Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Love Exposure (Sion Sono, 2008) 6/10

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Handlung? Puh, das ist schwierig. Ich versuch’s mal: Yu Honda ist der Sohn des christlichen Priesters Tetsu, und dementsprechend hat er sein Leben der Mutter Gottes Maria geweiht. Nur Maria wird er seine Liebe gestehen, und nur Maria wird er auch lieben. Yu hatte noch nie eine Erektion, die wird er nur bei seiner Maria haben, und daran wird er Maria auch erkennen. Als die Mutter Yus stirbt wird der Vater immer verbitterter, nimmt Yu jeden Tag die Beichte ab, und weigert sich es anzuerkennen, wenn Yu keine Sünden begangen hat. Daraufhin begeht Yu Sünden – Radiergummis seiner Mitschüler zerreißen, Ameisen zertreten, und Rowdys helfen einen Getränkeautomaten zu zerlegen. Mit eben diesen Halbstarken freundet er sich, und gemeinsam bekommt man eine wahre Obsession: Mädchen heimlich unter den Rock fotografieren. Yu wird darin zu einem wahren Meister, doch eines Tages liefert einer der Freunde ein besseres Bild als er ab, und Yu muss sich, als Preis für das schlechtere Bild, als Mädchen verkleiden, durch Tokio laufen und ein Mädchen küssen.
Yu verkleidet sich also als Sasori und begegnet Yoko, die gerade eine komplette Schlägergang aufmischt, und als Sasori hilft er ihr. Yoko, die Männer hasst, verliebt sich in – Sasori … Yokos beste Freundin ist eine ältere Frau, die sich anschickt, Tetsu zu heiraten. Dadurch werden Yu und Yoko plötzlich Geschwister. Eine perfide Situation, ruft doch Yoko abends Sasori an, und landet im Nebenraum bei Yu …
Das alles ist aber in Wirklichkeit der raffiniert ersonnene Plan der durchtriebenen Koike, die für ihren Chef, einen kriminellen Sektenführer, eine komplette katholische Familie zu dieser Sekte konvertieren soll. Sie hat sich die Familie Yus ausgesucht, weil sie außerdem auf Yu steht, in dem sie ihr Ebenbild meint gefunden zu haben. Die Familie an sich lässt sich relativ leicht kidnappen, doch Yu wird ein schwierigeres Unterfangen. Koike benutzt dafür Yoko, die sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat …

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Liebes-Splatter-Porno-Kungfu-Kömodiendrama“ schreibt Computer Bild zu LOVE EXPOSURE. Hm, na gut. Das kommt also heraus, wenn Computer Bild japanische Filme besprechen soll. Mit Splatter hat der Film genauso wenig zu tun wie mit Porno oder mit Kungfu, das können wir alles getrost streichen. Komödiendrama? Trifft es relativ gut, denn die ersten zwei Stunden haben diesen früh-tarantinesken Irrwitz im Gepäck, sowohl von der Story her als auch von der Inszenierung. Da werden Kapitel eingeteilt, der Titel des Films ist erst nach zwei Stunden zu lesen, da werden Handlungsstränge mehrfach und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Sicher keine Komödie, aber dieser oft groteske Guy Ritchie-Quentin Tarantino-Wahnsinn, der das Kino der Jahrtausendwende so rockte, der wird in dieser ersten Hälfte des Films intensiv ausgelebt. Zusammen mit unglaublich vielen Anspielungen auf Filme, auf tatsächliche Ereignisse und auf die japanische Pop-Kultur überhaupt, kann der geneigte Fan sich hier in Referenzen aalen wie nichts Gutes.

Die zweite Hälfte, also immerhin die anderen zwei Stunden dieses knapp vierstündigen Epos, laufen dann unter dem Begriff Drama, zumindest hier hat sich der F(l)achmann von der Computer Bild nicht vergaloppiert. Koike kidnappt die Familie Tetsu, und Yu wird immer verzweifelter, weil er seine über alles geliebte Yoko nicht mehr hat. Er verkleidet sich als Sasori und dringt mit Bombe und Schwert bewaffnet in das Hauptquartierder Sekte ein, um dort ein Blutbad zu veranstalten. Über dieser Aktion verliert er den Verstand und kommt in die Psychiatrie, wo, als Yoko ihn besucht, plötzlich ein Hauch von KUCKUCKSNEST durch den Raum schwebt. Die Stimmung ist düster und elegisch, und was auf dem Bildschirm passiert hat, vom Storytelling her, mit den ersten zwei Stunden rein gar nichts mehr zu tun, sondern könnte ohne weiteres auch der letzte Hard Boiled-Actionfilm von Ingmar Bergman sein.

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Viel habe ich bislang von Sion Sono noch nicht gesehen. ANTIPORNO, HAZARD und UTSUSHIMI waren es, aber alle drei hatten etwas gemeinsam: Sie überhöhten die Wirklichkeit, und schufen entweder eine parallele Realität, die sich anfühlt wie Reality-TV (HAZARD, UTSUSHIMI) oder es wurde eine so künstliche Welt geschaffen, dass das Ergebnis ein komplettes Kunstobjekt auf unzähligen verschachtelten Ebenen war (ANTIPORNO).
LOVE EXPOSURE ist da ganz anders. Geerdeter, realer, aber auch irgendwie biederer. Trotz des erwähnten Wahnsinns der ersten Hälfte ist LOVE EXPOSURE als Spielfilm ein gutes Stück herkömmlicher als die anderen gesehen Werke. Was dazu führt, dass ich nach der Sichtung … Nein, enttäuscht ist nicht das richtige Wort, vielleicht eher ratlos zurückblieb. LOVE EXPOSURE ist ein Film, den ich von Guy Ritchie erwarte hätte, aber, nach meinem kleinen Wissensstand, nicht von Sion Sono. Mir ist klar, dass es in einem Menschenleben kaum möglich sein dürfte, alle Referenzen aufzuschlüsseln, die hier verarbeitet werden, und mir ist auch klar, dass mit jeder gefundenen Referenz das Sehvergnügen steigt. Sono holt mit LOVE EXPOSURE zu einem gigantischen Rundumschlag gegen alles und jeden aus. Der japanische Begriff Panchira, also das optische Erhaschen der Unterwäsche einer Frau, ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt der Handlung, genauso wie die Pop-Ikone Sasori, das immer wieder auftretende Phänomen der gewalttätigen Sekten und und und …

Vielleicht ist die Inszenierung des Films gerade wegen all dieser Referenzen so "bieder". Hätte Sono vier Stunden mit Wackelkamera eine Mockumentary gefilmt, dann wäre das wahrscheinlich kaum auszuhalten gewesen. Auf diese Weise kann man der wilden und vielschichtigen Geschichte immerhin problemlos folgen, und kann die vielen Wendungen erst so richtig genießen. Ich kann die Begeisterung, die LOVE EXPOSURE entfacht, zwar sehr wohl nachvollziehen, und die Heterogenität der Arbeiten Sion Sonos begeistert mich von mal zu mal mehr, aber mir persönlich fehlte etwas, und ich kann beim besten Willen nicht sagen was. Was bitte niemanden davon abhalten soll, diesen Film zu sehen. Denn eine wunderbare, bereichernde, und viel zu lange Erfahrung ist LOVE EXPOSURE allemal. Ich für meinen Teil werde die Zweitsichtung eines Vier-Stunden-Films wahrscheinlich frühestens in der Rente angehen. Obwohl, wenn ich so die Bilder beim Erstellen dieses Textes so anschaue, dann bekomme ich glatt Lust ...

