Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Moderator: jogiwan
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Der Pott
„Wenn die Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, sie zu löschen.“
Mit der Verfilmung des Drehbuchs der Autoren Axel Götz und Thomas Wesskamp debütierte die TV-Serienregisseurin Karin Hercher innerhalb der „Tatort“-Reihe: „Der Pott“ ist der 21. Fall der Duisburger Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Er wurde 1988 gedreht und am 9. April 1989 erstausgestrahlt.
„[Mord] ist wie alles andere auch, nur mit Leichen.“
Duisburger Stahlarbeiter protestieren gegen Arbeitsplatzabbau, indem sie kurzerhand das Werk ohne gewerkschaftliche Legitimation besetzen. Unterstützung erhalten sie von der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million DM gespendet haben. Der „Pott“ mit diesen Zuwendungen soll im Rahmen einer öffentlichen Protestkundgebung medienwirksam präsentiert werden, wird jedoch bei einem brutalen Überfall entwendet. Das bringt die Streikenden zusätzlich in Bredouille. Damit nicht genug: Günther Broegger (Horst Lettenmeyer), eines der unmittelbaren Opfer des Überfalls, wird in einer Kleingartensiedlung nahe des Arbeiterviertels Duisburg-Hochfeld ermordet aufgefunden. Da Thanner zu einer Außenstelle des Bundeskriminalamts nach Bonn gewechselt ist und Hänschen (Chiem van Houweninge) erst in sechs Wochen wiederkommt, sieht sich Schimanski zunächst gezwungen, die Ermittlungen allein anzugehen. Er kann jedoch Königsberg (Ulrich Matschoss) überzeugen, ihm Jo Wilms (Thomas Rech, „Tatort: Blutspur“) vom Raubdezernat zur Seite zu stellen, der im Falle des gestohlenen „Potts“ ermittelt. Schimanski stellt die Kleinkriminellen Struppek (Michael Brandner, „Nordkurve“) und Golonska (Guido Föhrweißer, „Der Atem“), als sie gerade Broeggers Wohnung durchsuchen. Doch damit ist der Fall längst nicht gelöst, und immer wieder kreuzen sich die Wege der Kripo mit denen eines BKA-Schnüfflers (Miroslav Nemec, „Stahlkammer Zürich“) …
„Für meinen Bruder ist jeder ein Arschloch, der vor zehn Uhr aufsteht!“
Ein Novum im Duisburger „Tatort“: Der Prolog zitiert einen Artikel der Wochenzeitung „Der Spiegel“ vom 28.03.1988, der von Ideen handelt, das Gewaltmonopol des Staats bei Demonstrationen, Streiks u.ä. zugunsten privater Sicherheitsdienste aufzugeben. Der eigentliche Fall beginnt mit einem Liveauftritt Rio Reisers mit seiner Band auf der Streikveranstaltung der Stahlwerker, wo man „Über Nacht“ zum Besten gibt. Der Überfall wird betont brutal dargestellt, indem auch ein altes Mütterchen misshandelt und anstelle des Gelds in den „Pott“ geworfen wird. Schimmi ist unterdessen wenig von Thanners Jobwechsel begeistert. Zum Running Gag wird, dass er Thanners Gepäck die ganze Zeit im Kofferraum mit sich herumfährt, während Thanner längst in Bonn ist und verzweifelt an seine Sachen heranzukommen versucht.
„Ich hab‘ dir immer gesagt: Wir sind hier nur von Idioten umgeben!“
Bei einem Gerangel zwischen Bevölkerung und Polizei setzt sich Schimmi für die einfachen Leute und springt rabiat mit den Uniformierten um – ein eindeutiges Zeichen für Schimanskis Sympathieverteilung. Starke Auftritte hat auch Willi Thomczyk („Tatort: Grenzgänger“) als zynisch philosophierender, arbeitsloser Bruder Jos. Nach und nach lernt man Jos ganze Familie kennen, beim gemeinsamen Essen Schimanskis mit Jos Familie gibt’s neben deutscher Küche geballtes Ruhrpott-Naturell – und auf Jos Schwester Vera (Sabine Postel, „The Brief“) wirft Schimmi direkt ein Auge. Hoch her geht’s aber nach wie vor auf der Straße: Schimmi legt sich mit BKA-Schnüfflern an und muss sie gleichzeitig vor einer aufgebrachten Meute beschützen, später gehen Streikende und sie Unterstützende wie ein Lynchmob mit Fackeln auf die Straße und machen Jagd auf Golonska, von dem sie glauben, er sei in den Mord oder den Überfall verwickelt.
„Bügeln und gebügelt werden – Frauenschicksal!“
Das Bonner BKA um seinen von Ludwig Haas („Lindenstraße“) gespielten Chef hingegen präsentiert sich als stocksteife Tafelrunde, in die Thanner nicht so recht passen will – und der sich überrascht von den Plänen hinsichtlich privater Sicherheitsdienste zeigt. In Duisburg wird derweil ganz klassisch per Flugblatt nach Struppek gefahndet, einen Sturz vom Förderturm überlebt er anschließend nicht. Schimmi ist, fertig zu Hause auf seinem Motorrad sitzend, trinkend und Rio Reiser hörend, mit seinem Latein am Ende und sieht sich gezwungen, Thanner um Hilfe zu bitten, der dadurch in einen Gewissens- und Interessenkonflikt gerät. So kommt es schließlich doch wieder zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden – ein schöner erzählerischer Kniff.
Letztlich geht’s um verdeckt operierende BKA-Spitzel und ihre Einflussnahme, aber auch um noch viel mehr: Den Malocher-Hintergrund der Wilms, um Bosse und ihrem Umgang mit der Belegschaft, um Solidarität, Befangenheit, Rache und einen guten Schuss Dramatik und Tragik. Der doppeldeutig betitelte „Tatort: Der Pott“ hantiert dafür vielleicht mit einem etwas großgeratenen Ensemble, dafür erlangte dieses später einige Berühmtheit: Aus Miroslav Nemec, der bereits im „Tatort: Gebrochene Blüten“ dabei war, wurde ein bis dato aktiver Münchener „Tatort“-Kommissar, Sabine Postel heuerte beim Bremer „Tatort“ an, Jos von Leonhard Lansink gespielter zweiter Bruder ist heute als „Wilsberg“ bekannt, Thomczyk machte Hauptrollenkarriere in der Comedy-Serie „Die Camper“. Ludger Pistor („Balko“) ist als Schimanskis Kollege Schäfer auch wieder mit von der Partie.
