Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: Di 19. Dez 2023, 05:38
Banden von Marseille (Olivier Marchal, 2020) 8/10
Olivier Marchal und die Polizei- und Gangsterfilme. Olivier Marchal und seine Dämonen. Waren in Marchals frühen Filmen (MR-73, 36 – TÖDLICHE RIVALEN) die Flics trotz ihrer Einbindung in ein Corps immer noch knallharte einsame Wölfe, die dem Einzelgängertum verpflichtet waren um eine einsame Vendetta auszuführen, hat sich diese Richtung mit der Fernsehserie BRAQUO allmählich gedreht. Dort, wie auch jetzt in BANDEN VON MARSEILLE, ist eine Gruppe Polizisten in herabgekommenen Kulissen unterwegs und nimmt das Gesetz, das sie schon lange nicht mehr beschützen können, in die eigenen Hände. Und was zu Beginn noch so leicht aussieht („Wir machen eine Razzia, schieben dem Typen dabei die Waffen aus unserem eigenen Überfall unter und ziehen ihn damit aus dem Verkehr“) gerät ganz schnell komplett außer Kontrolle. Olivier Marchal ist ein Meister darin, Polizeiaktionen so übel aus dem Ruder laufen zu lassen, dass sich wahre Abgründe auftun. Und als Bindeglied zwischen diesen Schaffensphasen dient Gerard Lanvin, der im Prinzip seine Rolle als alternder Boss aus A GANG STORY – EINE FRAGE DER EHRE weiterführt in eine neue Generation Gangster.
„Wir haben unsere Methoden an die Stadt angepasst.“
Die Handlung in BANDEN VON MARSEILLE klingt ganz einfach, ist tatsächlich aber recht kompliziert und unübersichtlich aufgebaut: Zwei Banden versuchen Marseille zu beherrschen und sich gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen. Als die eine Bande einen Club überfällt, in dem sich unter anderem Angehörige und Chefs der zweiten Bande befinden, wird die Konkurrenz zum offenen Krieg. Und mittendrin das kleine Grüppchen der letzten Aufrechten, die Abteilung für organisierte Kriminalität und die Drogenfahndung, von denen mindestens(!) einer Informationen an die Gangster durchsickern lässt. Ein Teamleiter eine Beziehung hatte mit seiner Chefin. Ein Gruppenleiter eine Beziehung hat mit der Frau seines Kollegen. Und einer so sehr dem Alkohol verfallen ist, dass er sich als echtes Sicherheitsrisiko erweist. Dabei ist doch eigentlich alles ganz einfach: Bande Eins erwartet Drogenschmuggler an der Küste. Also überfallen die Cops die Typen, machen alles nieder, und lassen es aussehen wie ein Überfall von Bande Zwei. Drogen und Geld gehören den Bullen, und das alles mit beschlagnahmten Autos, mit falschen Nummernschildern und mit beschlagnahmten Waffen. Dass die Gangster auf die Idee kommen zurückschießen war im Plan allerdings nicht vorgesehen …
In der Umsetzung erweist sich der Film schnell als waschechter Neo-Noir. Männer, die sowieso schon am Rande des Abgrundes stehen, versuchen mit verzweifelten Aktionen den Absturz zu verhindern und geraten dabei nur noch immer tiefer in die Scheiße. Alle, aber auch wirklich alle, haben gehörig Dreck am Stecken, es gibt keine Good Guys mehr sondern nur noch normale Arschlöcher und große Arschlöcher, und sämtliche Familienangehörigen sowohl der Cops wie auch der Thugs sind prinzipiell zum Abschuss freigegeben. Wobei, ein Abschuss wäre wenigstens schnell und schmerzlos. Gerade Frauen müssen da erheblich Schlimmeres erleiden. Und das alles ist in Handlungsabläufe eingebunden, deren Komplexität denen der klassischen Noirs aus den 40ern in Nichts nachstehen. Das Namedropping ist schnell und gnadenlos, und selbst die zentrale Szene, in der durch ein Briefing bei der Polizei die Klärung der Abhängigkeiten erfolgt, gibt keine wirkliche Übersicht. Wer da mit oder gegen wen, das verschwimmt ganz schnell, und wenn einige der Handelnden dann auch noch auf zwei oder mehr Hochzeiten tanzen wollen, dann kommt der Zuschauer schnell in die gleiche Situation wie die Flics, nämlich zwischen den immer schneller stattfindenden Ereignissen zerrieben zu werden. Die Polizisten müssen allerdings dagegen ankämpfen, der Zuschauer darf sich zurücklehnen und kann völlig frei und unbeschwert dem sich langsam und unaufhaltsam anbahnenden Blutbad zusehen. Die Stimmung in der sonnendurchglühten Hauptstadt der Kriminalität aufsaugen. Und genüsslich zuschauen, wie Männer, die irgendwann mal einen Eid auf das Gesetz geschworen haben, ebendieses Gesetz so auslegen wie sie es gerade benötigen. Und ihre Gegenspieler, also diejenigen, die man früher mal als Gesetzesbrecher bezeichnet hat, notfalls sogar mit dem Gesetz paktieren, um ihre Kontrahenten ans Messer zu liefern. Die einzige Regel die es hier gibt ist, schneller zu schießen. Wildwest im Süden Frankreichs mit den Mitteln des Noirs. Nicht mehr so heldenhaft(?) wie BRAQUO, sondern im Duktus wesentlich schmutziger und verkommener, aber im gleichen Sinne gesetzlos. Und damit erstklassige und dreckige Thrillerunterhaltung ohne die idiotischen Oneliner und die dämliche Buddy-Action des einfallslosen modernen US-Kinos. Große Empfehlung!
