Besucht man schon mal Westküste der Vereinigten Staaten darf eine Visite nach San Francisco ja natürlich nicht fehlen und die „mittelgroße Weltstadt“ (Zitat: Wikipedia) am Pazifik präsentiert sich für Europäer ja auch überraschend wenig amerikanisch bzw. eher sehr europäisch geprägt. Statt der unüberschaubaren Weitläufigkeit sonstiger US-Städte dominieren hier ein kompaktes Stadtzentrum, steile Hügel und ein Straßennetz, das keine Rücksicht darauf nimmt und vor allem sehr viel Kunst und Kultur. Auch sonst erinnert San Francisco nicht so sehr an andere US-Städte und hier dominieren eher Coffee-Shops und Weinlokale anstelle von Burgerläden und Diner, Umweltschutz statt Energieverschwendung und auch politisch und gesellschaftlich gibt man sich hier betont liberal, aufgeschlossen und weltoffen.
Dem Italo- Filmfan fällt bei San Francisco aber natürlich auch sofort Lucio Fulcis Giallo „Nackt über Leichen“ ein, der zwischen Dezember 1968 und Jänner 1969 zum Großteil in der wunderhübschen Stadt und seinen Straßen gedreht wurde. Zwar hat sich in fünfzig Jahren natürlich viel verändert, aber viele der Locations haben sich zu unserem Glück den seinerzeitigen Charme bewahrt und so haben wir die Gunst der Stunde und drei sommerliche Tage dazu genutzt uns auf die Spuren von Dr. George Dumurrier (Jean Sorel) und seine amourösen Abenteuern mit Marisa Mell und Elsa Martinelli und dessen Bruder Alberto de Mendoza zu begeben, die den unschuldigen Kardiologen dank einer teuflisch durchgeplanten Intrige ja geradewegs in die Todeszelle des ebenfalls nahe gelegenen Gefängnisses von San Quentin führen.
Zu Beginn des Streifen führen uns Luftaufnahmen und Title-Credits ja geradewegs zum bekanntesten Wahrzeichen der Stadt und obwohl sich die Golden Gate-Bridge geografisch für den üblicherweise von L.A. anreisenden Touristen eigentlich auf der „Rückseite“ der Stadt befindet, so wird sich kaum jemand einen Besuch und eine Fahrt über die Brücke entgehen lassen. Die meiste Zeit ist die Golden Gate Bridge zwar Wolken-verhangen oder ortsüblich sowieso im Nebel verschwunden, aber wir hatten natürlich Glück mit dem Wetter und die $ 7,50 Gebühr für die Brückenüberfahrt zahlt man als Tourist ja ohnehin meist mit der Leihwagengebühr mit.
Nach dem Auftakt und dem Helikopter-Flug über die Stadt gibt es einen kurzen Abstecher nach Pebble Beach, das ungefähr 123 Meilen von San Francisco entfernt liegt und sich an der ebenfalls gebührenpflichtigen „17-Mile-Drive“ liegt (
https://de.wikipedia.org/wiki/17-Mile_Drive), auf der man auch Attraktionen wie „The Lone Cypress“ und den „Bird Rock“ besichtigen kann. Die vermeintliche Dumurrier-Klinik heißt in Wirklichkeit aber „The Lodge“ (1700 17-Mile Drive, Pebble Beach, CA 93953) und ist ein exklusives Golf-Resort für Gutbetuchte und 2019 auch der Austragungsort der US-Open. Und das Gute an versnobten Golfern ist ja, dass die keine Rucksack-Touristen daran hindern, rotzfrech aufs Areal gehen um irgendwelche Bilder zu machen. Das erste Foto ist der Eingangsbereich des Hotels, auf dem einfach ein anderer Schriftzug befestigt wurde. Die beiden anderen Vergleichshots mit dem in die Lobby spazierenden Alberto de Mendoza auf der Rückseite des Gebäudes entstanden, das sich in den letzten fünfzig Jahren aber nur vom Baumbestand geändert hat. Die Zimmerpreise guckt man sich besser nicht an. (
https://www.pebblebeach.com/accommodati ... ble-beach/)
Weiter geht’s es im Film dann auch gleich mit der nächsten Touri-Attraktion in San Francisco und dem Apartment und Foto-Atelier der Fotografin Jane (Elsa Martinelli), das sich im Film auf der nicht minder bekannten Lombard Street befindet. Der kurvenreiche Abschnitt der Straße wird auf dem Stadtplan auch als „The Crookiest Street“ bezeichnet und gerade bei Amerikanern äußert beliebt. Im 10-Sekunden-Takt schieben sich die Autos gegenseitig die Einbahn- bzw. die paar Kurven hinunter und der Rest macht Fotos davon und genießt den wunderbaren Blick über China-Town Richtung Coit-Tower. Wie wir aber erfahren haben ist dieser Abschnitt aber nach der Vermont Street nur die zweit-kurvenreichste Straße der Stadt und für das europäische Auge sind diese Serpentinen auch nicht ganz so aufregend wie für Amis, für die ja wiederum achtspurige Freeways keine Besonderheiten sind.
