Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: Di 13. Jun 2023, 05:05
Gretel & Hänsel (Oz Perkins, 2020) 7/10
Die Mutter kann die Kinder nicht mehr ernähren und jagt sie fort. Also ziehen Hänsel und Gretel, nein Verzeihung, Gretel & Hänsel, durch den unendlich erscheinenden finsteren und ach so bitterkalten Wald, bis sie an ein Häuschen kommen. Und wer hätte es gedacht, dort wohnt eine alte Frau, die ihnen Speis und Trank (und sicher auch Pfefferkuchen fein) sowie ein Bett für die Nacht bietet. Doch der Preis dafür ist hoch.
Regisseur Oz Perkins hätte es sich sehr leicht machen können. Die Geschichte ist ja nun als halbwegs bekannt vorauszusetzen, also hätte er durchaus auf die Macht der Bilder vertrauen können. Die Storyline vernachlässigen, und dafür mit Hilfe überbordender Eindrücke und modernster Computertechnik eine visuelle Achterbahnfahrt vom Stapel lassen, die durch ihre Knalleffekte geschickt verbirgt, dass dahinter eigentlich gar nichts ist.
Alternativ hätte er natürlich auch die Geschichte an sich mit vielen schweren Dialogen versehen und großartige und namhafte Schauspieler hinter die bedeutungsschwangeren Dialoge setzen können, die mit müden Blicken inmitten gefälliger Kulissen wichtige Worte aufsagen und hinterher ihre Gage abholen.
Auf beide Varianten war ich gefasst, und tatsächlich bin ich von vornherein mit einer gesunden Abwehrhaltung an den Film herangegangen. Nach dem kürzlich gesehenen HAGAZUSSA, der sich der ersten der beiden Möglichkeiten verschrieben hatte und damit eine gehörige Portion Langeweile verbreitete, ärgerte ich mich ziemlich, dass nun GRETEL & HÄNSEL ins Haus flatterte und aus zeitlichen Gründen auch recht schnell gesehen werden musste. Mist, wieder so ein dummer, moderner Horrorfilm, der die narrative Ideenlosigkeit der amerikanischen Drehbuchautoren illustriert, und diese Armut mit ach so tollen Effekten übermalen muss. So dachte ich bei mir.
Was soll ich sagen, GRETEL & HÄNSEL hat mich tatsächlich ganz kalt erwischt und mir gezeigt, dass außerhalb(!) der USA auch heute noch richtig gute Genrefilme gemacht werden können. Die Story wird geschickt ummontiert, auch andere Märchen der Grimms werden unauffällig referenziert, und ohne den Grundaufbau zu ändern werden die Versatzstücke des ursprünglichen Märchens wunderbar unauffällig in eine fast hypnotische Bilderflut eingebaut, die, ohne dabei das Story-Telling zu vernachlässigen, den Zuschauer restlos in eine andere Welt zieht. Die Wälder, das Hexenhaus, das Licht ... Immer wieder dieses Licht, das von Kameramann Galo Olivares in Variationen eingesetzt wird, bei denen mir nicht einmal bekannt war dass Licht so aussehen kann. Und vor oder neben oder hinter dieses Licht werden dann die Schauspieler gesetzt, die zwar zum Teil recht wichtige Dialoge aufzusagen haben, unterbrochen von viel Stille und Denkanstoß, diese Arbeit aber so bravourös erledigen, dass man gar nicht auf die Idee kommt, dass man hier einem drögen Arthouse-Film aufsitzen könnte. Dialoge, Licht und Stimmung passen zusammen wie Lebkuchen und kleine Kinderhände – GRETEL & HÄNSEL entpuppt sich beim Sehen als mächtige Einheit gotischen Grusels, die es nicht nötig hat durch splatterige Effekte oder Jump Scares Eindruck zu schinden, sondern stattdessen durch eine ruhige Atmosphäre ein deutliches Mehr an Unbehagen einzuflößen als dies die meisten “Horror”filme der letzten 30 Jahre jemals könnten. Die Stimmung im Film, untermalt durch den kongenialen Klangteppich von Robert Coudert, ähnelt der Musik des schwedischen Dark-Ambient-Projekts Arcana, wobei der Begriff Dark Ambient auch die Stimmung des Films beschreibt. Im Gegensatz zum Beispiel zu dem erwähnten HAGAZUSSA gibt Oz Perkins nämlich ein angenehmes Erzähltempo vor, welches Langeweile kontinuierlich vermeidet. Das Schnitttempo ist relativ hoch, aber bei weitem nicht so hoch dass es zum Gewitter wird. Die Bilder kommen in aller Ruhe zur Geltung, und das Ergebnis ist wie eine Neudefinition eines gotischen Schauermärchens: Dunkel, ruhig, abgründig ... Keine nervigen Teenies, die von einem bösen Hexenkult nacheinander geschnetzelt werden, sondern ein junges Mädchen, das auf die Frage stößt, was sie mit der ihr offensichtlich gegebenen Gabe der Magie anfangen soll: Ihren geliebten kleinen Bruder opfern und den Weg in die Finsternis beschreiten? Oder ein Leben mit der Natur und dem Licht leben?
Das ist zu gruselig. Dann siehst Du Dinge, die es noch gar nicht gibt. Und Dinge, die es vielleicht doch gibt ...
GRETEL & HÄNSEL ist unheimlich, nicht gruselig. Und dieser feine Unterschied zeigt sich in der Qualität des Gesehenen. Und dürfte auch der Grund sein, warum meine 18-jährige Tochter den Film nicht gruselig fand, er aber meiner Frau und mir sehr gut gefallen hatte. Wohl offensichtlich ein Film für die ältere Generation, die keine Blut- und Schmodderorgien benötigt, um sich unruhig an der Sofalehne zu schuppern ...