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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Blood money (Rowland Brown, 1933) 6/10

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YT.jpg (2.44 KiB) 273 mal betrachtet

Bill Bailey ist ein Kautionsvermittler, und ein sehr erfolgreicher und beliebter noch dazu. Die kleinen und großen Gangster hören auf seine Ratschläge - Ob sie ins Gefängnis gehen oder sich verstecken sollen bis Gras über die Sache gewachsen ist, oder ob sie nicht vielleicht besser stiften gehen. Die Nachtclubbesitzerin Ruby ist in Bailey schwer verknallt, der aber hat kürzlich seine heiße Liebe getroffen: Die junge Elaine Talbart, von Beruf Tochter eines stinkreichen Unternehmers und Kleptomanin, und von allem was Unterwelt heißt vollkommen fasziniert. Über Bailey lernt Elaine den Bankräuber Drury kennen, den Bruder von Ruby, der sich auf Anraten von Bailey verstecken soll. Bailey will für Drury die gestohlenen Wertpapiere zurückgeben, doch weil Elaine restlos verliebt ist in Drury, behält sie in ihrer Eigenschaft als Kurier die Wertpapiere – Und Drury wandert für den Rest seines Lebens ein. Ruby, die nicht weiß dass Elaine hinter der Sache steckt, ist bitter enttäuscht und gibt Bailey für die Unterwelt von San Francisco zum Abschuss frei.

Eigentlich kein schlechter Film, bin ich dieses Mal sehr ernsthaft darüber gestolpert, dass ich die Dialoge nur schlecht verstanden habe. Die Drehbuchautoren der frühen 30er-Jahre (und nicht nur die) hatten es wirklich drauf, pointierte und gute Texte zu schreiben, aber wenn die Mischung aus schlechter Tonqualität, mangelnden Englischkenntnissen und gesprochenem Slang zu viel für ein geplagtes Maulwurfsohr wird, dann muss die Bewertung des Films eben ein wenig leiden. Ungerechtfertigterweise …

Denn wie gesagt, eigentlich ist BLOOD MONEY ein guter Film. Die Figuren sind überzeugend, die Handlung zieht erstklassig mit, und die Dialoge sind teilweise sehr hart - Sex haben zu wollen wird zum Beispiel ganz klar ausgesprochen, immerhin befinden wir uns in der (seligen) Pre-Code-Ära. Die junge Elaine ist eine durch und durch verdorbene und hemmungslose Kreatur, die jeden, der mit ihr in Berührung kommt, in den Untergang zieht, und die einzige aufrechte Figur ist ausgerechnet die Nachtclubbesitzerin Ruby, die im raffiniert geträgerten schwarzen Kleid sehr sexy rüberkommt – Judith Anderson so ganz und völlig anders als sieben Jahre später als Mrs. Danvers in Hitchcocks REBECCA.

A propos Hitchcock: Die Gangster wollen Bailey mit Hilfe einer Billardkugel erledigen, in der eine Bombe versteckt ist. Also startet Bailey sein tägliches Spiel, und die letzte Kugel auf dem Tisch wird natürlich die 8 sein – Die Kugel mit der Bombe. Eine extrem spannende und bis zum allerletzten ausgedehnte Szene, die Hitchcocks Auffassung von Spannung vollauf bestätigt: Wir wissen dass eine Bombe explodieren wird, aber nicht wann. Wahrlich nervenzerfetzend!

Dass der Film 40 Jahre lang verboten war wundert letzten Endes nicht. Die Dialoge sind wie erwähnt stellenweise sehr unverblümt, Elaine sucht sich ihr Schicksal als geschlagenes und getretenes Opfer selbst und bereitwillig aus, und Bailey als Hauptfigur ist nun auch kein reines Unschuldslamm, gibt er doch klare Ratschläge, wie das Gesetz so mehr oder weniger umgangen werden kann. Die Polizei hat zwar den ein oder anderen Auftritt, kommt aber nicht wirklich in die Gänge in Bezug auf die Verbrechensbekämpfung, und scheint dem Lotterleben in San Francisco fast etwas machtlos gegenüber zu stehen. So bestechen die Cops zwar einen Taxifahrer der Bailey und Ruby zu Drury bringt, damit die Polizei dann weiß wo der Mann steckt. Aber Bailey ist auch nicht auf den Kopf gefallen, und mit einer Mischung aus viel Geld und sehr überzeugenden Drohungen dreht er den Taxifahrer mühelos um. Nein, die Vertreter von Recht und Ordnung kommen hier, bis rauf zum Bürgermeister, nicht wirklich gut weg.

Umso angenehmer wäre es, den Film wenigstens einmal mit ordentlichen Untertiteln sehen zu können, um die Dialoge zu verstehen, und um die Zusammenhänge besser einordnen zu können. Bis dahin bleibt die Erkenntnis, einen Pre-Code-Film aus dem hintersten Eck des Giftschranks genossen haben zu dürfen, und sich darüber zu freuen, auch wenn man nicht wirklich alles mitbekommen hat.
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Maulwurf
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Der Herr im Haus (Heinz Helbig, 1940) 5/10

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Ja ja, der Herr Bader. Seit so vielen Jahren ist der Herr Bader Hausinspektor in einem hochanständigen Mietshaus in Wien, und seit so vielen Jahren kümmert er sich um alle Belange dieses Hauses, und natürlich auch um die Mieter. Und diese haben es in sich: Im ersten Stock der hochmütige, abergläubische und reinlichkeitsfanatische Kammersänger Schellenberg mit seiner hübschen Tochter Christa. Ein Stockwerk darüber Graf und Gräfin von Schwarzendorff – Er praktisch scheintot, sie mindestens genauso abergläubisch wie Schellenberg, und der junge von Schwarzendorff ist ein vollkommen lebensuntüchtiger Flaneur mit einem Hang zu Christa. Dann Menarek, der medial veranlagte, der seit Monaten den Mietzeins schuldet. Und oben, im Dachatelier, der junge und gutaussehende Klaus Frank, ein angehender Tenor und hoffnungsvoller Künstler, der Christa heimlich Gesangsunterricht am Pianola von Herrn Bader gibt. Die Haushälterin vom Bader, die Frau Pichler hat’s erlaubt, ja ja …

Auf jeden Fall schimpft der Schellenberg mit dem Bader, und der Menarek zahlt keine Miete und macht den Bader stattdessen betrunken, und der junge von Schwarzendorff lädt die Christa ins Séparée ein, was ja völlig ungehörig ist, und der Menarek ist ein Schwindler und Gauner, der mit seinem „Diener“ Klaus auf Beutefang bei den von Schwarzendorffs aus ist, und die Christa und der Klaus Frank verlieben sich ganz furchtbar ineinander, und weil der Schellenberg auf die krummen Geschäfte vom Menarek reinfällt, und dabei ganz furchtbar viel Geld verlieren könnte, und wegen der süßen Christa und dem netten Frank, da entlarvt der Bader den unsympathischen Menarek, in dem er als Napoleon auftritt …

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In drei Tagen bringen sie mir die Quittung unterschrieben wieder.“ „Was sind schon drei Tage vor der Ewigkeit? Was ist schon Geld? Irdischer Tand!!

Ja ja, der Hans Moser. In den Zeiten, als die laufenden Bilder noch schwarzweiss waren und nicht vor lauter Einfallslosigkeit ständig explodieren mussten, da war der Moser ein ganz großer Star. So groß, dass er sich im Dritten Reich tatsächlich weigern konnte, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, ohne dass von seinem Ruhm etwas abblätterte. In seinen ausgesprochen erfolgreichen Filmen spielte er immer die kleinen Leute, anders als Heinz Rühmann nicht sanft und humorig, sondern knarzig und meckernd, aber immer mit einem guten Kern. Als der kleine Maulwurf in den (frühen) 70er- Jahren diese Filme im Fernsehen sah, wo der bockernde Moser oft im Duett mit dem hochnäselnden Theo Lingen auftrat, da hatte er ein Mordsvergnügen, und die Erinnerung an diese Filme begleitete ihn viele Filmjahre lang.

