Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Dogs of Berlin (Christian Alvart, 2018) 9/10

Zwei Cops, einer mit Wurzeln in der Neonaziszene, und ein homosexueller Türke, müssen den Mord an Deutschlands beliebtestem Fußballer (mit türkischen Stammbaum) aufklären. Klingt nicht abgefahren genug? OK, dann halt so: Der Ex-Neonazi-Cop, Grimmer, hat Wettschulden bei der serbischen Wettmafia, und hält deswegen den Tod des Fußballers unter der Decke, um beim Länderspiel Deutschland – Türkei am kommenden Tag auf einen Sieg der Türkei zu setzen. Das Geld für den Einsatz besorgt er sich bei seinem Bruder, der maßgebliches Mitglied in einer Kameradschaft ist. Die serbische Wettmafia wiederum ist die Konkurrenz eines türkischen Clans, hinter dem der türkische Cop, Erol, seit 18 Jahren her ist. Und der Bruder des Clanchefs will mit den Serben Geschäfte machen. Dazu kommen noch diverse Familiengeschichten (Grimmer hat eine Frau mit Kind und zusätzlich ein Verhältnis mit einer Frau mit zwei Kindern), Grimmers Frau hat ein kleines Ladengeschäft und bekommt es mit einer Schutzgelderpressung zu tun, wobei sich der Erpresser mal eben in Grimmers Frau verliebt, und und und …

DOGS OF BERLIN ist Action-Kino mit globalem Anspruch, nicht mehr und nicht weniger. Die Figuren sind völlig überzeichnet, die Action ist comicartig, die Handlung so irrwitzig wie die letzten fünf US-Blockbuster miteinander, und die Dialoge sind zwar böse vernuschelt, treffen aber oft auf die Zwölf. Und das ganze findet dann halt nicht in Manhattan Downtown-LA statt, sondern in Berlin-Marzahn und im Neukölln nachempfundenen, fiktiven Stadtteil, Kaiserwarte. Damit also klare hiesige Bezüge, Menschen denen man jeden Tag auf der Straße begegnen könnte, und mit Dingen wie Fußball und einem Dönerstand einfach viel näher an der bundesrepublikanischen Realität als irgendwelche Drogenköpfe von der Southside Chicago.

Globaler Anspruch heißt aber auch, dass die Action verdammt perfekt umgesetzt ist. Gleich ob Schlägerei oder ob der abschließende Aufmarsch der Hundertschaften mit Heli und Panzer, wenn es rumst, dann rumst es ordentlich, und auf sehr hohem Niveau. Die Massenprügelei im neunten Teil geht schon einigermaßen unter die Haut, genauso wie die erstklassige Sequenz mit dem Mordanschlag auf Erol oder das Standgericht der Kameradschaft. Bilder, die nachhaltig in Erinnerung bleiben und abends im Bett das Einschlafen verhindern. Am Besten ist Alvart aber dann, wenn er packende Bilder mit Atmosphäre und Spannung verbinden kann. Das Länderspiel in der dritten Folge, das parallel zu einer Wette und einer Geschäftsanbandlung unter Clans stattfindet, ist unglaublich packend, wenn sich das Geschehen auf dem Platz gleichzeitig zu den Vorgängen in der VIP-Lounge entwickelt, und nach und nach immer mehr Zusammenhänge klar werden – Sowohl dem Zuschauer wie auch den Akteuren. Die Geschichte entwickelt sich ganz allmählich und ist erstklassig gefilmt und erzählt, wenngleich die Streckung auf 10 Episoden so manchen Subplot generiert, den man sich auch hätte schenken können. Aber insgesamt läuft die Serie auf einem hohen und kostenintensiven Standard, den wir alle von US-amerikanischen Filmen kennen und erwarten, der aber im deutschen Film (leider) nicht so häufig ist, vom TV gleich ganz zu schweigen.

Und weil ja jeder Ami-Furz so viel besser ist, muss die Geschichte um eine Stadt die in Kriminalität, Gewalt und Sex versinkt, natürlich so schlecht wie nur möglich gemacht werden. Wenn ich im Internet herumschaue, dann wird an der mangelnden Realität herumgekrittelt, als ob alle Filme aus anderen Ländern immer nur die Wahrheit darstellen würden. DOGS OF BERLIN ist geiles, hartes und cool aussehendes Action-Kino der Spitzenklasse: Geschichte, Bilder, Musik, Darsteller, Twists, Subplots, Cliffhanger – (Fast) alles erste Sahne, da ist es mir scheissegal, ob Doppelnamen im arabischen Raum üblich sind oder nicht, und ich pfeif darauf ob arabische Clanmitglieder ihr Joghurt rechtsrum oder linksrum rühren. Die Unterhaltung passt und sie passt verdammt gut. Anschauen! Jalla!!
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Cartes sur table (Jess Franco, 1966) 7/10

Am hellichten Tag ermorden mechanisch agierende Attentäter, die allesamt Sonnenbrillen tragen und dieselbe Hauttönung aufweisen, an unterschiedlichsten Orten diverse Botschafter und Politiker vor zahlreichen Zeugen. Kurioserweise besitzen die Täter stets auch dieselbe Blutgruppe. Also wird der ehemalige Interpol-Agent Al Pereira aus dem Ruhestand geholt, ist er doch ebenfalls im Besitz ebendieser Blutgruppe. Ausgestattet mit originellen Gadgets à la James Bond kommt Pereira bald einer verschwörerischen Organisation auf die Schliche, die Menschen mittels perfider Technologien in roboterhafte Auftragskiller umwandelt. Und nebenbei muss er sich noch mit dem chinesischen Geheimdienst herumschlagen... (Quelle: OFDB - PierrotLeFou)

Ziemlich amüsanter und abgedrehter Euro-Spy mit starkem Anspruch der Selbstverarschung. Eddie Constantine parodiert sein eigenes Image, die Schönheit der Frauen wird von ihrer Durchtriebenheit weit in den Schatten gestellt, die Dekors sind liebevoll und verschwenderisch, und die Bösewichter herrlich böse und richtig wichtig. Wie James Bond für Anfänger – Euro-Spy eben. Und wer immer dachte, dass Jess Franco keine Actionszenen inszenieren konnte, hier wird er (ausnahmsweise) eines besseren belehrt. Wobei ich schwer vermute, dass etwa die harte und dynamische Prügelei in dem Bootshaus eher von Second Unit-Regisseur Pierre Lary in Szene gesetzt wurde. Aber zusammen mit dem knackigen LUCKY M. FÜLLT ALLE SÄRGE und dem spannenden SUMURU bildet der selbstironische CARTES SUR TABLES ein wunderbares Triumvirat bester Euro-Spy-Unterhaltung. Große Empfehlung!

