Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato (1980)

Grusel & Gothic, Kannibalen, Zombies & Gore

Moderator: jogiwan

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Blap
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von Blap »

Was genau wird "Cannibal Holocaust" denn nun vorgeworfen? Einerseits ist er zu eklig, dazu noch anprangerungswürdig, weil ein paar Tiere gekillt werden (während in der Tiefkühltruhe der Sonntagsbraten fröstelt). Dann ist der Film aber doch eher harmlos, nicht schockierend genug. Nicht zu vergessen der Vorwurf, Deodato sei von anderen Filmen beeinflusst worden. Schon über die Bedeutung des Wortes "Exploitation" nachgedacht? :roll:

Für mich ist "Cannibal Holocaust" ein intensives Seherlebnis. Extremer geht immer, politisch korrekter auch. Doch dann bitte an anderer Stelle suchen, vielleicht im Bereich Experimentalfilm forschen und/oder "Die Sendung mit der Maus" schauen.
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buxtebrawler
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von buxtebrawler »

Operazione Bianchi hat geschrieben:Obwohl ich den Film (hüstel,hüstel) ganz gut finde kann ich diese "Extremster Film aller Zeiten" Nummer überhaupt nicht nachvollziehen ! Die "gesellschaftskritischen" Momente sind an den Haaren herbeigezogen und pure Exploitation ... wenn es etwas moralisch zu bemängeln gibt dann vor allem die fadenscheinliche Volljährigkeit der Laiendarstellerinnen !Seien wir ehrlich : was den Kanibalismus (sprich: die Gore-Szenen) angeht ist Lenzi`s "Rache der Kannibalen" wesentlich extremer ausgefallen ! Die vielbeschriene Grausamkeit basiert doch nur auf den asozialen Tiersnuff-Szenen , was "Menschen-Gore " angeht hat sich Lenzi wenigstens um ein paar grafische Effekte bemüht , während Deodato "gesellschaftkritisch" erstlienig Tiere quält ..chapeau :kotz:

Die Föten-im-Sand-verbuddeln Szene wurde übrigens aus irgeneinem Mondo gemopst , ich glaub aus "Mondo Diavolo" oder "Libido Mania"! Jedenfalls wurde das Rad nicht neu erfunden ! Was gar schröckliche Filme wie Martyrs ,Amer, A Serbian Movie usw. angeht , sowas würde ich mir niemals anschauen ...
Seine Extremität bezieht "Cannibal Holocaust" aus meiner Sicht nicht aus den Goreszenen, insofern ist es unerheblich, ob wer anders noch mehr herumgematscht hat. Dass er das Rad nicht neu erfunden hat, hat ja auch niemand behauptet; meines Erachtens hat er es aber perfektioniert. Der Film wirkt auf mich sehr wenig exploitativ und entfacht gerade dadurch seine Wirkung.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Arkadin
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von Arkadin »

Operazione Bianchi hat geschrieben:Mensch Arkardin , da verwechselst Du aber "Lebendig Gefressen" mit "Der Rache der Kannibalen" !
Ach ja, der hat ja zwei solche Dinger verbrochen. Stimmt! Mea culpa. Schieb es auf Altersenilität. Mannmannmannmannmann... das ärgert mich jetzt aber wirklich.... :evil:
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firetrain
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von firetrain »

Operazione Bianchi hat geschrieben:@firetrain:

Als sensibler Mensch würde ich mir nicht unbedingt einen Film mit dem Titel "Cannibal Holocaust" ansehen ;)
Da hast du gar nicht mal unrecht. Doch seit MEN BEHIND THE SUN habe ich die Grenzen dessen, was ich aushalten kann, schon vor Jahren überschritten. Damals wollte ich einfach erforschen, was es halt so an wirklich "fiesen" Filmen gibt. Heute schaue ich mir Streifen wie zum Beispiel OXEN SPLIT TORTURING jedenfalls nicht mehr an. Wenn schon heftig, dann was Witziges wie STORY OF RIKI oder ZOMBIE HOLOCAUST...
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jogiwan
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von jogiwan »

