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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 4. Okt 2022, 07:06
von Maulwurf
The raven (Lew Landers, 1935) 7/10

Als der emeritierte Nervenarzt Dr. Vollin durch eine Operation das Leben der jungen Tänzerin Jean rettet, lebt sein Herz wieder auf. Nach Jahren des Rückzugs in eine düstere Traum- und Phantasiewelt, beherrscht von den morbiden Gedankenwelten Edgar Allan Poes, verliebt er sich neu. Und als Jean ihn zu einer Aufführung einlädt und für ihn das Rezitativ von Poes The Raven tanzt, da ist es gänzlich um ihn geschehen. Jeans Vater, der Richter Thatcher lehnt diese Verbindung allerdings rigoros ab, was ihn gemeinsam mit Jean, deren Verlobtem und ein paar Freunden, ein Wochenende auf Vollins Landsitz einbringt. Auf dem Programm stehen Folter und Tod, denn das ist es, was Vollins Herz wirklich bewegt …

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So ganz verstehe ich nicht, wie man THE RAVEN als Horrorfilm laufen lassen kann. Meines Erachtens ist der Film ein rassiger Psychothriller, oder wie sonst nennt man das, wenn ein Mann eine Gruppe von Menschen in ein abgelegenes Haus sperrt um sie in aller Ruhe foltern zu können? Übernatürliche Vorgänge sind auch nicht zu bestaunen, aber natürlich ist mir klar warum das Label Horror an diesem wunderbaren und düsteren Film hängt. Boris Karloff und Bela Lugosi, die einzeln schon jahrelang Horrorfilme mit ihrer Präsenz und ihrer Kunst veredelten, und die vorher zusammen bereits in DIE SCHWARZE KATZE zu sehen waren, die beiden sind nicht nur wie eine Auszeichnung oder ein Label zu sehen, sondern sie bringen den Streifen gemeinsam auch in trockene Tücher. Lugosis süffisantes Overacting, seine sardonische und im reinsten Sinne böse Art, das fasziniert und zieht geradezu magisch an. So verspricht Dr. Vollin einem Besucher, ihm beim nächsten Mal die selbsterstellten Nachbildungen von Foltergeräten zu zeigen. Der Besucher schaudert leicht und meint “Nun ja, jeder hat sein Hobby”, woraufhin Bela Lugosi in die Ferne schaut und flüstert “Es ist mehr als ein Hobby ...” – Die Gänsehaut auf dem Rücken des Zuschauers legt ein eindrückliches Zeugnis von Lugosis Intensität ab ...

Daneben Boris Karloff als Verbrecher Bateman, der in Vollins Haus Unterschlupf gesucht hat, und von Vollin zu einem hässlichen Monster operiert wird, denn Vollin ist der Überzeugung, dass nur hässliches Aussehen echten Hass erzeugt. Bateman ist zutiefst verunsichert, ist voller Ekel vor sich selbst und seiner Umwelt, und möchte endlich ein neues Leben beginnen. Doch Vollin fordert von Bateman Mord und Folter um den Preis eines neuen Gesichtes Bateman hat keine wirkliche Chance dagegen anzugehen – Zu groß ist seine Sehnsucht nach einem normalen Leben, zu klein seine Vorstellungskraft, dass Vollin ihn gar nicht zu einem gutaussehenden Menschen operieren würde. Der selbstsichere und bösartige Vollin neben dem zaudernden und zu Untaten gedrungenen Bateman, dem unsere ganze Sympathie gehört – Ein wahres Dreamteam des Psychothrillers.

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Und dazwischen, wie könnte es auch anders sein, eine Frau - Die wunderschöne Irene Ware als Jean, die uns (und Vollin) in ihrem Tanz ästhetisch entzückt und erotische Phantasien schenkt. Die so unschuldig und lasziv zugleich wirkt. Wahrlich eine Rose, für die es sich lohnt ein paar Menschen grausam zu Tode zu bringen...

THE RAVEN drückt von Beginn an aufs Tempo, überzeugt mit wunderbaren Bildern voller Melancholie und Tod sowie mit fantastischen Schauspielern, und rückt gerade durch seine knackige Laufzeit von gerademal 58 Minuten das Wesentliche in den Fokus. Keine langwierigen Subplots, keine überflüssigen Erklärungen – Das Böse ist da, es lebt, und es will den Körper von Jean besitzen und zerstören. Punkt.

Ein wunderbarer Film!

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 12. Okt 2022, 05:37
von Maulwurf
Spin a dark web (Vernon Sewell, 1956) 7/10

Ein junger Mann, der auf der Suche nach einem Auskommen in die Fänge einer Gangsterbande gerät, und Probleme hat da wieder rauszukommen. Warum sollte man sich solch eine ausgetretene Handlung antun?

OK, dann versuchen wir es doch anders: Soho bei Nacht. Die Straßen voller Autos, überall Menschen auf der Suche nach Zerstreuung. Die Türen sind offen und die Musik aus den Bars und Clubs klingt bis auf die Straße. Wir hören Jazz, Rumba, Schlager, und wir folgen einem jungen Mann durch die Nacht und die Vergnügungen, vorbei an Cafés und an Freudenmädchen, bis er sein Ziel erreicht hat. Eine schäbige Adresse, in der im oberen Stockwerk ein paar ziemlich heruntergekommene Gestalten in einem Raum sitzen und warten. Auf jemanden wie ihn, an dem sie ihre schlechte Laune loswerden können. Aber der junge Mann kann sich wehren, sogar ausgesprochen gut, und erst als ein weiterer Mann dazustößt wird die hochexplosive Situation aufgelöst: Der erste junge Mann, Jim, sucht Arbeit, und er hat seinen alten Armeekumpel Buddy wiedergefunden, den dazustoßenden Retter der Situation, der sein Geld bei der Francesi-Gang verdient. Künftig wird auch Jim bei der Francesi-Gang arbeiten. Geld überbringen, Pferderennen manipulieren, solche Sachen halt. Sein Preis? Ein Platz im Bett von Francesis Schwester Bella, und dafür kann man schon mal was riskieren. Auch Mord?

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Betty Walker ist in Jim verliebt, und Jim weiß das auch. Sie himmelt ihn an, wenn er im Boxclub der Walkers trainiert, und sie möchte sich auch so gerne mit ihm verabreden, aber Jim hat einen Job. Oder er sucht einen Job. Was für einen Job? Na einen Job halt. Frag nicht so dumm. Jim hat die Attitüde eines juvenilen Unruhestifters, und wahrscheinlich ist es auch genau das, was ihn für Betty so attraktiv macht. Nicht so verknöchert wie ihr Vater, der Boxtrainer. Nicht so spießig wie Bill, der junge Boxer und Bettys Bruder, sondern irgendwie … anders. Aufbegehrend. Unruhig. Ein zorniger junger Mann, der da in einer amerikanischen Produktion auf der Leinwand auftaucht, und der durch die Straßen Londons zieht auf der Suche nach Ärger.

Sein Freund Buddy meint, dass Jim Hirn und Muskeln hat. Ich bin mir da nicht immer so sicher. Was er aber auf jeden Fall hat ist die Grundhaltung, die so viele Jugendliche in den Nachkriegsgenerationen hatten, gleich ob Beat oder Mod oder Punk oder wasauchimmer. Jim sitzt mit Betty in einem Café, und man spürt seine Unruhe. Betty versucht ihn auszuhorchen, aber Jim lässt sich nicht darauf ein. Er wartet eigentlich auf Bella, und im Hintergrund läuft ein jazziger Loop, der die unstete Stimmung unmerklich immer mehr anheizt und die Nervosität merklich steigert. Bis zum Höhepunkt, als Bella das Café betritt und Betty, die wütend fortgeht, vertreibt. Bella steht direkt unter dem Dach der Bar, die ein Schachbrettmuster ziert. Das gleiche Schachbrettmuster, das in ihrer Wohnung auf dem Fußboden liegt. Und wie Schachfiguren bewegen sich die Personen, versuchen gegenseitig einen Vorteil zu erhaschen und nah an den König ranzukommen. Wobei Jim den Vorteil hat, dass er die Königin bereits besitzt.