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Maulwurf
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Gewagtes Alibi (Robert Siodmak, 1949) 7/10

Ein Mann der sich in eine Frau verliebt, die sein Untergang sein wird. Den die ist mit einem anderen zusammen, einem Gangster, und wenn böse Menschen und gute Menschen über die Liebe von selbstsüchtigen Frauen aufeinandertreffen, dann kann es nur zu Schmerz und Gewalt im Sinne eines Noir kommen.
Burt Lancaster ist der gute und anständige All-American-Guy Steve, der sich in die Femme Fatale Anne verliebt. Feiern, streiten, versöhnen, und wieder Feiern. Doch irgendwann geht das nicht mehr, und Steve verzieht sich aus diesem Leben, das eigentlich gar nicht seines ist, in andere Städte. Anne kommt mit dem Gangster Slim Dundee zusammen, und als Steve nach einem Jahr wieder in die Stadt zurückkehrt, ihn die Erinnerungen übermannen und Anne sich in seinen Schädel zwingt wie eine Kugel aus einem 45er, da kreuzt er natürlich die Bahnen von Slim Dundee. Um aus der Nummer halbwegs unbeschadet wieder herauszukommen, und um gleichzeitig einen Neuanfang mit Anne wagen zu können, bietet er Dundee einen Deal an: Er, Steve, ist der Inside Man bei einem Überfall auf einen gepanzerten Geldtransport. Und wer jetzt glaubt, dass jeder der Protagonisten ein ehrliches Spiel spielt, der hat noch nie einen bösen Krimi gesehen.

Wenn Sie jemanden, der Sie hintergeht, selber hintergehen, dann ist das ein doppeltes Kreuz. So in etwa kann man den Spruch auf dem Filmplakat zu CRISS CROSS übersetzen, und die Assoziation dazu ist sofort klar: Marked for Death – Zum Tode verurteilt. Wer solche gefährlichen Spiele spielt, der spielt mit dem Leben und der schnellen und erbarmungslosen Auslöschung desselben, und ist, gerade in solchen Filmen, meist von Beginn an mit einem unsichtbaren Kreuz gekennzeichnet. Steve ist auch so einer der denkt dass ihm alles gehört, und dass er alles kann. Er ist ja schon ein Großer, zwei Präsidenten hat er bereits gewählt! Doch eigentlich ist Steve nur ein Kind mit dem Anne spielen kann wie sie will. Klassisches Noir-Territorium also, in wunderbarem Schwarzweiss gefilmt, mit erstklassigen Schauspielern in gut austarierten Rollen besetzt und mit einem bitterbösen Schluss gesegnet. Yvonne De Carlo gibt die manipulative Opportunistin mit Hang zu Geld und Alkohol mit einem hinreißenden Elan, der den Beobachter gleichzeitig anzieht und anwidert. Genauso geht es Steve, der Anne in einer niemals endenden Hassliebe verbunden ist. Eine klassische Noir-Beziehung eben …

Vor allem das letzte Drittel, also alles was nach dem Überfall auf den Geldtransport passiert, ist grandioses und melancholisches Gangster-Kino mit Kinnlade-runterklapp-Garantie. Wenn nicht die ersten zwei Drittel so viel melodramatische Bestandteile hätten, und der Vorgeschichte von Steve und Anne nicht gar so viel Platz eingeräumt worden wäre … 10 oder 15 Minuten kürzer hätte der Film das Zeug zu einem ganz großen Klassiker gehabt, wenn er nämlich die Handlung schneller auf den Punkt bringen würde, anstatt sich in etwas zu langen Dialogen dem geschwätzigen Barkeeper oder der Alkoholikerin am Tresen zu widmen. Szenen, die zwar die Beziehung zwischen Steve und Anne durchaus beleuchten, die aber zu lange ausgewalzt sind und das Tempo des Films deutlich uneinheitlich machen. Denn genauso wie der Schluss ist der Beginn der eigentlichen Geschichte fulminant, wenn Steve Streit sucht mit Dundee, um seinen besten Freund, den Detective Pete, hinters Licht zu führen. Und spätestens ab der Vorbereitung auf den Überfall ziehen sich die schwarzen Wolken des drohenden Verhängnisses mit einer Geschwindigkeit zusammen, die fast schwindlig macht. Dazu sind die Settings sehr oft mit Straßenszenen hinterlegt, teils als Rück-Pro, teils wurde tatsächlich in den Straßen gefilmt, und der dadurch entstehende schmutzige Realismus sorgt für ein durchgängiges Wohlgefühl beim Zuschauer. GEWAGTES ALIBI ist keine Studioproduktion sondern in der Gegend von Bunker Hill gedreht (die leider in den 60er-Jahren der Stadtsanierung zum Opfer fiel), was sich aus heutiger Sicht fast wie Alltagsleben in Los Angeles anfühlt, und dem Film ausgesprochen gut tut.

Trotzdem ist die Dreiecks-Liebesgeschichte ein wenig zu breit erzählt, und dem Vernehmen nach war Burt Lancaster selber unzufrieden damit, wie aus der ursprünglich vorgesehenen Idee eines Überfalls auf einer Rennbahn nach dem Tod des Produzenten dann diese Geschichte entwickelt wurde. Nichtsdestotrotz ist GEWAGTES ALIBI ein starker Film, der wie gesagt vor allem zum Ende hin unnachgiebig beeindruckt. Die Schlussszene ist dunkles und großes Kino und hinterlässt den Zuschauer wahrlich alleine in die Nacht. Aber trotzdem, die Qualität der ersten Zusammenarbeit von Siodmak und Lancaster, RÄCHER DER UNTERELT, wird nicht erreicht, was sehr schade ist, aber als Jammern auf einem dermaßen hohen Niveau gelesen werden kann, welches andere Filme nicht mal dann erreichen, wenn man sich in die erste Reihe setzt und den Kopf in den Nacken legt …
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Maulwurf
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Der Besuch (Bernhard Wicki, 1964) 8/10

Güllen. Ein kleines Kaff, irgendwo im nördlichen Balkan. Ein geschlossenes Bergwerk, ein paar geschlossene Fabriken, eine Bahnstation, an der einmal die Woche ein Zug hält, und das Kaufhaus von Miller. Und Karla Zachanassian, die hier vor 20 Jahren fortgegangen ist. Ms. Petroleum, wie man sie in der internationalen Presse nennt, die nach dem Tod ihres Mannes ein Firmenimperium und ein gigantisches Vermögen geerbt hat. Und die jetzt wiederkommt, zurück nach Güllen, in den Ort, der mal ihr Zuhause war.
Alle Bewohner sind wie verrückt: Der Bürgermeister versucht noch halbwegs Fassung zu bewahren, aber wenn Karla wiederkommt, nein Verzeihung: Frau Zachanassian, vielleicht fällt dann für den Ort auch ein wenig Geld ab? Es ist doch immerhin die alte Heimat …? Der Polizeihauptmann Dobbrik hat seine Leute fest im Griff, und keinerlei Unregelmäßigkeiten sind zu befürchten. Und es wird auch auf jeden Fall noch Zeit bleiben, ein wenig mit der attraktiven Anja rumzumachen, der Dobbrik schon seit Urzeiten verspricht, seine eigene Frau zu verlassen und mit ihr fortzugehen. Dann ist da noch der Lehrer, der Karla jeden Tag verprügelt hat, damit einmal etwas aus ihr wird. Und natürlich Miller. Miller, der heute, 20 Jahre später, Karla immer noch liebt, obwohl er damals Mathilde geheiratet hat. An Miller bleiben auch Karlas Augen leuchtend haften, als sie aus dem Zug steigt, und mit Miller macht sie einen Spaziergang. Durch den Ort, und runter zur Hütte am See, wo sie sich geliebt haben. Und wo Karla ihn als ersten Mann überhaupt …