Sein Gewaltmonopol bei Demos und Arbeitskampf offiziell und unter dem Deckmantel der „Deeskalation“ in private Hände zu geben, das hat der Staat bzw. haben seine Institutionen dann doch nie getan – vor dem ganz realen Hintergrund der Stahlarbeiterstreiks der 1980er erzeugt dieser „Tatort“ aber ein Bewusstsein dafür, wohin so etwas führen könnte: dass sich das BKA für Privatinteressen einsetzt und sich im Zweifelsfall gegen die Arbeiterklasse richtet. Dies wiederum erscheint als der Regierung unterstellte Institution wenig abwegig, betreiben CDU und längst auch SPD i.d.R. doch Lobbypolitik für Konzerne und Kapital. Und wenn ein BKA-Fatzke Thanner droht, er werde dafür sorgen, dass dieser nie wieder einen Job bekomme, erinnert das an ebenfalls ganz reale Fälle zu Zeiten des Kalten Kriegs, in denen bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste auf diese Weise beispielsweise das Fußfassen von DDR-Aussiedlerinnen und -Aussiedlern, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verhinderten. Angesichts der zahlreichen authentischen Bezüge erscheint es überaus stimmig, dass unter Regisseurin Hercher die zuletzt so Duisburg-„Tatort“-typische Neo-Noir-Ästhetik beinahe vollständig einem anschaulichen Sozialrealismus wich.
Am Ende dieses bockstarken „Tatorts“ betrinkt Schimmi sich und singt Rio „Schicht, Ende, aus“. Seine Dienstmarke wurde Schimanski aber noch nicht los.
„Wenn die Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, sie zu löschen.“
Mit der Verfilmung des Drehbuchs der Autoren Axel Götz und Thomas Wesskamp debütierte die TV-Serienregisseurin Karin Hercher innerhalb der „Tatort“-Reihe: „Der Pott“ ist der 21. Fall der Duisburger Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Er wurde 1988 gedreht und am 9. April 1989 erstausgestrahlt.
„[Mord] ist wie alles andere auch, nur mit Leichen.“
Duisburger Stahlarbeiter protestieren gegen Arbeitsplatzabbau, indem sie kurzerhand das Werk ohne gewerkschaftliche Legitimation besetzen. Unterstützung erhalten sie von der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million DM gespendet haben. Der „Pott“ mit diesen Zuwendungen soll im Rahmen einer öffentlichen Protestkundgebung medienwirksam präsentiert werden, wird jedoch bei einem brutalen Überfall entwendet. Das bringt die Streikenden zusätzlich in Bredouille. Damit nicht genug: Günther Broegger (Horst Lettenmeyer), eines der unmittelbaren Opfer des Überfalls, wird in einer Kleingartensiedlung nahe des Arbeiterviertels Duisburg-Hochfeld ermordet aufgefunden. Da Thanner zu einer Außenstelle des Bundeskriminalamts nach Bonn gewechselt ist und Hänschen (Chiem van Houweninge) erst in sechs Wochen wiederkommt, sieht sich Schimanski zunächst gezwungen, die Ermittlungen allein anzugehen. Er kann jedoch Königsberg (Ulrich Matschoss) überzeugen, ihm Jo Wilms (Thomas Rech, „Tatort: Blutspur“) vom Raubdezernat zur Seite zu stellen, der im Falle des gestohlenen „Potts“ ermittelt. Schimanski stellt die Kleinkriminellen Struppek (Michael Brandner, „Nordkurve“) und Golonska (Guido Föhrweißer, „Der Atem“), als sie gerade Broeggers Wohnung durchsuchen. Doch damit ist der Fall längst nicht gelöst, und immer wieder kreuzen sich die Wege der Kripo mit denen eines BKA-Schnüfflers (Miroslav Nemec, „Stahlkammer Zürich“) …
„Für meinen Bruder ist jeder ein Arschloch, der vor zehn Uhr aufsteht!“
Ein Novum im Duisburger „Tatort“: Der Prolog zitiert einen Artikel der Wochenzeitung „Der Spiegel“ vom 28.03.1988, der von Ideen handelt, das Gewaltmonopol des Staats bei Demonstrationen, Streiks u.ä. zugunsten privater Sicherheitsdienste aufzugeben. Der eigentliche Fall beginnt mit einem Liveauftritt Rio Reisers mit seiner Band auf der Streikveranstaltung der Stahlwerker, wo man „Über Nacht“ zum Besten gibt. Der Überfall wird betont brutal dargestellt, indem auch ein altes Mütterchen misshandelt und anstelle des Gelds in den „Pott“ geworfen wird. Schimmi ist unterdessen wenig von Thanners Jobwechsel begeistert. Zum Running Gag wird, dass er Thanners Gepäck die ganze Zeit im Kofferraum mit sich herumfährt, während Thanner längst in Bonn ist und verzweifelt an seine Sachen heranzukommen versucht.
„Ich hab‘ dir immer gesagt: Wir sind hier nur von Idioten umgeben!“
Bei einem Gerangel zwischen Bevölkerung und Polizei setzt sich Schimmi für die einfachen Leute und springt rabiat mit den Uniformierten um – ein eindeutiges Zeichen für Schimanskis Sympathieverteilung. Starke Auftritte hat auch Willi Thomczyk („Tatort: Grenzgänger“) als zynisch philosophierender, arbeitsloser Bruder Jos. Nach und nach lernt man Jos ganze Familie kennen, beim gemeinsamen Essen Schimanskis mit Jos Familie gibt’s neben deutscher Küche geballtes Ruhrpott-Naturell – und auf Jos Schwester Vera (Sabine Postel, „The Brief“) wirft Schimmi direkt ein Auge. Hoch her geht’s aber nach wie vor auf der Straße: Schimmi legt sich mit BKA-Schnüfflern an und muss sie gleichzeitig vor einer aufgebrachten Meute beschützen, später gehen Streikende und sie Unterstützende wie ein Lynchmob mit Fackeln auf die Straße und machen Jagd auf Golonska, von dem sie glauben, er sei in den Mord oder den Überfall verwickelt.
„Bügeln und gebügelt werden – Frauenschicksal!“
Das Bonner BKA um seinen von Ludwig Haas („Lindenstraße“) gespielten Chef hingegen präsentiert sich als stocksteife Tafelrunde, in die Thanner nicht so recht passen will – und der sich überrascht von den Plänen hinsichtlich privater Sicherheitsdienste zeigt. In Duisburg wird derweil ganz klassisch per Flugblatt nach Struppek gefahndet, einen Sturz vom Förderturm überlebt er anschließend nicht. Schimmi ist, fertig zu Hause auf seinem Motorrad sitzend, trinkend und Rio Reiser hörend, mit seinem Latein am Ende und sieht sich gezwungen, Thanner um Hilfe zu bitten, der dadurch in einen Gewissens- und Interessenkonflikt gerät. So kommt es schließlich doch wieder zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden – ein schöner erzählerischer Kniff.
Letztlich geht’s um verdeckt operierende BKA-Spitzel und ihre Einflussnahme, aber auch um noch viel mehr: Den Malocher-Hintergrund der Wilms, um Bosse und ihrem Umgang mit der Belegschaft, um Solidarität, Befangenheit, Rache und einen guten Schuss Dramatik und Tragik. Der doppeldeutig betitelte „Tatort: Der Pott“ hantiert dafür vielleicht mit einem etwas großgeratenen Ensemble, dafür erlangte dieses später einige Berühmtheit: Aus Miroslav Nemec, der bereits im „Tatort: Gebrochene Blüten“ dabei war, wurde ein bis dato aktiver Münchener „Tatort“-Kommissar, Sabine Postel heuerte beim Bremer „Tatort“ an, Jos von Leonhard Lansink gespielter zweiter Bruder ist heute als „Wilsberg“ bekannt, Thomczyk machte Hauptrollenkarriere in der Comedy-Serie „Die Camper“. Ludger Pistor („Balko“) ist als Schimanskis Kollege Schäfer auch wieder mit von der Partie.
