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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 15. Aug 2023, 06:16
von Maulwurf
Il corpo – Geschändetes Fleisch (Luigi Scattini, 1974) 5/10

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Nur die Sonne ist Zeuge wenn der Postmann zweimal klingt. Der ältere Alkoholiker Antoine lebt mit einer attraktiven Schwarzen, die er nur Prinzessin nennt, auf einer Insel. Er lernt den jungen und attraktiven Alain kennen und nimmt ihn mit zu sich nach Hause, damit dieser ein wenig Geld bei ihm verdienen kann. Ein gestrauchelter Mann und ein liebeshungriger Mann, die beide um eine wunderschöne und gefühlvolle Frau rivalisieren – Noch Fragen?

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Gegen Ende gibt es da diese Szene, die in ihrer Schönheit und Verzweiflung das gesamte italienische Kino dieser Zeit repräsentiert. Antoine, Prinzessin und Alain haben jeder eine Flasche Rum in sich reingekippt, und dann das Spiel Lüge oder Wahrheit gespielt. Jetzt sind sie am Strand und versuchen, ein Boot seeklar zu machen um ein wenig zu schippern. In der Hauptsache aber tanzen sie, schütten sich gegenseitig Rum über den Körper, und haben Spaß, während darüber eine leichte und swingende Karibik-Version von Timmy Thomas‘ Why can’t we live together schwebt. In dieser kurzen Sequenz steckt so viel Lebenslust, so viel reine und gierige Sexualität, und unter der Oberfläche gleichzeitig lauernd eine so enorme Gewalt, dass man selbst vor dem Bildschirm ob dieser Emotionalität erschauert. Die Szene hat keinen wirklichen Sinn, und sie bringt die Geschichte auch nicht weiter. Sie ist wunderschön anzuschauen, sie lebt von transportierten Gefühlen, und sie endet im Nichts. Et voilà, die Bestandsaufnahme des italienischen Genrekinos zu Beginn der zweiten Hälfte der 70er-Jahre ist vollbracht.

Denn wenn man ehrlich ist, dann ist IL CORPO nur ein hübsches Stückchen Nichts, garniert mit den Brüsten von Zeudi Araya und der Schauspielkunst Enrico Maria Salernos, perfekt eingerahmt von einem groovigen Easy Listening-Score von Piero Umiliani. Die Bilder der Insel Trinidad transportieren ein gewisses Urlaubsflair, würden mich aber beileibe nicht dazu bringen dort auch wirklich hinzufahren. Die Handlung, laut Regisseur angelehnt an den Krimiklassiker WENN DER POSTMANN ZWEIMAL KLINGELT, plätschert vor allem zu Beginn längere Zeit vor sich hin und schafft es nicht, nennenswerte Höhepunkte zu setzen. Erst wenn das Verhältnis zwischen Alain und der Prinzessin allmählich in Fahrt kommt baut sich Spannung auf, fragt man sich unweigerlich, ob bei dem ganzen Geschmuse und Gebumse nicht irgendwann Antoine überraschend da stehen wird. Und erst das letzte Drittel des Films überzeugt wirklich mit solchen Dingen wie Atmosphäre und grundlegender Spannung, doch der Deus Ex Machina-Schluss zerstört dann wiederum sehr vieles der aufgebauten Stimmung.

Und auch aus diesem Grund komme ich immer wieder auf diese Szene am Strand zurück: Wie die italienischen Filmschaffenden, so tanzen auch die drei Protagonisten ausgelassen am Meer, während am Hintergrund bereits die Nacht dräut, und schon kurze Zeit nach diesem Tanz der Untergang droht. Wir wissen zwar nicht wohin wir wollen, das aber mit unserer ganzen Kraft scheinen sie zu sagen, und wenn uns gar nichts mehr einfällt haben wir immer noch den makellosen Körper von Zeudi Araya, wie er sich im Liebeswahn unter den Küssen eines attraktiven Mannes räkelt und windet.

Wie bereits erwähnt ist IL CORPO hübsch anzuschauen, und mit ein klein wenig Mühe (oder einem Glas Rum. Oder zweien …) auch gut durchzustehen. Prinzessin Araya und der hinreißende Soundtrack sorgen für das Vergnügen, und die beiden älter gewordenen Enrico Maria Salerno und Carroll Baker haben einige sehr drollige Blicke im Repertoire, die ganz klar Nach den Dreharbeiten sollten wir einfach hier bleiben und uns zur Ruhe setzen sagen. Leonard Mann macht seine Sache sehr gut und sein sensibles Spiel erinnert mich oft an Montgomery Clift, aber vielleicht wäre mir die Physis eines, sagen wir, Joe Dallesandro doch lieber gewesen, um dem Film einfach mehr Schmackes zu geben. So dümpelt das Schiff halt doch relativ lange orientierungslos dahin, ohne dass der Kompass eine vernünftige Richtung vorgeben mag. Wie die italienische Filmwirtschaft zu dieser Zeit eben auch …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 18. Aug 2023, 05:00
von Maulwurf
Liebesgrüße aus Moskau (Terence Young, 1963) 8/10

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Eine russische Verschlüsselungsexpertin hat sich unsterblich in das Foto von James Bond verliebt, und will deswegen überlaufen. Im Handgepäck eine russische Verschlüsselungsmaschine, nach der sich der Westen schon lange sehnt. Eine Falle ganz klar, aber es könnte natürlich auch was dran sein. Also wird James Bond nach Istanbul geschickt, Überläuferin und Verschlüsselungsmaschine zu besorgen. Dass hinter der Sache gar nicht die Russen stecken sondern eine viel mächtigere Organisation, die West und Ost geschickt gegeneinander ausspielt, das merkt selbst der gewiefte Bond nicht.

Das Genre des Euro-Spys, in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre einige Zeit ziemlich beliebt, finde ich ja eigentlich ganz knorke. Beileibe nicht alle Filme, aber doch so einige Streifen sind flotte und auch heute noch gut unterhaltende Reißer im Fahrwasser des großen James Bond. Aber wenn man sich dann nach langer Zeit mal wieder einen frühen Bond anschaut, dann erkennt man doch recht schnell den Unterschied zwischen dem teuren Original und der billigen Kopie. Und damit meine ich nicht nur die herausragenden Schauspieler, die LIEBESGRÜSSE bevölkern! Die auch, ganz klar, aber vor allem lässt Terence Young sich die Zeit, seine Geschichte auch wirklich zu erzählen. Er schickt den Helden nicht einfach nur durch die Weltgeschichte, mondäne Schauplätze abklappern, Schurken wegputzen und Mädels vernaschen, als Tour de Force von Actionszene zu Techtelmechtel und wieder retour. Ganz im Gegenteil werden in LIEBESGRÜSSE sogar die Beziehungen zwischen den Figuren beleuchtet. Dem Mann des türkischen Geheimdienstes zum Beispiel, Ali Kerim Bey, wird mit wenigen und einfachen Anekdötchen ein komplettes Hintergrundbild gegeben, das die Freundschaft zu Bond in ein warmes und angenehmes Licht taucht, und die Figur sehr menschlich und real werden lässt. Oder die Überläuferin, Tatiana Romanova, die nicht nur eine von vielen Bettgenossin Bonds ist, sondern bei allen plakativen und zur Schau getragenen Liebesschwüren trotzdem eine recht komplizierte Beziehung zu Bond hat, dem der Job hier ganz klar vor dem Sex rangiert. Menschliche und emotionale Dinge eben, und nicht nur technokratisches Einerlei.

