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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mo 22. Jun 2020, 22:44
von sid.vicious
AE612 ohne Landeerlaubnis
Regie: Peter Schulze-Rohr
Erstausstrahlung: 12. September 1971
Eine Flugzeugentführung, ein rachedurstiger Ehemann, ein radikaler Palästinenser und mittendrin der Paul. Paul Trimmel, der brummige Held der alten Nazi-Garde, droht seinem Kollegen mit der Faust, richtet beinahe ein irreparabeles Debakel an und ist trotz alledem schlussendlich vollkommen von sich und seiner Leistung überzeugt. Paul ist unschlagbar!
8 von 10
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Di 23. Jun 2020, 09:46
von buxtebrawler
Der Kino-"Tatort"
"Zabou" hat einen eigenen Thread bekommen:
deutschland-f30/tatort-zabou-hajo-gies-1987-t12523.html
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Di 23. Jun 2020, 09:49
von buxtebrawler
Polizeiruf 110: Der Tag wird kommen
„Sehr geehrte Frau König, sie sind tot.“
In ihrem 22. „Polizeiruf 110“ sieht sich das Rostocker Ermittlungsduo Alexander Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) erneut mit Frauenmörder Guido Wachs (Peter Trabner) konfrontiert, der in der Episode „Für Janina“ eingeführt wurde und seither Teil der horizontalen, also episodenübergreifenden Erzählebene ist. Für Eoin Moore, Stammregisseur der Reihe, ist es bereits der elfte „Polizeiruf“, das Drehbuch stammt von Florian Oeller. Gedreht im August und September 2019, erfolgte die Erstausstrahlung am 14.06.2020 als letzter neuer öffentlich-rechtlich produzierter Sonntags-Prime-Time-Krimi vor der Sommerpause.
„Wir bereuen und erlösen uns von dem Bösen!“
Der Frauenmörder Guido Wachs, der für seine eigentliche Tat nicht belangt werden konnte, aufgrund von König gefälschter Beweise jedoch für einen anderen Mord hinter Gittern landete, gibt sich als reuiger Sünder und verfasst Briefe an König, mit denen er sie psychisch zu manipulieren versucht. Seither leidet sie unter Schlafstörungen und Hautausschlag, droht, medikamentenabhängig zu werden, und entwickelt eine Psychose. Doch damit längst nicht genug: Beim Joggen am Rostocker Hafen wird sie Zeugin, wie zwei Jugendliche (Anton Weil und Florian Kroop) eine Frau sexistisch belästigen. Als sie ihr zur Hilfe eilt, wird sie von den Tätern K.O. geschlagen. Als sie im Krankenhaus erwacht, erfährt sie, dass die Frau, die sie aus der misslichen Lage rettete, tot ist: Die Leichtathletin und Einzelgängerin Nadja Flemming (Xenia Rahn, auch im wahren Leben Athletin) wurde erstochen aufgefunden. Die Kripo geht von Raubmord aus. Während Wachs König zu sich ins Gefängnis zu locken versucht, nimmt sie in ihrem schwer angeschlagenen Zustand die Ermittlungen auf und besucht u.a. den Ex-Mann (Andreas Helgi Schmid, „Verpiss Dich, Schneewittchen“) der Toten, der als einziger noch regelmäßigen Kontakt zu ihr unterhielt und mit seiner neuen Lebensgefährtin Annie (Victoria Schulz, „Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“) eine kleine Familie aufgebaut hat, zu der auch der kleine Sohn aus seiner Beziehung mit Nadja gehört. Königs Verdacht richtet sich schließlich nicht mehr gegen die juvenilen Schläger, sondern gegen Annie… Zeitgleich geht eine neue harte Droge in Rostock um und hängt Bukows Vater (Klaus Manchen, „Der rote Kakadu“) in diesen Geschäften mit drin, und polizeiintern macht sich Kollege Pöschel (Andreas Guenther, „Anatomie“) Hoffnungen, die Nachfolge der Anti-Drogen-Einheit-Chefin anzutreten. Es ist viel los in Rostock, Dinge sind im Umbruch und die Ermittler(innen) müssen versuchen, dem Stress zu trotzen und den Überblick zu wahren.
