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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 16. Jul 2023, 06:59
von Maulwurf
Der Kongress tanzt (Erik Charell, 1931) 7/10

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Wien, 1814. Fürst Metternich hat alle Staatsoberhäupter Europas eingeladen, um das Erbe der napoleonischen Zeit zu bewältigen, und letzten Endes auch, um dafür zu sorgen, dass Napoleon auf Lebenszeit im Exil bleibt. Jeden Tag kommt ein anderer König in die Stadt, und jeden Tag vergibt die Handschuhmacherin Christel dem ankommenden Gast einen Blumenstrauß. Nur bei Zar Alexander von Russland klappt das nicht: Anstatt den Blumenstrauß zu übergeben muss sie ihn werfen, das Bukett wird für eine Bombe gehalten, der Zar wird fortgebracht und Christel verhaftet. Die Strafe: 25 Stockschläge auf die Hinterseite, ausführbar sofort. Doch ein Mann kommt rechtzeitig in die Zelle und sorgt dafür, dass die Strafe aufgehoben wird. Und weil das ein recht attraktiver Mann ist, und weil man sich sofort zueinander hingezogen fühlt, geht man erstmal in die nächste Weinwirtschaft, macht sich miteinander bekannt und turtelt und flirtet. Sie ist die Christel, und wer ist er? Er? Er ist Alexander, Zar von Russland!
Während dieser Liebeleien findet der Kongress unter Leitung von Fürst Metternich statt, und der hat als gewiefter Diplomat seine Mittel und Wege, die Teilnehmer unter Kontrolle zu halten. Vom Schlafzimmer aus kann er alle Räume seines Schlosses belauschen, bis hin zur Gesindekammer, und um möglicherweise widerspenstige Diplomaten von der Teilnahme bei strittigen Diskussionspunkten fernzuhalten, hat er die schöne und verführerische Komtesse, die er auf den Zaren ansetzt. Der hat dann also plötzlich zwei Frauen am Hals – Eine in die er sich verknallt und mit der er gerne Zeit verbringt, und eine die auf ihn angesetzt ist und die möglichst viel Zeit mit ihm verbringen soll. Gottseidank hat der Zar noch einen Doppelgänger, der ihn bei Terminen, an denen er nicht teilnehmen will, vertritt …

Film hat ja bekanntlich viele Aufgaben. Filme können als reine Kunstobjekte laufen. Filme können Kritik an bestehenden Verhältnissen vorbringen. Filme können Visionen einer wie auch immer gearteten Zukunft sein. Und Filme können auch schlicht und ergreifend unterhalten und dem Zuschauer eine Fluchtmöglichkeit bieten. 1931 kletterte die Arbeitslosenquote im Deutschen Reich nach und nach in Richtung der 30 % (die dann im Februar 1932 erreicht wurde), und viele Menschen hatten nur noch das Kino als Möglichkeit, ihrem Elend zumindest für kurze Zeit zu entkommen. Die Tonfilmoperette als Fluchtmöglichkeit par excellence feierte in dieser Zeit riesige Erfolge, und DER KONGRESS TANZT ist nichts anders als genau dieses: Eine eskapistische Operette, deren Figuren aussehen wie aus einem Spitzweg-Gemälde entlaufen, wo alle Menschen gut genährt, gut gelaunt und gut angezogen sind. In einer gigantischen Plansequenz fährt Christel in einer offenen Kutsche durch die Straßen, und alle, aber wirklich alle Menschen, bleiben stehen, winken und jubeln, und singen mit ihr gemeinsam „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“. Eskapismus, ja, und zwar der von der kitschigen Art. Aber soll ich was sagen? Diese Szenen funktionieren auch heute noch genauso gut wie der Film in seiner Gesamtheit! Die gute Stimmung überträgt sich, zugegeben mit ein wenig Entgegenkommen und gutem Willen, auch auf den modernen Zuschauer, und sorgt für ein beschwingt-heiteres Gefühl.

In den USA hatten in dieser Zeit unter anderem die Revue-Filme von Ziegfeld großen Erfolg. In Deutschland sollte es bis zu ES LEUCHTEN DIE STERNE oder GASPARONE noch ein paar Jahre dauern, um zumindest einen Echo der Exzesse von Busby Berkeley zu erreichen, aber DER KONGRESS TANZT geht bereits in diese Richtung. Das Ende des Films ist eine lange und ausschweifend gefilmte Ballszene mit einer bemerkenswerten Choreographie, in der Hunderte von Menschen zu Walzermusik schunkeln und tanzen. Tatsächlich wirkt die Tanzfläche mindestens genauso gefüllt wie in einer durchschnittlichen modernen Discothek, und alle lachen und freuen sich, und die Kamera filmt von oben (eben wie öfters bei Berkeley) und sorgt dafür, dass die Freude der Filmfiguren sich auf den Zuschauer überträgt. Noch extremer ist Alexanders und Christels Heimweg aus der Weinstube, wenn gefühlt halb Wien die beiden begleitet und „Das muss ein Stück vom Himmel sein“ singt und singt und singt und tanzt und tanzt und tanzt …

Auf der anderen Seite haben wir einen wundervoll-diabolischen Conrad Veidt als Fürst Metternich, der einen herrlich abgefeimten Schurken gibt – Nicht unsympathisch, aber halt intrigant: Schon beim Frühstück im Bett lauscht er, was in den Räumen seines Schlosses so geredet wird. Dann geht er in das „Schwarze Kabinett“, wo die Post der Diplomaten gelesen wird, und um sich seine Widersacher vom Hals zu halten, die zur Causa Napoleon eventuell eine andere Meinung haben könnten als er, setzt er hemmungslos eine attraktive Frau als Liebesfalle ein. Und dies alles mit einem ständigen Lächeln im Gesicht (Der Mann der lacht!) und mit Freude im Herzen an seinem schändlichen Tun. Wenn es nicht Conrad Veidt wäre hätte dies schnell eine schwache und stereotype Figur sein können, aber Veidt gibt dem Mann durch seine Ausstrahlung so viel Tiefe und Hintergrund, so viel Leben - Metternich wird zum Charakter! Dagegen wirkt der ständig nur debil grinsende Willy Fritsch als Zar Alexander so flach wie der Unfug von Zar Putin. Stärker ist der Adjutant Bubikoff (Otto Wallburg), der unglaublich fett und unglaublich agil die Befehle seines königlichen Herrn ausführt, und dabei den armen Uralsky, den Doppelgänger des Zaren, von Rendezvous zu Rendezvous hetzt und diesem dabei nicht einmal die Küsse gönnte. Als „Belohnung“ darf Uralsky dann alle auf dem Abschlussball anwesenden Damen küssen – Nach jedem Kuss wischt er sich die Lippen ab, und der Stoß Tücher hinter ihm wächst schier in den Himmel …