Und wenn man sich dann noch vor Augen hält, dass alle diese Merkmale guter Filmunterhaltung nicht nur von den Euro-Spy-Kopien ignoriert werden, sondern gerade auch von den späteren Bond-Filmen, die allerspätestens ab den 70ern genau diese Punkte wegließen und sich mehr oder weniger auf ein Haudrauf- und Gadget-Feuerwerk konzentrierten, dann ist ein Film wie LIEBESGRÜSSE erst recht etwas zum Wohlfühlen und daran wärmen. Eine einfache und spannende Geschichte, tolle und sympathische Schauspieler, ein einziger exotischer Schauplatz, gute Musik – Und völlig ohne Küchenpsychologie. Es könnte doch so einfach sein, einen erstklassigen und nach vorne losgehenden Agententhriller zu drehen. Und es hat auch seinen Grund, dass LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU sich wacker in meinen Top-3-Bonds hält …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 21. Aug 2023, 04:59
von Maulwurf
Ruhet in Frieden - A Walk Among The Tombstones (Scott Frank, 2014) 7/10

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Eigentlich ist das eine recht geschickte Geschäftsidee: Die Frau eines Großdealers entführen und gegen Geld wieder freilassen. Man kann davon ausgehen, dass der Dealer nicht die Polizei einschaltet, und das Geschäft in Ruhe über die Bühne gehen kann. Allerdings ist dies nur die halbe Wahrheit – In Wirklichkeit haben die Typen, die hinter der Entführung stehen, niemals die Absicht gehabt, die Frau wieder freizulassen. Im Gegenteil wird sie noch während der Entführung getötet, und das in einem Stil, für den das Wort Bestialisch nicht mal ansatzweise eine Beschreibung ist.
Der Dealer, Kenny Kristo, engagiert über seinen drogenabhängigen Bruder den Ex-Cop und ohne Lizenz ermittelnden Privatdetektiv Scudder. Und Scudder findet bald heraus, dass Kenny nicht der einzige ist, dessen Frau entführt und viehisch abgeschlachtet wurde. Scudder kennt viele Leute in New York, und weil es ihn offiziell kaum gibt, und weil Scudder jeden ernst nimmt, mit dem er zu tun hat, haben die Leute im Umkehrschluss auch Vertrauen zu Scudder. Und melden sich bei ihm, wenn wieder eine Frau entführt wird. Dieses Mal ist es die 14-jährige Tochter eines Russen. Scudder stellt ein „Team“ zusammen, bestehend aus einem halbwüchsigen Straßenjungen, einem Dealer und einem Junkie. Und geht damit gegen zwei kranke Irre vor, die entführte Frauen stückchenweise über die Stadt verteilen …

Klingt irgendwie … krank …, diese Inhaltsangabe. Da könnte man einen Slasher draus machen, einen bluttriefenden und effektstrotzenden SAW-Nachzügler, oder halt einfach einen ekelhaften und völlig verschmodderten Film. Und was macht Regisseur Scott Frank? Da möchte ich mich aus meinem Text zu Franks Erstling DIE REGELN DER GEWALT von 2007 selber zitieren: „Mir gefällt, wie Scott Frank sich die Zeit nimmt um die Charaktere einzuführen, die Geschichte von Grund auf aufzubauen, und einfach Wert legt auf klassisch-altmodisches Storytelling. Mir gefällt, wie die Schauspieler [..] mit ihren Rollen verwachsen und das Leben am Rand der Gesellschaft so natürlich darstellen, als würde es kein anderes geben. [..] Ein ruhiges und sich geschickt steigerndes Krimi-Drama, das mit einer unglaublichen Logik zielsicher auf einen bleihaltigen Schluss hinsteuert.“ Der Schluss ist hier allerdings nicht bleihaltig sondern vielmehr gewalttätig, was zu RUHET IN FRIEDEN auch erheblicher besser passt. Aber sonst sehe ich in diesen beiden Filmen einen Regisseur am Werk, der fast unter dem Radar ruhige und gleichzeitig gewaltstrotzende Großstadtdramen mit einer Selbstverständlichkeit inszeniert, die einen staunen lässt. Liam Neeson läuft durch die Straßen, er redet, er schaut seinen Liam Neeson-Blick, er läuft, er redet … Und dabei steigt ganz unmerklich die Spannung, sammeln wir gemeinsam mit ihm Bruchstücke von Informationen, die ganz allmählich den Blick auf ein Verbrechen lenken, dessen Monstrosität schaudern lässt. Auch ganz ohne blutige Details, und gerade deswegen. Niemand muss sehen, wie Leila Alvarez wirklich zu Tode gekommen ist – Das, was wir sehen, und was damit das Kopfkino auslöst, das reicht vollkommen zum Fürchten.

Zwar scheint die eine oder andere kleine Episode überflüssig, und sind nicht alle Gespräche immer zielführend, aber im Gesamtbild ergänzt sich das alles zu einem großen und schmutzigen Gemälde einer großen und schmutzigen Stadt, in der viele Menschen leben und dies vor allem nebeneinander her. Wenn man sich dieses Gemälde dann genauer anschaut fällt auf, dass der Film sehr viel mit der Vorspiegelung von Tatsachen, mit Lügen und mit Scheingebilden zu tun hat: Der Detektiv der so tut als ob er ein Cop wäre, der aber nicht einmal eine Lizenz zum privaten Schnüffeln hat. Die Dealer die so tun als wären sie Bauunternehmer oder Schauspieler (und im Grunde ihres Herzens beide gutbürgerlich sind). Der taffe Straßenjunge TJ der so tut als ob er der megacoole Gangstarapper ist, und hinter dessen rauer Schale sich viel Talent und noch viel mehr Angst versteckt. Die Killer die so tun als ob sie DEA-Agenten seien. Jeder hat seine Fassade, und jeder meint, dass er sein wahres Ich verbergen muss. Der Titel, A WALK AMONG THE TOMBSTONES, könnte sich also auch auf diese steinernen Mienen beziehen, auf diese Fassaden die etwas Kaltes und Abweisendes darstellen sollen, während doch tatsächlich in jedem Menschen die Gefühle brodeln. Scudder kommt nicht so richtig damit klar, dass er einmal aus Versehen ein Kind erschossen hat. Die Dealer kommen nicht damit klar, dass ihre Familienangehörigen entführt und zerstückelt werden. Und Peter, der kleine Bruder von Kenny Kristo, kommt mit seinem ganzen Leben nicht klar und ist an der Nadel gelandet, trotz allerbester Grundvoraussetzungen. Als echter Straßenjunge hat TJ wahrscheinlich am meisten Übung darin, sein wahres Ich zu verschleiern, und seine Angst zu übertünchen. Die Angst, im Regen zu stehen, und an seiner seltenen und brandgefährlichen Krankheit zu sterben …

Scudder bewegt sich souverän zwischen all diesen Grabsteinen menschlicher Existenz, und gerade diese Souveränität ist das was den Film ausmacht. Es gibt der Handlung bei all ihrer Kälte eine menschliche Note, Scudder scheint wie der einzige Mensch zwischen Toten. Oder eben zwischen Grabsteinen. Und jeder, mit dem er spricht, taut ein kleines bisschen auf, und jeder sieht ein wenig von seiner Fassade bröckeln, von seinem eigenen Grabstein absplittern. Das ist, neben der coolen und spannenden Krimihandlung das Schöne an diesem Film – Dass er seine wenigen Knalleffekte gekonnt und zielsicher verteilt, und dazwischen eine richtige Geschichte erzählt. Eine Kunst, die in den 2010-er Jahren der Filmgeschichte allmählich immer seltener wird …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 24. Aug 2023, 05:10
von Maulwurf
Sinfonía erótica (Jess Franco, 1979) 7/10

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Gerade habe ich erst die Besprechung über Jess Francos träumerisches Meisterwerk MANSION OF THE LIVING DEAD beendet, da kommt mir, fast aus der gleichen Zeit, wieder so ein entrückt-idyllischer Film unter, der fast genauso mit den Ebenen aus Traum und Realität spielt. SINFONÍA ERÓTICA scheint dabei ein wenig wie das Atemholen vor der Zeit der Golden Films-Ära zu sein, sind hier doch viele Aspekte bereits vorhanden, die in den kommenden Jahren in Francos Filmen eine Rolle spielen werden. Die idyllischen Schwenks über das Meer, lang ausgespielte und dunkel-kraftvolle Sexszenen, die sehr intensiv sowohl für die Darsteller wie auch für den Zuschauer schnell auch mal an den Nerven zerren können, und natürlich eben diese Nicht-Unterscheidung zwischen den verschiedenen Welten.

