Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Fr 7. Nov 2025, 17:01

Danke für nichts
Die gerade im Kino laufende Mischung aus urbaner Tragikomödie und schwarzhumorigem Coming-of-Age-Drama „Danke für nichts“ ist die Abschlussarbeit der Nachwuchsregisseurin und -autorin Stella Marie Markert und zugleich, nach einem Kurzfilm, ihr Kinodebüt.
Katharina (Lea Drinda, „In die Sonne schauen“), Ricky (Safinaz Sattar, „Sløborn“), Victoria (Sonja Weißer, „Unschuldig – Der Fall Julia B.“) und Malou (Zoe Stein, „Manticore“) leben zusammen in einer betreuten Wohngruppe in Berlin-Prenzlauer Berg. Allen gemein ist, dass sie einst von ihren Eltern abgegeben oder verstoßen wurden. Katharina ist bereits seit Kindheitstagen von einer suizidalen Todessehnsucht besessen, hat am Erwachsenwerden keinerlei Interesse, dafür diverse Selbstmordversuche hinter sich und es sich zum Ziel gesetzt, noch vor ihrem 18. Geburtstag das Zeitliche zu segnen – und dieser steht kurz bevor. Ricky ist eine lesbische Ausländerin, deren Eltern nach einem erfolglosen Versuch, sich in Deutschland mit einem Fischgeschäft eine Existenz aufzubauen, in ihre Heimat zurückgegangen waren – ohne sie. Die Schule interessiert sie nicht, dafür Katharina umso mehr. Die Behörden sehen keine Zukunft für sie in Deutschland und planen ihre Abschiebung. Malou hat mit fünf Jahren zu sprechen aufgehört, ist aber eigentlich hochintelligent und führt eine Art Doppelleben als erfolgreiche Autorin. Victoria, genannt Vicky, leidet unter einer bipolaren Störung, aufgrund derer sie mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt ist. Zugleich ist sie das Töchterchen vermögender Eltern, die sich nicht sonderlich für sie interessieren und nicht nur nicht wissen, dass sie kaum eine Gelegenheit auslässt, Männer kennenzulernen und exzessive Partys zu feiern, sondern ebenso wenig, dass sie die von ihnen zur Verfügung gestellte Altbau-Eigentumswohnung zu eben dieser WG für verhaltensauffällige junge Frauen umfunktioniert hat. Ein Auge auf die Mädels hat Sozialarbeiter Michael (Jan Bülow, „Lindenberg! Mach dein Ding“), der von allen nur Ballack genannt wird, so wenig wie möglich Arbeit mit seinen Schutzbefohlenen haben möchte und sich in enge weiße Klamotten gezwängt, eine ausladende getönte Sonnenbrille tragend und ein Sportcabriolet fahrend als Schmalspur-Dandy geriert. Gemeinsam schafft man es, sich das von Frau Rottenborn (Kathrin Angerer, „Der rote Kakadu“) personifizierte Jugendamt weitestgehend vom Hals zu halten und sich mit der spießigen Psychotherapeutin „Frau Dr. Doktor“ (Sophie Rois, „Der Hauptmann von Köpenick“) gerade so gut zu stellen, dass keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten sind – was zur echten Herausforderung gerät, wenn Katharina wieder einmal einen Suizidversuch begangen hat, den es geheimzuhalten gilt…
Als es gerade wieder einmal so weit war, steigt der Prolog in die Handlung ein, ohne dass das Filmpublikum bereits wüsste, was überhaupt passiert ist. Dies und vieles andere erzählt die Narration beinahe beiläufig und irritiert mit der einen oder anderen Reaktion Katharinas Umfelds, was sich, je näher man den Figuren kommt, aber nach und nach erklärt. Zu deren Umfeld gehören auch die miteinander befreundeten jungen Männer (Pablo Striebeck, „Dark“ und Ludger Bökelmann, „Die Discounter“), die – auch das ist mal schön zu sehen – zwar gern trinkend durch die Straßen ziehen, aber ein ehrliches Interesse an Katharina und Malou haben. Und dann ist da noch Gina (Chenoa North-Harder), die ein eher körperliches Techtelmechtel mit Ricky hat und in diese verknallt ist, während Ricky sich nach wie vor mehr zu Katharina hingezogen fühlt. Ein allwissender Off-Erzähler vermittelt in eingeschobenen Kapiteln die Vorgeschichte jeder der vier WG-Bewohnerinnen, wofür Jüngstdarstellerinnen diese im Kindesalter mimen. Diese Interludien zählen zu den humoristischen Höhepunkten des Films, der aber auch eine seine gegenwärtige Geschichte keineswegs mit Leichenbittermine vorantreibt, sondern ernste Themen mit sehr geschmackvollem Humor verhandelt, ohne die Protagonistinnen der Lächerlichkeit preiszugeben.
Das ist ein erfrischend anderer Ansatz als im üblichen Sozialdrama, das dieser Film eben weniger sein will als vielmehr eine punkige Geschichte über Außenseiterinnen, die gesellschaftlichem Anpassungsdruck auf ihre eigene Weise zu trotzen versuchen und bei aller Unterschiedlichkeit den Wert von Freundschaft und gegenseitiger Akzeptanz erkennen. Zudem weiß Regisseurin und Autorin Markert, wann die Handlung sich in Sachen Humor zurücknehmen muss und realisiert einige wahrhaftig berührende Szenen. Sie und ihr Team arbeiten mit Stilmitteln wie Jumpcut-Schnittfolgen, Kurzrückblenden, Verfremdungen und dem Durchbrechen der vierten Wand, ohne es damit zu übertreiben. „Danke für nichts“ ist großartig geschnitten, zu keiner Sekunde langatmig und detailreich ausgestattet, was sich vor allem in der unterschiedlichen Gestaltung der Zimmer der vier Mädchen widerspiegelt, die jeweils Rückschlüsse auf ihren Charakter erlauben.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler, insbesondere die die vier Mädchen spielenden Nachwuchstalente, sind hervorragend ausgewählt; die Chemie scheint zu stimmen und emotionale Ausbrüche werden genauso beherrscht wie leisere, zurückhaltende Momente. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie Zoe Stein es versteht, ihrer verbal stummen Figur Ausdruck und Tiefe zu verleihen. Der aus „Die Discounter“ bekannte Ludger Bökelmann erinnert in seinem Spiel an dessen dortige Rolle als Peter, zeigt hier aber mehr Nuancen seines Könnens, was seine Rolle als Bela auch erfordert.
Markerts Schwester Rosa Lee Luna zeichnet für den Score verantwortlich, den sie feinfühlig daran anpasste, welche der Figuren gerade im Mittelpunkt steht. Ergänzt wird er durch Pop- und Rocksongs mit einem Rio-Reiser-Evergreen als emotionalem Höhepunkt. Der Epilog im Anschluss zeigt ein laut Regisseurin bewusst überzeichnetes Happy End, das mir dann doch etwas zu dick aufgetragen ist, die Aussage des Films aber unterstreicht und vermutlich noch einmal veranschaulichen sollte, dass es hier aller Realitätsbezüge zum Trotz eben nicht um Sozialrealismus geht, man stattdessen mitunter gar die Gesellschaftssatire streift. Besetzung und Crew des unter hohem Zeitdruck realisierten Films empfehlen sich für weitere Produktionen, auf die ich schon gespannt bin. Junges deutsches Kino wie dieses lässt hoffen!