DER HERR IM HAUS war jetzt der erste Hans Moser-Film nach mehreren Jahrzehnten, und leider, muss ich konstatieren, ist mindestens einer von uns beiden nicht so richtig gut gealtert. Die Geschichte ist mit Liebe zum Detail erzählt, Hans Moser grantelt sich durch die Entourage wie eh und je, und die Nebenfiguren sind erstklassig besetzt und alles macht recht viel Spaß.
Aber irgendwie kommt dabei, aus heutiger Sicht wohlgemerkt, gar nicht mehr so viel Lachen dabei raus wie früher. Man ist nicht die ganze Zeit am Kichern und am Zappeln, der Humor Mosers ist nicht mehr lustig sondern humorig. Soll heißen, dass das alles auf viel leiserer Stufe funktioniert als man sich es vorstellt. Und das Gefühl, das sich nach dem Ende einstellt, ist ein weiches und warmes Wohlgefühl, vergleichbar etwa mit der Stimmung nach DON CAMILLO UND PEPPONE. Aber man ist stimmungsmäßig einfach nicht so exponiert wie nach einem, sagen wir, Heinz Erhardt-Film. Alles ist langsam, alle Außenszenen sind sichtlich im Studio gedreht, die Charaktere sind einfältig beschrieben, und selbst Hans Moser dreht nicht etwa auf, so wie man es von späteren oder heutigen Komikern kennt, sondern er ist eben bei allem Gegrantel immer sehr sehr leise.

Sein Sixtus Bader ist gnärschig, aber immer ein herzensguter Mensch. Gleich, ob er beim Schwindler Menarek die Miete befiehlt, oder beim sympathischen Klaus Frank die Miete nachlässt weil der ja nicht einmal heizen kann, gleich ob er das Pärchen Christa und Klaus knutschen lässt, oder ob er bei der Gesellschaft von Schellenberg als Bedienung aushilft – Er ist immer und für alle da. Selbst die Dialoge zwischen Bader und seiner Haushälterin sind nicht auf Krawall gebürstet, sondern verhalten und eher als Diskurs zu verstehen denn als Diskant.

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Wie gesagt, die Stimmung nach dem Film ist leicht und heiter. Wie ein Frühsommerabend nach einem faulen Tag. Keine Schwere, kein überragendes Gefühl, einfach nur ein einfaches Wohlbefinden. Was ja sehr schön sein mag, aber ein klein wenig mehr Tumult, etwas mehr Wiener Gschaftlhuberei, mehr Irrungen und Verwirrungen hätten dem Film möglicherweise gut getan. Oder ist da nur die Erwartungshaltung in eine andere Richtung galoppiert als vorgesehen? Ob andere Filme von Hans Moser auch so schlecht gealtert sein mögen? Ich werde es herausfinden …
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Frauen, die durch die Hölle gehen (Rudolf Zehetgruber, 1966) 6/10

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Ein Siedlertreck wird mitten in der Wüste überfallen, und nur sieben Frauen überleben. Sieben Frauen, die ihr Leben bisher als Lehrerin, Verlobte, Tochter, Ehefrau oder ähnliches verbracht haben, und die sich jetzt plötzlich mitten in der Wildnis blut- und sexgierigen Indianern gegenüber sehen. Die einzige Hoffnung ist Fort Lafayette, aber das ist 100 Meilen entfernt. Irgendwo im Westen, und die Indianer wollen mit den Frauen, bevor sie sie töten, auch gerne noch spielen …

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Irgendwann im Verlauf des Films klettert die Zirkusartistin Katy einen Schotterhang hoch, und winkt oben angekommen ihren Gefährtinnen voller Stolz zu, es geschafft zu haben. So, und jetzt schauen wir mal, wie das Seil da hoch kommt …

Wer sich an solchen Momenten stört, der sollte um diesen Film besser einen weiten Bogen machen, denn solche seltsamen Dinge geschehen öfters einmal. Die Handlung springt auch mal erstaunliche Tanzschritte oder tritt geschickt in jedes herumliegende Logikloch, aber wenn man diese Dinge geflissentlich ignorieren kann, dann zeigt sich FRAUEN.. als starkes Actiondrama mit schönen Bildern und noch schöneren Frauen. Überhaupt ist es ganz großartig, dass in einem Film aus dem Jahr 1966 die Frauen, obwohl unter den Schauspielerinnen einige der damals schönsten Aktricen Europas zu finden sind, als das wirklich starke Geschlecht hingestellt werden, und zwar ohne wenn und aber. Der coole und gutaussehende Westmann Gus tritt zwar irgendwann in das Leben der Kämpferinnen, kann aber selber nicht wirklich viel zur Rettung beitragen. Alle Ideen und fast alle deren Durchführungen liegen in den Händen der Frauen. Am Öffnen einer Waffenkiste scheitert der Herr der Schöpfung fast, und selbst in der Schlusseinstellung gibt sich die taffe Lehrerin Mary Ann nicht, dem eigentlich gar nicht so männlichen, Gus hin, was ich für ausgesprochen bemerkenswert für einen Film dieser Zeit halte.

Auf der anderen Seite hat es dann einige blutrünstigere Momente, die zwar kurz sind, dafür aber sehr intensiv. Die gespreizten und blutüberströmten Beine der toten Bridget brennen sich ebenso in das Gedächtnis ein wie die Szene, als einer der Apachen einen Soldaten skalpiert hat und voller Inbrunst seinen Triumph in die Wüste schreit, zusammen mit dem stolz emporgereckten blutigen Haarknäuel. Gänsehautmomente, die den Film deutlich über das Winnetou-Niveau heben, welches er in den Szenen im Indianerlager gerne mal anschlägt. Oder zu Beginn, wenn die einzelnen Damen im Siedlertreck steif und klischeebeladen vorgestellt werden, und der Zuschauer sich ob der kommenden 99 Minuten bereits zu fürchten beginnt.

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Die Kampfszenen zwischen Indianern und Weißen sind heftig und oft brutal, und die Verzweiflung der Frauen wenn sie kämpfen und töten müssen ist fast mit Händen zu greifen. Vielleicht wirken die dagegengestellten Kitschszenen gerade aus diesem Grund so kitschig – Wenn Ursula nicht realisieren mag dass ihr Kind längst tot ist, oder wenn Dorothy verzweifelt an dem ominösen Geschenk für ihren Verlobten festhält, dann ist streng genommen Zeit zum Bier holen oder ähnliche Dinge treiben. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass diese Szenen bewusst gegen die Kämpfe und das Sterben gesetzt wurden, um dem Publikum im Jahre 1966 nicht zu viel zumuten zu müssen.

Von daher ist FRAUEN.. nichts anderes als gutes und hartes Actionkino aus früheren Zeiten, das ein ganz klein wenig zu viel Herzschmerz gegen herausragende Darstellerinnen und stark inszenierte Action setzt. Und damit, wenn man mal ehrlich ist, trotz kleinerer Unzulänglichkeiten ziemlich gut unterhält …

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Die Fälschung (Volker Schlöndorff, 1981) 7/10

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Der Journalist Laschen (Bruno Ganz) entflieht seinen Eheproblemen mit einem Auftrag, der ihn in den frisch entbrannten Bürgerkrieg im Libanon führt. Zusammen mit dem Fotografen Hoffmann (Jerzy Skolimowski) versucht er im umkämpften Beirut seinen Job zu machen und gleichzeitig eine Liaison mit der in Beirut lebenden Deutschen Arianna (Hanna Schygulla) am Laufen zu halten. Als er Augenzeuge eines Massakers wird entscheidet er sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, sondern im Libanon zu bleiben.