Ja, der Film kann auch heute noch begeistern! Die Figuren sind frisch und lebendig (außer vielleicht Alexander, aber der ist eine Ausnahme), die Witze sind witzig, die Situationskomik ist situativ und komisch, und die Musik bekommt man auch heute noch kaum aus dem Kopf. Paul Hörbiger als Heurigensänger und Carl-Heinz Schroth als Metternichs Geheimsekretär Pepi machen genauso Stimmung wie die ganz extrem burschikose Lilian Harvey als Christel (Liselotte Pulver soll in DAS WIRTSHAUS IM SPESSART burschikos sein? Pff, Lilian Harvey muss als Bursche geboren worden sein …), und Nebenfiguren wie der sadistische Exekutor mit dem Rohrstock oder die Gräfin mit den sarkastischen Kommentaren (Adele Sandrock) bringen noch ein zusätzliches Vergnügen. Und a propos Lilian Harvey: Die wird hier, konträr zu ihrem männlichen Auftreten, ausgesprochen erotisch in Szene gesetzt, und darf vor allem in den ersten Szenen schlecht verhüllt vieles von dem zeigen was Frauen so haben. Eine Menge Unterwäsche gibt es noch obendrein, und für einen deutschen Film des Jahres 1931 ist DER KONGRESS TANZT ausgesprochen sexy geworden.

DER KONGRESS TANZT ist pures Unterhaltungskino mit dem Anspruch, 94 Minuten möglichst viel Vergnügen zu bereiten. Punkt. Und dieser Anspruch wird ganz locker eingelöst. Ausrufezeichen.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 19. Jul 2023, 05:30
von Maulwurf
GSI – Spezialeinheit Göteborg: Waffenbrüder (Anders Nilsson, 2009) 7/10

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Spezialeinheit Göteborg, der zweite Streich: Frank Wagner, der sympathische Informant aus dem ersten Teil ZWISCHEN DEN FRONTEN, will nach wie vor aus dem Geschäft aussteigen und endlich ein normales Leben mit seiner Familie führen. Aber das Gesetz der Serie bestimmt, dass das nicht sein darf: Eine Einkaufsliste mit Waffen taucht in Göteborg auf, und diese Einkaufsliste schaut eher nach einem mittleren Krieg aus als nach einem normalen Raubüberfall. Also verlangt Johan Falk, dass Frank seinen Platz in der Gang behält, zumindest solange bis klar ist, was mit dem Arsenal passieren soll. Seth, der Boss der Gang, argwöhnt mittlerweile aber zunehmend, dass einer seiner Leute mit der Polizei zusammenarbeitet, woraufhin er ein Exempel an einem seiner Männer statuiert. Und eines Tages stehen dann plötzlich ein paar russische Söldner da, knallharte Typen, echte Killer, und der durchzuführende Auftrag wird klar. Allerdings hat Frank keine Möglichkeit mehr, Johan Falk rechtzeitig zu informieren – Seths Paranoia ist schließlich nicht ganz unbegründet …

Es ist spannend zu sehen, wie der Fokus der Serie von Johan Falk fortgeht, hin zu Frank Wagner. Falk wirkt etwas müde und irgendwie langweilig, als Held macht er zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel her, und seine privaten Probleme sind eigentlich ziemlich uninteressant: Eheprobleme, ein wenig rumvögeln mit der Ex, das ist nicht aufregend. Ganz im Gegensatz zur Kriminalgeschichte um die Waffen und den damit einhergehenden Job sowie die (richtigen) Probleme von Frank, was beides ausgesprochen spannend ist und auch erstklassig inszeniert. Der Zuschauer identifiziert sich mit Frank, weiß aber gleichzeitig nie mehr als dieser. Was bedeutet, dass, wenn Seth am Rad dreht und herausbekommen will, wer zur Hölle aus seiner Gang mit den Cops zusammenarbeitet, zunehmend Angst aus dem Bildschirm kriecht. Nackte Angst.

Joel Kinnaman ist aber auch eine perfekte Besetzung für den Undercovermann wider Willen. So schöne Augen in denen so viel Verzweiflung steckt, und dann wieder dieser stahlharte Blick, mit dem er seinen Kumpels begegnen muss. Die Panik in seinen Augen spricht Bände, und die Angst ebenfalls. Der Mann kann Verletzlichkeit und Härte zugleich ausstrahlen, und wirkt dabei ungemein sympathisch. Viel sympathischer als Jakob Eklund, der im Moment, ich erwähnte es, eine Nebenrolle inne hat. Wer Joel Kinnamon hier mag, dem möchte ich den 2019er-Flick THE INFORMER von Andrea Di Stefano ans Herz legen – Kinnamon hat dort im Prinzip die gleiche Rolle wie in GSI, aber der Grundton des Films ist erheblich härter und düsterer. Große Empfehlung!

WAFFENBRÜDER ist hochspannendes Thrillerfernsehen mit viel Druck und Anspruch, das von Beginn an auf die Tube drückt und Lust macht, den nächsten Teil gleich hinterherzuschieben. Und das ist für den zweiten Teil einer sechsteiligen Serie als ein ganz großes Kompliment zu verstehen

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 22. Jul 2023, 05:34
von Maulwurf
GSI – Spezialeinheit Göteborg: Im Fadenkreuz (Richard Holm, 2009) 7/10

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Der unfreiwillige Informant Frank Wagner ist dabei, erfolgreich auszusteigen. Er träumt von einem Bistro in Südfrankreich, aber Johan Falk zuliebe läuft er gerade in Göteborg herum und stellt Fragen. Fragen nach Amphetaminen und nach Verbindungen. Der Erfolg kommt schnell, Mr. K, der große Unbekannte und mächtige Mann im Hintergrund der Drogenszene Skandinaviens, kontaktiert ihn. Damit wäre die Aufgabe Franks eigentlich beendet und das Bistro wäre in greifbarer Nähe, aber bei der Kontaktaufnahme mit Mr. K platzt Franks Frau Marie dummerweise dazwischen und wird von den Gangstern übelst misshandelt. Jetzt zieht Frank den Job für Johan Falk durch bis zum bitteren Ende – Denn die Schläge und Tritte gegen Marie, die nimmt er sehr persönlich.

