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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Di 25. Feb 2020, 19:49
von jogiwan
Der Nebelmann

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In dem abgelegenen Bergort Avechot verschwindet eines nebligen Abends die 16jährige Tochter eines bigotten Paares. Wenig später wird der Fall medial aufgegriffen und in dem ehemaligen Tourismusort wimmelt es bald von Polizei und Journalisten, die hinter der heilen Fassade jede Menge Abgründe wittern. Der erfolgreiche Profiler Vogel ist auch gut darin Geheimnisse zu lüften und mit den sensationsgierigen Medien zusammenzuarbeiten um seine Ziele zu erreichen. Mit dem Lehrer Loris und jeder Menge Indizien ist auch bald der vermeintliche Täter ermittelt, der sich und seine Familie auch bald im Mittelpunkt einer medialen Hetzkampagne wiederfindet, bei dem es auch irgendwann gar nicht mehr um Schuld oder Unschuld geht.

Überraschend solider Thriller im Stil von Filmen wie „Das Schweigen der Lämmer“ und „Sieben“ über menschliche Abgründe, Sensationsgier und persönlichen Befindlichkeiten, die auch vor der Vernichtung eines anderen Menschen nicht halt machen. Dabei wechselt „Der Nebelmann“ mehrfach die Perspektive und springt in der Zeit herum, sodass man als Zuschauer schon aufpassen muss um nicht den Faden zu verlieren. Hübsch ist auch die unaufgeregte Erzählweise, die fast so wirkt, als wären mit der Entführung eines Mädchens die Ereignisse eingetreten, die in dem abgelegenen Ort eigentlich schon von jedem erwartet wurden und auch die Rolle von Medien kritisch hinterfragt wird. Mit jeder weiteren Spur zieht der Fall auch bis zu seinem überraschenden Ende immer weitere Kreise, wobei auch hier lang nicht klar ist, worum es dem Regisseur überhaupt geht. Wer sich einen klassischen Thriller erwartet, wird hier eher enttäuscht werden, aber ansonsten kann man dem toll gemachten und pragmatisch gespielten Streifen aus italienischer Produktion auch nichts vorwerfen. Wer nordische Thriller mag, sollte auch „Der Nebelmann“ antesten. Tipp!

Suspiria

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Mit seinem Remake von „Suspiria“ hat Luca Guadagnino mit Fragmenten der Originalvorlage eine Art Anti-Unterhaltungs-Horrorfilm gedreht, der sich auch überhaupt nicht um die Erwartungshaltung des vorwiegend männlichen Genre-Publikums kümmert. In der Geschichte, in der Männer kaum eine Rolle(n) spielen, dreht sich alles um weibliche Themen wie Schuld und Scham, die hier auf interessante Weise präsentiert werden. Dabei erinnert das Remake nicht nur aufgrund seiner Darstellerinnen und Handlungsort mehr als Fassbinder als an Argento und um Horror geht es eigentlich auch nur am Rande. Themen wie die RAF werden angeschnitten und machen im Kontext auch durchaus Sinn, doch auch ein politischer Film ist der verstörend geamachte „Suspiria“ nicht geworden. Eigentlich wird alles umschifft, was als Zugeständnis an ein männliches Publikum verstanden werden könnte und selbst das blutige Ende ist völlig abstrakt gehalten und geht auch eher in Richtung körperliches Terrorkino. In diesem Punkt ähnelt der Film auch „Funny Games“ von Haneke, der auch nur vermeintlich auf ein Genre-Publikum schielt, nur um diesem dann den Spiegel vorzuhalten. Über Guadagninos Version könnte man sicherlich stundenlang diskutieren und es würden die Themen nicht ausgehen und ich sehe den Film auch weniger als Remake, sondern viel mehr als radikale Neuinterpretation, dass mit übergroßem Popo ins Gesicht der Horrorfilmfans aus der Fraktion der sensationslüsternen Unterhaltungsfraktion fährt und dafür hat sich Herr Guadagnino durchaus Respekt verdient.

