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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 15. Sep 2011, 15:30
von buxtebrawler
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Hardcover
Christoph (Lukas Gregorowicz) hat seit der Uni außer seinem Kleinwagen nicht viel bewegt. Er wäre zwar gern ein bekannter Schriftsteller, doch nicht nur sein Selbstbewußtsein, auch seine bisherigen Werke bewegen sich auf äußerst niedrigem Niveau: Er schreibt klischeebeladene und hanebüchene Kriminalgeschichten für einen Groschenromanverlag. Da er davon nicht leben kann, bessert er seine Finanzen mit einem Nebenjob bei einer Autovermietung auf. Als er dabei dem Kleinkriminellen Dominik (Wotan Wilke Möhring) begegnet, der versucht, eines der Autos zu klauen, sieht Christoph seine große Chance gekommen. Er rettet Dominik vorm Gefängnis und als Gegenleistung soll ihm dieser Einblicke in das Gangsterleben verschaffen, die er in einen authentischen Roman umsetzen will. Doch der Weg zum ersten richtigen Roman mit Hardcover ist beschwerlich und Christoph erlebt bei seinen Recherchen mehr als ihm lieb ist ...
„Alles fit for fun?“

Konnte der einheimische Regisseur Christian Zübert mit seinem Regiedebüt „Lammbock“ bereits eine beachtliche Komödie dem mit gelungenen deutschen Unterhaltungskinoproduktionen nicht gerade überversorgten Publikum präsentieren, setzte er 2008 mit „Hardcover“ noch einen drauf.

„Buddy Movies“ erfreuen sich stets einer gewissen Beliebtheit, sicherlich aus gutem Grunde. Zwei eigentlich konträre Charaktere zusammenzubringen und in gegenseitige Abhängigkeit zu setzen, bietet viel Potential für reichlich Komik, aber auch für einige sensible Momente, für Plädoyers für die Freundschaft. In „Hardcover“ trifft der verhinderte Romanautor Christoph (Lukas Gregorowicz), dessen Talent leider nur für billige Groschenromane reicht und der sich mit einem Job in einer Autovermietung über Wasser hält, auf den Kleinganoven Dominik (Wotan Wilke Möhring), der chronisch pleite vom großen Geld träumt und als Hiwi für eine Unterweltkapazität fungiert. Christoph verspricht sich von der Teilhabe an Dominiks Leben die entscheidende Inspiration für seinen geplanten Kriminalroman. Er lässt ihn bei sich wohnen und begleitet ihn in seinem Alltag – bis man in Konflikt mit Boss „Chico“ gerät…

Christoph ist ein verschüchterter, unsicherer Typ mit angeknackstem Selbstvertrauen, während Dominik ein kleiner Straßenproll der Sorte „Große Klappe, nichts dahinter“ ist. Diese Konstellation ist Ausgangspunkt für viel Situationskomik und Milieu-/Wortwitz. Dass „Hardcover“ als Komödie so gut funktioniert, liegt meines Erachtens in erster Linie daran, dass beide von Gregorowicz und Möhring verkörperten Klischeetypen so detailverliebt und mit stets erkennbarem Realitätsbezug konzipiert wurden. Dabei geht es nicht darum, diesen Menschenschlag gnadenlos vorzuführen, sondern die gar nicht mal so unsympathischen, besonders im Falle Dominiks eher liebenswerten Verlierertypen hinter den Fassaden hervorzukehren und langsam zu Identifikationsfiguren für den Zuschauer zu machen. Das gelingt vorzüglich, wodurch die Distanz des Publikums zum Geschehen abnimmt und es in die Geschichte eintaucht, mitfiebert und mitleidet.

Doch das allein würde nicht ausreichen, wären nicht die schauspielerischen Leistungen auf durchgehend hohem Niveau, wobei mir Möhring zwar auf seinen Rollentyp abonniert scheint, Gregorowicz aber mit subtiler Mimik – selten in einer von ihren Übertreibungen lebenden Komödie – die Gefühlswelt des verschlossenen, verkopften Christoph überraschend authentisch zum Ausdruck bringt. Nicht selten erinnern mich Gregorowicz und Möhring an Oliver Dittrich und Wigald Boning zu deren Glanzzeiten.

Noch einmal möchte ich die Beobachtungsgabe der Drehbuchautoren loben, die den ganz normalen Wahnsinn der deutschen Gegenwart ebenso parodistisch durch den Fleischwolf dreht wie Rotlicht-Klischees bzw. insbesondere ihre filmische Umsetzung. Apropos Klischees: Ein geschickter Zug von „Hardcover“ ist es, die angesprochenen Klischees zwar einerseits voll diebischer Freude zu bedienen, in entscheidenden Momenten aber immer wieder eine Überraschung im Verhalten seiner Protagonisten parat zu haben, die nicht ganz in die stereotypen Schemata passen wollen. Das macht den Film nur umso angenehmer und bewahrt ihn immer wieder vor Plattitüden.

Fazit: Weitaus weniger krawallige Komödie als aufgrund ihrer Thematik zunächst befürchtet aus deutschen Landen, deren Humor zumindest bei mir voll zündet und die mit begnadeten Schauspielern glänzt. „Hardcover“ besinnt sich auf kurzweilige Unterhaltung auf höherem Niveau und verzichtet weitestgehend auf zuviel aufgeblasenes Brimborium drumherum. Meines Erachtens eine Steigerung gegenüber „Lammbock“ und ein Tipp für alle, die ihren Spaß an jüngeren, erfrischenden Komödien aus heimischer Produktion haben.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 15. Sep 2011, 18:04
von buxtebrawler
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Hitcher, der Highway-Killer
Jim hätte besser auf seine Mutter gehört. Aber an diesem Morgen schlägt er alle Warnungen in den Wind und nimmt den Tramper John mit. Kaum sitzt der Fremde im Wagen, verrät er seine Lebensphilosophie: Er ist das personifizierte Böse, ein Killer aus Berufung. Jim und seiner Zufallsbekanntschaft Nash steht eine Hetzjagd bevor...
US-Regisseur Robert Harmons Spielfilmdebüt „Hitcher“ aus dem Jahre 1986 ist ein ordentlicher Action-Thriller, wird meines Erachtens aber gemeinhin ein wenig überbewertet. Jim (C. Thomas Howell, „Die Outsider“, „E.T.“) nimmt den Anhalter John (Rutger Hauer, „Der Blade Runner“) mit, welcher sich als der gesuchte Highway-Killer entpuppt und nun auch Jim ans Leder will. Dieser kann entkommen, doch war das lediglich der Auftakt zu einem Katz- und Mausspiel, bei dem John perfiderweise munter weitermordet, es zunehmend aber so aussehen lässt, als wäre Jim der Killer. Somit muss sich Jim fortan nicht mehr nur vor John, sondern auch vor der Polizei in Acht nehmen.

