht nur zu transportieren, sondern sie (die Figur) hierfür auch noch zu bestrafen. Zu den DC-Comics passt das spätestens ab diesem Punkt nicht mehr. Ach ja, der Gesang: Der passt, wie auch von mir im Vorfeld vermutet, wiederum sehr gut in diese Adaption, denn gerade die DC-Welt bot schon immer viel Raum für Varianten- und Facettenreichtum sowie Ent- und Verrücktheiten. Lady Gaga ist ohnehin in erster Linie für ihr Gesangstalent bekannt und Phoenix stellte seines bereits damals als Johnny Cash in „Walk The Line“ eindrucksvoll unter Beweis. Egal, ob als Duett oder solo und ganz gleich, ob innerhalb Arthurs bunter Fantasie oder im kargen, grauen Knast: Die Interpretationen alter Klassiker, die hier zumindest zum Teil rekontextualisiert werden, können sich hören lassen und leben oft von der Zerbrechlichkeit, die Phoenix als Arthur in seine Stimme legt. Inhaltlich erzählen sie häufig die Handlung weiter bzw. drücken Gefühlswelten aus und wurden sie entsprechend gut eingeflochten, und ästhetisch schien man einen besonderen Gefallen daran zu finden, sie rein intradiegetisch beginnen zu lassen und mittels extradiegetischer Filmmusik nach und nach aufzumotzen.
Der Gesang ist also nicht das Problem dieses über so weite Strecken trotz Überlänge fesselnden und interessanten, toll aussehenden und ebenso geschauspielerten Films. Es sind vielmehr die Abbiegungen, die er nimmt, um eine Fan-Enttäuschung auf die andere zu stapeln und mit einem derart üblen Tabula-rasa-Ende zu besiegeln, dass eine weitere Fortsetzung mit Phoenix als Joker unmöglich scheint. An dieser habe Phillips aber ohnehin kein Interesse, heißt es. Ein möglicher Ansatz wäre eine neue
Origin-Story eines neuen (des eigentlichen?) Jokers, einem ehemaligen Fan Arthurs – den der Schluss auch andeutet. Vielleicht kommt man bei
Netflix und Konsorten ja irgendwann auf die Idee und gießt dies in Serienform.
Positiv hervorheben möchte ich den generellen Trend zurück zu deutschen
Inserts, dem auch „Joker: Folie à Deux“ folgt. Negativ hervorheben muss ich die Enttäuschung, die ich – obwohl stets aufgeschlossen gegenüber von der Norm abweichenden Comicverfilmungen – mit Einsetzen des Abspanns empfand.