„Die Zeit ist zu kostbar, also hör auf zu warten!“
Nach dem missglückten „Söhne Rostocks“ ist der horizontale Handlungsstrang nun so dominant wie nie zuvor im Rostocker „Polizeiruf 110“ – und, um es gleich vorwegzunehmen: Das Regie- und Drehbuchteam aus Moore und Oeller versteht es, beinahe allen anderen TV-Krimireihen, die das mittlerweile zum guten Ton gehörende horizontale Erzählen aufgegriffen haben, zu demonstrieren, wie man es macht, wenn es richtig gut werden soll. Obwohl „Der Tag wird kommen“ knapp an motivischer Überfrachtung vorbeischrammt, wirkt er letztlich doch wie aus einem Guss. Aus Wachs hat man nun einen psychologisch extrem manipulativen Schurken gemacht, dem eine sehr unheimliche Aura anhaftet. In Bender (Björn Meyer, „Sarah Kohr: Das verschwundene Mädchen“), vorgeblich Königs Hausmeister, hat er einen Handlanger gefunden, der Königs Wohnung mit Geheimdienstmethoden überwacht und der durch gezielte unbemerkte Vergiftungen für Königs desolaten Zustand mitverantwortlich ist, bis hin zu einem bösen Ausschlag, an dem sie herumkratzt – beängstigend und fies. Die Kamera visualisiert Königs Medikamentenmissbrauch durch visualisierte Trips mithilfe winziger Action-Cams und überträgt ihren psychischen Zustand damit ins Bild. Der dauergehrende Wachs-Konflikt wächst hier zu Psychoduellen im Gefängnis heran, in die auch Bukow und Wachs‘ Ex-Frau (Florentine Schara, „Tatort: Der scheidende Schupo“) involviert werden.
Ferner greift „Der Tag wird kommen“ das Verhältnis zwischen Bukow und seinem sich eher auf der anderen Seite des Gesetzes bewegenden Vater wieder auf, um sich gleichzeitig von dieser Figur zu verabschieden – und damit auch von Schauspieler Klaus Manchen, der bereits im allerersten „Polizeiruf“ aus dem Jahre 1971 mitgespielt hat. Seine letzten Szenen spielen auf der Halbinsel Wustrow, die erstmals als Krimikulisse dient. Bukow junior hat seinen ersten Auftritt in dieser Episode in einer „Bratort“-Schürze, einer Verballhornung der ARD-Partnerserie. Nach einem Perspektivwechsel zu den jugendlichen Schlägern, die sich als großmäulige Drogenhonks entpuppen, landen diese im von Bukow beeindruckend geführten getrennten Verhör auf der Wache. Das war es dann aber auch beinahe an klassischer Polizeiarbeit, zumindest, was Bukow und König betrifft. Letztere erfährt vom Broken-Heart-Syndrom der toten Athletin, was die Handlung um eine weitere tragische Note emotionalisierend ergänzt. Tatsächlich gelingt es Moore und seinem Team, dem empathiefähigen Teil des Publikums quasi alle verhandelten Fälle und Schicksale auf unterschiedliche Weise emotional nahezubringen. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen Bukow und König, einmal mehr schauspielerisch brillant verkörpert von Hübner und Sarnau, einem wahren Dreamteam.
Wenn sich am Ende die Ereignisse überschlagen, weiß man, dass zukünftig vieles nicht mehr so sein wird, wie es einmal war. „Der Tag wird kommen“ bringt drastische Einschnitte ins horizontale Narrativ der Rostock-Reihe mit sich. In seinem Mix aus Krimi, Psycho-Thriller und Drama ist dieser „Polizeiruf 110“ mehr (gelungene) Genre-Kost denn Abbildung realistischer Polizeiarbeit – auf einem Niveau, das diesem Konzept recht gibt.
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Di 23. Jun 2020, 10:42
von buxtebrawler
Tatort: Spielverderber
„Ich kann dich ja mal in die Geheimnisse der freien Marktwirtschaft einweihen!“
Der bereits siebzehnte „Tatort“ der Duisburger Kripo-Beamten um Horst Schimanski (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik) – der erste nach dem zweiten Kino-„Tatort“ „Zabou“ – war Regisseur Pete Ariels vierter Beitrag zur öffentlich-rechtliche Krimireihe, zugleich sein Debüt in Duisburg. Insgesamt brachte er es bis ins Jahr 2000 auf neun Regiearbeiten für den „Tatort“. Das Drehbuch stammt von den bewährten Autoren Felix Huby und Hartmut Grund. Im Juni 1987 wurde „Spielverderber“ erstausgestrahlt, dessen Titel sich auf ein am Rande vorkommendes, jedoch zu doppeldeutigen Dialogen einladendes Backgammon-Spiel bezieht.