Harmons verstand es, die weiten, endlos erscheinenden US-Highways effektiv in Szene zu setzen und als einen vereinsamten Ort der Isolation und der Gefahr zu zeichnen. John scheint Jim immer einen Schritt voraus zu sein und taucht stets dort auf, wo jener sich gerade aufhält. Das verleiht der von Rutger Hauer mit einer eiskalten Abgebrühtheit interpretierten Rolle etwas Übermächtiges, Unberechenbares. C. Thomas Howell scheint anfänglich noch eine gute Besetzung für den sympathischen, aber völlig durchschnittlichen Jüngling gewesen zu sein, vermag es aber nichts, seiner Rolle angesichts ihrer Entwicklung glaubwürdige Emotionen in einer Form einzuhauchen, die sich seine Mimik ins cineastische Langzeitgedächtnis einzuprägen erlauben würde.

Vor dem Hintergrund eines etwas drögen, nichtssagenden 80er-Synthie-Soundtracks spielen sich zahlreiche Actionszenen auf Leben und Tod ab, Schießereien, Stunts, Explosionen. Am stärksten ist „Hitcher“ aber mit seinen herben, unvorhersehbaren Schockmomenten, die zu den richtigen Zeitpunkten eingesetzt werden und nie ihre Wirkung verfehlen. Ansonsten hapert es aber bisweilen etwas mit dem Timing; ein paar unschöne Längen haben sich eingeschlichen, die man einem Debüt aber gern verzeiht. Dafür fängt die Kamera vermehrt beeindruckende Landschaftspanoramen wie aus einem Fotografiebildband ein, die der kalten Bedrohlichkeit des Asphalts eine trügerische Schönheit entgegensetzen, die letztlich das Gefühl der Verlorenheit aber noch unterstreicht und dadurch fast schon höhnisch wirkt.

Mit zunehmender Spielzeit nutzt sich die Geschichte aber etwas ab und das letzte Drittel wirkt mit Jims seltsamem Auftritt bei der Polizei ein wenig konfus. Die Dramatik des Finales, in dem dann auch für den begriffsstutzigsten Zuschauer deutlich wird, dass John auf seine „Erlösung“ durch Jim wartet, erscheint mir dann doch zu dick aufgetragen und wenn man schon eine Frau von zwei LKW zerreißen lassen muss, dann doch bitte auch mit adäquaten Spezialeffekten und nicht feige im Off. Überhaupt gibt sich „Hitcher“ trotz einiger blutigerer Szenen ziemlich zugeknöpft, was die Folgen des brutalen Handelns betrifft. Die bleiben genauso der Phantasie des Zuschauers überlassen wie die Frage nach dem Motiv bzw. dem pathologischen Hintergrund des Psychokillers. Dahingehend erfährt man nichts, obwohl man mir immer wieder damit zu kokettieren scheint, gegen Ende ein „Aha-Erlebnis“ zu ermöglichen. Dieses bleibt aus, wodurch „Hitcher“ leider eben nicht, wie evtl. geplant, noch bedrohlicher und fieser wirkt, sondern in dieser Form distanziert-realitätsfern und beliebig, was ihn endgültig in den Bereich der Phantastik verweist.

Fazit: Auf dem Highway ist die Hölle los. Ein guter, unterhaltsamer Action-Thriller mit vielen Stärken, aber unterm Strich einigen Drehbuchschwächen sowie Abzügen in der B-Note, die mich von Begeisterungsstürmen abhalten.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 15. Sep 2011, 20:19
von buxtebrawler
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Dark Star – Finsterer Stern
Seit nunmehr 20 Jahren ist die Dark Star im Weltraum unterwegs auf ihrer Mission, Planeten zu zerstören, die drohen, aus der Bahn zu geraten. Den Kontakt mit der Erde hat man verloren, der Commander liegt bereits tot im Kühlfach und ein Asteroideneinschlag hat die Toilettenpapiervorräte vernichtet. Trotzdem sind die drei Astronauten und der freundliche Herr, der nur zufällig auf diesem Schiff gelandet ist, recht guter Dinge, wenn man davon absieht, daß sie permanent aneinander vorbeireden und auch sonst völlig getrennten Interessen nachgehen, z.B. einem medizinballähnlichen Haustier-Alien mit Hühnerfüßen. Als jedoch bei einem Sprengauftrag die Mechanik versagt und die mit künstlicher Intelligenz versehene Bombe nicht ausgeklinkt werden kann, erwachen alle wieder zum Leben...
John Carpenters Regiedebüt „Dark Star“ aus dem Jahre 1974 ist eine Art ehrerbietende Parodie auf Stanley Kubricks Meilenstein „2001: A Space Odyssey“ und die dort etablierte Ästhetik. „Dark Star“ ist großangelegtes, ambitioniertes Low-Budget-Kino von Filmstudenten, das den Grundstein sowohl für Carpenters ausgereifte Erfolgsfilme wie „Halloween“ oder „The Fog“ als auch für den hier auch als Schauspieler und Drehbuchautor beteiligten Produzenten und Spezialeffektkünstler Dan O’Bannon, der später Filme wie „Alien“ mitgestalten durfte und mit „Return of the Living Dead“ bei einer der besten Horrorkomödien der 1980er sogar Regie führte.

In der sich bereits seit 20 Jahren im All befindlichen Dark Star, die gefährlich aus ihrer Bahn zu geraten drohende Himmelskörper mittels „intelligenter Bomben“ zerstört, hat sich in klaustrophobischer Isolation so etwas wie Katerstimmung, Weltraumkoller, breitgemacht, die bärtige Besatzung ist gefangen in Routine und geht sich gegenseitig auf die Nerven. Absurde Dialoge, mit menschlicher Vernunft kaum erklärbares Handeln, entrückt wirkende Psychen. Diese Stimmung wird sogar in vermutlich eher unfreiwilliger Weise auf den Zuschauer übertragen, denn zunächst wirkt „Dark Star“ von seiner Grundkonstellation einmal abgesehen recht ideenlos und stellt die Geduld sein Publikums mit einigen Längen auf die Probe.

