Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Gangster 2 (Takeshi Miyasaka, 1997) 3/10

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Ryo ist einer von den ganz harten jungen Streetfightern, und als er die Legende vom legendären Killer hört, der 300 Leute in einer Nacht getötet haben soll, da ist es um ihn geschehen: Er will auch ein Killer werden. Eine Legende auf den Straßen, so wie der legendäre Killer (dies ist keine textliche Wiederholung, sondern ein diskreter Hinweis darauf, wie oft einem dieser Terminus innerhalb der ersten Viertelstunde um die Ohren gehauen wird). Doch wie groß ist die Enttäuschung, als Ryo die Legende tatsächlich kennenlernt: In Wahrheit ist der Killer ein desillusionierter Säufer, der ohne das Töten nicht leben kann, und nur eines in seinem Leben noch richtig gut hinbekommt: Andere Menschen ums Leben zu bringen. Gleichzeitig merkt Ryo, dass er überhaupt nicht schießen kann, und als sich die junge Yuan, eine Zeugin eines Killjobs, in ihn verliebt, da wird sein Weltbild ganz allmählich und immer mehr erschüttert. Doch genau zu diesem Zeitpunkt mischt sich eine andere Gang ein und will die Kontrolle über das Killerbüro, für das Ryo und die Legende arbeiten, bekommen.

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Wahrscheinlich ist es keine gute Idee, den vierten und letzten Teil einer Serie als Standalone zu sehen. Die ersten beiden Teile, YAKUZA WARS und WRATH OF THE YAKUZA, kenne ich gleich gar nicht, und der dritte Teil, BATTLE FOR SHINJUKU, der in Deutschland unter dem Titel GANGSTER erschienen ist, hatte mir immerhin solala gefallen. Nun also der vierte Teil, in Deutschland GANGSTER 2, woanders auf der Welt YAKUZA BLOOD, und ob es da außer Riki Takeuchi irgendwelche Zusammenhänge zu den vorhergehenden Teilen gibt kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann ist, dass das Vergnügen zumindest auf meiner Seite keines war.

Eine desolate Welt. Eine zerstörte Welt. Eine geradezu dystopische Stadt, die nur aus Abfall, Mord und Totschlag besteht. Es gibt eigentlich keine „normalen“ Menschen mehr, nur noch Killer, deren Auftraggeber, und ihre Opfer. Und andere Gangster, die das Geschäft übernehmen wollen. Die ersten fünf oder zehn Minuten von GANGSTER 2 ziehen den Zuschauer unnachgiebig in eine düstere und unwirtliche Landschaft. Wie eine kranke Steigerung von THE CROW brennen hier die Ölfässer, wärmen sich die Verlorenen ihre Hände am Feuer, und brechen ein paar Gangster in diese Idylle ein um zwei junge Männer zu töten. Nein, nicht einfach nur um sie zu töten, sondern sie zu fragen wer zuerst ausprobieren will, ob die einzige Patrone im Sechsschüsser sie vielleicht treffen mag. Ein abwechselndes russisches Roulette. Ryo will. Danach wäre eigentlich sein Freund dran, aber Ryo will wieder. Und wieder. Und er zeigt nicht das geringste bisschen Angst. Ryo hat mit diesem Leben schon lange abgeschlossen, und als er eine Chance bekommt, schlägt er seine Widersacher windelweich.

Dieser Teil des Films ist böse, düster und hat eine unglaubliche Sogkraft. Leider wird es danach aber schnell läppischer: Mit zunehmender Laufzeit entpuppt sich Ryo zwar als guter Kämpfer, der aber das Gemüt eines Halbwüchsigen hat, welcher davon träumt ein Erwachsener zu sein. Yabuki, der legendäre Killer, macht auf ihn den gleichen Eindruck, den ein drogen- und alkoholabhängiger Rockstar auf die kleinen Mädchen macht. Und so sehen wir Yabuki, der, immer mit einem Flachmann im Anschlag, von Killjob zu Killjob schlurft, und dabei den japsenden und um Aufmerksamkeit hechelnden Ryo hinter sich herzieht. Dazu noch die unschuldig-verspielte Yuan, ein paar Mal mehr und mal weniger sinistre Killer im langen Mantel, und fertig ist die Ansammlung von Gangstermelodram-Stereotypen, die sämtliche Erwartungen trifft, keinen einzigen unerwarteten Schlenker macht, und mich dreimal(!) zum Einschlafen gebracht hat. Die generische Musik und die entsetzlich unpassende deutsche Synchro geben dem langweiligen Stuss dann den Rest und lassen den Zuschauer erst am Ende wieder aufwachen, wenn Yabuki zwischen den brennenden Tonnen vom Beginn eine Menge Blei verschleudert. Das Ende ist erwartbar, genauso wie der Ablauf jeder einzelnen Szene im Voraus vorhergesagt werden kann, und irgendwie ist das Ganze einfach nur furchtbare Zeitverschwendung, vergleichbar mit den späten Steven Seagal-Filmen.Spätestens jetzt sollte klar sein, dass es deutlich besseres gibt …

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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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The Devil’s Backbone (Guillermo del Toro, 2001) 7/10

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Was ist ein Geist? Ein schreckliches Ereignis, das dazu verdammt ist, immer und immer wieder stattzufinden. Ein Augenblick des Schmerzes vielleicht. Etwas Totes, das für einen Moment zum Leben zu erwachen scheint. Ein Gefühl, das in der Zeit erstarrt ist. Wie eine unscharfe Fotografie. Wie ein in Bernstein gefangenes Insekt.

Schöne und ruhige Worte. Worte voller Poesie. Und diese schönen, ruhigen und poetischen Worte untermalen den Tod eines Jungen, eingefangen in verträumten und assoziativen Bildern, deren Schönheit gleich intensiv ist mit dem vermittelten Schmerz.

Das „Dilemma“ von THE DEVIL’S BACKBONE ist gerade diese Vielschichtigkeit. Regisseur Guillermo del Toro mag sich hier nicht festlegen auf ein einziges Genre, und er mag sich auch nicht auf eine einzige Ausdrucksweise oder eine einzige Geschichte festlegen. Die Story mäandert durch die Ideen wie ein Geist durch die ätherischen Schichten, und del Toro schafft dabei das schier unglaubliche Kunststück, bei jeder Szene genau den richtigen Ton zu treffen. Kriegsdrama, Coming of Age, Gruselfilm, und dann wieder der Krieg – Alles ist drin in THE DEVILS BACKBONE, und alles hat seinen Platz und nichts steht an der falschen Stelle und stört. Die Schönheit ist zu bewundern genauso wie der Schmerz zu ertragen ist. Die kindliche Unschuld hat ihren Raum, und das Böse und Verdorbene, das sich in Gier und Egoismus erschöpft, steht gleichberechtigt daneben. Dieses fast hermeneutisch zu nennende Drehbuch nimmt den Zuschauer ganz allmählich, sachte und nur Schritt für Schritt, mit in eine Welt, die so realistisch und dabei gleichzeitig so märchenhaft ist, wie man es in einem ernsten Film, der sich also nicht auf die Darstellung von übertriebenen oder grotesken Momenten konzentriert, selten findet. PAN’S LABYRINTH anyone?

