Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: Di 8. Nov 2022, 05:28
Das Phantom von Soho (Franz Josef Gottlieb, 1964) 8/10
Franz Josef Gottlieb ist im klassischen Krimi-Umfeld eigentlich eher bekannt als der Mann für das Biedere. DIE GRUFT MIT DEM RÄTSELSCHLOSS oder DAS 7. OPFER gelten beide nicht unbedingt als Highlights deutscher Krimi-Unterhaltung, und auch für etwa DER FLUCH DER GELBEN SCHLANGE muss man schon ein klein wenig Liebe mitbringen. Umso erstaunlicher ist DAS PHANTOM VON SOHO, das inszenatorisch so dermaßen am Rad dreht, dass man in den Regie-Credits eher einen Namen wie Zbigeniew Brynych erwarten würde. Inszenatorisch, wohlgemerkt, denn die Story ist hanebüchen hoch drei. Ein Mörder geht im Umfeld des Nachtclubs Sansibar um, und nach und nach werden viele Gäste oder Personen aus dem Umfeld von einem unheimlichen Handschuhmörder erstochen. Ende der Inhaltsangabe …
Aha, denkt sich der Connaisseur, ein früher Giallo, und liegt damit gar nicht so verkehrt. Dem Produktionsjahr geschuldet ermittelt hier zwar noch die Polizei und keine Privatperson, und die Szenerie ist natürlich ganz klar im Edgar Wallace-Umfeld zu verorten, aber sonst? Keine einzige Figur ist lebensecht, alle sind mindestens ein klein wenig übertrieben, wenn nicht sogar völlig grotesk, die Stimmung ist sinister und verrucht, die Musik ebenfalls, es sind mehrere Male nackte Damen zu sehen, und die roten Heringe könnten ein ganzes Aquarium bevölkern, so reichlich werden sie gefüttert. OK, der Blutgehalt ist natürlich extrem gering, aber dafür hat man das Vergnügen, jedem Mord in Form von Handschuhen, Messer und schreckgeweiteten Augen live beizuwohnen. Eine Darstellungsweise, die in dieser Konsequenz erst die Italiener ab etwa 1969 wieder verfolgten. Und wenn dann das Phantom tatsächlich am Ende das erste Mal zu sehen ist, dann hat es immer noch eine gruselige Maske auf. Auch wenn der Zuschauer bis dahin längst weiß wer sich unter der Maske verbirgt, so ist der Moment dank dieser Maske trotzdem nochmal eine Ecke spannender als nur ein schlichter Kameraschwenk.
Das Spannendste und Aufregendste in DAS PHANTOM VON SOHO ist aber die entfesselte Kamera von Routinier Richard Angst! Der Mann, der vor dem Krieg Großartiges wie DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ unter Arnold Fanck und Georg Wilhelm Pabst, und nach dem Krieg Klassiker wie WIR WUNDERKINDER oder ICH DENKE OFT AN PIROSCHKA filmte, wurde hier offensichtlich mit reichlich Drogen abgefüllt, damit er diese abgedrehten Ideen verwirklichen konnte. Der Messerwerfer Jussuf, der seine Messer auf eine sich drehende Scheibe mit Helga Sommerfeld in der Mitte wirft, wird nicht nur aus Jussufs Perspektive gezeigt, sondern auch aus Helgas Blickwinkel. Und dabei sich drehend, immer schneller und schneller und schneller, bis zum kreiselnden Wirbelwind der fliegenden Messer. Oder die Idee, die Kamera in ein Regalfach zu legen, und ein Telefongespräch quasi aus Sicht des Telefons zu filmen. Überhaupt ist die Kamera gerne einmal hinter den Dingen – Ein längerer Dialog zwischen Werner Peters und der Flickenschildt findet hinter einem Gitter statt. Das Gefängnis wirft da seine Schatten ganz weit voraus …
Helga Sommerfeld verdreht einem völlig die Sinne und die Perspektive gleich mit, die Kamera versteckt sich unter einem Tisch und fotografiert nach oben, alternativ auch gerne über einer Statue mit Blickrichtung nach unten. Überwältigend auch der Moment, wo Hans Söhnker sich so vor einen goldenen Teller stellt, dass sein Kopf ausschaut als ob lauter Blitze auf ein eindreschen. Oder aus ihm herauszucken, je nachdem …
Auch der Teaser ist bemerkenswert, in dem die Kamera eine Mauer entlangfährt die mit Werbeanzeigen von Prostituierten vollhängt, und während dieser langsamen Fahrt hört man von der Tonspur die Verlockungen der Damen, das Gekicher, die kessen Sprüche.