Die Marquise Martine Bressac kommt nach drei Jahren Klinikaufenthalt wieder zurück in das Schloss ihres Mannes. Was Martine in das Krankenhaus gebracht hat können wir spätestens dann erahnen, wenn wir ihren Göttergatten Armando im frivolen Spiel mit einem anderen Mann sehen, dem mit einem erotischen und gleichzeitig brutalen Unterton versehenen Flor. Allerdings lernen wir auch recht bald, dass die Syphilis im Hause Bressac erblich ist, und Armando seine Göttergattin bereits vor langer Zeit angesteckt hat, was bei ihr zu einer gewissen geistigen Verwirrung in Tateinheit mit grenzen- und zügelloser Geilheit einhergeht. Parallel zu dieser Geschichte allerdings finden Armando und Flor gerade eine bewusstlose Nonne, die offensichtlich aus einem Konvent geflüchtet ist und sich dabei schwer verletzt hat. Zwischen den Beinen. Es ist natürlich klar was die beiden Lüstlinge mit dem Mädchen als allererstes anstellen, aber auch Martine will ihre Lust ausleben …

Martine ist in ihren Armando zwar immer noch verliebt, der aber zieht es vor sie zu ignorieren („Ich bin Deine Frau, wenn Du es nicht vergessen hast.“ „Unglücklicherweise habe ich es nicht vergessen.“). Die Nonne, Norma, wird zur Bediensteten gemacht und bringt Martine nun, genauso wie es in Francis Lerois JE SUIS À PRENDRE aus dem Vorjahr geschieht, jeden Tag ein Glas Milch, welches mit einer luststeigernden Substanz versehen wurde. Denn der Arzt, der sich unter der Kontrolle Armandos befindet, hat attestiert, dass jede Aufregung Martine umbringen könnte. Und ja, dazu gehört auch ein sexueller Rausch. Was liegt also näher, als Martine so oft wie möglich geil zu machen? Denn Martine hat Geld, sehr viel Geld, und Armando, Flor und Norma könnten ein wenig Reichtum schon gut brauchen …

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Das ganze klingt erstmal nach einem typischen Franco-Stoff, grundsätzlich basierend auf Ideen des Marquis de Sade, und mit ein wenig nackter Lina Romay und viel Hysterie gewürzt. Aber die Umsetzung zeigt sich dann doch ein wenig anders als erwartet: Der Score besteht zum großen Teil aus Franz Liszts Konzert Nr. 4 für Klavier und Orchester, öfters einmal unterbrochen von dissonanten Keyboardklängen, und wo der Klassikpart eine oft ruhige und wenngleich auch nicht immer passende edle Stimmung erzeugt, da brechen die Dissonanzen des Keyboards umso stärker ein und erzeugen ein deutliches Unwohlsein, einhergehend mit der Verwirrung und Desorientierung Martines. Denn es ist nicht immer klar, ob Martine gerade etwas Wirkliches erlebt, oder ob sie sich das nur einbildet. Oder träumt sie vielleicht nur? Ihr erster Sex mit Norma findet noch in deren Krankenbett statt, die unterlegten akustischen Verdopplungen deuten aber daraufhin, dass sie sich diesen Sex in Wirklichkeit möglicherweise nur einbilden könnte. Doch was ist mit der Gewalt, die Armando und Flor gegen sie anwenden? Die Bilder sind so unscharf, die Kamera ist so unentschieden, dass sogar diese Sequenz als Traum durchgehen könnte. Spätestens gegen Ende neigt dann sogar der Zuschauer zu der Frage, ob er nicht vielleicht einem Traumspiel zuschaut, einem Vexierspiel zwischen verschiedenen Ebenen, dessen einziges Ziel es ist, Lust und Schmerz auf bestechende und grausame Weise miteinander zu verbinden. Denn auch wenn Martine geistig eher zu den Weggetreteneren gehört, so liegt unsere Sympathie doch ganz klar bei ihr, und nicht bei den anderen, wesentlich degenerierteren Figuren.

Gerade die Verbindung zwischen Sex und Gewalt, beides mit großer Leidenschaft verbunden, ist auffällig. Wenn Martine im Rausch Norma fellatiert, ja fast vergewaltigt, dann schaut das fast so aus als ob sie Stücke aus der Vulva Normas herausbeißt, und wenn sich Martine gegen Ende selbst befriedigt, dann treten Armando und Flor mit der Ausstrahlung echter Droogies in den Raum. Ihre Aura ist hart und böse, und ihre Blicke verächtlich. Zu dieser Stimmung passend findet die Vergewaltigung Normas durch Armando und Flor gleich zu Beginn statt, nachdem sie von den beiden gefunden und in ein Bett im Schloss gebracht wurden – Norma hat Blut zwischen den Beinen und ist sichtlich verwirrt, und die beiden Männer drücken ihre Lippen auf Normas Mund und nehmen ihr sichtlich den Atem, während sie gleichzeitig permanent an den wunden Geschlechtsteilen Normas herummachen - Eine klare BDSM-Nummer.

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Auf der andern Seite dann wieder Martine, die mit einem Blick wie ein waidwundes Reh durch das Schloss huscht, und irgendwie der personifizierte Schmerz ist. Kein Wunder dass Armando sie geheiratet hat, steht er doch offensichtlich darauf, Schmerz zuzufügen. Martine leidet wenn Armando da ist, sie leidet wenn er nicht da ist, und irgendwie scheint sich die ganze Welt gegen sie verschworen zu haben. Dass der Arzt, der einzige Mann dem sie vertraut, ein doppeltes Spiel spielt, schmerzt den Zuschauer dann umso mehr, genauso wie die Ermordung Wandas, Martines einziger weiblicher Vertrauten. Lina Romay legt unendlich viel Gefühl in ihr Spiel, und sie lässt ihre gesamte Sensibilität nach außen. Umso brachialer wirken dann ihre Masturbationsszenen, die nichts mehr haben von der Verletzlichkeit einer einsamen Frau, sondern die auf das abzielen, was Masturbation im Normalfall ja auch ist: Harter, nackter, verzweifelter Sex.

SINFONÍA ERÓTICA ist also letzten Endes eine Suche nach der Balance zwischen Zärtlichkeit und Gewalt, zwischen Lohn und Bestrafung, zwischen Liebe und Tod. Das geht soweit, dass sogar der Kutscher, der Wanda zum Arzt fährt, mit dem Namen Eros angesprochen wird, der aber just in diesem Moment sichtlich das Haus verlässt. Zugunsten des Todes? Die klassische Musik unterstreicht dabei den zärtlichen und oft aristokratischen Teil, während die Keyboardklänge die Aggression und das Brutale herausstreichen. Das Tempo des Films ist dabei grundlegend langsam, und fast wie in einem Traum bewegen die Figuren sich langsam von einer Szene zu anderen. Dem Innenraum des Schlosses selber mit seinem langen Treppenhaus kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen dem Himmel (Martines Schlafgemach liegt im oberen Stockwerk) und der Hölle (Armandos Lustzimmer sind im Erdgeschoss zu finden) die Verbindung darzustellen. Die geradezu engelshaft dargestellte Martine muss also in die Hölle hinabsteigen, um ihre Lust stillen zu können –Ein gemeiner Einfall Francos, dem gegenüber die Ex-Nonne Norma steht, die als früheres Geschöpf des Himmels zuerst in die unteren Räume kommt, später dann aber als Sendbote des Bösen nach oben darf und Martine mit dem Gift versorgt.