Das hübsche Papier-Cover der tschechischen DVD unter dem klingenden Titel "Kanibalové" ;)

Man beachte auch die Preisgestaltung... 8-)
 ! Nachricht von: buxtebrawler
Entfernt, da beim Bildhoster TinyPic leider nicht mehr verfügbar.
:lol: :lol: :lol:
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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Onkel Joe
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von Onkel Joe »

1,80 euro ist natürlich der Burner, gibts soetwas auch von Dawn??
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
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jogiwan
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von jogiwan »

Leider nicht - sonst hättest du schon längst ein Exemplar! Die Filmauswahl im Horror-Bereich ist nicht nur bescheiden, sondern auch eher strange :)
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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Salvatore Baccaro
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Meine fünf (oder vielleicht auch zehn) Cent zu diesem gar schrecklichen "Skandalfilm":

Einer der Hauptkritikpunkte, die stets gegen CANNIBAL HOLOCAUST vorgebracht werden, nämlich seinen selbst für italienische Kannibalenfilm-Verhältnisse reichhaltigen Fundus an zumeist regelrecht zelebrierten Tiertötungen aller Art, lässt sich, meiner Meinung nach, am leichtesten als nicht relevant für jedwede Zensureingriffe entlarven. Natürlich kann man rein persönlich von solchen Darstellungen entrüstet oder betroffen sein, jedoch gerade in den 70ern stellten solche Szenen ein offenbar wenig hinterfragtes und probates Stilmittel des Medium Films dar, dessen Verwendung sich nicht allein auf skrupellose, nur die niedrigsten Instinkte ansprechende Exploitation-Movies bezog, sondern das auch von renommierten Regisseuren wie Francis Ford Coppola oder Barbet Schroeder zur Umsetzung ihrer künstlerischen Visionen eingesetzt wurde. Rein objektiv betrachtet macht es für einen Ochsen wohl keinen Unterschied, ob er vor den Kameras eines international erfolgreichen amerikanischen Mainstream-Regisseurs sein Leben lassen darf (siehe APOCALYPSE NOW: und es wird wohl keiner ernsthaft argumentieren, dass dieser Film einer ist, der in den Exploitation-Kanon gehört) oder ob es ein italienischer Schmuddelfilmer ist, der seinen blutigen Tod aufgrund seiner Schockwirkung aufzeichnen lässt. Rein objektiv betrachtet ist es daher auch nicht mehr oder weniger verwerflich, ob nun ein Michael Haneke selbst im neuen Jahrtausend noch die Schlachtung eines Pferds in Großaufnahme auf die Leinwand bringt (siehe WOLFZEIT), oder ein Ruggero Deodato in allen Einzelheiten filmisch dokumentiert, wie seine Schauspieler die Demontage einer Riesenschildkröte betreiben. Zu welchem Zweck diese Tierschlachtungen schlussendlich dienen sollen, zur Entlarvung einer dem Menschen eigenen Doppelmoral, zur Dokumentation kulinarischer Gepflogenheiten exotischer Länder (wie im Mondo-Genre) oder eben als reiner billiger Schockeffekt spielt dabei zunächst keine Rolle, da die Grenzen sich in jedem Fall mehr oder weniger überschneiden (so wird bspw. Michael Haneke mit der Pferdeszene in WOLFZEIT natürlich neben allem Hebens des moralischen Zeigefingers auch das Schockpotential im Auge gehabt haben, das diese Sequenz zwangsläufig mit sich bringt: ist ja klar, niemand filmt eine Pferdeschlachtung, weil er das "schön" im Sinne von "ästhetisch" findet - hoffe ich zumindest) und es zum andern keinen großen Unterschied macht, in welchem Kontext die jeweilige Tiertötung nun stattfindet, das Dargestellte ändert sich dadurch genauso wenig wie der Fakt, dass ein Tier gegen seinen Willen vom Leben in den Tod befördert wurde. Dennoch, und das wundert mich, besteht in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Tiertötungsszenen in Spielfilmen offenkundig die Ungereimtheit, dass diese in einem als Klassiker gehandelten Werk wie APOCALYPSE NOW scheinbar kritiklos hingenommen werden, während man Exploitation-Filme, die sich solcher Darstellungen bedienen, automatisch mit dem Vorwurf der Tierquälerei belegt. Gerade hier lässt sich mit objektiven Kategorien allerdings kaum bewerten, ob nun die Schildkröte in CANNIBAL HOLOCAUST, die immerhin gleich zu Beginn ihren Kopf abgehackt bekommt und somit ihre weitere Zerstückelung nicht mehr live miterlebt, mehr Qualen erdulden musste als beispielweise die Frösche in Bertoluccis Großproduktion 1900, die der Zuschauer, nachdem ein Knaben sie an Haken auffädelte, um sie als schmucke Kopfbedeckung zu verwenden, über Minuten hinweg bei ihrem sichtlich peinvollen Todeskampf betrachten darf.