Sein Gewaltmonopol bei Demos und Arbeitskampf offiziell und unter dem Deckmantel der „Deeskalation“ in private Hände zu geben, das hat der Staat bzw. haben seine Institutionen dann doch nie getan – vor dem ganz realen Hintergrund der Stahlarbeiterstreiks der 1980er erzeugt dieser „Tatort“ aber ein Bewusstsein dafür, wohin so etwas führen könnte: dass sich das BKA für Privatinteressen einsetzt und sich im Zweifelsfall gegen die Arbeiterklasse richtet. Dies wiederum erscheint als der Regierung unterstellte Institution wenig abwegig, betreiben CDU und längst auch SPD i.d.R. doch Lobbypolitik für Konzerne und Kapital. Und wenn ein BKA-Fatzke Thanner droht, er werde dafür sorgen, dass dieser nie wieder einen Job bekomme, erinnert das an ebenfalls ganz reale Fälle zu Zeiten des Kalten Kriegs, in denen bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste auf diese Weise beispielsweise das Fußfassen von DDR-Aussiedlerinnen und -Aussiedlern, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verhinderten. Angesichts der zahlreichen authentischen Bezüge erscheint es überaus stimmig, dass unter Regisseurin Hercher die zuletzt so Duisburg-„Tatort“-typische Neo-Noir-Ästhetik beinahe vollständig einem anschaulichen Sozialrealismus wich.
Am Ende dieses bockstarken „Tatorts“ betrinkt Schimmi sich und singt Rio „Schicht, Ende, aus“. Seine Dienstmarke wurde Schimanski aber noch nicht los.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Blutspur
„Wie im Libanon!“
Der Südtiroler TV-Serien-Regisseur Werner Masten („Straßen von Berlin“, „Der Bulle von Tölz“) debütierte im Jahre 1989 innerhalb der „Tatort“-Reihe mit gleich zwei Beiträgen: „Schmutzarbeit“ sowie dem hier besprochenen „Blutspur“, dem nach einem Drehbuch Peter Steinbuchs entstandenen 22. Fall der Duisburger Kripo um die Kommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Das passte insofern gut, als Masten bereits 1984 einen Film namens „Schimmi“ inszeniert hatte. „Tatort: Blutspur“ wurde am 20. August 1989 erstausgestrahlt und landete aufgrund seiner Gewaltdarstellungen anschließend bis 1999 im Giftschrank.
„Wer kricht’n um die Zeit schon einen hoch?“
Eine Gruppe arabischer Terroristen verübt abends einen Anschlag auf das Büro zur Befreiung Palästinas in Essen-Steele. Am nächsten Morgen werden Schimanski und Thanner in aller Herrgottsfrühe damit beauftragt, einen drachenfliegenden Exhibitionisten zu stellen, was weder zu ihrem eigentlichen Aufgabengebiet noch zu ihren bevorzugten Tätigkeiten gehört. Entsprechend schlecht ist die Stimmung. Der Einsatz führt zu einem Lager für polnische Fernfahrer, dessen Betreiber der polnischstämmige Kripo-Informant Leszek (Vadim Glowna, „Wo immer du bist“) ist. Kurz nach dem Gespräch mit Leszek taucht das Terrorkommando ebenfalls dort auf schießt wild um sich, wobei Schimanskis Wagen zerstört wird. In einem Lkw entdecken die Kripobeamten eine riesige Blutlache, die sie untersuchen lassen. Leszek ist derweil verschwunden, kann aber in einem Duisburger Hotel ausfindig gemacht werden. Schimanski belauscht in einem Lüftungssacht Leszeks Gespräch mit einem gewissen Samara (Kostas Papanastasiou, „Morena“), als die Terroristen plötzlich Handbrandsprengsätze durchs Fenster werfen und Samara sowie einen stummen Passfälscher töten. Leszek jedoch kann entkommen, wird von Schimanski aber für ebenfalls tot gehalten. Leszeks Freundin Ela (Marita Marschall, „War Zone – Todeszone“) aber greift er vorm Hotel auf und verhört sie. Daraufhin taucht sie bei der Bauchtänzerin Roswitha (Michaela Wolko, „Das Nürnberger Bett“) unter. Ihren just aus der Haft entlassenen Zuhälter Freddie (Rolf Zacher, „Der Formel Eins Film“) zwingen Schimanski und Thanner zur Zusammenarbeit, um Ela zu finden. Feststeht: Ela und Leszek sind in tödliche Geschäfte verwickelt – doch welcher Art? Und welche Rolle spielen die Terroristen in diesem mörderischen Spiel?
„Es geht alles seinen gewohnten Dienstweg!“
Mit „Blutspur“ greift die Reihe die damals aktuellen blutigen Konflikte zwischen Palästinensern und Schiiten im Libanon auf. Der Prolog zeigt den Anschlag aufs Bürogebäude, inklusive Explosionen, Schüssen und brennenden Menschen. Ein herber Einstieg in diesen Action-Krimi, der sich gar nicht mit Erklärungen dahingehend aufhält, weshalb Thanner nach den Ereignissen im vorausgegangenen Duisburger „Tatort“ wieder mir nichts, dir nichts bei der Kripo arbeitet. Dieser reitet permanent darauf herum, dass libanesische Verhältnisse herrschen würden, und Schimmi wirkt durchgehend gehetzt, genervt und aggressiv – analog zur hochbrisanten, gefährlichen Lage durch die Ausweitung eines Nahostkonflikts auf deutsches Territorium. „Wer kämpft hier gegen wen… und warum?“ wird wortwörtlich als Frage in den Raum geworfen und beschreibt exakt, worum es in dieser unübersichtlichen Gemengelage geht, die Masten und Co. hier etablieren.
„Handbrandsprengsätze, verdammt noch mal!“
Vermengt wird das Nahost-Motiv mit Ausflügen ins Nachtleben und Rotlichtmilieu. Bei einer schön gefilmten nächtlichen Autofahrt Thanners und Schimanskis durch den Essener Kiez kennt Thanner fast alle Bordsteinschwalben beim Namen. Roswitha liefert eine Bauchtanzeinlage und die Figur des Freddie (Zachers zweiter Einsatz in einem Duisburger „Tatort“) als kleiner Zuhälter gerät im weiteren Verlauf immer mehr zum amüsanten Comic Relief. Zum Running Gag avanciert Thanners ständige Sorge um sein neues Auto, einen weißen Subaru. Es wird diesen Fall nicht überleben. Auf den Straßen liefert man sich ein packendes Duell Lkw versus Pkw und in einem Großteil der weniger actionreichen Szenen dominiert erneut eine prima realisierte, bisweilen vielleicht etwas dick aufgetragene Neo-Noir-Ästhetik. Veronica Ferres („Schtonk!“) gibt sich als Imbisswirtin ein Stelldichein, Dieter Pfaff ist als Kripo-Kollege Geiger wieder mit von der Partie und statt mit Königsberg müssen sich Schimanski und Thanner mit dem von Gerhard Olschewski gespielten Ossmann herumplagen.