Aber warum eigentlich sollte die reichste und mächtigste Frau der Welt nach 20 Jahren in einen Ort namens Güllen zurückkehren? Die Vorlage der Geschichte ist Friedrich Dürrenmatts Besuch einer alten Dame, und mit dem Wissen ist klar was kommt: Es geht um Rache, und das nicht zu knapp. Was Karla beim Diner dem gesamten Ort erzählt, und was sie dem Ort für ein Angebot macht, dann wenn alle Einwohner zuhören, das ist schon etwas Aberwitziges und Besonderes: Karla ist bereit, dem Ort 2 Millionen zu geben. Für den Tod von Miller. Miller? Unmöglich! Miller ist aller Freund. Miller ist der Kaufmann, und jeder kennt und schätzt ihn, und überhaupt ist dieses Angebot zutiefst unmoralisch …

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Es ist fast unmöglich, die schauspielerischen Leistungen adäquat zu beschreiben. Die zunehmende Angst und Klaustrophobie Millers (Anthony Quinn). Der sichtbare Hass Karlas (Ingrid Bergmann), und nichts anders als blanker und eiskalter Hass ist es den sie verbreitet hinter ihrem netten, ältlichen und gleichzeitig attraktiven Gesicht. Der joviale Maler (Romolo Valli), der mit seinen treuherzigen Augen der erste ist der auf Pump kauft. Der fesch uniformierte und schneidige Dobbrik (Hans Christian Blech), der seine Geliebte genauso behandelt, wie Miller damals Karla behandelt hat. Und diese Geliebte Anja (Irina Demick), die so gerne weg möchte. Wohin? Weiß nicht, erstmal nach Triest. Nein, nicht nach Triest. In Triest hat für Karla alles begonnen. Dort, in einem Haus …

Dann ist da noch der Doktor (Paolo Stoppa), der eigentlich Millers Freund und ein kluger und belesener Philosoph ist. Der sich aber genauso den Sachzwängen beugt wie alle in Güllen. Und natürlich Mathilde, deren Vater den Laden besessen hat der jetzt Miller gehört. Der sich damals ebenfalls den Sachzwängen gebeugt hat. Und und und …

Alle haben damals eine bestimmte Beziehung gehabt zu Karla, und nach und nach durchbricht Karla diesen Schutzschirm, den die Menschen über die damaligen Vorkommnisse gelegt haben, und fördert das schlechte Gewissen an den Tag. Aber nicht nur das schlechte Gewissen, sondern auch die Gier. Karla hält den Menschen einen grausamen Spiegel vor: Schaut euch und eure Gier an, sagt sie, und zeigt mir wie weit ihr gehen wollt. Seid ihr bereit einen Menschen aus eurer Mitte zu töten, um eure Gier zu befriedigen?

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Karla hält aber auch dem Zuschauer diesen Spiegel vor: Schau, Betrachter dieser Bilder (bzw. Leser dieser Zeilen), wie weit bist Du bereit zu gehen, um Deine Gier zu befriedigen? Zwei Millionen … Würdest Du dafür Deinen Freund töten? Du müsstest es ja nicht einmal selber tun, Du müsstest nur zustimmen. Zustimmen, zwei Millionen zu bekommen. Nein, Du natürlich nicht, aber vielleicht Dein Nebenmann? Dein Nachbar? Dein Partner?

Diese außerordentlichen Schauspieler sind es, welche den Spiegel auf den Zuschauer übertragen. Auf dass er beginnt über den Film nachzudenken und sich Fragen zu stellen. Seine eigene Selbstzufriedenheit und Sicherheit beginnt zu bröckeln, so wie die Selbstzufriedenheit und die Sicherheit Millers bröckeln, wie sie vollkommen wegbrechen und ein leeres und hohles Gerippe an Angst und Panik hinterlassen. Ein Kopfgeld auf Miller, was für ein Hohn. Doch nicht hier! Und trotzdem kaufen alle auf Pump ein, schließlich wird ja bald Geld da sein. Eines Abends kommen Busse und LKWs in das Örtchen und eine Verkaufsshow beginnt. Kühlschränke, Radios, schöne Kleider … Die Verkäufer preisen ihre Ware ja nicht einmal an, sie zeigen sie nur, und die Gier nach schönen Dingen glitzert in den Augen der Menschen. Das alles könnten wir uns leisten wenn wir das Geld hätten, das denken sie. Spätestens wenn Anja sich in ihrem neuen Kleid in der Bewunderung ihrer Mitbürger sonnt, spätestens dann bricht die Zurückhaltung. Und Karla sitzt auf ihrem Balkon über der Piazza wie ein Regisseur, dessen genau kalkuliertes Theaterstück an genau den richtigen Stellen zündet. Zündelt …

Wo die Erzählung beim Lesen oft brav und bieder wirkt, und das Grauen erst im Nachgang Stück für Stück freigibt, da verlangt es die Dramaturgie eines Films, die Gefühle sofort zu zeigen. Die nackte Angst in Millers Gesicht bei der Jagd, die eiskalte Verachtung in Karlas Augen, wenn sie vor dem Zug steht und die Menschen ihrer früheren Heimat taxiert. Die Habgier in den Augen der Menschen, wenn sie die schönen und funkelnden Dinge sehen. Und die Scham in den gleichen Augen der gleichen Menschen, wenn ihnen bewusst wird was sie getan haben.

DER BESUCH ist ein bitterer und grausamer Film, der das menschliche Verhalten in einfachen und klaren Strichen malt: Wer die Möglichkeit hat, sich auf Kosten anderer zu bereichern, der wird dies immer und unter allen Umständen tun. Eigentlich ein Film, der auch heute noch an den Schulen gezeigt werden sollte …

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Maulwurf
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Louis und seine verrückten Politessen (Jean Girault, 1982) 5/10

Ich liebe die Filme von Louis de Funès wirklich sehr, und gerade die Gendarmfilme zwischen 1964 und 1970 gehören vielleicht zu seinen besten, haben ein gleichbleibend hohes Niveau, und gehören zu den wenigen Komödien, über die ich auch heute noch lachen kann. 1979 und 1982 kamen mit LOUIS‘ UNHEIMLICHE BEGEGNUNG MIT DEN AUSSERIRDISCHEN und LOUIS UND SEINE VERRÜCKTEN POLITESSEN allerdings noch zwei Nachklapps, bei denen deutlich zu sehen war wie die Zeit vergangen ist. De Funès ist alt geworden und wiederholt seine Grimassen und seine hektische Komik bis zum Gehtnichtmehr, und auch dem Regisseur Jean Girault fällt einfach nicht mehr so wahnsinnig viel Neues ein. Was dann zu einer Abfolge von Klamauknummern führt, die teilweise recht witzig sind (die beiden frisch rekrutierten Touristen als Hilfspolizisten, die dem Colonel mal eben als Azubis präsentiert werden um das Verschwinden der Politessen zu kaschieren hätte noch mehr bieten können, ist aber tatsächlich sehr komisch), teilweise aber auch ziemlich daneben sind (die Vorstellung der Politessen auf dem Revier ist sowas von vorhersehbar und billig, dass die Komik sich gleichzeitig mit dem Sinn verabschiedet. Bei den männlichen Gendarmen rutscht der Verstand in die Hose und die Ehefrauen rasen vor Eifersucht - Wie überaus einfallsreich). Die Grundhandlung ist dümmlich, dass der größere Teil der Sprüche im Jahre 2022 als sexistisch und rassistisch läuft haben die Synchronsprecher damals unvorstellbarerweise nicht berücksichtigt, und irgendwie hält sich die Freude über diesen Film etwas in Grenzen. Einzig die Duelle zwischen den Eheleuten haben Schmackes, und bei dem Wort Duell fällt mir dann noch Wachtmeister Perlin ein, der eine Horde Rocker aus einem Café verjagen und gleichzeitig die schnieke Politesse beindrucken will. Und plötzlich im Cowboyoutfit dem Rocker 5 Minuten gibt, um die Stadt zu verlassen. Warum nicht mehr von solchen cineastisch-anarchistischen Ideen und stattdessen weniger sinnloses Geschrei?

