No one will ever know whether children are monsters or monsters are children. Diesen Satz kann man in der letzten Einstellung von Lucio Fulcis Horrorklassiker QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO von 1981 sozusagen als abschließendes Statement lesen. Zugeschrieben wird er dem 1843 in New York geborenen und 1916 in Großbritannien gestorbenen Schriftsteller Henry James. Eine exaktere Quelle, bspw. zu dem Werk, aus dem dieses Zitat stammen soll, nennt Fulci nicht. Beim letzten Forentreffen hat mir dann aber Fulci-Kenner purgatorio einen interessanten Hinweis geliefert. In seinem Fulci-Buch BEYOND TERROR soll Autor Stephen Thrower konkreter werden, und führt THE TURN OF THE SCREW als vermeintliches von Fulci zitiertes Werk an – zwar noch immer ohne eine genaue Seitenangabe, doch immerhin hatte ich nun einen Titel, mit dem ich arbeiten konnte. Jetzt, nachdem ich Henry James‘ Erzählung von 1898 Wort für Wort durchsucht habe, muss ich zu der Feststellung kommt, dass Thrower sich irrt oder seinerseits einer Falschmeldung aufgesessen ist. Die QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO besiegelnde Grübelei, ob denn nun Kinder Monster seien oder nicht doch Monster Kinder, findet sich in THE TURN OF THE SCREW nicht mal in abgewandelter Form, was die Mutmaßung, Fulci könne aus dem Gedächtnis schlicht unbeabsichtigt falsch zitiert haben, schon mal im Keim erstickt. Trotzdem bestehen aber offensichtliche Querverbindungen zwischen dem Fulci-Zitat und dem James-Text – und denen möchte ich nunmehr Schritt für Schritt hinterherspüren.
THE TURN OF THE SCREW beginnt wie eine klassische Schauergeschichte. Eine Gruppe von Leuten, darunter der geschlechts- und namenlose Ich-Erzähler, versammelt sich allabendlich in einem englischen Landhaus, um die Zeit mit dem Erzählen und Lauschen von Gruselstoffen zuzubringen. Ein Mann dieser Gesellschaft, Douglas, entschließt sich, nach mehreren finsteren Andeutungen und dem Drängen vor allem des weiblichen Anteils der Zusammenkunft, den Bericht einer seiner früheren Liebschaften vorzulesen, Aufzeichnungen, die die Frau im hohen Alter über Ereignisse gemacht haben soll, die weit bis in ihre Tage als junges Mädchen zurückreichen. Diese Aufzeichnungen beginnen ebenfalls wiederum wie eine klassische Schauergeschichte: Unsere, ebenfalls namenlos bleibende, Ich-Erzählerin bewirbt sich bei einem Londoner Gentleman um eine Anstellung als Gouvernante. Dessen verwaiste Nichte und Neffe, Flor und Miles, das Mädchen etwa acht, der Junge etwa zehn, leben indes nicht bei ihm, sondern auf Bly, dem entlegenen Landsitz der Familie. Ihr Onkel, dem unsere Gouvernante übrigens sofort in jugendlicher Liebe zugetan ist, möchte sich aus ihrer Erziehung völlig heraushalten. Sobald unsere Ich-Erzählerin in Bly eingetroffen ist, soll sie ihn dort in einer Weise vertreten, die seine Anwesenheit komplett obsolet macht. Nicht mal in Briefen will er über die Ereignisse auf Bly unterrichtet werden. Nach anfänglichem Zögern nimmt die Erzählerin das Angebot an – wohl nicht zuletzt wegen ihrer leidenschaftlichen, irrationalen Gefühle gegenüber dem eigentlichen Hausherrn.