Von außen ist die Dark Star klar als Miniaturmodell zu erkennen, im beengten Inneren blinken Sci-Fi-Klischee-typisch dutzende Lämpchen sinnbefreit vor sich hin und sollen so komplexe Zukunftstechnik suggerieren. Positiv fällt als erstes des Zynismus des Films auf, der in den Gesprächen der Besatzung mit der Heimatstation durchschimmert. An Action gewinnt „Dark Star“, als er sich phasenweise inbrünstig zum Trash bekennt und sich einen Luftballon mit Füßen, der ein außerirdisches Lebewesen darstellen soll, und eines der Besatzungsmitglieder ein Duell auf Leben und Tod liefern lassen. Weniger im Kampf gegen das Vieh als vielmehr mit dem das Besatzungsmitglied zu zerquetschen drohenden Fahrstuhl beweisen Carpenter & Co. durchaus ihr Gespür für das Erzeugen von Nervenkitzel und Spannung, aller Albernheit zum Trotz fesseln diese Szenen.

Quintessenz von „Dark Star“ ist letztlich, dass eine der „intelligenten Bomben“ droht, das eigene Schiff in seine Einzelteile zu zerlegen und die Besatzung in Kommunikation mit ihr treten muss, um das Unheil abzuwenden. Das ist einerseits eine gelungene Parodie auf den eigenwilligen Bordcomputer aus Kubricks „2001“, andererseits aber natürlich unheimlich naiver Quatsch. Da sich „Dark Star“ aber trotz nicht eindeutiger komödiantischer Ausrichtung nie wirklich ernst nimmt, passt das ganz gut in einen Film, der ansonsten immer mal wieder eine Überraschung wie z.B. ein eingefrorenes, trotzdem noch zur Kommunikation fähiges, totes (?) Besatzungsmitglied inkl. entsprechender visueller Umsetzung parat hat.

„Dark Star“ verfügt über genügend Raumfahrt-Science-Fiction-Klischees, um den entsprechend geneigten Nerd anzusprechen, über ausreichend parodistische Züge, um ironiebegabte Genreliebhaber zu unterhalten und weist Low-Budget- und Trash-Merkmale auf, die sich B-Movie-Fanatiker heimisch fühlen lassen dürften. Und das kitschige Ende atmet den psychedelisch-spacigen Geist der 1970er und ist irgendwie… einfach geil.

Dennoch wird keiner dieser Aspekte durchgehend konsequent bedient, so dass „Dark Star“ etwas fragmentarisch wirkt und zudem, wie eingangs erwähnt, mit einer über weitere Strecken schwachen Dramaturgie zu kämpfen hat. Ein überdurchschnittliches, respektables Debüt, aber noch kein Vergleich zu Carpenters folgenden Glanztaten.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 15. Sep 2011, 20:25
von buxtebrawler
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Sie sind verdammt
Der Südenglandurlaub des Amerikaners Simon Wells (MacDonald Carey) wird zu einer unangenehmen Angelegenheit, als er von einer Rockerbande unter der Leitung von King (Oliver Reed) ausgeraubt und zusammengeschlagen wird. So kommt er jedoch in Kontakt mit der Bildhauerin Freya (Viveca Lindfors), die im abgelegenen Strandhaus ihres Bekannten, des Wissenschaftlers Bernard (Alexander Knox) arbeitet. Bernard wiederum arbeitet unbekannterweise in einem geheimen Labor unterhalb seines Hauses, wo er seit neun Jahren eine Gruppe von Kindern unter Ausschluß der Öffentlichkeit großzieht. Bewacht wird das Labor vom Militär unter Leitung von Major Holland (Walter Gotell), der das gefährliche Projekt schon fast mit pathologischer Verschwiegenheit behandelt. Als Wells noch einmal mit dem Mädchen Joan (Shirley Anne Field) zusammentrifft, die ihm den Ärger eingebracht hat, bringt er die ganze Rockergang Kings gegen sich auf. Sie fliehen in das Strandhaus, doch bleiben nicht unentdeckt. Als es zum Konflikt kommt, schreitet Holland ein und Simon, Joan und King landen in dem Labor mit den Kindern. Was sie nicht wissen: die Kinder sind ein Experiment über das Überleben der Menschheit nach dem Atomkrieg und strahlen tödlich radioaktiv...
„Sie dachten, England wäre das Land der strümpfestrickenden alten Damen.“

Ein recht unbekannter Film der britischen „Hammer Film Productions“ ist „Sie sind verdammt“ vom gebürtigen US-Regisseur Joseph Losey aus dem Jahre 1963. Es handelt sich um ein in Schwarzweiß gedrehtes, dystopisches Science-Fiction-Drama nach einer Literaturvorlage von H.L. Lawrence.

Anfangs könnte man sich noch in einem Film über Jugendbanden oder juvenile Rebellion wähnen, denn King (Oliver Reed, „Der Fluch von Siniestro“) ist der Anführer einer Bande motorisierter Rowdys (im Film als Teddyboys bezeichnet, auf mich eher den Eindruck von Rockern machend), die kleineren Gaunereien nachgehen und im Zuge derer den US-amerikanischen Urlauber Simons Wells (Macdonald Carey) überfallen, der aber alsbald sehr zum Unmut Kings ein Techtelmechtel mit dessen Schwester (sehr sexy: Shirley Anne Field) eingeht. Wenn Kings uns seine Bande im Stechschritt und ein Lied pfeifend uniformiert losmarschieren, fühle ich mich unweigerlich an Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ erinnert, denn das Auftreten und die Ausübung der Gewalt folgen einer strengen Ästhetik.

Ein starker Auftakt, der letztlich aber in eine ganz andere Richtung führt, als man zunächst annehmen könnte. Die Handlung läuft darauf hinaus, dass nach beide Parteien nach einem Katz- und Mausspiel in einer unterirdischen Forschungsstation am Meer stranden, wo sie auf von der Außenwelt hermetisch abgeschottete, nuklear hochgradig verstrahlte Kinder treffen, die in völliger Isolation aufwachsen – spezielle „Züchtungen“ des Militärs für den Fall eines Atomkriegs.

