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Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Mi 7. Aug 2024, 16:54
von Maulwurf
Cantara II - Neo Klassik & Beautiful Voices
Verschiedene Interpreten

CD - 2000

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Neo-Klassik. Klingt erstmal komisch - Klassik ist klar, Musik aus früheren Jahrhunderten, oft genug zum Leute erschrecken. Neue Klassik? Stockhausen, oder was?
Das Geheimnis liegt in der Erfindung des preisgünstigen Synthesizers. Vor allem im Gothic-Umfeld haben viele junge Menschen sich vermutlich gedacht, dass immer nur Krach Schepper Fürchterlich auf Dauer nicht die Lösung ist, vor allem wenn man eh zur Melancholie neigt, haben sich einen Synthesizer besorgt, und malträtieren nun die sogennanten Pads, die vorprogrammierten Geigen.

Nein, ganz so schlimm ist es wirklich nicht. Im Gegenteil ist der Begriff Neo-Klassik, diesem Sampler folgend, ein sehr weitgefasster Begriff. STOA klingt tatsächlich sehr klassisch (im klassischen Sinne), DIE VERBANNTEN KINDER EVAS erzeugen die üblichen musikalischen Gegenstücke zu Caspar David Friedrich, BLACK TAPE FOR A BLUE GIRL sind im Ambientbereich unterwegs, und EXOVEDATE klingen irgendwie nach Cold Meat Industry. Dazwischen kann es auch mal folkig werden oder avantgardistisch, aber eines eint die Stücke bei aller Unterschiedlichkeit, nämlich dass es ernste und getragene Musik ist, die eine, je nach Ausrichtung, mal verträumte und mal gotisch-düstere Stimmung zaubert. Etwas für ruhige Abende, allein mit einer Flasche Beerenwein ...


Stoa - Stoa


WeltenBrand - Fovea Diaboli

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: So 11. Aug 2024, 11:26
von Maulwurf
Women and captains first
Captain Sensible

LP - 1982

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Wot kennt man, Wot war damals der Überhit schlechthin, Wot war genial. Es gab ja sogar eine deutsche Fassung! ("Er sagt Willem, ich sach wat?"), also musste natürlich die LP her. Und ich war einigermaßen enttäuscht von dem eher langweiligen und unaufregendem Pop - Zwar ist die Platte regelmäßig gelaufen, aber mehr um sich selbst zu beweisen, dass man keinem Fehlkauf aufgesessen ist, als wegen ernsthaften Gefallens. Ich habe Jahrzehnte gebraucht um zu erkennen, dass Women and captains first hübsche Popmusik ist, die ihre Schärfe möglicherweise aus den Texten bezieht (meine Version hat keine Texte beiliegend), prinzipiell aber nette und harmlose Musik für warme Sommertage ist. Sonst nicht viel ...

Nun, heute ist ein warmer Sommertag, und mal wieder lief der Captain. Erstmalig fiel mir auf, dass die nette Popmusik sehr stark aus den 70ern zu kommen scheint. Als ob der Captain sich auf die Musik seiner Kindheit besonnen hat, und einfach das gemacht hat, was ihm auf der Gitarre beim Nachspielen der alten Gassenhauer so einfiel. Die Texte gibt es mittlerweile auf Songtexte.com nachzulesen, und sie sind genauso banal, wie ich immer befürchtet hatte. Die einzigen beiden Texte der rockigen Nummern Yanks with guns ("Yanks with guns, shooting people is such fun") und Gimme a uniform ("Just gimme a uniform and I won't be responsible, I do what the hell they want me to") sind nicht vorhanden - Ein Schelm wer böses denkt.

Es bleibt also bei der Aussage: Nette und harmlose Popmusik mit 70er-Flair für warme faule Sommertage. Sonst nicht viel ...