„Aus dir wird doch noch mal ‘n Kriminalist…“
Die Prostituierte Ulla, genannt „Die Gräfin“, wird ermordet aufgefunden. Kommissar Schimanskis Informant Mottenpaule (Erich Will, „Fabian“) meint von einem Erpressungsversuch Ullas gegenüber einem ihrer Freier zu wissen und verweist ihn an den Zuhälter und Nachtclubbetreiber Luden-Toni (Guntbert Warns, „Versteckt“), der jedoch, von Schimanski mit Ullas Tod konfrontiert, von nichts Dergleichen wissen will. Ullas Wohnung wurde durchwühlt, auf ihrem Anrufbeantworter findet sich jedoch die Nachricht eines Herrn Grüber (Lutz Reichert, Stoever/Brockmöller-Hamburg-„Tatort“), einem Import-Export-Händler. Der BKA-Ermittler Tumler (Wolfgang Wahl, „Schwarzwaldklinik“) aus Wiesbaden ist nach Duisburg gereist und ermittelt im illegalen Waffenhandel, weshalb Schimanski ihn bei Grüber antrifft. An eine Verbindung zwischen dem Mordfall und Waffengeschäften glaubt Tumler jedoch nicht. Nachdem auch Mottenpaule ermordet wurde (er plauderte zu viel…), knöpft sich Schimanski noch einmal Toni vor, bei dem er schließlich die Tatwaffe findet. Doch welches Motiv sollte Toni haben, mit Ulla sein „bestes Pferd im Stall“ zu töten?
„Ich glaub‘, ich steh‘ im Alkohol…“
Bei Informant Mottenpaule gibt’s erst mal ‘nen Schuss Schnaps in den Frühstückskaffee, Schimmi kann seine Sympathie für diesen abgerissenen Typen kaum verbergen – womit auch dieser Duisburger „Tatort“ einmal mehr sein Herz für Unterschicht und Prekariat beweist. Schimanski ermittelt mal wieder im Rotlichtmilieu, wo man ihn auch als Kunden kennt, schließlich schuf „die Gräfin“ für Luden-Toni an. Vom Auftauchen des BKA-Kollegen Tumler ist Königsberg (Ulrich Matschoss) genervt, fürs Publikum hingegen ist es ein Glücksfall: Wie man ihm das Polizeirevier vorstellt, wie man Tumlers Perspektive auf die eigentlich vertrauten Figuren einnimmt – das ist mit viel Humor gespickt. Besonders interessant zu beobachten ist es, wie sich die Chemie zwischen Schimanski und Tumler entwickelt, zumal dies im weiteren Verlauf des Falls (oder der Fälle?) auch von gewisser Bedeutung sein wird.
„Hast du ein paar Leute erledigen können?“
So wenig Tumler an eine Verbindung von Prostituiertenmord und Waffenschmuggel glaubt, so existent ist diese natürlich – einen entsprechenden Wissensvorsprung gewährt den Zuschauerinnen und Zuschauern bereits der Prolog. Doch Schimmi lässt sich zwischenzeitlich Honig um den Schnäuzer schmieren, als Tumler ihn gen Wiesbaden abzuwerben versucht. Zwischen Randale bei Toni, einem Kooperationsangebot eines vermeintlichen Zuhälterkollegen (Heinz Wanitschek, „Treffer“) Tonis, der dessen Nachfolge antreten will, und Bussibussi bei der divenhaften Musikbarbesitzerin Jenny (Jenny Evans, „Twin Town - Pretty Shitty City“), die auch selbst zum Mikro greift, liefert sich Schimmi spitzzüngige Dialoge mit Thanner und Hänschen (Chiem van Houweninge), die wiederum beinahe romantisch miteinander zu Abend essen. Als Hänschen mundharmonikaspielend auf einem Mauervorsprung sitzt, während Schimmi und Thanner observieren, bekommt Duisburg regelrecht Western-Atmosphäre.