Damit setzt „Sie sind verdammt“ ein kritisches Statement hinsichtlich der Atom- und Rüstungspolitik der damaligen Zeit. Viele Filmemacher haben die Angst vor den unberechenbaren Folgen der Atomtechnologie aufgegriffen, doch in dieser, leicht an das „Das Dorf der Verdammten“ erinnernden Form war mir bislang keine Umsetzung bekannt. Die Kinder werden ohne es zu wissen und ohne es zu wollen zu einer Gefahr für die Menschen, die ihnen begegnen und die sie als willkommene Abwechslung neugierig ausquetschen. Ein normales Leben wird ihnen nicht ermöglicht. Das pessimistische Ende unterstreich den warnenden Charakter des Films, dessen Spannung aufgrund seiner Vorhersehbarkeit vielleicht etwas auf der Strecke bleibt, dies aber durch britischen Charme, seine Ernsthaftigkeit und ein furios aufspielendes Schauspielerensemble in unwohlig-atmosphärischem Ambiente wettmacht. Ein kleiner Geheimtipp.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 20. Sep 2011, 14:26
von buxtebrawler
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True Romance
In einem Kino lernt Clarence (Christian Slater) das Callgirl Alabama (Patricia Arquette) kennen und sehr schnell auch lieben. Bei ihrem ehemaligen Zuhälter will Clarence Alabamas Sachen abholen, erwischt jedoch einen Koffer, der prall gefüllt ist mit Kokain. In Los Angeles will Clarence den Stoff mit Hilfe seine Schauspieler-Freundes Dick (Michael Rapaport) verkaufen, doch binnen kürzester Zeit haben sich Gangster und die Polizei an seine Fersen geheftet ...
Niemand Geringerer als Quentin Tarantino („Reservoir Dogs“) verfasste das Drehbuch zu diesem gewagten US-Crossover aus Action- und Liebesfilm aus dem Jahre 1993, der Brite Tony Scott („Begierde“) führte Regie.

Clarence (Christian Slater, „Geschichten aus der Schattenwelt“) ist ein alleinstehender, einsamer Nerd, der auf Eastern, Elvis und Comics steht und zu seinem Geburtstag ohne sein Wissen eine Nacht mit dem Callgirl Alabama (Patricia Arquette, „Ed Wood“) geschenkt bekommt, die ihn gespielt zufällig im Kino kennenlernt, wo er sich ein Sonny-Chiba-Triple-Feature ansieht. Beide verlieben sich ineinander, Clarence erledigt ihren Zuhälter und gerät wie die Jungfrau zum Kinde an einen Koffer voll hochwertigem Kokain. Um diesen zu verkaufen und vom Erlös zusammen mit Alabama ein besseres Leben führen zu können, fahren sie nach Los Angeles, Drogenmafia und Bullen stets im Nacken…

Direkt von Beginn an ist Tarantinos Handschrift unverkennbar, „True Romance“ strotzt nur so vor Zitaten aus und Verweisen auf Unterhaltungsfilmklassiker und andere Populärkulturgüter. Ständig ist irgendwo ein Fernseher an, in dem irgendein alter Film läuft, vornehmlich aus dem Eastern-Bereich. Zudem verfügt „True Romance“ über einen starken komödiantischen Aspekt, beispielsweise wenn sich Clarence auf Toilette mit dem imaginären „King“ Elvis Presley unterhält, der für ihn Vorbild und Vaterfigur zu sein scheint. Dennoch handelt es sich hierbei glücklicherweise noch nicht um dieses selbstgerechte reine Zitatekino eines Tarantinos, was zum einen vermutlich daran liegt, dass Tarantino selbst weder mitspielt, noch die Regie übernahm, zum anderen aber auch mit dem verglichen mit anderen „Tarantinos“ frühen Entstehungszeitpunkt zusammenhängen dürfte. Die Grenze zum Übergestylten wird aber teils durchaus bedenklich touchiert, insbesondere einige auf Coolheit gebürstete Dialoge nerven bisweilen ein wenig.

Ansonsten ist inszenatorisch aber alles im grünen Bereich: Die Besetzung, in Nebenrollen Dennis Hopper, Gary Oldman, Christopher Walken, Gary Oldman etc., ist hochkarätig, der Actionanteil wohldosiert, grafisch explizit und allgemein ziemlich heftig, die Romantik eigenwillig, aber ergreifend und das Tempo relativ hoch. Lediglich der Erotikanteil hätte höher ausfallen dürfen, doch Patricia Arquette macht auch im bekleideten Schlampenlook eine gute Figur. Apropos Look: Nach seinem Auftakt im verschneiten Detroit wird „True Romance“ mit seiner Reise nach L.A. urplötzlich von einem verträumten Winterfilm zu einem schrillen Sommerfilm, in dem plötzlich nahezu ausnahmslos alle kitschige und allgemein geschmacksverirrte Klamotten tragen. Zudem spielt ein nicht unbeträchtlicher Teil des L.A.-Aufenthalts im Bereich Filmeschaffender, was „True Romance“ zu weiteren satirischen und selbstironischen Elementen verhilft.

Slater ist für die Hauptrolle eine gelungene Wahl, denn er befindet sich optisch irgendwo zwischen den Polen Nerd und Sunnyboy, ohne eines der Extreme in Gänze zu bedienen und seiner Figur damit die Mehrschichtigkeit zu nehmen. Zudem erleichtert dies die Identifikation mit ihr und macht ihre Entwicklung, ihr über sich hinaus Wachsen, nicht vollkommen unglaubwürdig. Der comichafte Stil des Films umschifft hollywoodtypischen Romantikkitsch gekonnt und hat Nerd-Phantasien dahingehend, dass sich die Prostituierte in einen verliebt und man zum abgeklärten Gangster wird, massentauglich gemacht. Damit ist „True Romance“ mit Sicherheit einer der ultimativen Liebesfilme, denn wer liebt schon aufrichtiger als ein Nerd?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 22. Sep 2011, 13:50
von buxtebrawler
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Wolf Creek
Drei Rucksacktouristen reisen mit ihrem Auto durch das australische Outback. Als ihr Wagen zusammenbricht, hilft ihnen der Einheimische Mick Taylor. Er überzeugt sie von der Notwendigkeit einer Reparatur in seiner Werkstatt. Es vergehen Stunden bis sie bei ihm ankommen: ein aufgegebener Bergbau mit desolaten Tunneln und leeren Hütten. Die drei Touristen kochen als Dank für die Reparatur und das Trinkwasser. Am nächsten Tag erkennen sie entsetzt, dass sie in Wirklichkeit entführt wurden und das Mick nicht daran interessiert ist, ihren Wagen zu reparieren oder daran, dass sie von dort weg kommen… niemals wieder.
Das Vollzeit-Spielfilm-Debüt des Australiers Greg Mclean, „Wolf Creek“ aus dem Jahre 2005, ist eine vorsichtige Variation des Backwood-Terror-Films, angesiedelt im australischen Outback. Zwei Mädels und ein Kerl reisen durch selbiges und geraten in die Fänge einen sadistischen Psychopathen.