Während des Spanischen Bürgerkriegs kommt der junge Carlos in ein abseits gelegenes Waisenhaus. Mit ein paar Jungs freundet er sich schnell an, ein anderer, Jaime, lehnt ihn rundweg ab und bringt ihn dazu, dumme Mutproben zu begehen. So muss er nachts aus der Küche Wasser holen. Was nicht nur verboten ist, sondern was ihn auch zum ersten Kontakt mit dem Knaben Santis bringt - Ein Geheimnis umgibt Santis, und dieses Geheimnis heißt Tod. Doch im Gegensatz zu vielen der Lebenden scheint Santis nichts Böses von Carlos zu wollen, was man aber von Jacinto nicht behaupten kann. Der nämlich, ein früher Zögling des Waisenhauses, der irgendwann als Erwachsener zurückkam, will an das Gold, das von den Republikanern hier versteckt wurde. Jacinto weiß wo der Safe ist, und er vögelt mit der ältlichen Direktorin, um an deren Schlüsselbund heranzukommen. Für das Gold geht Jacinto – Über Leichen?

Und was beim Lesen dann doch irgendwie verschroben klingt, wie eine Geschichte vielleicht eines Jean-Pierre Jeunet, mit leichtem Lächeln und angenehmen Grusel zu goutieren, das hält in der (filmischen) Wirklichkeit dann doch einiges an Momenten bereit, die nicht schön sind, die sogar schockieren können. Der Tod der Brigadisten. Die Explosion in der Küche. Das Schicksal von Jacintos Freundin Conchitas. Auf der anderen Seite dann die ganz vorsichtige Annäherung von Carlos und Jaime. Die Liebe, die der Arzt Dr. Casares für die Direktorin Carmen empfindet, und die ihn fast ersticken lässt und gleichzeitig doch so glücklich macht. Und dann wieder der Schrecken, dass Carmen mit Jacinto schläft um sich körperliche Befriedigung bei einem jungen Mann zu holen, der sie offensichtlich nur benutzt, anstatt wahre Liebe bei Dr. Casares zu erlangen.

Eine merkwürdige und andersweltliche Atmosphäre beherrscht diesen Film. Ein Waisenhaus im Nirgendwo, immer bedroht vom möglichen Einfall des Krieges, und mitten auf dem Hof steckt eine nicht detonierte Bombe, wie das Wahrzeichen einer cineastischen Obskurität. Aber anders als es seine Kollegen Jeunet oder Coen so gerne tun beherrschen diese Merkwürdigkeiten nicht den Film, sondern sie sind Staffage für eine richtige und tiefgehende Geschichte. Eine Geschichte die auch von Neil Gaiman ersonnen sein könnte, und die den Zuschauer, der sich darauf einlässt, mitten ins Herz treffen wird. THE DEVIL’S BACKBONE ist ein Märchen für Erwachsene, für Menschen mit Phantasie, und vor allem für diejenigen, die bereit sind, sich einer gut erzählten Geschichte mit Haut und Haaren auszuliefern. Gleich wie seltsam sie zuerst klingen mag.
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Maulwurf
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Verblendung (David Fincher, 2011) 7/10

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Der Journalist Michael Blomkvist hat eine aufsehenerregende Enthüllungsreportage über den Großindustriellen Wennerström in den Sand gesetzt und muss abtauchen. Da kommt ihm das Angebot des zurückgezogen lebenden Millionärs Henrik Vanger gerade recht: Blomkvist soll recherchieren, warum Vangers Nichte Harriet vor 40 Jahren spurlos verschwand. Vanger ist sich sicher, dass damals ein Mord geschah, und Blomkvist soll herausfinden wer der Mörder war. Und außer einer Menge Geld gibt es auch eine Belohnung: Informationen über Wennerström, die Blomkvist helfen werden, seinen Ruf wieder reinzuwaschen und Wennerström ins Gefängnis zu bringen. Blomkvist wendet sich an die Ermittlerin, die Vanger geholfen hat Informationen über ihn selber herauszufinden, Lisbeth Salander, und die wiederum findet schnell heraus, dass Harriet nicht das einzige Opfer war, sondern dass in den 50er- und 60er-Jahren ein unentdeckter Serienmörder in Schweden umging. Der heute anscheinend immer noch mordet. Und der es gar nicht mag, dass seine Mordserie plötzlich aufgedeckt wird …

Muss man zu diesem Film, zu dieser Geschichte, wirklich noch eine Inhaltsangabe schreiben? Der Roman hatte in den Jahren nach 2005 (schwedische Originalausgabe) bzw. 2006 (deutsche Erstausgabe) ein Abonnement auf den ersten Platz der weltweiten Bestsellerlisten, die Nachfolgeromane ebenfalls, und wer immer in der zweiten Hälfte der 00er-Jahre Thriller las, kam an diesen Romanen sowieso nicht vorbei. Zu intensiv das Leseerlebnis, zu umfassend der Erfolg, als dass man sich daran hätte vorbeimogeln können.

Umso erstaunlicher, dass ich über 10 Jahre gebraucht habe, um mir zumindest mal die „Neu“-Verfilmung aus dem Jahr 2011anzuschauen – Die Erstverfilmung(en) mit Noomi Rapace fehlen in meinem Filmtagebuch bis heute, und das obwohl ich bekennender Rapace-Fan bin. Vielleicht war das Leseerlebnis einfach zu intensiv, um eine verwässerte und weichgespülte Hollywood-Version des Stoffes sehen zu wollen. Und tatsächlich hab ich erst im Vorspann erfahren, dass diese gerade gesehene Verfilmung ja von David Fincher ist …

Um es kurz zu machen: Ja, die Verfilmung ist gelungen! Naturgemäß sind die relativ komplexen Handlungsverläufe des Buches ein gutes Stück vereinfacht worden, aber dafür bietet VERBLENDUNG einiges an Schmankerln, die ich in so einem Film nicht erwartet hätte. Da wäre zum einen der Umstand, dass trotz der immensen Laufzeit von 158 Minuten keine einzige Sekunde Langeweile aufkommt, und es sogar unmöglich scheint, auch nur einmal wegschauen zu können. Dann die Tatsache, dass Fincher sich in Bezug auf (sexuelle) Gewalt und vor allem Sexualität im Besonderen keinerlei Zurückhaltung auferlegt, und zum Beispiel Rooney Mara auch mal schnell und kompromisslos nackt zeigt. Und ich meine komplett(!) nackt. Auch die Vergewaltigung Lisbeth Salanders schmerzt den Zuschauer sehr, nur das Mädchen im Käfig erinnert dann doch wieder schwer an SIEBEN – Das Kopfkino, das Kopfkino …

Dazu passend die überaus starken Darsteller. Daniel Craig zeigt mit seinem feinen und sensiblen Spiel Nuancen, die man dem grobmotorischen James Bond überhaupt nicht zugetraut hätte, und die aufweisen, dass der Mann wesentlich mehr drauf hat als den Rüpel-Agenten mit der gebrochenen Seele. Rooney Mara scheint zwar im Überblick auf Autopilot in Richtung Stierblick-Punkette zu steuern, deutet aber spätestens in der zweiten Hälfte ebenfalls Tiefblicke in ihre Seele an, die fast ein klein wenig schaudern lassen. Christopher Plummer als Auftraggeber des abgestürzten Journalisten, Stellan Skarsgard als dessen Neffe, Robin Wright als verlorene Tochter – Starke Schauspieler die alles aus ihren Rollen heraus holen, und es ist der Produktion ganz hoch anzurechnen, dass so viele europäische Darsteller in den Leading Roles zu sehen sind.

Aber es bleibt an der fantastischen Regie David Finchers, aus einer ordentlichen Romanverfilmung einen herausragenden Thriller zu machen. Die Fotografie ist erstklassig, und auch wenn ich mir gewünscht hätte mehr Zeit mit der Fotosuche Michael Blomkvists verbringen zu können, so bleibt doch gerade dadurch, dass diese Recherche immer so ein bisschen im Hintergrund läuft, die Spannung auf einem sehr hohen Level. Auch die zeitlichen Sprünge zwischen den einzelnen Szenen, die ein enormes Tempo vorgeben, zeigen genau das was sie sollen, und verweigern dabei jedes Quäntchen Leerlauf. Person A reist nicht nach Ort B, sie ist einfach da, und nur Lisbeth Salander sehen wir regelmäßig beim Reisen – Da sie aber versucht, der Giacomo Agostini Schwedens zu werden, bleibt das Tempo bei diesen Szenen unverändert hoch. Atmosphärische Set Pieces, hervorragende Musik, und kaum merkbar vergeht ein ganzes Jahr auf der Familieninsel, bis man dem Mörder allmählich näher kommt. Oder dieser den Ermittlern, das mag man nun sehen wie man will.

Dank David Fincher und dank der Schauspieler durfte ich einem Film beiwohnen, der aus dem US-amerikanischen Weichwascheinerlei des laufenden Jahrhunderts deutlich herausragt, und sich dabei gleichzeitig seiner Blockbuster-Qualitäten in jeder Sekunde deutlich bewusst ist. Der Alptraum, das Soghafte, das den Romanleser damals nicht vom Buch weggelassen hat, das fehlte mir ein wenig. Aber trotz dieser fehlenden Intensität ist VERBLENDUNG nichtsdestotrotz ein gewagter Balancegrad des Regisseurs (und des Studios, das solche Ausflüge zugelassen hat), der in jeder Sekunde ausgesprochen gelungen ist. Stark!
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Maulwurf
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Die schwarze Windmühle (Don Siegel, 1974) 7/10

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Major John Tarrant ist ein ganz normaler Agent im Außendienst beim britischen MI6, der sich gerade anschickt in einen mutmaßlichen Spionagering einzudringen, als ein Anruf kommt: Sein Sohn wurde entführt. Das Lösegeld soll in exakt dem Betrag und mit denjenigen Rohdiamanten bezahlt werden, den Tarrants Vorgesetzter Harper als Köder für die feindlichen Agenten vorgesehen hat. Es scheint als ob ein Maulwurf in den höchsten Ebenen des Geheimdienstes sitzt, aber Tarrant hat andere Prioritäten, nämlich seinen Sohn und dann seine Ehe retten. Auch wenn er nur durch seinen Job überhaupt in diese Situation gekommen ist, so hat er als Agent zumindest auch die Möglichkeiten da wieder raus zu kommen. Vor allem, nachdem Harpers Vorgesetzter die Zahlung des Lösegeldes verweigert – Tarrant nimmt die Zahlung des Geldes in die ganz eigene Hand.

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DIE SCHWARZE WINDMÜHLE mag auf den ersten Blick vielleicht kein Highlight des Spionagekinos sein, Michael Caine kann sich mit (dem zu dieser Zeit gerade aktiven) Roger Moore auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht so richtig messen, und überhaupt weht irgendwie der Wind der Bürokratie durch das britische Empire und erstickt jeden Anflug von Selbständigkeit.

Aber WINDMÜHLE will auch kein gängiger Spionagethriller sein, der die bekannten Schemata nach Methode 08/15 ausrollt und damit irgendwann zum seligen Schlummern animiert. Ich sehe den Film eher in der Tradition der Harry Palmer-Filme aus den 60ern, ebenfalls mit Michael Caine als Agent in der Hauptrolle, und ich hatte öfters den Eindruck, als ob Harry Palmer einfach nur ein klein bisschen älter und reifer geworden ist, sich aber die Strukturen des britischen Geheimdienstes und seiner Beamten keinen Deut geändert haben. Immer noch die verschachtelten Häuser mit den labyrinthischen Gängen, immer noch das Flair eines längst untergegangenen Weltreichs, und immer noch die gleiche elitäre Arroganz der Vorgesetzten gegenüber ihrem Fußvolk. Genauso wie die grundsätzliche Subordination eines Michael Caine. Ja, ich bilde mir sogar ein, dass David Hemmings fünf Jahre später als CHARLIE MUFFIN die gleichen alten Treter wie John Tarrant tragen wird und seinen Vorgesetzten endlich eines auswischen kann.

Die Ironie eines Charlie Muffin fehlt hier noch, dafür aber hebt sich, ich erwähnte es, WINDMÜHLE angenehm von den James Bond-Filmen gerade jener Zeit ab, und setzt seine Handlung in ein grundsätzlich sehr realistisches Setting. Die Ehe Tarrants ist am Ende, sein Job verlangt eine Zerreißprobe zwischen dem ständigen Einsatz und einem kaum vorhandenen Privatleben, und der direkte Vorgesetzte hat eigentlich nur Hohn für den einfachen und hart arbeitenden Mann übrig, der so gar nicht in das landadelige Ambiente passt, welches Harper bevorzugt. Mit Kriminellen wird nicht verhandelt, eine Prämisse, die Tarrant eigentlich kennen sollte, und plötzlich steht das ganze Leben Kopf und der Beruf als Geheimagent, der bei James Bond so schoko-flockig aussieht und mit Frauen und Abenteuern garniert ist, hat hier eher etwas mit Schmerzen und viel Denkarbeit zu tun.

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Wie gesagt, wer die Harry Palmer-Filme mag, der dürfte hier auch sein Vergnügen finden. Es muss halt einfach klar sein, dass trotz eines actiongeladenen Showdowns DIE SCHWARZE WINDMÜHLE auf den Flügeln der Realität daherkommt, und nicht als fantastisches und aufregendes Abenteuer mit viel Sex, viel Explosionen und wenig Blut …
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Kennwort: Salamander (Peter Zinner, 1981) 7/10

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In Italien kam das Ende der sogenannten bleiernen Zeit im heißen Hochsommer 1980, als ein Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof in Bologna 85 Menschen tötete und mehr als 200 verletzt wurden. Dieser Massenmord, denn um nichts anderes handelte es sich, war der Schlusspunkt einer langen und blutigen Serie von Anschlägen, die sowohl von rechten wie auch von linken Extremisten während der 70er-Jahre verübt wurden, und denen zumindest von rechter Seite eine klare Strategie zugrunde lag: Das Volk, überdrüssig der andauernden Gewalttaten, sollte nach dem starken Mann rufen, und eine rechte Militärdiktatur hätte die Regierung übernommen. Die Pläne dazu wurden bereits Mitte der 60er-Jahre auf einem Kongress des neofaschistischen Ordine Nuovo vorgestellt, ab dem Dezember 1969 nahmen diese Pläne mit dem Attentat auf der Piazza Fontana in Mailand dann immer mehr Gestalt an. Wobei mittlerweile als gesichert gilt, dass ein gewaltsamer Putsch bereits für das Jahr 1969 geplant war, der nur an den schwachen Nerven der Beteiligten scheiterte.

Während der gesamten 70er-Jahre war dies ein Thema, das sowohl die politische Diskussion in Atem hielt, als auch die Kulturschaffenden Italiens mit Stoff versorgte. So drehte Francesco Rosi 1976 den etwas spröden und zugleich beklemmenden DIE MACHT UND IHR PREIS, und Damiano Damiani 1977 den dichten und unglaublich spannenden ICH HABE ANGST. Und der österreichisch-amerikanische Cutter Peter Zinner stellte mit KENNWORT: SALAMANDER 1981 seine einzige Regiearbeit vor, die sich mit ebendiesem Thema beschäftigte: Ein Abwehroffizier, der Kenntnis bekommt von einem Militärputsch im eigenen Land, und feststellen muss, dass das Netz, dass die Beteiligten an diesem Putsch ausgeworfen haben, sich immer enger um ihn zieht, und er auf sich allein gestellt gegen eine unsichtbare und vollkommen skrupellose Armee im Schatten kämpft. Was frappierend an Romanszenarien von Robert Ludlum erinnert, der mit seinen Verschwörungsthrillern in dieser Zeit riesige Erfolge feierte.

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Im Gegensatz zu Damianis und Rosis Arbeiten ist SALAMANDER dabei allerdings eher actionorientiert, was ja aber prinzipiell nichts Schlechtes sein muss. Anders als Lino Ventura in DIE MACHT UND IHR PREIS hat Franco Nero als Colonello Matucci hier einen festen und vor allem definierten Gegner. Wo Gian-Maria Volonté in ICH HABE ANGST nur vermuten kann wer sein Gegenspieler ist, und Ventura sich in Rosis Film einer sinisteren und unfassbar nebulösen Verschwörung gegenübersieht, wird in KENNWORT SALAMANDER das Böse klar benannt: Ein General Leporello ist hier quasi der Superschurke, und das Ausmerzen dieses Schurken und seiner nächsten Helfershelfer sorgt bereits für die Vernichtung der Gefahr.

Diese Sicht der Dinge ist zugegebenermaßen etwas simpel, weswegen die erwähnte Action hier umso breiter zum Einsatz kommt. Doch trotz viel vordergründiger Gewalt, Verfolgungsjagden und Auseinandersetzungen kann doch der Boden bereitet werden für eine ausgesprochen düstere und oft geradezu erstickende Atmosphäre. Das Thema, die Gefahr eines rechtsgerichteten Militärputsches in einem als demokratisch gesichert geltendem europäischen Land, dieses Thema ist an sich bereits so ungeheuerlich und angsteinflößend, dass auch das oberflächliche und vorwiegend an Schauwerten interessierte Drehbuch da nicht mehr viel kaputt machen kann.

ICH HABE ANGST ist in dem erwähnten Paranoia-Dreigestirn sicher der stärkste Film, doch heißt das noch lange nicht, dass KENNWORT: SALAMANDER schlecht ist. Er ist halt einfach anders. Matucci ist der edle und aufrechte Streiter wider den Faschismus, der James Bond der italienischen Abwehr, und er bekommt einen ebenso edlen und aufrechten Mitkämpfer an die Seite gestellt, ohne den er nach 40 Minuten spätestens den Löffel abgegeben hätte. Der Großindustrielle Manzini, im Krieg Anführer einer kommunistischen Widerstandsgruppe, hat den Kampf gegen den Faschismus nie wirklich aufgegeben, und stellt Matucci nun Macht und Geld zur Verfügung, um diesen Kampf weiterzuführen.

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Wie gesagt, eine durchaus simple Sicht der Dinge. Genauso simpel wie der etwas einfältige Showdown, oder die an den Haaren herbeigezogene Liebesgeschichte zwischen dem hohen Offizier der Abwehr Matucci und der polnischen Geheimagentin Lisa Anders. Doch trotz dieser Hausmannskost, und um nichts anderes handelt es sich hier, wenngleich ich niemanden kenne der Spaghetti oder Frikadellen nicht mag, trotz dieser Hausmannskost also tummeln sich im fertigen Film ein paar Dinge, die zu dieser Oberflächlichkeit nur bedingt passen wollen, wie etwa der Tod des polnischen Konsuls, der dem Tod des Anarchisten Giuseppe Pinelli im Dezember 1969 nach vier Tagen Polizeiverhör auffällig nachempfunden wurde.

Auf der anderen Seite dann natürlich diese oft frappierende Naivität Matuccis, der seinen besten Freund nicht schützen kann, der einen wichtigen Zeugen in den Tod schickt, und der sich selbst bei einem Treffen mit der Ehefrau des Superschurken verhält wie jemand, der in seinem Leben noch nie einen Agentenfilm gesehen hat. Der sich kaum einmal absichert und seinen Rücken deckt, dafür aber mit einer Geradlinigkeit erfolgreich ermittelt, dass man sich heute ernsthaft fragt, wie denn die im ersten Absatz erwähnte Strategia del Strage jemals reifen konnte, wenn die italienischen Abwehrbeamten so tüchtig sind. Der billige Hollywood-Schluss passt zu diesen Momenten genauso wie die uniforme Figurenzeichnung, die in Gut und Böse unterscheidet, ohne dabei in Grauzonen abzudriften.

Aber trotz dieser Schwächen unterhält der Film. Er unterhält aus filmischer Sicht, gerade weil er so einfach gestrickt ist. Weil er voller gut inszenierter Action ist, jede Menge Spaß macht und voller überzeugender und dunkler Atmosphäre ist. Und er unterhält aus historischer Sicht, weil er nach dem Ende der Anni di Piombi eine einfache Sicht auf zehn sehr komplexe und anstrengende Jahre bot, und dem italienischen Kinogänger eine schlichte Lösung der Dinge an die Hand gab, mit der dieser gut leben konnte: Franco Nero rettet die Welt, und wir können alle wieder gut schlafen. Ach wär das schön, wenn die Welt wirklich so einfach gestrickt wäre …

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The night of the devils (Giorgio Ferroni, 1972) 7/10

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Wenn ich die Kurzgeschichte Der Wurdalak von Leo Tolstoi jemals gelesen haben sollte, dann ist dies mehrere Jahrzehnte her, und ich habe keine Erinnerungen mehr daran. Den Film mit der Erzählung zu vergleichen verbietet sich an dieser Stelle also, aber soweit braucht man hier auch gar nicht zu gehen. LA NOTTE DEI DIAVOLI kommt nämlich gar nicht daher wie eine offensichtliche und kopflastige Literaturverfilmung mit dem Anspruch auf höhere Weihen. Regisseur Giorgio Ferroni schafft es vielmehr fast ab Beginn, den Zuschauer mit einer seltsamen und morbiden Stimmung schnell gefangen zu nehmen, und dabei nicht den Kopf (also die Literaturverfilmung), vor allem aber auch nicht den Bauch (also den Unterhaltungsanspruch) zu vergessen.

Ein Mann irrt mit zerrissener Kleidung und blutverschmiert durch die Wildnis, um nach einem körperlichen Zusammenbruch in einer (psychiatrischen?) Anstalt aufzuwachen. Der behandelnde Arzt lässt den armen Mann beobachten, kann sich aber auf dessen Verhalten keinen Reim machen. Klar ist nur, dass der Bedauerliche Angst hat vor der Nacht. Und da ist noch die junge Frau, die sich nach dem Zustand des Fremden erkundigt, aber von der einen auf die andere Sekunde wieder verschwunden ist …
Als Rückblende in den Erinnerungen des Mannes lernen wir seine Geschichte kennen: Er ist ein Reisender in Sachen Holz mit Namen Nicola, unterwegs im Grenzland zwischen Italien und Jugoslawien. Mitten im tiefsten Wald hat er einen Unfall und kann mit dem Auto nicht mehr weiter, also zieht er zu Fuß los, und kommt auch tatsächlich bald an ein Haus. Dessen Bewohner nehmen ihn nicht gerne auf, doch die Gastfreundschaft gebietet es, dem Fremden Unterschlupf zu gewähren. Es ist aber offensichtlich, dass die Einheimischen sich vor etwas fürchten, was da draußen unterwegs ist. Da draußen. In der Nacht. In der Wildnis. Alle Türen und Fenster sind sorgfältig verrammelt, und das, was anscheinend um das Haus schleicht und einen Weg nach drinnen sucht, wird übermächtig gefürchtet. Als am nächsten Tag der Vater der Familie loszieht, das da draußen zu töten, ermahnt er die Familie, ihn bloß nicht mehr ins Haus zu lassen, sollte er nach sechs Uhr zurückkommen. Denn dann sei er tot. Von dem Wesen da draußen getötet und als Wiedergänger auf der Jagd nach dem Blut seiner geliebten Familie. Mit dem sechsten Schlag der Uhr ist der Vater wieder da. Ist er nun tot? Oder lebendig? Sehr lebendig ist auf jeden Fall die Tochter Sdenka, die sich in Nicola verliebt, und eine Chance sieht aus der Einöde herauszukommen. Wenn sie die Nacht überlebt. Und wenn Nicola Sdenka überlebt …

Ein tiefer Wald im Grenzland zwischen Mythen und Legenden. Einheimische, die in der Einsamkeit leben und seltsamen Überlieferungen ihr Herz schenken. Überlieferungen, die von einem Wurdalak sprechen – Ein Wesen, welches das Blut der eigenen Familie und das von Nahestehenden begehrt, um diese ebenfalls zu Wurdalaks zu machen. Und in diese von Tod und Misstrauen geprägte Welt kommt nun dieser Fremde. Ein Städter, mit urbanen und modernen Ansichten, den Duft von Espresso und Tanzbar hinter sich herziehend. Und dieser Mann muss sich archaischen Ansichten stellen, die alles, an was er jemals geglaubt hat, grundsätzlich in Frage stellen. Es gibt keine Wiedergänger, außer in den Geschichten für die Kleinen. Es gibt keinen Blutdurst von untoten Wesen, und einen Wurdalak gibt es schon gleich gar nicht. Was für ein Schock auf diesen Mann wartet …

Mario Bava hat in seinem Klassiker DIE DREI GESICHTER DER FURCHT die Geschichte bereits verfilmt, diese aber wohl anscheinend etwas verknappt wiedergegeben (auch hier muss ich leider passen). Giorgio Ferroni jedenfalls hat aus der, zum Zeitpunkt der Entstehung bereits 130 Jahre alten Geschichte, eine behutsam modernisierte und erstaunlich packende Erzählung gemacht, die modernen Grusel mit einer Atmosphäre verbindet, die auch heute noch erschauern lässt. „Die feine Konstruktion des Plots, das langsame Aufdecken der erschreckenden Wahrheit, die daher kontinuierlich aufrechterhaltene Atmosphäre primitiven Terrors“ (1) schreibt die deutsche Wikipedia über Tolstois Vorlage, und diese Attribute treffen spannenderweise auch auf LA NOTTE DEI DIAVOLI zu. Ferroni lässt sich Zeit seine Geschichte zu entwickeln, schlägt aber von vornherein düstere und morbide Töne an, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Die Personen werden schnell und treffend charakterisiert, und die persönlichen Sympathieträger werden ebenfalls schnell festgelegt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt kann sich die gruselige Stimmung entfalten und den Zuschauer in eine mystische Parallelwelt ziehen, die voll ist mit geheimnisvollen Gesprächen und rätselhaften Riten. Die Nicola genauso überfordert wie den Zuschauer, und die urbane und moderne Lebensauffassung des heutigen Menschen restlos zerstören wird.

LA NOTTE DEI DIAVOLI ist damit ein interessanter Kommentar zum Einbruch der Moderne in die tradierte Welt, und eine erstklassige, spannende und atmosphärische Übung in der Verbindung zwischen Kunst und Genre. Film kann so schön sein …

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Familie_des_Wurdalak
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Jack Grimaldi
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Die Rache der Liebessklaven (Stephen Jon Lewicki, 1985) 6/10

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Dashiell lebt in New York und lässt sich treiben. Er liebt Bruna, und Bruna liebt Dashiell, aber Bruna lebt mit drei Freunden zusammen, die von ihr abhängig sind und sie vergöttern. Dashiell trifft in einem Cafe auf Raymond Hall der ihn vollschwatzt mit irgendwelcher rassistischen Kacke, bis die beiden irgendwann streiten. Als Ray Hall Bruna auf der Toilette eines Cafés vergewaltigt, während Dashiell vorne sitzt und nichtsahnend Kaffee trinkt, will Dashiell Rache. Die Liebessklaven von Bruna ziehen los, Ray Hall zu finden, und als sie ihn gefunden haben, wollen sie in einem orgiastischen und monströsen Fest sein Blut. Mindestens …

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New York muss in der ersten Hälfte der 80er-Jahre ein übles Pflaster gewesen sein. Schmutzig, heruntergekommen, und mit einer schier überbordenden Verbrechensrate gesegnet. Es hieß damals, dass jeder New Yorker mindestens einmal in seinem Leben überfallen worden sei. Und sogar Überfälle in Wohnungen waren wohl sogar an der Tagesordnung.
New York war in den frühen 80ern aber in jedem Fall auch ein Ort, an dem sich die Kreativität schier überschlug. Zwischen Musikern wie Patti Smith, Henry Rollins und Thurston Moore auf der einen Seite, und Künstlern wie Keith Haring und Jean-Michel Basquiat auf der anderen Seite, durchzog eine ungeheure Schaffenskraft die Stadt. Und mittendrin eine junge und unbekannte Amerikanerin italienischer Abstammung, die ab etwa Mitte der 80er die gesamte Welt aufrollte und mehrfach zur erfolgreichsten Künstlerin der Welt gekürt wurde: Madonna.

Die wiederum spielte bereits kurz nach dem Beginn ihres Erfolgs, nämlich dem Album Like a virgin (1984), in dem Amateurfilm A CERTAIN SACRIFICE die weibliche Hauptrolle, zeigt dort ein paar mal ihre nackten Brüste, und versuchte kurz nach dem Erscheinen des Films, im Juli 1985, die Veröffentlichung erfolglos zu unterdrücken. Die Dreharbeiten zu A CERTAIN SACRIFICE fanden eher sporadisch in den Jahren 1979 bis 1984 statt, was erklären dürfte, warum Madonna sich bereit zeigte dort mitzuspielen (denn 1985 war sie ja bereits eine erfolgreiche Künstlerin), und warum Hauptdarsteller Jeremy Pattnosh ein paar Mal zwischen den Szenen die Frisur wechselt.

Und damit wäre der Film eigentlich schon fast erklärt: Ein New Yorker Amateurfilmer dreht im Guerillastil mit Freunden, Bekannten und der gesamten Familie einen 65 Minuten langen Film auf Super-8, keiner findet den so richtig knorke, und wenn die Hauptdarstellerin nicht zufällig zum Superstar geworden wäre, dann würde heute niemand diesen Film kennen.

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Wäre das schlimm? Hätten wir dann etwas verpasst? Prinzipiell eher nicht. A CERTAIN SACRIFICE macht vieles von dem falsch, was Jungmutationen halt so falsch machen. Zu lange Szenen mit Dialogen die schnell uninteressant werden, eine sprunghafte Story, ein wilder Musikmix der wenig Sinn ergibt und auch nicht immer passt - Letzten Endes einfach der Spaß am Filmemachen, gleich ob dabei am Ende was Vernünftiges rauskommt oder ob nicht. Und gleich, ob die deutsche Synchro sich in der letzten Szene den Luxus erlaubt, mit einem kurzen Dialog die Story in ihrer Pointe einfach umzudrehen, obgleich im Originalton dort gar nicht gesprochen wird.

Aber dank der kurzen Laufzeit kann man sich das Werk durchaus anschauen, und findet einige bemerkenswerte kleine Dinge darin. So spricht Lewicki alles an, was ich im ersten Abschnitt angerissen habe: Die Gewalt auf den Straßen, die hohe Kriminalität, wo die Menschen sich nicht einmal mehr in ihren Wohnungen sicher fühlen können, und damit einhergehend auch das Erstarken von Nationalismus und Rassismus. Eine Frau, die untertags auf der Toilette eines Cafés vergewaltigt wird, und der Täter verhöhnt beim Gehen auch noch den Freund des Opfers – Was für schlimme Zeiten das waren! Auf der andern Seite dann aber auch die künstlerische Seite New Yorks: Eine Frau die mit einem Springbrunnen tanzt, die eindrucksvolle Performance am Ende mit vielen Musikern und Tänzern, die zwar schmuddelige aber auch quietschlebendige Low-Grade-Kultur rund um die 42. Straße.

Es hatte damals und hat immer noch viel Leben in der Stadt die niemals schläft, und Lewicki hält die Kamera einfach drauf und filmt. Es interessiert ihn nicht, ob der Sermon von Ray Hall über die Verkommenheit von Schwarzen zu lang geraten ist, und es interessiert ihn auch nicht ob die Liebessklaven von Bruna irgendeinen Sinn in dieser Geschichte ergeben oder ob nicht. Auf eine sehr angenehme Weise versöhnt das weitgehend mit dieser nicht fehlerfreien Produktion, die einen kleinen und wirklich unverstellten Blick freigibt auf eine Zeit und einen Ort, der den wenigsten von uns in dieser Form persönlich bekannt sein dürfte, und das völlig unbeleckt von jedweder Hollywood-Sicht und sonstiger Schönfärberei, genauso wie auch der bewusst undergroundige Blick der Künstlerszene fehlt. Was ihn, bei all seinen Fehlern, dann doch wieder zu etwas Besonderem macht, denn auch wenn damals sicher hunderte solcher Filme entstanden sind – Welche davon bekommt man denn schon jemals zu sehen?

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Beitrag von Maulwurf »

King Kong und die weiße Frau (Merian C. Cooper & Ernest B. Schoedsack, 1933) 9/10

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Die Story setze ich jetzt doch mal als allgemein bekannt voraus: Großer Affe verliebt sich in blonde Frau und verliert nach seinem Herzen auch sein Leben.

Über so einen Film eine „Besprechung“ zu schreiben, zumal als Amateur, ist sinnlos. Fast 90 Jahre nach seiner Entstehung ist KING KONG durch unzählige Texte und Analysen gewandert, wurde hunderte oder wahrscheinlich sogar tausende Male auseinandergerissen und auf seinen Inhalt abgeklopft. Wie werden die Eingeborenen dargestellt? Wie der Einfluss der Zivilisation auf den animalischen Affen? Wie sind die Referenzen auf DIE VERLORENE WELT von 1925 eingebaut? Wie wurde KING KONG im Laufe der Jahrzehnte innerhalb der Filmwelt immer wieder referenziert? Wie sind die Darstellungen von Gewalt und Sex einzuordnen?

Gewalt und Sex. Zwei der drei Dinge, die mir bei der Erstsichtung(!) im Frühjahr 2022 als substantielle Bestandteile dieses Films aufgefallen sind, und deren offensive Abbildung mich zutiefst beeindruckt hat:

Die Darstellung einer fast unmenschlichen Grausamkeit. Wenn King Kong mit seinen tierischen Widersachern kämpft, frage ich mich ernsthaft, wo hier der Grund für eine FSK 6-Freigabe zu finden ist. Wenn der Affe den Dinosaurier tötet, indem er dessen Kiefer nach und nach auseinanderreißt, sogar mit der Darstellung von fließendem Blut. Wenn ein Vogel getötet wird, indem vermutlich sein Rückgrat gebrochen wird. Wenn eine Seeschlange mit dem Schädel immer und immer wieder auf den Boden geschleudert wird. Doch diese Szenen sind bei aller Brutalität nichts gegen eine Frau, die aus dem Schlafzimmer hinter einem Hochhausfenster gegriffen und außen einfach fallen gelassen wird, während die Kamera den Sturz geradezu teilnahmslos von oben filmt und filmt und filmt. Menschen die zwischen Kongs Zähnen zerfleischt und wie Knorpel in der Currywurst wieder ausgepult und weggeworfen werden, Menschen die von riesigen Affenfüßen erbarmungslos in den Schlamm gepresst werden (was mich auch in der Durchführung stark an eine Szene mit einem Panzer und einem jungen Soldaten in der französischen Fassung von Bernhard Wickis DIE BRÜCKE erinnerte), Männer die in eine Schlucht stürzen und deren Aufprall die Kamera mit fast lustvollem Voyeurismus begleitet… Wenn diese Fassung von KING KONG in Farbe wäre, würde sie meines Erachtens modernen Torture Porn-Filmen in nichts nachstehen. Mich persönlich hat diese Grausamkeit schockiert, und fast noch mehr die Selbstverständlichkeit, mit der diese Szenen in den Film eingebettet sind als Bestandteile einer filmischen und sozialen Kultur, die sich anscheinend durch Brutalität definiert. Selbst in den kleinen Szenen ohne den Affen ist diese Grausamkeit immanent, wenn ein Matrose des Schiffes von dem Seeungeheuer (ich nenne es jetzt mal Nessie) zerbissen wird, und anschließend sogar voller Schmerz noch einmal in Großaufnahme im Wasser stirbt, oder wenn ein anderer Matrose auf einen Baum klettert, und Nessie ihn dann zerfleischt. Faszinierend und widerlich zugleich …

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Diese schier überbordende Sexualität. Rund anderthalb Jahre vor der Einführung des Hays-Codes ist der Film neben aller Gewalt zudem eine sexuell hochgradig aufgeladene Nummernrevue, deren einziger Zwecke es scheint, Fay Wray in den Status einer Sexgöttin zu heben. Allein bereits, wenn sie bei den Probeaufnahmen ohne BH im halbtransparenten Kleid erscheint hebt sich die Stimmung beim männlichen Zuschauer zusehends, aber der erste Höhepunkt ist natürlich ganz klar Fay Wray im leicht zerrissenen Kleid, an beiden Armen gefesselt und barfuß, hilflos und bereit zur Penetration durch ein großes und stark behaartes männliches Wesen. Später dürfen wir dem Affen zuschauen, wie er die einzelnen Kleidungsstücke Stück für Stück, wie bei einer Zwiebel, abzieht und begutachtet, während Frau Wray immer nackter und am Ende zärtlichst an den Brüsten gestreichelt wird. Der Affe hält dann noch rechtzeitig inne, aber dafür landet die Hauptdarstellerin dann während der Flucht noch in einem See und darf sich kurzzeitig nass und mit geschwellten Brüsten kurz vor der Kamera tummeln. Auch das Getrommel des Affen auf seine Brust, also letzten Endes die klare Ansage „Ich habe den Größten“ schallt immer wieder durch den Raum und gibt damit eine testosteron- geschwängerte und sexuell äußerst aufgeladene Atmosphäre vor. So unverblümt habe ich Sex im Film erst in den 60er-Jahren wieder bewundern dürfen, und damit meine ich nicht Liselotte Pulver in Billy Wilders EINS, ZWEI, DREI …

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Diese ikonischen Bilder, die einem Filmfan einfach immer wieder begegnen und seine Wahrnehmung beeinflussen. King Kong im zerstörten Tor des Eingeborenendorfs, wutentbrannt. King Kong der auf das Empire State Building klettert. King Kong im Kampf gegen die Flugzeuge. Und natürlich auch immer wieder die schöne und wehrlose weiße Frau in der Hand des übermächtigen Naturwesens.

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KING KONG UND DIE WEISSE FRAU hat mich entschieden beeindruckt, und neben den genannten Aspekten auch durch die einfache und dabei gut erzählte Geschichte, die erstklassige Tricktechnik und die grundsätzlich eben von Gewalt und Sex geprägte Stimmung. Die Hintergründe der einzelnen Szenen erinnern dabei durchaus an die Bilder von Gustav Doré oder auch Giovanni Battista Piranesi, die sicher beiderseits einen großen Einfluss hatten auf die Erstellung der Matte Paintings, genauso wie andersherum diese Bilder ihren Einfluss auf die Grafiken moderner Fantasykünstler hatten.
Wie mag der Film 1933 auf der großen Leinwand auf die Zuschauer gewirkt haben? KING KONG muss einen geradezu brachialen Eindruck hinterlassen haben, vergleichbar vielleicht mit späteren Filmen wie VOM WINDE VERWEHT, DOKTOR SCHIWAGO oder DER HERR DER RINGE, die genauso wie KING KONG mit visueller Brillanz und narrativem Druck das Publikum einfach bei den Eiern packen und in ein anderes Universum zerren. Ein großartiger Film, der seinen Ruf als Fantasy-Klassiker vollkommen zu Recht hat.

Mindestens ebenso faszinierend ist im Vergleich dann die deutsche Fassung aus dem Jahr 1933, die als DIE FABEL VON KING KONG – EIN AMERIKANISCHER TRICK- UND SENSATIONSFILM im Dezember 1933 einem sicher staunenden deutschen Publikum vorgeführt wurde. Das Ereignis beginnt damit, dass den Zuschauern erklärt wird, dass es sich hier um eine erfundene Geschichte handelt, und nicht um einen Tatsachenbericht, weswegen der Film ja auch als TRICK- UND SENSATIONSFILM bezeichnet wird. Wäre jemals jemand auf die Idee gekommen, METROPOLIS als Trick- und Sensationsfilm zu bezeichnen? Oder DR. MABUSE? Allein dieser Umstand gibt großen Anlass zum Staunen, genauso wie die dann folgende Tour de Force durch die Höhepunkte des wüst zerschnittenen Originals. 28 Minuten fehlen im Vergleich zur US-amerikanischen Fassung, darunter die gesamte Einführung der Personen, viele sexuell aufgeladenen Szenen, und interessanterweise auch die schlimmsten Brutalitäten. So ist der Überfall King Kongs auf das Eingeborenendorf um einiges weniger grausam dargestellt, weil das direkte Töten der Menschen fehlt, genauso wie etwa die Frau in New York zwar aus ihrem Bett gezerrt wird, Kong sie aber niemals loslässt und sie dementsprechend auch nicht in die Tiefe stürzt. Die Figuren wirken durch die fehlende Einführung zwar etwas flach, aber als reine Nummernrevue mit den Highlights des eigentlichen Films, und somit reduziert auf seine Qualitäten als reiner Actioner, funktionier FABEL erstaunlich gut, und interlässt auch heute noch einen atemlosen und staunenden Zuschauer. Wie die 8mm-Fassung eines langen Kinofilms …

Bei der Sichtung dieser Fassung mit der Originalsynchronisation von 1933 hatte ich erstaunlicherweise Probleme, den Film als amerikanischen Film wahrzunehmen. Die oft aggressiven Stimmen passen erstklassig zum Benehmen der weißen Herrenmenschen, und gerade in der ersten Hälfte im Dschungel musste ich mich oft erst daran erinnern, dass dies kein deutscher Film ist, der die Überlegenheit der arischen Rasse darstellen soll. Von dieser Kurzfassung mit diesen speziellen Stimmen geht ein sehr eigenartiges Flair aus, ein Flair wie aus einem NS-Propagandafilm, der uns zeigen will, wie deutsche Abenteurer wilde Eingeborene und urtümliche Monster gegen alle Widerstände besiegen.

Aber alles in allem bin ich froh, dass ich diesen Film in dieser erstklassigen Qualität sehen durfte! Zurück blieb ein zutiefst beeindruckter und atemloser Maulwurf, der sich sehr wünscht, dieses Epos einmal auf der ganz großen Leinwand erleben zu dürfen.
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Beitrag von Maulwurf »

Sprung in den Abgrund (Harry Piel, 1933) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 459 mal betrachtet

Der berühmte Versicherungsdetektiv Harry Peters ermittelt im Skiort Stuben: Dem Bergführer Geiersbacher ist ein Gast abgestürzt, und zwar der Geschäftsmann Volkmann. Harry stößt sauer auf, dass Volkmann kurz vor dem Unglück seine Frau und seinen Kompagnon als Begünstigte in seine Lebensversicherung eingetragen hat, dann in den Urlaub fährt und *plumps* in den Abgrund fällt. Harry ist misstrauisch, und spätestens als er die Witwe kennenlernt, die sich in ihrem Trauerexil mit lauter und lustiger Grammophonmusik vergnügt, weiß er, dass sein Verdacht begründet ist. Doch wer war der Mann, dem er auf dem Weg nach Stuben, oben am Berg, begegnet ist? Der Mann, der sein Gesicht dauernd verhüllt hat? Und wer mag der Baron Moll in Wirklichkeit sein, der dauernd mit dem Volkmann’schen Kompagnon Schöning herumzieht, und gemeinsam mit diesem auf Harry schießt, als der eines Nachts ein Foto von Volkmann findet? Wird Harry es sich mit der Sekretärin Betty verderben, weil er seinen Auftrag doch sehr ernst nimmt, oder kommt es da wohlmöglich zu einer ernsthaften Romanze? Und dann ist da ja auch noch Toni, der Anführer der Niederkaltenkirchner Watschentanzbuam, der von Harry beim Fingerhakeln gedemütigt wurde, und dem er die Kellnerin Anni ausgespannt hat. Ist das wirklich eine gute Idee, die Trachtengruppe als Hilfsdetektive zu engagieren?

Spaßig und unterhaltsam, das waren die Begriffe die mir nach der Sichtung durch den Kopf schossen. Spaßig, weil Harry Piel mit einigem Humor und sogar einem Anflug von Selbstironie einen hervorragenden Actionhelden gibt. Weil Elga Brink verdammt sexy ist und sich mit ihrem Charme und ihrem Esprit nicht zurückhält. Weil Georg John als Fotograf sein komisches Talent hier ein letztes Mal hervorragend unter Beweis stellen konnte. Weil der Toni und seine Schießbudenfiguren so dermaßen billig-alpenländische Stereotypen sind, die jodelnd und jauchzend durch die Alpen fahren und sich per Urschrei von Schneebrett zu Schneebrett verständigen, dass man vor lauter Kopfschütteln fast das Lachen vergessen könnte. Und wenn sie nicht Ski fahren dann tanzen sie. Schuhplatter, Watschentanz, Walzer, die Jungs und Mädels haben alles drauf, bis hin zum kunstvollen Faustkampf im Schnee. Holareidulijö! Und weil die Handlung um den versuchten Versicherungsbetrug einerseits recht kompliziert erzählt wird, andererseits aber von vornherein so offensichtlich in ihrem Ausgang ist, dass man als Zuschauer nicht weiß ob man nun einschlafen soll (weil man immer schon weiß in welche Richtung die nächsten Szenen gehen), oder sich besser konzentrieren sollte um die völlig unsinnigen Volten des Drehbuchs nicht zu verpassen.

Wenn ich mir es recht überlege sind das auch genau die gleichen Gründe, warum der Film unterhaltsam ist. Ständig passiert etwas, wird geschossen, gestorben oder getanzt, und die Szenen am Berg, wenn Harry versucht von einer Bergwand an die nächste zu springen, sind bergsteigerisch kompletter Schwachsinn, aber hochdramatisch und wirklich spannend. Genauso wie seine Seilbahnfahrt, bei der er außen an der Gondel hängt und sich über die Landschaft kutschieren lässt um die bösen Buben besser verfolgen zu können – Hochgradiger Nonsens, aber gut gemacht. Was auch auf den ganzen Film irgendwie passt. Dass Harry nach dem heimlichen Besuch im Büro des Generaldirektors aus dem Fenster springt? Dass er mit einem Pferdeschlitten vor den beiden Attentätern flüchtet? Das ist alles Kokolores, aber es macht Spaß zuzuschauen, und mehr kann man von so einem Film auch kaum erwarten.

Die OFDB listet SPRUNG IN DEN ABGRUND mit den Attributen Krimi und Abenteuer, und besser lässt sich der Film einfach nicht beschreiben. Ein spaßiges und unterhaltsames Krimi-Abenteuer …
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Lost Girls & Love Hotels (William Olsson, 2020) 2/10

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Margaret unterrichtet angehende Flugbegleiterinnen in Tokio in guter englischer Aussprache. Doch auch wenn ihr dort sehr viel Sympathie und Wohlwollen entgegengebracht werden, so ist Margaret trotz allem eine einsame Seele auf der Flucht vor sich selbst. Ihre Heimat hat sie verlassen, weil sie, wie sie sagt, allein sein wollte, aber mit der Einsamkeit der Großstadt kommt sie überhaupt nicht zurecht. Sie trinkt so hart, dass sie morgens betrunken in den Unterricht wankt, und die Nächte verbringt sie unterwürfig in Stundenhotels mit irgendwelchen fremden Männern. Als sie den Yakuza Kazu kennenlernt verliebt sie sich sehr ernsthaft, doch Kazu heiratet in ein paar Tagen, und auch wenn er Margaret tatsächlich zu lieben scheint, so wird er doch keinesfalls über seinen Schatten springen und seine Kultur und seine Gegenwart verraten für eine ungewisse Zukunft mit einer Ausländerin. Innerhalb weniger Tage verliert Margaret so ihren besten Freund (der sich für eine Doktorandin entscheidet), ihre Freundin (die wieder nach Hause geht), und ihren Liebhaber. Ihren Job ist sie alkoholbedingt los, die Wohnung wird zwangsgeräumt, und das Bier schmeckt immer besser. Margarets Todessehnsucht bekommt die Überhand.

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In der Konsequenz ist Margaret eigentlich nur ein kleines dummes Mädchen, das nicht fähig ist, die Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen und deswegen ständig entsetzlich auf die Schnauze fällt. Damit kann sie aber genauso wenig umgehen, weswegen sie sich permanent betäubt und damit ihrem Leben entfliehen will. Die Bilder, in denen das gezeigt wird, sind perfekt gestylt und Tokio schaut wirklich sehr schön aus – Großstädtisch modern da, wo es großstädtisch modern aussehen soll, und verkommen dort, wo es verkommen aussehen soll. Ruhige Aufnahmen von Straßen oder Hochhäusern untermalen diese Einstellungen, aber der Geschichte selber hilft das halt auch nicht weiter, denn die erschöpft sich darin, den selbstgefälligen Untergang Margarets zu illustrieren, ohne dass dabei irgendwelche Sympathien für die Hauptfigur aufkommen. Wahrscheinlich habe ich im wirklichen Leben einfach zu viele solcher Menschen kennengelernt, um mit denen noch Mitleid zu haben, und so kommt es, dass mir Protagonistin und Film eigentlich, mit Verlaub gesagt, am Arsch vorbeigehen.

Vor allem gegen Ende hin, wenn Bilder und Musik immer mehr dem völlig überschätzten ONLY GOD FORGIVES ähneln, stellen sich automatisch Parallelen zwischen diesen beiden Filmen ein. Beide glänzen durch ihre schönen Bilder und durch ihre vollkommen nichtssagende Geschichte. Wem das genügt, dem mag ich diesen Film von ganzem Herzen gönnen. Mir genügt es nicht. Ansprechende Bilder von leeren Menschen ergeben noch nicht automatisch einen Film. Kunstkino zum Abgewöhnen.

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