Wirklich schlecht ist POLITESSEN nicht, aber gut respektive lustig geht anders. Bezugnehmend auf den Höhepunkt de Funès‘ Karriere hatte sich die Filmwelt mittlerweile halt ein wenig weitergedreht, und alte Komödianten haben mit diesem Umstand schon immer und zu allen Zeiten so ihre Probleme gehabt. Warum sollte Louis de Funès da eine Ausnahme gewesen sein …?
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Maulwurf
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Mark of the vampire (Tod Browning, 1935) 6/10

Die Menschen in dem kleinen Ort fürchten sich wenn die Nacht kommt, denn es scheint dass Vampire umgehen. Der untote Graf Mora und seine Tochter, die angeblich von ihm selber gemeuchelt sein soll, gehen um, und nur Fledermauskraut in Türen und Fenstern kann gegen das Eindringen der entsetzlichen Gestalten helfen. Graf Karl wird tot aufgefunden, und alle erzittern vor Furcht. Alle? Nein, denn der aus Prag angereiste Inspektor Neumann glaubt nicht an Vampire, ganz im Gegensatz zu Karls Freund Professor Zelin, der ursprünglich die verräterischen Bissspuren an Karls Hals gefunden hat. Genauso wie sich diese Male übrigens auch an Karls Tochter Irena und deren Verlobten Fedor finden lassen. Vampire? Zelin rüstet sich gegen die Blutsauger, und Inspektor Neumann (notgedrungen) und Graf Otto (furchterfüllt) müssen mitziehen, die garstige Brut auszurotten …

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Die Kritiken, vor allem die heutigen, pendeln zwischen gerade noch wohlwollend und vernichtend. Zugegeben ist die Mörderjagd des letzten Drittels eine komplette Umkehr des gängigen Gruselmotivs, und zerstört vermeintlich die gotische Atmosphäre vollkommen. Hat man in den ersten 40 Minuten noch fliegende Fledermäuse, die teilweise sogar mit dem Gesicht von Carroll Borland versehen wurden, Bela Lugosi der mit verkniffener Miene durch das Schloss geistert, und abergläubische Dorfbewohner deren Angst allein bereits die halbe Miete ausmacht, so wendet sich der Plot in den letzten 20 Minuten vollkommen, und das Terrain eines herkömmlichen Krimis wird betreten.

Aber man darf halt auch nicht vergessen, dass die ersten großen Monster- bzw. Horrorfilme bereits durch waren, dass die Welle der Nachahmer bereits anlief (trotz des erstklassigen FRANKENSTEINS BRAUT und der absolut herausragenden Neuverfilmung von ORLACS HÄNDE, MAD LOVE, die beide 1935 ins Kino kamen). Hinzu kam, dass die MGM nie wirklich an großartigen Horrorfilmen interessiert war (das war eher das Metier der Universal), sondern diese eher als eine Methode zum Geldverdienen sah, und dass Regisseur Tod Browning in dieser Situation aus der klischeebeladenen Gruselklamotte mehr rausholen wollte als nur den x-ten Aufguss von Vampir fliegt durch die Nacht und knabbert alles an was sich bei drei nicht hinter einem Kreuz versteckt, das kann ich persönlich sehr wohl nachvollziehen, zudem ja auch ab dem Sommer 1934 der Production Code zu berücksichtigen war, der das Unheimliche und Übernatürliche auf der Leinwand gar nicht gerne sah. Und ich halte es für reine Absicht, den Zuschauern diesen Twist zuzumuten und sie dadurch mit ihren eigenen Denkmustern zu konfrontieren.

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Denn wenn man mal ehrlich ist: So gotisch-unheimlich diese ersten 40 Minuten sind, so schablonenhaft sind sie auch. Die Bilder von Bela Lugosi und Carroll Borland sind ikonisch und erfreuen mein schwarzes Herz auf das Wundervollste, aber sie sind auch ganz schön platt. Platt im Sine von platitüdenhaft. Und genauso ehrlich muss man zugeben, dass der Krimianteil, und vor allem die Überführung des wahren Mörders, ziemlich spannend geraten ist. Und dass die Situation sich zum Ende hin außerordentlich zuspitzt und tatsächlich in einer gerade-noch-einmal-gutgegangen-Situation kulminiert, die ihren Spannungsbogen wirklich bis zum Letzten ausreizt. Vor allem Bela Lugosi erhält eine ganz wunderbare Möglichkeit, sein eigenes Leinwandimage ironisch und süffisant zu brechen.

Nein, diesen Twist kann man MARK OF THE VAMPIRE nicht vorwerfen, genauso wenig wie seinem Stummfilm-Original LONDON AFTER MIDNIGHT, bei dem dieser Schwenk 1927 das erste Mal eingesetzt wurde. Die gotischen Vignetten aus MARK OF THE VAMPIRE wie zum Beispiel die singenden Zigeuner zu Beginn, die alte Frau auf dem Friedhof, oder die Entdeckung des leeren Grabes in der Gruft sind mindestens genauso entzückend wie das hemmungslose Overacting von Lionel Barrymore, die offensichtlich benzinbetriebenen Fledermäuse (die Rauchschwaden hinter sich her ziehen) oder die nachträgliche Erkenntnis, dass keinerlei vampirische Aktivitäten im Bild gezeigt werden, sondern immer nur die Bebilderung von Erzählungen sind, und sich der Schrecken in erster Linie aus dem geschickten Schnitt ergibt. Hinzu kommt, dass man beim Anschauen so manches Detail und so manches Dekor entdeckt, welches die Italiener in den 60er-Jahren wiederverwertet haben – Was das Vergnügen nicht schmälert, und gleichzeitig Lust macht, die italienischen Gothic-Horror-Streifen mal wieder zu entdecken.

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Spannendes und klassisches Gothic-Kino der interessanteren Art …
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Footsteps in the fog (Arthur Lubin, 1955) 8/10

Regen, Düsternis und Trauer beherrschen die trübe Szenerie. Ein Grab, Trauergäste, lotrecht fallender Regen, und ein zutiefst erschütterter Ehemann, der inmitten mitfühlender Trauergäste seine geliebte Ehefrau ins Grab bringen muss. Auf dem Rückweg wird er gefragt, ob er nicht mitkommen möchte zu seinen Freunden – Nein, das möchte er nicht. Er möchte sich der Trauer und dem leeren Haus stellen, und mit diesem außerordentlichen Schmerz fertig werden. Zuhause angekommen zieht er den Mantel aus, gießt sich ein Glas Port ein, stellt sich vor das Gemälde der Verblichenen – Und lacht!