Dem Terrorpart geht eine ausgiebige Exposition voraus, die wunderschöne, Fernweh weckende Bilder der weitläufigen Landschaft des Kontinents zeigt sowie unsere drei Protagonisten, Rucksacktouristen bestehend aus zwei attraktiven jungen Frauen und einem ebensolchen Mann, die als Twens die meisten Doofteenie-Slasher-Klischees zu bedienen vermeiden. Diese feiern zunächst noch eine feucht-fröhliche Party, bevor die Reise beginnt und man sich an verträumten Stränden und in malerischer Idylle wiederfindet. Wirklich tiefgehend charakterisiert werden die drei nicht und auch die Sympathie für sie hält sich in Grenzen. Bei manchem Zuschauer mag gar die Missgunst ob ihres anscheinend unbeschwerten Lebens überwiegen. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein beabsichtigter Kniff des Regisseurs war, doch wie auch immer, aufgrund der fotografischen Qualitäten der überlangen Einstiegssequenz wird diese nie wirklich langweilig, sondern entfaltet ihre Wirkung, indem sie den Zuschauer in ein trügerisches Glück entführt.

Dieses bekommt erste Risse bei der Begegnung des Trios mit alkoholisierten Redneck-Dorfprolls, die es mit provokanten Sprüchen bedenken und mit ihrer Streitsucht ihre Fremdenfeindlichkeit unter Beweis stellen. Spätestens ab hier dürfte der Zuschauer seine Sympathien eindeutig zugunsten der Touristen verteilen und nachdem das Auto liegengeblieben und man auf die Hilfe des zunächst freundlich erscheinenden Dörflers Mick (John Jarrat) angewiesen ist, gewinnt der Film an Fahrt und beginnt zunächst leise und subtil, jedoch unaufhörlich, die Spannungsschraube anzuziehen und zunächst Psycho- bis hin zum späteren Physioterror zu verbreiten.

Das vorsichtige Kennenlernen der Opfer mit ihrem späteren Peiniger ist grandios und meines Erachtens die stärkste Phase des Films. Gebannt verfolgt man als Zuschauer die differenzierte Charakterzeichnung Micks als ein freundliches „Original“, der glaubwürdig scheinbar ohne Hintergedanken seine Hilfe anbietet, aber mit einem etwas seltsamen Humor gesegnet und irgendwie besser mit Vorsicht zu genießen ist. Im Umgang mit Mick ist das Trio verunsichert und vorsichtig, überlegt hin und her und versucht, in jeder Situation die richtigen Worte zu finden. Als wäre es das Selbstverständlichste überhaupt, erzählt Mick nach einiger Zeit vom Abschlachten von Kängurus und erntet dafür zweifelnde Blicke der inzwischen ausgelieferten Twens, denen man ansieht, was in ihren Köpfen vorgeht. Ist das das Gesetz des Outbacks? Sind wir in der Position, uns kritisch zu äußern? Ist Mick einfach ein aufrichtiger Mensch und haben wir verweichlichte Städter schlicht keine Ahnung? Versuche seitens des Trios, das Gespräch aufzulockern, scheitern an Micks Eigenart, selbst gern Witze auf Kosten anderer zu machen, auf ihn bezogene Gags aber mit stoischer, ungläubiger Miene zu quittieren. All das ist nicht nur klasse geschauspielert, sondern überaus realistisches Verhalten zwischen sich fremden Menschen. Knisternde Atmosphäre, Luft zum Schneiden.

Angesichts des bisherigen Tempos der Handlung kommt der Bruch zum Terrorpart hart und dadurch verdammt wirkungsvoll. In entsprechend hergerichtetem Psychokiller-Ambiente schreitet Mick zur Tat und malträtiert seine Opfer. Von nun an bricht „Wolf Creek“ mit einigen ungeschriebenen Genre-Gesetzen und wurde absichtlich gegen die Erwartungshaltung Backwood-versierter Zuschauer gebürstet, was die handwerklich einwandfrei umgesetzten Gewaltausbrüche, Verstümmelungen und Tötungen umso wirkungsvoller macht. Mutmaßungen hinsichtlich des weiteren Handlungsverlaufs und überlebender Charaktere erweisen sich als falsch, „Wolf Creek“ verabschiedet sich vom typischen überzeichneten Backwood-Terror und bewegt sich in Richtung toternster, verstörender Folterfilme von fragwürdigem Unterhaltungswert. In dieser Kombination ein interessanter Drahtseilakt, der als gelungen bezeichnet werden kann.

Als weniger gelungen empfinde ich den pseudorealen Hintergrund, der mit den von anscheinend tatsächlich häufig vorkommenden Verschwinden von Menschen auf dem australischen Kontinent berichtenden Texttafeln im Prolog zu etablieren versucht wird und den Film mit einem entsprechenden Epilog beendet. Die Authentizität leidet unter der Spekulativität der Umsetzung und es würde mich generell überraschen, wenn sich heutzutage überhaupt noch jemand von „basiert auf wahren Ereignissen“-Behauptungen hinterm Ofen hervorlocken lassen würde. Das hatte „Wolf Creek“ meines Erachtens nicht nötig.