Nein, das ist nicht richtig - Eigentlich hat die Königin ihn, den kleinen Bauern, in ihrer Gewalt. Denn Bella ist die Herrscherin der Gang. Sie, und nicht der familiäre und leutselige Rico, der sich mehr um die Qualität seiner Spaghetti sorgt als um die Qualität seiner Leute. Nachdem einer von ihnen, MacLeod, Bettys Bruder ermordet hat, drängt Bella auf MacLeods Tod, aber Rico wiegelt ab. Rico lässt sich erpressen, er ist einfach nicht hart genug um eine Gang zu führen. Das macht Bella, und Bella ist es auch, die MacLeods Tod befiehlt. Rico ist in diesem Moment nur der simple Befehlsempfänger.

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Ein Moment, der die Quadratur des Schachbretts durcheinanderbringt. Denn Jim weiß jetzt was für ein Mensch Bella wirklich ist, und will sie verlassen. „You don’t leave me, you don’t leave me. Nobody leaves me – I walk out when I am ready, and you don’t go until I tell you“ schreit sie ihm entgegen, und demaskiert sich spätestens hier als klassische Femme Fatale, als Herrin über Tod und Leben. Es kommt zum Kampf, und Bella und Jim wälzen sich tatsächlich ringend und kratzend über den Boden. Bis die Gang kommt und Jim flüchten muss. Doch Bella weiß um Jims Verhältnis zu Betty, überfällt die Familie Walker, und erpresst mit diesen Geiseln Jim, zurückzukehren. Zu ihr. Zu seinem beschlossenen Tod. Wenn am Ende die Situation eskaliert, die Familie Walker als Geisel genommen wurde und die Polizei das Haus der Walkers umstellt hat, dann laufen die Westentaschengauner herum wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner, und Rico beschimpft Bella wild in einer nicht enden wollenden Tirade italienischer Flüche. Nur Bella bleibt cool, greift zum Telefonhörer, und befiehlt der Polizei was SIE will.

SOHO INCIDENT, wie der Film im englischen Original heißt (in den USA lief er als SPIN A DARK WEB), punktet in erster Linie durch seine realistischen Bilder. Sobald die Kamera die Studiokulissen verlässt und in das Leben der Millionenstadt London eintaucht wird die Atmosphäre heiß und geschäftig. Gleich ob auf einem Markt in Soho, in den von Arbeitern bevölkerten Straßen am Rande des East Ends oder auf der Pferderennbahn. Diese Szenen sind mit natürlichem Licht gedreht und mit zufälligen Passanten besetzt, da hat der Film Stil und Atmosphäre, hier lohnt das Ansehen sehr.

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An anderen Stellen ist das nicht immer so, denn leider ist die erste Hälfte oft etwas geschwätzig. Jim ist ein smarter Junge, und wenn er aus dem East End kommen würde, dann wäre die weitere Entwicklung bis hin zum Kapo bei den Krays auch logisch. Aber so, als Kanadier in einer Gang die von einem Sizilianer geführt wird, wirkt das im Kontext alles etwas merkwürdig. Die Gang selber ist als große Familie angelegt, der Sizilianer wirkt wie die Karikatur eines Bandenchefs, und das alles bietet sehr viel heile Welt. Wie die Familie Hesselbach im West End, oder eine Fernsehserie aus den 50er-Jahren. Die CORONATION STREET als Krimi, wobei die Fernsehserien in ihrem Grundton teilweise oft düsterer waren. Die Entfernung zwischen den Francesis und den real existierenden Krays ist deutlich weiter als die zwischen dem East End, wo die Krays zuhause waren, und dem Westend und den Rennbahnen der Francesis. Rico Francesi, der vermeintliche Anführer, der eigentlich eher ein Strohmann ist, spricht in seiner ersten Szene leichten italienischen Akzent (den er dann leider ablegt), und ist zu seinen Männern gut und freundlich. Zu seinen Opfern übrigens auch – Als er MacLeod losschickt, um den Boxer, der gestern Abend unerlaubterweise gewonnen hat, zur Rede zu stellen, schärft der diesem ein, auf jeden Fall und unbedingt freundlich und höflich zu bleiben. Was MacLeod nicht schafft – Er tötet den Boxer, und damit kommt die Geschichte überhaupt ins Rollen. Aber die „bösen“ Menschen sind hier alle so nett und freundlich … In der Southside von Chicago sieht das alles irgendwie anders aus, genauso wie eben auch im East End.

Und so gliedert sich der Film auf in zwei relativ deutlich getrennte Hälften. Die erste Hälfte ist Ricos Hälfte. Sie ist redselig, familiär, freundlich, und tut niemandem wirklich weh. Aber spätestens ab dem Mord an MacLeod ist dies vorbei. Diese zweite Hälfte gehört Bella, und jene Seite der Welt ist düster und spannend und hat eine Wucht wie eine vorbeifahrende Limousine aus deren Fenster MG-Salven ballern. Jim ist in Ungnade gefallen, wohlgemerkt in Bellas Ungnade, und muss vor der Bande flüchten, und diese Hälfte ist ein starker und gut inszenierter Krimi mit viel Street Credibility und einem Set Design von Ken Adam, dem späteren James Bond-Designer, der sich hier an einigen Stellen hervorragend und mit hohem Wiedererkennungswert austoben konnte.

SOHO INCIDENT mag vielleicht kein großer oder wichtiger Film sein, aber er ist ein spannender Film mit tollen Charakteren, und allein dies und die authentischen Bilder aus dem alten London machen ihn sehenswert.

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 15. Okt 2022, 06:14
von Maulwurf
Asterix – Sieg über Cäsar (Gaëtan Brizzi & Paul Brizzi, 1985) 8/10

Die schöne Falbala kehrt aus Lutetia zurück in das wohlbekannte kleine gallische Dorf, und Obelix ist rettungslos verliebt. Und als Falbala und ihr Verlobter Tragicomix von den Römern entführt werden, reisen Asterix und Obelix natürlich sofort hinterher. Ihre Reise führt sie zuerst in die Legion nach Afrika, und dann auf den Spuren eines Sklavenhändlers bis nach Rom, wo Tragicomix und Falbala im Kolosseum den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden sollen. Und Asterix und Obelix sich als Gladiatoren bewerben, um das Paar befreien zu können.

SIEG ÜBER CÄSAR ist keinem einzelnen Asterix-Comic zuzuordnen, sondern enthält mit die besten Storyelemente aus ASTERIX ALS GLADIATOR, DIE LORBEEREN DES CÄSAR und ASTERIX ALS LEGIONÄR. Die Dialoge sind, zumindest in der deutschen Fassung, teilweise 1:1 aus den Alben übernommen, was zu heftigen Lachanfällen beim Zuschauer führen kann, wenn er merkt, dass er die klassischen Dialoge sogar mitsprechen kann. Vor allem die Episoden bei der Ausbildung der frischgebackenen Legionäre sind stark umgesetzt (wenn auch leider unter Verzicht auf den Ägypter Tennisplatzis, aber dessen Hieroglyphensprache wäre im Film sicher sehr schwierig und unüberzeugend geworden) und die Höhepunkte jagen sich gegenseitig.