Endlich kann der Mann, Stephen Lowry, ein Mitglied der gehobenen Gesellschaft in der mutmaßlich Edwardianischen Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, seine Freiheit genießen. Die Unabhängigkeit, die ihm das Geld seiner toten Frau ermöglicht. Und das unschätzbare Wissen, dass ihn niemand mehr kontrolliert und überwacht. Das Leben kann so schön sein! Könnte es zumindest, denn das Dienstmädchen Lily hat die Flasche mit der Medizin der gnädigen Frau gefunden, anhand von Experimenten an Ratten festgestellt dass es sich um Gift handelt, und dieses Fläschchen in Sicherheit gebracht. Dieses Fläschchen sichert ihr den Lebenstraum: Nicht mehr der Fußabstreifer für garstige alte Hausdamen zu sein, sondern selber Hausdame im Anwesen des geliebten Mannes zu sein. Das Fläschchen sorgt dafür, dass Mr. Lowry sein bisheriges Personal entlassen muss, und dass er in Lily seine zukünftige Geliebte zu sehen hat. Eine Kombination, die Lowry nicht wirklich schmeckt, gerät er damit doch in die gleiche Abhängigkeit, der er gerade erst entflohen ist. Und so folgt er an einem nebligen Abend Lily, um sie mit seinem Spazierstock zu erschlagen. Doch dabei wird er beobachtet, und zu allem Überfluss verliert er auch noch seinen Spazierstock. Der wahre Schock allerdings folgt erst noch …

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FOOTSTEPS IN THE FOG setzt dort an, wo Hitchcocks VERDACHT oder LADY ALMQUVIST aufhören. Da gibt es diesen Moment, wenn Lowry vom vollbrachten Mord nach Hause kommt, und kurz darauf ungläubig mitansehen muss, wie eine Zeugin, die den Täter aber nicht erkannt hat, ebenfalls durch die Haustür tritt. Lowry ist schockiert und entsetzt, während sie, die munter von der erlebten Mörderhatz erzählt, das Blut auf seinem Mantel entdeckt und ihr klar wird wer der Mörder ist. Ein wahrhaft dichter Moment, die Atmosphäre in der Eingangshalle ist so dick und bitter, dass sie mit Händen gegriffen werden kann – Und in diesem Augenblick klopft es an der Tür und die Polizei kommt ins Haus. Wie werden sich der Mörder Lowry und die Zeugin verhalten?

Solche traumatischen Momente hast es einige in FOOTSTEPS, die kunstvoll direkt neben ein vollkommen natürliches Overacting gelegt werden. Stewart Granger agiert als Stephen Lowry hemmungslos charmant, und hat doch in der nächsten Sekunde einen abgrundtiefen und bitteren Blick voller Hass und Tücke, gibt den erpressten Gesellschaftstiger voll brutaler und oscarreifer Verzweiflung. Das Hauspersonal, dass sich benimmt wie böse und garstige Menschen sich gegenüber Schwächeren halt so benehmen, und dabei hemmungslos auf das Gaspedal der Grimasse tritt, nur um im nächsten Augenblick die Emotionen des Zuschauers mit aufgesetzter Vornehmheit auf sich zu lenken. Bill Travers als kleiner Anwalt MacDonald und Nebenbuhler Lowrys, der Elizabeth liebt, die wiederum in Lowry total verknallt ist, und der auf Elizabeth‘ Bitten Lowry vor Gericht vertritt. Bill Travers spürt instinktiv, dass mit Lowry etwas nicht stimmt, aber er kann es nicht festmachen. Er hat einen Verdacht, ohne wirkliche Verdachtsmomente, und sein Stern in der Familie seiner Angebeteten fällt darum unaufhörlich. Travers agiert unnatürlich, übertreibt maßlos, und hat eine unsympathische Stimme. Aber irgendwann erpresst jemand MacDonald mit dem Mord an Ms. Lowry, weil dieser jemand denkt dass er, MacDonald, in Wirklichkeit Lowry wäre, und für MacDonald stürzen Welten ein. Einzig Jean Simmons hält sich mit ihrem Spiel unglaublich zurück, agiert wie aus dem Verborgenen und zieht im Hintergrund die Fäden, nur um dann mit Entsetzen festzustellen, dass ja am anderen Ende dieser Fäden – Sie selber hängt. Was sich auf den Gesichtern der Darsteller abspielt ist faszinierend anzuschauen, das ist großes und erstklassiges Schauspielerkino.

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Der Film selber ist dabei viktorianisch-klaustrophobisches Terrorkino par Excellence. Die Geschichte glänzt mit einigen abgrundtiefen Twists bis hin zu einem erbarmungslosen Showdown, und bietet trotz des Produktionsjahres lange Zeit ein Rätselraten, wer denn aus dem Plot nun möglicherweise lebend rauskommt und wer nicht. Mehr als einmal musste ich an Riccardo Fredas LO SPETTRO denken, in dem Menschen der höheren Gesellschaftsklassen sich mit Hilfe von Gift und Grauen, in Kulissen die wie zu Stein erstarrte Wohnräume wirken und die jegliches Lachen oder Glück mit ihrer dicken Atmosphäre ersticken, wie diese Menschen sich hier das Leben gegenseitig zur Hölle machen. Genauso wie in LO SPETTRO findet die Handlung weitgehend in einem Haus statt, welches mehr an ein verstaubtes Museum erinnert als an eine Familienstatt mit Lachen und Glücklichsein, und es würde niemanden wundern, wenn irgendwann Vincent Price mit verschlagenem Blick um die Ecke schlurchen würde. Dass Stewart Granger und Jean Simmons zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits seit fünf Jahren verheiratet waren, merkt man ihnen in keiner Sekunde an. Die Figuren belauern sich, hoffen auf Fehler des jeweils anderen, und versuchen Gruben zu graben die tiefer sind als die des Gegners, während gleichzeitig an der Oberfläche das heitere Lächeln und die hingebungsvollen Küsse eine Heile Welt suggerieren, welche die Abgründe hinter den Blicken umso tiefer gestalten. Einmal kommt es sogar zu dem 1955-er Äquivalent einer Sexszene, nach deren Verlauf Lily gesteht, dass sie ihrer Schwester einen Brief geschrieben hat, in dem sie den Sachverhalt mit dem Mord schildert. Als Sicherheit ihrerseits, damit ihr nichts passiert. Klar, sowas erzählt man seinem Traummann ja auch nach dem Sex. Na ja, besser hinterher als vorher …

FOOTSTEPS IN THE FOG, der Titel bezieht sich auf die dramatische Szene, wenn Lowry seinem Opfer anhand deren Fußtritte durch den dichten Nebel folgt, immer in Angst vor der Entdeckung einerseits, und auf der Hut sein Opfer nicht zu verlieren andererseits, ist ein grandioser Schocker vor dem Herrn, der völlig zu Unrecht so unbekannt ist. Eine gotische Liebeshölle zum darin versinken. Eine unbedingte Empfehlung für alle, die ein Herz haben für die Filme von Riccardo Freda …

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Über den Todespass (Anthony Mann, 1954) 6/10