„Steckt euch die Schiiten in euren BKA-Arsch!“
„Blutspur“ wollte etwas viel auf einmal – oder man streckte ein im Prinzip fertiges Skriptkonstrukt bemüht mit Ruhrpott- bzw Kiez-Folklore, denn so richtig möchte sich hier nicht immer ein Teil ins andere fügen. Daraus resultieren ein paar Ungereimtheiten und eine überkomplizierte Erzählweise, bei der die Übersicht schon mal verloren geht. Die gute Unterhaltung überwiegt aber zweifelsohne, denn Schimmi und Thanner gehen einmal mehr voll in ihren Rollen auf. Zudem kracht’s und scheppert es ordentlich und angesichts vieler Toter und Blutlachen geht der Fall durchaus an die Nieren. Der reale Hintergrund macht zudem ein interessantes Zeitdokument aus diesem „Tatort“, der sich inhaltlich jeglicher klarer Positionierung verweigert und stattdessen die Bilder eindrucksvoll sprechen lässt.
„Wie im Libanon!“
Der Südtiroler TV-Serien-Regisseur Werner Masten („Straßen von Berlin“, „Der Bulle von Tölz“) debütierte im Jahre 1989 innerhalb der „Tatort“-Reihe mit gleich zwei Beiträgen: „Schmutzarbeit“ sowie dem hier besprochenen „Blutspur“, dem nach einem Drehbuch Peter Steinbuchs entstandenen 22. Fall der Duisburger Kripo um die Kommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Das passte insofern gut, als Masten bereits 1984 einen Film namens „Schimmi“ inszeniert hatte. „Tatort: Blutspur“ wurde am 20. August 1989 erstausgestrahlt und landete aufgrund seiner Gewaltdarstellungen anschließend bis 1999 im Giftschrank.
„Wer kricht’n um die Zeit schon einen hoch?“
Eine Gruppe arabischer Terroristen verübt abends einen Anschlag auf das Büro zur Befreiung Palästinas in Essen-Steele. Am nächsten Morgen werden Schimanski und Thanner in aller Herrgottsfrühe damit beauftragt, einen drachenfliegenden Exhibitionisten zu stellen, was weder zu ihrem eigentlichen Aufgabengebiet noch zu ihren bevorzugten Tätigkeiten gehört. Entsprechend schlecht ist die Stimmung. Der Einsatz führt zu einem Lager für polnische Fernfahrer, dessen Betreiber der polnischstämmige Kripo-Informant Leszek (Vadim Glowna, „Wo immer du bist“) ist. Kurz nach dem Gespräch mit Leszek taucht das Terrorkommando ebenfalls dort auf schießt wild um sich, wobei Schimanskis Wagen zerstört wird. In einem Lkw entdecken die Kripobeamten eine riesige Blutlache, die sie untersuchen lassen. Leszek ist derweil verschwunden, kann aber in einem Duisburger Hotel ausfindig gemacht werden. Schimanski belauscht in einem Lüftungssacht Leszeks Gespräch mit einem gewissen Samara (Kostas Papanastasiou, „Morena“), als die Terroristen plötzlich Handbrandsprengsätze durchs Fenster werfen und Samara sowie einen stummen Passfälscher töten. Leszek jedoch kann entkommen, wird von Schimanski aber für ebenfalls tot gehalten. Leszeks Freundin Ela (Marita Marschall, „War Zone – Todeszone“) aber greift er vorm Hotel auf und verhört sie. Daraufhin taucht sie bei der Bauchtänzerin Roswitha (Michaela Wolko, „Das Nürnberger Bett“) unter. Ihren just aus der Haft entlassenen Zuhälter Freddie (Rolf Zacher, „Der Formel Eins Film“) zwingen Schimanski und Thanner zur Zusammenarbeit, um Ela zu finden. Feststeht: Ela und Leszek sind in tödliche Geschäfte verwickelt – doch welcher Art? Und welche Rolle spielen die Terroristen in diesem mörderischen Spiel?
„Es geht alles seinen gewohnten Dienstweg!“
Mit „Blutspur“ greift die Reihe die damals aktuellen blutigen Konflikte zwischen Palästinensern und Schiiten im Libanon auf. Der Prolog zeigt den Anschlag aufs Bürogebäude, inklusive Explosionen, Schüssen und brennenden Menschen. Ein herber Einstieg in diesen Action-Krimi, der sich gar nicht mit Erklärungen dahingehend aufhält, weshalb Thanner nach den Ereignissen im vorausgegangenen Duisburger „Tatort“ wieder mir nichts, dir nichts bei der Kripo arbeitet. Dieser reitet permanent darauf herum, dass libanesische Verhältnisse herrschen würden, und Schimmi wirkt durchgehend gehetzt, genervt und aggressiv – analog zur hochbrisanten, gefährlichen Lage durch die Ausweitung eines Nahostkonflikts auf deutsches Territorium. „Wer kämpft hier gegen wen… und warum?“ wird wortwörtlich als Frage in den Raum geworfen und beschreibt exakt, worum es in dieser unübersichtlichen Gemengelage geht, die Masten und Co. hier etablieren.
„Handbrandsprengsätze, verdammt noch mal!“
Vermengt wird das Nahost-Motiv mit Ausflügen ins Nachtleben und Rotlichtmilieu. Bei einer schön gefilmten nächtlichen Autofahrt Thanners und Schimanskis durch den Essener Kiez kennt Thanner fast alle Bordsteinschwalben beim Namen. Roswitha liefert eine Bauchtanzeinlage und die Figur des Freddie (Zachers zweiter Einsatz in einem Duisburger „Tatort“) als kleiner Zuhälter gerät im weiteren Verlauf immer mehr zum amüsanten Comic Relief. Zum Running Gag avanciert Thanners ständige Sorge um sein neues Auto, einen weißen Subaru. Es wird diesen Fall nicht überleben. Auf den Straßen liefert man sich ein packendes Duell Lkw versus Pkw und in einem Großteil der weniger actionreichen Szenen dominiert erneut eine prima realisierte, bisweilen vielleicht etwas dick aufgetragene Neo-Noir-Ästhetik. Veronica Ferres („Schtonk!“) gibt sich als Imbisswirtin ein Stelldichein, Dieter Pfaff ist als Kripo-Kollege Geiger wieder mit von der Partie und statt mit Königsberg müssen sich Schimanski und Thanner mit dem von Gerhard Olschewski gespielten Ossmann herumplagen.