Ab der Episode in Afrika wird dann leider das Tempo ein wenig zurückgenommen, dafür glänzen die Ereignisse in Rom, wenn Asterix, Obelix und Idefix getrennt werden, durch hohe Spannung und eine enorm dichte Erzählstruktur, zu der mir sogar teilweise das Wort düster einfällt. Stark ist auch, dass Idefix hier ganz eigene kleine Abenteuer erlebt, die oft viel aufregender sind als die Scharmützel der eigentlichen Helden.

Mein persönliches Asterix-Highlight ist und bleibt der Over the Top-Film ASTERIX EROBERT ROM, aber mit dem herausragenden ASTERIX BEI DEN BRITEN teilt sich SIEG ÜBER CÄSAR auf jeden Fall den gleichen Platz in der Rangliste. Spannend, unbeschreiblich komisch, hübsch animiert, und vor allem ganz weit weg von den seelenlosen Computeranimationen der Jahre nach 2000. Beim Teutates, was für ein Film …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 18. Okt 2022, 05:29
von Maulwurf
Der Zinker (Karel Lamac & Martin Fric, 1931) 5/10

In der Londoner Unterwelt geht die Angst um – Entweder man gibt dem Zinker seine eigene Beute für ein Taschengeld, oder er verpfeift einen bei der Polizei. Kein Bruch ist mehr zu machen, ohne dass der Zinker sich einmischt. Nur Scotland Yard ist hoch erfreut, sind die Tipps des Zinkers doch immer goldrichtig, doch letzten Endes würden auch die Jungs von der Polizei den Zinker gerne schnappen. Die Spuren führen zum Büro des Geschäftsmannes Sutton, dessen Partner für ein Jahr in Bombay ist („Ein Jahr? Hätte er mal einen besseren Anwalt genommen.“), und bei dem sich merkwürdige Gestalten in den Räumen herumdrücken: Der Tunichtgut Tillman, der in Suttons Nichte Beryl verliebt ist, und vom Zinker dafür mit dem Tode bedroht wird. Der frühere Schwerverbrecher Captain Leslie. Die schöne Millie Trent, die sich einen Job als Sekretärin ergattert. Der windige Reporter Karras. Jeder möchte wissen wer der Zinker ist, aber jeder könnte es auch selber sein.

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Diese erste Verfilmung des Edgar Wallace-Romans macht es mir gar nicht einfach. Ich schätze die Filme der frühen 30-er Jahre. Ihr Schnitt, ihre Erzähltechnik, ihre Atmosphäre, das ist einfach etwas ganz anderes als heute. Der Zuschauer wird zum Mitdenken gezwungen, die Handlung wirkt im Vergleich zu heute oft sprunghaft und wie Stückwerk, und wenn man nicht aufpasst entgehen einem schnell einmal wesentliche Informationen. Soll heißen, ich kenne diese Art Film durchaus, und trotzdem hat mich DER ZINKER stellenweise etwas überrollt. Die Figuren sind mir lange Zeit fremd geblieben, die Handlung war nicht immer wirklich zu durchdringen, und das Showdown war hochdramatisch, sehr spannend und exzellent gefilmt – Und doch auch irgendwie unbefriedigend: DU bist der Zinker, und Ende des Films …

Was sicher sehr zu meiner leisen Enttäuschung beigetragen haben dürfte ist der Umstand, dass der Film 2009 eine neue Musik spendiert bekommen hat, und ich, weil ich mal wieder gemeint habe Billigheimer-DVDs kaufen zu müssen, nicht auf die originale Fassung ohne Musik ausweichen konnte. Diese nachträglich übergestülpte Musik passt nicht zum Film, passt nicht zu den Bildern, schert sich einen Dreck um Szenenübergänge oder Anschlüsse, und drückt stellenweise sogar die Dialoge in den Hintergrund, von den Charakteren ganz zu schweigen. Ohne jedes Gefühl für den Film wurde hier Kunst um der Erhöhung des eigenen Ruhmes willen verbrochen, ohne dem Kunstobjekt damit auch nur ein bisschen was Gutes zu tun. Als ob man die Mona Lisa hellblau anmalt, weil das gerade im Trend liegt, oder weil man keine dunklen Farben mag. Wer also an dem Film Interesse hat, sollte tunlichst zur Ausgabe von Koch Media greifen!

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Fakt ist, dass der Film in dieser Fassung weitgehend zerstört wird. Szenen, die von ihrer Dunkelheit und ihrem Schweigen leben, werden mit orchestralem Brimborium aufgefüllt und in ihr Gegenteil gekehrt. Kennt jemand die deutsche Fassung von Howard Hawks‘ TOTE SCHLAFEN FEST? Die Fassung, die 1967 mit gewollt komischen Dialogen und völlig unpassender Musik erstellt wurde? Genauso erging es auch dem 1931er ZINKER …

Wie gesagt hatte ich nicht die Möglichkeit, diesen Film im Original zu genießen, wo er sicher um einiges stimmungsvoller und spannender ist. Wo der großartige Fritz Rasp in seiner süffisanten Ambivalenz erst so richtig beeindruckt, und wo Lissy Arna und Peggy Norman mit purer Erotik punkten können. Vor allem Lissy Arna als Sekretärin Millie Trent hat viel erotische Ausstrahlung, die sie im Abendkleid mit Spaghettiträger auch hemmungslos auslebt. Peggy Norman macht dagegen einen auf niedliche Blonde und hat die Herzen der männlichen Zuschauer allein mit ihren Grübchen locker auf ihrer Seite. Karl Ludwig Diehl als Captain Leslie ist wie in so vielen Filmen zu alt für seine Rolle und scheint in seiner Mimik den Stummfilm noch nicht so richtig überwunden zu haben, und Robert Thoeren nimmt man seine Rolle als zwielichtiger Abenteurer sowieso nicht ab, dafür ist er vom Duktus her viel zu sehr der klassischer Held. Bleiben noch Paul Hörbiger als rasender Reporter Karras, der für die Witze zuständig ist und dabei größtenteils genauso nervt wie Eddi Arent 32 Jahre später in der gleichen Rolle, und Szöke Szakall, der seine bekannteste Rolle als Kellner Carl in CASABLANCA hatte, hier im Prinzip die gleiche Rolle mit den gleichen Allüren gibt, und auch genauso sympathisch rüberkommt wie in jenem.

Insgesamt sicher ein ordentlicher Krimi, unter den oben genannten Vorbehalten, aber wenn ich ganz ehrlich sein darf: Die Verfilmung von Alfred Vohrer aus dem Jahr 1963 steckt diese erste Verfilmung locker in die Tasche, zumindest was die künstlerisch zerstörte Neufassung von 2009 angeht …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 21. Okt 2022, 05:35
von Maulwurf
The Cleansing – Die Säuberung (Antony Smith, 2019) 4/10

Alice muss eine Hexe sein, jeder in dem kleinen Dorf weiß das. Ihr Vater ist unter merkwürdigen Umständen gestorben, die Mutter hat die Pest, und sie selber ist kerngesund. Außerdem waren Mutter und Tochter schon seit längerem nicht mehr bei der heiligen Messe zugegen. Die Hauptargumente für diese Behauptung aber sind ganz klar: Der kleine Priester will Alice im Bett haben, und diese verweigert sich ihm, während die garstige Matilda ihren Mann an die Pest verloren hat und nun eine Schuldige sucht. Und außerdem in das warme Bett des Priesters will. Alice muss weg. So, wie man Hexen normalerweise weg macht. Durch Wasser. Oder durch Feuer. Doch trotz ihrer verbrannten Hände und obwohl an ein Kreuz gehängt, ist Alice eines morgens plötzlich fort. Sie versteckt sich im Wald, wo sie einen Einsiedler kennenlernt, der ihr Geheimnisse verrät: Ein Pulver, das bei Berührung mit Wasser einen Menschen verbrennt. Ein anderes, das die Lungen verätzt. Und eine Wurzel, mit der man, wenn man sie verbrennt, zu seinen eigenen Wurzeln reisen kann.