Gegen Ende der 1890er Jahre zieht es viele Menschen, in den Norden der Vereinigten Staaten, wo sie neben eisigen Temperaturen zumindest einen Teil jenes Goldrausches sich versprechen, der Legenden zufolge viele reich gemacht haben soll. Unter ihnen befindet sich der Cowboy Jeff Webster (James Stewart), der zusammen mit seinem langjährigen Freund Ben Tatem (Walter Brennan), schon sehr lange durchs Land zieht. Auf der Fahrt entlang des Klondike macht er die Bekanntschaft von Ronda (Ruth Roman), einer Saloonbesitzerin und Geschäftsfrau, die Gefallen an dem Raubein findet und ihr vor den Gesetzeshütern versteckt. An ihrer Endstation kommt es jedoch zu einem erneuten Problem, denn die Gemeinde Skagway wird von dem korrupten Richter Gannon (John McIntire) kontrolliert, der Webster bei deren erster Begegnung aufgrund einer kleinen Gesetzesüberschreitung gar zum Tode durch Erhängen verurteilt. Dank Rondas Hilfe kann Jeff dann aber nicht nur entkommen, sondern zusammen mit Ben kann er gar die von Gannon beschlagnahmte Viehherde befreien und über den berüchtigten Todespass nach Dawson bringen, wo ihn sein Lohn erwartet.
Während Ronda in Dawson einen Saloon eröffnet, der nach kurzer Zeit zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen für sie wird, finden Ben und Jeff Gefallen am Goldschürfen und es dauert nicht lange und die beiden haben ein beträchtliches Vermögen angehäuft. Derweil hat der Goldrausch auch Verbrecher und Banditen angezogen, sodass Dawson dringend einen Sheriff braucht, vor allem da die Bewohner endlich eine richtige Stadt gründen wollen und nicht bloß eine Zwischenstation zu den Goldminen. Auch Gannon hat sich in Dawson breit gemacht und sich durch eine List die Mehrheit der Schürfrechte und Grundstücke der Bewohner ergaunert. Jeff steht ebenfalls auf seiner Abschussliste, doch dieser will sich schnell aus dem Staub machen, bevor es zwischen den Männern zu einer Konfrontation kommt.
(Quelle: https://www.film-rezensionen.de/2022/04 ... todespass/)

Zu Beginn der 50er-Jahre, am Höhepunkt seiner Karriere, begann bei James Stewart ein Wechsel seiner Filmrollen und seines Images. Spielte er bis dahin meistens den „etwas schüchternen und manchmal verwirrten oder naiven jungen Mann aus der Mittelschicht, der allerdings zugleich bodenständig und sympathisch ist und dem Zuschauer als Identifikationsfigur dient“ (1), so wurden seine Rollen ab dieser Zeit düsterer und auch oft abgründiger. Nicht nur unter Alfred Hitchcock sondern vor allem auch bei den Western von Anthony Mann konnte Stewart so seine Fähigkeiten erweitern und Rollen spielen, die zu dem durch den Krieg gereiften Mann auch gut passten.
ÜBER DEN TODESPASS ist einer dieser Filme. Zwar ist Stewarts Figur Jeff Webster ein grundlegend nicht unsympathisches Kerlchen mit einem sehr hinreißenden Charme, aber bei genauerem Hinschauen zeigen sich Charakterzüge, die in Figuren wie Django oder McQuade viele Jahre später wiederkehren würden: Der einsame Wolf, der unbedingte und absolute Einzelgänger, der einen Scheiß auf die Meinung anderer gibt und nur seinen eigenen Weg anerkennt. Er braucht keine Hilfe, er hilft nur sich selbst, aber dass er bereits in den ersten actiongeladenen 10 Minuten des Films mehrmals und ganz selbstverständlich die Hilfe anderer Menschen in Anspruch nimmt, das fällt ihm gar nicht weiter auf (etwas, was zugegebenermaßen Django nicht passiert wäre – Dass er die Hilfe anderer benötigt …). Ein Charakter fast wie aus einem Italo-Western, nur wesentlich selbstbezogener und egoistischer. Dass dabei während der Handlung eine gewisse Läuterung eintritt ist natürlich der Entstehungszeit des Films geschuldet, aber wenn man mal ehrlich ist, dann ist Webster eigentlich ein grandioses Arschloch – Die Sorte Mensch, die wir alle ab und zu gerne mal wären, vor allem wenn wir dabei noch den Charme des würdevoll älter werdenden Jimmy Stewarts hätten.

Dass die Handlung um den Goldrausch und diejenigen, die davon widerrechtlich partizipieren möchten, ein wenig klischeebeladen wirkt, dass die Grundstimmung trotz einiger gesunder Härten eher positiv ist, und dass vor allem die Nebenfiguren reichlich altbacken wirken, das kann man gerade aus heutiger Sicht nicht übersehen. Aber insgesamt vereint ÜBER DEN TODESPASS großartige Naturaufnahmen und eine packende Handlung mit einer leicht überflüssigen Liebesgeschichte und starken und knackig inszenierten Actionmomenten sowie mit genügend Härte, um auch heute noch problemlos zu begeistern. Ein guter und starker Western des Teams Stewart/Mann der mitreißt und erstklassig unterhält. Passt!

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/James_Stewart

6/10
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Maulwurf
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Das Rätsel des silbernen Halbmonds (Umberto Lenzi, 1972) 8/10

Eine Mordserie an jungen Frauen erschüttert Rom, und jedes Opfer hat einen silbernen Halbmond in der Hand. Doch das dritte Opfer, Giulia, ist gar nicht tot. Die Polizei hat die Meldung über ihren Tod lanciert, damit der Täter kein zweites Mal zuschlägt. Doch da die Ermittler sich bei der Mörderhatz nicht gerade mit Ruhm bekleckern, geht der frischgebackene Ehemann von Giulia, der Modedesigner Mario, selber auf die Jagd. Und findet schnell heraus, dass sich die Opfer vor zwei Jahren alle im gleichen Hotel befanden. Eine Verbindung? Möglich, doch trotz der Polizeibewachung geht die Mordserie weiter. Und Mario kommt und kommt mit seinen Nachforschungen nicht voran …

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Wenn man viele Gialli gesehen hat kennt man irgendwann die Stereotypen dieses Genres auswendig, und freut sich über jeden Giallo der anderes daherkommt. Der DIE FALLE heißt, oder IN THE FOLDS OF THE FLESH, und der die schwarzen Handschuhe und die anderen üblichen Schemata erfolgreich vermeidet.
Aber irgendwann freut man sich auch genauso wieder über einen Giallo, der genau diese Schemata verwendet und aus eben diesen Elementen seine Spannung und seine Faszination zieht. DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS ist in der Hochzeit der Thriller italienischer Spielart entstanden, und könnte also als Dutzendware laufen. Tut er aber nicht! Ganz im Gegenteil, bezaubert HALBMOND gerade durch die verwendeten Bausteine und durch die dadurch entstehende Stimmung. Gemeinsam mit Antonio Sabato laufen wir durch Rom auf der Suche nach einem Rätsel, hören die entspannte Musik Riz Ortolanis, und freuen uns über jedes Rätsel das wir mit Sabato und Uschi Glas gemeinsam lösen können. Die Morde gehen einigermaßen zur Sache und sind zum Teil recht heftig, und die Szenen, wenn Giulia als Köder allein in ihrer Villa sitzt und auf den Mörder wartet, sind noch viel heftiger und zerren reichlich an den Nerven.