„Steckt euch die Schiiten in euren BKA-Arsch!“
„Blutspur“ wollte etwas viel auf einmal – oder man streckte ein im Prinzip fertiges Skriptkonstrukt bemüht mit Ruhrpott- bzw Kiez-Folklore, denn so richtig möchte sich hier nicht immer ein Teil ins andere fügen. Daraus resultieren ein paar Ungereimtheiten und eine überkomplizierte Erzählweise, bei der die Übersicht schon mal verloren geht. Die gute Unterhaltung überwiegt aber zweifelsohne, denn Schimmi und Thanner gehen einmal mehr voll in ihren Rollen auf. Zudem kracht’s und scheppert es ordentlich und angesichts vieler Toter und Blutlachen geht der Fall durchaus an die Nieren. Der reale Hintergrund macht zudem ein interessantes Zeitdokument aus diesem „Tatort“, der sich inhaltlich jeglicher klarer Positionierung verweigert und stattdessen die Bilder eindrucksvoll sprechen lässt.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Katjas Schweigen
„Du spielst ja so, als ob du alle umbringen willst!“
Regisseur Hans Noever („Gefahr für die Liebe – AIDS“) debütierte innerhalb der „Tatort“-Reihe mit der 23. Episode ums Duisburger Kripo-Team aus Horst Schimanksi (Götz George), Christian Thanner (Eberhard Feik), Hänschen (Chiem van Houweninge) und Konsorten: Das Kriminaldrama „Katjas Schweigen“ wurde 1989 nach einem Drehbuch Uwe Erichsens gedreht und erstausgestrahlt. Noever konzentrierte sich anschließend fast ausschließlich auf den „Tatort“, seinem zweiten und letzten Duisburger Beitrag „Schimanskis Waffe“ folgten bis ins Jahr 2002 acht weitere Episoden.
„Das ist mein Freund und Kollege Christian Thanner: Diplom-Zyniker!“
Unter der Ägide des Bewährungshelfers Jannek (Ulrich Pleitgen, „Stammheim“) trainiert Schimanski ein aus jugendlichen Straftätern bestehendes Football-Team. Als bei einem Supermarktüberfall ein mit Schimmi befreundeter Polizist erschossen wird, fällt Thanners Verdacht auf Mitglieder des Football-Teams, vor das sich Schimanski jedoch schützend stellt. Bei der tödlichen Waffe handelte es sich um eine Astra 900, wie sie vor einiger Zeit schon einmal auf den Zuhälter und Fitnessclub-Betreiber Billy (Nellis Du Biel, „Mit den Clowns kamen die Tränen“) von einem gewissen Zander (Will Danin, „Tatort: Miriam“) abgefeuert worden war, der jedoch nie gefasst wurde. Dafür gerät ein weiterer Schützling Schimmis ins Visier der Kripo: Tommy Schaaf (Paul Cabanis, „Der Spatzenmörder“), der sich auch dadurch verdächtig macht, dass er plötzlich spurlos verschwunden ist. Dessen Schwester Katja (Katja Riemann, „Regina auf den Stufen“) ist Schimanski keine große Hilfe. Als man dennoch auf Tommys Spur kommt, kommt es zu weiteren verhängnisvollen, weil tödlichen Schüssen und Thanner sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert…
„Katjas Schweigen“ präsentiert die junge, damals noch kaum bekannte Katja Riemann in einer Neben-, aber dennoch entscheidenden Rolle, deren Undurchsichtigkeit die Jungschauspielerin perfekt wiedergibt. Schimanski als Mann fürs Grobe powert sich gern auf dem Sportplatz beim American Football als harter Trainerhund der Jungknackimannschaft aus, kommt in Bezug auf Katja aber nur mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen weiter. Gar nicht seins ist indes die vornehme Haute cuisine, zu der der Kripo-Vorgesetzte Ossmann (Gerhard Olschewski) einlädt, um Thanner und Schimmi das Du anzubieten. Da treffen Welten aufeinander, weshalb zukünftig zwar „Hans-Hermann“ Schimanski duzt, dieser ihn jedoch weiterhin siezt. Als Schimanski vom Tod des Polizisten erfährt, schimpft er über die Feigheit dessen Kollegen, der auch als Zeuge kaum Angaben machen kann. Aufgrund Schimmis emotionaler Betroffenheit wird Thanner auf den Fall angesetzt, in untergeordneter Rolle darf Schimanski aber schließlich mitermitteln.
Diese Ausgangssituation ist nicht nur fürs Protokoll, sondern wichtig für den weiteren, eher ungewöhnlichen Verlauf dieses „Tatorts“: Bald entsteht nämlich der Eindruck, dass man Schimanski eventuell besser gar komplett abgezogen hätte, denn er will nicht nur nicht wahrhaben, dass seine Schützlinge in den Fall verwickelt sein könnten, er wird auf der Wache gar übergriffig und brutal und geht sogar auf den um sachliche Ermittlungsarbeit bemühten Thanner los. Die Handlung rechtfertigt diese Brutalität nicht, sondern zeigt, dass Schimanski weder unfehlbar noch immer Herr der Dinge ist – ohne dies wiederum dem Publikum daumendick aufs Brot zu schmieren. Diese Ambivalenz, die einmal Abstand vom Abgekulte der Raubeinigkeit Schimanskis nimmt, stellt eine reizvolle Variation dar. Unfreiwillig komisch indes erscheint der gleichzeitig rappende und klavierspielende (!) Zuhälter, an dessen Flügel sich auch Schimanski dazugesellt. Seit wann kann der überhaupt Klavierspielen?
Nicht minder bizarr wirkt es, wenn einer der verdächtigen Jungs zu den Klängen Tony Careys Schnulze „I Feel Good“ erschossen wird – welch zynische Bild-Ton-Schere! Damit nicht genug: Einer der Zuhälter spielt Bowling mit Schimmi und vollzieht einen Strike, indem er Schimmi als lebende Bowlingkugel einsetzt. Und Katja wird später aufgefunden, wie sie im Bett liegend und englische Satzfetzen rufend auf ihr Kissen einschlägt… Umso interessanter gestaltet sich jedoch die Psychologie zwischen Schimanski und Thanner – und umso spannender die Suche nach dem Thanner entlastenden zweiten Mörder, eingefangen von einer Kamera, die sich auch für das eine oder andere Augenschmankerl nicht zu schade ist. Am Ende sieht sich Schimanski gar gezwungen, Beweismaterial zu fälschen, was seine fragwürdige Rolle innerhalb der Ermittlungen noch einmal unterstreicht – wenngleich diesmal eindeutig der Zweck die Mittel zu heiligen scheint.
„Katjas Schweigen“ ist über weite Strecken recht vertrackt erzählt und mitunter schwierig nachzuvollziehen, hält mit manch kurioser Szene und einem bestens aufgelegten Ensemble aber dauerhaft bei Laune – wenngleich das „Football-Ende“ um Katja etwas kitschig ausfällt. Zwar beackert man einmal mehr das Rotlichtmilieu, diesmal jedoch eher im weiteren Sinne, sodass die üblichen Klischees weitestgehend umschifft werden. Mit einem im Hintergrund stattfindenden Smalltalk der Duisburger Polizei über „Vopos“ versteckt sich ein bereits auf die Zeichen der (Wende-)Zeit hindeutendes Detail. Der Synthi-Score trägt zur schönen, unaufdringlichen urbanen End-‘80er-Atmosphäre bei und Softie Tony Carey ist mit zwei Stücken vertreten; neben dem genannten legt Katja in ihrer Wohnung „Room With a View“ auf. Ein unterhaltsamer und inhaltlich durchaus schwergewichtiger „Tatort“, wenn auch etwas unnötig unkompliziert erzählt und nicht immer den passenden Ton treffend.