Nach dem schnellen zweiten Teil WAFFENBRÜDER wird in IM FADENKREUZ erstmal ein paar Gänge zurückgeschaltet. Die Geschichte um Frank, der aus Versehen zum führenden Drogengangster Göteborgs wird, und um seine persönliche Rache, die ist von Haus erst einmal sehr leise gehalten. Was ein sehr überzeugendes und starkes Bild von Frank vermittelt. Johan Falk steht sich selbst im Weg, mag seine Frau, vögelt mit der Kollegin, ist als Polizist gerade nicht so die Wolke, und wird allmählich immer unsympathischer.
Nicht so Frank Wagner, der von Folge zu Folge mehr Tiefe bekommt und immer mehr zur eigentlichen Hauptfigur wird. Seine Angst aufzufliegen ist geradezu mit den Händen greifbar, gemeinsam mit seinem unbändigen Hass auf die Drogendealer, die seine Frau zusammengetreten haben. Gleichzeitig stellt sich aber heraus, dass in der mittlerweile zusammengeschmolzenen Gang von Seth noch ein Informant sitzt, der aber andere Polizeistellen mit Informationen beliefert. Und der gleichzeitig von einem Polizisten ebenfalls Informationen bekommt. INFERNAL AFFAIRS auf schwedisch also, und die so erzeugte Spannung ist so dick und dramatisch, dass man keine Sekunde wegschauen mag. Jeder kämpft gegen jeden: Polizei gegen Polizei, Polizei gegen Gangster, Gangster gegen Gangster, und nicht nur der Zuschauer braucht eiserne Nerven, wenn Frank Wagner von den estnischen Drogenleuten damit konfrontiert wird, dass er mit der Polizei zusammenarbeitet.

Riesige Knalleffekte, Explosionen oder Autoverfolgungsjagden sucht man hier vergeblich, stattdessen entsteht die Spannung ausschließlich aus der Geschichte. Was jetzt zwar altmodisch klingt, aber als Kompliment gedacht ist – Diese Serie hat es einfach nicht nötig, mit Spezialeffekten um Aufmerksamkeit zu heischen.

7/10

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 25. Jul 2023, 05:11
von Maulwurf
The crimson kimono (Samuel Fuller, 1959) 6/10

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Joe und Charlie sind Cops, sie sind Partner, und sie sind vor allem eines: Freunde. Zusammen leben sie in einem schicken Appartement, in welches sie all ihr Geld stecken. Die Freundschaft basiert unter anderem darauf, dass Joe damals im Koreakrieg Blut gespendet hat für Charlie, damit der eine schwere Verwundung überleben konnte. Doch jetzt steht die Freundschaft auf dem Spiel, haben sich doch die beiden in die gleiche Frau verliebt, in die Künstlerin Christine Downs, die den Mörder der Stripperin Sugar Torch identifizieren kann. Dummerweise macht sich Charlie Hoffnungen, doch Christine hat sich längst in Joe verliebt. Der aber kann damit nicht umgehen, dass sein Freund beim Zulassen dieser Liebe so entsetzlich enttäuscht wäre, und in seiner Verblendung sieht er in Charlies Gesicht Hass. Hass auf ihn, den Joe ist ein Nisei, ein in den USA geborener Japaner, und Joe bildet sich urplötzlich ein, dass Charlie ihn, den Asiaten, den Fremden, hasst.

Vier Jahre vorher hat Sam Fuller TOKYO STORY gedreht, ein in meinen Augen exemplarisches Lehrstück über die vermeintliche Überlegenheit der weißen Rasse, in dem sich Robert Stack als imperialistischer Yankee durch Tokio durchrempelt und -prügelt und allenthalben den Herrenmenschen heraushängen lässt. Dass es, wie ich kürzlich gelesen habe, in TOKYO STORY eine Liebesgeschichte zwischen einer Japanerin und einem Amerikaner gibt war meinem Gedächtnis völlig entfallen, ist aber interessant, weil Fuller in CRIMSON KIMONO diese Liebesgeschichte umdreht: Eine amerikanische Frau verliebt sich in einen Japaner (Yes, this is a beautiful American girl in the arms of a Japanese boy! heißt es auf dem Plakat, und What was his strange appeal for American girls?), und interessanter Weise schafft es Fuller, aus diesem wiederverwendeten Sujet deutlich mehr herauszuholen als aus TOKYO STORY. Denn im Kern ist CRIMSON KIMONO genau dies, ein Melodram rund um enttäuschte Liebe und Rassismus, eingebettet in eine rudimentäre Kriminalhandlung.

Diese Kriminalhandlung startet furios und schnell, mit einer Verfolgungsjagd auf der Main Street von Los Angeles und mit einer toten Stripperin. Die Ermittlungen der beiden Cops gehen flott vonstatten, und wir lernen die beiden besser kennen und fassen als Zuschauer Zuneigung zu den Freunden. Christine Downs tritt auf, und der Erzählton wandelt sich zunehmend in Richtung Liebesdrama, bis die eigentliche Geschichte fast auf der Stelle tritt, und der Krimi kaum noch interessiert. Doch plötzlich, während der finalen Konfrontation zwischen Joe und Charlie, taucht unversehens, plopp, der Hauptverdächtige auf, und eine wilde Verfolgungsjagd inmitten eines amerikanisch-japanischen Umzugs findet statt. Hier nimmt der Krimi Knall auf Fall wieder Fahrt auf und beeinflusst schlussendlich auch das Drama (nicht so wie man jetzt denken mag, das Ende ist durchaus überraschend), aber irgendwie passt das alles nicht so recht zusammen. Das eigentliche Thema des Films ist der Nisei Joe, der bei aller Integration in die Welt der Weißen sich immer als Außenseiter fühlt, seine Kontakte zur japanischen Gemeinde pflegt, und dabei gar nicht merkt, dass er das, was er den Weißen so oft vorwirft, in Wirklichkeit selber ist: Ein Rassist. Einer, der die Unterschiede zwischen den Rassen nicht nur bemerkt, sondern als Kernpunkt in seinem Leben behandelt und sich immer und ewig ausgegrenzt fühlen wird, gleich wieviel aufrichtige Zuneigung ihm entgegengebracht wird. Diese Thematik wird behutsam und spannend erzählt, und der Zuschauer wird von dem Psychogramm Joes, wenn es denn endlich ausgebreitet wird, tatsächlich überrascht und schockiert. In diesen Momenten ist THE CRIMSON KIMONO einfühlsam und stark, und fast wünscht man sich, Fuller hätte keinen Krimi gedreht. Sondern sich tatsächlich auf die Dramaelemente konzentriert.