Nach dem kurzen Abschied von Jane am Bahnhof der Southern Pacific Station in der 3rd Street/Townsend Street (der leider nicht mehr existiert bzw. offensichtlich abgerissen wurde) fährt George Dumurrier (Jean Sorel) mit seinem silbernen Flitzer geografisch an einer völlig anderen Seite der Stadt zu der Union 76-Tankstelle in der California Street Nummer 1177 um den Weg nach San Luis Obispo zu erfragen. Die Tankstelle gibt es nicht mehr, dafür sind an dieser erhöhten Stelle und noblen Gegend mit Blick über die Stadt mittlerweile ein paar hochpreisige Hotels und ein Veranstaltungszentrum zu finden. Die Kirche und die restlichen Gebäude im Hintergrund gibt es aber wie man sehen kann immer noch.
Weiter geht es im Film mit einem Abendessen von George und Jane im „Fishermen’s Grotto“ (2847 Taylor Street, San Francisco) bei dem sie von einem Detektiv der Versicherungsfirma beobachtet werden, ehe George seine Freundin zurücklässt um Monica im Stripclub zu besuchen. Das stadtbekannte Fisch-Restaurant am Fisherman’s Wharf bzw. Hafen der Stadt wurde – wie ich vor Ort erfahren habe - bis auf die hübsche Bar im Erdgeschoß vor Kurzem im Innenbereich völlig renoviert und obwohl der Restaurant-Bereich im ersten Stock am Samstagvormittag eigentlich noch geschlossen war, hat mich die sehr nette Dame am Eingangsbereich natürlich rein gelassen, damit ich dort auch mein Foto von der wunderbaren Aussicht auf die Stadt machen konnte, den auch schon Jean Sorel und Elsa Martinelli vor knapp 50 Jahren zu Meeresfrüchten und fangfrischen Fischteller genießen konnten.
Schräg gegenüber vom „Fisherman’s Grotto“ befindet sich der Parkplatz und die ehemalige Telefonzelle, von der aus Larry wiederum im späteren Verlauf des Filmes mit Jane telefoniert. Das Gebäude der Fastfood-Kette „Applebees“ mit den einprägsamen Schwüngen und runden Fenstern ist mittlerweile zwar nicht mehr beige und ein Gebäude ist auch dazu gekommen, ansonsten ist bis auf die Telefonzelle noch alles da.
Als George vom Fisherman’s Grotto vom Fisherman’s Wharf in den Nachtclub fährt, parkt er sein Auto am 425 Broadway, wo sich auch heute noch ein öffentlichen Parkplatz befindet. Das hübsche Neon-Schild ist einem weniger hübschen Reklametafel gewichen und der Torbogen wurde geschliffen, aber wer genau schaut, kann dahinter noch die gleiche „Broadway“-Schild entdecken, dass sich dort auch schon im Jahr 1969 befand.
Auch der Stripclub “Varni’s Roaring 20’s (807 Montgomery Street) ist in dieser Form nicht mehr existent und an der Stelle befindet sich mittlerweile ein Apartment-Komplex, der nur noch von den Mauern her an den verruchten Nachtclub erinnert, in dem Marisa Mell auf dem Motorrad ihre eindrucksvolle Striptease-Nummer abzieht um George allmählich in den Wahnsinn zu treiben. In der Nähe gibt es zwar noch einen Club namens „Roaring 20’s“ (ohne Varni’s) aber da hatte der grimmig dreinblickende und übellaunige Türsteher ein blaues Auge, sodass ich den dann doch lieber nicht angequatscht habe, ob diese Location etwas mit der anderen zu tun hat bzw. gegebenenfalls noch etwas von den alten Leuchtreklamen vorhanden ist.