Gleichzeitig lässt sich aber unterhalb dieser spannenden und aufregenden Krimiebene noch eine Welt im Umbruch entdecken. Auf der einen Seite haben wir tatsächlich so etwas Altmodisches wie Frauen die in Ohnmacht fallen. Auch die Kirche existiert in dieser altmodischen Welt, und Frauen gehen in die Kirche um dort zu beichten. Aber, und das ist der Einbruch der Moderne in die überlieferte Welt, sie können dort auch sterben. Ein Mord findet in einem Beichtstuhl statt, einem Hort der Privatsphäre und der Geheimnisse, und auch der Mord bleibt vorerst ein Geheimnis, der im Privaten stattfindet. Neben dieser Welt besteht aber auch eine andere, eine moderne Welt – Hippies bevölkern die schönsten Plätze Roms und nehmen Drogen, während nur ein paar Straßen weiter Prostituierte auf Freier warten. Eine Welt voller Gegensätze, eine Welt im Umbruch, und auch wenn dieser Umbruch bei weitem nicht so bildlich gezeigt wird wie in Lucio Fulcis im gleichen Jahr entstandener QUÄLE NIE EIN KIND ZUM SCHERZ, so ist dieser Wechsel der Paradigmen jederzeit deutlich zu spüren. Die Polizei bearbeitet Verdächtige so lange bis sie gestehen, ein deutlicher Verweis auf das Verhalten der Polizei gegenüber (linksgerichteten) Studenten in diesen Jahren. Aber auch wenn sich die Schuld der Verdächtigen innert kürzester Zeit in Luft auflöst, so sind die Raffinesse und das Kalkül eines modernen Serienkillers im traditionellen Italien halt einfach noch nicht begreifbar.
Der Held ist ein Modedesigner, was ein sehr moderner Beruf ist, und die Hauptdarstellerin spielt eine frühere Hotelbesitzerin, also eine Frau die als Unternehmerin arbeitete. Auch dies im Jahre 1972 in Italien ein Bruch mit der Tradition, welche die Frau in der Kirche(!), am Herd und in der Küche sieht. Vielleicht wird aus diesem Grund auch zu Beginn des Films eine alte Frau ermordet – Der Tod der alten Dinge ist nicht aufzuhalten, die Welt gehört den Jungen, so scheint die Aussage. Wobei der in Großaufnahme und aller Ausgiebigkeit eingefangene Körper des drogenabhängigen Bennett wiederum die genau gegenteilige Aussage machen möchte: Auch das junge stirbt, das Tempo des Wechsels wird sich erhöhen … Paul Poet tendiert in seinem Booklettext zur deutschen Ausgabe des Films von Koch Media in die gleiche Richtung, wenn er die dekadente Künstlerwelt von Kathy Adams der alten und verfallenden Hauskulisse der Wohnung gegenüberstellt, und darauf hinweist, dass der Mord des Patriarchen (denn um nichts anderes handelt es sich beim Mörder) dem Luxusweibchen gilt, der Abtrünnigen der Tradition. Wie überhaupt alle Mordopfer außer der Lehrerin interessanterweise in diese Kategorie gepackt werden können: Die Neureiche, die Hure, die frühere Hotelbesitzerin, die Künstlerin, die Verrückte ... Und wenn man mag, kann man auch eine Lehrerin zu dieser Liste zählen, weil eine Lehrerin Wissen vermittelt und damit ihre Schüler befähigt, sich von der alten Welt abzuwenden.

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Die Kirche wiederum zeigt sich in ihrer starren und unnachgiebigen Haltung gegenüber der Moderne auf voller Höhe der Zeit („Wenn Sie einen Mörder suchen, fragen Sie doch in Künstlerkreisen. Fragen Sie doch die Gammler, die Maler, die Vagabunden …“), und auch der Mann der Wissenschaft erklärt eine unterlassene Hilfeleistung rückhaltlos zum Mord. Selbst der Assistent des Inspektors hat zu Beginn seine fünf Minuten, in denen er die Meinung des italienischen Mannes ausdrücken darf („Die Engländerin war gerade zu Hause, wahrscheinlich ging sie gerade schlafen.“ „Ganz allein? Sie wissen doch, Künstlerinnen …“)

Tue ich Umberto Lenzi mit dieser Einschätzung unrecht? Unrecht insofern, als dass ich seine Fähigkeiten überschätze? Immerhin ist Lenzi nicht gerade als Visionär auf dem Regiestuhl bekannt, sondern vielmehr als Handwerker, der saubere und solide Arbeit abgeliefert hat, die aber nicht immer Anlass war zu überbordenden Jubelarien. Auf der anderen Seite hat Lenzi gerade den Verfall der Gesellschaft in Filmen wie MILANO ROVENTE, DIE KRÖTE oder vor allem DER BERSERKER dokumentiert, hat eine soziale und gesellschaftliche Entwicklung aufgezeigt, die während der bleiernen Jahre mit einer Unerbittlichkeit voranschritt, die sich in den Bleigewittern der oben genannten deutlich manifestiert hat.

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Als Krimi funktioniert HALBMOND erstklassig, und dass er zur Speerspitze der Gialli zählt, darüber muss man glaube ich nicht diskutieren. Aber wenn man den Film zum x-ten Mal sieht, kann man sich auf genau solche Gedankengänge einlassen, und es fällt auf, dass Lenzi in seiner Entwicklung tatsächlich immer wieder auf das Vergehen gesellschaftlicher Normen schaut. Pasolini nannte es Das Sterben der Glühwürmchen: Das Verschwinden der überkommenen Traditionen und das Veröden in einer industrialisierten Welt, in der kein Platz mehr ist für die alten Bräuche und Geschichten. Zwischen MONDO CANNIBALE von 1972 und DIE RACHE DER KANNIBALEN von 1981 liegen 9 Jahre kulturellen und sozialen Umbruchs, und das Ergebnis ist eine Schlachtplatte wie sie ekliger kaum sein könnte. Normen, gesellschaftliche Regeln, Moral, alles Dinge die sich in dieser Zeit wesentlich verändert haben – Und nicht immer zu ihrem Besten. Zeigte Lenzi in seinen ersten Gialli COSÌ DOLCE… COSÌ PERVERSA und ORGASMO noch das Leben der Reichen und Schönen (wobei in letzterem bereits das Proletariat in Gestalt von Lou Castel und Colette Descombes sein Recht einfordert), so entwickelte er sich im Lauf der Zeit immer mehr zum Mahner des kleinen Mannes. Die Amokläufe in DER BERSERKER oder DIE VIPER zeigen ganz klar in die Richtung, die dann in DIE KRÖTE in Tomas Milians Monolog im Nachtclub definiert wird Die Welt ist schlechter geworden, erheblich schlechter, und wir tun gut daran, uns entweder daheim zu verbarrikadieren, oder gemeinsam mit den andern zu töten.