„Du spielst ja so, als ob du alle umbringen willst!“
Regisseur Hans Noever („Gefahr für die Liebe – AIDS“) debütierte innerhalb der „Tatort“-Reihe mit der 23. Episode ums Duisburger Kripo-Team aus Horst Schimanksi (Götz George), Christian Thanner (Eberhard Feik), Hänschen (Chiem van Houweninge) und Konsorten: Das Kriminaldrama „Katjas Schweigen“ wurde 1989 nach einem Drehbuch Uwe Erichsens gedreht und erstausgestrahlt. Noever konzentrierte sich anschließend fast ausschließlich auf den „Tatort“, seinem zweiten und letzten Duisburger Beitrag „Schimanskis Waffe“ folgten bis ins Jahr 2002 acht weitere Episoden.
„Das ist mein Freund und Kollege Christian Thanner: Diplom-Zyniker!“
Unter der Ägide des Bewährungshelfers Jannek (Ulrich Pleitgen, „Stammheim“) trainiert Schimanski ein aus jugendlichen Straftätern bestehendes Football-Team. Als bei einem Supermarktüberfall ein mit Schimmi befreundeter Polizist erschossen wird, fällt Thanners Verdacht auf Mitglieder des Football-Teams, vor das sich Schimanski jedoch schützend stellt. Bei der tödlichen Waffe handelte es sich um eine Astra 900, wie sie vor einiger Zeit schon einmal auf den Zuhälter und Fitnessclub-Betreiber Billy (Nellis Du Biel, „Mit den Clowns kamen die Tränen“) von einem gewissen Zander (Will Danin, „Tatort: Miriam“) abgefeuert worden war, der jedoch nie gefasst wurde. Dafür gerät ein weiterer Schützling Schimmis ins Visier der Kripo: Tommy Schaaf (Paul Cabanis, „Der Spatzenmörder“), der sich auch dadurch verdächtig macht, dass er plötzlich spurlos verschwunden ist. Dessen Schwester Katja (Katja Riemann, „Regina auf den Stufen“) ist Schimanski keine große Hilfe. Als man dennoch auf Tommys Spur kommt, kommt es zu weiteren verhängnisvollen, weil tödlichen Schüssen und Thanner sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert…
„Katjas Schweigen“ präsentiert die junge, damals noch kaum bekannte Katja Riemann in einer Neben-, aber dennoch entscheidenden Rolle, deren Undurchsichtigkeit die Jungschauspielerin perfekt wiedergibt. Schimanski als Mann fürs Grobe powert sich gern auf dem Sportplatz beim American Football als harter Trainerhund der Jungknackimannschaft aus, kommt in Bezug auf Katja aber nur mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen weiter. Gar nicht seins ist indes die vornehme Haute cuisine, zu der der Kripo-Vorgesetzte Ossmann (Gerhard Olschewski) einlädt, um Thanner und Schimmi das Du anzubieten. Da treffen Welten aufeinander, weshalb zukünftig zwar „Hans-Hermann“ Schimanski duzt, dieser ihn jedoch weiterhin siezt. Als Schimanski vom Tod des Polizisten erfährt, schimpft er über die Feigheit dessen Kollegen, der auch als Zeuge kaum Angaben machen kann. Aufgrund Schimmis emotionaler Betroffenheit wird Thanner auf den Fall angesetzt, in untergeordneter Rolle darf Schimanski aber schließlich mitermitteln.
Diese Ausgangssituation ist nicht nur fürs Protokoll, sondern wichtig für den weiteren, eher ungewöhnlichen Verlauf dieses „Tatorts“: Bald entsteht nämlich der Eindruck, dass man Schimanski eventuell besser gar komplett abgezogen hätte, denn er will nicht nur nicht wahrhaben, dass seine Schützlinge in den Fall verwickelt sein könnten, er wird auf der Wache gar übergriffig und brutal und geht sogar auf den um sachliche Ermittlungsarbeit bemühten Thanner los. Die Handlung rechtfertigt diese Brutalität nicht, sondern zeigt, dass Schimanski weder unfehlbar noch immer Herr der Dinge ist – ohne dies wiederum dem Publikum daumendick aufs Brot zu schmieren. Diese Ambivalenz, die einmal Abstand vom Abgekulte der Raubeinigkeit Schimanskis nimmt, stellt eine reizvolle Variation dar. Unfreiwillig komisch indes erscheint der gleichzeitig rappende und klavierspielende (!) Zuhälter, an dessen Flügel sich auch Schimanski dazugesellt. Seit wann kann der überhaupt Klavierspielen?
Nicht minder bizarr wirkt es, wenn einer der verdächtigen Jungs zu den Klängen Tony Careys Schnulze „I Feel Good“ erschossen wird – welch zynische Bild-Ton-Schere! Damit nicht genug: Einer der Zuhälter spielt Bowling mit Schimmi und vollzieht einen Strike, indem er Schimmi als lebende Bowlingkugel einsetzt. Und Katja wird später aufgefunden, wie sie im Bett liegend und englische Satzfetzen rufend auf ihr Kissen einschlägt… Umso interessanter gestaltet sich jedoch die Psychologie zwischen Schimanski und Thanner – und umso spannender die Suche nach dem Thanner entlastenden zweiten Mörder, eingefangen von einer Kamera, die sich auch für das eine oder andere Augenschmankerl nicht zu schade ist. Am Ende sieht sich Schimanski gar gezwungen, Beweismaterial zu fälschen, was seine fragwürdige Rolle innerhalb der Ermittlungen noch einmal unterstreicht – wenngleich diesmal eindeutig der Zweck die Mittel zu heiligen scheint.
„Katjas Schweigen“ ist über weite Strecken recht vertrackt erzählt und mitunter schwierig nachzuvollziehen, hält mit manch kurioser Szene und einem bestens aufgelegten Ensemble aber dauerhaft bei Laune – wenngleich das „Football-Ende“ um Katja etwas kitschig ausfällt. Zwar beackert man einmal mehr das Rotlichtmilieu, diesmal jedoch eher im weiteren Sinne, sodass die üblichen Klischees weitestgehend umschifft werden. Mit einem im Hintergrund stattfindenden Smalltalk der Duisburger Polizei über „Vopos“ versteckt sich ein bereits auf die Zeichen der (Wende-)Zeit hindeutendes Detail. Der Synthi-Score trägt zur schönen, unaufdringlichen urbanen End-‘80er-Atmosphäre bei und Softie Tony Carey ist mit zwei Stücken vertreten; neben dem genannten legt Katja in ihrer Wohnung „Room With a View“ auf. Ein unterhaltsamer und inhaltlich durchaus schwergewichtiger „Tatort“, wenn auch etwas unnötig unkompliziert erzählt und nicht immer den passenden Ton treffend.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
WDR wiederholt alle Schimanskis!
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Ab wann? In chronologischer Reihenfolge? Inkl. den Kinofilmen?