Pumpkinhead

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Eigentlich könnte „Pumpkinhead“ ja ein netter Genre-Snack im Stile eines Stephen King-Streifens sein und der Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ stand hier wohl übergroß Pate - jedoch entpuppt sich der Streifen von Stan Winston trotz seines schönen Looks und dem eindrucksvollen Monster, als eine Art Luftnummer, die nie richtig in die Gänge kommt. Die Geschichte über den Motorrad-Unfall, der ja immerhin der Aufhänger der weiteren Verläufe sind, wird völlig uninspiriert dargeboten und auch die Trauer des Vaters und das Verhalten der Jugendlichen stehen immer an der Kippe zum Trash. Daher funzt auch der Rest dann nur noch bedingt und selbst dann verzettelt sich die Story noch in Nebensächlichkeiten, anstatt sein eindrucksvolles Monster zur Höchstform auflaufen zu lassen. Das Drehbuch mit durchaus guten Ideen und dem schönen Finale hätte man wirklich noch einmal gründlich überarbeiten und ausmisten sollen. So wirkt das alles schaumgebremst und wie ein Zugeständnis an ein breites Publikum, dass man offensichtlich nicht mit unschönen Dingen verschrecken wollte. Wie auch die anderen sehen ich den Streifen daher als durch und durch mittelprächtiges wie -mäßiges Vergnügen. Ein Film der verschenkten Möglichkeiten.

Darkroom

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Janet besucht ihre Familien, die in einem abgelegenen Haus wohnt um ihren Freund Steve vorzustellen, der die junge Frau eigentlich heiraten möchte. Doch die hat genug von dem konservativen Gedankengut ihrer Mutter und will sich eigentlich weder binden, noch Kinder in die Welt setzen. Doch diese Probleme rücken weit in den Hintergrund, als sich auf einmal ein mysteriöser Killer daran macht, die Familienmitglieder und das Umfeld von Janet auf grausame Weise zu ermorden. Während Janets Verdacht zuerst auf den unsteten Freund ihrer Schwester fällt und dieser auch keine Gelegenheit auslässt, um sich verdächtig zu machen, wird jedoch bald klar, dass der Täter im direkten Umfeld von Janet zu suchen ist…

Durchschnittlicher aber guckbarer Slasher von der Stange über einen Killer mit Psycho-Knacks, der den Zwang hat, seine Opfer zu fotografieren und in der abgelegenen Gegend auch dafür sorgt, dass ihm auch so schnell die Vorlagen nicht ausgehen. Die Geschichte ist eher rasch erzählt und auch die Identität des Killers wird eigentlich auch nicht allzu lange geheim gehalten, sodass es auch hier nicht zu großen Spannungsmomenten und/oder Überraschungen kommt. Selbst das Motiv des Killers hat man ja auch schon in dutzend anderen Filmen auf ähnliche Weise gesehen und dient hier eher vordergründig für die ganzen Ereignisse. Dennoch ist „Darkroom“ durchaus passabel inszeniert und auch die Figuren mit ihren schrecklichsten 80er-Frisuren sind halbwegs sympathisch gezeichnet, sodass man gerne mit ihnen mitfiebert. Die Morde sind blutig inszeniert und gut über die Laufzeit verteilt und das Finale ist ebenfalls ganz in Ordnung. Da hat man aus der Kiste schon wesentlich Schlechteres gesehen – Besseres natürlich auch. Die VÖ von Vinegar Syndrome ist aber wie üblich top, hat zwei Interviews mit Darstellern an Bord und kommt codefree.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 26. Feb 2020, 19:03
von jogiwan
Leergut

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Der Lehrer Josef muss jeden Tag mehr bemerken, dass ihn sein Leben nicht mehr glücklich macht. In der Schule interessieren sich die Kinder lieber für Computer als für tschechische Literatur, der Körper spielt auch zunehmend nicht mehr mit und zuhause wartet seit vierzig Jahren die gleiche Ehefrau. Um nicht völlig zum alten Eisen erklärt zu werden, kündigt Josef kurzerhand seinen Job um noch einmal etwas Neues auszuprobieren und landet wenig später in der Leergut-Annahme eines Supermarktes, wo sich Josef zunehmend auch für die Leben der Kunden und Kollegen zu interessieren beginnt. Doch während Josef eigentlich recht gut darin ist, seinem Umfeld zu helfen, tut sich der herzensgute Mensch überraschend schwer, seinem eigenen Eheleben neue Impulse zu verleihen.