Bly ist dann, wie man es erwarten darf, ein Kosmos für sich, ein altenglisches Herrenhaus mit weitläufigen Gärten, einer Vielzahl Bediensteter und einer traditionsreichen Geschichte. Die Kinder indes entpuppen sich für unsere Erzählerin zunächst als wahre Engel. Die neue Gouvernante schließt sie sofort ebenso sehr in ihr Herz wie die Kinder das mit ihr zu tun scheinen. Selbst der Kontakt zu Mrs. Flor, der Haushälterin und nächsten Vertrauten von Miles und Flor, ist von Anfang an warm und freundlich. Doch natürlich häufen sich mit zunehmender Zeit die merkwürdigen Vorkommnisse. Da ist ein merkwürdiger Mann, den unsere Erzählerin auf dem Gelände herumschleichen zu beobachten meint. Da sind ebenso merkwürdige Andeutung Mrs. Flors, die vorherige Gouvernante und vorherige merkwürdige Vorkommnisse betreffend. Da ist zuletzt das Verhalten der Kinder selbst, die unserer Erzählerin mehr und mehr Rätsel aufzugeben beginnen, über deren Beschaffenheit sie vor sich selbst im Unklaren bleibt. Schließlich aber verdichten sich ihre Intuitionen zu einem folgenschweren Verdacht, der genährt wird davon, dass Miles und Flor immer wieder nachts an den Fenstern ihrer Zimmer stehen und ins Dunkel hinausstarren oder gar in den Garten entwischen, und dass der merkwürdige Mann und eine genauso merkwürdige Frau immer wieder im Blickfeld unserer Erzählerin auftauchen, und dass Mrs. Flor endlich mit der Sprache über einen gewisser Peter Quint, einen Hausangestellten, und eine gewisse Miss Jessel, ihre direkte Vorgängerin, herausrückt: Beide sollen nämlich eine sexuelle Verbindung zueinander gehegt haben, beider Wesen soll ein verbrecherisches, schändliches gewesen sein, beide kamen auf reichlich mysteriöse Weise ums Leben, und beide haben, kurz vor ihren Toden auffälligen Kontakt zu Flor und Miles gesucht. Für unsere Erzählerin steht alsbald fest: die Geister von Quint und Jessel treiben sich noch immer auf Bly herum, und sie führen etwas mit den Kindern im Schilde. Doch eine Erkenntnis wiegt für sie noch viel schwerer: Miles und Flor scheinen sich der Präsenz von Jessel und Quint vollkommen bewusst zu sein, und diese gar vor unserer Erzählerin geheim halten zu wollen...
Was nun beginnt, ist eben nicht der weitere Verlauf einer klassischen Schauergeschichte, sondern kann wohl eher als Meisterstück des psychologischen Schreckens bezeichnet werden. Obwohl James, wie gesehen, die oder andere Zutat des gothic horrors durchaus nicht verschmäht und sein Ambiente ausgestaltet wie die Kulisse einer Gespenstergeschichte, die gut und gerne auch hundert Jahre zuvor an einem Kaminfeuer hätte erzählt werden können, verlagert der Fokus sich doch bald deutlich ins Innere unserer Erzählerin, aus deren Sicht allein wir die Geschehnisse vermittelt bekommen. Zwei Hauptlesarten des Textes stehen somit von Anfang an gleichberechtigt nebeneinander. Man kann alles, was unsere Gouvernante in THE TURN OF THE SCREW wahrzunehmen und zu beobachten meint, als bare Münze auffassen. Tatsächlich stehen die Kinder unter dem Einfluss böswilliger Totengeister, und tatsächlich tut die Erzählerin gut daran, sie ab einem bestimmten Punkt permanent zu überwachen, um diesen Einfluss so gering wie möglich zu halten, und jede Geistererscheinung, die sie mit eigenen Augen sieht, ist ein Faktum, an dem nicht gerüttelt werden sollte. Was aber, wenn unsere Erzählerin sich all den Spuk bloß einbildet, die Kinder zu Unrecht verdächtigt und sich im Laufe der Geschichte stetig in einen gutgepflegten Wahn hineinsteigert, der zwangsläufig in einer Katastrophe münden muss? Diese Lesart nämlich bietet THE TURN OF THE SCREW, gerade aufgrund der konsequenten Ich-Perspektive, genauso gut an. Nichts erfahren wir, was nicht zuvor durch die Blicke und den Verstand unserer Erzählerin gelaufen wäre. Unter dem Gesichtspunkt wäre James die detaillierte Schilderung einer aufkeimenden seelischen Krankheit gelungen.