Liest sich ja erstmal nicht schlecht. Die Bilder, die man so sehen kann schauen toll düster-schmutzig aus und zeigen ein Mittelalter, in dem man sich nach Herzenslust austoben und Frauen foltern und verbrennen darf. Der Beginn von THE CLEANSING macht dann auch genau das: Wir schauen einer kleinen Dorfgemeinschaft zu, wie sie versucht sich gegen die Pest zu wehren mit dem einfachsten Mittel aller Zeiten: Dem Opfern eines menschlichen Sündenbocks. Dass bei der Folter Alice‘ kein Wert auf exploitative Elemente gelegt wird macht den Film in diesem Augenblick nur umso hochwertiger, doch als Alice dann in den Wald entkommen kann und den Einsiedler trifft ist *puff* die gesamte Spannung fort. Man nähert sich vorsichtig an, der Mann weiht das junge Mädchen in seine Geheimnisse ein, und als ein junger Schwarzer daherkommt, mal eben so mit ziemlich coolen Pikes an den Füßen, seltsamen Tattoos am Hals und mit mächtig Hunger und Selbstbewusstsein gesegnet, da fragt sich der Zuschauer dann schon sowohl nach dem Sinn der Handlung wie auch dem Grund der fortgesetzten Anachronismen.

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Aber sei‘s drum, Alice macht dann den Carlos Castaneda und erweitert ihr Bewusstsein, und spätestens da wird dann auch langsam klar, wer der Eremit in dem ausgesprochen überschaubaren Personenrahmen in Wirklichkeit ist. Überraschung sieht anders aus, wobei die Zusammenhänge zwischen seiner Profession und seinem Wissen der überlieferten Historie diametral entgegen stehen. Spoiler: Oder waren es denn nicht die Inquisitoren, welche die weisen Frauen ausrotten wollten? Spoiler Ende.

Im letzten Drittel dann zieht sich Alice einen schwarzen Umhang über, schminkt sich wie ein 15-jähriges Gothic-Chick und geht wieder in das Dorf, Rache zu nehmen an den Bewohnern die sie töten wollten. Wo das erste Drittel mittelalterlich-realistisch ist mit gutem Wetter und schönen Hintergründen, und das zweite Drittel psychologisch-langweilig mit langsamen Aktionen und wenig wirklichem Sinn auf Anachronismen setzt, basiert das dritte Drittel auf hartem Gothic-Metzel-Stoff und plündert mal eben die Schatzkiste der US-amerikanischen Underground-Kultur der letzten 20 Jahre.

Und der Zusammenhang zwischen den drei Dritteln? Mmh, schwer zu sagen. Die Schauspieler machen ihre Sache teils sehr gut (die Dorfbewohner), teils etwas platt (der Eremit), die Musik klingt in ihren besten Momenten wie Raison d’Être und in den schlechten wie Library Musik, und dass so viele Figuren modernes Schuhwerk anhaben ist einfach dumm und nicht immer passend. Aber es schlängelt sich einfach kein rechter roter Faden durch die äußerst dünne Story, und die schönen Bilder reichen da auch nicht immer aus. Vor allem der ganze Mittelteil zieht sich doch etwas, bevor eben der Rachepart beginnt, der dann den Zuschauer in seinem Zweites-Drittel-Tran völlig übertölpelt und ihm mit den griffigen Bildern einen guten Film vorgaukelt, wo gar keiner ist. Denn drei einzelne Episoden ergeben in Summe nicht zwangsläufig einen zusammengehörigen Film …

Nee, so richtig aufregend ist das nicht. Da passt zu vieles nicht zusammen, und der Gesamteindruck ist einfach zu mau um wirklich eine Empfehlung abgeben zu können. Muss man nicht unbedingt sehen …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 24. Okt 2022, 05:26
von Maulwurf
Das unsichtbare Netz (Nunnally Johnson, 1954) 6/10

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Im geteilten, aber noch offenen, Berlin des Jahres 1954 wird der junge amerikanische Korporal Leatherby entführt. Bei den Geheimdiensten stehen alle Zeichen auf Sturm, und dass der alte Leatherby, seines Zeichens sehr einflussreicher Wirtschaftsmagnat und bestens vernetzt in der Politik, dass der Mann eigens aus den USA anreist um den Leuten da drüben mal so richtig Dampf unter dem Hintern zu machen bei der Befreiung seines Filius, und um dafür zu sorgen, dass seine reichlich gezahlten Steuergelder auch richtig verwendet werden, das macht die Sache nicht besser. Colonel van Dyke von der Abwehr ist ein alter Hase bei solchen Dingen wie entführten Soldaten und den damit verbundenen Forderungen, aber ganz plötzlich ist Berlin ein Wespennest, in dem ein wutentbrannter amerikanischer Unternehmer und Vater nur für Probleme sorgen kann …

Night People. Menschen die man nicht sieht. Die unsichtbar sind. Die nur in der Nacht arbeiten um ihren Geschäften möglichst unbeobachtet nachgehen zu können. Van Dyke, der ein geheimes, ein unsichtbares Netz von Kontakten und Informanten in beiden Teilen der Stadt unterhält und versucht, die Dinge nicht eskalieren zu lassen. Seine Mitarbeiterin „Hoffy“ Hoffmeier (Anita Björk), die ebenfalls in beiden Teilen der Stadt zuhause ist; in dem anderen Teil möglicherweise ein bisschen zu sehr. Der russische Verbindungsmann Petrochine (Peter van Eyck), der den Kontakt zwischen den Geheimdiensten am Laufen hält. Alles bleibt immer im Dunklen, alles bleibt unter der Oberfläche und möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Vor allem die erste halbe Stunde, wenn Leatherby Senior „denen da oben“ mal so richtig Druck machen will und den Russen gute amerikanische Dollars anbieten will denen doch seiner Meinung nach niemand auf der Welt widerstehen kann, diese erste halbe Stunde baut viel Druck auf und skizziert eine Welt im Halbdunkel, in der schnelle Gedanken von noch schnelleren Aktionen abgelöst werden, und niemand wirklich immer sicher sein kann, wer sein Gegenüber denn nun tatsächlich ist. Wo eine Umarmung jederzeit die letzte, und ein Kuss auch ein Judaskuss sein kann, wenn nicht sogar ein Todeskuss.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Leider bleibt es bei dieser Skizzierung. Nunnally Johnson schafft es leider nicht, die Welt der Agenten und Doppelagenten konsequent mit der meines Erachtens dafür benötigten Düsternis und Zwiespältigkeit zu malen. Beginnend mit einem fröhlich-schmetternden Militärmarsch (der, dafür kann aber der Film nichts, in den 70ern als Musik in der Werbung des Putzmittels „Der General“ verwurstet wurde, und damit zumindest für deutsche Ohren verbrannt ist: Der Klassiker des Sousaphon-Marschs Stars And Stripes Forever) baut Johnson neben der schnell und sprunghaft erzählten eigentlichen Geschichte immer wieder kleine Episödchen ein, welche die Handlung wahrscheinlich auflockern sollen, tatsächlich aber eine leise Heiterkeit erzeugen, die dem Film nicht gut tut. Dass selbst van Dyke sich mitten in der Arbeit einmal nebenbei nach dem Stand eines Football-Matches erkundigt bremst den Film genauso für einen Moment aus, wie die unhumorigen Monologe von van Dykes Adjutanten McColloch wie Fremdkörper wirken. Denn die Handlung an sich ist spannend und wie geschrieben schnell dargeboten. Viele Aktionen werden gar nicht gezeigt oder oft auch nur erwähnt - was in der ersten Nacht von Hoffys Untersuchung passiert, in der van Dyke erst um 3 Uhr nachts zurückkehrt vom Dienst, das erfahren wir nie - und solche Dinge erzeugen viel Spannung. Gerade weil der Zuschauer in diesem Augenblick nicht mehr weiß als der völlig überrumpelte Leatherby Senior, der sich unvermittelt in einem unüberschaubaren Netz geheimdienstlicher Aktivität wiederfindet.