Was die inszenierten Gewalttaten betrifft, die in CANNIBAL HOLOCAUST Menschen von Menschen zugefügt werden, ist es, ganz den Konventionen des Genres entsprechend, nicht schwer, den Eindruck zu bekommen, dass Deodato eine Liste an Tabubrüche zusammenstellte, die er dann nach und nach filmisch umsetzte. Es gibt wenig, vor dem die Gewalt in CANNIBAL HOLOCAUST haltmacht, seine Attacken und mörderischen Eingriffen schrecken nicht mal vor noch ungeborenem Leben zurück, und dass auch die Geschlechtsteile der Protagonisten vor kannibalistischen Angriffen nicht verschont bleiben, gehörte 1980 längst zum Standardrepertoire der Gräuel des italienischen Menschenfresserfilms. Formal betrachtet sind die Gewaltexzesse, die Deodato hier feiert, meiner Meinung nach, indes zu realistisch, bedrückend und verstörend umgesetzt, um trotz ihrer Überzogenheit und ihres geballten Auftretens den Charakter des Comichaften verliehen zu bekommen, wie man ihn z.B. in CANNIBAL FEROX, Umberto Lenzis Antwort auf Cannibal Holocaust, feststellen kann, der für mich mehr mit einem comic-strip zu tun hat als mit einem schockierenden Horrorfilm (die Tierszenen ausgenommen). Gewaltverherrlichung oder auch nur Gewaltverharmlosung kann man CANNIBAL HOLOCAUST in keinem Punkt unterstellen. Allein dadurch, dass die Protagonisten zu guter Letzt ihre eigene Ermordung mitfilmen, erhält der Terror, den der Film vermittelt, eine ganz neue Dimension, in der es schier unmöglich ist, sich nicht mit den Opfern zu identifizieren, und die Perspektive der Täter einzunehmen, auch wenn, das muss man immerhin konstatieren, diejenigen, die in den Schlussszenen als Opfer fungieren, zuvor selbst als Täter auftraten. Interessant ist hierbei auch, dass CANNIBAL HOLOCAUST sich von seinen unbestritten rassistischen Genrevorgängern in einer wesentlich differenzierteren Kannibalendarstellung unterscheidet. Sicherlich ist der Blick, der in Deodatos Film auf die urtümliche Dschungelwelt des Amazonas geworfen wird, stets einer, der sich selten um Objektivität bemüht, dennoch muss man feststellen, dass die Kannibalen nicht wie in vorherigen Werken wie Deodatos eigenem MONDO CANNIBALE 2 oder Joe D’Amatos seltsamer Symbiose aus Softporno und Kannibalenhorror EMANUELLE E GLI ULTIMI CANNIBALI von Natur aus darauf aus sind, sämtliche Weiße, die sich in ihr Gebiet verirren, zu verspeisen, sondern erst durch den Terror, den das Mondo-Filmteam unter Leitung Alan Yates an ihnen verübt, dazu veranlasst werden, die fremden Eindringlinge zu jagen und zu bestrafen. Zwar wird nie bestritten, dass die Eingeborenen in CANNIBAL HOLOCAUST dem Brauch des Kannibalismus frönen und sich auch zuweilen in Grausamkeiten gegenüber Frauen oder anderen Stämmen hervortun, jedoch schwächt der Film dies stets ab, indem er religiöse oder soziale Kontexte anführt, um ihr Verhalten in gewisser Weise zu rechtfertigen. So wird Professor Monroe in keiner Weise von den Kannibalen dahingehend behelligt, dass sie ihn sich einverleiben wollen, und auch die finalen Szenen, in denen die Eingeborenen über Alan Yates nebst Team herfallen, funktionieren völlig ohne den Aspekt des Kannibalismus, und verorten den Film von seiner Struktur her eher im Bereich klassischer Revenge-Streifen wie LAST HOUSE ON THE LEFT. Hier wie dort verübt eine bestimmte Tätergruppe, im Falle von CANNIBAL HOLOCAUST eben die Reporter, die aus reiner Sensationsgier ein ganzes Eingeborenendorf niederbrennen, ein Verbrechen an Unschuldigen, worauf sie sich die Rache der Hinterbliebenen zuziehen und von diesen in einem Akt der Selbstjustiz gerichtet werden. Allein dadurch erhalten die überaus grausamen Tötungsszenen eine raffinierte Doppelbödigkeit, wenn sowohl Filmteam als auch Kannibalen Täter und Opfer zugleich sind, und man kann CANNIBAL HOLOCAUST problemlos eine zutiefst moralische Haltung unterstellen, die Gewalt per se verurteilt oder zumindest postuliert, dass sie, sofern man sie trotzdem verübt, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen selbst zurückfällt. Nicht vergessen darf man, dass die meisten Gräuelszenen zudem nicht einfach ungefiltert und unkommentiert auf das Publikum losgelassen werden, sondern dass der Film zumindest die, die sich im „authentischen“ Filmmaterial Yates‘ finden, ständig mit Szenen wechseln lässt, in denen Professor Monroe beim Betrachten des Materials mit schockiertem und angewidertem Gesichtsausdruck zu sehen ist, die grenzenlose Gewalt somit permanent von außen einen Blick zugeworfen bekommt, der sie zutiefst verurteilt und ethisch wertet.