Dass THE TURN OF THE SCREW funktioniert wie ein Vexierbild, das man nur lange genug anzustarren braucht, und schon enthüllt es ihm eine Bedeutung, die der zuvor angenommenen nahezu diametral gegenübersteht, liegt vor allem an der exzessiven Innerlichkeit der Erzählung. Jedwede äußerliche Haltung muss zuerst den inneren Filter unserer Erzählerin passieren bevor wir von ihr erfahren. Hinzukommt, dass THE TURN OF THE SCREW ziemlich arm an äußerlicher Handlung ist. Der Großteil der Geschichte handelt von den Beobachtungen der Gouvernante: sie belauert die Kinder, wartet auf Gespenstererscheinungen, stellt Mutmaßungen an, unterhält sich lange mit Mrs. Flor über die Vergangenheit Blys. Dadurch, dass wir uns, wie gesagt, komplett in ihrer Gedankenwelt befinden, regelrecht wie in einem Spinnennetz in ihr gefangen sind, kommt es bezüglich der Frage, welche der beiden Lesarten wir bevorzugen, ganz darauf an, wie weit es die fiktive Figur schafft, uns von ihrer Sicht auf die Dinge zu überzeugen. Bleiben wir kritisch, können wir einen Schritt zurücktreten, die Ereignisse von außen betrachten, uns überlegen, wie diese oder jene Seltsamkeit denn rational, d.h. psychologisch, erklärt werden könnte, und wir werden Mitleid mit den Kindern haben, die dann nur unschuldige Opfer der derangierten Psyche ihrer Erzieherin sein können. Lassen wir uns von dem zunehmend verstörender werdenden Gedankenstrom der jungen Frau mitreißen, werden wir, genauso wie Mrs. Flors, alsbald zu dem Schluss kommen, dass die Kinder, schon halb teuflisch durch den Negativeinfluss der Gespenster, es durchaus verdienen, von ihrer Erzieherin einem strengen Überwachungsregime unterworfen zu werden.
Fulcis Behauptung, es könne nie endgültig festgestellt werden, ob denn Monster Kinder oder Kinder Monster seien, hat einen direkten inhaltlichen Bezug zu den, bei jeder Lesart, beängstigenden Gedanken, mit denen James‘ Erzählerin sich das Hirn zermartert. Für sie sind Miles und Flor, die einstigen Engel und nunmehrigen Komplizen der Spukerscheinungen, vor allem im letzten Drittel von THE TURN OF THE SCREW kleine Ungeheuer, die unaufhörlich versuchen, ihr zu entwischen, um zu ihren Gespensterfreunden zu gelangen, die ihr psychologische Fallen stellen, sie hinters Licht führen, ihr eine brave Fassade hinhalten, um sie zu täuschen, und insgeheim schon den nächsten Vertrauensbruch planen. Ob die Gouvernante sich Quints und Jessels Geister nun einbildet oder nicht, für ihre subjektive Realität verwandeln Miles und Flor sich so oder so von wehrlosen Geschöpfen, die es vor externen, übernatürlichen Gefahren zu beschützen gilt, hin zu raffinierten Teufeln in Menschengestalt, die am besten vor sich selbst geschützt werden sollten.
Auffallend ist, dass QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO voller Motive steckt, die man auch in James’ Erzählung findet. Schauplatz ist ein eher abgelegenes Häuschen voller dunkler Geheimnisse – allerdings in Neu- und nicht in Altengland. Ein Kindermädchen spielt zwar nicht die Hauptrolle, und wird zudem recht ruppig aus dem Leben gestoßen, doch scheint es, als ob sie bis zum Zeitpunkt ihres Verscheidens mehr wisse über die unheimlichen Ereignisse als jede andere Figur innerhalb des Films – man denke an die Szene, in der Ann eine unübersehbare Blutlache wegwischt, während Filmmutter Lucy, scheinbar ohne dies zu registrieren, keinen Meter davon entfernt ist. Außerdem gibt es natürlich ein Kind, das mit der Geisterwelt in Verbindung steht – wenn die sich auch in Form eines kleinen, rothaarigen Mädchens als eher niedlich entpuppt -, und, nicht zu vergessen, eine handfeste Zwischenweltgestalt, Dr. Freudstein, die es, irgendwo angesiedelt zwischen Zombie, verrücktem Wissenschaftler und Blutsauger, auf, wie es heißt, immer jüngere Opfer, sprich: Kinder, abgesehen hat – genau wie es die James’sche Gouvernante von den Untoten Mr. Quint und Mrs. Jessel vermutet – und, könnte man meinen, selbst etwas Kindliches in sich trägt – immerhin lockt Dr. Freudstein einige Opfer durch kindliches Schluchzen in seinen Folterkeller und der Schrei, als er seinen menschlichen Arm verliert, erinnert ebenfalls eher an den eines kleinen Menschen als den eines großen Monsters.