Und wenn jetzt noch das Tempo ein ganz klein wenig höher wäre, wirklich nur ein bisschen, und wenn Musik und Handlung besser zusammenpassen würden, dann wäre ich mit diesem Film mehr als glücklich gewesen. Aber die Verbindung zwischen klassischer Musik und Sex hat Franco bei allem guten Willen nie richtig beherrscht (und wird sie am Ende seiner Karriere in CRYPT OF THE DAMNED dann so komplett versemmeln, dass der eh schon langweilige Film völlig den Bach runtergeht), und die Kameraführung, die in einigen Momenten an Sternstunden großartigen Kinos erinnert, ist an anderen Stellen so Franco-typisch verworren und unscharf, dass man am liebsten hingreifen und dem Mann die Kamera wegnehmen möchte. Trotzdem, der Gesamteindruck ist, wenn man für diese Art Film etwas übrig hat, sehr schön, und im Kino dürfte SINFONÍA ERÓTICA genau dieses sein: Ein sinfonisch-erotisches Gedicht voller Schmerz und Tod …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 27. Aug 2023, 07:01
von Maulwurf
Mystery of the wax museum (Michael Curtiz, 1933) 6/10

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Ivan Igor ist ein großer Künstler, ein Bildhauer, und seine größte Kunst besteht darin, Wachsfiguren zu modellieren, die so unglaublich lebensecht wirken … Fast zum Verwechseln echt. Vor 12 Jahren war er noch in London, aber da ist sein Museum einem Brand zum Opfer gefallen, den sein verbrecherischer Partner gelegt hat. Bei diesem Brand wurde Igor auch verkrüppelt, seine Hände sind nur noch nutzlose Klumpen Fleisch, und nun muss er mal mehr und mal weniger begabte Künstler anleiten, wie sie zu modellieren haben. Doch könnte es vielleicht sein, dass diese zum Verwechseln ähnlichen Puppen mit der Serie von verschwundenen Leichen in New York zu tun haben? Die rasende Reporterin Florence Dempsey ermittelt. Und zwar gegen die Zeit, gegen den Willen ihres Chefredakteurs, und gegen das Wohlwollen des Zuschauers …

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Denn auch wenn es in dieser Zeit üblich war, einen Reporter wenn schon nicht in das Zentrum einer Geschichte, so doch zumindest als komischen Sidekick in jeden Film einzubauen, so nervt dies aus heutiger Sicht schon irgendwann. OK, Glenda Farrell hat als Florence Dempsey durchaus einen gewissen burschikosen Charme, und mit ihrer Maschinengewehrschnauze hat sie dem Kollegen in DOCTOR X zumindest die besseren Gags voraus, aber sonst …?

Sonst muss man feststellen, dass das Team Michael Curtiz, Lionel Atwill und Fay Wray, zusammen mit Art Director Anton Grot und Kameramann Ray Rennahan, etwas früher im Jahr 1933 mit DOCTOR X den besseren Film abgeliefert hat. Dieser stellt gekonnt gotischen Grusel neben das Ambiente eines Mad Scientist, stellt ein schauriges Monster gegen eine starke Fay Wray, und kann durch einen langsameren Aufbau gehörig Stimmung aufbauen.

WACHSFIGURENKABINETT drückt hingegen ab dem Schwenk ins Jahr 1933 und nach New York auf das Gaspedal als gäbe es kein morgen. Die Schnittfrequenz ist sehr hoch, aus heutiger Sicht geradezu modern, was aber der Atmosphäre leider etwas abkömmlich ist. Der Teaser, das London des Jahres 1921, kommt düster und bedrohlich rüber, eine Kutsche die im strömenden Regen altmodisch gekleidete Gentlemen entlässt, welche dann durch ein ausführlich erklärtes Panoptikum aus historischen Gestalten geschickt werden, dieser Teaser baut geschickt eine unheimliche Stimmung auf. Wenn die Wachsfiguren dann im Feuer schmelzen und dabei fast zu weinen scheinen, zeigt sich Michael Curtiz auf der Höhe seiner Regiekunst und der auf den Zuschauer übertragenen Emotionen.

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Doch wie gesagt, sobald wir das New York des Jahres 1933 betreten ist das alles vorbei. Das Wachsfigurenkabinett ist groß, modern und hell, die Charaktere sind nervig oder hektisch oder alles beides zugleich, und die Kodderschnauze von Fr. Farrell vertreibt schnellstens auch den letzten Rest von gotischem Flair.

Fay Wray, die in DOCTOR X so sympathisch und anziehend wirkte, hat in WACHSFIGURENKABINETT den deutlich kleineren und blasseren Part, der ihr keine wirkliche Möglichkeit gibt sich zu entfalten. Einzig Lionel Atwill als Ivan Igor wirkt sinister und makaber, ja fast diabolisch. Aber Glenda Farrell schwatzt auch ihn in Grund und Boden, und bei aller anfänglichen Sympathie für diese Figur – Irgendwann nervt die Dame zunehmend.

Angenehmerweise zieht in genau diesem Augenblick die Handlung ein wenig an, betreten wir dunkle Keller und mutmaßlichen Leichenkisten, und lernen wir den drogenabhängigen Professor Darcy kennen, der allein durch sein Gesicht mehr Präsenz zeigt als Machine Gun-Glenda Farrell.

Aber irgendwie schien Michael Curtiz hier eher einen modernen Großstadtthriller drehen zu wollen als einen Gruselfilm, was ja auch zur Filmpolitik des Studios passen würde – Warner Brothers waren zu dieser Zeit mehr für Gangster- und Großstadtfilme zuständig, die Monster kamen ja eher von den Kollegen von Universal. Und wenn man sich die Bilder des Films so anschaut, die Ereignisse rund um Silvester oder das zweifelhafte Verhalten der Polizisten, dann ahnt man, dass hier eigentlich etwas ganz anderes hätte gedreht werden sollen. Oder können …

Nichtsdestotrotz ist WACHSFIGURENKABINETT ein guter Film. Er ist, obwohl man die Auflösung natürlich sehr schnell ahnt, recht spannend, und gerade durch das hohe Tempo kommt man auch nicht dazu, sich ernsthafte (soll heißen: abwertende) Gedanken zu machen. Die Farbgebung - WACHSFIGURENKABINETT war der letzte Film, der im sogenannten Zwei-Farb-Technicolor gedreht wurde - sorgt für eine durchgehende unwirkliche Stimmung, und gerade die starke Kameraführung generiert vor allem im Showdown einige Highlights bei den Set Pieces. In seinen guten Momenten ist der Film hochgradig emotional und gruselig, aber leider hat es da auch einiges an weniger guten Momenten. Und etwas weniger Glenda Farrell und ein klein wenig mehr Lionel Atwill hätte dem Film sicher besser getan…

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 30. Aug 2023, 05:09
von Maulwurf
Hell’s highway (Rowland Brown, 1932) 7/10

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Irgendwo in der Einöde baut eine Chain Gang, also eine Gruppe Strafarbeiter, eine Straße durch die Wüste. Die Tage bestehen aus dem Klopfen von Steinen, der Hitze, dem miesen Fraß, und den Attacken der sadistischen Wärter. Wer in der Hitze zusammenbricht oder aufbegehrt kommt in das „Hospital“, wie die Wärter es nennen: Eine sogenannte „Sweat Box“ aus Metall, in welcher der Delinquent gefesselt und bei extremen Temperaturen, Dehydrierung und Hitzestau etwas entgegendämmert, was auch ein langsamer Tod sein kann. Der junge Carter stirbt auf diese Weise, und der Gouverneur schickt einen Undercoveragenten in das Straflager, der herausfinden soll, was es mit dem Tod Carters auf sich hat.
Unter den Gefangenen ist Duke Ellis eine große Nummer. Er ist hart, auch gegen sich selbst, und vor allem ist er fair. Deswegen hat er sogar bei den Wärtern einen guten Ruf. Eines Nachts will er ausbrechen, doch im letzten Augenblick sieht er, dass unter den Neuankömmlingen sein kleiner Bruder Johnny ist. Duke entscheidet sich, im Lager zu bleiben, und auf Johnny aufzupassen. Der aber hat durchaus seinen eigenen Kopf und schafft es, ein Gewehr an sich zu bringen …