Auch die Weise wie CANNIBAL HOLOCAUST Dokumentaraufnahmen, entscheidend hierbei vor allem authentische Erschießungen in Afrika, in seine Spielfilmhandlung einbindet, finde ich nicht dramatisch, da der Film gerade hier eine sonst ungewohnte Zurückhaltung an den Tag legt, und diese Szenen, die interessanterweise aus Barbet Schroeders IDI AMIN DADA, einem Dokumentarfilm über den gleichnamigen ugandischen Diktator und Massenmörder stammen, mit Riz Ortolanis melancholischer, tieftrauriger Streichermusik unterlegt, sodass es ihnen nahezu unmöglich gemacht wird, eine plakative Schockwirkung anzuvisieren. Im Umgang mit diesen Aufnahmen, in CANNIBAL HOLOCAUST als Film im Film präsentiert, lässt Deodato eine Ernsthaftigkeit erkennen, die verhindert, dass sein Werk sich aufgrund der Einbindung echten Sterbens in sein postmodernes Geflecht den Vorwurf gefallen lassen muss, pietätslos und geschmacklos mit den Opfer reeller Gewalt umzugehen, ganz anders als beispielweise so mancher etwa zeitgleich entstandener italienische Nazi-Exploiter, wo die eingefügten Originalaufnahmen und Photographien, tatsächlich nur auf die Schaulust des Publikums spekulieren, aber auch wesentlich dezenter und stiller funktioniert als ähnliche Szenen in eindeutig als Kunstwerke rezipierten Filmen wie SWEET MOVIE von Dusan Makavejev oder BLUE MOVIE von Alberto Cavallone.