Generell bietet der Film einiges an Überraschungen. Die sensible Figurenzeichnung vor allem von Joe, das Wechseln zwischen den verschiedenen Handlungssträngen, die derbe Sprache, das traurige Ende … Aber der Kitt zwischen diesen starken Momenten fehlt ein wenig, und da muss ich viel Schuld in Richtung des Schnitts schieben. Viele Szenen sind parallel geschnitten, ohne dass sich dazwischen Zusammenhänge oder Spannungsbögen ergeben. Manche Szenen machen gleich gar keinen Sinn: So taucht Charlies Freundin Mac bei der Verfolgungsjagd auf wie der Teufel aus der Kiste, steht bei den Freunden auf dem Bürgersteig, ist dann aber wie von Geisterhand wieder verschwunden, nur um dann ganz am Ende wieder aufzutauchen. Da aber der Schnitt in Filmen wie THE KILLER THAT STALKED NEW YORK oder dem von mir favorisierten DER DSCHUNGEL VON MANHATTAN sehr wohl in Ordnung ist (Cutter war bei den genannten immer Jerome Thoms) und bei dem letztgenannten sogar noch vieles rettet, vermute ich mal, dass die Produktionsbedingungen unter Umständen … widrig … gewesen sein könnten. Ich weiß es aber nicht.

Wissen weiß ich, dass CRIMSON KIMONO sehr uneinheitlich herüberkommt, und in seinem Fluss trotz vieler starker Momente immer wieder stolpert und aus dem Tritt kommt. Die Schauspieler sind großartig und können vieles wiedergutmachen was Drehbuch oder Regie versieben, aber so ganz überzeugend ist das Ergebnis leider trotzdem nicht. Was bleibt ist ein interessantes Drama-Krimi-Experiment über Rassismus und unmögliche Liebe, dem man durchaus eine Chance geben sollte, ohne aber mit allzu überzogenen Ansprüchen heranzugehen.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 28. Jul 2023, 05:04
von Maulwurf
Die Abenteuer des Kardinal Braun (Lucio Fulci, 1967) 6/10

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Napoleone und seine Leute sind ziemlich erfolglose Diebe mit großem Hunger und noch größerem Dilettantismus. Cajella lebt davon, als Gigolo alte amerikanische Touristinnen auszunehmen. Joe Ventura war vor 40 Jahren mal eine große Nummer in Chicago, backt aber, seitdem er von seinen eigenen Leuten zusammengeschlagen wurde, ziemlich kleine Brötchen, da er geistig nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Seine Partnerin Samantha hat einen großen Job in Rom vor, für den sie die Gangster Poulain und Targout an Bord holt. Weil aber Joe Ventura unbedingt ein Blutbad anrichten will, so wie damals in Chicago, haha, mit der Maschinenpistole rein und takatakatakataka …Man erinnere sich dass er geistig nicht so mehr ganz und so, deshalb steigen Poulain und Targout also wieder aus. Also muss jemand anders her, und da läuft Samantha gerade Cajella über den Weg. Und weil Napoleone und seine Freunde gerade bei Cajella leben, sind so die Beziehungen erstmal halbwegs geknüpft.
Napoleone stiehlt allerdings in einem Anfall von geistiger Umnachtung die Pietà von Michelangelo aus dem Vatikan (also wirklich die Pietà von dem Michelangelo) und stellt sie bei Cajella unter. Für 40 Milliarden Lire will er sie verkaufen. Samantha kriegt das mit, und Joe Ventura stiehlt daraufhin von Cajella die Pietà, um sie selber dem Vatikan für 40 Milliarden anbieten zu können. Und Heinz Rühmann als Kardinal Braun? Der will die Polizei aus dem Spiel lassen und vertraut ganz auf die Hilfe Gottes …

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So im Groben ist das die Handlung, die aber den Irrsinn, der hier stattfindet, und das Tempo nicht einmal ansatzweise beschreibt. Kardinal Braun setzt die gesamte Organisation der römisch-katholischen Kirche in Gang, um die Pietà wieder zurückzubekommen. Priester mit wehenden Rockschößen auf Motorrädern, die durch das Lazio rasen. Nonnen-Funkerinnen, die alles koordinieren („Taube an Pinguin, Taube an Pinguin …“), die Druckereien des Vatikans werden hergenommen um Steckbriefe zu drucken, und weil an dem LKW, mit dem die Pietà gestohlen wurde, das Plakat einer nackten Frau hing, wird auch dieses kurzerhand gedruckt und verteilt. Kardinal Braun steuert das alles wie ein Feldherr, sein Adjutant Siegfried macht die Drecksarbeit, und am Ende kommt sogar Bruder Gabriel in seinem Flugzeug („Er ist zwar kein Engel, aber er fliegt wie einer“) und übernimmt in voller Fahrt einen der Mönche vom Sozius eines Motorrades, um den Abtransport der Pietà per Schiff noch rechtzeitig zu verhindern.

Viel Action und ein irrsinniges Tempo, da kann man die ersten 30 Minuten und die vielen peinlichen Momente im Nachhinein auch ganz gut verschmerzen. Die Rolle Jean-Claude Brialys tut manchmal fast weh, so platt ist sie, und auch Uta Levka übertreibt an vielen Stellen hemmungslos, nicht immer zum Vorteil des Films. Mitleid hat man auch mit Edward G. Robinson, der sich als recht vertrottelter Gangster darstellt – Ich kann mir aber andererseits auch durchaus vorstellen, dass er beim Spielen einen Heidenspaß daran hatte, seine eigenen Rollen von vor 30 Jahren zu karikieren. Die deutsche Synchro ist dazu dann zweckdienlich, wobei bis auf eine Ausnahme alle deutschen Schauspieler sich selber sprechen. Diese Ausnahme allerdings ist Rolf Schult auf Herbert Fux, was etwas gewöhnungsbedürftig ist, auch heute noch. Andere Highlights sind zum Beispiel ein Striptease Uta Levkas um die heranrückenden Heerscharen der Kirche aufzuhalten, oder das bemerkenswert feine und nuancierte Spiel Edward G. Robinsons. Dafür stimmt auf der anderen Seite oft das Timing einzelner Szenen nicht.