Klar ist aber auch: neben all diesen Topoi, die allerdings nicht dem Konto von Henry James zugerechnet werden dürfen, sondern vorrangig dem weitreichenden Fundus der europäischen Schauerliteratur entstammen, sind die inhaltlichen Verschränkungen dann doch eher gering. Anders als Fulci verzichtet James ganz auf drastische Szenen. Bei ihm spritzt kein Blut, werden keine Schürhaken zweckentfremdet, keine Kinder neben zerhackte Menschenleiber gestellt: der ganze Schrecken spielt sich, wie bereits skizziert, allein hinter der Stirn unserer Erzählerin ab. Anders als James, der seine Geschichte klar, nahezu streng, ohne Nebenschauplätze, erzählt, verliert Fulci sich in einer Vielzahl an narrativen Seitenarmen, von denen viele, wohl ganz bewusst, nicht schlüssig mit dem Hauptstrom zusammenlaufen. Es verfehlt die Essenz von QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO, meiner Meinung nach, nicht, wenn man ihn, eher als ein Sammelsurium einzelner Genre-Versatzstücke bezeichnet, denn als kohärente Horrorgeschichte mit klarem Anfang und klarem Ende. Fulci wollte in dieser Zeit seiner Karriere, wie er selbst sagt, absolute Filme drehen, Filme, die einzig über ihre Bilder funktionieren, und der menschlichen Logik strikt entgegenlaufen, und QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO bildet darin keine Ausnahme. Dies ist dann wohl auch der grundlegende Unterschied zwischen THE TURN OF THE SCREW und Fulcis Friedhofsmauerschauermärchen: wo James‘ namenlose Erzählerin Sinn stiftet, indem sie die ihr fremde Welt von Bly in ein eigenes logisches Konstrukt einbettet – selbst wenn dieses Konstrukt von der Prämisse ausgeht, dass die Grenzen zwischen Tod und Leben nicht ganz so fließend sind wie das uns die moderne Wissenschaft weismachen möchte -, ist Fulcis Film höchstens auf den ersten Blick mit einem nachvollziehbaren Sinn, d.h. einer eindeutigen Geschichte, eindeutigen Figuren mit eindeutigen Handlungen etc., versehen, zerfasert dann aber mit zunehmender Laufzeit zusehends, und lässt am Ende mehr Fragen offen als er beantwortet hat. James psychologisiert das Unfassbare, Unheimliche, Unheimische, Fulci verabsolutiert es so sehr, dass es die innerfilmische Logik selbst angreift.
Aber warum dann das Zitat am Ende von QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO? Dafür hätte ich im Moment zwei Thesen, die sich gegeneinander nicht unbedingt ausschließen. Zum einen möchte ich daran erinnern, dass Fulcis Horrortrilogie der 80er, PAURA NELLA CITTÀ DIE MORTI VIVENTI, L’ALDILÀ und vorliegender Film, voller Zeichen stecken, die so tun, als würden sie für den Zuschauer etwas Bedeutungsvolles bezeichnen, sich dann aber, bei näherer Betrachtung, in heiße Luft auflösen. Vor etwa einem Jahr, nach dem letzten Forentreffen, hatte ich in einer kurzen Besprechung von L’ALDILÀ den guten alten Semiotiker Ferdinand de Saussure ausgegraben, um anhand seiner Theorien von der Arbitrarität aller Zeichen zu beweisen, dass Fulci es liebt, seine Filme mit kleinen Sinneinheiten auszustaffieren, die den Eindruck erwecken, der Narration wichtige Impulse zu liefern – beispielweise die Nummer des Hotelzimmers, in dem der teuflische Künstler in L’ALDILÀ seine Höllenvisionen malt, oder das Buch Eibon im gleichen Film -, indem sie mit auffälliger akustischer und visueller Finesse ständig ins Zuschauerbewusstsein gerückt werden – meist, wenn das Buch Eibon oder die Zahl 36 in L’ALDILÀ erscheinen, wird dies mit wachrüttelnden Tonspurgeräuschen oder Zooms unterstrichen, die in Großaufnahmen münden -, schließlich jedoch, hat man erstmal das Ende des Films erreicht, überhaupt keine Hilfe bei einer Sinnfindung innerhalb der Bilder gewesen sind, sondern eher, wenn man das so nennen möchte, Ballast, der die menschliche ratio so sehr mit sich beschwert, dass sie letztlich unter ihm zusammenbricht. Mein liebstes Beispiel in L’ALDILÀ ist wohl immer noch das Schild in der Krankenhausszene, auf dem tatsächlich im Originalwortlaut und in roter Schrift, damit es ja jeder sieht, Do Not Entry zu lesen steht. Anzunehmen, dies sei purer Zufall oder ein übersehener Fehler, erscheint mir ziemlich abwegig. Viel eher zeigt sich Fulci mit solchen Details als ein Regisseur, der genau weiß, was er tun muss, um sein Publikum nachhaltig zu irritieren – und besonders weit ist dieses Schild als einerseits eindeutiges und andererseits eindeutig falsches Zeichen, das jedoch in sich zwei richtige Zeichen verborgen trägt, nämlich Do not enter und No entry, gar nicht so weit entfernt, meine ich, von einem Zitat, das so tut, als entstamme es einem Schriftsteller, der es nie geschrieben hat, allerdings dann doch in mehr oder minder offenkundiger Referenz zu einem der Werke dieses Schriftstellers steht.