Was für ein Brett von Film. Auch wenn der ein oder andere Schnitt gesetzt wurde, und auch wenn der Schluss verzweifelt auf versöhnlich getrimmt wurde, kann ich den damaligen Misserfolg an den Kinokassen absolut nachvollziehen. Knüppelharte Männer, die eine Zielscheibe auf dem Rücken tragen, die bei allem was sie tun angekettet sind, selbst beim Schlafen, die zu Mittag Suppe und eine Gabel bekommen, und die nur noch eine einzige Chance haben um aus dieser Hölle herauszukommen: Schnell zu sterben! Ausbrechen? Praktisch chancenlos …

Und dabei zeigt HELL’S HIGHWAY eigentlich nur die extremen Auswüchse des ach so glorreichen und damals wie heute beliebten Kapitalismus: Die Sträflinge bauen die Straße im Auftrag eines Privatunternehmers, und der Aufseher des Gefängnisses bekommt vom Unternehmer eine Prämie dafür, wenn die Leute rechtzeitig fertig werden. Also wird geprügelt und gepeitscht, wird Terror ausgeübt und Druck aufgebaut, damit bloß möglichst viel Geld fließt. Der Wärter Popeye versucht Duke Ellis wegen irgendeiner Sache zu erpressen, aber Duke ist auf Draht: Er besitzt die Patronenhülsen die beweisen können, dass der Mord an Popeyes Frau nicht von drei auf der Flucht erschossenen Häftlingen, sondern von Popeye selber begangen wurde. Ein soziales Miteinander wie man es schon immer haben wollte …
Der Film ist, wie Bernward Knappik es in der 35MM schreibt, „ein düsterer, kalter und für damalige Verhältnisse brutaler Film“, der auch heute noch beeindruckt. Vor allem wenn man weiß, dass dem tatsächliche Ereignisse zugrunde liegen. Die Kälte und Brutalität mag vielleicht in jedem Gefängnisfilm (und natürlich auch in der Wirklichkeit) so sein, aber so etwas zu wissen und es in einem Film zu sehen, das sind zwei paar verschiedene Handschellen, und für einen normalen Maulwurf, der gerade mal in seinem Luxusleben gefangen ist, ist so eine Vorstellung der reine Horror. HELL’S HIGHWAY hat zwar eine Menge cooler Onliner und einen relativ freundlichen Schluss, aber die Gnadenlosigkeit, mit der hier Menschenverachtung und Hass ins Gesicht des Zuschauers geschleudert werden, steht einem modernen Film wie etwa Ric Roman Waughs SHOT CALLER in Nichts nach, nur dass er in der Gewaltdarstellung nicht so explizit ist wie sein modernes Pendant. Dafür macht das Kopfkino, gerade bei Dingen wie der Sweat Box, gruselige Überstunden.

Der Film kann auf einem beliebten Videoportal gesichtet werden und ist eine unbedingte Empfehlung für alle, die es ultrahart mögen.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 2. Sep 2023, 05:46
von Maulwurf
John Wick (David Leitch & Chad Stahelski, 2014) 8/10

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Weil der geile Mustang Eleanor nicht zu verkaufen ist, kommen die bösen Buben in der Nacht und klauen sich die Autoschlüssel eben. Und weil ihnen gerade danach ist, töten sie auch den Hund des Autobesitzers. Pech gehabt Jungs, denn der trauernde Besitzer des toten Hundis ist nicht irgend eine überflüssige Lusche, wie der Wortführer der Bösewichter denkt, sondern John Wick – Eine Legende in Killerkreisen. Er ist nicht der Schwarze Mann, sondern er ist derjenige der geholt wird um den Schwarzen Mann zu töten. Und John Wick hat überhaupt kein Problem damit, praktisch die gesamte russische Mafia New Yorks in einem privaten Rachefeldzug über die Wolga zu schicken, nur um den Mörder seines Hundes in die Finger zu bekommen.

Erstsichtung! Ja ja, so was soll es geben – Menschen, die John Wick 7 Jahre nach seiner Entstehung zum ersten Mal sehen. Und was soll ich sagen? Herangegangen bin ich mit der Wartung, einen schier endlosen Baller- und Prügelfilm zu sehen, der vor aufgesetzter Coolness kaum laufen kann, und mit eindrucksvollen Set Pieces und Künstlichkeit versucht, das Prinzip der Blutrache zu rechtfertigen.
Und was habe ich bekommen? Genau das … Aber meine anfängliche Skepsis hat sich relativ bald gelegt, wenn auch zugegeben widerwillig, und irgendwann wurde aus der leisen Zustimmung vorsichtige Begeisterung. JOHN WICK spielt auf der Klaviatur des modernen Actionfilms als ob es da ein vorgefertigtes Rezept für das ultimative WOW gäbe, und letzten Endes kleistert er eigentlich nur Bausteine aneinander. Bausteine, die hinterher als fertiges Kunstobjekt verkauft werden. Aber das geschieht mit einer Grandezza und Eleganz, die dem Film tatsächlich viel gibt. Der Soundtrack passt aufs I-Tüpfelchen, die coolen Figuren (von Charakteren mag ich da jetzt nicht reden) sind überzeugend, die Settings sind eindrucksvoll und extrem stylisch fotografiert, und die Action rockt die Hütte wie Sau. Angenehmerweise sondert John Wick wenig Oneliner ab, er redet allgemein sowieso sehr wenig, aber als auf die Aussage „Früher haben wir so etwas zivilisiert geregelt.“ die Replik „Sehe ich etwa zivilisiert aus?“ zurückkommt, hat das dann sogar mich alten Skeptiker begeistert.

Als überzeugter Liebhaber alter Filme ist mir das zwar ein wenig peinlich, aber: JOHN WICK hat mir einen verdammten Spaß bereitet und wird in sehr guter Erinnerung bleiben. Was? Da gibt es einen zweiten, dritten. vierten Teil? Och nö, dafür war mir das dann doch etwas zu klischeebeladen. Zu wenig emotional und zu viel Over the Top. Es wird bei dem einen bleiben, aber der hat gefallen. Punkt.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 5. Sep 2023, 04:57
von Maulwurf
Arlington Road (Mark Pellington, 1999) 8/10

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Der Universitätsprofessor Michael Faraday lernt durch ein Unglück seinen Nachbarn, den Bauingenieur Oliver Lang kennen. Faradays Frau, eine FBI-Agentin, wurde vor 3 Jahren bei einem schlecht koordinierten Einsatz getötet, und seither ist er mehr oder weniger alleinerziehender Vater, mit ein wenig Unterstützung einer seiner Studentinnen. Da er neben der Trauer über den Verlust seiner Frau auch mit seinem Lehrfach recht ausgelastet ist, freut er sich umso mehr, dass die Nachbarn seinen 9-jährigen Sohn gemeinsam mit ihrem eigenen Sohn betreuen, und ihm so einfach ein wenig mehr Luft zum Atmen bleibt. Nach den vielen Schatten der letzten Jahre könnte das Leben endlich ein wenig angenehmer werden, aber bedingt durch die Spezialisierung seines Lehrfaches, Amerikanische Geschichte mit besonderem Schwerpunkt auf Bürgerrechten und Extremismus, fallen ihm im Nachbarhaus schnell Ungereimtheiten auf. Lang bekommt Briefe von einer Uni, auf der er nach eigener Aussage niemals war. Die Baupläne in seinem Büro schauen nach allem möglichen aus, aber niemals nach einem Einkaufszentrum. Und sein Name, das kann Faraday recht schnell recherchieren, ist falsch. Unter seinem ursprünglichen Namen wurde Lang mit 16 Jahren mal als Bombenleger verhaftet …