Zu Beginn dachte ich mir ja schon noch „Deutsche Filme … Kein Wunder dass die niemand mag, so hölzern wie die Jungs und Mädels da spielen.“ Aber was wie ein ZDF-Fernsehspiel beginnt, gewinnt mit dem Beginn der eigentlichen Handlung in Beirut an Drive. Laschen lässt sich durch Beirut treiben, kommt selber in einen Schusswechsel, muss vor Artilleriebeschuss flüchten, und in einer sehr schönen Szene kommt er mit mehrstündiger Verspätung im Haus von Arianna an, von Kopf bis Fuß verdreckt, der Anzug ruiniert, und meint nur lakonisch, dass es umständlich war herzukommen.

Überhaupt das dargestellte Leben in Beirut. Der Film spielt 1976, ein Jahr vorher hatte der Bürgerkrieg begonnen. Die Altstadt von Beirut, ja die gesamte Innenstadt, galt als No Man’s Land: Nur Ruinen, durch die Straßen ziehende Milizen, ständig irgendwo Schüsse oder Explosionen, Menschen die nach Wasser anstehen und die Straßen nur rennend überqueren, Scharfschützen die alles beharken was noch lebt. Bilder wie aus Berlin 1945 oder Sarajevo 1995.
Der Film wurde tatsächlich in Beirut während des Bürgerkriegs gedreht, und es sind keine Kulissen und keine Statisten zu sehen. Schlöndorff erzählt, dass die Milizen ganz begeistert waren in dem Film mitzuspielen. Allerdings haben alle darauf bestanden mit echter Munition zu schießen, weil Platzpatronen die Gewehre kaputtmachen. Das heißt, dass wirklich alles in diesem Film echt ist.

Somit sind die Settings, ist die Stimmung im Film sehr authentisch und beeindruckend, was der Handlung wiederum zugute kommt. Laschen versinkt im Laufe des Filmes im mehr in der Gewalt die ihn umgibt. Während er zu Beginn noch über den Tod eines alten Mannes staunt und philosophiert, ist er spätestens nach dem als Augenzuge erlebten Massaker an moslemischen Zivilisten konsterniert. Er sieht wie Leichen verbrannt werden, und gleichzeitig erlebt er den Geschäftssinn und den Zynismus seiner Kollegen, wenn die Fotos von Opfern als Handelsobjekte gesehen werden und den Status von Fußballsammelbildern haben. Als er, um nicht selber ums Leben zu kommen, einen Mann töten muss, erkennt er wie leicht man sich in einer solchen Umgebung verlieren kann und er entscheidet sich doch nach Deutschland zurückzukehren. Die Hybris ist dann die Szene in der Redaktionskonferenz, wenn er die Bilder des Massakers vorlegt, die Antwort „Beirut, das interessiert doch keinen mehr“ lautet, und er um die Anzahl der verfügbaren Seiten feilschen muss.

Diese Momente sind die stärksten des Filmes, hier kann auch Bruno Ganz glänzen, und hier macht man sich als Zuschauer auch so seine Gedanken über die aktuellen Kriegsspielchen. Leider empfinde ich Ganz in vielen Situationen als glatte Fehlbesetzung, was dem Film natürlich nicht gut tut. Seine stoische Leidensmiene, seine Reserviertheit, auch in Momenten die ihn emotional fordern, da würde ich mir mehr Gefühl und mehr Engagement wünschen. Und wenn er im Bonusmaterial selber erzählt, dass er sich vom Regisseur des Öfteren allein gelassen gefühlt hat, dann ist klar, dass er erheblich mehr Führung gebraucht hätte um die Rolle auch wirklich auszufüllen. Da haben Regisseur und Schauspieler wohl nicht so ganz zusammengepasst. Wie wohltuend wirkt daneben Hanna Schygulla, die ihre Rolle fühlt, lebt, und geradezu somnambul durch die zerstörte Stadt schwebt. Laut DVD-Bonusmaterial ist Hanna Schygulla nach Abschluss der Dreharbeiten noch einige Zeit in Beirut geblieben, und diese Verbundenheit ist auch deutlich zu spüren, was bei Bruno Ganz aber leider gar nicht zutrifft. Seine Entscheidung in Beirut zu bleiben ist schauspielerisch nicht nachzuvollziehen, das Unbehagen über den Aufenthalt in Beirut hingegen in fast jeder Minute zu spüren.

Fazit: Ein starker Anti-Kriegsfilm, der nicht mit übertriebenen Greueltaten zu punkten versucht, sondern die Entmenschlichung des Krieges anhand der Entwicklung des Protagonisten darstellt, dabei aber nicht vergisst dass ein Film auch unterhalten muss. Der Film ist definitiv keine Kopfgeburt, und damit auf jeden Fall sehenswert.

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Der Bulle von Tölz: Waidmanns Zank (Walter Bannert, 1997) 6/10

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Gruber und Schaller können sich gegenseitig nicht ausstehen, und aus dieser Feindschaft wird schnell Hass. Glühender Hass. Hass bedeutet, seine eigene Brust dem Gewehr des anderen zu präsentieren. Entweder ist der andere ein Feigling, oder ein Mörder, aber er hat in jedem Fall verloren. Die Ehre ist wichtiger als das Leben, und die eigene Familie muss dahinter völlig zurückstehen. Es ist nur folgerichtig, dass die Geschichte mit einem Duell endet. Mann gegen Mann. Zwar nicht mittags um 12 auf der Hauptstraße, aber fast …

Und mittendrin, zwischen diesen beiden Ranchern Clan-Oberhäuptern Mafia-Dons Wirtshausbesitzern muss der Otti Fischer als Benno Berghammer als Bulle von Tölz in einem Mord ermitteln. Der Sohn vom Schaller ist tot, und er war ja so unschuldig. Ein Lump. Ein Wilderer. Eine niederträchtige Sau. Ein wunderbarer Mensch. Benno und Sabrina haben es dieses Mal überhaupt nicht leicht, die Wahrheit zu ermitteln in einem Benzin-Feuer-Gemisch aus Hass und Eifersucht. Vielleicht macht die Geschichte deswegen solche Bocksprünge, werden die Dialoge deswegen oft so laut durch die Gegend gebrüllt, und wird Auto gefahren wie halt in Oberbayern Autos so gefahren werden: Im Schweinsgalopp und ohne Rücksicht auf Verluste durch die Prärie zwischen Bad Tölz und irgendwelchen abgelegenen Almen, wo sich nur noch Indianer und Wilderer ein Stelldichein geben, die Sheriffs aber schnell einmal deplatziert wirken (außer dem Deputy Pfeiffer, der Marshall Benno in einer Szene tatsächlich gekonnt deklassiert!). Benno verliert mittendrin irgendwann mal die Lust auf den Fall und stänkert nur noch vor sich hin; Sabrina, die Preußin, fragt sich ernsthaft in welchem Jahrhundert sie gerade gelandet ist; und der Zuschauer muss zwischen einer Romeo und Julia-Geschichte einerseits und einem krachigen B(ajuwarischen)-Western andererseits versuchen, die Orientierung nicht völlig zu verlieren. Mehr Sergio Leone und weniger temporeicher Radau hätte diesem Wildwest-Spektakel deutlich besser zu Gesicht gestanden, aber immerhin muss ich konstatieren, dass praktisch jede der Figuren ein starkes Motiv für den Mord hat, und der wahre Täter dieses Mal nur sehr schwer zu erraten ist. Eine in jeder Hinsicht abwechslungsreiche Folge …
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Champagner für die Augen – Gift für den Rest (Klaus Lemke, 2022) 3/10

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„Der Dokumentarfilm von Klaus Lemke erinnert an das Lebensgefühl der 1970er-Jahre anhand zahlreicher, so humorvollen wie detailreichen Anekdoten und Filmausschnitten seiner eigenen Werke.“, so heißt der Werbetext in der ARD-Mediathek. Ich weiß ja nun nicht, was ich für einen Film gesehen habe, aber offensichtlich einen ganz anderen. Zwei oder drei kurze Anekdötchen rund um Sylvie Winter und Cleo Kretschmer und runde 55 Minuten Filmausschnitte ergeben nach meiner persönlichen Meinung nun noch lange keinen 60-minütigen Dokumentarfilm. Wo waren die Erinnerungen an das Lebensgefühl, gerade der Künstlerszene in Schwabing? Wo waren die Erlebnisse bei den Dreharbeiten, mit den Darstellern, beim Zusammensein mit der Crew? Wo die lustigen, dramatischen, tragischen oder einfach nur unglaublichen Episoden rund um das Filmemachen mit improvisierten Dialogen und Schauspielern, die nicht von der Filmschule sondern vom Leben kamen? Wo waren Paul Lyss und Rolf Zacher, wo Puppa Armbruster und Marquard Bohm?