Wenn George mit Monica telefoniert um sich wenig später am Marina Beach Drive zu treffen, so tut er das ebenfalls in der Hafengegend an der Kreuzung Beach Street und Hyde Street, an der sich schräg gegenüber auch eine Endhaltestätte der berühmten Cable-Car-Bahn in Richtung Union Square befindet. Die schwer empfehlenswerte Fahrt mit dem Cable-Car von der Hyde Street nach Union Square kostet 7 Dollar ist übrigens die längste und der drei Linien und wirklich ein unvergessliches, laut ratterndes Erlebnis.
Wenige Momente später sind wir dann auch schon auf der Marina Green Drive angelangt, wo sich etwas 1 km vom Fisherman’s Wharf entfernt nicht nur der Yacht-Hafen der Stadt, sondern auch ein großer Parkplatz für dessen Besucher befindet. Wenn Marisa Mell mit ihrer Fellkapuze in Nahaufnahme zu sehen ist, erblickt man im Hintergrund schemenhaft die Umrisse von Alcatraz, der berühmten Gefängnisinsel die jedoch bereits Anfang der Sechzigerjahre wegen zu hoher Betriebskosten geschlossen wurde und mittlerweile als Museum und Touristenattraktion dient.
Später überschlagen sich ja die Ereignisse und als Jane und Larry sich treffen um sich über ein verschwundenes Model zu unterhalten, ist dieser gerade mit einem Foto-Shooting im „Japanese Tea Garden“ (75 Hagiwara Tea Garden Drive) beschäftigt, der sich im Golden Gate Park als Naherholungsgebiet am östlichen Rand der Stadt befindet. Den Tee-Garten gibt es immer noch und ist ein hübscher Park im Park, der mit 9 Dollar Eintritt zu besuchen ist. Den Punkt, an dem die Kamera seinerzeit positioniert wurde, haben wir auch gefunden, allerdings ist der Baum rechts die letzten 50 Jahren in die für den perfekten Vergleichsshot ungünstigste Richtung gewachsen, sodass ich meine Aufnahmen von einem geringfügig abweichenden Punkt des Parks machen musste.
Auch „The Conservatory of Flowers“ gibt es immer noch und befindet sich in frischem Weiß ebenfalls im Golden Gate Park bzw. ist ungefähr einen Kilometer vom japanischen Tee-Garten entfernt auch für jeden interessierten Besucher ganz einfach zu finden. Wer Zeit und Muße hat, kann sich in dessen Inneren auch die Botanik-Ausstellung anschauen.
Der Abschluss unseres Drehorte-Vergleichs führt uns dann noch in den “Financial District” bzw. in das finanzielle Zentrum und Herzen der Stadt, an dem sich die Geschäftsräumlichkeiten der Versicherung „Royal Insurance Company“ befinden. Das Gebäude mit der Inschrift gibt es immer noch, allerdings wurde das wohl mittlerweile zu einem Wohn- und Bürokomplex umfunktioniert und hier ist auch keine Versicherung mehr untergebracht, die Detektive auf ihre Begünstigte von Lebensversicherungen hetzt. Samstags in der Früh war da auch wenig los und bis auf die schwindelfreien Fensterputzer gegenüber noch kaum jemand auf der Straße unterwegs.
Alles in allem wieder eine schöne und abwechslungsreiche Schnitzeljagd quer durch ganz Sanz Francisco, die uns in den drei Tagen und dem sommerlichen Wochenende bei Traumwetter viel Spaß bereitet hat. Schön auf diese Weise eine Stadt kennenzulernen und es ist auch immer wieder sympathisch zu sehen und zu erleben, wie hilfsbereit und zuvorkommend die Menschen sind, wenn es bei einem Location-Vergleich darum geht, bestimmte Punkte zu finden, oder auch mal kurz wohin zu huschen um rasch ein Foto zu machen, wo man eigentlich gar nicht hindürfte. Danke an dieser Stelle auch an die unbekannte Person, die auf der IMDB zahlreiche Locations mit der jeweiligen Adresse eingetragen hat, die uns das Auffinden der Plätze maßgeblich erleichtert hat. „Nackt über Leichen“ mochte ich ja vorher schon sehr gerne, aber in Zukunft wird mich Fulcis Streifen ja nebenher auch noch jedes Mal an ein tolles Wochenende und einen noch tolleren Urlaub erinnern.