Olivier Marchal und die Polizei- und Gangsterfilme. Olivier Marchal und seine Dämonen. Waren in Marchals frühen Filmen (MR-73, 36 – TÖDLICHE RIVALEN) die Flics trotz ihrer Einbindung in ein Corps immer noch knallharte einsame Wölfe, die dem Einzelgängertum verpflichtet waren um eine einsame Vendetta auszuführen, hat sich diese Richtung mit der Fernsehserie BRAQUO allmählich gedreht. Dort, wie auch jetzt in BANDEN VON MARSEILLE, ist eine Gruppe Polizisten in herabgekommenen Kulissen unterwegs und nimmt das Gesetz, das sie schon lange nicht mehr beschützen können, in die eigenen Hände. Und was zu Beginn noch so leicht aussieht („Wir machen eine Razzia, schieben dem Typen dabei die Waffen aus unserem eigenen Überfall unter und ziehen ihn damit aus dem Verkehr“) gerät ganz schnell komplett außer Kontrolle. Olivier Marchal ist ein Meister darin, Polizeiaktionen so übel aus dem Ruder laufen zu lassen, dass sich wahre Abgründe auftun. Und als Bindeglied zwischen diesen Schaffensphasen dient Gerard Lanvin, der im Prinzip seine Rolle als alternder Boss aus A GANG STORY – EINE FRAGE DER EHRE weiterführt in eine neue Generation Gangster.
„Wir haben unsere Methoden an die Stadt angepasst.“
Die Handlung in BANDEN VON MARSEILLE klingt ganz einfach, ist tatsächlich aber recht kompliziert und unübersichtlich aufgebaut: Zwei Banden versuchen Marseille zu beherrschen und sich gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen. Als die eine Bande einen Club überfällt, in dem sich unter anderem Angehörige und Chefs der zweiten Bande befinden, wird die Konkurrenz zum offenen Krieg. Und mittendrin das kleine Grüppchen der letzten Aufrechten, die Abteilung für organisierte Kriminalität und die Drogenfahndung, von denen mindestens(!) einer Informationen an die Gangster durchsickern lässt. Ein Teamleiter eine Beziehung hatte mit seiner Chefin. Ein Gruppenleiter eine Beziehung hat mit der Frau seines Kollegen. Und einer so sehr dem Alkohol verfallen ist, dass er sich als echtes Sicherheitsrisiko erweist. Dabei ist doch eigentlich alles ganz einfach: Bande Eins erwartet Drogenschmuggler an der Küste. Also überfallen die Cops die Typen, machen alles nieder, und lassen es aussehen wie ein Überfall von Bande Zwei. Drogen und Geld gehören den Bullen, und das alles mit beschlagnahmten Autos, mit falschen Nummernschildern und mit beschlagnahmten Waffen. Dass die Gangster auf die Idee kommen zurückschießen war im Plan allerdings nicht vorgesehen …
In der Umsetzung erweist sich der Film schnell als waschechter Neo-Noir. Männer, die sowieso schon am Rande des Abgrundes stehen, versuchen mit verzweifelten Aktionen den Absturz zu verhindern und geraten dabei nur noch immer tiefer in die Scheiße. Alle, aber auch wirklich alle, haben gehörig Dreck am Stecken, es gibt keine Good Guys mehr sondern nur noch normale Arschlöcher und große Arschlöcher, und sämtliche Familienangehörigen sowohl der Cops wie auch der Thugs sind prinzipiell zum Abschuss freigegeben. Wobei, ein Abschuss wäre wenigstens schnell und schmerzlos. Gerade Frauen müssen da erheblich Schlimmeres erleiden. Und das alles ist in Handlungsabläufe eingebunden, deren Komplexität denen der klassischen Noirs aus den 40ern in Nichts nachstehen. Das Namedropping ist schnell und gnadenlos, und selbst die zentrale Szene, in der durch ein Briefing bei der Polizei die Klärung der Abhängigkeiten erfolgt, gibt keine wirkliche Übersicht. Wer da mit oder gegen wen, das verschwimmt ganz schnell, und wenn einige der Handelnden dann auch noch auf zwei oder mehr Hochzeiten tanzen wollen, dann kommt der Zuschauer schnell in die gleiche Situation wie die Flics, nämlich zwischen den immer schneller stattfindenden Ereignissen zerrieben zu werden. Die Polizisten müssen allerdings dagegen ankämpfen, der Zuschauer darf sich zurücklehnen und kann völlig frei und unbeschwert dem sich langsam und unaufhaltsam anbahnenden Blutbad zusehen. Die Stimmung in der sonnendurchglühten Hauptstadt der Kriminalität aufsaugen. Und genüsslich zuschauen, wie Männer, die irgendwann mal einen Eid auf das Gesetz geschworen haben, ebendieses Gesetz so auslegen wie sie es gerade benötigen. Und ihre Gegenspieler, also diejenigen, die man früher mal als Gesetzesbrecher bezeichnet hat, notfalls sogar mit dem Gesetz paktieren, um ihre Kontrahenten ans Messer zu liefern. Die einzige Regel die es hier gibt ist, schneller zu schießen. Wildwest im Süden Frankreichs mit den Mitteln des Noirs. Nicht mehr so heldenhaft(?) wie BRAQUO, sondern im Duktus wesentlich schmutziger und verkommener, aber im gleichen Sinne gesetzlos. Und damit erstklassige und dreckige Thrillerunterhaltung ohne die idiotischen Oneliner und die dämliche Buddy-Action des einfallslosen modernen US-Kinos. Große Empfehlung!