Deliria över Düsseldorf: Forentreffen 2016
Nonnen bis auf Blut gequält
„Flavia – Leidensweg einer Nonne“ hat ja nicht nur gefühlte 50 unterschiedliche, deutsche Titel, sondern zählt gemeinhin auch zur Sperrspitze des „Nunploitation“-Genre, obwohl Mingozzis geschichtlich und literarisch inspirierter Streifen kaum etwas mit den üblichen und auf das männliche Publikum wohl eher zugeschnittenen Nonnen-Lesbelei-Filmchen aus der Italo-Kiste zu tun hat. „Nonnen bis aufs Blut gequält“ ist aber entgegen seinen reißerischen Titeln ein eher dramatischer Film über eine von der eigenen Familie als Nonne weggesperrte Frau, die sich gegen ihr zugedachtes Schicksal und gegen ein männliches System auflehnt. Dabei spannt der Streifen den Bogen vom geschichtlichen Drama mit Religionsthematik zum Exploitation-Film und bietet auch eine fiebrig-delirierende Szene, die den Zuschauer mit plättendender Symbolik konfrontiert. Vielleicht doch ein ungewöhnlicher Auftakt für das diesjährige Forentreffen, der nach fachkundig-fundierter und gleichzeitig wie immer sehr unterhaltsamer Einführung unseres werten Salvatore und einer kurzen Trailershow auf das zahlreich eingefundene Publikum losgelassen wurde. Die deutsche Kinofassung war auch nahezu vollständig und meinem Empfinden nach lediglich eine Gewaltspitze fiel der Schere zum Opfer, während andere, nicht minder herbe Szenen unangetastet blieben. Auch wenn „Flavia“ sicherlich nicht zu der Kategorie der Partyfilme zählt und vereinzelt beim Publikum noch immer starke Reaktionen verursacht, war es auch absolut großartig diesen Film mit der wunderbaren Florinda Bolkan einmal auf großer Leinwand und bis zum bitteren Ende seiner mutigen Protagonistin zu sehen.
Der Kampfgigant
Obwohl ich mit dem Kampfgiganten – siehe oben - ja erst 2015 das durchaus fragliche Vergnügen hatte, freute ich mich dennoch bereits auf die Auffrischung in Form des freitäglichen Zweitfilms, der uns nach eher schwerer Nonnen-Kost wieder in andere Stimmungsgefilden führen durften. Bruno Matteis Werke sind ja mittlerweile ohnehin gern gesehene (!) Stammgäste bei unseren Treffen und auch „Der Kampfgigant“ hat das Publikum natürlich nicht enttäuscht. Nach einer sympathischen Einleitung von Genre-Kenner Oliver Nöding, die krankheitsbedingt etwas anders als geplant ausfallen musste und einigen Trailern aus der Söldner- und Actionkiste entpuppte sich das Werk auch als Partyfilm, der das Publikum mit seiner überschwänglichen Testosteron-Action und Exploisions-Bombast auch mühelos zu Begeisterungstürmen und Spontan-Applaus hinreißen konnte. Der stoische Hauptdarsteller, die übertriebene Kawumm-Action zwischen militärischer Ernsthaftigkeit, Action-Diskont und Gaga, die dramatische Vater-Sohn-Beziehungskiste und die rasch aus dem Ärmel gezauberte weibliche Quoten-Figur mögen zwar erzählerisch nicht ganz ausgereift wirken, aber danach hat an diesem Freitagabend auch niemand verlangt. „Der Kampfgigant“ will auch gar nicht mehr sein, als voll und ganz auf eine auf das Actiongülle-Fanpublikum zugeschnittene Großpackung an unterhaltsamen Momenten und Ideen, bei der es auch weniger ins Gewicht fällt, dass Tempo, Witz und Tiefgang nicht die ganze Laufzeit gehalten werden können und die etwas aufgesetzt wirkenden Dispute zwischen Senator und dem Rest der militärischen Rasselbande der Spannung nicht gerade zuträglich sind. Dass es für mich so wirkte, dass der Streifen kein Ende findet, war aber wohl auch der zeitnahen Sichtung und der eigenen Müdigkeit geschuldet und hinterher gab es ja auch nur fröhliche Gesichter und Menschen zu betrachten, die sichtlich großen Spaß an dem schundigen Highlight, seinem Hauptdarsteller und diesem wunderbaren Abend hatten.