Captain Sensible - Martha the mouth (das aber stilistisch schon eher in die 80er schielt)

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: So 11. Aug 2024, 15:44
von CamperVan.Helsing
Maulwurf hat geschrieben: So 11. Aug 2024, 11:26 Es gab ja sogar eine deutsche Fassung! ("Er sagt Willem, ich sach wat?"),
https://deliria-italiano.org/viewtopic.php?p=26397

:pfeif:

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Mo 12. Aug 2024, 21:07
von Maulwurf
Nine66
The Cascades

CD - 2001

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Ende der 90er und lange Zeit in den 00er-Jahren hatte ich immer wieder mal verschiedene Musikmagazine im Abo: Ablaze, Eternity, den Orkus habe ich sehr lang gelesen, und in der Zeit hatte ich einen ziemlichen Overflow an Plattenkritiken. So sehr, dass ich irgendwann mal angefangen habe, die Sachen, die mich interessieren, in ein Excel einzutragen, um sie irgendwann mal nach und nach zu besorgen. Nun, mit Discogs ist das 20 Jahre+ dann mittlerweile problemlos möglich: Ich habe das damalige Excel in die Suchliste eingetragen, und bestelle dann bei Gelegenheit, und wenn es mir musikalisch passt, mal was mit. Auf diese Art bin ich zu den CASCADES gekommen, einer laut Wikipedia niederbayerischen Gothic-Rock Band, die in Berlin gegründet wurde. Zumindest das mit dem Gothic-Rock stimmt ... :palm: (Und laut bandeigener Website ist Straubing der Gründungsort.)

Ich höre TYPE O NEGATIVE heraus, RAMMSTEIN schimmern durch, genauso wie die deutsche Undergroundband STAR INDUSTRY, THE MISSION oder die Briten 13 CANDLES. Aber wahrscheinlich klingt Goth-Rock aus dieser Zeit sowieso irgendwie immer recht ähnlich, und man kann den Jungs zumindest zugute halten, dass sie draufgängerischer sind als die damals so angesagten DREADFUL SHADOWS, trotzdem sich die Lieder größtenteils im Mid-Tempo-Bereich aufhalten. Aber es rockt, es ist düster, und es klingt beileibe nicht wirklich schlecht. Vielleicht nicht der ganz große Wurf, dieses Debütalbum, aber sehr gut hörbar und unterhaltsam.


The Cascades - Tapping me

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Di 13. Aug 2024, 19:09
von FarfallaInsanguinata
Sieh an, die Neunziger waren irgendwie komisch. Plötzlich lasen wir alle die gleichen Publikationen, weil es die auf einmal überall gab und hörten alle due gleichen CDs, weil es die auf einmal auch überall gab. Was wenige Jahre zuvor noch absoluten Underground darstellte, nach dem man sich den Hintern aufreißen musste um ihn aufzutreiben, war plötzlich Mainstream. So wirkte es zumindest auf mich.
Ähnlich wie bei meiner anderen Leidenschaft "Tattoos", die Anfang des betreffenden Jahrzehnts ebenfalls anfing, zum schnöden Trend zu verkommen.
Ich reagierte auf diese Entwicklungen, indem ich mich noch weiter in die Vergangenheit orientierte, Sechziger und Siebziger. Wenn man sich heute Discogs anschaut, muss man feststellen, dass viele der US-60s-Punk-Klassiker, eine meiner Neunziger-Leidenschaften, gar nicht so selten sind, wie wir in Europa damals glaubten. Also war der seinerzeit vermutete Underground vielleicht auch zumindest Semi-Mainstream.
Nun mal zurück zu deinem Fred, lieber Maulwurf, ich find's toll, dass du dir so unterschiedliche Dinge völlig ohne Vorbehalte anhörst. Ich habe einen der breitesten Musikgeschmäcker, die ich kenne, diese persönlich Vorbehalte konnte ich leider immer noch nicht komplett ablegen und erwische mich nach wie vor bei den Gedanken "das darfst du gar nicht mögen". Wollte ich dir mal hinterlassen!
The Cascades sagte mir nichts, finde ich jetzt auch nicht wirklich aufregend, aber egal.