„Du gehst zu viel ins Kino, Toni!“
„Spielverderber“ verfügt über eine ganze Reihe bemerkenswerter Einzelszenen und verspielter Details, wie zum Beispiel den Zauberwürfel und die Bogart-Hommage in Form eines Wandplakats. Und nicht jeder ist der, der er zu sein vorgibt, oder so sympathisch, wie er zunächst scheint. Diesmal scheint Thanner das Spiel zu durchschauen und Schimanski etwas naiv – oder zu sehr gebauchpinselt. Im letzten Drittel lässt man es sich nichtsdestotrotz nicht nehmen, einige Actionszenen und Stunts sowie schöne Nachtszenen mit ihren fast schon typischen Neo-Noir-Anleihen unterzubringen. Problematisch sind hingegen die Folterungen Tonis durch Schimanski, der damit verzweifelt und wutentbrannt voranzukommen versucht. Dafür übt das desillusionierende Ende angebrachte Kritik an Polizeibehördenstrukturen und Politik. Thanner zählt mit, wie oft Schimanski „Scheiße“ sagt, ein vergnüglicher Seitenhieb auf konservative Mediensittenwächter, die mit Schimanskis unbehauener Art im Fernsehen nie warmgeworden sind. Das niederländische Pop-Produzenten-Duo Bolland & Bolland schmettert mit „Tears of Ice“ einen kleinen Synthiehit und sorgt neben Jenny Evans, die auch im echten Leben Besitzerin der Musikbar „Jenny’s Place“, allerdings in München, war, für die musikalische Untermalung dieses doch ziemlich unterhaltsamen und gut gemachten „Tatorts“, der dramaturgisch lediglich bisweilen damit irritiert, seine actionarmen Spannungsszenen nicht mit entsprechender Musik zu unterlegen, wodurch leicht erhöhte Konzentration des Publikums abverlangt wird. Schimmi als Folterknecht ist pfui, ansonsten aber punktet „Spielverderber“ derart häufig, dass er sich mit 7,5 von 10 gewonnenen Backgammon-Partien in die Highscores eintragen kann.
Kurios: 2015 wurde ein weiterer „Tatort“ mit demselben Titel, aber ohne inhaltlichen Bezug ausgestrahlt. Wer hat da in der Redaktion gepennt?
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Di 23. Jun 2020, 14:18
von Reinifilm
buxtebrawler hat geschrieben:
Kurios: 2015 wurde ein weiterer „Tatort“ mit demselben Titel, aber ohne inhaltlichen Bezug ausgestrahlt. Wer hat da in der Redaktion gepennt?
Vielleicht ein Spielverderber?
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mi 24. Jun 2020, 23:21
von sid.vicious
TATORT: Der Richter in Weiss
Ermittler: Paul Trimmel
Erstausstrahlung: 10. Oktober 1971
„Jedem der ´ne zweite Pistole findet, zahl´ ich ´ne Pulle Korn!“
Paul is back! Diesmal bekommt es Trimmel mit einem scheinbar lapidaren Eifersuchtsmord zu tun. Es steckt allerdings eine Menge Psychologie dahinter und ein selbstherrlicher Klapsen-Professor entpuppt sich als ein ganz übles wie aalglattes Dreckstück. Was giallioesk startet endet auch ebenso, alles dazwischen reflektiert ein 120mimütiges, fortwährend fesselndes Tatort-Produkt, bei dem es manche Kuriosität (Paul bestellt einen Taucher, damit dieser in einem 30 cm tiefen Gewässer auf Tauchstation gehen soll) zu bestaunen gibt. Ferner hat sich Paul von seinen GESTAPO-Methoden verabschiedet und sorgt mit Sarkasmus und seiner altbekannten Vorliebe für Schnaps für eine ebenso gute Zuschauerlaune. Ach so, auf die Frage, ob Brigitta Beerenberg (gespielt von einer ganz tollen Erika Pluhar) nach einem Selbstmordversuch verbluten könnte, antwortet Paul: „Frauen vertragen Blutverluste besser als Männer!“
Paul regiert!
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mo 29. Jun 2020, 17:04
von buxtebrawler
Tatort: Gebrochene Blüten
„Kein Türke, kein Mongole, kein Japs – ‘n Thai!“
Den achtzehnten Fall der Duisburger-„Tatort“-Kripo um die Kommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik) inszenierte einmal mehr Stammregisseur Hajo Gies, diesmal nach einem Drehbuch seines Bruders Martin Gies. Kurioserweise war „Gebrochene Blüten“ bereits 1986 gedreht worden, wurde jedoch erst am 1. Mai 1988 erstausgestrahlt.