Auch dass die Worte „Geheimdienst“ oder „Abwehr“ nicht ein einziges Mal verwendet werden tut dem Film gut. Hier wird ebenfalls die Spannung in der Schwebe gehalten, und viele Dinge klären sich im Kopf des Zuschauers erst nach dem Ende des Films, wenn er über das Gesehene nachdenkt. Dann fällt auch erst auf, wie düster das Schicksal von Frau Schindler und ihrem Mann ist – Ein typisches(?) Kriegsschicksal, das mit seinen vielen echten und falschen Ebenen tief in die gnadenlose Welt der Spionage führt, und in Andeutungen einiges an Grausamkeiten bereit hält. Dem gegenüber stehen dann wieder Comic Reliefs wie der Arzt Dr. Malik auf seiner Suche nach einer Zigarette oder die zumindest anfänglich polternde Art Leatherbys mit seinem kapitalistischen Schwung bei dem Versuch, seine Dollars an den Mann zu bringen.

Nunnally Johnson versucht auf diese Weise wahrscheinlich, in eine gute und überzeugend-dunkle Geschichte ein wenig Erleichterung hineinzubringen, und zerstört sich damit das eigene Storytelling. Schade, denn das Nachdenken über das Gesehene lohnt. Wer ist das Ehepaar Schindler wirklich? Wie mag das Leben von Hoffy aussehen, sowohl vor der gezeigten Handlung als auch danach? Bittere Momente, die über Assoziationen einen Schauer erzeugen, und den spannenden Plot erstklassig untermalen. In diesen Momenten ist DAS UNSICHTBARE NETZ ein erstklassiger Noir, der tief in die Schatten hineinführt und dort über verschachtelte Ebenen hinweg geschickt Spannung aufbaut.
Mattthias Merkelbach schreibt über Nunnally Johnsons DIE SPINNE „[..]wie überhaupt Johnsons flinke Dialogsprache an den seelenverwandten Autor und Regisseur [Joseph L. Mankiewicz] gemahnt. Seinerzeit wurde er von den Kritikern dafür abgestraft - zu bühnenhaft, dialoglastig, manieriert und darstellerisch übertrieben.“ (1) Attribute, die auf DAS UNSICHTBARE NETZ teilweise ebenfalls zutreffen, und das Filmvergnügen trotz vieler guten Ideen doch ein wenig trüben. Auf der anderen Seite wird der Zuschauer wieder mit diesem blechernen Militärmarsch verabschiedet, der die Oberfläche mit Knalleffekten zukleistert, und die wahre Arbeit im Untergrund so geschickt übertüncht. Der dafür sorgt, dass ein Geschäftsmann quer durch die Welt jettet, nur um zu verstehen, dass die Arbeit manchmal woanders stattfindet als man denkt.

DAS UNSICHTBARE NETZ ist ein stellenweise recht ambivalentes Vergnügen, dessen Stärken, nämlich die guten Schauspieler und die interessante Geschichte, einer Inszenierung geopfert werden, die nicht immer hält was sie verspricht. Aber es ist auf jeden Fall auch bemerkenswert, dass ich vier Monate nach der Sichtung des Films immer noch darüber nachdenke was ich denn nun eigentlich schreiben soll, weil ich den Film einerseits nicht verteufeln will, und andererseits nicht die richtigen Worte finde um seine Qualitäten herauszustellen. Eben diejenigen Qualitäten, die nicht direkt zu fassen sind, sondern sich erst mit ein wenig Nachdenken einstellen. Wie gute Geheimdienstarbeit eben so ist …

(1) https://www.der-film-noir.de/v1/node/1248

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 27. Okt 2022, 05:18
von Maulwurf
Paranza – Der Clan der Kinder (Claudio Giovannesi, 2019) 7/10

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Tagtäglich erlebt Nicola, wie die Gangster, die sein Viertel in Neapel beherrschen, Angst verbreiten. Seine Mutter muss in ihrer kleinen Wäscherei Schutzgeld zahlen, und eine Jacke, die einem Kunden gehört, wird auch gleich noch mitgenommen. Und in der Milchbar müssen ein paar Leute schnurstracks das Lokal verlassen, bloß weil sie die Söhne eines früheren Bosses sind. Nicola möchte seinem Viertel die Gerechtigkeit wiedergeben und steigt in das Geschäft ein. Zuerst als Haschischverkäufer, dann als Schutzgeldeintreiber, und schließlich fordert er einen benachbarten Clan auf, ihn mit Waffen zu beliefern, damit er die Macht im Quartier übernehmen kann. Nicola ist 15 …

Auf den ersten Blick haben mir ein wenig die Bosheit und das Niederdrückende von GOMORRHA - EINE REISE INS HERZ DER MAFIA gefehlt. Beide Buchvorlagen sind von Roberto Saviano, und beide Bücher sind erschreckende Beispiele dafür, wohin unsere Welt steuert (wobei sie das ja eigentlich schon immer getan hat …). Aber PARANZA ist filmischer aufbereitet als GOMORRHA, ist flüssiger erzählt und mit Charakteren bestückt, mit denen man mitfühlen kann, und wirkt dadurch erst ein wenig später nach; es braucht etwas länger bis man begreift, was für ein böses Stück der Welt man da gerade erlebt hat.

Das soll aber beileibe nicht heißen, dass PARANZA schlecht ist, um Himmels willen. Der Film ist einfach nur … anders. Die Kamera klebt lange Zeit förmlich an Nicola und seinen Freunden, sämtliche Figuren sind einfach da und werden nicht eingeführt oder vorgestellt (was auch nicht nötig ist, da praktisch jeder Charakter sich mit wenigen Worten sofort selbst erklärt), eine musikalische Untermalung ist nicht vorhanden, und die Laienschauspieler, die in den ärmeren Vierteln Neapels gecastet wurden, stellen sich selbst als das Thema des Films perfekt dar: Es geht um das Ende der Unschuld.

15-jährige Jungs, die beschließen ihr Viertel vom Unrat der Kriminalität zu befreien und selber zu den lokalen Herrschern zu werden, Spaß zu haben, eine Menge Geld zu verdienen, und dabei so zu bleiben wie sie sind. Nein, das funktioniert so nicht, und als 15-jähriger kann man das auch noch gar wissen. Nicola muss irgendwann feststellen, dass diese Sache eben kein Spiel ist, und dass auch gute Freunde einen hintergehen können. Dass die aufrichtige und reine Liebe zu einem Mädchen in einem anderen Viertel daran scheitern kann, dass dieses andere Viertel nicht mehr betreten werden darf, andernfalls man eine Kugel in den Kopf bekommt. Und dass, wer mit Waffen arbeitet, auch entsetzliches Leid über die Seinen bringt.

