Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: So 3. Jan 2021, 07:25
Frankfurt Kaiserstraße (Roger Fritz, 1981) 7/10
Rolf und Susanne sind jung und unternehmungslustig, und die große Stadt, dort draußen vor dem Kaff auf dem sie wohnen, lockt mit ihrer Lebenslust. Doch Rolf muss zum Barras, und Susanne überwirft sich mit ihrem Vater und verzischt sich nach Frankfurt, zu ihrem Onkel Ossi, der dort gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Tonino ein Blumengeschäft führt. Und zwar genau dort, wo die große Stadt am lebendigsten ist: Mitten im Bahnhofsviertel, in der Kaiserstraße, wo die Welt nur aus Puffs, Kneipen und Spielhallen besteht, aus Zuhältern und Nutten, aus Abzockern und Gestrandeten. Und während Rolf dank seines arroganten Vorgesetzten sogar in den Bau kommt und damit eine Urlaubssperre erhält, erkundet Susanne die große, bunte und leuchtende Stadt: Sie arbeitet in einem Schnellimbiss („Bring mir doch mal eine Bockwurst die so knackig ist wie du.“), zieht mit dem Lieferjungen Benny durch die Discos, und lernt bei einem Überfall von ein paar Punks Jonny kennen. Der besorgt ihr ein Luxusappartement, und Susanne ist viel zu jung um zu erkennen, dass ihr weiterer Lebensweg in diesem Augenblick festgelegt wird, nämlich als Luxusnutte unter Jonnys harter Hand. Doch irgendwann kommt auch Rolf wieder raus und kann seine Susanne besuchen und sie aus den Klauen Jonnys retten, allerdings gab es da noch diese Nacht mit dem Barmädchen Chris …
Kein Wunder, dass FRANKFURT KAISERSTRASSE damals an den Kinokassen floppte. 1981 war im deutschen Kino sowieso ein schwieriges Jahr: DIETER MEIER versuchte in JETZT UND ALLES New Wave und Noir zu einem Gesamtbild zu vereinen, Carl Schenkel erkundete den Lebensnerv der jungen Generation mit KALT WIE EIS, Adolf Winkelmann zeigte in JEDE MENGE KOHLE, dem zweiten Teil der Ruhrgebietstrilogie, das ungeschönte Leben im Pott, und Wolfgang Petersen ging mit einer neuen Generation Schauspieler auf große Kaperfahrt im Nordatlantik und arbeitete mit DAS BOOT deutsche Geschichte auf.
Zwischen New Wave, Neon, Beton und Vergangenheitsbewältigung konnte die Liebesromanze mit Zuhälter-Background einfach nicht richtig ziehen. Der Zeitgeist war darauf nicht eingerichtet. Oder anders ausgedrückt: Wie hatte sich Lisa-Film die Zielgruppe eigentlich vorgestellt? Im Jahre 1981 zogen Punks und Waver durch Deutschland, die wollten im Kino ganz sicher keine Liebesgeschichte sehen. Und die anderen? Diese Jahre waren Jahre des Auf- und Umbruchs, und FRANKFURT KAISERSTRASSE ist erzählerisch und bildlich ganz klar in den 70ern zu verorten, aus heutiger Sicht konnte das ja nur ins Auge gehen. In der Rangliste der erfolgreichsten Filme 1981 ist der Paradigmenwechsel zwischen den vergangenen Jahren des europäischen Kinos und den kommenden Jahren der US-Blockbuster klar zu erkennen. Aber eines haben die ersten Filme dieser Rangliste gemeinsam: Sie haben mächtige Bilder und packen den Zuschauern bei den Eiern …
Und heute? Wie wirkt FRANKFURT KAISERSTRASSE heute? Jetzt wird es persönlich, denn prinzipiell ist der Film erstmal eine Zeitreise in die Jugend des Rezensenten. Nicht dass ich in Frankfurt groß geworden bin, aber ich habe genau in dieser Zeit, nur ein wenig jünger als die Protagonisten, das Großstadtleben kennenlernen dürfen. Die Kneipen, die schrägen Typen, das Milieu, diese ständig in der Luft flirrende Mischung aus Laissez-faire und versteckter Aggression, aus gemeinsamem Saufen und eine aufs Maul bekommen. Und da ich ebenfalls aus einer kleineren Stadt kam, kann ich die Reaktionen von Rolf und Michaela absolut nachvollziehen. Die Lichter sind bunt, die Gestalten sind es noch viel mehr, und die Abgründe hinter den Lichtern sind nur zu ahnen und gar zu verführerisch.