CHAMPAGNER FÜR DIE AUGEN – GIFT FÜR DEN REST ist enttäuschend, weil eine kaum kommentierte Zusammenstellung von Filmausschnitten auch auf YouTube auffindbar wäre, aber das, was das Leben eines Filmemachers von vor 50 Jahren wirklich ausmacht, hier nicht einmal ansatzweise geschildert wird. Stattdessen setzte Klaus Lemke sich vor eine Kamera und verknüddelt sehr kurze Erinnerungen an die Schauspieler mit längeren Inhaltsangaben der Filme, die dann szenenweise ausgiebigst gezeigt werden. Bei aller persönlichen Verehrung für Klaus Lemke, CHAMPAGNER.. kann man sich sparen, außer man möchte eine Abfolge der gelungensten Viereck-/Kretschmer-Szenen schauen. Aber dies wäre dann auch der einzige Grund, denn mehr gibt es hier leider tatsächlich nicht.
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5 against the house (Phil Karlson, 1955) 5/10

Noir Archive 2.jpg
Noir Archive 2.jpg (18.18 KiB) 187 mal betrachtet

Vier Studenten, die auf dem Rückweg aus den Semesterferien sind, machen einen kurzen Abstecher nach Reno, und besuchen dort ein Kasino. Ein Besuch mit Folgen, denn einem von ihnen, Ronnie, geht es einfach nicht mehr aus dem Kopf, dass dort Millionen von Greenbacks einfach so herumliegen, und die Polizei doch glatt behauptet, dass ein Raub vollkommen unmöglich sei. Ronnie steckt mitten in einer leichten Depression – Er möchte so gerne mal etwas Herausragendes schaffen, einmal die Nummer eins sein. Zum Beispiel der erste sein, der es schafft in Reno ein Casino zu berauben. Sein Freund Brick wird von wiederum diesem Gedanken infiziert, denn Brick hat im Koreakrieg einiges Schreckliches erlebt, gehört von Rechts wegen eigentlich in eine Anstalt, und will unbedingt aus diesem Teufelskreis aus Erfolglosigkeit und Kriegstrauma ausbrechen. Brick ist eine wandelnde Zeitbombe, die jederzeit explodieren kann. Und der Funke mit dem „Einmal die Nummer 1 sein“ reicht schon um die Lunte in Gang zu setzen …

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Guy Madison, Genre-Fans wahrscheinlich am Ehesten aus Enzo G. Castellaris 1967er-Western DIE SATANBRUT DES COLONEL BLAKE bekannt, war Mitte der 50er-Jahre mal ein ziemlich heißes Eisen. Extrem gutaussehend lief er sogar als „The most promising actor for 1955!“, mangels Talent allerdings kam er nie so richtig aus der B-Schiene heraus, und selbst im Gelobten Land der gescheiterten B-Darsteller, dem Italien der 60er- Jahre, war seine Karriere eher überschaubar.

Madison war einfach von seiner ganzen Ausstrahlung her brav, und mit brav kann man sowohl seine Rolle in 5 AGAINST THE HOUSE wie auch gleich den ganzen Film passend beschreiben. Sein Al,
sichtlich der gereifteste der vier Freunde, ist von Haus aus einfach wohlanständig und spießig. Eben brav. Er ist derjenige, der die anderen permanent mit dem Blick auf die Uhr davor warnt, ihr Geld in Reno auszugeben, und er trägt sich als einziger auch mit Heiratsgedanken. Sein Love Interest ist die wunderschöne Kay, die in einem Nachtclub auftritt, und somit also gewissermaßen mit dem Verruchtsein kokettiert. Aber die Liebe zu Al wird sie retten und in eine gesicherte Existenz überführen. Ist das nicht schön?

Und neben Al und den, in der Inhaltsangabe erwähnten, Ronnie und Brick ist da noch der vierte der Freunde, Roy, eine Nervensäge, die keinen einzigen Satz ohne vermeintlichen Witz oder ach so lustiges Wortspiel absondern kann, und der die amerikanische Durchschnittlichkeit treffend illustriert. Eigentlich ist das Grüppchen also ein Querschnitt durch die Gesellschaft jener Zeit: Ein Braver der sich auf ein vorgezeichnetes Leben freut, ein Lustiger der irgendwann als nerviger Nachbar enden wird, ein Ambitionierter der immer an seinen viel zu hoch gesteckten Zielen scheitern wird – Und ein Psychopath, der die Albträume des Krieges nicht überwunden hat. Ach ja, und die fünfte Person des Titels ist natürlich Kay, die Schöne, deren Charakter darin besteht, von Al geliebt und geheiratet zu werden, und sich irgendwann, spätestens in den 70ern, nach dem endgültigen Begraben der Träume, dem Alkohol hinzugeben. Kim Novak war eine unglaublich schöne Frau, doch erst Alfred Hitchcock wird ein paar Jahre später aus dieser Traumfrau eine Leinwandgöttin machen. Hier wirkt sie noch relativ unauffällig und bieder - Brav, gewissermaßen.

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Und genauso, wie vier brave Menschen hier ihre Schicksale zusammenwerfen, genauso brav ist auch der größere Teil des Films. Einzig Brian Keith als Brick ist es vorbehalten, gegen die ständige Anständigkeit zu rebellieren, einen eifersüchtigen Liebhaber seiner Ex zu Brei zu schlagen (und sogar fast zu töten), und den von Ronnie als reines Test Piece angesehenen Raub als Mittel zum Zweck zu nutzen, um endlich aus der Mittelwesten-Hölle der Bürgerlichkeit ausbrechen zu können, und seine Dämonen aus dem Krieg bei der Gelegenheit gleich mitzunehmen. Oder ihnen Zucker zu geben, das kann man sehen wie man will. Die Geschichte wird lang und ausschweifend erzählt, was bei einem 83-Minüter schnell mal in die falsche Richtung losgehen kann, und erst die letzten 20 Minuten, wenn Bricks Drang nach Gewalt sich Bahn bricht und er Kay quasi in Geiselhaft nimmt um die anderen zum Durchziehen des Jobs zu zwingen, sind dann spannendes und druckvolles Krimikino. Wobei der Showdown dann wiederum die Abfahrt nach Entenhausen nimmt und sich vor lauter Gutbürgerlichkeit einer Schießerei oder Schlägerei glatterdings verweigert. Ein psychologischer Showdown, der so brav ist, dass Gewalt hier keine Lösung zu sein scheint …