Kritiker mögen zudem bemerken, dass „Wolf Creek“ sich nicht eindeutig dahingehend positioniert, übliche Genreklischees auszusparen oder voll zu bedienen und deshalb je nach Sichtweise – ultraharter Torture-Film oder eben typischer Backwood-Terror – an Punkten einbüßt. Eher oberflächliche Charakterisierungen und typische Kopfschüttelmomente wie verpasste Chancen, dem Killer den Garaus zu machen, stehen tatsächlich im Kontrast zur Kompromisslosigkeit des Finales.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 23. Sep 2011, 14:41
von buxtebrawler
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Uzumaki
Saitous Vater ist süchtig nach Spiralen. Er sammelt Gegenstände aller Art, die auch nur ansatzweise spiralförmig sind. Seine Sammelleidenschaft wird zur Besessenheit und schließlich tötet er sich selbst in einer Waschmaschine. Nach seiner Einäscherung scheint ein Fluch auf der kleinen Stadt zu liegen: Überall Spiralen, überall Tote. Saitou und seine Freundin Kirie versuchen, dem Rätsel auf den Grund zu gehen...
Japan – im Horrorbereich das Land der maßlos übertriebenen Sickos und des immer gleichen Geistergrusels in leichter Variation? Mitnichten, denn das Regiedebüt des Regisseurs Higuchinsky aus dem Jahre 2000 schlägt in eine gänzlich andere Kerbe. „Uzumaki“ erklärt so etwas Alltägliches wie Spiralen bzw. spiralförmige Gegenstände zum Quell von Horror und Wahnsinn und macht sie zum Ausgangspunkt für einen surrealen Alptraum, der schwindlig macht.

Die Charaktere einer japanischen Kleinstadt, gleich ob bereits vom Spiralwahn besessen oder nicht, wirken beunruhigend der Realität entrückt, verhalten sich abnormal und nehmen Dinge als gegeben hin, die beim Zuschauer für ungläubiges Staunen sorgen. „Uzumaki“ ist ein Alptraum von einer aus den Fugen geratenen Welt, in der eigene Naturgesetze herrschen und die zudem von geheimnisvollen Erscheinungen und letztendlich Todesfällen heimgesucht wird. In dazu passend leicht verfremdeter Optik zündet Higuchinsky ein Feuerwerk (im wahrsten Sinne des Wortes) abgedrehter Ideen, sowohl hinsichtlich der Handlung als auch der zwar computergenerierten, durch ihre Unnatürlichkeit aber dadurch hier meist gut passenden und teils arg blutigen Spezialeffekte. Der nach einem roten Faden suchende und in Erwartung einer Erklärung gebannt verharrende Zuschauer wird mit immer neuen Überraschungen in einem dennoch nicht hektischen, sondern eher unheilschwanger-gemächlichen Tempo konfrontiert und muss sich letztlich mit einer durch die Einführung eines Journalisten grob angerissenen Hintergrundgeschichte zufrieden geben. Die handelnden Personen werden nahezu zu Statisten degradiert, die ohnmächtig dem Geschehen ausgesetzt sind. Das Schauspiel der Darsteller ist dabei stets zweckmäßig, niemand sticht sonderlich heraus.

„Uzumaki“ ist ein Wahnsinnstrip, der interessanterweise zwei Les- bzw. „Guckarten“ gestattet: Die einer grotesken Komödie oder die einer fürchterlichen Schauermär, die die Realität, wie wir sie kennen, aus den Angeln hebt und spiralenförmig unbeirrbar und in immer rasanterer Geschwindigkeit ins Absurde führt, um sie letztlich zu absorbieren. Das geschieht auf so originelle und kreative Weise, dass ich in meiner Begeisterung beinahe geneigt gewesen wäre, „Uzumaki“ auf einen Thron zu hieven, wären da nicht letztlich doch einige Szenen, die zu skurril und amüsant ausfielen, um die zuvor zelebrierte, unvergleichliche Horroratmosphäre beizubehalten. Ich denke da speziell an an Häuserwänden kriechende „Schneckenmenschen“ und außer Kontrolle geratene Lockenfrisuren.

„Uzumaki“ ist und bleibt aber absolut erfrischendes, nahezu psychedelisches Phantastik-Kino, das nicht sonderlich leicht zu beschreiben ist und daher am besten von aufgeschlossenen, schwindelfreien Genre- oder Ostasien-Liebhabern selbst konsumiert werden sollte. Ich versichere, dass man zukünftig der einen oder anderen Spirale mit mehr Aufmerksamkeit begegnen wird als zuvor – in welcher Form auch immer.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 23. Sep 2011, 18:11
von buxtebrawler
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Der Teufel tanzt um Mitternacht (aka The Witches)
Nach etlichen Jahren als Missionarin in Afrika lässt sich die Englischlehrerin Gwen Mayfield (Joan Fontaine) als Folge eines Nervenzusammenbruches in ein kleines englisches Dorf versetzen. Hier wird sie zunächst freundlich aufgenommen. Doch nach einiger Zeit fällt ihr mehr und mehr auf, dass sich einige Dorfbewohner seltsam verhalten. Insbesondere die Beziehung eines jungen, geistig leicht zurückgebliebenen Mädchens zu einem gleichaltrigen Jungen scheint die Einwohner zu beunruhigen. Als es zu ersten Todesfällen kommt, beginnt Gwen Nachforschungen anzustellen, die sie an den Rande des Wahnsinns führen...
Wie so viele andere Horrorfilme greift auch „Der Teufel tanzt um Mitternacht“ alias „The Witches“, eine britische „Hammer“-Produktion aus dem Jahre 1966, die Angst vor Dörfern und Kleinstädten auf, die von der restlichen Zivilisation unbemerkt ein dunkles Geheimnis beherbergen und nach ihren ganz eigenen Idealen, Regeln und Gesetzen funktionieren. Der Film basiert auf einem Roman von Norah Lofts und Hollywood-Diva und Hauptdarstellerin Joan Fontaine („Verdacht“) höchstpersönlich erwarb die Filmrechte, um mit der Verfilmung unter Regie von Cyril Frankel ihr Comeback einzuleiten.