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Aus heutiger Sicht ein sehr dankbares Sujet, dass Drehbuchautor Ehren Kruger (heißt der wirklich so?) da geschrieben hat, denn ARLINGTON ROAD ist vor dem September 2001 entstanden, und konzentriert sich darum eben gerade nicht auf den vermeintlich naturgegebenen Extremismus dunkelhäutiger Ausländer. Im Gegenteil untersucht der Film vielmehr, wieso weiße und gebildete Männer Rechtsextremisten werden und Terroranschläge ausüben. Na gut, untersuchen ist da wahrscheinlich das falsche Wort, vorstellen trifft es wohl besser. Denn der Film liefert keine Antworten auf die gestellten Fragen, und er lässt den Zuschauer in einer nebulösen und klandestinen Stimmung zurück. Eine Stimmung, die sicher viele kennen, die sich mit Ereignissen wie dem Bombenattentat auf das Bundesgebäude in Oklahoma City 1995 beschäftigen. Oder dem Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980. Beiden Anschlägen ist gemein, dass die Behörden immer von einem Einzeltäter ausgingen, und Vermutungen über eine Gruppe oder gar ein Netzwerk von Attentätern immer ignorierten. In Deutschland ging diese Taktik erst bei der Mordserie des NSU nach hinten los, und auch da erst sehr viele Jahre nach deren Abschluss …

So oder so rutscht der Zuschauer hier unmerklich in ein Geflecht von Angst und Terror. Wie aus dem freundlichen und offenen Nachbarn ein Mensch mit Geheimnissen wird, ein Fragezeichen mit weißen Flecken in seinem Lebenslauf, und erst sehr spät die wahre Natur Langs zum Vorschein kommt, das ist mit großer Liebe zum Detail und viel Zeit dargestellt. Überzeugend werden einzelne Mosaiksteine aneinandergepasst, und wir folgen Faraday in diesem Puzzlespiel bis zum bitteren Ende, ohne dass wir jemals selber mehr wissen als Faraday. Auch für den Zuschauer bleibt dieser Nebel da, der die Sicht auf die Hintergründe versperrt, und nur andeutet, dass hinter Lang eventuell(!) noch ganz andere Personen stecken könnten.

Eine Verschwörung mit dem Ziel, einen demokratischen Staat von innen heraus zu zerstören. Daniel Harrichs DER BLINDE FLECK fällt einem dazu ein, oder auch Damiano Damianis ICH HABE ANGST, beide unter dem Oberbegriff des Paranoia-Thrillers zusammengefasst. Die Perfidie, mit der Faraday hier aber in das Netz eingewoben wird, die erinnert aber vielmehr an Alan J. Pakulas ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG, und setzt auf die vorhandene Spannung durch die politische Komponente noch einmal oben einen drauf. Bei aller Unlogik und allem Risiko, welches der tatsächliche Plan mit sich führt, ist die Auflösung von ARLINGTON ROAD doch ein böser Schlag unter die Gürtellinie. Und ein Tritt vor das Schienbein aller Ermittlungsbehörden, die sich so gerne das Leben leichtmachen und auf den Einzeltätertheorien beharren.

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ARLINGTON ROAD lässt sich, ich erwähnte es, Zeit für diese Geschichte. Trotz hochrangigem Cast, und auch wenn die ersten Hinweise relativ früh fallen, so ist der Film dennoch alles andere als ein gängiger Mainstreamfilm mit Blockbuster-Allüren. Stattdessen wird auf die Macht des Wortes Wert gelegt, werden Rückblenden auch mal wie früher als Diavortrag getätigt, ist die Erzählweise im besten Sinne altmodisch. Diese Langsamkeit nutzt Regisseur Mark Pellington dazu, seinen Figuren ein wenig Tiefe zu geben, sie mit Charaktereigenschaften auszustatten anstatt mit Onelinern, und dem friedlichen Leben in der (amerikanischen) Vorstadt zu huldigen - Nur, um diese Szenarien später dann genüsslich und voller Hinterfotzigkeit zu dekonstruieren. Das Treffen zwischen Faradays Freundin Brooke und der Nachbarin etwa lässt sich an Abgründigkeit kaum überbieten. Und an Konsequenz ebenfalls nicht …

Auch wenn sich vor allem zum Showdown hin Logiklöcher in der Größe der NSU-Ermittlungspannen auftun, so tut das der Spannung und der Bosheit keinen Abbruch. Es gibt keine wilden Schießereien, nur anderthalb Explosionen können begutachtet werden, und irgendwie macht Pellington einfach alles anders, als es im gängigen US-Kino mittlerweile üblich ist. Sehr zum Vorteil der Geschichte und des Thrills, was dann im Ergebnis zu einer starken Mixtur aus Unterhaltung und Anspruch führt. Sehr sehenswert!

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 8. Sep 2023, 05:35
von Maulwurf
With carnal intent (Alfredo Rizzo, 1974) 4/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 168 mal betrachtet

Die Frau des Professors Luciani ist todkrank, und der Arzt hat ihr Seeluft verordnet. Während ein normaler Mensch nun einen Urlaub am Meer machen wurde, wirft der hinterlistige Geschäftsmann Luciani mit Hilfe schmutziger Tricks ein homosexuelles Pärchen aus dessen am Meer gelegenen Schloss, und quartiert sich dort ein. Inklusive der todkranken Frau und inklusive ihrer Pflegerin Anna, seiner Geliebten. Denn Luciani ist ein rechter Hallodri vor dem Herrn, der prinzipiell alles anbaggert was bei drei noch einen Rock anhat. Neben dem Verhältnis zu Anna pflegt er nämlich noch ein inniges Verhältnis zu seiner Sekretärin, das Dienstmädchen ist ebenfalls in Nullkommanichts oben ohne, und auch eine Touristin, die so getan hat als ob sie ertrinkt und sich auf diese Weise ein paar Sonnenbadestunden auf seiner Jacht erschleichen möchte, geht mit großen Freuden auf seine Avancen ein. Die Sache mit dem Dienstmädchen kann Anna durch einen fristlosen Rausschmiss noch in ihrem eigenen Sinne geradebiegen, und die Sache mit der todkranken Ehefrau, nun ja, auch dies erledigt Anna dergestalt, dass sie ihren Professor dann endlich nur für sich hat. Doch nach deren Tod will Luciani für einige Zeit ganz alleine sein und er bittet Anna zu gehen. Anna hat natürlich den richtigen Riecher, dass da die Blondine vom Boot dahinter steckt, aber sie kann nichts machen - Sie muss gehen, besagte Touristin namens Roberta schmeißt sich an den Professor ran (oder umgekehrt, das kann man nun so oder so sehen), und schon bald vögelt man sich munter durch das komplette Schloss.