Nein, aufregend geht anders. Kim Novak ist in einem ihrer frühesten Filme unglaublich schön, Guy Madison wird bezüglich Aussehen auf den zweiten Rang und bezüglich Schauspielkunst auf den hintersten Rang verwiesen, und Brian Keith gibt sich Mühe, kann aber unmöglich den ganzen Film alleine stemmen. Was übrig bleibt sind die authentischen Bilder der Glückspielstadt Reno sowie das Wissen, hier einem der frühesten Heist-Filme zugesehen zu haben. 5 AGAINST THE HOUSE ist ganz klar die Vorlage für den fünf Jahre später entstandenen OCEAN’S 11, aber wenn ich entscheiden müsste, würde ich jederzeit und ohne Zögern den Klassiker des Ratpacks ansehen. Oder gleich dessen Remake, den vor Spielfreude schier überbordenden OCEAN‘S ELEVEN von 2001. Da werden dann die Unterschiede zum braven 5 AGAINST THE HOUSE erst so richtig deutlich …

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Cheyenne (John Ford, 1964) 7/10

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Nach einem Jahr Aufenthalt in einem unfruchtbaren Reservat, unter katastrophalen Lebensbedingungen und nach vielen Jahren immer wieder gebrochener Versprechungen der weißen Herrenrasse, machen sich die verbliebenen Cheyenne auf, um in ihr eigentliches Heimatland zurückzukehren. 1.500 Meilen Wüste, Steppe und Prärie sind von Männern, Frauen und Kindern zu durchqueren, auf den Fersen die sie verfolgende US-Kavallerie, und außenrum nur weiße Männer, die in ihnen nichts anderes sehen als lebendige Zielscheiben.

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Mitte der 60er-Jahre hatte es der US-Western klassischer Prägung nicht wirklich einfach. Der Zeitgeist änderte sich und machte aus den feindseligen Rothäuten unterdrückte Ureinwohner, aus Europa kamen zunehmend erfolgreichere Filme mit völlig eigener Sprache, und zuhause machten Regisseure wie Sam Peckinpah den alteingesessenen Regisseuren althergebrachter Pferdeopern mehr und mehr realistische Konkurrenz. Und ausgerechnet der große alte Mann des rechtslastigen Kavallerie-Westerns, der so viele, in ihrer Aussage oft stockkonservative, Western mit dem ebenfalls rechtsgerichteten John Wayne inszenierte und damit bis heute zur Kultfigur wurde, ausgerechnet John Ford hat 1964 einen Film über Indianer gedreht, in dem der weiße Mann alles andere als gut dasteht. In dem das bisherige Feindbild des blutrünstigen Wilden gründlich überarbeitet wird zugunsten des Edlen Wilden, der sich plötzlich von blutrünstigen Weißen umgeben sieht und um sein Überleben fürchten muss. Ob das funktionieren kann?

Als erstes fällt auf, dass es leicht wäre einen Vergleich zu ziehen zwischen dem verzweifelten Marsch der Cheyenne und den Todesmärschen, die die Juden am Ende des Zweiten Weltkrieges machen mussten. Und ich bin mir auch sicher, dass die Darstellung der Indianer in dem Schuppen absichtlich so aussieht wie jüdische Gefangene in einer Baracke. Und hey, wer sagt da unzuverlässiger Vergleich? Nein, es liegt überhaupt nicht in meiner Absicht den Holocaust zu relativieren, aber wir können uns glaube ich darauf einigen, dass der Krieg gegen die indianischen Ureinwohner ein Völkermord war, oder? Pff, Begriffsklauberei …

Trotzdem, der Gedanke drängt sich geradezu auf. Nebenfiguren wie der polnische Sergeant, der die glorreiche US-Kavallerie mit den Kosaken vergleicht, welche die Polen nur getötet haben weil sie eben Polen waren, und die jetzt die Indianer tötet, nur weil sie eben Indianer sind, solche Nebenfiguren ergeben einen sehr düsteren und tragischen Unterton mit starkem realistischen Anstrich, und gleichzeitig einen starken Bezug auf die europäische Geschichte. Dazu gehört vor allem auch der Befehlshaber von Fort Robinson, Captain Wessels, der stolz ist auf seine preußische Abstammung und darauf, dass er, wenn er einen Befehl bekommt, diesen auch ausführt. Seine Obrigkeitsglaube und sein unbedingter Gehorsam führen zu einer Katastrophe, nur weil er sich weigert sein Gehirn einzuschalten. Eine sarkastische Hommage auf die früheren Filme John Fords, in denen es vor guten und pflichterfüllten Soldaten nur so wimmelte? Auch die Nebenhandlung um Doc Holliday und Wyatt Earp, so unpassend und klamaukig sie aufgelöst wird, hat diesen finsteren Ton, wenn plötzlich aus allen Ecken der White Trash auftaucht und fordert, dass die Indianer endlich erledigt werden. Dass die dabei aufgetischten Lügen immer größer werden und die Abgründe immer widerlicher, macht aus dieser so heiter-grotesk beginnenden Szene ein Horrorkabinett ganz besonderer Art, welches seine Wirkung in Bezug auf das Aufputschen der gesunden Volksmeinung bis heute nicht verfehlt. Wie gesagt ist es schade, dass diese Handlung so läppisch endet, und man sich vorkommt wie in Andrew V. MacLaglans 40 WAGEN WESTWÄRTS, auch wenn der erst ein Jahr später entstand. Trotzdem könnte man, wenn man böswillig wäre, hier sicher eine Analogie zum obigen Absatz mit den Indianern und den Juden herstellen …

Auf der anderen Seite dann wiederum dieser Hang zur Folkloristik: Nach dem dramatischen und eindrucksvollen Stelldichein zwischen dem Innenminister (der als Vertreter der herrschenden Regierung natürlich ganz klar humanistisch und sympathisch angelegt ist) und den Indianern, wenn sich die Spannung gründlich aufgebaut hat, schwenkt die Kamera in der nächsten Szene über etwas, was auch ein Cheyenne-Abenteuerland für die ganze Familie sein könnte. Grüne Wiesen und pittoreske Musikinstrumente erfreuen die ganze Familie und geben einen so derben Kontrast zu den Bildern davor ab, dass es den geneigten Zuschauer mindestens ebenso gruselt wie bei den Tönen des weißen Abschaums im Saloon.

CHEYENNE ist ein bemerkenswerter ambivalenter Film, der einerseits den Blick auf ein Unrecht lenkt, welches (bis heute?) vielmals noch als Recht angesehen wird, denn aus genau dieser Frontier-Haltung heraus leitet sich schließlich der soundsovielte Zusatz zur amerikanischen Verfassung ab, der allen Bürgern das freie Recht auf Waffenbesitz zugesteht, und der andererseits genau diesen Blick, der mit vielen punktgenauen Details einen bissigen Kommentar zur Eroberung Nordamerikas abgibt, aufweicht, und mit Kitsch, Folklore und Komik ausschmückt. Gut, John Ford war natürlich kein Sam Peckinpah, und man kann davon ausgehen, dass er sich bei allem Geschichtsbewusstsein trotzdem an den überkommenen und bewährten Leitplanken erfolgreicher Filminszenierung festgehalten hat. Der Sergeant, dessen Dienstzeit seit 10 Tagen abgelaufen ist und der sich jetzt die Kante gibt, der aber trotzdem am nächsten Tag dienstbeflissen auf seinem Gaul sitzt, ist mindestens genauso klischeehaft in Szene gesetzt wie der übereifrige Lieutenant Scott, der beim ersten Aufeinandertreffen der Kontrahenten Männer und Ausrüstung opfert, nur um eine persönliche Rache zu erfüllen, der aber vom Captain dafür nicht einmal gemaßregelt wird, niemals in dessen Ungnade fällt, und schlussendlich sogar bei einer Meuterei mitmacht, nur um den Indianern Hilfe zukommen zu lassen. Oder der junge und aufmüpfige Häuptlingssohn, der denkt, dass er den Krieg alleine gewinnen kann - Alles Figuren, die im Western schon seit Jahren ihr Unwesen trieben, und auch hier überlebensgroß die Leinwand füllen. Und denen andererseits der erwähnte Captain Wessels gegenüber steht, der mit halb wahnsinnigen Augen ob des miterlebten Massakers in die Wildnis stolpert und nimmer gesehen ward.