„Meine Herren, Sie haben miserabel gearbeitet!“
Tanzstudiobetreiber Herr Prinz wird in einem Omnibus erstochen. Wirkt er zunächst wie das Zufallsopfer eines Amokläufers, stellt sich bald heraus, dass mehr hinter diesem Mord steckt. Was genau, kann der Duisburger Kripo der Täter jedoch nicht mehr sagen, denn nachdem man ihn ermittelt hat, findet man auch ihn tot auf – erschossen, es sollte nach Selbstmord aussehen. Als Manuela Prinz (Renate Krößner, „Solo Sunny“), die Witwe des Erstochenen, von zwielichtigen Gaunern bedroht wird, ahnt Schimanski, dass die attraktive Frau mehr weiß, als sie auszusagen bereit ist. Die Spuren führen ins Rotlichtmilieu…
„Möchten Sie mein großer Beschützer sein?“
Die Eheleute Prinz waren nicht nur echte Globetrotter, der saubere Herr Prinz war auch tief im Menschenhandel mit Thailänderinnen für deutsche Puffs verwickelt. Dies führt zu Konfrontationen Schimanskis mit unangenehmer Klientel wie dem Zuhälter Blatzer (Miroslav Nemec, späterer München-„Tatort“-Dauerkommissar) und dessen hünenhaftem Personenschützer (Ralf Moeller, „Cyborg“). Zuvor wurde klassische Kripoarbeit mit Beschattungen und Lauschangriff geleistet; später wird Schimmi Frau Prinz – eher unkonventionell – beim Tanzen verhören, nachdem er bereits halbnackt Dauerlauf betrieben hat und sich Thanner und Schimmi beim Ruhrpott-Imbissschmaus gegenseitig angezickt haben.
Wenig überraschend häufen sich die Annäherungsszenen zwischen Womanizer Schimmi und der schwer zu durchschauenden Prinz, mitunter in Sachen Bildästhetik mit dem ganz breiten Pinsel aufgetragen. Zum zum wiederholten Male bemühten Neo-Noir-Stil passend entpuppt sich die Prinz als Femme fatale, von der Schimanski gar vergewaltigt worden zu sein fürchten muss. Bis hierhin ist „Gebrochene Blüten“ hübsch anzusehen und recht unterhaltsam, aber auch relativ vorhersehbar. Dies ändert sich, als als überraschende Wendung gleich doppelter Identitätsdiebstahl ins Spiel kommt, für den Schimmi gar im pittoresken bayrischen Wasserburg ermitteln muss. Während des durchstilisierten Finales im Tanzsaal entspinnt sich das ganze Ausmaß der bösen Geschichte – das einen starke Empathie für die Täterin entwickeln lässt. Das Ende mutet umso tragischer an.
Wenngleich auch dieser Duisburger „Tatort“ inhaltlich im Prostitutionsgewerbe angesiedelt wurde – an dessen Menschenhandelsmethoden hier harsche Kritik geübt und das Publikum für diese negativen Begleitumstände sensibilisiert wird –, dient es diesmal als Aufhänger für eine private Tragödie, die den eigentlichen Reiz dieser Episode ausmacht: Der gerade erst aus der DDR emigrierten Renate Krößner bei der Verkörperung ihrer ambivalenten Rolle zuzusehen ist eine Wonne. Auch Schimanski, Thanner und Hänschen harmonieren, Pommesstreit hin oder her, über weiter Strecken diesmal prima miteinander, Schimmi springt gar behände auf Thanner Moped auf (und später in einen Zuhälterpool, ein sogar noch lässigerer Move). Nach „Midnight Lady“ in „Der Tausch“ schmachtet Chris Norman erneut eine Dieter-Bohlen-Komposition: „Broken Heroes“ als eine Art Erkennungsmelodie der Prinz ist sehr etwas omnipräsent, für eine Bohlen-Melodie aber relativ erträglich. Das horizontale Gewerbe beschert am Rande ein paar Oben-ohne-Szenen, die eigentlichen Schauwerte aber sind die Bildkompositionen dieses „Tatorts“. Apropos horizontal: Im Laufe der Jahre hat sich als eine Schwäche des Duisburg-„Tatorts“ die kaum vorhandene horizontale, also episodenübergreifende Erzählung herauskristallisiert: Mal hat Schimmi eine Freundin, die in der nächsten Folge mit keiner Silbe mehr erwähnt wird, mal taucht seine Patentochter auf, dann spielt diese mehrere Episoden lang keine Rolle mehr. Dass man derlei Ansätze nicht weiterverfolgen konnte, mag auch mit der eigenartigen Senderpolitik zusammenhängen, einen abgedrehten Fall zwei Jahre lang liegen zu lassen und später gedrehte vorher auszustrahlen. Eine episodenübergreifende Kontinuität aufzubauen fällt da naturgemäß schwer. Weniger schwer fällt die Bewertung dieser fast schon an südländisches Genrekino gemahnenden Episode: 7,5 von 10 Fritten sind da locker drin. Renate Krößner verstarb kürzlich, genauer: am 25. Mai 2020. Möge sie in Frieden ruhen.