Mit solchen Ideen im Gepäck wird das Problem, dass der Ermittler eigentlich viel zu alt ist um als Identifikationsfigur für das Publikum zu taugen, und nicht einmal eine Liebesgeschichte stattfindet, dieses Problem wird geschickt umgangen. Dieter Borsche als bösartig-ältlicher Inspektor, dem Peter Vogel als Sergeant an die Seite gestellt wird (dem man hier mehr Ernsthaftigkeit und damit verbunden auch mehr Screentime gewünscht hätte, denn humoristische Tiefflieger wie Eddi Arendt stellte Vogel allein mit einem Zwinkern seiner Augenbraue problemlos in den Schatten). Hans Söhnker als Chef von Scotland Yard – Hochgradig verdächtig und ominös. Barbara Rütting als blonde Krimiautorin, die so gerne mal bei einem richtigen Fall dabei wäre, und natürlich Elisabeth Flickenschildt als fiese Herrin hinter der Kulissen, die, im Rollstuhl sitzend und mit einem Tuch um den Kopf, nur durch ihre Augen, ihre Ausstrahlung und ihre Bosheit wirkt, sowie Werner Peters als Heilpraktiker – Klein, rund, gemein. Wie man ihn kennt und liebt. Dieses Personal, eingerahmt von Charaktergesichtern wie Stanislaw Ledinek oder Hans Nielsen, lässt die völlig idiotische und, wenn man mal ehrlich ist, nebensächliche Krimihandlung zur Gänze in den Hintergrund treten. Wer hier wie und warum gerade ermordet wird? Unwichtig! Viel spannender ist das Mienenspiel von Hans Söhnker, der so seine kleinen Geheimnisse gerne für sich behalten will, und der nassforsche Dieter Borsche (hah, das reimt sich!), der seinen Chef mächtig angeht um ebendiese Geheimnisse zu erfahren. Barbara Rütting entpuppt sich wieder einmal als eine der aufregendsten Frauen des deutschen Kinos der 60er-Jahre, der man gerne eine größere Karriere im Exploitation-Film gegönnt hätte, und Helga Sommerfeld im extremst kleinen Schwarzen wird von Szene zu Szene schöner und sinnlicher.
DAS PHANTOM VON SOHO spielt eindeutig nicht in der 08/15-Klasse der Krimis vom Fließband, dafür steckt hier viel zu viel Liebe zum Detail. Wenn man denn erst einmal einen Zugang zum unsympathischen Kriminaler gefunden hat, und sich mit der Künstlichkeit dieser Welt arrangiert hat, dann stellt man voller Verwunderung fest, dass hier Ideen für mindestens wenn nicht noch mehr Filme drinstecken. Was vielleicht auch der Grund für die oft nicht so guten Bewertungen ist – Der Film ist einfach zu vollgestopft um wirklich zu überzeugen. Aber Spaß macht er richtig …
Franz Josef Gottlieb ist im klassischen Krimi-Umfeld eigentlich eher bekannt als der Mann für das Biedere. DIE GRUFT MIT DEM RÄTSELSCHLOSS oder DAS 7. OPFER gelten beide nicht unbedingt als Highlights deutscher Krimi-Unterhaltung, und auch für etwa DER FLUCH DER GELBEN SCHLANGE muss man schon ein klein wenig Liebe mitbringen. Umso erstaunlicher ist DAS PHANTOM VON SOHO, das inszenatorisch so dermaßen am Rad dreht, dass man in den Regie-Credits eher einen Namen wie Zbigeniew Brynych erwarten würde. Inszenatorisch, wohlgemerkt, denn die Story ist hanebüchen hoch drei. Ein Mörder geht im Umfeld des Nachtclubs Sansibar um, und nach und nach werden viele Gäste oder Personen aus dem Umfeld von einem unheimlichen Handschuhmörder erstochen. Ende der Inhaltsangabe …
Aha, denkt sich der Connaisseur, ein früher Giallo, und liegt damit gar nicht so verkehrt. Dem Produktionsjahr geschuldet ermittelt hier zwar noch die Polizei und keine Privatperson, und die Szenerie ist natürlich ganz klar im Edgar Wallace-Umfeld zu verorten, aber sonst? Keine einzige Figur ist lebensecht, alle sind mindestens ein klein wenig übertrieben, wenn nicht sogar völlig grotesk, die Stimmung ist sinister und verrucht, die Musik ebenfalls, es sind mehrere Male nackte Damen zu sehen, und die roten Heringe könnten ein ganzes Aquarium bevölkern, so reichlich werden sie gefüttert. OK, der Blutgehalt ist natürlich extrem gering, aber dafür hat man das Vergnügen, jedem Mord in Form von Handschuhen, Messer und schreckgeweiteten Augen live beizuwohnen. Eine Darstellungsweise, die in dieser Konsequenz erst die Italiener ab etwa 1969 wieder verfolgten. Und wenn dann das Phantom tatsächlich am Ende das erste Mal zu sehen ist, dann hat es immer noch eine gruselige Maske auf. Auch wenn der Zuschauer bis dahin längst weiß wer sich unter der Maske verbirgt, so ist der Moment dank dieser Maske trotzdem nochmal eine Ecke spannender als nur ein schlichter Kameraschwenk.