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Nein, die Figurenzeichnung ist teilweise schon sehr stereotyp, und sie füllt den Wilden Westen mit standardisierten Charakteren die mal mehr und mal weniger gern gesehen sind, doch den Film trotzdem, allen Ernstes, mit Leben füllen. Aber die Hauptfiguren sind es, die aus dieser merkwürdig hin- und herlavierenden Anklage letzten Endes ein beeindruckendes Drama machen.
Richard Widmark, sowieso abonniert auf die vom Leben gebeutelten Charaktere, ist Captain Archer, dessen Aufgabe es ist hinter den flüchtenden Cheyenne her zu reiten, und der in den Indianern sehr wohl Menschen sieht, nicht Feinde. Archer versucht beiden Seiten gerecht zu werden, merkt aber irgendwann dass er sich zu entscheiden hat, und sich dank der aufrüttelnden Worte seines betrunkenen First Sergeants über die Kosaken für die menschliche Seite entscheidet. (Und außerdem will er ja die schnuckelige Quäkerin heiraten – Als Indianerschlächter kriegt er die nie rum. Das aber nur nebenbei.)
Häuptling Kleiner Wolf, der sein Volk so gerne in die Heimat führen möchte, und der sehr wohl weiß, dass die Strapazen den größeren Teil seiner Leute umbringen werden. Der sich mit seinem Freund Stumpfes Messer sogar zerstreitet und die sowieso schon dezimierte Gruppe auch noch spaltet, nur um wenigstens einen Teil der Menschen zu retten. Der den Todesmarsch beenden will und vielleicht sogar ahnt, dass dieser Versuch das Ende nur noch schneller bringt, was dann aber auch ein Ende der Qualen bedeuten würde.
Und natürlich der bereits erwähnte Captain Wessels, der so sehr an seiner Pflichterfüllung hängt. Er deutet an, dass er einst einen Befehl nicht ausgeführt hat, und dass er diesen Fehler niemals wiederholen wird. Fast schade, dass wir nicht mehr erfahren – Im Vergleich denke ich da an den waidwunden Captain Bruhn aus André de Toths TAG DER GESETZLOSEN, der durch eine leise Anmerkung zu diesem Thema so unendlich viel Tiefe erhält: Rückzug hätte er befehlen sollen, und Feuer hat er befohlen, und das Drama hinter diesen Worten lässt sich erahnen. Diese Tiefe fehlt der Figur Wessels leider, aber Karl Malden hat die schauspielerische Klasse dies schnell vergessen zu lassen und eine Darstellung eines Beamten auf das Parkett zu legen, dass alle anderen Schauspieler in seiner Umgebung zu Stichwortgebern verblassen. Wessels ist jovial, ist höflich, ist freundlich, aber wehe er erhält einen Befehl, dann ist diesem Befehl sofort und umgehend Folge zu leisten bis auf den letzten Buchstaben. Der nette Captain mutiert innerhalb einer Sekunde zu einem Korinthenkacker und Untertan, wie ihn sich ein Thomas Mann nicht schlimmer hätte ausmalen können. Der sich hinter Befehlen und gegebenenfalls Paragraphen versteckt, und das Entsetzlichste, was so einem Menschen passieren kann ist, dass sich seine Untergebenen (Sic!) gegen ihn erheben. Fast aber noch grausamer ist, dass der meuternde Doktor ihm an den Kopf wirft, dass er, der Doktor, bereit ist, die volle Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. Etwas, zu dem Wessels vollkommen unfähig ist, denn dafür ist er ja Soldat und gehorcht Befehlen – Damit er nichts verantworten muss. Was für ein trauriges Bild von Mensch, und was für eine sagenhafte Darstellung Karl Maldens …

Caroll Baker als Quäkerin Deborah kann in diesem von Männern getriebenen Film naturgemäß nichts dagegen setzen, und vor allem der Vergleich zu der anderen großen Quäkerin im Western, Grace Kellys Amy aus 12 UHR MITTAGS, lässt Frau Baker recht farblos aussehen. Auch Gilbert Roland und Riccardo Montalban als Häuptling und bester Freund, können nicht wirklich sprühen. Interessanterweise sind beide Darsteller mexikanischer Abstammung, eine wirkliche Einbindung der indianischen Ureinwohner in die Filmlandschaft findet also auch nur am Rande statt. „Am Rande“ bedeutet, dass die Stammesangehörigen der Cheyenne von Navajo-Indianern gespielt wurden, was dazu führte, dass der Film in Navajo-Gemeinden sehr beliebt wurde. Unter anderem benutzen die Navajo-Schauspieler offen eine recht rüde Ausdrucksweise, die nichts mit dem Film zu tun hatte.“ So reißt der Häuptling in seiner Rede zur Unterzeichnung des Vertrages Witze über die Penisgröße des Colonels.“ (1) Gelehrte betrachten dies als wichtigen Moment in der Entwicklung der Identität der amerikanischen Ureinwohner, weil diese sich über die geschichtliche Interpretation des Wilden Westens durch Hollywood (also die weiße Mehrheitsgesellschaft) lustig machten. Kann man über die amerikanische Kavallerie lachen? Nein, man muss …

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All diese Merkmale, die vielen positiven und auch die vielen negativen Punkte, führen zu einer recht ambivalenten Bewertung des Films, auch und gerade aus heutiger Sicht. Wenn man sich im Internet umschaut wird gerade der Versuch, dem Film mit etwas Komik die Strenge zu nehmen, als vollkommen misslungen betrachtet; eine Sichtweise, die ich nur unterstützen kann. „A melancholy epic which [John Ford] seems to have directed under the misapprehension that it was an action comedy.“ (2) heißt es bei Rotten Tomatoes, und diese Sichtweise trifft genau ins Schwarze. Unter dem Aspekt der Emanzipation der Ureinwohner Nordamerikas ist CHEYENNE sicher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, quasi so ein wenig das Gegenstück zu WER DIE NACHTIGALL STÖRT, und als (epischer) Western ist er auch heute noch gut anzuschauen. Aber das große Alterswerk des großen Meisters John Ford, das ist er sicher nicht.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Cheyenne_(Film)
(2) Cheyenne Herbst - Rotten Tomatoes
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Beitrag von Maulwurf »

The Man Who Wasn’t There (Joel Coen, 2001) 5/10

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Die Coen-Brüder haben schon seit vielen Jahren einen Kult-Status unter Filmfans. Die beiden werden es in ihrem Leben wahrscheinlich niemals schaffen, einen Film an die Wand zu fahren, zu groß ist ihre Fangemeinde, zu ergeben sind die Zuschauer, sobald die beiden auch nur ein kleines Stückchen Zelluloid belichten bzw. Disk bespielen. Und zugegeben, Arbeiten wie FARGO, THE BIG LEBOWSKI oder BARTON FINK sind überragend, und haben das Kino in den Zeiten von STIRB LANGSAM-Klonen und Arnie-Vehikeln spürbar belebt.