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Do 15. Aug 2024, 06:35
von Maulwurf
FarfallaInsanguinata hat geschrieben: Di 13. Aug 2024, 19:09 Sieh an, die Neunziger waren irgendwie komisch. Plötzlich lasen wir alle die gleichen Publikationen, weil es die auf einmal überall gab und hörten alle due gleichen CDs, weil es die auf einmal auch überall gab. Was wenige Jahre zuvor noch absoluten Underground darstellte, nach dem man sich den Hintern aufreißen musste um ihn aufzutreiben, war plötzlich Mainstream. So wirkte es zumindest auf mich.
Ähnlich wie bei meiner anderen Leidenschaft "Tattoos", die Anfang des betreffenden Jahrzehnts ebenfalls anfing, zum schnöden Trend zu verkommen.
Ich reagierte auf diese Entwicklungen, indem ich mich noch weiter in die Vergangenheit orientierte, Sechziger und Siebziger. Wenn man sich heute Discogs anschaut, muss man feststellen, dass viele der US-60s-Punk-Klassiker, eine meiner Neunziger-Leidenschaften, gar nicht so selten sind, wie wir in Europa damals glaubten. Also war der seinerzeit vermutete Underground vielleicht auch zumindest Semi-Mainstream.
Nun mal zurück zu deinem Fred, lieber Maulwurf, ich find's toll, dass du dir so unterschiedliche Dinge völlig ohne Vorbehalte anhörst. Ich habe einen der breitesten Musikgeschmäcker, die ich kenne, diese persönlich Vorbehalte konnte ich leider immer noch nicht komplett ablegen und erwische mich nach wie vor bei den Gedanken "das darfst du gar nicht mögen". Wollte ich dir mal hinterlassen!
The Cascades sagte mir nichts, finde ich jetzt auch nicht wirklich aufregend, aber egal.
Die Neunziger waren der Beginn des Haifisch-Kapitalismus, mit dem wir heute jeden Tag leben müssen. Und was im Großen geht, geht natürlich auch im Kleinen. Soll heißen, dass Labels wie Nuclear Blast in der Zeit beste Bedingungen zum Gedeihen finden konnten, und mit dem Erfolg natürlich auch abstrahlten, was eine Kette von Nachahmern und Sympathisanten in Gang setzte. Scheinbar explodierte die Masse an verfügbarer Musik, vielleicht waren es aber auch nur die Punk- und Grunge-Generationen, die das Eine-Gitarre-in-die-Hand-nehmen-und-drauflosspielen-Prinzip umsetzten, und die dann eine interessierte Industrie fanden, die bereit war, Geld in die Hand zu nehmen. Gleichzeitig wurde die Technik allmählich bezahlbarer, und das Aufnehmen einer Platte konnte dann auch in kleinen Gartenlauben-Studios für relativ wenig Geld, bei trotzdem vernünftiger Qualität, gemacht werden. Was logischerweise den Output an verfügbarem Stoff ebenfalls wieder in die Höhe trieb.

Für mich persönlich war es ein guter Freund, den ich etwa Mitte der Neunziger kennenlernte, der jede Woche beim Müller ein paar Hundert Mark für Neuerscheinungen ausgab, und der gerne sein Wissen mit mir teilte. Plötzlich stand ich vor einer riesigen Masse guter Rockmusik jeden Genres. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass es Dinge wie Black Metal oder Doom Metal überhaupt gab, und dann gibt mir dieser Freund halt mal eben 20 Nuclear Blast-Sampler zum Durchhören, inklusive des aktuellen Katalogs. Alles war neu, alles war aufregend! Und ein guter Teil meines Verkäufergehaltes ging für Platten und CDs drauf, sowie für Tapes, da mein Freund mir auch vieles zum Aufnehmen geliehen hat.

Danke für das Kompliment mit dem breiten Geschmack! Tatsächlich gibt es nur wenige Spielarten die ich rundweg ablehne. Als nächstes kommt eine LP aus einem GrässlichFürchterlich-Genre, die mir aber spannenderweise immer ganz gut gefiel. Wird aber noch etwas dauern, weil ich heute erstmal eine Zwei-Tage-Wanderung beginnen werde, und am Samstag leider arbeiten muss.