Zuletzt stellt sich die Frage, weshalb ein Film, der derart vielschichtig ist und derart viele Lesarten aufweist wie CANNIBAL HOLOCAUST nicht per se unter Kunstvorbehalt gestellt werden sollte (und damit zumindest theoretisch unantastbar wird ;-) ). Ein Blick in seine Filmographie bringt Ruggero Deodato nun zwar wirklich nicht den Verdacht, ein intellektueller Filmemacher zu sein, der vorrangig von künstlerischen Ambitionen getrieben wird, allerdings lässt CANNIBAL HOLOCAUST an ein Zitat Jonathan Meeses denken, der sinngemäß sagte, dass es der Kunst völlig egal sei, durch wen oder was sie wirke, sie fände immer ihren Weg, ob nun durch eine Pflanze, ein Tier, einen Menschen, oder, möchte man hinzufügen, eben durch einen italienischen B-Regisseur, der im Falle von CANNIBAL HOLOCAUST höchstwahrscheinlich vorrangig einen reinen schockierenden Exploitation-Film im Sinn hatte. Wie die Intentionen hinter dem Film nun auch immer gewesen sein mögen, entscheidend ist, dass CANNIBAL HOLOCAUST in seiner ganzen Machart, seinem ständigen Wechsel der Ebenen, seinem Genrespiel, seinem beeindruckenden Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion die Möglichkeiten des Mediums Film als einzigartigem Diskursmedium, das so ziemlich alle andern Kunstformen in sich vereint, auf eine Art ausschöpft, die ihn weit über den Standard sonstiger Genreproduktionen heben. Gerade dadurch, dass CANNIBAL HOLOCAUST das, was er anprangert, selbst ausführt, also die Taten des Mondo-Filmteams als verurteilenswert brandmarkt, gleichzeitig aber selbst völlig unreflektiert reelle Grausamkeiten an Tieren verübt, führt dazu, dass dem Zuschauer ein Spiegel vorgehalten wird, der ihn im besten Falle zu der Frage bringt, weshalb er sich aus der Videothek seines Vertrauens überhaupt erst einen Film diesen reißerischen Titels ausgeliehen hat. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Film auf raffinierte Weise selbstreferentiell ist und faktisch über seine gesamte Laufzeit hinweg dezidiert auf das Genre verweist, aus dem der italienische Kannibalenfilm entstand, in gewisser Weise eine Reflexion über das Phänomen Mondo darstellt, sozusagen die explotiativere Variante von Paolo Cavaras L'OCCHIO SELVAGGIO.
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Onkel Joe
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von Onkel Joe »

Schöner Text :thup:
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buxtebrawler
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Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato

Beitrag von buxtebrawler »

Kann dem Onkel nur beipflichten; sehr gut geschriebene Abhandlung von jemandem, der den Film verstanden hat.

Zum Thema Tiersnuff würd ich gern noch loswerden, dass es für mich einen Unterschied macht, ob man ein Pferd, das ohnehin geschlachtet wird, dabei filmt, man also lediglich die Realität dokumentiert, oder man ein Tier nur für einen Schockeffekt o.ä. in einem Film tötet und nicht weiter verwertet.

Ob Deodato vorrangig wirklich nur einen schockierenden Exploiter schaffen wollte, wage ich aber zu bezweifeln. Glaube nicht, dass "Cannibal Holocaust" mit all seinen Qualitäten ein Zufallsprodukt ist. Kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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