Aber muss denn wirklich jeder, Verzeihung, Furz der beiden Ausnahmeregisseure beklatscht werden? Ist BURN AFTER READING wirklich ein großes Kunstwerk? (Antwort: Nein, sondern eine skurrile Komödie mit schwerem Hang zur Absurdität und einigen Längen, die Michel Gondry möglicherweise besser hinbekommen hätte.) Ist LADYKILLERS die ultimative Gaunerkomödie? (Antwort: Nur, wenn man das Original nicht kennt.) Oder eben THE MAN WHO WASN’T THERE. Ein Friseur in einer US-amerikanischen Kleinstadt der sehr späten 40er-Jahre. Ein unauffälliger Mann in einem unauffälligen Leben. Ein doofer kleiner Job, ein kleines Haus, eine trinkende Frau, die ihr völlig eigenes Leben führt und ihren Menne dabei ab und zu einbindet, ohne ihn aber wirklich zu integrieren. Ed Crane ist ein Beobachter: Er steht auf den Partys der Familie seiner Frau Doris und beobachtet die Absurdität der Menschen. Er steht im Friseursalon und beobachtet die Idiotie seines Schwagers und Kollegen. Und er schweigt. Er schweigt und er raucht.

Doch eines Tages begegnet er einem Mann, der eine vermeintlich tolle Geschäftsidee präsentiert: Trockenreinigung! Creighton Tolliver ist dick, kurzatmig, homosexuell, und könnte problemlos ein Schwindler sein, verlangt er von seinem stillen Partner doch immerhin 10.000 Dollar. Aber Ed sieht die Windigkeit dieses Mannes nicht, er sieht nur die Chance aus einem Leben herauszukommen, das ihn vollkommen unterfordert. Und da er weiß, dass Doris und ihr Chef, Big Dave, ein Verhältnis miteinander haben, erpresst er Big Dave um 10.000 Dollar. Eigentlich ein perfekter Plan, und Big Dave zahlt auch anstandslos, hat er doch keinerlei Ahnung dass sein guter Freund Ed dahinter steckt. Ed gibt das Geld an Tolliver, der verschwindet spurlos – Und Big Dave ist pleite, weil er für die geplante Geschäftserweiterung kein Geld mehr hat. Doris, die Geschäftsführerin hätte werden sollen, wird arbeitslos. Und Big Dave bekommt irgendwie heraus, dass Ed hinter der Erpressung steckt. Er will Ed zusammenschlagen, ja sogar töten, aber im Reflex wehrt Ed sich – und bringt Big Dave um. Ins Gefängnis kommt dafür aber nicht er – sondern Doris!

Soweit der gute Teil der Story. Ein geschickt und tiefgründig aufgebautes Psychogramm einer Kleinstadt in einer puritanischen Zeit, in der die Menschen ihre Gefühle nicht so freimütig ausleben konnten wie heute, und in der Wahnsinn und Kriminalität oft Hand in Hand gingen, zumindest wenn man den Filmen der damaligen Zeit glauben will. THE MAN.. spielt in Santa Rosa, und die Filmkenner wissen, dass 1943 genau in diesem Ort Joseph Cotton in einer schwarzen Rauchwolke in die Stadt kam und teuflische Dinge trieb, die der verliebten Teresa Wright einen Schatten des Zweifels auf die Seele zauberten. Auch jetzt geht wieder das Böse in Santa Rosa um, und die Verzahnung der Ereignisse, der Ablauf des Räderwerks, ist fast so unnachgiebig und stark wie in dem Klassiker vor über 70 Jahren. Nicht so mitreißend, auf keinen Fall, dafür ist THE MAN.. zu ruhig und überlegt inszeniert. Der Schrecken kommt hier auf sehr leisen Sohlen, und man muss schon gewaltig aufpassen dass man ihn nicht aus Versehen verpasst. Aber er ist da, und die ersten rund 60 bis 70 Minuten sind eine durchaus gelungene Hommage an die Noir-Klassiker der späten 40er. Da sitzt Big Dave im Halbschatten hinter seinem Schreibtisch und verbreitet das gleiche böse Flair wie Kirk Douglas in GOLDENES GIFT, und Freddy Riedenschneider badet in einem Dom aus Licht, der dem aus ADDRESS UNKNOWN in nichts nachsteht.

So weit, so gut. Diese rund 70 Minuten sind gutes und nicht unspannendes, wenngleich auch sehr ruhiges, Krimikino mit hohem Unterhaltungswert. Aber dann bricht sich urplötzlich die Idee Bahn, dass ein Film der Coen-Brüder ja bitte schön auch skurril zu sein hat. Dass ungewöhnliche Charaktere und verdrehte Ideen aufzutauchen haben, und den Film mit dieser speziellen Coen-Note bereichern müssen. Wie zum Beispiel eine hochschwangere Polizistin die dauernd Babykleidung strickt. Oder ein Toter der nicht sterben will. Oder Nihilisten. Im vorliegenden Film ist es eine vollkommen uninteressante Nebenhandlung um die junge Birdy, in der Ed eine kommende Klaviervirtuosin sieht, und die er unbedingt in Richtung einer vielversprechenden Karriere protegieren will, was allerdings nach dem Vorspielen bei einem berühmten Musiklehrer erstens in die Brüche, und zweitens Birdy an Eds Hose geht. Den Zusammenhang zu der eigentlichen Handlung muss mir allerdings erstmal jemand erklären, dafür bin ich zu doof. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Laufzeit gestreckt werden soll …

So ist mir etwa auch die Gestalt des Anwalts Freddy Riedenschneider aufgestoßen, eine Verneigung an den von Sam Jaffe gespielten Doc Erwin Riedenschneider aus John Hustons ASPHALT-DSCHUNGEL. Die Figur ist eine so typische Coen-Figur, die kann nur in einem Kosmos existieren, der im Hirn dieser beiden entstanden ist. Realistisch ist Riedenschneider nicht einmal ansatzweise, im Gegensatz zu den besagten ersten 70 Minuten des Films. Was ja nichts Verkehrtes ist, doch mit Riedenschneider dreht sich der Grundton, und zusammen mit der Geschichte um Birdy plus dem Auftauchen von UFOs (Ein Verweis auf Roswell durfte in einem Film, der Ende der 40er spielt, halt einfach nicht fehlen - Hach wie skurril!) passt das einfach nicht mehr mit dem Anfang der Erzählung zusammen. Es mag sein, dass es ein Fehler war, aus Gründen der Müdigkeit THE MAN.. aufgeteilt auf zwei Stücke gesehen zu haben, aber ich hatte allen Ernstes das Gefühl, zwei völlig verschiedene Filme gesehen zu haben. Einen vernünftigen Krimi, der ordentlich dunkel und einigermaßen spannend rüberkam, und eine moderne Parodie auf alles, was in den späten 40ern und den frühen 50ern im amerikanischen Kino schief gelaufen ist. Weswegen möglicherweise genau dies der Unterschied ist zwischen einem harten Krimi von damals, in dem der Protagonist ein Leben voller Gewalt und Härte geführt hat, und der modernen Verballhornung desgleichen, in dem die Hauptfigur die anderen Menschen beobachtet, und dabei immer mehr aus der eigenen Existenz verschwindet. Wie Poes Der Mann in der Menge geht er gegen den Strom der Menschen und bezeichnet sich dabei selber als Geist, der von niemandem mehr wahrgenommen wird. Eine sehr starke und eindrückliche Szene, die so gar nichts mit dem albernen Getue der Coens zu tun hat, und zeigt, das die beiden richtig gute Filme machen könnten, wenn sie denn wollen. Was mich dann zu dem Gedanken bringt, dass ich THE MAN.. in seiner Mehrschichtigkeit vielleicht auch einfach nur nicht verstanden habe. Oder schlicht und einfach zu puritanisch bin …

Letzten Endes ist THE MAN WHO WASNT’T THERE über weite Strecken ein ordentlicher und ruhiger Krimi, das habe ich bereits geschrieben, und dabei bleib ich auch. Aber leider krankt der Film unter einem vollkommen unpassenden Schluss genauso wie unter dem Unwillen seines Regisseurs, ein ernsthaftes Sujet auch ernsthaft bis zum Ende durchzuhalten, und zwar ohne Ausfallschritte zur Burleske meinen machen zu müssen. Schade drum …
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