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mo 29. Jun 2020, 22:41
von FarfallaInsanguinata
"Gebrochene Blüten" gefällt mir auch recht gut, wenngleich ich "Schimmis" Macho-Gehabe und dass er sich mal wieder von einer Verdächtigen um den Finger wickeln lässt, da schon recht überstrapaziert und abgenutzt fand.
Großes Plus dieser Episode sind neben dem tollen Plottwist aber natürlich die darstellerischen Leistungen von Renate Krößner, richtig klasse!
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Do 9. Jul 2020, 10:20
von buxtebrawler
Tatort: Einzelhaft
„Kennen Sie meine Akte?“
Der neunzehnte Fall der Duisburger-„Tatort“-Kripo um Kommissar Horst Schimanksi (Götz George) und seinen Kompagnon Christian Thanner (Eberhard Feik) wurde im Herbst 1987 und Januar 1988 unter Regie Theodor Kotullas, der bereits 1977 mit George für den Film „Aus einem deutschen Leben“ zusammengearbeitet hatte, nach einem Drehbuch Frank Göhres gedreht. „Einzelhaft“ blieb bis dato Kotullas einziger Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe, die Erstausstrahlung erfolgte am 21.08.1988.
„Hier in Duisburg haben wir längst die Mafiosis am Wirken!“
Rolf Vogtlaender (Franz Boehm, „Wallers letzter Gang“) sitzt wegen Mordes an seiner Frau Eva im Gefängnis, doch seine Tochter Ilona (Brigitte Karner, „Das zweite Gesicht“) ist von der Unschuld ihres Vaters überzeugt. Ihre privaten Nachforschungen bereiten Rolf Vogtlaender aber Bauchschmerzen, weshalb er Kommissar Schimanski bittet, auf seine Tochter einzuwirken, den Fall ruhen zu lassen. Damit hat er jedoch Schimanski angefixt, den eigentlich abgeschlossenen Fall noch einmal aufzurollen. Derweil wird eine Prostituierte erdrosselt aufgefunden. Thanner übernimmt die Ermittlungen und reagiert mit Unverständnis darauf, dass Schimanski sich lieber einem vermeintlich erledigten Fall widmet. Doch es scheint Zusammenhänge zu geben: Ilona, die sich als Taxifahrerin verdingt, kannte die Tote – und Unbekannte versuchen, nun auch sie umzubringen…
„Sein Schwanz wird ihm noch mal das Genick brechen!“
Nach diversen starken Beiträgen muss die Duisburger „Tatort“-Reihe hier einige Federn lassen: Schimmi ist nicht mehr nur das ungehobelte Raubein, sondern gegenüber Ilonas offenbar lesbischer Partnerin Petra (Maria Hartmann, „Kommissarin Heller“) regelrecht unangenehm sexistisch. Gänzlich aus der Rolle gefallen scheint Thanner: Der sitzt plötzlich wie ein Asi am Daddelautomat und benimmt sich einem türkischen Imbisswirt gegenüber wie ein Kotzbrocken. Später liefert sich Schimmi einen albernen Kampf auf einer Mauer und lässt sich im Anschluss die Fresse polieren – auch das passt so gar nicht zu ihm. Unverständlich zudem, dass es schon wieder aufs Rotlichtmilieu hinausläuft – man sollte meinen, dieses Feld hätte man in „Tatort“-Duisburg mittlerweile zur Genüge beackert. Was ist mit all den anderen Ruhrpott-spezifischen Themen, die manch Schimmi/Thanner-Fall so sehenswert gemacht hatten? Das hier jedenfalls ist alles andere als eine kreative Meisterleistung des Autors.
„Nutten! Zuhälter! Verrückte! Getobe! Geschrei! Ich will hier Ordnung! Und Ruhe! RUHE!“
Beim Fund der Prostituiertenleiche ist man kurz zu sinnieren geneigt, welch hübsche Leiche Ilona abgibt, doch handelt es sich gar nicht um sie – man hat aus welchen Gründen auch immer schlicht eine Komparsin gleichen Typs verpflichtet. Dies verwirrt unnötig innerhalb einer Handlung, die sich vorrangig um die Machenschaften der Stiefmutter Ilonas drehen sollte. Die Dame war offenbar recht umtriebig im Milieu und scheint auch über ihren Tod hinaus zu wirken. Leider ist manch Dialog nicht sonderlich gut zu verstehen, da der Ton mitunter arg verhallt oder auch vernuschelt ist. Apropos: Eine Art Lauschangriff startet auch Schimanski, der einen Frauen-CB-Funk abhört, jedoch schnell enttarnt wird. Immerhin darf er sich bei der Verfolgung eines Verbrechers einem coolen Autostunt hingeben.