Roger Fritz schafft in FRANKFURT KAISERSTRASSE das Kunststück, einer Zeit ein Denkmal zu setzen, die gar nicht klassifiziert werden konnte, weil sie, wie bereits erwähnt, eine Zeit des Umbruchs war. Peter Fratzschers ASPHALTNACHT aus dem Jahr 1980 zeigt diesen Umbruch in Form einer Partnerschaft eines Punks und eines Alt-Rockers. Eigentlich undenkbar, aber ja, das war die Zeit. Roger Fritz wiederum greift ins volle Leben und zeigt ganz normale Menschen in (mehr oder weniger) ganz normalen Situationen. Es gibt keine Spannungskurve in FRANKFURT KAISERSTRASSE, keine Kriminalität, keine Polizei, keinen deutlich herausgearbeiteten Bandenkrieg, sondern ein sommerliches Alltagsleben in den nicht so feinen Ecken einer großen Stadt. Im Vergleich drängen sich mir Filme von Klaus Lemke auf, in denen der Zuschauer gemeinsam mit den Darstellern durch das Leben flaniert, und hier ist es eigentlich nicht anders. Keine großen Katastrophen und keine Gefühle in Cinemascope, sondern eher: Das Leben geht weiter. Benny will einen Kuss? Eine Ohrfeige, und jeder weiß wieder wo er hingehört. Rolf geht fremd? Rolf ist ein patenter Kerl, und nach einem ordentlichen Besäufnis ist die Welt auch wieder halbwegs in Ordnung. Terz mit dem Vater? Na ja, hier nimm das Geld, es soll ja keiner sagen dass ich Dich nicht unterstütze. Keine Hollywood-Emotionen, sondern Alltag in Deutschland, morgens um halb zehn.
Und deswegen zieht FRANKFURT KAISERSTRASSE eigentlich erst heute so richtig. Als nostalgische Reise in eine Welt, die es so nicht mehr gibt (weil die kleinen und großen Luden längst von Russen und Serben abgelöst wurden, und die sind trotz allem ein paar große Ecken härter als die Zuhälter von damals), als ruhiger und lässiger Trip durch eine sommerliche Großstadt, und als cool erzählte Romanze zwischen zwei Jugendlichen, die damals (wie heute?) wie aus dem Leben gegriffen scheinen. Man muss sich vor der Sichtung nur klar darüber sein, dass FRANKFURT KAISERSTRASSE kein Krimi ist, kein Wave-Noir und kein Exploitationer. Sondern, bereits auch unter den damaligen Begriffen, altmodisches Erzählkino zum Träumen und Spaß haben …
Rolf und Susanne sind jung und unternehmungslustig, und die große Stadt, dort draußen vor dem Kaff auf dem sie wohnen, lockt mit ihrer Lebenslust. Doch Rolf muss zum Barras, und Susanne überwirft sich mit ihrem Vater und verzischt sich nach Frankfurt, zu ihrem Onkel Ossi, der dort gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Tonino ein Blumengeschäft führt. Und zwar genau dort, wo die große Stadt am lebendigsten ist: Mitten im Bahnhofsviertel, in der Kaiserstraße, wo die Welt nur aus Puffs, Kneipen und Spielhallen besteht, aus Zuhältern und Nutten, aus Abzockern und Gestrandeten. Und während Rolf dank seines arroganten Vorgesetzten sogar in den Bau kommt und damit eine Urlaubssperre erhält, erkundet Susanne die große, bunte und leuchtende Stadt: Sie arbeitet in einem Schnellimbiss („Bring mir doch mal eine Bockwurst die so knackig ist wie du.“), zieht mit dem Lieferjungen Benny durch die Discos, und lernt bei einem Überfall von ein paar Punks Jonny kennen. Der besorgt ihr ein Luxusappartement, und Susanne ist viel zu jung um zu erkennen, dass ihr weiterer Lebensweg in diesem Augenblick festgelegt wird, nämlich als Luxusnutte unter Jonnys harter Hand. Doch irgendwann kommt auch Rolf wieder raus und kann seine Susanne besuchen und sie aus den Klauen Jonnys retten, allerdings gab es da noch diese Nacht mit dem Barmädchen Chris …
Kein Wunder, dass FRANKFURT KAISERSTRASSE damals an den Kinokassen floppte. 1981 war im deutschen Kino sowieso ein schwieriges Jahr: DIETER MEIER versuchte in JETZT UND ALLES New Wave und Noir zu einem Gesamtbild zu vereinen, Carl Schenkel erkundete den Lebensnerv der jungen Generation mit KALT WIE EIS, Adolf Winkelmann zeigte in JEDE MENGE KOHLE, dem zweiten Teil der Ruhrgebietstrilogie, das ungeschönte Leben im Pott, und Wolfgang Petersen ging mit einer neuen Generation Schauspieler auf große Kaperfahrt im Nordatlantik und arbeitete mit DAS BOOT deutsche Geschichte auf.