Nach einigen schmerzhaften Momenten und einigem Kokolores ist das gesamte letzte Drittel für den geneigten Italo-Fan ein guter Grund, sich diesen herrlichen Unfug anzuschauen. Sicher kein Film der regelmäßig im Player landen wird, aber ich muss zugeben, dass er einen gewissen Charme hat. Wenn man genauer hinschaut …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 31. Jul 2023, 06:21
von Maulwurf
Besessen – Das Loch in der Wand (Pim de la Parra, 1969) 6/10

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Ein Bild fällt herunter, und wo der Nagel war ist jetzt ein Loch in der Wand. Nils schaut durch dieses Loch in die Nachbarwohnung, und was er sieht elektrisiert ihn. Eine nackte Frau im Bett, möglicherweise leblos. Und ein Mann, der sich nicht um den Körper kümmert und die Frau? den Körper? stattdessen ohrfeigt. Nils lässt sich Nachschlüssel für die Nachbarwohnung machen und dringt in die Wohnung ein. Dort findet er eine Frau die an die Dusche gefesselt ist. Bei einem späteren Besuch liegt dann eine Frau gefesselt in der Badewanne, während eine andere bewusstlos im Bett liegt. Nils scheint auf der Spur eines Verbrechens zu sein, während parallel Nils‘ Freundin Marina sich in ihrem Job als Journalistin um den Fall eines ermordeten amerikanischen Soldaten kümmert, dessen mutmaßliche Mörderin jetzt wieder frei ist, und die seitdem untergetaucht ist. Ob zwischen den Ereignissen Zusammenhänge bestehen?

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In den frühen 70ern lief im deutschen Fernsehen die australische Fernsehserie SOS CHARTERBOOT. Prinzipiell eigentlich erstmal eine recht spannende Abenteuerserie, störte unsere Familie damals recht schnell, dass der Held die Probleme in erster Linie dadurch anzog, weil er seine Nase in Dinge steckte die ihn nichts angingen. Er also eigentlich ein ruhiges Leben hätte führen können, wenn er nicht so unverschämt neugierig gewesen wäre.

BESESSEN stellt mich vor das gleiche Problem wie diese Serie vor vielen Jahren. Nils Janssen stellt sich vor das Loch in der Wand und starrt in die Nachbarwohnung. Aber nicht genug damit, lässt er sich tatsächlich einen Schlüssel machen und geht in diese Wohnung hinein. Stöbert darin herum, fühlt sich ganz wie zuhause, und wundert sich, was es da so alles gibt. Aha, eine Tasche unter dem Bett, was mag da drin sein? Und was könnte wohl in dieser Schublade sein?

Was für ein impertinentes Arschloch! Der Mann ist - besessen. Ein Kontrollfreak, was er von seiner Mutter geerbt zu haben scheint, die wir zu Beginn des Films kurz kennenlernen, und die auch keinen besseren Eindruck macht. Nils‘ Freundin möchte gerne schmusen, während er fernsieht und dann urplötzlich aufspringt und durch das Loch schaut, nur weil seine Synapsen gerade mal einen möglichen Kontrollverlust melden. Ein Voyeur, der sein eigenes Leben damit verbringt, anderen beim Leben zuzuschauen . Und wenn ihn dann mal der Rappel packt, dann springt er in voller Kleidung unter die Dusche um mit seiner Freundin herumzutollen, lässt sie dann aber von einer Sekunde auf die andere stehen, wiederum um durch das Loch zu schauen. Eine Filmfigur so ganz aus dem alltäglichen Leben …

An sich ist BESESSEN ja ein spannender Film, ein Thriller mit einer zugegeben sehr spröden, und für seine Entstehungszeit typischen, Formensprache, der aber gut inszeniert ist und mit reichlich Spannung gesegnet ist. Aber diese Hauptfigur ist so ein extremer Unsympath, dass das den Film, zumindest bei mir, einiges an Sympathie kostet. Ich meine, was wäre denn, wenn der Nachbar ein BDSM-Freund wäre, und die Damen sich alle freiwillig fesseln lassen würden?

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Tun sie aber nicht, Nils ist tatsächlich einem Verbrechen auf der Spur, und spannend ist das wie gesagt allemal. Die Filmsprache der ausgehenden 60er-Jahre ist halt für heutige Verhältnisse bisweilen oft gewöhnungsbedürftig. Wenig Musik, und wenn, dann oft sehr an Jazz orientiert bis hin zur Kakophonie, und damit Nils‘ Innenleben klar interpretierend. Wenig Dialoge, und die dann auch nicht immer direkt zusammenhängend. Charaktere, deren Verhalten sprunghaft erscheint, und die sich ihrem Treiben hingeben, ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen zu nehmen. Viele Szenen sind sehr artifiziell angelegt, haben aber immer den Anspruch, das wirkliche Leben abzubilden. Auf Anhieb würde mir Helmut Förnbachers SOMMERSPROSSEN von 1968 einfallen, der ähnlich strukturiert ist, und genauso viel Einfühlungsvermögen in seine bildliche und narrative Sprache benötigt. Ist dieses Einfühlungsvermögen da, dann entfaltet sich vor dem staunenden Zuschauer ein Panoptikum von Gefühlen und Aktionen, ein Kunstwerk mit einem starkem Bezug zur Realität, eine wilde und intensive Story, dessen Charaktere Achterbahn fahren und den Betrachter ohne zu Zögern mitnehmen auf ihre wilde Reise, so er es zulässt. Bleibt einem der Zugang zu dieser speziellen Art, Geschichten zu erzählen, aber verschlossen, dann scheint ein sprödes und fast langweilig zu nennendes Programm abzuspulen, das die genaue Antithese ist zu den CGI-Dauerbombardierungen der heutigen Zeit, und das im Auge des Zuschauers Unterhaltung zu verwechseln scheint mit überkandideltem Anspruch.

Was ja auch alles entweder ganz toll intellektuell oder alternativ hochtrabend und angeberisch klingen mag. Wenn da nicht dieser „Held“ wäre, der durch seine Obsession das ganze Drama überhaupt erst in die Gänge bringt. Und ohne Rücksicht auf Verluste auch durchzieht. Irgendwo ist es ja schon faszinierend, was der Typ alles auf die Beine stellt, nur um herauszubekommen, wer in der Nachbarwohnung was macht, und welche Einrichtungsgegenstände dort wo verteilt sind. Ein Nachbar wie ihn jeder gerne hat …

Und in der Kombination aus dieser trockenen Inszenierung und der ausgesprochen unsympathischen Handlungsweise der Hauptfigur fällt es zumindest mir relativ schwer, Zugang zu BESESSEN – DAS LOCH IN DER WAND zu finden. Schlecht ist der Film nicht, aber es braucht halt einen besonderen Zugang, der, man verzeihe mir die Analogie, die Größe eines Loches in einer Wand hat. Was nicht wirklich groß ist …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 3. Aug 2023, 06:50
von Maulwurf
Skytten (Annette K. Olesen, 2013) 5/10