Leiser und weiser Streifen über das Alter und nach „Kolya“ der nächste Volltreffer von Jan Sverák, der hier neuerliche gemeinsame Sache mit seinem Vater macht. Der ist nicht nur für das kluge Drehbuch verantwortlich, sondern hat neuerlich die Hauptrolle übernommen. Die Geschichte von „Leergut“ schwankt zwischen Drama und Komödie und braucht auch keine Lacher oder Tränen oder plakative Momente um herzerwärmend zu sein. Die Figuren wirken lebendig, die Ereignisse halbwegs glaubhaft und nebenher gibt es auch noch die Erkenntnis, dass man nie zu alt ist, um bestimmte Dinge in seinem Leben zu ändern, wenn sich langsam über Jahre die Routine eingeschlichen hat und man es sich irgendwie in einer sprichwörtlichen Ecke bequem gemacht hat, in der man sich irgendwann nicht mehr wohlfühlt. Schön auch zu sehen, dass es der Film vermeidet, seine Titelfigur auf ein Podest zu stellen, sondern diese auch durchaus ambivalent präsentiert. Vielleicht ein Film ohne Ecken und Kanten, aber doch ein durch und durch schöner und gelungener Streifen, der in so aufgeregten Zeiten wie diesen auf doch sehr angenehme Weise aus der Zeit gefallen wirkt.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 27. Feb 2020, 19:26
von jogiwan
Tammy and the T-Rex

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Cheerleaderin Tammy ist unsterblich in den Mitschüler Michael verliebt, der ebenfalls große Gefühle für sie hegt. Das junge Glück ist jedoch stark getrübt durch Billy, der ebenfalls mit Tammy zusammen war und den Platz nicht räumen möchte. Nach mehreren Konfrontationen wird Michael kurzerhand von Billy und seinen Kumpels in einen Tierpark verschleppt, wo er wenig später von wilden Tieren angefallen wird. Ins Koma gefallen wird der Körper von Billy jedoch von einem verrückten Wissenschaftler entführt, der Michaels Gehirn kurzerhand in einen mechanischen Dinosaurier steckt. Doch anstatt anderen Befehlen zu gehorchen, erinnert sich Michael an seine menschliche Existenz und hat auch nur ein Ziel. Wieder zurück zu seiner Tammy zu gelangen und den leidigen Konkurrenten blutig aus dem Weg zu räumen…

Eigentlich völlig jenseitiger aber zugleich schwer unterhaltsamer Mix aus Teenager-Komödie, Mobbing- und Mad-Scientist-Drama, Tier-Horror und herben Gewalteinlagen, bei dem man eigentlich nur ständig verwundert den Kopf schütteln kann. Die Geschichte ist ja völliger Quatsch und auch alle Figuren so überzeichnet, dass man das Ganze ja auch keine Sekunde lang ernstnehmen kann. „Tammy and the T-Rex“ scheint zwar auf den ersten Blick auf ein junges Publikum zugeschnitten und ist dann aber auf eine comichaft übertriebene Weise ziemlich blutig, sodass sich der Streifen mit Denise Richards und Paul Walker wirklich ziemlich zwischen alle Stühle setzt. Perfekt scheint der Streifen in der ungekürzten Form jedoch für große Kinder aus der Genre-Ecke mit Hang zu liebenswertem Blödsinn, die sich an einem derart kruden Film schon sehr erfreuen sollten. Hier kommt zusammen, was nicht zusammengehört und auch wenn „Tammy and the T-Rex“ bei nüchterner Betrachtung alles andere als ein guter Film geworden ist, so rockt der doch ziemlich die Hütte. Wie sollte man einen Film, in dem nervigen Highschool-Teenagern von einem Dinosaurier kurzerhand der Kopf abgerissen wird, ja auch nicht lieben? ;)