Aber in HALBMOND ist diese Entwicklung noch im vollen Gange, und Lenzi dokumentiert sie mit großem und geradezu beiläufigem Unterhaltungswert. Wie das Neue das Alte verdrängt. Wie die alten Normen den Bach runtergehen und Platz machen müssen für neue, blutrünstigere Rituale. Wie die alten Traditionen verschwinden. Ich würde etwas darum geben, Pasolinis Meinung zu Filmen wie HALBMOND oder QUÄLE NIE EIN KIND ZUM SCHERZ zu kennen …

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Beitrag von Maulwurf »

A quiet place to kill (Umberto Lenzi, 1970) 8/10

Gediegenes Luxus-Ambiente in Gestalt einer Villa auf Mallorca, immer gutes Wetter, in der Einfahrt stehen ein Ferrari NART für die kurvige Strecke zum Meer und irgendein Ami-Schlitten für die mehr biederen Fahrten (Anwalt? Supermarkt?), der Butler heißt Miguel, das Essen ist deliziös, und jede Sekunde in diesem Leben trieft vor Nichtstun, Dekadenz und Verschwendung. Die Menschen sind schön und böse, und wollen eigentlich nichts anderes als sich gegenseitig ans Leder, und man muss nicht einmal ab und zu ins Büro um nach dem Rechten bei den Sklaven zu sehen – Das Geld ist einfach da, und es ist reichlich da. Die Schönen und Reichen haben also genug Muße, sich Pläne auszudenken, wie sie sich gegenseitig abmurksen könnten.

Solch ein Ambiente kann schief gehen, wenn nämlich die Charaktere genau so unwichtig geschildert werden wie sie es in Wirklichkeit auch wären (Mario Bavas RED WEDDING NIGHT fällt mir da ein, der mich persönlich vollkommen kalt gelassen hat ob seiner Atmosphäre aus Überfluss und Luxusproblemen). Sowas kann aber auch gut gehen, wenn man als Zuschauer nämlich mit den Charakteren mitfiebert, sie sympathisch oder unsympathisch findet, sie einen jedenfalls nicht kalt lassen. PARANOIA kann als Paradebeispiel dafür laufen, wie man unausstehliche und in der Realität außerhalb eines Films uninteressante Menschen dergestalt in Szene setzt, dass man als Zuschauer Interesse an ihrem Schicksal verspürt. Großes Kompliment für Umberto Lenzi!

Worum geht es? Nachdem die Autorennfahrerin Helen einen sündhaft teuren Boliden geschrottet hat, und dabei selber nur mit Mühe dem Flammenmeer entkommen ist, nimmt sie, nervlich ziemlich am Ende, gerne das Angebot ihres Ex-Mannes Maurice an, für ein paar Tage nach Mallorca zu kommen. Dort trifft sie auf die neue Frau von Maurice, Constance, und erfährt, dass in Wirklichkeit diese die Einladung geschickt hat. Maurice ist, euphemistisch ausgedrückt, ein Playboy, tatsächlich aber eher ein Schwein, welches ganz klar hinter zwei Dingen her ist: Geld und Sex. In dieser Reihenfolge. Constance ist reich, sehr reich, und der Luxus in der mallorquinischen Villa wäre für jeden von uns Zuschauern ein einziger Traum vom Dolce Vita. Hier aber macht Maurice den beiden Frauen das Leben nach und nach zur Hölle, weswegen der Plan heranreift, Maurice zu beseitigen. Es soll wie ein Unfall aussehen, und am Ende wird nur die Sonne Zeuge gewesen sein. Aber es kommt anders, und Maurice weilt noch länger unter den Lebenden. Und für den tatsächlich begangenen Mord gibt es Zeugen. Ein Wettrennen um die besseren Nerven beginnt …

Carroll Baker als Helen ist also nach ihrem Unfall ziemlich am Ende und will sich mal ordentlich Urlaubswind um die Nase wehen lassen will. Ob das eine gute Idee ist zum Ex-Mann zu fahren, den sie vor ein paar Jahren sogar schon mal erschießen wollte, sei jetzt einfach mal dahingestellt. Aber das Wissen, dass Helen im Sommer 1970 mit einem offenen Ferrari NART von Mailand nach Mallorca fährt, dass lässt schon mal den Gedanken hochkommen, dass man selber im Leben so einiges falsch gemacht hat.
Szenenwechsel. Helen kommt in der Villa am Meer an. Pool, Bedienstete, Wagenpark, entspannte Atmosphäre. Die Vermutungen um die eigenen falschen Abzweigungen im Leben verhärten sich. Der schöne Playboy Maurice (Jean Sorel) mit einem Glas in der Hand, in Badehose (ohne ein einziges dieser fiesen Fettpölsterchen), im Sakko, im sportlichen Pullover … Immer eine gute Figur machend, immer auf der Jagd nach den Weibern, und dabei immer ein ziemliches Arschloch, das keinen Hehl daraus macht, dass er von seiner Ex Helen den Sex will, und von seiner jetzigen Constance (Anna Proclemer) die Kohle. Wenn ich damals, vor vielen Jahren, mich vielleicht doch anders entschieden hätte …?
Constance, zweite Frau von Maurice. Unermesslich reich, braucht niemals wieder arbeiten, hat aus ihrer ersten Ehe eine Tochter auf einem Internat in Zürich, und ist eigentlich viel zu intelligent, um auf Maurice reinzufallen. Eigentlich. Tatsächlich ist sie ihm mit Haut und Haaren verfallen, stellt aber im Lauf der Handlung fest, dass sie a) sich mit Helen ausnahmslos gut versteht, und b) Maurice es einfach übertreibt und damit weg muss. Und da er freiwillig eh nicht gehen wird …

Die Freunde: Ein Untersuchungsrichter (Luis Dávila), ein Doktor (Alberto Dalbés), alles intellektuell herausragende Menschen mit hohem praktischen Wert in einem Giallo. Oder wenn man einen Mord ausführen möchte. Der Doktor filmt auch noch gerne mit Super-8, was dummerweise zu dem Umstand führt, dass der stattgefundene Mord möglicherweise(!) auf Film gebannt ist. Und die Überlebenden dieses Anschlags nun hochgradig nervös sind ob dieses Films. Der natürlich, immerhin reden wir hier von einem kompliziert konstruierten Krimi, in London entwickelt werden muss, und damit ein paar Tage braucht bis er gesichtet werden kann. Fehlt eigentlich nur noch das Hobby, das diese eloquenten Menschen alle gemeinsam ausüben um Stress abzubauen, nämlich Taubenschießen. Und weil Tontauben offensichtlich gerade aus waren, wird auf lebende Tauben geschossen …
Trotzdem fiebert man mit diesem Pack mit – Drehbuch und Regie ist in dieser Hinsicht ein wahres Meisterwerk gelungen. Allein schon die Idee, den Vorspann mit einer Wärmebildkamera zu filmen, wesentliche Szenen des Films in dieser Verfremdung vorwegzunehmen, und die Figuren damit in all ihrer Kälte und Gefühllosigkeit zu zeigen …

PARANOIA ist also nicht nur eine erstklassige Fingerübung im Näherbringen unsympathischer Menschen, sondern auch eine tolle Studie darüber, wie man sich das Leben gegenseitig so richtig sauer machen kann. Oder umgekehrt. Die Stimmung auf dieser Seite des Fernsehers ist dabei hervorragend, ist doch alles geboten was man als Giallo-Fan gerne mag: Tolle Schauspieler, angenehme Umgebung, ohrenschmeichelnde Musik von Riz Ortolani, und ein Plot, den man zwar relativ bald erahnen kann, dessen liebevolle Ausarbeitungen aber viel Spaß machen und die ein oder andere kleine Überraschung bieten. Dazu Carroll Baker so schön wie Gott sie schuf, und fertig ist ein Giallo wie man ihn liebt. Passt ganz ausgezeichnet!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
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