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Dänemark. Bei der letzten Wahl hat die jetzige Regierung gewonnen, weil sie eine grüne Energiewende versprochen hat, und weil sie zugesichert hatte, niemals das Eis in Grönland anzutasten. Jetzt, sieben Monate nach der Wahl, macht die Regierung das, was Regierungen halt meistens so machen: Rolle rückwärts, und zusammen mit den Amerikanern sollen die Ölvorkommen unter dem nordöstlichen Grönland ausgebeutet werden. Es handelt sich ja eh nur um vernachlässigbare Mengen, so heißt es von amtlicher Seite. Die Journalistin Mia Moesgaard, die wohl anscheinend für solche Themen die Top-Frau ist, will eigentlich wegen der Adoption eines Waisenkindes gerade nach Indien fliegen, erklärt sich aber bereit, ihren Flug um ein paar Tage zu verschieben, um dieser Sache investigativ auf den Grund zu gehen. Was bedeutet, dass sie sich in einer Fernsehsendung von einem Energieexperten mühelos in die Enge treiben lässt, und dafür allenthalben Lob kassiert.
Aber gut. Rasmus Jensen lässt sich nicht so einfach in die Enge treiben wie die Topjournalistin. Rasmus Jensen wertet schon seit Jahren Zahlen über das Ölvorkommen am Nordpol aus, und er hat statt „vernachlässigbarer Mengen“ eine Zahl im Angebot: 90 Millionen Kubikmeter Öl – Das dreifache der Nordseereserve Dänemarks. Rasmus Jensen hat aber noch mehr. Nämlich einen extremen Hass auf Politiker, die heute das Paradies versprechen und morgen nur ihr eigenes Konto damit gemeint haben. Und Rasmus Jensen hat noch etwas: Ein Hochpräzisionsgewehr, die beste auf dem Markt erhältliche Munition, und einen extrem ruhigen Zeigefinger.

Also geht Rasmus los und schießt auf das Auto eines der Verantwortlichen, eines sogenannten Umweltexperten. Anschließend nimmt er Kontakt auf zu Mia Moesgaard, die zwar wie elektrisiert scheint, dass ein potentieller Terrorist mit ihr telefoniert, aber der Sache trotzdem nur sehr zögerlich nachgeht. Als Rasmus auf den Hund eines der Männer derjenigen Energiefirma, die an dem Deal beteiligt ist, schießt, wird die Sache mit dem „Terroristen“ in der Presse offiziell, und Mia bekommt zwar näheren Kontakt zu und Unterlagen von Rasmus, aber ihre Zeitung bleibt trotzdem sehr zögerlich. Als Rasmus in seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung erkennt, dass mit vorsichtigem und friedlichem Aktionismus kein Blumentopf gewonnen werden kann, geht er aufs Ganze: Er schießt auf einen Verantwortlichen der Energiefirma, und Mia, die eigentlich gerade ihr Adoptivkind abholen will, wird am Flughafen festgenommen, weil sie Kontakt zu Rasmus hatte, und damit als potentielle Unterstützerin läuft.

In kühlen und nüchternen (und oftmals recht schönen) Bildern wird mit kühlen und nüchternen Schauspielern eine Geschichte erzählt, die eigentlich nur aus heißblütigen Emotionen besteht. Und wie man meiner Inhaltsangabe entnehmen kann, habe ich so meine Probleme damit, dass diese Heiß-Kalt-Zusammensetzung irgendwie nicht so recht funktioniert wie vorgesehen. Das erste Drittel, wenn wir die Lügen der Regierung kennenlernen, und die Enttäuschung des Nordpolliebhabers Rasmus spüren können, dieses erste Drittel baut tatsächlich viele Gefühle auf, lässt das Blut beim Zuschauer laut rauschen, und sorgt dafür, dass man dem Team Mia und Rasmus die Daumen drückt, dass es einfach alle bösen Buben superheldenmäßig tief unter den Nordpol schaufelt und die Welt wieder eine bessere sein wird.

Aber Mia entpuppt sich nach meinem Dafürhalten als sehr schlechte Journalistin. Im Fernsehduell mit dem Außenminister lässt sie sich die Worte im Mund umdrehen, ein Interview mit ebendiesem Minister, einem alten Freund ihrerseits, fängt sie so verkehrt an, dass er das Interview nach ein paar Minuten abbricht, und irgendwie wird überhaupt nicht klar, warum diese rückgratlose Frau die Top-Nummer-1-Reporterin in Dänemark sein soll. Sie steht vor einer gewaltigen Story, sie hat persönlichen Kontakt zu einem Mann der Geschäftsleute und Politiker mit der Waffe dazu zwingen will, ihre Geschäfte auf dem Rücken der Natur abzublasen, und was macht sie? Sie wirft ihn aus ihrer Küche, schaut entsetzt, und geht ins Bett. Das wäre einem Gerd Heidemann nicht passiert …
Auf der anderen Seite dann Kim Bodnia als Rasmus. Man spürt seine Wut, seine Verzweiflung, seinen Hass auf diejenigen Menschen, die diese wunderschöne Welt vorsätzlich zerstören wollen um Geld damit zu verdienen. Aber was macht ein Kim Bodnia aus solch einem Gefühlssturm? Genau, er steht da und stiert traurig oder wütend vor sich hin. Seine Reaktion, das Gewehr in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die Politiker sich vielleicht in die von ihm gedachte Richtung bewegen, mag für den ein mehr und für den anderen weniger nachvollziehbar sein, allein Bodnia spielt das was er eigentlich immer spielt: Ein Ausbund an Emotionslosigkeit und Traurigkeit. Das, was ein amerikanischer Schauspieler hier vielleicht an Overacting hineingelegt und damit vieles ruiniert hätte, das findet als Underacting statt (gibt es so etwas überhaupt?) – Und nimmt der Aktion Rasmus‘ die Spitze. Und nicht nur die Spitze, das ganze Vorgehen wirkt so irgendwie … unglaubwürdig.