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Fr 28. Feb 2020, 20:00
von jogiwan
Pumpkinhead II

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Sherriff Braddock kehrt mit seiner Familie nach vielen Jahren in der Großstadt in das beschauliche Dörfchen Ferren Wood zurück, wo auf den ersten Blick alles sehr idyllisch wirkt. Doch wie so üblich lauern hinter hübschen Fassaden meistens Abgründe und auch Ferren Wood hat ein düsteres Geheimnis, seit in den Fünfzigern ein missgebildeter Jungen von einer Gruppe Halbstarker ermordet wurde. Mit den Utensilien einer Hexe und durch ein Ritual überschwänglicher Jugendlicher von heute wird ein Rachedämon beschworen, der schon wenig später den Tätern von damals einen Besuch abstattet und dafür sorgt, dass die ungesühnte Tat auf grausame Weise gerächt wird…

Durchschnittliche Fortsetzung eines unterdurchschnittlichen Vorgängers und auch hier hätte man abseits der Effekte auch wieder vieles besser machen können. Die Geschichte erinnert immer noch stark an Stephen King, wirkt eher uninspiriert zusammengeschustert und kommt auch nie so richtig in die Gänge. Nach einer kurzen Rückblende in die Fünfziger wechselt der Film auch in die Gegenwart und präsentiert wieder einmal nur die üblichen Kleinstadtfiguren vom braven Sherriff, über dessen rebellische Tochter bis hin zum korrupten Bürgermeister samt gewaltbereiten Mob, der sich schon bald hinter das Monster hermacht. Story-technisch wollte man wohl auf Nummer sicher gehen und hat sich dabei brav an anderen Filmen orientiert, die ein vergleichbares Szenario bereits dutzendfach vorgemacht haben. Bleiben noch die Effekte, die in der ungekürzten Fassung zumindest noch einen Grund zum Schauen bieten und sich zumindest vom lahmen Vorgänger abheben. Ansonsten ist „Pumpkinhead II“ leider nur das rasch heruntergekurbelte Sequel aus den Neunzigern mit bekannten Namen, welches Kreativität oder Nachhaltigkeit völlig vermissen lässt.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Sa 29. Feb 2020, 20:44
von jogiwan
Operation Overlord

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Eine Gruppe von amerikanischen Soldaten soll kurz vor dem D-Day mittels Fallschirme hinter die feindlichen Linien in Frankreich gebracht werden, wo sie einen auf einer Kirche befindlichen Störsender der Deutschen in die Luft jagen sollen. Doch der Einsatz steht unter keinen guten Stern und die dezimierte Truppe um den jungen Boyce landet zwar in den gesuchten Ort um festzustellen, dass die Zerstörung des Störsenders das geringste Problem ist, da die Deutschen im Keller der Kirche grausame Menschenversuche anstellen und aus den gefallenen Kollegen eine Armee von unzerstörbaren Zombie-Kriegern zu erschaffen. Mit Hilfe der Französin Chloe wagen sich die Soldaten dennoch in die Höhle des Löwen um sich den Nazis in den Weg zu stellen.