Zwischen New Wave, Neon, Beton und Vergangenheitsbewältigung konnte die Liebesromanze mit Zuhälter-Background einfach nicht richtig ziehen. Der Zeitgeist war darauf nicht eingerichtet. Oder anders ausgedrückt: Wie hatte sich Lisa-Film die Zielgruppe eigentlich vorgestellt? Im Jahre 1981 zogen Punks und Waver durch Deutschland, die wollten im Kino ganz sicher keine Liebesgeschichte sehen. Und die anderen? Diese Jahre waren Jahre des Auf- und Umbruchs, und FRANKFURT KAISERSTRASSE ist erzählerisch und bildlich ganz klar in den 70ern zu verorten, aus heutiger Sicht konnte das ja nur ins Auge gehen. In der Rangliste der erfolgreichsten Filme 1981 ist der Paradigmenwechsel zwischen den vergangenen Jahren des europäischen Kinos und den kommenden Jahren der US-Blockbuster klar zu erkennen. Aber eines haben die ersten Filme dieser Rangliste gemeinsam: Sie haben mächtige Bilder und packen den Zuschauern bei den Eiern …
Und heute? Wie wirkt FRANKFURT KAISERSTRASSE heute? Jetzt wird es persönlich, denn prinzipiell ist der Film erstmal eine Zeitreise in die Jugend des Rezensenten. Nicht dass ich in Frankfurt groß geworden bin, aber ich habe genau in dieser Zeit, nur ein wenig jünger als die Protagonisten, das Großstadtleben kennenlernen dürfen. Die Kneipen, die schrägen Typen, das Milieu, diese ständig in der Luft flirrende Mischung aus Laissez-faire und versteckter Aggression, aus gemeinsamem Saufen und eine aufs Maul bekommen. Und da ich ebenfalls aus einer kleineren Stadt kam, kann ich die Reaktionen von Rolf und Michaela absolut nachvollziehen. Die Lichter sind bunt, die Gestalten sind es noch viel mehr, und die Abgründe hinter den Lichtern sind nur zu ahnen und gar zu verführerisch.
Roger Fritz schafft in FRANKFURT KAISERSTRASSE das Kunststück, einer Zeit ein Denkmal zu setzen, die gar nicht klassifiziert werden konnte, weil sie, wie bereits erwähnt, eine Zeit des Umbruchs war. Peter Fratzschers ASPHALTNACHT aus dem Jahr 1980 zeigt diesen Umbruch in Form einer Partnerschaft eines Punks und eines Alt-Rockers. Eigentlich undenkbar, aber ja, das war die Zeit. Roger Fritz wiederum greift ins volle Leben und zeigt ganz normale Menschen in (mehr oder weniger) ganz normalen Situationen. Es gibt keine Spannungskurve in FRANKFURT KAISERSTRASSE, keine Kriminalität, keine Polizei, keinen deutlich herausgearbeiteten Bandenkrieg, sondern ein sommerliches Alltagsleben in den nicht so feinen Ecken einer großen Stadt. Im Vergleich drängen sich mir Filme von Klaus Lemke auf, in denen der Zuschauer gemeinsam mit den Darstellern durch das Leben flaniert, und hier ist es eigentlich nicht anders. Keine großen Katastrophen und keine Gefühle in Cinemascope, sondern eher: Das Leben geht weiter. Benny will einen Kuss? Eine Ohrfeige, und jeder weiß wieder wo er hingehört. Rolf geht fremd? Rolf ist ein patenter Kerl, und nach einem ordentlichen Besäufnis ist die Welt auch wieder halbwegs in Ordnung. Terz mit dem Vater? Na ja, hier nimm das Geld, es soll ja keiner sagen dass ich Dich nicht unterstütze. Keine Hollywood-Emotionen, sondern Alltag in Deutschland, morgens um halb zehn.
Und deswegen zieht FRANKFURT KAISERSTRASSE eigentlich erst heute so richtig. Als nostalgische Reise in eine Welt, die es so nicht mehr gibt (weil die kleinen und großen Luden längst von Russen und Serben abgelöst wurden, und die sind trotz allem ein paar große Ecken härter als die Zuhälter von damals), als ruhiger und lässiger Trip durch eine sommerliche Großstadt, und als cool erzählte Romanze zwischen zwei Jugendlichen, die damals (wie heute?) wie aus dem Leben gegriffen scheinen. Man muss sich vor der Sichtung nur klar darüber sein, dass FRANKFURT KAISERSTRASSE kein Krimi ist, kein Wave-Noir und kein Exploitationer. Sondern, bereits auch unter den damaligen Begriffen, altmodisches Erzählkino zum Träumen und Spaß haben …