Das alles wissen vielleicht 15-jährige aus Kabul oder Bagdad, aber in Neapel ist die Welt noch eine ein klein wenig andere. Ist sie das? Ist sie wirklich anders? Eine Welt, die zwar streng hierarchisch strukturiert ist, und in der jemand mit der nötigen Chuzpe und der dazugehörigen Waffengewalt durchaus die Möglichkeit hat, sich nach oben durchzuboxen und zu –schießen. Die Konsequenzen dieses Ehrgeizes sind aber nicht abzusehen, jedenfalls nicht für einen Halbwüchsigen, der sich wie ein König fühlt, wenn er über den Markt geht und alle ihn grüßen. Klar, in seiner eigenen Vorstellung hat er nur Gutes über die Menschen des Viertels gebracht und alle lieben ihn. Dass ihn jemand aus seiner eigenen Clique hintergehen könnte? Undenkbar. Dass die Freundin, nur weil sie in einem anderen Stadtviertel wohnt, so weit weg sein könnte wie auf dem Mond? Unvorstellbar.

Giovannesi skizziert mit wenigen Strichen nur, aber dafür umso genauer und grausamer, eine Jugend zwischen Unterdrückung und Gewalt. Nicht irgendwo in einem Bürgerkriegsland am Ende der Welt, sondern mitten in Europa, mitten in unserer Welt, und damit dann doch wieder sehr nah an GOMORRHA. Nur eben anders.

PARANZA wird uns dabei fast wie ein Mockumentary präsentiert. Gemeinsam mit und ganz eng bei Nicola und seinen Freunden ziehen wir durch die engen Gassen, erleben die Ungerechtigkeiten, den Wunsch nach Abenteuern mit Mädchen, Fortgehen, Spaß haben, in einer Umwelt aufzuwachsen, die nicht von rivalisierenden Clans beherrscht wird. Der Schritt dies zu ändern ist fast logisch, man übernimmt die Macht eben selber. Und immer sind wir hautnah dabei, erleben mit diesen echten Straßenkindern das Ende der Jugend und den Beginn unendlicher Gewalt. Dabei entsteht nie ein Gefühl der Peinlichkeit, nie schwebt dieses arthousige Flair von Betroffenheit durch die Luft. Die Schauspieler sind einfach sie selbst, und das dadurch entstehende Flair ist erschreckend, spannend, aber eben auch authentisch. PARANZA wirkt oft niederschmetternd, aber niemals inszeniert, und das ist glaube ich seine größte Stärke.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 30. Okt 2022, 06:12
von Maulwurf
Tag der Gesetzlosen (André de Toth, 1959) 8/10

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Der Wind heult über das kleine Kaff, irgendwo tief im winterlichen Wyoming. Zwei Männer reiten durch den tiefen Schnee, bleiben an einem Karren stehen, und unterhalten sich darüber was passieren wird, wenn der Besitzer des Karrens den geladenen Stacheldraht tatsächlich spannen sollte. Sie reiten weiter in den Ort, wo sie mit eben diesem Karrenbesitzer, dem Farmer Crane, einen scharfen Disput haben. Crane will sein Farmland vor den Rindern des einen Mannes, Blaise Starrett, schützen. Starrett wiederum, der den Ort in den vergangenen 20 Jahren von einem Räuberschlupfwinkel zu einem respektablen Dörfchen geschossen hat, der seit 20 Jahren mit Colt und Fäusten für Ordnung sorgt, und gewohnt ist dass sich alles nach ihm richtet, Starrett besteht darauf, dass er das freie Land als Lohn für sein aufopferungsvolles Leben sehen kann. Danach trifft Starrett Cranes Frau, Helen, mit der er vor kurzem eine Affäre hatte, bis Helen sich für ihren farblosen und ungeliebten Mann entschieden hat. Starrett kehrt den harten Loner heraus, bis es kurz vor der entscheidenden Explosion zwischen einem früheren Westmann und einem kleinen und dummerweise bewaffneten Farmer steht.

Doch was hier in vielen Worten geschildert wird ist tatsächlich nur die Exposition dieses Ausnahme-Westerns. Denn in dem Augenblick, in dem die Kontrahenten zu ihren Waffen greifen wollen, stürmt ein Haufen Männer den Saloon. Räuber, von der Kavallerie verfolgt, ausgehungert nach Frauen und nach Whisky. Ihr Anführer, der frühere Captain Bruhn, hat seine Leute sehr gut im Griff, aber er hat eine Kugel in der Lunge und wird nicht mehr lange leben. Und seine Männer sind sehr hart, sehr geil, und sehr wild. Der einzige der sich ihnen entgegenstellt ist Starrett. Ausgerechnet Starrett, der hier in dem Ort gar nicht mehr gut gelitten ist. Und der doch bereit ist, sich für die ihn zunehmend ausgrenzenden Bürger zu opfern.

Gegen Ende der 50er-Jahre stand der US-amerikanische Western allmählich mit dem Rücken zur Wand. Die meisten Geschichten schienen erzählt zu sein, die ewig gleichen Abläufe (abgesehen von einigen ziemlich guten anderen Storylines) kannte man allmählich auswendig, und die vielmals fließbandartig abgelieferten B-Western konnten einfach nicht der Weisheit letzter Schluss sein wenn es darum ging, neue Zuschauerschichten zu erreichen. Eine Zeit, in welcher der psychologische Western seine stärksten Momente feierte. Stories wie aus den Noirs der filmischen Großstadt-Konkurrenz und, im günstigsten Fall, feine Dramen unter der Oberfläche von Schießpulver und Pferdeoper gingen eine außerordentliche Symbiose ein. TAG DER GESETZLOSEN fällt genau in diese Kategorie, und ist sowohl als Drama wie auch als Western ein herausragender Film.

Doch ausgerechnet die zentrale Szene ist in der deutschen Kinofassung geschnitten. Unter dem Messer des Viehdoktors erzählt Bruhn, wie ein einziges Wort das Leben eines Mannes verändern kann. Rückzug hätte er befehlen sollen, und Feuer hat er befohlen. Heute ist er auf der Flucht vor seinen früheren Kameraden, und wir können nur erahnen um was es bei der Geschichte von früher geht, aber selbst diese Ahnung jagt Schauer über den Rücken.
Rückzug oder Angriff, das ist die Entscheidung vor der auch Starrett steht, nachdem er begriffen hat, dass er, wenn er Crane tötet, den er als „mickrigen Piesepampel“ bezeichnet, dass er dann in diesem Ort kein Bein mehr auf den Boden bekommen wird. Wenn er angreift, also Crane zu einem für diesen aussichtslosen Duell zwingt, muss er flüchten wie Bruhn. Wenn er sich zurückzieht, dann kann er auch weiterhin in der Gemeinschaft leben. Für seine Nachbarn das Gesicht wahren, für sich selber aber das Gesicht verlieren und nie mehr in den Spiegel schauen können. Diese Erkenntnis wird auch sein Leben verändern, und beim Aufbruch aus dem Ort, wenn Starrett die Gesetzlosen aus dem Ort führen will und Bruhn bereits weiß dass sie alle in den sicheren Tod reiten werden, deutet Starret Bruhn gegenüber auch diese Zusammenhänge an. Er fragt Bruhn, ob er hier auf die Soldaten warten und elendig verrecken will, oder ob er in den Bergen als freier Mann sterben will. Die gleiche Entscheidung, die er für sich selbst getroffen hat.