Hmmm… ein Film mit Nazi-Zombies, der zwar technisch sehr gut daherkommen, aber mich insgesamt so gar nicht begeistern konnte, das hat selbst mich ziemlich überrascht. „Operation Overlord“ ist in den ersten fünfzig Minuten ja sehr ernsthaft und erinnert an „Der Soldat James Ryan“, dann an „Inglorious Basterds“ um dann irgendwann mal in Richtung Horror abzubiegen. Irgendwie wirkte der Streifen auf mich so, als hätte man unbedingt ernsthaften Kriegsfilm, Tarantino-Coolness und Big-Budget-Trash unterbringen wollen und dabei vergessen, dass sich Erstes und Letzteres nun mal nicht so wirklich miteinander verträgt. Mag sein, dass die Macher hier die Gräuel des Krieges einem Publikum näherbringen wollte, das sich sonst keinen dramatischen Film aus der Ecke ansehen würde, aber mich lässt so etwas wie „Operation Overlord“ doch etwas ratlos zurück. Die Mischung hat zumindest für mich nicht funktioniert und die ganzen Lobeshymnen im Netz kann ich auch nicht nachvollziehen. Mich hat „Operation Overlord“ scheinbar am falschen Fuß erwischt und mir hat der Streifen auch überhaupt nicht zugesagt – ganz im Gegenteil.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: So 1. Mär 2020, 19:29
von jogiwan
Midsommar (Director's Cut)

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Nach „Hereditary“ der nächste Streifen von Ari Aster, der von Beginn schleichend ein bedrohliches Szenario entwickelt, welches beim Zuschauer eigentlich gleich alle Alarmglocken schrillen lässt. Hier sind es amerikanische Touristen, die im fernen Schweden an den neuntägigen Feierlichkeiten einer abgeschiedenen Kommune teilhaben dürfen. Was anfänglich noch recht exotisch fremdartig daherkommt kippt aber immer mehr, als zunehmend klar wird, dass sich die Touristen wohl nicht zufällig an dem mehr als idyllischen Ort mit seinen nur scheinbar schrulligen Bewohnern eingefunden haben. Dabei geht es weniger um die zu erwartenden (und auch eintretenden) Ereignisse im Wicker-Man-Stil, sondern um das Thema Abhängigkeit in Beziehungen und verpasste Absprünge. Im 170minütigen Director’s Cut lässt sich Aster auch viel Zeit um auf die dysfunktionale Beziehung einzugehen und den Zuschauer auf das grandiose Finale vorzubereiten. Bemerkenswert auch die Funktionalität des Streifens, obwohl der Zuschauer auf positive Identifikationsfiguren verzichten muss. Wieder ein großartiger und ungewöhnlicher Film, aus dem wohl jeder etwas anderes mitnimmt und der meines Erachtens auch mehr in Richtung Drama tendiert, das mit den Mitteln eines Horrorfilms erzählt wird. Die herben Szenen und die vielen visuellen Effekte hätte es dazu auch gar nicht gebraucht und sind hier auch eher als schmückendes Beiwerk und Zugeständnis für ein Genre-Publikum zu sehen. Zu meckern gibt es nicht viel, auch wenn ich mir persönlich vielleicht einen Ticken mehr Verstörung gewünscht hätte.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mo 2. Mär 2020, 19:10
von jogiwan
Bliss

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Malerin Dezzy ist gerade schwer unter Druck und muss erkennen, dass ihre künstlerische Vision nicht so richtig beim Publikum ankommt und das Leben als Künstlerin im Punk-Umfeld von Los Angeles alles andere als kostendeckend ist. Mit der Miete ist sie in Rückstand, ihr Agent droht mit Auflösung des Vertrags und die Galeristin erwartet das versprochene „fuckin‘ Masterpiece“, damit ihre schleppend angelaufene Ausstellung endlich auf Touren kommt. Doch Dezzy hat seit drei Monaten nichts mehr gemalt und befindet sich auch mitten in der künstlerischen Krise, die sie mittels einer neuartigen Designer-Droge namens „Diablo“ überwinden möchte. Dezzy stürzt sich in Drogen, Sex und Alkohol, doch mit der Kreativität lässt sie auch etwas anderes in ihr Leben, dass die Künstlerin und ihr Umfeld geradewegs ins blutige Verderben stürzt.

