Ah, ich liebe diesen Film und wollte immer schon diverse Abhandlungen darüber kundtun. Nun hat man hier aber schon so ziemlich alles gesagt, was gesagt werden kann...
Naja vielleicht eins noch: Ich habe mich immer gefragt, warum Deodato, der ja ganz klar zeigen wollte, dass die modernen Menschen den Kannibalen in Sachen Grausamkeit um nichts nachstehen, solche extremen Gewaltszenen von Seiten der Kannibalen gezeigt hat, die dennoch die Moral nicht beeinflussen. Ich sah wie eine Frau von einem Eingeborenen mit einem spitzen Spieß vergewaltigt und dann ermordet wurde, ich sah wie eine Frau, von Eingeborenen aufgespießt, dahinfäult, ich sah wie einer Frau der Fötus ziemlich unschön entfernt wurde (fällt mir grad auf, ziemlich misogyn diese Dschungelbewohner
)...und trotzdem scheinen die Filmleute um keinen Deut besser zu sein. Bei längerem Nachdenken ist mir dann ein möglicher Grund dafür eingefallen: Die Gewalt, wie sie von den Eingeborenen verübt wird, hat immer etwas ritualhaftes an sich (bis auf das Schlussmassaker). Ein bevorstehender Gewaltakt wird stets mal aus der Ferne gefilmt und die Kamera kommt dann langsam näher, damit sich der Zuseher auf die Grausamkeit gut einstellen kann. Die Schlächter selbst behalten immer die betrübten würdevollen Mienen, die zeigen, dass sie nicht glücklich mit ihren Handeln sind, aber es trotzdem tun, weil es in ihrer Kultur verankert ist. Die Gewalt der Weißen auf der anderen Seite hat immer etwas erschreckendes an sich, weil sie so plötzlich kommt. Wir wissen beispielsweise erst dann, dass sie das Dorf anzünden wollen, wenn das Ding schon lichterloh brennt. Oder nehmen wir die Szene wo der eine Typ ganz plötzlich einen Schrumpfkopf in die Kamera hält. Diese Grausamkeit schockiert uns so, weil wir uns nicht auf sie vorbereiten können. Dazu kommt noch das sichtbare Vergnügen, dass Alan und Kumpanen bei ihren Treiben empfinden.
Zum Thema verstörendster Film aller Zeiten noch kurz: Ich hab ihn nämlich erstaunlicherweise ziemlich gut weggesteckt (obwohl er mich tatsächlich zum Nachdenken gebracht hat): Ich denke ich hab seine kontroversen Momente daher so gut verkraftet, weil sie immer (OK, sagen wir: MEISTENS) einen höheren Zweck dienen, wie eben der Sozialkritik. Und selbst der Tiersnuff ist hier nicht immer ganz grundlos. So zeigt das Tierchen am Anfang (Ameisenbär oder so), wie unzivilisiert das Dschungelleben ist (zu sehen an Robert Kermans Ekel vor dieser Szene) und der zweite Ameisenbär, der von den Filmleuten erschossen wird, spiegelt die Grausamkeit des Teams gegenüber den Eingeborenen wieder. OK, man hätte dafür keine echten Tiere metzeln müssen, aber immerhin ist das moralisch verwertbarer als wenn in anderen KAnnibalenstreifen der Tiersnuff nur dazu da ist um Tiersnuff drinnen zu haben. Robert Kermans Charakter hilft, wie Salvatore Baccaro schon so schön ausführte, ungemein um die Gewalt zu verdauen, weil wir in ihm immer einen haben, der genau so entsetzt über das Geschehen ist wie wir. Also ich persönlich fühle mich bei Streifen wie "New York Ripper" (diese Rasierklingenszene!!!
) wesentlich unwohler als wie bei diesem Meisterwerk.
Bleibt nichts mehr zu sagen außer sich zu fragen, wer jetzt eigentlich die wirklichen Kannibalen sind?