Thanner hingegen fällt rücklings mit der Tür in eine Wohnung, landet aber bäuchlings auf einer Prostituierten – dieser Anschlussfehler ruiniert diesen Gag. Besser gelungen sind da die Tumulte auf der Wache, als gleich mehrere Huren auf einen Verdächtigen einprügeln. Thanner, noch immer der reinste Stinkstiefel, der in einer Art Sinnkrise zu stecken scheint, reicht es daraufhin: Er macht sich in einer Wutrede Luft – eine großartige Feik-Szene und einer der Höhepunkte dieser Episode.
Ein weiteres Todesopfer pflastert den weg zum Finale, das in seiner Ambivalenz perfekt zu diesem „Tatort“ passt: Alle noch lebenden wichtigen Figuren finden zusammen und erklären sich nach Vorbild von Agatha-Christie-Verfilmungen, doch die Wendung hin zu einer Familientragödie, die überraschenderweise Rolf Vogtlaender keinesfalls entlastet, ist nicht von schlechten Eltern. Davor lieferte der mit Vogelperspektiven, einigen schönen Noir-Bildern, netter, jazziger musikalischer Untermalung ein paar dramatisierenden Zeitlupen angereicherte „Einzelhaft“ jedoch leider nur relativ uninspirierte Durchschnittskost, die bisweilen schluderig inszeniert wurde und in Bezug auf wiederkehrende Figuren zu wenig Sorgfalt walten ließ. Schon noch ein solider ‘80er-TV-Krimi, aber der bisherige Tiefpunkt der Herren Schimanski und Thanner (was keinesfalls an den schauspielerischen Leistungen liegt).
Tragisch: Während der Dreharbeiten erlitt Eberhard Feik einen Herzinfarkt und musste sich einen Bypass legen lassen. Von einem weiteren Infarkt 1994 erholte er sich leider nicht mehr. Franz Boehm verstarb gar nur ein knappes Jahr nach Ausstrahlung dieses „Tatorts“, der offenbar unter keinem guten Stern stand...
Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Di 21. Jul 2020, 18:18
von buxtebrawler
Tatort: Moltke
„Die Drogenfahndung singt: ,Leise rieselt der Schnee‘…“
Nach dem Durchhänger mit der Episode „Einzelhaft“ riss der Stammregisseur und Miterfinder der Duisburger „Tatort“-Reihe um die Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik) wieder das Ruder herum: Hajo Gies verfilmte das Drehbuch des Autorentrios Axel Götz, Jan Hinter und Thomas Wesskamp mit viel Verve, woraufhin der am 28. Dezember 1988 erstausgestrahlte 20. Einsatz „Moltke“ sogar einen Grimme-Preis für Regie und Hauptdarsteller einheimste.
„Na dann: Frohes Fest!“
Duisburg, Vorweihnachtszeit: Thanner und Schimanski sind beim Weihnachtsbaumkauf, als sie im Kofferraum ihres Wagens den Immobilienbauherrn Gerd Gress (Jürgen Heinrich, „Der Himmel über Berlin“) gefesselt und geknebelt vorfinden. Man hat ihm eine Flasche Danziger Goldwasser mit hineingelegt, die Schimmi als Zeichen des jüngst nach Absitzen einer neunjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassenen polnischen Bankräubers Zbiginiew Pawlak (Hubert Kramar, „Karambolage“) deutet und Gress somit kein Wort glaubt, als dieser etwas von Skinheads fabuliert. Pawlak gehörte 1978 zu einer Gangsterbande, die eine Bank überfallen hat. Als sein Bruder, einer der Mittäter, angeschossen wurde und in die Fänge der Polizei zu geraten drohte, wurde er vom Anführer der Bande ermordet. Pawlak blieb am Tatort zurück und wurde als einziger gefasst und verurteilt. Seitdem hat er kein Wort mehr über den Bankraub verloren, was ihm seinen Spitznamen „Moltke“ einbrachte. Schimanski wähnt Pawlak auf einem Rachefeldzug gegen seine ehemaligen Komplizen und Gress als einen von ihnen, kann dies jedoch noch nicht beweisen. Gress‘ Anwalt Stefan Cantz (Gerd Silberbauer, „Der Landarzt“) holt ihn schnell wieder aus dem Verhör heraus, doch Schimanski heftet sich an den schweigsamen, aber umso entschlosseneren Pawlak. Dennoch kann er nicht verhindern, dass zwei der damaligen Mittäter ermordet werden, weshalb die Polizei um Schimmis Partner Thanner nun ebenfalls hinter Pawlak her ist…