Das misslang zwar, der Film an sich jedoch über weite Strecken nicht. Fontaine als ehemalige Missionarin Gwen Mayfield, die nach einem aus Konflikten mit Voodooriten arbeitender Medizinmänner resultierenden Nervenzusammenbruch im englischen Dorf Heddaby eine Stelle als Lehrerin antritt, stellt ihre schauspielerischen Qualitäten über Gebühr unter Beweis und deckt zahlreiche Facetten auch subtilerer menschlicher Emotionen ab. Das trägt entschieden dazu bei, die sich eigentlich eher langwierig gestaltende Handlung dieses Okkult-Thrillers zu einem Genuss für diejenigen Zuschauer zu machen, die eine gewisse Wohlfühlatmosphäre zu schätzen wissen. Ja, es macht Spaß, Gwen dabei zuzusehen, wie sie zunächst überaus freundlich aufgenommen wird, mit zunehmenden Kennenlernen der etwas verschrobenen Dorfbewohner und ihrer Gepflogenheiten aber zu zweifeln beginnt und letztlich Gefahr läuft, einen erneuten Nervenzusammenbruch zu erleiden.

„The Witches“ ist ein wahrer Charmebolzen von Film, was nicht zuletzt in den zahlreichen starken weiblichen Charakteren begründet liegt, die hier das Heft in der Hand halten und sowohl männliche Helden als auch Schurken überflüssig machen. Ja, „The Witches“ wirkt emanzipiert, ohne in Amazonenhaftigkeit zu verfallen. Auch wenn man schon recht früh ahnt, wie der Hase läuft, fesselt insbesondere das Handlungselement um die junge Liebe zwischen einem Mädchen und einem Jungen, die von den Alten mit Nachdruck zu sabotieren versucht wird. Erinnerungen werden wach an die Spießigkeit vergangener Zeiten, Raum für etwas Romantik öffnet sich, Schmalz bleibt außen vor.

Trotz nur sehr geringen Horroranteils, der häufig lediglich durch Einblendungen afrikanischer Voodoo-Masken erzeugt wird, unterhält „The Witches“ auf seinem Weg zur Aufdeckung der Dorfverschwörung, um sich dort anhand eines blasphemischen Rituals, eines „Hexensabbats“, um 180° Grad zu drehen und während einer wahnwitzig choreographierten Tanzszene Overacting-Trash in Reinkultur zu zelebrieren. Die motorischen Zuckungen des auserwählten, jungen Opfers lassen in diesem Zusammenhang sogar einen gewissen Erotikfaktor erahnen, doch um konsequenterweise die hexenhörigen Teilnehmer und ihre Veranstaltung als lasterhaften Sündenpfuhl darzustellen und auf Nacktheit und Blut zu setzen, ist „The Witches“ letztlich doch zu bieder und vermutlich zu… emanzipiert. Das ist, zumindest was Blut und Gewalt betrifft, insofern schade, als das Finale nur noch lächerlich, unfreiwillig komisch wirkt und seine vermutlich angestrebte Wirkung verfehlt. Dem Unterhaltungsfaktor indes tut dies selbstredend kaum einen Abbruch.

Ich jedenfalls habe meinen Ausflug nach Heddaby nicht bereut.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 27. Sep 2011, 12:25
von buxtebrawler
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Requiem for a Dream
Wünsche, Lebensträume, Abhängigkeiten. Das Schicksal von vier Personen, die in der Nähe des Coney Island Vergnügungsparks leben. Die ältliche Sara (Ellen Burstyn) ist ein TV-Junkie. Als sie eine Einladung zu einem Quiz erhält, will sie unbedingt in einem bestimmten roten Kleid dorthin. Um hineinzupassen, greift sie zu Diätpillen, doch schon bald wird die Einnahme zum Zwang. Zur gleichen Zeit versuchen ihr Sohn Harry (Jared Leto), dessen Freundin Marion (Jennifer Connelly) und ihr Drogendealerfreund Tyrone (Marlon Wayans), ihren kleinen Handel durch größere Deals auszuweiten. Gleichzeitig steigt aber auch bei ihnen der Konsum. Der Traum vom Ausbruch endet in der Drogenabhängigkeit, als Trip voller alptraumhafter Visionen...
Das Drama „Requiem for a Dream“ von US-Regisseur Darren Aronofsky („Pi“, „The Wrestler“) aus dem Jahre 2000 basiert auf einem Roman von Hubert Selby, der auch am Drehbuch mitschrieb. Erzählt wird die Geschichte von vier Drogenabhängigen und ihrem endgültigen Absturz, aber auch menschliches/gesellschaftliches Konsumverhalten allgemein ist Bestandteil der genauen Beobachtungen der Autoren.

„Requiem for a Dream“ glänzt mit großartigen Schauspielern, allen voran Ellen Burstyn („Der Exorzist“, „Wendekreis des Krebses“), die die vereinsame, zunächst „nur“ TV-süchtige ältere Dame Sara, die mit der Zeit eine Abhängigkeit von Aufputschmitteln herausbildet, überragend spielt. Ein weiterer echter Hingucker ist Jennifer Connelly („Die Reise ins Labyrinth“, „Phenomena“) als Marion, die eine Entwicklung vom hübschen, lebensfrohen Mädchen zur heroinabhängigen Prostituierten erlebt. Jared Leto („Düstere Legenden“, „Fight Club“) spielt Saras Sohn und Marions Freund Harry mit einer ähnlichen Intensität, sein Kumpel Tyrone wird von Marlon Wayans ebenfalls überzeugend gemimt.

Das eigentlich bzw. am auffallendsten Besondere von „Requiem for a Dream“ ist der Stil. Aronofsky zeichnet in ihm den Verlauf einer „Drogenkarriere“ nach, indem er seinen Film lustig bis grotesk- überzeichnet und mit gerade im Hinblick auf das Medium TV stark satirischen, parodistischen Zügen beginnen lässt, je mehr sich seine Protagonisten aber in ihren existenzbedrohenden und schließlich -zerstörenden Süchten verfangen, die Stimmung des Films entsprechend anpasst, das Lachen immer häufiger im Halse stecken bleibt und er schließlich einen Kübel Zynismus ausschüttet, bevor er seinem Publikum das nahezu unerträgliche Ende in all seiner erschreckenden, verstörenden Kompromisslosigkeit erbarmungslos zumutet.