TAG DER GESETZLOSEN ist ein oft merkwürdig distanzierter Film, der die standardisierten Vorgaben eines Western bewusst bricht. Bei der Prügelei zwischen Starrett und Tex wechselt die Kamera öfters in die Totale, und setzt die kleinen Menschlein in eine schier endlose und grausam wirkende Umgebung. Anstatt nah beim Kampf zu sein und die Kontrahenten dynamisch zu filmen, sehen wir die Umgebung des Ortes und des Kampfplatzes. Eine Umgebung der anzusehen ist, dass sie sich um die kleinlichen Händeleien der Menschen keinen Deut schert. Am Ende des Films werden wir lernen, dass der wahre Feind nicht der Mensch gegenüber ist, sondern die Natur. Und als Starrett nach der Prügelei noch den Rest bekommt, da verweigert sich die Kamera diesem Massaker gleich ganz und bleibt in der Totalen. Eine Actionszene, die ohne Action inszeniert wird, und trotzdem funktioniert: Das Wesentliche wird gezeigt, und es wird gleichzeitig in einen größeren Kontext gesetzt, um einen Zusammenhang zum letzten Drittel zu bilden …
Auch der Schluss verweigert sich den gängigen Wildwest-Schemata. Es gibt kein spannendes Duell zwischen dem Guten und dem Bösen, ja dem überlebenden Bösen wird nicht einmal ein letzter Schuss gegönnt – Er stirbt vorher, von der Kälte und der Grausamkeit der Natur schachmatt gesetzt.

Spannend, dass de Toth in der ersten Stunde keinen Score einsetzt. Nur der Wind und die Geräusche der Menschen dienen als Untermalung dieses Kammerspiels. Erst im letzten Drittel, wenn die Männer aufbrechen in die Wildnis, kommt Musik zum Einsatz. Dissonant und die Abschiedsszene perfekt untermalend zuerst, dann symphonisch und großartig, aber niemals großartig im Sinne eines, sagen wir, Dimitri Tiomkin, sondern düster und elegisch. Die Härte eines Bergwinters in Wyoming illustrierend. Eine Wildheit aufzeigend, von der sich viele Menschen im Film längst entfernt haben, und die sie versuchen mit Stacheldraht zu zähmen. Sie von sich fernzuhalten.
Dabei ist der Umstand spannend, dass auch Bruhns‘ Männer einen Tag und eine Nacht brauchen um in der Wildnis zugrunde zu gehen, während der alte Westmann Starrett die Schneehölle in den Bergen überlebt. Die degenerierten Banditen sterben, und der knorrige Held bleibt am Leben. Fast wie eine Art Heldengesang, obwohl der Film die meiste Zeit über den genau anderen Weg einschlägt.

Und so, wie sich die Dorfbewohner allmählich von der Natur entfremden, so wird auch die Entfremdung zwischen Starrett und den Ortsbewohnern gleich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen charakterisiert: Starrett betritt den Saloon, und die Gruppe der anderen Männer wird im Spiegel gezeigt. Noch deutlicher kann die Grenze nicht verlaufen. Gleichzeitig aber weicht de Toth diese Grenze wieder auf: TAG DER GESETZLOSEN wurde in schwarzweiss gedreht, wie um extra darauf hinzuweisen, dass die Welt nicht nur aus schwarz und weiß besteht. Durch die Kontrastarmut regieren die Grautöne, und im Film sind auch viele Charaktere vorhanden die weder schwarz noch weiß sind, sondern eben grau. Starrett, der diese Stadt befriedet hat, dessen Zeit nun aber vorbei scheint, die Zeit des Faustrechts und der Gewalt. Crane, der das Recht auf sein Farmland in Anspruch nimmt, aber genauso wie Starrett eigentlich nur in Frieden wirtschaften, die Natur bezwingen will. Bruhn, der ein guter Soldat sein wollte, und nun ein harter Anführer einer Gruppe Banditen ist. Gene, der junge Gesetzlose, der Mitleid mit den Einwohnern hat, und gar nicht der harte Hund ist als der er zuerst scheint …

Es ist aber auch noch eine andere Interpretation möglich. Starrett hat den Ort vor 20 Jahren befriedet. Mit Colt und mit den Fäusten hat er das Gesindel verjagt, und einen bewohnbaren Ort daraus gemacht. Aber nun ist Starrett das alte Eisen, das die Freiheit der Prärie benötigt. Starrett hat Chaps an und weiß seine Waffe zu benutzen, während die anderen Leute im Ort Anzug tragen, Kaffee trinken, und ihre Waffe eher zur Zierde umgehängt haben. Der Einbruch von Bruhn und seinen Männern in diese scheinbare Idylle zeigt Starrett, was für ein Mensch er geworden ist. Ein Ewiggestriger, der sich durch Gewalt und Widerstand definiert. Helens Worte am ersten Abend, auf die er sich bezieht wenn er erklärt, warum er die Banditen in die Bergen führen will, und damit seinen eigenen Tod in Kauf nimmt, sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Erkenntnis, das er sich von Bruhns‘ Männern nur deswegen unterscheidet, weil er an einem Ort geblieben ist, anstatt durch die Gegend zu ziehen. Gleichwohl ist die Beziehung zu seinem Freund Dan, der ihm damals geholfen hat das Gesindel zu verjagen, wie eine alte Ehe. Kein freundliches Wort, knappe Anweisungen, man versteht sich auch blindlings. Man ist zusammen durch die Hölle gegangen, aber irgendwann hat man sich dann doch voneinander entfremdet.

TAG DER GESETZLOSEN ist flüchtig betrachtet ein ungemein spannender und packender Western mit einer überhaupt-nicht-08/15-Handlung. Aber das, was hier beim genaueren Betrachten alles geschieht, die psychologischen Abgründe die sich hier durch einfache erzählerische Mittel auftun, das ist ganz großes und dramatisches Kino in seiner stärksten Form. Wer immer denkt, dass Western die immergleiche Geschichte mit den immergleichen Bildern erzählen, hier kann er eines besseren belehrt werden.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 2. Nov 2022, 05:01
von Maulwurf
The Informer (Andrea Di Stefano, 2019) 8/10

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Den gebürtigen Schweden Joel Kinnaman kenne ich in erster Line aus der GSI - SPEZIALEINHEIT GÖTEBORG-Reihe, wo er einen Barbesitzer spielt, der auf beiden Seiten des Gesetzes gleichzeitig steht, und in seiner Rolle als wichtiges Gangmitglied und Informant nach und nach zwischen den Fronten zerrieben wird. In THE INFORMER hat er im Prinzip die gleiche Funktion, allerdings noch mit ein paar Schippen Erbarmungslosigkeit oben drauf.