Mein Name ist Nobody
Nach einer eher kurzen Nacht, dem Besuch der Innenstadt und dem Filmmuseum, sowie leckerem Essen vom Koreaner stand am Samstagnachmittag dann mit „Mein Name ist Nobody“ auch ein Film am Programm, der bei mir als kritischer Westernkonsument natürlich bereits im Vorfeld keine Begeisterungsstürme auslösen konnte. Auch dieser Streifen des erst kürzlich verstorbenen Tonino Valerii konnte mich und meine gemeinhin bekannten Aversionen gegenüber dem Genre nicht bekehren und die charmante Einleitung von Marco und Stefan und die Musik von Ennio Morricone fand ich noch Besten, während mich der Film trotz versuchter Unvoreingenommenheit und der davor natürlich geschickt platzierten Bud Spencer & Terence Hill-Trailershow weder begeistern, noch überzeugen konnte. Die Mischung aus episch angelegten Western, Slapstick-Comedy und Drama mit existenziellen Zügen über einen alternden, abgekämpften und müden Helden und seinem jugendlichen, schlitzohrigen und ambitionierten Gegenstück hat jedenfalls nicht so wirklich gezündet und ich fand die unterschiedlichen Elemente in diesem ebenfalls viel zu lang ausgefallenen Film aus vielerlei Gründen auch mehr schlecht als recht zusammengebracht und auch noch von einer meines Erachtens leider sehr unsympathischen Szene gekrönt wurde, in der reihenweise Pferde zu Fall gebracht wurden. Also eher kein Highlight wie eine „glitzernde Bordelltüre“, sondern eher ein Fall für die hinteren Ränge meiner bescheidenen Western-Liste. Anscheinend war ich aber ohnehin der Einzige im Saal, der den Streifen nicht schon seit Kindestagen an kannte und so standen die Reaktionen des bunt zusammengewürfelten Publikums auch gänzlich im Widerspruch zu meinen eigenen Eindrücken.
Der Gorilla
Mit „Der Gorilla“ stand am zweiten Tag des diesjährigen Treffens in Düsseldorf dann auch ein Streifen am Programm, den wohl nur die Wenigsten kannten, die Neugier entsprechend groß war und der sich dann auch als das absolute Highlight dieses Jahres entpuppte. Nach einem für Action-Verhältnisse eher zurückhaltenden Start als Drama über einen Ex-Stuntmen, der sich sein Geld als Personenbeschützer verdienen muss und mit den Widrigkeiten seines Berufs und der Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber erpresserischen Banden hadert, geht „Der Gorilla“ in der zweiten Halbzeit ja völlig durch die Decke und lässt den Zuschauer fassungslos und geplättet zurück. Zuerst mit seiner sauspannenden Fahrstuhl-Szene, die auch ein Hitchcock nicht viel besser hinbekommen hätte und weil das noch nicht reicht, gibt es dann noch ein Entführungs-Finale, dass mit seinem menschenfeindlichen Zynismus kaum zu überbieten ist und dem zahlreich anwesenden Zuschauern reihenweise die Kinnlade runter klappen ließ. So etwas hätten wohl die wenigsten erwartet und auch meine Begeisterung kennt zwei Tage später noch keine Grenzen, was natürlich auch an der wunderbar erhaltenden Kopie lag, die im Rahmen des „Deliria över Düsseldorf“ erstmalig (!) im deutschen Kino gezeigt wurde. Mit meinen Eindrücken war ich ja nicht alleine und ich denke alle, die an diesem Samstagabend die „Black Box“ beim Filmmuseum verließen waren wohl von diesem - vom breiten Publikum bislang so sträflich vernachlässigten - Streifen aus der Italo-Kiste begeistert. Hier sollte – nein MUSS – es schleunigst ein würdiges Release geben und so sorgte auch der vierte und letzte Film des Forentreffens und dieses Mal sehr breit gefächerten Streifzugs durch das italienische Genre-Kino um mich herum für freudestrahlende und zufriedene Gesichter, die sich wohl so wie ich bereits auf das nächste Jahr und Treffen in Berlin freuen.