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
https://presse.wdr.de/plounge/tv/wdr_fe ... anski.htmlbuxtebrawler hat geschrieben: ↑Mi 2. Sep 2020, 15:55Ab wann? In chronologischer Reihenfolge? Inkl. den Kinofilmen?
Fängt mit Folge 1 an, danach steht es noch nicht fest, aber inklusive der Kinofilme anscheinend. Ab morgen schon, und alles dann auch 90 Tage in der Mediathek.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Sehr schön!karlAbundzu hat geschrieben: ↑Do 3. Sep 2020, 16:53 Fängt mit Folge 1 an, danach steht es noch nicht fest, aber inklusive der Kinofilme anscheinend. Ab morgen schon, und alles dann auch 90 Tage in der Mediathek.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Übrigens mal reingeschaut... nach meinem Geschmack hat man es mit der Helligkeitswerten bei der Restauration heftig übertrieben.buxtebrawler hat geschrieben: ↑Fr 4. Sep 2020, 08:33Sehr schön!karlAbundzu hat geschrieben: ↑Do 3. Sep 2020, 16:53 Fängt mit Folge 1 an, danach steht es noch nicht fest, aber inklusive der Kinofilme anscheinend. Ab morgen schon, und alles dann auch 90 Tage in der Mediathek.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Medizinmänner
„Wo bin ich hier überhaupt?“
Das Œuvre des deutschen Regisseurs Peter Carpentier ist bis heute recht übersichtlich, nach seiner Beteiligung an der TV-Serie „Hafendetektiv“ jedenfalls inszenierte er den 24. Einsatz der Duisburger „Tatort“-Kripo um Horst Schimanksi (Götz George), Christian Thanner (Eberhard Feik) und Hänschen (Chiem van Houweninge), zu dem letzterer das Drehbuch verfasste: „Medizinmänner“ wurde im Frühjahr 1990 erstausgestrahlt.
„Wenn einer so pervers ist, morgens um fünf Uhr angeln zu gehen, verdient er nichts anderes, als erschossen zu werden…“
Der Abteilungsleiter eines pharmazeutischen Betriebs, Jochen Bähr, wird von einem nacktbadenden Pärchen tot in einem Angelboot auf einem Waldsee aufgefunden. Die alarmierte Polizei findet versteckt im Boot außerdem Bährs kleinen Sohn Thomas (Nikolai Bury, „Sommertage“) – lebendig, aber unter Schock stehend und verstummt. Kriminalhauptkommissar Schimanski fährt Thomas zu dessen Mutter Karin (Heidemarie Wenzel, „Die Legende von Paul und Paula“) und überbringt ihr die schreckliche Nachricht. Sie erwähnt einen Freund und Vorgesetzten ihres Mannes: Dr. Peter Schatz (Julius Caesar, „Christoph Bantzer“) habe ihn üblicherweise auf seinen Angelausflügen begleitet, sei diesmal aber verhindert gewesen. Schimanski versucht, eine Beziehung zu Thomas aufzubauen und ihn einfühlsam zum Sprechen zu bewegen, doch während eines gemeinsamen Ballspiels auf der Straße wird der Junge entführt. Bei der Befragung von Dr. Schatz in dessen Unternehmen entgeht dieser nur knapp einem Mordanschlag. Schimanski wird trotzdem fündig: Möglicherweise haben der Mord und die Entführung etwas mit Pharmageschäften mit afrikanischen Staaten zu tun…
„Ich muss zum Psychiater!“ – „Gute Besserung!“
Ein völlig verkaterter Schimmi wird von Thanner aus dem Bett geholt und zum Tatort gefahren. Ein bisschen seltsam ist es schon, dass für den kleinen Jungen weder ein Arzt noch ein Polizeipsychologe gerufen werden. Kein Wunder, dass er wegläuft, als Schimmi ihn kurz aus den Augen lässt. Dass er dabei sogleich entführt wird, potenziert die Misere. Leider ist auch Thanner nicht ganz auf der Höhe, sondern von einer Erkältung gebeutelt – und vom Vorgesetzten Ossmann (Gerhard Olschewski) gestresst, der einmal mehr Königsberg vertritt. Dass Dr. Schatz etwas mit den Kapitalverbrechen zu tun hat, wird sehr schnell klar, seine Spannung bezieht „Medizinmänner“ also in erster Linie aus der Frage nach den Hintergründen und Motiven.
„So einen Mann wie Schimanski verliert man doch nicht einfach!“
Wie gern einmal, wenn „Hänschen“ das Drehbuch verfasst hat, bekommt auch dieser „Tatort“ einen starken holländischen Anstrich: Die Spur führt nach Rotterdam, was eine Art „Culture-Clash“ zur Folge hat. Schnell gerät Thanner in einen Konflikt mit holländischen Drogendealern, der durch Hänschens und Schimmis beherztes Eingreifen vor einer Eskalation bewahrt wird, im Nachtleben lässt man’s krachen und lernt eine „Sozialarbeiterin“ sowie eine „Dame von der Heilsarmee“ kennen, muss sich von einer Holländerin vom deutschen Fernsehen, insbesondere der „Tatort“-Reihe, vorschwärmen lassen und insistiert, Holland nicht bombardiert zu haben. Zum anfänglich feindosiert eingestreuten Dialogwitz und Slapstick gesellt sich, ist man erst einmal über der Grenze, recht offensiver Humor. Schluss mit lustig ist erst, als nach dem Jungen nun auch noch Schimanski verschwindet.
Eine spektakuläre Rettungsaktion auf offener See und diverse Ermittlungserfolge später hat „Medizinmänner“ reichlich Kritik an der Pharmaindustrie geübt und vor harten chemischen Drogen gewarnt, wobei mir diesmal unbekannt ist, inwieweit dieser Fall in der Realität verankert ist. Ihr Fett weg bekommen auch liberale niederländische Gesetzgebungen, die, angewandt wie innerhalb dieser Handlung, nichts anderes als Verantwortungslosigkeit und Bequemlichkeit bedeuten. Das ist sicherlich diskussionswürdig, aber gerade deshalb gut und von einer über den reinen Unterhaltungsfaktor hinausgehenden Relevanz. Der Humor trägt zum Gelingen dieses „Tatorts“ ebenso bei, wenngleich man sich die Posse um Ossmanns vermeintliche Homosexualität gut hätte kneifen können. Hier und da hängt’s dramaturgisch ein wenig und nicht alle aufgeworfenen Fragen werden abschließend geklärt, als eine Art Ruhrpott/Holland-Crossover-Episode bietet „Medizinmänner“ aber guten und seriös geschauspielerten Sonntagskrimistoff, der über weite Strecken authentisch ungemütlich wirkt, statt End-‘80er-Wohlfühl-Atmosphäre zu erzeugen. Als inhaltlich nicht ganz passend, jedoch musikalisches Zeitkolorit offenbarend entpuppt sich die Pop-Nummer „Only Love Can Help“ der Künstlerin Azra, der diesmal der „Tatort“-Song der Woche war.