Der polnischstämmige Pete Koslow lebt in zweiter Generation in New York, aber die Verbindungen zur polnischen Mafia sind einfach automatisch da, und die kann er auch nicht kappen. Er gilt als ausgefuchster Drogenschmuggler, und niemand ahnt, dass er parallel als Informant für das FBI unterwegs ist. Doch bei diesem einen Job muss ein Undercover-Cop dran glauben, und als sich dessen Vorgesetzter an die Spuren des mutmaßlichen Mörders (nämlich Koslow) heftet und dabei dem FBI böse in die Quere kommt, wird unabsichtlich Koslows Untergang besiegelt: Der muss nun im Auftrag seines Bosses, des Gangsters Klimek, in den Knast, um dort den Drogenhandel zu organisieren, und gleichzeitig will das FBI von ihm eine Liste mit allen Leuten, die mit diesem Drogenhandel im Bau zu tun haben. So weit, so gut. Nur lässt das FBI Koslow nach Erhalt dieser Liste fallen – Er ist nun zum Abschuss freigegeben sowohl für die Polen die er ans Messer geliefert hat, als auch für deren Gegner die sich verarscht fühlen. Und das erste Ziel der Polen ist Koslows Familie …

Was für ein Brett! Hier ist aber auch gar nichts mehr lustig oder auch nur locker. Keine coolen Oneliner, keine comichafte Action, bei denen die von Kugeln oder Fäusten getroffenen Menschen noch zum x-ten Male aufstehen und sich erfolgreich wehren können. Stattdessen hat es hier sehr böse und sehr harte Menschen, die ihrem Gegenüber entweder ernsthaft wehtun, oder es gleich (möglichst sehr blutig) umlegen wollen, und wer getroffen wurde bleibt in der Regel auch liegen. Eine Welt, in der zumindest ich höchstens 10 Minuten überleben würde, und diese 10 Minuten wären voller Schmerz und Leid. Was Koslow dem miesen und korrupten Gefängniswärter bei seinem Ausbruch antut hat im körperlichen Sinne mindestens die gleiche extreme Härte wie das, was die FBI-Agentin Wilcox durch ihren knüppelharten Vorgesetzten seelisch erleiden muss. Koslows Familie wiederum ist der Hort der Zärtlichkeit, doch außenrum tobt ein Sturm der Brutalität, der alle vernichtet die sich nicht irgendwie mit möglichst blutrünstigen Mitteln wehren können.

Vor kurzem habe ich gelesen, was einen Schauspieler ausmacht: Nämlich dass er Gefühle vermitteln kann. Dass das, was die Rolle in einem bestimmten Augenblick empfindet, vom Schauspieler an den Zuschauer weitergegeben werden kann. Und Joel Kinnaman, der hier einmal mehr aussieht wie der böse Bruder von Orlando Bloom, ist ein erstklassiger Schauspieler. Seine Verzweiflung, sein Hass, seine Wut, seine Enttäuschung, alles geht über auf den Zuschauer und treibt diesen zuverlässig die Sofalehne hoch. Dazu eine sehr übersichtliche und klar strukturierte Kameraführung, ein unauffälliger Score, der das Geschehen perfekt untermalt ohne von der Geschichte abzulenken, und ein Ambiente wie aus der sozialen Hölle – THE INFORMER ist, bei aller filmreifen Handlung, naturalistisches und knallhartes Kino ohne Hang zur Übertreibung oder zum aufgeblasenen Dauershowdown. Einzig der Schluss kommt ein wenig arg abrupt daher und wirkt, als ob ursprünglich ein Franchise mit mehreren Teilen vorgesehen war. Auf der anderen Seite, um sich dieses offene Ende ein wenig schönzureden, wäre auch die Intention vorstellbar, dass der dargestellte Realismus damit einfach auf die Spitze getrieben wird, dass ein Hollywood’sches Happy End auf jeden Fall vermieden werden sollte …

So oder so ist THE INFORMER ein klare Empfehlung für alle, die gutes und hartes Cops and Thugs-Kino ohne übertriebene Effekte mögen, und denen schauspielerische Leistungen wichtiger sind als unaufhörliche Dauerschießereien die mittlerweile sowieso am Computer generiert werden. Stark!

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 5. Nov 2022, 05:46
von Maulwurf
Easy Biker Wheels (David O’Malley, 1989) 7/10

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Die Wölfin, das ist die Anführerin einer Gruppe Frauen auf Motorrädern. Alle in Leder, alle verdammt gut aussehend, männerhassend, und äußerst hart im Austeilen. Sie entführen Babys, um die weiblichen Säuglinge von Wölfen aufziehen zu lassen. So wie die Wölfin selber einst von einem Wolfsrudel großgezogen wurde. Die männlichen Kinder werden an einen schmierigen Barbesitzer vertickt, und ansonsten besteht das Leben aus hübsch machen, durch die Gegend fahren und Spaß haben.
Bruce ist der Anführer der Geborenen Verlierer. Seit Vietnam hat Bruce ein Stück Stahl im Hirn, und dieser Stahl beschert ihm Visionen, welchen die Gruppe folgt. Bruce hat drei Aufgaben in seinem Leben: Das Böse finden, es vernichten, und das Geheimnis von gutem Fassbier ergründen.
Als die Wölfin und Bruce sich treffen, dann ist das wie … Na ja, weder Micky und Mallory noch Lula und Sailor wollen da so richtig passen. Aber immerhin ist dies das erste Mal, dass die Wölfin ihren Frauen befiehlt, mit Männern zu schlafen! Igitt …

Und so, wie die Kamera im Vorspann die Kurven der Motorräder ergründet, so genießt sie auch die Kurven der Darstellerinnen. In engem schwarzem Leder und mit wenig Oberteil für viel Inhalt verdrehen die Girls jedem Mann in Iowa den Kopf. Zumindest so lange, bis er in Reichweite ihrer Fäuste kommt, dann verdreht sich da schnell was ganz anderes. Die Mädels sind nicht zum Schmusen aufgelegt, und Paco, der in der Kneipe meint Ace und Merilee anbaggern zu können, wird es sehr schnell leid und weh tun. Seinen Kumpels auch …

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Und was jetzt klingt wie ein tougher Girls-on-Bikes- Actioner mit viel Benzin, Blut und Titten, ist tatsächlich das genaue Gegenteil. Bruce auf den Knien in einem Maisfeld, klug philosophierend über den Sinn der Liebe. Die Wölfin und Bruce im Dialog über verpasste Chancen, und um Himmels Willen darf keiner auch nur einen Ticken seiner bzw. ihrer Coolness dabei zurückweichen. Die Geborenen Verlierer, wie sie perfekt Rock of Ages singen. Bruce, der alleine heroisch einen Holzbalken in die Luft erhebt, an dem drei andere vorher gemeinsam gescheitert sind. Wer die Szenen kennt dürfte sich einen Schmunzelns nicht erwehren können, und wer sie nicht kennt darf sich sicher sein, dass er im Leben etwas verpasst hat. Und der Initiationsritus von Wendy ist eindeutig bei DAS LEBEN DES BRIAN geklaut.
Natürlich auch jede Menge Stoff, den man eigentlich erwartet: Paco, der hinter einem Motorrad hergezogen wird, mit gespreizten Beinen, genau auf einen Staketenzaun zu (Autsch). Bruce, der immer eine gefüllte Büchse Bier in der Westentasche parat hat („Ich habe seit 4 Stunden kein Bier mehr getrunken. Ich leide schon unter Vitaminmangel!“). Wendy, die ihrem Arschloch-Chef zeigt, wozu sich die üblichen Bestandteile eines Diners alles gebrauchen lassen: Heißer Kaffee, ein heißes Waffeleisen, eine Pfanne. Und die Wölfin sieht in ihrer ersten Einstellung nicht umsonst so aus, als ob sie einen Blech-Bikini tragen würde.

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- Sieht aus, als wollten wir beide dasselbe.
- Schon möglich. Ich weiß was ich will.
- Wirklich? Also warum machst Du nicht den Deckel auf? Ich häng den Rüssel rein, und füll Dir den Tank. Du kannst es gebrauchen.
Also macht sie den Tankdeckel auf, er nimmt den Zapfhahn von der Säule, steckt ihn in den Tank, und sie fängt an zu stöhnen. Denn die Szene spielt schließlich an einer Tankstelle. Und zeigt einen Tankvorgang, wie wir ihn schon immer sehen wollten …

Ich glaube, für solche Filme wurde der Begriff Guilty Pleasure erfunden. Die angezogene Vorstufe eines Andy Sidaris Films, ausgestattet mit Motorrädern anstatt mit großen Wummen, aber mit dem gleichen köstlichen Unfug bestückt. Ausgesprochen lohnend!

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