Die Mutter kann die Kinder nicht mehr ernähren und jagt sie fort. Also ziehen Hänsel und Gretel, nein Verzeihung, Gretel & Hänsel, durch den unendlich erscheinenden finsteren und ach so bitterkalten Wald, bis sie an ein Häuschen kommen. Und wer hätte es gedacht, dort wohnt eine alte Frau, die ihnen Speis und Trank (und sicher auch Pfefferkuchen fein) sowie ein Bett für die Nacht bietet. Doch der Preis dafür ist hoch.
Regisseur Oz Perkins hätte es sich sehr leicht machen können. Die Geschichte ist ja nun als halbwegs bekannt vorauszusetzen, also hätte er durchaus auf die Macht der Bilder vertrauen können. Die Storyline vernachlässigen, und dafür mit Hilfe überbordender Eindrücke und modernster Computertechnik eine visuelle Achterbahnfahrt vom Stapel lassen, die durch ihre Knalleffekte geschickt verbirgt, dass dahinter eigentlich gar nichts ist.
Alternativ hätte er natürlich auch die Geschichte an sich mit vielen schweren Dialogen versehen und großartige und namhafte Schauspieler hinter die bedeutungsschwangeren Dialoge setzen können, die mit müden Blicken inmitten gefälliger Kulissen wichtige Worte aufsagen und hinterher ihre Gage abholen.
Auf beide Varianten war ich gefasst, und tatsächlich bin ich von vornherein mit einer gesunden Abwehrhaltung an den Film herangegangen. Nach dem kürzlich gesehenen HAGAZUSSA, der sich der ersten der beiden Möglichkeiten verschrieben hatte und damit eine gehörige Portion Langeweile verbreitete, ärgerte ich mich ziemlich, dass nun GRETEL & HÄNSEL ins Haus flatterte und aus zeitlichen Gründen auch recht schnell gesehen werden musste. Mist, wieder so ein dummer, moderner Horrorfilm, der die narrative Ideenlosigkeit der amerikanischen Drehbuchautoren illustriert, und diese Armut mit ach so tollen Effekten übermalen muss. So dachte ich bei mir.
Was soll ich sagen, GRETEL & HÄNSEL hat mich tatsächlich ganz kalt erwischt und mir gezeigt, dass außerhalb(!) der USA auch heute noch richtig gute Genrefilme gemacht werden können. Die Story wird geschickt ummontiert, auch andere Märchen der Grimms werden unauffällig referenziert, und ohne den Grundaufbau zu ändern werden die Versatzstücke des ursprünglichen Märchens wunderbar unauffällig in eine fast hypnotische Bilderflut eingebaut, die, ohne dabei das Story-Telling zu vernachlässigen, den Zuschauer restlos in eine andere Welt zieht. Die Wälder, das Hexenhaus, das Licht ... Immer wieder dieses Licht, das von Kameramann Galo Olivares in Variationen eingesetzt wird, bei denen mir nicht einmal bekannt war dass Licht so aussehen kann. Und vor oder neben oder hinter dieses Licht werden dann die Schauspieler gesetzt, die zwar zum Teil recht wichtige Dialoge aufzusagen haben, unterbrochen von viel Stille und Denkanstoß, diese Arbeit aber so bravourös erledigen, dass man gar nicht auf die Idee kommt, dass man hier einem drögen Arthouse-Film aufsitzen könnte. Dialoge, Licht und Stimmung passen zusammen wie Lebkuchen und kleine Kinderhände – GRETEL & HÄNSEL entpuppt sich beim Sehen als mächtige Einheit gotischen Grusels, die es nicht nötig hat durch splatterige Effekte oder Jump Scares Eindruck zu schinden, sondern stattdessen durch eine ruhige Atmosphäre ein deutliches Mehr an Unbehagen einzuflößen als dies die meisten “Horror”filme der letzten 30 Jahre jemals könnten. Die Stimmung im Film, untermalt durch den kongenialen Klangteppich von Robert Coudert, ähnelt der Musik des schwedischen Dark-Ambient-Projekts Arcana, wobei der Begriff Dark Ambient auch die Stimmung des Films beschreibt. Im Gegensatz zum Beispiel zu dem erwähnten HAGAZUSSA gibt Oz Perkins nämlich ein angenehmes Erzähltempo vor, welches Langeweile kontinuierlich vermeidet. Das Schnitttempo ist relativ hoch, aber bei weitem nicht so hoch dass es zum Gewitter wird. Die Bilder kommen in aller Ruhe zur Geltung, und das Ergebnis ist wie eine Neudefinition eines gotischen Schauermärchens: Dunkel, ruhig, abgründig ... Keine nervigen Teenies, die von einem bösen Hexenkult nacheinander geschnetzelt werden, sondern ein junges Mädchen, das auf die Frage stößt, was sie mit der ihr offensichtlich gegebenen Gabe der Magie anfangen soll: Ihren geliebten kleinen Bruder opfern und den Weg in die Finsternis beschreiten? Oder ein Leben mit der Natur und dem Licht leben?
Das ist zu gruselig. Dann siehst Du Dinge, die es noch gar nicht gibt. Und Dinge, die es vielleicht doch gibt ...
GRETEL & HÄNSEL ist unheimlich, nicht gruselig. Und dieser feine Unterschied zeigt sich in der Qualität des Gesehenen. Und dürfte auch der Grund sein, warum meine 18-jährige Tochter den Film nicht gruselig fand, er aber meiner Frau und mir sehr gut gefallen hatte. Wohl offensichtlich ein Film für die ältere Generation, die keine Blut- und Schmodderorgien benötigt, um sich unruhig an der Sofalehne zu schuppern ...