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Das Spannende an CARNALITÀ ist die Entwicklung von Luciani, der sich vom ziemlichen Arschloch, der nur sein menschenschindendes Geschäft und die Weiber im Kopf hat, relativ bald zur sympathischen Identifikationsfigur des Films wandelt. Der Mann hat Charme und Ausstrahlung, Geld ohne Ende, schaut gut aus, und scheint einen Dauerständer zu haben dem keine Dame widerstehen kann. Das Problem dabei ist, dass im Film außer diesen Dingen sonst einfach nichts passiert. Luciani bespringt alle Frauen, Anna regt sich deswegen auf weil sie ihren Professor für sich allein haben will, Roberta drängelt sich sanft aber nachdrücklich in das Geschehen, und das war es. Das Ende des Films, dass dann das Warum und Wofür auflöst, bietet keine echte Überraschung und ist so im Wesentlichen auch erwartbar – Und sonst ist da einfach nichts. Hübsche Bilder mit vielen nackten Frauen und einem sehr behaarten Mann, ein schönes Schloss dass fürmal nicht Balsorano ist sondern Santa Marinella im Lazio, und ein fast durchgehendes Urlaubsflair für Italiensüchtige bieten zwar den ein anderen Schauwert, aber sonst? Die OFDB versteigt sich dazu, CARNALITÀ in die Sparte Thriller zu stecken – Ich sehe das Filmchen eher in der Sparte Urlaubserinnerungen von Onkel Jacques und Tante Erna aus den seligen 70ern. Und bei solchen Filmen ist schon so manch einer eingeschlafen …

Alfredo Rizzo hat laut der OFDB vier Filme gedreht. Zwei davon, nämlich CARNALITÀ und THE BLOODSUCKER LEADS THE DANCE, habe ich nun gesehen, und beide sind ehrlich gesagt rechte Schnarcher. Was mich dann aber doch noch ein wenig für CARNALITÀ einnimmt, sind neben der hinreißend-herzschmelzenden Musik von Carlo Savina so kleine Kleinigkeiten: Die intellektuell daherschwatzenden Damen am Pool, der entsetzte Satz eines rettenden Skippers, „Women shouldn't be allowed in the water“ oder eine Ansicht der Spielerinnen aus der subjektiven Sicht eines Tischkickers schenken kleine Momente unerheblichen Glücks. Und eines hat der Film auf jeden Fall noch ganz groß im Gepäck, nämlich die erwähnte entspannte Sommerstimmung. Das Flair, das CARNALITÀ durchzieht, ist so heiter und leicht, dass der Abstand zur Wirklichkeit kaum größer sein könnte. Kein böser Gedanke, kein Verdacht trübt dieses leichte und heitere Flair, ernsthafte Erotik kommt sowieso nicht vor, ja nicht einmal ein Spannungsbogen stört den großen weiten Horizont – Luciani und Anna beziehungsweise Luciani und Roberta vögeln sich ausgesprochen jugendfrei durch das Schloss und das war’s. Ein Film für heiße Sommertage, wenn jedweder Anspruch nur Schweißausbrüche provozieren würde …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 11. Sep 2023, 05:14
von Maulwurf
Ehe im Schatten (Kurz Maetzig, 1947) 6/10

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In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts war Joachim Gottschalk ein beliebter und gefeierter Schauspieler auf den deutschen Bühnen. In Leipzig unter Detlef Sierck und später in Frankfurt begann er eine großartige Karriere, die ihn ab 1938 in das Berliner Preußischen Staatstheater unter Eugen Klöpfer, unter später auch zu seiner ersten Filmrolle bei Wolfgang Liebeneiner führte. Doch zu dieser Zeit war er beim Propagandaministerium schon längere Zeit nicht mehr gerne gesehen, denn Gottschalk war seit 1930 mit einer Jüdin verheiratet. Und er dachte gar nicht daran, sich von seiner geliebten Meta zu trennen! Bereits das Engagement 1934 in Frankfurt musste von höherer Warte aus abgesegnet werden, und spätestens ab der Mitte der 30er-Jahre wehte ihm immer stärker der Wind ins Gesicht. Goebbels persönlich wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, dass Gottschalk beim Film beschäftigt wird, obwohl sich namhafte Schauspieler und Regisseure immer wieder für ihn einsetzen. Denn Gottschalk könnte problemlos die begehrtesten Hauptrollen bekommen – Wenn er sich scheiden ließe.
1938 ist Gottschalk zu Filmaufnahmen in Tunesien, wo die Außenaufnahmen zu AUFRUHR IN DAMASKUS stattfinden. Seine Meta, zu Beginn der 30er-Jahre selber eine gefeierte Bühnenschauspielerin, sitzt derweil zu Hause in Berlin, muss die Reichskristallnacht aus allernächster Nähe und ganz allein erleben, und wird zunehmend immer mutloser und depressiver. Sie kann das Haus nicht mehr verlassen, sie scheut Menschenansammlungen, und zieht sich vom Leben in hohem Maße zurück. Joachim wird in dieser Zeit an der Seite von Brigitte Horney mit EINE FRAU WIE DU endgültig zum Star, während gleichzeitig Eugen Klöpfer den Namen Gottschalk nicht mehr groß nach vorne stellen kann. Zu groß ist die Gefahr, dass der Schutz, den die „Mischehe“ Meta bietet, nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die beiden Eheleute beginnen sich auseinanderzuleben, sie leben zwei völlig unterschiedliche Leben, die nur noch eines gemeinsam haben: Dass der Staat, in dem sie leben, sie beide nicht will.
Im April 1941, bei der Premiere von DIE SCHWEDISCHE NACHTIGALL, setzt sich sogar Veit Harlan bei Goebbels dafür ein, dass Gottschalk auch weiterhin große Hauptrollen bekommen kann. Goebbels echauffiert sich so sehr, dass selbst Kristina Soederbaum peinlich berührt die Runde verlässt, und die Kernaussage ist dann „Dann sagen sie ihm [Gottschalk], er soll sich von seiner Frau trennen. Seine Frau kann sofort in die Schweiz fahren. Ich werde veranlassen, dass man ihr so schnell wie möglich einen Pass gibt. Ich schätze Gottschalk selbst als Schauspieler. Sagen Sie ihm das. Wenn er allerdings mit seiner Jüdin zusammen ein Feind des Nationalsozialismus sein will, dann kann er nicht erwarten, das der Nationalsozialismus seine Feinde protegiert.“ (1) Und das war es dann. Nach dieser Brandrede wollte kein Produzent und kein Intendant mehr Gottschalk anfassen. Das Risiko, es sich mit der Reichskulturkammer oder sogar dem Propagandaminister persönlich zu verscherzen, wollte niemand auf sich nehmen. Doch in Bezug auf die Scheidung blieb Gottschalk standhaft, was Goebbels dem Vernehmen nach zur Weißglut gebracht haben soll.
Ein wenig Arbeit für Radio und Fernsehen war noch möglich, aber neben der zunehmenden Verarmung drohte auch immer das Damoklesschwert der Verhaftung. Durch eine zufällige Begegnung Meta Gottschalks mit Goebbels, der ihr aufgrund ihrer Attraktivität und in völliger Unkenntnis darüber, wen er da vor sich hat, einen Handkuss gab, erfolgte dann im Herbst 1941 die Ankündigung der Deportation Metas nach Theresienstadt. Die Bitte Joachim Gottschalks, zusammen mit seiner Frau deportiert zu werden, wurde verweigert. Am Abend des 5. November 1941 setzen Joachim und Meta Gottschalk, gemeinsam mit ihrem 8-jährigen Sohn Michael, ihrem Leben ein Ende. Doch selbst die Beerdigung wird noch übertönt vom nationalsozialistischen Propagandagedöns: Kein Nachruf, keine Meldung in einer Zeitung, der Tod der Familie Gottschalk soll verschwiegen werden, der Besuch der Beerdigung ist verboten. Nur wenige Freunde sind gekommen: René Deltgen, Gustav Knuth, Brigitte Horney, Werner Hinz und Wolfgang Liebeneiner setzen sich über das Verbot hinweg. Alle werden von der Gestapo betont heimlich fotografiert, selbst Gottschalks Bruder ist in seiner SS-Uniform vor Nachstellungen nicht sicher.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf macht es EHE IM SCHATTEN dem Zuschauer nicht wirklich leicht. Die Abweichungen von der Realität sind teilweise eklatant und nicht immer sinnvoll, und spätestens bei der holprigen Dramaturgie und dem etwas löchrigen Drehbuch wird klar, dass dies tatsächlich der allererste Film von Kurz Maetzig war. Der die Novelle von Hans Schweikart gelesen hatte und daraufhin beschloss, dass er diese Zusammenführung aus bitterster Zeitgeschichte und zärtlicher Liebe niemandem andern in die Hand geben, sondern den Film selber drehen wollte.