„Wo bin ich hier überhaupt?“
Das Œuvre des deutschen Regisseurs Peter Carpentier ist bis heute recht übersichtlich, nach seiner Beteiligung an der TV-Serie „Hafendetektiv“ jedenfalls inszenierte er den 24. Einsatz der Duisburger „Tatort“-Kripo um Horst Schimanksi (Götz George), Christian Thanner (Eberhard Feik) und Hänschen (Chiem van Houweninge), zu dem letzterer das Drehbuch verfasste: „Medizinmänner“ wurde im Frühjahr 1990 erstausgestrahlt.
„Wenn einer so pervers ist, morgens um fünf Uhr angeln zu gehen, verdient er nichts anderes, als erschossen zu werden…“
Der Abteilungsleiter eines pharmazeutischen Betriebs, Jochen Bähr, wird von einem nacktbadenden Pärchen tot in einem Angelboot auf einem Waldsee aufgefunden. Die alarmierte Polizei findet versteckt im Boot außerdem Bährs kleinen Sohn Thomas (Nikolai Bury, „Sommertage“) – lebendig, aber unter Schock stehend und verstummt. Kriminalhauptkommissar Schimanski fährt Thomas zu dessen Mutter Karin (Heidemarie Wenzel, „Die Legende von Paul und Paula“) und überbringt ihr die schreckliche Nachricht. Sie erwähnt einen Freund und Vorgesetzten ihres Mannes: Dr. Peter Schatz (Julius Caesar, „Christoph Bantzer“) habe ihn üblicherweise auf seinen Angelausflügen begleitet, sei diesmal aber verhindert gewesen. Schimanski versucht, eine Beziehung zu Thomas aufzubauen und ihn einfühlsam zum Sprechen zu bewegen, doch während eines gemeinsamen Ballspiels auf der Straße wird der Junge entführt. Bei der Befragung von Dr. Schatz in dessen Unternehmen entgeht dieser nur knapp einem Mordanschlag. Schimanski wird trotzdem fündig: Möglicherweise haben der Mord und die Entführung etwas mit Pharmageschäften mit afrikanischen Staaten zu tun…
„Ich muss zum Psychiater!“ – „Gute Besserung!“
Ein völlig verkaterter Schimmi wird von Thanner aus dem Bett geholt und zum Tatort gefahren. Ein bisschen seltsam ist es schon, dass für den kleinen Jungen weder ein Arzt noch ein Polizeipsychologe gerufen werden. Kein Wunder, dass er wegläuft, als Schimmi ihn kurz aus den Augen lässt. Dass er dabei sogleich entführt wird, potenziert die Misere. Leider ist auch Thanner nicht ganz auf der Höhe, sondern von einer Erkältung gebeutelt – und vom Vorgesetzten Ossmann (Gerhard Olschewski) gestresst, der einmal mehr Königsberg vertritt. Dass Dr. Schatz etwas mit den Kapitalverbrechen zu tun hat, wird sehr schnell klar, seine Spannung bezieht „Medizinmänner“ also in erster Linie aus der Frage nach den Hintergründen und Motiven.
„So einen Mann wie Schimanski verliert man doch nicht einfach!“
Wie gern einmal, wenn „Hänschen“ das Drehbuch verfasst hat, bekommt auch dieser „Tatort“ einen starken holländischen Anstrich: Die Spur führt nach Rotterdam, was eine Art „Culture-Clash“ zur Folge hat. Schnell gerät Thanner in einen Konflikt mit holländischen Drogendealern, der durch Hänschens und Schimmis beherztes Eingreifen vor einer Eskalation bewahrt wird, im Nachtleben lässt man’s krachen und lernt eine „Sozialarbeiterin“ sowie eine „Dame von der Heilsarmee“ kennen, muss sich von einer Holländerin vom deutschen Fernsehen, insbesondere der „Tatort“-Reihe, vorschwärmen lassen und insistiert, Holland nicht bombardiert zu haben. Zum anfänglich feindosiert eingestreuten Dialogwitz und Slapstick gesellt sich, ist man erst einmal über der Grenze, recht offensiver Humor. Schluss mit lustig ist erst, als nach dem Jungen nun auch noch Schimanski verschwindet.
Eine spektakuläre Rettungsaktion auf offener See und diverse Ermittlungserfolge später hat „Medizinmänner“ reichlich Kritik an der Pharmaindustrie geübt und vor harten chemischen Drogen gewarnt, wobei mir diesmal unbekannt ist, inwieweit dieser Fall in der Realität verankert ist. Ihr Fett weg bekommen auch liberale niederländische Gesetzgebungen, die, angewandt wie innerhalb dieser Handlung, nichts anderes als Verantwortungslosigkeit und Bequemlichkeit bedeuten. Das ist sicherlich diskussionswürdig, aber gerade deshalb gut und von einer über den reinen Unterhaltungsfaktor hinausgehenden Relevanz. Der Humor trägt zum Gelingen dieses „Tatorts“ ebenso bei, wenngleich man sich die Posse um Ossmanns vermeintliche Homosexualität gut hätte kneifen können. Hier und da hängt’s dramaturgisch ein wenig und nicht alle aufgeworfenen Fragen werden abschließend geklärt, als eine Art Ruhrpott/Holland-Crossover-Episode bietet „Medizinmänner“ aber guten und seriös geschauspielerten Sonntagskrimistoff, der über weite Strecken authentisch ungemütlich wirkt, statt End-‘80er-Wohlfühl-Atmosphäre zu erzeugen. Als inhaltlich nicht ganz passend, jedoch musikalisches Zeitkolorit offenbarend entpuppt sich die Pop-Nummer „Only Love Can Help“ der Künstlerin Azra, der diesmal der „Tatort“-Song der Woche war.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort Wien: Pumpen.
Der erste der Saison 20/21
Und gleich das tolle Team mit Neuhauser / Krassnitzer, und Thomas Stipsits als Assistent mit einer größeren körperintensiven Rolle.
Fängt heftig an, ein Mann liegt auf den Gleisen, sieht ein Zug nahen, versucht wegzukommen und wird zweigeteilt...
Ansonsten spielt es im Bodybuilder-Milieu, mit Muskelmittelm, organisierten Sozialbetrug und einem Ex-Bullen.
Das ist alles gut gespielt, spannend erzählt, überraschendes und mit gutem Soundtrack unterlegt. Moritz Eisner erstaunlich empatisch. Bibi Fellner bekommt hier einen Liebhaber und Probleme.
Insgesamt spielen sie eine große Bandbreite auf dem Emotionsklavier!
Guter Start!
Der erste der Saison 20/21
Und gleich das tolle Team mit Neuhauser / Krassnitzer, und Thomas Stipsits als Assistent mit einer größeren körperintensiven Rolle.
Fängt heftig an, ein Mann liegt auf den Gleisen, sieht ein Zug nahen, versucht wegzukommen und wird zweigeteilt...
Ansonsten spielt es im Bodybuilder-Milieu, mit Muskelmittelm, organisierten Sozialbetrug und einem Ex-Bullen.
Das ist alles gut gespielt, spannend erzählt, überraschendes und mit gutem Soundtrack unterlegt. Moritz Eisner erstaunlich empatisch. Bibi Fellner bekommt hier einen Liebhaber und Probleme.
Insgesamt spielen sie eine große Bandbreite auf dem Emotionsklavier!
Guter Start!
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.