Die Story ist gut, und sie wird, ich erwähnte es, in schicken Bildern und mit einem gewissen Spannungsbogen größtenteils ordentlich umgesetzt. Aber das Drehbuch schafft es leider überhaupt nicht, eine vernünftige Figurenzeichnung herzubekommen, die Schauspieler bleiben alleine mit Charakteren, denen sie sich offensichtlich nicht gewachsen fühlen, und spätestens an dieser Stelle versandet dann auch die Spannung. Die Akteure schaffen es einfach nicht, das grundlegende Interesse des Zuschauers in ihre Rollen zu überführen und eine Identifikationsmöglichkeit anzubieten. Trotz der grundlegenden Thrillerhandlung bleibt damit am Ende etwas übrig, was auch ein Fernsehkrimi hätte sein können, der am Freitag um 20:15 im Öffentlich-Rechtlichen läuft, und der um Himmel Willen bloß niemandem weh tun will. Schade um die gute Grundidee, und vielleicht findet sich ja mal ein Andreas Eschbach oder ein Sebastian Fitzek, der den Plot ummünzt in einen spannenden und an den richtigen Stellen schmerzhaften Roman. Zu wünschen wäre es der Idee …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 6. Aug 2023, 07:05
von Maulwurf
Edie – Für Träume ist es nie zu spät (Simon Hunter, 2017) 6/10

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Edie hat 30 Jahre lang ihren fast bewegungsunfähigen Mann gepflegt. Seit ihrer Jugend hat sie ihre Träume beiseite gelegt und war immer nur für andere da. Als Kind war Edie gerne mit ihrem Vater campen, und sie haben beide einen Traum gehabt: Den Suilven im Nordwesten Schottlands zu besteigen. Jetzt ist Edie alt, sehr alt. Ihr Mann ist tot, das Haus ist verkauft, und auf sie wartet das langsame Vermodern im Pflegeheim. Beim Ausräumen ihres Hauses fällt Edie eine Postkarte ihres Vaters mit dem Suilven als Motiv in die Hände. Woraufhin sie ihre sieben Sachen packt, den alten Campingkocher von anno dunnemals, den großen Koffer und den alten Rucksack, und sich in den Nachtzug nach Schottland setzt. Dort sind zwar die meisten Menschen der Meinung, dass sie zu alt sei, aber Edie ist stur. Verdammt stur. Und sie hat einen Guide: Jonny, den jungen Mann aus dem Laden für Campingbedarf, der zwar eigentlich dachte, dass sie nur eine alte schrullige Schachtel sei die ihm leichtverdiente 700 Pfund bringt. Aber ganz allmählich merkt Jonny, dass in Edie sehr viel mehr steckt als man denkt. Dass sie ein prima Kerl ist, mit dem man Pferde stehlen kann. Und dass sie bedeutend mehr auf dem Kasten hat, als seine ganzen jungen Kumpels aus dem Ort.

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Und so sehen wir eine Geschichte vor unseren Augen ablaufen, die uns wieder einmal erzählt wie wichtig es doch sei, sich seine Träume zu erfüllen. Ist es auch, und ich weiß aus persönlicher Warte sehr genau wovon ich rede. Nur dummerweise hat die Story von EDIE dabei keinerlei Überraschungen zu bieten, sondern erzählt einen nach Punkt und Komma vorhersehbaren Arthouse-Ablauf mit allen Fettnäpfchen die man sich so vorstellen kann. Eine gute Geschichte mit wichtigen Impulsen für den Zuschauer, aber eben nach Standard.

Womit EDIE dann aber letzten Endes doch punkten kann sind drei Dinge: Da wäre zum einen die herrlich mürrische und knorrige 83-jährige Sheila Hancock als Edie, die ihre rund 60 Jahre Erfahrung aus Fernsehen, Bühne und Film in einer Paraderolle einbringen kann, und damit wahrscheinlich so ziemlich jedes Herz im Sturm erobert, auch wenn sich ihr spröder Charme nur sehr allmählich entfaltet. Und hey, die Dame ist 83 Jahre alt! Ich kenne viele, die schon mit 38 nicht mehr so rüstig sind …

Das zweite ist natürlich die unglaubliche Landschaft Schottlands. Assynt, die einsame und wilde Gegend des Nordwestens, ist mit herrlichen Bildern eingefangen, und wenn sich am Ende des Films Edie ihren Traum erfüllt hat und die Kamera in den Hintergründen schwelgt, dann geht jedem Naturliebhaber das Herz auf, und den Schottlandfans (wie mir) sowieso. Sehnsucht pur!

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Der dritte Punkt ist der wunderbare und punktgenaue Schluss. Im Ernst, EDIE endet an der perfekten Stelle, und ist damit keine einzige Minute zu lang. Überhaupt hat es, bei aller Vorhersehbarkeit der Geschichte, keinen Moment Langeweile! Vielleicht einiges an Momenten zum Fremdschämen, aber spannenderweise folgt man der Geschichte als ob sie völlig neu wäre. Und das Ende, genau am perfekten Höhepunkt, ist einfach grandios.

Auch wenn also meine einleitenden Worte vielleicht ein wenig harsch klangen, so ist EDIE in jedem Fall ein schöner Träum- und Sehnsuchtsfilm zum Entspannen, mit großartigen Schauspielern und einer noch großartigeren Landschaft. Passt …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 9. Aug 2023, 05:07
von Maulwurf
The Wave (Gille Klabin, 2019) 2/10

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Unsympathische und dumme Menschen die dumme Dinge tun. Die Drogen einnehmen die sie von Fremden bekommen, und die sich daraufhin wundern, was mit ihrem bisschen Verstand geschieht. Warum sie Zeitsprünge erleben, warum sich die Farben verändern, und warum irgendwie alles ganz furchtbar kunterbunt durcheinander läuft. Frank, der in einer Versicherung arbeitet, und dessen Job es ist dafür zu sorgen, dass die Versicherung nichts auszahlt, passiert eben dieses, und das Universum packt ihn gewissermaßen an den Haaren und schleudert ihn hin und her, bis sich seine zwei Gehirnzellen in die richtige Reihenfolge bringen und für Gerechtigkeit und Harmonie sorgen.