Einerseits ist Joe Begos 2019 entstandener „Bliss“ wirklich ein hübsch aussehender Streifen, der wohlwollend an rabiate Exploitationkino der Siebziger erinnert und kaum Rücksicht auf Zuschauerbefindlichkeiten nimmt, andererseits wirkt die Geschichte um die junge Künstlerin bisweilen etwas aufgesetzt und überzogen. Hier geht es um künstlerische Blockaden, Selbstfindung, Drogen, Sex und Alkohol im Punk-Umfeld und beim splättrigen Finale spielt dann auch ein Vampir-Mythos als Metapher mit hinein. Der Leidensweg einer Künstlerin, die für ihr Schaffen andere und sich selbst opfert ist dabei recht ansprechend und blutig in Szene gesetzt, auch wenn die Dialoge etwas zu sehr an Rob Zombie-Filme erinnern und ich es generell furchtbar finde, wenn jedes zweite Wort mit "F" anfängt. Ganz nimmt man der Hauptfigur zu Beginn die leidende Künstlerin und ihre rotzige Punk-Attitüde auch nicht ab, aber ansonsten überwiegen die positiven Dinge. „Bliss“ ist blutig und wild, die Punk-Musik knüppelt wie die Stroboskop-Bilder auf den Zuschauer ein und nach knapp 75 Minuten ist man von diesem Trip auch ziemlich geplättet. Wer Gaspar Noe mag, inhaltlich aufgeschlossen ist und den oberen Härtegrad verträgt ist bei diesem unkonventionellen und Fiebertraum-artigen Indie-Horror aus den Abgründen einer gequälter Künstlerseele jedenfalls durchaus an der richtigen Adresse.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Di 3. Mär 2020, 19:02
von jogiwan
Lilith's Hell

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Der Filmemacher Ryan fliegt nach Rom um dort mit seinem Partner Alberto den berüchtigten Regisseur Ruggero Deodato zu interviewen und eine Mockumentary im Stil von „Cannibal Holocaust“ im abgelegenen Landhaus von Albertos Großmutter zu drehen. Doch das Budget ist knapp, die Location viel zu geleckt und auch die angeheuerten Schauspielerinnen sind ebenfalls nicht das, was sich Ryan vorstellt. Doch das ändert sich, als Alberto von bizarren Ereignissen erzählt, die sich an diesem Ort zugetragen haben, das Team in der Nacht von seltsamen Geräuschen geweckt wird und schon wenig später die Hölle über die Filmemacher hereinbricht…

Found-Footage bzw. Mockumentary die Drünfzigste, dieses Mal in der italienischen Diskont-Variante mit Anleihen bei Haunted-House, Satanismus und Besessenheit und einer Figur namens Lilith, die aus der Hölle kommt um das Patriachat ein für alle Mal zu beenden. Der Name Deodato und die ständigen Verweise zu „Cannibal Holocaust“ sind eigentlich nur dazu da, Interesse beim Filmfan zu wecken und dessen Rolle beschränkt sich auch auf einen kleinen Auftritt zu Beginn und am Ende des Filmes, der aber zum Glück nicht allzu selbstherrlich ausgefallen ist. Der Rest ist leider wenig originell und nichts anderes als der übliche Wackelkamera-Horror in der x-ten Auflage, der neben einer ausführlichen und selbstverliebten Selbstdarstellung des Regisseurs nichts zeigt, was man nicht schon in dutzend andere Fällen deutlich besser gesehen hatte. Dem Genre kann dieser Streifen meines Erachtens nichts hinzufügen und selbst als großer Fan von Filmen aus der Ecke ist Petrarolos maximal ein unterdurchschnittlicher Vertreter gelungen, der nur durch den erhöhten Härtegrad und etwas nackter Haut aus der Masse vergleichbarer Produkte herausragt. Interessanter ist da schon das Bonusmaterial der US-DVD bzw. das Interview mit Ruggero Deodato, der aus den Nähkästchen plaudert und sich auch den Filmemachern höflich gegenüber verhält, obwohl „Lilith’s Hell“ doch eher ein Fall für die Tonne ist.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 4. Mär 2020, 20:20
von jogiwan
Aerobicide

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jogiwan hat geschrieben:Lustig-trashige Mischung aus Musik-, Tanz- und Slasher-Film mit einem sportlichen Cast und einem fleißigen Killer, der die Kunden eines Fitnessclubs auf drastische Weise dezimiert. David A. Prior legt das Augenmerk ja neben drastischen Morden auch brav auf die damalige Trendsportart Aerobic und lässt seinen Cast in knappen Lycra-Outfit ganz ordentlich für die jeweilige Gage abzappeln. Alles in dem schwer unterhaltsamen Streifen ist größtmöglich Achtziger-Kiste, die Klamotten und Frisuren dementsprechend ausgefallen und auch die flotte Musik peitscht stets nach Vorne, während man sich als Zuschauer bald vor Tatverdächtigen und Opfern fast nicht mehr retten kann. „Aerobicide“ ist mit seinem erhöhten Tanzanteil zweifelsfrei kein Streifen für Slasher-Puristen, aber meinen Geschmack hat der leider kürzlich verstorbene Regisseur David A. Prior mit der unkonventionellen Mischung ja perfekt getroffen und auch die Auflösung der spaßigen Sause ist überraschend solide ausgefallen. Wer „Flashdance“ und Fulcis „Murder Rock“ mag wird das „Killer Workout“ lieben und der Streifen rockt jedenfalls ganz ordentlich die Hütte und eignet sich wohl perfekt als Höhepunkt für jede 80er-Retro-Party mit viel Cola-Rum und Blue Curacao.
Vielleicht sind meine obigen Worte etwas zu wohlwollend, aber irgendwie ist "Aerobicide" schon eine lustige Sache mit haarsträubender Auflösung, seltsamen Twists und erhöhtem Bodycount. Musik, Frisuren, Outfits und die deutsche Synchro gehen ja auch so gar nicht. So ein paar kleine Morde unter der Kundschaft scheinen in der Fitness-Branche ja auch gar nicht sonderlich geschäftsschädigend zu sein. Hauptsache es wird viel gezappelt. Lustig doof!

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 5. Mär 2020, 20:39
von jogiwan
Son of Rambow

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Der junge Will lebt im England der Achtziger und wird streng religiös erzogen. Obwohl Musik und Fernsehen verboten sind, kommt er eines Tages durch den filmverrückten Problemschüler Lee in Kontakt mit dem ersten Teil von Rambo und ist hin und weg von dem Actionhelden. Daher beschließen die beiden Außenseiter mit der Videokamera des großen Bruders von Lee selbst ihre Version von Rambo zu drehen, in dem Will auch seine dramatische Familiengeschichte auf kreative Weise verarbeiten kann. Später zieht alles größere Kreise und auch anderer Mitschüler interessieren sich für das Projekt, bis Will seine verbotenes Hobby nicht mehr länger vor seiner strengen Mutter verheimlichen kann…

Eigentlich würde ich „Son of Rambow“ ja sehr gut finden wollen und wie oft sieht man schon eine so sympathische Hommage an Sylvester Stallone und seine Story des ambivalenten Helden, die hier kurzerhand von zwei Halbwüchsigen nachgestellt wird. Auch die Musik, die Ausstattung und die eingefügten Animationen sind hier ganz großartig und sollten bei mir eigentlich für Jubelstimmung sorgen. Doch für eine unbeschwerte Coming-of-Age-Komödie ist mir der Drama-Anteil etwas zu hoch bei den Figurenzeichnung und Handlungsverlauf habe ich eine bestimmte Herzlichkeit vermisst. Die unterschiedlichen Elemente wollen meines Erachtens nicht so richtig zusammenpassen und nicht jeder Handlungsverlauf gelungen. Der Streifen bremst sich selber auch immer wieder aus, wenn auf spaßige Momente immer wieder ein sehr ernster folgen muss. Nichts gegen Dramatik, aber hier fand ich das Verhältnis nicht ausgewogen bzw. hätte ich mir persönlich mehr kindliche Fantasie und weniger religiösen Fanatismus gewünscht. So bleibt ein Film den man zwar sehen kann, aber der mein Herz nicht erreicht hat.