Meine zweite These, die damit in gewisser Weise Hand in Hand geht, wäre, dass Fulci die Welt, die James in THE TURN OF THE SCREW entwirft, von der seinen, wie sämtliche übrigen filmischen Konventionen des Geschichtenerzählens, einfach verschlingen lässt. Rufen wir uns ins Gedächtnis, wie Luis Bunuel und Salvador Dalí den, zumindest gilt er als solchen, ersten surrealen Film der Kinogeschichte, UN CHIEN ANDALOU von 1928, gedreht haben. Man setzt sich zusammen, wirft Träume, die man hatte, in den Raum, wählt aus diesen Traumbildern die aus, die der menschlichen Logik am abwegigsten scheinen, und flickt daraus einen Film zusammen, der keine im eigentlichen Sinne Handlung, keine im eigentlichen Sinne Dramaturgie, keinen im eigentlichen Sinne Sinn hat. Genauso muss man sich wohl auch Lucio Fulci in seiner Hochphase vorstellen. QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO fühlt sich an wie ein Traum. Man kann sich vorstellen: wir befinden uns von der ersten bis zur letzten Szene im Kopf eines Träumenden, eines Kindes vielleicht. Die Gouvernante in Henry James‘ Erzählung träumt nicht. Sie handelt rational – nach ihrer eigenen Rationalität. In QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO handelt kaum jemand einmal rational – und wenn, dann wohl nur zufällig. Der Film wirkt wie eine Antithese zu dem, was Henry James mit der klassischen Schauerliteratur anstellt. Er tilgt zwar den Geisterglauben nicht zur Gänze, aber er lässt zu, dass man ihn auf ein positivistisches Fundament stellt. Wie gesagt: beide Lesarten sitzen in James‘ Text nebeneinander wie verfeindete Geschwister, Schulter an Schulter. Fulci lässt dies nicht zu. QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO widerstrebt jeder Erklärung. Es gibt Szenen, Momente, Sätze, die schon in sich derart unschlüssig sind, dass man selbst nach jahrelangem Herumtasten keinen Schlüssel für sie finden wird. Gleiches kann von dem Abschlusszitat gesagt werden. Es könnte Fulcis Art sein, einerseits auf die Vorbildfunktion eines Autors wie James zu verweisen – immerhin ist Fulci solchen Klassikern der Horrorschriftstellerei wie Poe oder Lovecraft alles andere als abgeneigt -, andererseits integriert er sein Vorbild so sehr in seinen eigenen, der Irrationalität verschriebenen Kosmos, dass dieses von ihm aufgesogen wird. Aufgesogen werden, das heißt: der Name James bleibt stehen, Kinder und Monster als Bezugspunkte bleiben stehen, das Zitat indes deformiert zu einem falschen Signifikanten, der, trotz seiner Falschheit, auf ein tatsächlich vorhandenes Signifikat verweist. Ähnliches geht es dem Buch Eibon in L’ALDILÁ. Ursprünglich eine Erfindung des US-Amerikaners Clark Ashton Smith (1893-1961), der es zum ersten Mal in seiner Kurzgeschichte THE HOLINESS OF AZEDARAC erwähnt, ist es in Fulcis Universum ein reines, im Grunde leeres Zeichen, das immer mal wieder auftaucht, ohne dass wir wirklich begreifen könnten, was es denn nun wirklich bezeichnen möchte.
Ich kann mich nur wiederholen: QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO ist demnach ein Film, der seine zutiefst irritierende, wenn nicht gar beunruhigende Wirkung nicht nur, wie ihm noch immer gerne unterstellt wird, aus drastischen Gräuelszenen zieht, sondern vor allem daraus, sein Publikum exakt dort anzugreifen, wo es am verwundbarsten ist. Fulci hebt in seinem Paralleluniversum jegliche Sicherheit aus den Angeln, in die wir sie gespannt haben. Dieser Film illustriert eine Welt, in der nichts mehr irgendeine Verlässlichkeit besitzt. Sein wahrer Schrecken ist vielleicht gerade das: dass wir, gemeinsam mit den Protagonisten, in einen Strudel gezogen werden, der ganz bewusst alles Vertraute mit sich fortreißt: Konventionen des Kinos, Konventionen der Narration, Konventionen der Zeichen – und damit ist er dann doch, auf seine eigenwillig verquere Art, wieder ganz nahe bei dem Verlust von Verlässlichkeit innerhalb des Kopfes einer fiktiven britischen Gouvernante des literarischen Jahres 1898.