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Do 15. Aug 2024, 09:28
von buxtebrawler
Maulwurf hat geschrieben: Do 15. Aug 2024, 06:35 Als nächstes kommt eine LP aus einem GrässlichFürchterlich-Genre, die mir aber spannenderweise immer ganz gut gefiel.
Ok, jetzt bin ich gespannt :)
Maulwurf hat geschrieben: Do 15. Aug 2024, 06:35Wird aber noch etwas dauern, weil ich heute erstmal eine Zwei-Tage-Wanderung beginnen werde, und am Samstag leider arbeiten muss.
Ganz fieser Cliffhanger! :D

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Fr 23. Aug 2024, 19:41
von Maulwurf
Johnny Cash at San Quentin
Johnny Cash

LP - 1969 - Reissue

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Ein paar Dinge gibt es, die ich so richtig widerlich finde. Erbsensuppe. Laute Motorräder. Nazis. Und Countrymusik ... Mir ist absolut klar, dass, analog zu den meisten Musikrichtungen, Country niemals gleich Country ist, und dass es da ganz viele unterschiedliche Stilrichtungen gibt. Dass zwischen dem frühen Neil Young (den ich seltsamerweise sehr verehre), Linda Ronstadt, Glen Campbell und der Marshal Tucker Band Welten liegen, die aber immer irgendwie mit Country zu tun haben. Nein, was ich meine ist diese Heile Welt-Musik eben eines Glen Campbell oder eines John Denver. Das US-amerikanische Gegenstück zu Slavko Avsenik und seinen Oberkrainern: Wir hören fröhliche Musik, fassen uns alle bei den Händen und lassen es uns gut gehen. Sorry, gar nicht meines!

Johnny Cash war aber immer anders. Bei seiner Musik schwingt oft so etwas Düsteres mit, etwas Unheilvolles, und selbst seine Hits, die ich schon immer gemocht habe (und auch heute noch mag), strahlen einfach etwas Besonderes aus. Ausserdem hat der Mann schon immer öffentlich Kritik an sozialen Missständen geäußert, hat mit seiner Meinung nie hinterm Berg gehalten, und hat auch seine Drogensucht öffentlich gemcht. In der heilen Country-Welt eigentlich ein Unding, aber genau diese Ehrlichkeit ist es, die ihn ausgemacht hat.

1968 ist Johnny Cash in das Folsom-Gefängnis gegangen und hat dort ein Konzert gegeben, das ein extrem erfolgreiches Album nach sich zog. 1969 ging es dann nach San Quentin, und die ausgekoppelte Single dieses Konzertmitschnitts, A boy named Sue, wurde in den Country- und den Pop-Charts Nummer 1. Dieses Album ist ein Zusammenschnitt einiger Lieder, zusammen mit recht launigen Ansagen und vor allem sehr viel Stimmung. Cash hatte das Publikum wohl offensichtlich fest im Griff, und so wie das hier klingt, hatten absolut alle Beteiligten sehr viel Spaß.

Country wird sicher nie meines werden, aber auf der anderen Seite hat bereits das Lesen des Wiki-Artikels über Johnny Cash mein Interesse an seiner Musik geweckt. Der Mann hatte einfach was ...


Johnny Cash - Folsom Prison Blues

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Fr 23. Aug 2024, 19:52
von Blap
Ich mag ja das Spätwerk des Herrn Cash sehr. Schade nur, dass ein Amateur wie Rick Rubin als Produzent fungierte. Loudness Terror pur.

Re: Maulwurfs Hör-Bar

Verfasst: Sa 24. Aug 2024, 14:01
von Maulwurf
Blap hat geschrieben: Fr 23. Aug 2024, 19:52 Ich mag ja das Spätwerk des Herrn Cash sehr. Schade nur, dass ein Amateur wie Rick Rubin als Produzent fungierte. Loudness Terror pur.
Cash hat halt immer versucht, die Grenzen der Heilen Welt zu überschreiten. Was man ja eigentlich nur gutheißen kann. Musikalisch gesehen ...