Also nehmen wir das Grundkonzept von Mennan Yapos DIE VORAHNUNG, stecken die packenden Szenen aus BUTTERFLY EFFECT dazu, die Optik lehnen wir an Tarsem Singhs THE FALL an und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Set Pieces klauen wir aus FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS. Hauptdarsteller Justin Long wirkt wie HANGOVER für Langweiler, die Dialoge sind mühsam, und das Ganze ist zusammengefasst ungefähr so, wie sich klein Fritzchen einen LSD-Rausch vorstellt, nur in bunt und nichtssagend.
Einen Punkt gibt es für die schönen Bilder, und einen für die Schlusspointe. Alles andere ist, zumindest für Menschen im Alter 50+, schlicht und ergreifend langweilig und dabei gleichzeitig so hemmungslos überzogen, dass die Annäherung an die Geschichte mindestens sehr sehr schwerfällt. Mag ja durchaus sein, dass ich nicht die Zielgruppe bin, aber mich hatte der Film allein wegen seiner ausgesprochen unsympathischen Figuren nach etwa 5 Minuten verloren und nie wieder eingefangen. Sorry …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 12. Aug 2023, 06:39
von Maulwurf
Nebelmörder (Eugen York, 1964) 7/10

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In dem kleinen Örtchen Hainburg im Badischen geht das Grauen um: Ein Mörder, der in nebligen Nächten einsamen Spaziergängern hinterherschleicht und diese kaltblütig mit einem Messer tötet. Die Kriminalpolizei in Gestalt von Kommissar Hauser tappt vollkommen im Dunklen, denn der einschlägig vorbestrafte Komarek hat ein wasserdichtes Alibi. Was aber Hauser nicht daran hindert, diesen erneut unter dem gleichen Tatverdacht festzunehmen, weil das Alibi soll doch bitteschön endlich widerrufen werden! Nur ganz allmählich realisiert die Dampfwalze Hauser, dass in dem beschaulichen Ort noch ganz andere Dinge passieren: Rund um die Clique der Oberprimaner Heinz und Franziska hat es Vorkommnisse, die zwar eine Mordkommission normalerweise eigentlich nicht interessieren, aber könnten die Aufsässigkeiten der Jugendlichen nicht vielleicht doch mit den Morden in Zusammenhang stehen?

Die menschliche Dampfwalze Hauser habe ich den Kommissar genannt, denn mit dem Einfühlungsvermögen einer Dampfwalze brettert er über Alibis, mögliche Tatverdächtige und Spurensicherungen hinweg als ob es kein Morgen gibt. Da fällt das Messer dem Mörder aus der Hand, direkt vor die Füße einer Kriminalassistentin, aber eine Untersuchung auf Fingerabdrücke? Pustekuchen! Viel wichtiger ist es, diese Assistentin nach Hause zu schicken, damit sie ihr Leben nicht mehr als Lockvogel aufs Spiel setzen muss. Ein psychisch nicht ganz vollwertiger Arbeitsloser der bei Mama lebt und Groschenromane liest? Schuldig! Ein Vorbestrafter mit Alibi? Schuldig!! Ein Verdächtiger im Verhör? Dem muss gefühlt hundertmal ein „Gestehe“ ins Ohr geblasen werden, bis er dann entnervt aufgibt und gesteht. Polizeimethoden wie im Frankreich der 70er-Jahre. Oder im Deutschland der 30er-Jahre – Bruno Lüdke anyone?

Das war die nicht so gute Nachricht. Als Krimi auf Edgar Wallace-Spuren taugt NEBELMÖRDER nur sehr bedingt, gar zu schlicht ist die Kriminalhandlung und gar zu einfältig sind die Ermittler, die das Ergebnis auf Teufel komm raus an ihre Vermutungen anpassen möchten, von der oft etwas sprunghaft erzählten Geschichte gleich ganz zu schweigen.
Aber da ist noch ein Handlungsstrang rund um die Jugendlichen, und der hat es gehörig in sich. Heinz und Franziska sind ein beliebtes und bewundertes Paar, und zusammen mit Ulla, Willi, Robert und Bert bilden sie eine Clique, die hohes Ansehen an der Schule genießt. Roberts Vater hat ihm die alte Scheune zur Disco umgebaut (quasi zum Beat-Schuppen, höhö), und da trifft man sich regelmäßig zum Tanzen und Trinken. Na ja, klar, und natürlich auch zum Schmusen. Erwin, der Klassenprimus, passt da gar nicht rein. Erwin ist korrekt, Erwin ist mürrisch, Erwin ist misogyn, und Erwin findet das neunmalkluge Geschwätz von Heinz sichtlich nervig, und deswegen bekommt Erwin auch immer wieder Stunk mit der Gruppe. Als Erwin das Wissen, dass Heinz während der Tatzeit eines Mordes ein Loch von einer halben Stunde in seinem Alibi hat, an die Polizei weitergibt, reagiert die Clique auf eine Art und Weise, die mit Klassenkeile nichts mehr zu tun hat. Eher mit Lynchjustiz.

Und dieser Handlungsstrang, der macht den eigentlichen Kern des Films aus. Hier die beliebten und gutaussehenden Teenager, dort der Außenseiter und Watschenmann, dessen einziger Freund ein Arbeitsloser ist, der geistig nicht so hundertprozentig auf der Höhe ist. Die Unterprivilegierten halten halt zusammen, aber die Bessergestellten eben auch. Der Arbeitslose liest Groschenromane! Mein Gott, das geht ja gar nicht!! Wie kann man nur?! Die Meinung, dass dem Mann alleine schon aus diesem Grund absolut jedes Verbrechen zuzutrauen ist, teilen nicht nur die Teenager, sondern auch die Polizisten. Und wahrscheinlich auch der Rest der Gesellschaft: Mein Vater, der ab den frühen 60er-Jahren in einer Bank arbeitete, war nach Erscheinen damals an den PERRY RHODAN-Heften sehr interessiert, traute sich aber nicht diese Hefte am Kiosk zu kaufen. Es hätte ihn ja jemand dabei sehen können …

Filme wie IL RAGAZZI DEL MASSACRO kommen einem bei dieser Handlung in Erinnerung, und ein Begriff wie Gruppenzwang bekommt da eine, durchaus bekannte, Dynamik, die erschauern lässt, erst recht 19 Jahre nach Kriegsende. Ich bin sicher, dass Regisseur Eugen York dies gar nicht so recht beabsichtigt hat, meine persönliche Meinung über den Herrn Regisseur ist nicht wirklich die Beste. Aber beim NEBELMÖRDER ist dieser Teil der deutlich starke und fesselnde Teil –Die Psychogramme von Jugendlichen, die alle aus gutem Hause kommen und denken, sie können sich alles erlauben, vor allem gegen die „Anderen“. Denjenigen, die das Aufspießen von Maikäfern vielleicht nicht so lustig finden …

Die Krimihandlung ist nicht unspannend, trotz ihrer Poltrigkeit, aber diese „Nebenhandlung“ ist ein starker und packender Thriller mit Blicken in Abgründe, die man eigentlich gar nicht sehen möchte. NEBELMÖRDER ist absolut sehenswert, vor allem wegen dieses psychologischen Teils, und wenn man sich dann noch von dem Krimi ein wenig mitreißen lässt, dann kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen …