Richard Eisenmenger – Nur noch dieses Level! Von Computerfreaks, Games und sexy Elfen
„Das Buch für Spieleveteranen der 80er und frühen 90er Jahre, passionierte Retrogamer von heute, alle, denen das Internet zu bunt wird oder die beim Schmökern gerne nostalgisch werden, und schließlich alle, die Partner und Freunde ständig vertrösten mit den Worten ‚Nur noch... dieses... Level...’“, lässt der Paratext verlauten. Der ehemalige Redakteur der Computer- und Videospiele-Zeitschrift „Power Play“ Richard Eisenmenger ist Autor dieses 2017 im Verlag Rheinwerk Computing veröffentlichten, knapp 240 Seiten starken Buchs und nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Heimcomputer und Spielkonsolen, deren weitere Entwicklung sowie zu noch viel mehr.
Eisenmenger verbindet seine persönliche Biographie mit der Evolution des Heimcomputers, setzt den Schwerpunkt dabei auf die Welt der Spiele und führt nach einem Vorwort des Lektors durch zehn Kapitel mit Titeln wie „Sys 58260 – Warm Start System“, „Peeks und Pokes“ oder „Brot und Spiele“. In schreiend buntem, an Spielezeitschriften besagter Dekaden erinnerndem, reich bebildertem Layout beginnt er beim guten alten „Brotkasten“, dem C64, stellt Hard- und Software vor und widmet sich immer wieder in launig geschriebenen Kritiken alten Spielen, die er mit einem „Retro-Rating“ versieht – und den interessierten Leserinnen und Lesern gleich eine ganze Reihe von aktuellen Emulatoren an die Hand gibt, mit denen sich die Spiele auch auf zeitgenössischer Hardware (wieder-)entdecken lassen. Anekdotenreich findet er die richtige Balance zwischen auch für Laien verständlichen Erläuterungen technischer Eckdaten und Hintergründe, persönlichen Erfahrungen und witzigen Beobachtungen, die weit über Retro-Games hinausgehen. Die Anfänge digitaler Kommunikation werden dabei ebenso abgeklopft wie das Zum-Glühen-bringen der Soundchips mittels Eigenkompositionen per Tracker-Software, die Intro- und Demoszene, kultgewordene alte Fachzeitschriften, aus denen man tatsächlich seitenlange Listings abtippte und schließlich sein Quereinstieg in die Redaktion der „Power Play“. Vom C64 über den Atari, den Amiga und schließlich den PC wird da alles abgedeckt und werden die Leserinnen und Leser eingeladen, in eigenen Erinnerungen zu schwelgen oder, im Falle erst späterer Konfrontation mit der Materie, die „Computer-Steinzeit“ spannend und mitunter angenehm selbstironisch geschrieben nachzuerleben.
Leider gelingt es Eisenmenger nicht, vermutlich der engen Verquickung der Technologie- mit seiner eigenen Entwicklung geschuldet, die unmittelbaren Computerpionierthemen gegen Jugenderinnerungen abzugrenzen, die mit ihnen nichts zu tun haben; sei es das erste eigene Auto, seien es Besuche fragwürdiger Fastfood-Ketten oder auch die viel zu ausufernd behandelten „Analog-Rollenspiele“, also die Pen-&-Paper-Varianten. Diese Kapitel hätte ich gern gegen weiteren Döntjes aus der Gamerszene eingetauscht. Zu Abzügen in der B-Note führen auch einige Fehler, die sich eingeschlichen haben: „World Wide Web“ ist kein Synonym fürs Internet, sondern lediglich eine Komponente desselben (neben FTP, IRC, dem Usenet etc., S. 81); vor 20 Jahren (also 1997) gab es bereits deutlich mehr als drei Fernsehsender (S. 105); die Lucasfilm-Point-&-Click-Adventure-Hits hießen „Zak McKracken“ und „Sam & Max“, nicht etwa
„Zack McCracken“ und
„Sam & Mac“; den Knobel- und Geschicklichkeitsspiel-Welterfolg „Lemmings“ gab es durchaus auch als Adaptionen für DOS und Windows; auch 3,5“-DD-Disketten ließen sich lochen, um ihre Kapazität zu erhöhen (S. 178); und Lee Bolton ist ein Indie-Regisseur (im Sinne von „independent“ = unabhängig), jedoch kein
„Indy-Regisseur“, da es zu einer Fortsetzung der Indiana-Jones-Reihe unter seiner Leitung dann doch noch nicht gereicht hat (S. 181). Diese Spitzfindigkeiten werden manche Leserinnen und Lesern sicherlich weder auffallen noch stören, wer jedoch wie ich einen nicht ganz unbeträchtlichen Zeitabschnitt dieser Entwicklung selbst miterlebt hat und zumindest zeitweise etwas tiefer involviert war, wird zwangsläufig über sie stolpern. Evtl. lässt sich so etwas in der zweiten Auflage redigieren.
Richard Eisenmenger ist einer jener Mitmenschen, die, mal abfällig, mal als Kompliment gemeint, gemeinhin als „Nerd“ bezeichnet werden. Das Schöne an Eisenmenger ist dabei, dass er zwar stets am Puls der Zeit blieb und sich ständig für die neuesten Hardware-Trends begeisterte, darüber jedoch die Vergangenheit nicht vergaß, sondern sie zunächst als „Power-User“ voll ausreizte und schließlich in Ehren hielt. Außerdem versteht er es, allgemeinverständlich zu schreiben, was sein Buch durchaus zu einer Empfehlung auch für diejenigen macht, die grundsätzlich an den genannten Themen interessiert sind, jedoch vor „Nerdtalk“ und Technikdetails zurückschrecken. Doch will ich ganz ehrlich sein: Wenngleich mein erstes Computerspiele-Magazin die „Power Play“ (Sonderausgabe „Die 100 besten Spiele ’91“) war, hatte ich ihr gegenüber schnell den „PC Joker“ bevorzugt, für plattformübergreifende Informationen hatte es mir sogar die „Play Time“, nachdem diese ihre Kinderkrankheiten abgestreift hatte, stärker angetan als Eisenmengers ehemalige Brötchengeber. Eisenmengers lobende Worte für Windows 95 machen ihn zudem auch heutzutage noch verdächtig, denn das hat eigentlich jeder vernunftbegabte Mensch zurecht gehasst (Windows wurde erst mit XP erträglich). Davon unabhängig ist ihm aber ein Buch gelungen, das sich mit seinem matten, festen Papier und seinem broschierten Umschlag wertig anfühlt, das gut riecht und das man gern in der Hand hält, um in einen Inhalt einzutauchen, der eine Lanze für alte Computerspiele bricht und Lust darauf macht, sich mit ihnen und der mit ihnen verbundenen spannenden Pionierzeit und Kultur auseinanderzusetzen. Damit passt das Buch gut in diese Zeit, in der Retro-Konsolen boomen und es mehrere Periodika in den Zeitschriftenregalen gibt, die sich ausschließlich Retro-Computerthemen widmen. Man könnte meinen, retro sei das neue modern – und ich kann nichts Falsches daran finden.
Den Zugang zum respektvollen und interessierten Umgang mit alten Schätzen erleichtern zahlreiche übers Buch verteilte Shortlinks, die direkt zum jeweils Behandelten führen. Alles in allem ist das sehr liebevoll gemacht und entpuppte sich ihren o.g. Schwächen zum Trotz als ideale Strandlektüre, die ruckzuck durchgelesen war: „Nur noch diese Seite...“