Das Spannendste und Aufregendste in DAS PHANTOM VON SOHO ist aber die entfesselte Kamera von Routinier Richard Angst! Der Mann, der vor dem Krieg Großartiges wie DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ unter Arnold Fanck und Georg Wilhelm Pabst, und nach dem Krieg Klassiker wie WIR WUNDERKINDER oder ICH DENKE OFT AN PIROSCHKA filmte, wurde hier offensichtlich mit reichlich Drogen abgefüllt, damit er diese abgedrehten Ideen verwirklichen konnte. Der Messerwerfer Jussuf, der seine Messer auf eine sich drehende Scheibe mit Helga Sommerfeld in der Mitte wirft, wird nicht nur aus Jussufs Perspektive gezeigt, sondern auch aus Helgas Blickwinkel. Und dabei sich drehend, immer schneller und schneller und schneller, bis zum kreiselnden Wirbelwind der fliegenden Messer. Oder die Idee, die Kamera in ein Regalfach zu legen, und ein Telefongespräch quasi aus Sicht des Telefons zu filmen. Überhaupt ist die Kamera gerne einmal hinter den Dingen – Ein längerer Dialog zwischen Werner Peters und der Flickenschildt findet hinter einem Gitter statt. Das Gefängnis wirft da seine Schatten ganz weit voraus …
Helga Sommerfeld verdreht einem völlig die Sinne und die Perspektive gleich mit, die Kamera versteckt sich unter einem Tisch und fotografiert nach oben, alternativ auch gerne über einer Statue mit Blickrichtung nach unten. Überwältigend auch der Moment, wo Hans Söhnker sich so vor einen goldenen Teller stellt, dass sein Kopf ausschaut als ob lauter Blitze auf ein eindreschen. Oder aus ihm herauszucken, je nachdem …
Auch der Teaser ist bemerkenswert, in dem die Kamera eine Mauer entlangfährt die mit Werbeanzeigen von Prostituierten vollhängt, und während dieser langsamen Fahrt hört man von der Tonspur die Verlockungen der Damen, das Gekicher, die kessen Sprüche.
Mit solchen Ideen im Gepäck wird das Problem, dass der Ermittler eigentlich viel zu alt ist um als Identifikationsfigur für das Publikum zu taugen, und nicht einmal eine Liebesgeschichte stattfindet, dieses Problem wird geschickt umgangen. Dieter Borsche als bösartig-ältlicher Inspektor, dem Peter Vogel als Sergeant an die Seite gestellt wird (dem man hier mehr Ernsthaftigkeit und damit verbunden auch mehr Screentime gewünscht hätte, denn humoristische Tiefflieger wie Eddi Arendt stellte Vogel allein mit einem Zwinkern seiner Augenbraue problemlos in den Schatten). Hans Söhnker als Chef von Scotland Yard – Hochgradig verdächtig und ominös. Barbara Rütting als blonde Krimiautorin, die so gerne mal bei einem richtigen Fall dabei wäre, und natürlich Elisabeth Flickenschildt als fiese Herrin hinter der Kulissen, die, im Rollstuhl sitzend und mit einem Tuch um den Kopf, nur durch ihre Augen, ihre Ausstrahlung und ihre Bosheit wirkt, sowie Werner Peters als Heilpraktiker – Klein, rund, gemein. Wie man ihn kennt und liebt. Dieses Personal, eingerahmt von Charaktergesichtern wie Stanislaw Ledinek oder Hans Nielsen, lässt die völlig idiotische und, wenn man mal ehrlich ist, nebensächliche Krimihandlung zur Gänze in den Hintergrund treten. Wer hier wie und warum gerade ermordet wird? Unwichtig! Viel spannender ist das Mienenspiel von Hans Söhnker, der so seine kleinen Geheimnisse gerne für sich behalten will, und der nassforsche Dieter Borsche (hah, das reimt sich!), der seinen Chef mächtig angeht um ebendiese Geheimnisse zu erfahren. Barbara Rütting entpuppt sich wieder einmal als eine der aufregendsten Frauen des deutschen Kinos der 60er-Jahre, der man gerne eine größere Karriere im Exploitation-Film gegönnt hätte, und Helga Sommerfeld im extremst kleinen Schwarzen wird von Szene zu Szene schöner und sinnlicher.
DAS PHANTOM VON SOHO spielt eindeutig nicht in der 08/15-Klasse der Krimis vom Fließband, dafür steckt hier viel zu viel Liebe zum Detail. Wenn man denn erst einmal einen Zugang zum unsympathischen Kriminaler gefunden hat, und sich mit der Künstlichkeit dieser Welt arrangiert hat, dann stellt man voller Verwunderung fest, dass hier Ideen für mindestens wenn nicht noch mehr Filme drinstecken. Was vielleicht auch der Grund für die oft nicht so guten Bewertungen ist – Der Film ist einfach zu vollgestopft um wirklich zu überzeugen. Aber Spaß macht er richtig …