Auch die äußere Form ist von zahlreichen ungewöhnlichen Stilmitteln geprägt. Am prägnantesten sind dabei sicherlich die schnellen, geräuschunterlegten Schnittfolgen, die einzelne immer wiederkehrende Elemente des Konsums hektisch aneinanderreihen und für die jeweilige Aktion typische Klänge ertönen lässt. Auch andere Handlungselemente werden in einer Art Zeitraffer gezeigt und folgen dabei einer eigenen akustischen wie visuellen Ästhetik, die sie fast schon tanzbar machen. Weitere verfremdende, kreative Kunstgriffe ziehen sich durch den gesamten Film, wobei tatsächlich das Kunststück gelingt, sie nicht selbstzweckhaft erscheinen zu lassen, sondern stets passend den jeweiligen Handlungsabschnitt unterstreichend bzw. interpretierend. Dazu passt die musikalische Untermalung in Form eines Streicherthemas von hohem Wiedererkennungswert, das den richtigen Ton zwischen Dramatik, Tragik und Melancholie, zwischen Kraft und Fragilität, trifft.

Der Film wurde in vier Kapitel, benannt nach den Jahreszeiten, aufgeteilt – eine naheliegende, symbolträchtige Metapher. Vermutlich wie der Roman gegen Ende der 1970er angesiedelt, verfügt „Requiem for a Dream“ trotz seiner düsteren Thematik zwar über eine überraschend bunte Ästhetik, aber kaum Zeitkolorit. Es wirkt fast, als habe man die Handlung und ihre Protagonisten möglichst zeitlos gestalten wollen, evtl. um nicht den Anschein zu erwecken, als behandle man etwas Vergangenes, Abgeschlossenes, das nur noch bedingt über einen Bezug zur Gegenwart verfügt. „Requiem for a Dream“ bewertet nicht, verurteilt nicht, sondern dokumentiert lediglich, lässt dabei aber wenn auch keine klassische Identifikation mit seinen Charakteren, so doch ein starkes Mitgefühl zu, dessen sich manch Zuschauer erst gegen Ende bewusst werden dürfte, wenn es in all seiner Intensität überraschend auf ihn niederbricht.

„Requiem for a Dream“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Möglichkeit des Mediums Film, durchgestylter Kunstfilm und aufwühlendes, nahegehendes Drama zugleich, ebenso attraktiv und leicht konsumierbar wie eine Droge, ebenso bitter am Ende seines Weges. Aronofskys Film hinterlässt definitiv einen bleibenden Eindruck und lädt trotzdem bzw. gerade deshalb nicht unbedingt zur kurzfristigen Neusichtung ein – wer wird schon gern damit konfrontiert, wie leicht Träume sterben?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 27. Sep 2011, 18:03
von buxtebrawler
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Anatomie
Für die ehrgeizige Medizinstudentin Paula geht ein Traum in Erfüllung: Sie wird zu einem Elitekurs in Anatomie bei dem berühmten Heidelberger Professor Grombek zugelassen. Doch die Freude wandelt sich schnell in jähes Entsetzen, als vor Paula auf dem Seziertisch ein junger Mann liegt, der tags zuvor noch quicklebendig war. Allen Warnungen zum Trotz stellt Paula Nachforschungen an und stößt schon bald auf einen mysteriösen Geheimbund, der in den Gemäuern des ehrwürdigen Instituts sein Unwesen treiben soll...
„Anatonomie“ – ein deutscher Horrorthriller aus dem Jahre 2000. Ob das gutging? Prinzipiell schon. Der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky, der auch zusammen mit Peter Engelmann das Drehbuch verfasste, kreierte eine interessante Slasher-Variation, die im Medizinstudentenmilieu angesiedelt wurde und eine originelle Hintergrundgeschichte zu bieten hat.

So geht es um den (anscheinend und hoffentlich wirklich fiktiven) Geheimbund der „Antihippokraten“, der den Eid des Hippokrates ablehnt und in den Gemäuern der ehrwürdigen Heidelberger Universität Menschen bei lebendigem Leibe seziert und plastiniert. Diesem dunklen Geheimnis ist die Studentin Paula (Franka Potente, „Nach fünf im Urwald“, „Creep“) auf der Spur, während sich durch Beziehungskisten und Eifersüchteleien bedingt die Leichen häufen und sie selbst in Lebensgefahr gerät.

„Anatomie“ nimmt elitären Studentenhabitus gewitzt aufs Korn und erschreckt sein Publikum neben einigen gut gemachten blutigen Szenen und dem einen oder anderen Schockeffekt mit dem unterkühlten, emotionsfreien Verhältnis zum Tod, das Mediziner und solche, die es werden wollen, an den Tag legen. Leider versäumte man es aber, den verstörenden Magenschwinger zu erschaffen, den die Geschichte möglich gemacht hätte, und verwässert die partiell immer wieder aufkeimende, finster-bedrohliche Atmosphäre mit reichlich Humor. Zudem agieren nicht alle der zumindest in deutschen Landen recht bekannten Schauspieler durchgehend glaubwürdig. Klar, die Potente spielt recht potent (autsch, ich weiß…), aber einem Benno Fürmann seine Rolle abzunehmen, fiel mir doch auffallend schwer. Anna Loos als hochintelligente und nymphomane Gretchen kann nur einer Männerphantasie entspringen, lockert für mein Empfinden die Handlung aber tatsächlich angenehm auf und sorgt für den einen oder anderen kecken Dialog.

Mit seinen Verweisen auf die Nazizeit erhält „Anatomie“ einen leichten Anstrich von nicht ganz doofer Naziploitation und rückt ein dunkles Kapitel ins Bewusstsein, das die „Antihippokraten“ noch etwas weniger abwegig erscheinen lässt als ohnehin schon, angesichts von Pharmamafia und Tierversuchen.

Das Finale fiel ähnlich wendungsreich aus wie in manch altem Giallo oder auch Slashern à la „Scream“ (in deren Fahrwasser vermutlich seinerzeit die Produktion bewilligt wurde) und unterhält prima, die nach dem Abspann eingeschobene Post-Pointe hingegen wirkt eher schon wieder albern. Und dass das alles von einem belanglosen Pop-Soundtrack untermalt wird, trägt natürlich auch nicht dazu bei, das muntere Treiben sonderlich ernstnehmen zu können.

Fazit: Ambitionierter, bisweilen richtiggehend kreativer Film mit eigener Note, allerdings spürbar von einem genreunerfahrenen Team umgesetzt und letztlich nicht konsequent genug, um gänzlich zu überzeugen.