„Ich glaube, ich war einfach zu feige, Gangster zu werden!“
Angesichts der hier ständig irgendwo im Hintergrund gesungenen Weihnachtslieder handelt es sich um einen regelrecht saisonalen „Tatort“, ein „Fest der Gnade“ feiert er über weite Strecken dennoch nicht. Die Ereignisse aus dem Jahre 1978 werden in einer Schwarzweiß-Rückblende nacherzählt, bevor sich Schimmi und Thanner in versöhnlichen Bildern mit der Unterwelt in einer Kneipe betrinken, wo Thanner gar mit Pawlaks Schwägerin Ariane (Iris Disse, „Die Katze“) anbändelt, bevor man betrunken durch die Straßen zieht. Natürlich handelt es sich dabei um streng dienstliche Ermittlungsarbeit, doch auch aus dem abgefüllten Pawlak ist nichts herauszubekommen. Im weiteren Verlauf wird Schimmi noch eine sagenhafte Show in einem Beach-Club abziehen, während Thanner die Düsseldorfer Drogendezernatsleitung angeboten wird.
„Die nächste Leiche kommt bestimmt!“
Spektakulär auch, wie Pawlak Schimanski in einen Käfig sperrt und Raubkatzen auf ihn hetzt – und wie wenig nachtragend der Beamte ist… Wesentlich genervter reagiert er darauf, dass Thanner ihm permanent dazwischengrätscht, indem dieser, koste es, was es wolle, Pawlak verhaften will. Generell ist mit Thanner diesmal nicht gut Kirschen essen; einem Kollegen droht er gar an, ihm die Fresse zu polieren. Dass Schimanski und Thanner also einmal mehr gegen- denn miteinander arbeiten, trägt ebenso zum Unterhaltungswert dieses „Tatorts“ bei wie der diesmal in erster Linie für trockene Sprüche und lakonischen Humor zuständige Hänschen („Wenn ganz Deutschland gegen dich ist – Holland steht hinter dir.“) und die ambivalente Figur des formidabel vom hünenhaften Hubert Kramar verkörperten Pawlak, der stoisch, festentschlossen und gefährlich, andererseits aber auch verletzlich und nicht unsympathisch wirkt.
„Wir sind kein richtiges Team mehr.“
Innerhalb der Handlung wird auf Grundlage der Gress-Figur nicht nur Kritik an unlauteren Immobiliengeschäften laut, gewissermaßen schlägt dieser „Tatort“ auch die Drücke von klassischen Gangstern mit ihren Raubüberfällen zu den Nobelverbrechern aus der Oberschicht, denn während Pawlak in den Knast wanderte und sein Bruder ermordet wurdet, sind die Komplizen die Treppen heraufgefallen und haben nun entsprechend viel zu verlieren. Statt nach unten tritt Schimanski nach oben und begibt sich auch damit in Gefahr. Und so ganz nebenbei maßregelt er auch noch ein paar halbstarke Nachwuchsfaschos. Ferner werden zumindest in Ansätzen Selbstjustiz und Religiosität thematisiert und miteinander in Verbindung gebracht. Das ist alles temporeich inszeniert und dramaturgisch gewitzt dargeboten, die Verleihung des Grimme-Preises ist gut nachvollziehbar. Einen halben Punkt Abzug gibt’s jedoch aufgrund des Dieter-Bohlen-Malus: Im von seinem „Blue System“-Projekt beigesteuerten Musikstück „Silent Water“ versucht er furchtbarerweise, wie Bonnie Tyler zu klingen und verdeutlicht, wie möchtegerntiefsinnig seine mit viel Hall und Synthies auf atmosphärisch getrimmte Komposition ist. Zu allem Überfluss hat er sich auch noch einen vollkommen überflüssigen Gastauftritt erschlichen, ist mit seiner Antifrisur aber zumindest für einen Lacher gut. Einen besseren Eindruck hinterlässt der junge Ludger Pistor („Balko“) in einer Nebenrolle. Daher 7,5 von 10 Immobilienhaien im Kofferraum für „Moltke“ und ein Duisburger „Tatort“-Team unter Gies in Topform!