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Joachim Gottschalk heißt hier Hans Wieland, Meta wird Elisabeth Maurer genannt. Die beiden spielen etwa Mitte der 30er-Jahre sehr erfolgreich zusammen Theater, aber Wieland schafft es nicht, Elisabeth seine Liebe zu gestehen. Der forsche Dr. Blohm überrennt ihn regelmäßig und versucht, Elisabeth in seine eigenen Arme zu bekommen. Bei einer gemeinsamen Auszeit auf Hiddensee (die in der Wirklichkeit erst 1938 stattgefunden hat) erfährt Blohm, dass Elisabeth Jüdin ist. Er schreckt geradezu zurück, aber seine Leidenschaft kühlt kaum ab. Ein gemeinsamer Freund, der Schauspieler Fehrenbach, sieht allerdings das wahre Gesicht Blohms, der schon bald in der Reichskulturkammer große Karriere macht. Natürlich nur, um nach eigener Aussage Schaden von seinen Freunden zu wenden! Fehrenbach emigriert dann auch sehr schnell nach Wien, während Wieland Elisabeth endlich seine Liebe gestehen kann. Und auch wenn sie eigentlich nicht so richtig begeistert ist, so stimmt sie doch der Tatsache zu, dass sie unter seinem Schutz, also in einer Ehe mit einem Arier, besser abgesichert wäre.
1938 sind die Verhältnisse nicht besser geworden. Wieland ist seiner Ehe mittlerweile etwas überdrüssig geworden, scheint Elisabeth ihn doch ohnehin nie so richtig lieb gewonnen zu haben. Wieland scharwenzelt gerne auch mal mit anderen Schauspielerinnen herum, zieht von Premiere zu Premiere, von Feier zu Feier, und er genießt sein Leben in vollen Zügen, während Elisabeth das Haus bereits kaum noch verlassen kann. Als Wieland mitten in die Ereignisse der Reichskristallnacht gerät merkt er wieder, was er an Elisabeth hat. Er schwört ihr, sie nie wieder zu verlassen.
Aber der Krieg kommt, und Wieland wird eingezogen. Im Jahr 1943 treffen wir die beiden wieder. Er liegt mit Typhus im Lazarett und wird bald nach Hause entlassen, sie arbeitet in einer Fabrik, zusammen mit anderen Jüdinnen aus Mischehen. Gemeinsam mit den Frauen steht sie um Lebensmittelkarten an, gemeinsam arbeitet man, und als der arische Mann der einen Jüdin im Krieg fällt da ist es auch um deren Leben geschehen. Denn die schützende Ehe ist ja nun vorbei … Elisabeth kann diesen Druck immer weniger aushalten, und wie um das Elend zu verstärken kommt auch noch Fehrenbach aus Wien, der verhaftet wurde, aber fliehen konnte. Leider wurde er am Bahnhof von einem früheren Kollegen wiedererkannt, weswegen dann auch recht schnell die Gestapo vor der Türe steht. Aber es geht alles gut, und auch Wieland kommt aus dem Krieg zurück. Er möchte wieder spielen, muss dafür aber zum Reichskulturamt und steht dort Dr. Blohm gegenüber, der ihm, wie in der Wirklichkeit Hans Hinkel gegenüber Gottschalk, das Messer auf die Brust setzt: Scheidung oder Deportation. Wieland weigert sich, geht nach Hause, kocht sich und seiner Elisabeth einen Kaffee, und schüttet eine Überdosis Schlafmittel hinein. Gemeinsam wählt man den Weg in den Tod.

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Wie gesagt, das Wissen um die tatsächlichen Abläufe macht die sowieso schon stockende Inszenierung nicht einfacher. Ich hatte erwartet, den Ablauf der Geschichte um die Familie Gottschalk zu sehen, und bekam stattdessen eine Annäherung an das Drama einer Mischehe; zufällig in einer Künstlerehe spielend, und sich immer wieder auf die Gottschalks beziehend. Entsprechend wird am Ende des Films auch an die wahren Ereignisse erinnert, und EHE IM SCHATTEN wird der Familie Gottschalk gewidmet.

Vielleicht ist es einfacher, wenn man nicht weiß was in Wahrheit passiert ist. Dann kann man sich dem Grauen erheblicher besser aussetzen und entsetzt zusehen, wie sich das demokratisch gewählte Verhängnis wie ein Würgegriff um die Hauptfiguren zusammenzieht. Die frühen Geschehnisse um Dr. Blohm, der versucht seine beginnende Parteikarriere hinter Plattitüden zu verstecken. Der Onkel Elisabeths, der alte Arzt Louis Silbermann, der darauf baut, dass seine Patienten ihn nicht verlassen werden. Fehrenbach, der zwar kommen sieht wie schlimm es wird, aber denkt dass er in Wien in Sicherheit sei. Später dann die Reichskristallnacht, bei der hier, anders als zum Beispiel in dem, im gleichen Jahr entstandenen, IN JENEN JAHREN, die Kamera voll draufhält und die Zerstörungswut und die Mordlust in schrecklichen Bildern und Tönen einfängt. Der Blockwart, der ganz selbstverständlich in der Wohnung Elisabeths herumschnüffelt, und sich dabei auch keinen Zwang auflegt. Und natürlich die abschließende Konfrontation zwischen Wieland und Dr. Blohm, in der letzterer mit seinen Floskeln und Schönfärbereien von vor 10 Jahren bombardiert wird. Und der sich der Wutrede Wielands nicht anders zu wehren weiß als mit denjenigen Phrasen, die hirnlose Schergen schon immer so drauf hatten: „Unterstehen Sie sich …“, oder „Ich verbitte mir das …“.

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Und natürlich immer wieder dieser eine Satz. Es wird schon nicht so schlimm werden. Onkel Louis sagt dies, sogar dann noch, als er schon nur noch Juden behandeln darf. Wieland sagt das immer wieder, und Elisabeth natürlich auch. Ins Ausland gehen? Nein, es wird schon nicht so schlimm werden. Dies ist auch der Titel der Novelle von Hans Schweikart, die als Vorlage für das Drehbuch diente, und ich bin mir sicher, dass viele Menschen in den Jahren 1933 bis 1938 dies auch immer und immer wieder sagten - Es wird schon nicht so schlimm werden. Zu Beginn des Films redet jemand im Film sinngemäß davon, dass die klugen Menschen die Nazis an die Macht haben kommen lassen um aufzuräumen, und wenn die Verhältnisse wieder gut sind auch dafür sorgen werden, dass die Braunen wieder verschwinden. Und dann wird alles wieder gut. Es wird schon nicht so schlimm werden. Wieviele Menschen mögen damals genauso gedacht haben? Und sich in diesen Worten auf der Leinwand wiedergefunden haben?

Wie erwähnt darf man wahrscheinlich nicht den Fehler machen, die Realität der Gottschalks mit der filmischen Erzählung der Wielands zu vergleichen. Dann nämlich, ist der Film trotz seiner immer noch vorhandenen inszenatorischen Schwächen ein schreckliches Dokument einer Zeit, in der selbst die Liebe reglementiert wurde. Und mit seiner Konzentration auf ein sehr privates Thema das jeder aus der Nähe kennt erheblich unmittelbarer und düsterer als zum Beispiel Helmut Käutners Filme aus dieser Zeit. EHE IM SCHATTEN ist ein Dokument einer Zeit, die sich heute viel zu viele wieder herbeiwünschen, und durch die Nähe zu dieser Zeit auch ein entsetzlich realistisches und niederschmetterndes Dokument. Schon alleine deswegen sollte man dem Film eine Chance geben, und ihn mit ein wenig Nachsicht behandeln.

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(1) Ulrich Liebe: Verehrt verfolgt vergessen, Berlin 1990, S. 90