Re: Salvatores Skizzen zu einer Studie der absoluten Kontingenz
Verfasst: Di 1. Nov 2016, 10:57
Girl's Dormitory
Originaltitel: Khabgah-e dokhtaran
Produktionsland: Iran 2005
Regie: Mohammed Hossein Latifi
Darsteller: Baran Kosari, Negar Javaherjan, Majeed Salehi, Sadeq Safaei, Farahnaz Manafi Zaher
Die Busenfreundinnen Roya und Shirin haben Post. Beide sind von einer renommierten Universität etwas außerhalb Teherans zum Studium zugelassen worden. Da ist das freudige Quietschen erstmal laut, wird aber schnell von den Herren Vätern eingedämpft, die es überhaupt nicht einsehen, ihre Töchterchen unter der Woche in ein abseitiges Kaff ziehen zu lassen: zu groß seien die Gefahren, die allein auf der Hin- und Rückfahrt auf sie lauern würden. Dass die Namen unserer Heldinnen bereits in der Zeitung als Hoffnungsträger weiblicher Bildung abgedruckt stehen und die Mütter sich fest ins Zeug legen, ihre Gatten umzustimmen, hilft zunächst wenig. Letztlich ist es Shirins Bruder, der, nicht ganz uneigennützig, den letzten Tropfen Überzeugungsarbeit leistet, indem er Royas Vater und seinem eigenen vorschlägt, er könne die Mädchen doch stets mit seinem Auto sonntags bis vor die Universitätspforten fahren und dort dann am Freitag wieder abholen. Farhad nämlich hat schon lange ein Auge auf Roya geworfen, und Shirin ist dem Gedanken ebenfalls alles andere als abgeneigt, ihre beste Freundin bald zur Schwägerin haben zu können. Nur Roya ziert sich noch ein bisschen, was, als die Mädchen erstmal in ihrer Universitätsstadt sind, zu allerhand abendlicher Flüsterunterhaltungen, Neckereien und schamroter Wangen Anlass gibt. Doch nicht nur das weckt die Neugierde der frischgebackenen Studentinnen: Da das Studentenwohnheim zurzeit noch im Umbau begriffen ist, hat man sie nebst einer Handvoll anderer Mädchen in einem abgelegenen Gebäudetrakt untergebracht, in dessen Nähe sich eine unheimliche Ruine befindet, über die in der Gegend reichliche Gruselgeschichten grassieren. Angeblich soll sie von Geistern bewohnt sein. Obwohl unbewohnt, sehe man dort nachts erleuchtete Fenster. Außerdem seien in ihrer unmittelbaren Umgebung in den letzten Jahren immer mal wieder junge Mädchen verschwunden, um etwas später ermordet aufgefunden zu werden. Roya, Shirin und Farhad, der seine Wachhundpflichten so sehr ernstnimmt, dass er auch mal einen Abend mit Schwester und Zukünftiger in deren Wohnheim verbringt, widerstehen ihrem inneren Drängen schließlich nicht mehr und beginnen, das Gemäuer zu erkunden. Dabei stößt Roya auf einen Raum voller brennender Kerzen, Hochzeitskleider und Schmuckstücke. Obwohl sie ein Diadem mitgehen lässt, ist am nächsten Tag nichts mehr von dem nächtlichen Spuk zu sehen und sie zweifelt fast schon an ihrem Verstand. Die Haushälterin des provisorischen Wohntrakts indes ist sich sicher, dass der Schmuck einem der vielen ermordeten Mädchen gehört hat...
Was an KHABGAH-E DOKTHARAN westlichen Augen wie meinen zuallererst auffällt, das ist die exorbitante Züchtigkeit dieser iranischen Produktion aus dem Jahre 2005. Dass die iranische Gesellschaft nach, je nach Gesichtspunkt, wesentlich sittsameren oder restriktiveren Normen ausgerichtet ist als die unsere, beweisen schon die Eröffnungsszenen, in denen unsere Heldinnen sämtliche ihrer Kräfte zusammennehmen müssen, um ihre Väter allein dazu zu überreden, sie in einer Stadt studieren zu lassen, die in etwa einer halben Stunde mit dem Auto von Teheran aus zu erreichen ist. Erst als Farhad die Rolle des männlichen Beschützers übernimmt, lassen die Väter sich allmählich weichkochen. Roya und Shirin sollen demnach, zumindest wenn es nach ihren Familien geht, zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens außerhalb einer bestimmten Ordnung stehen. Als sie noch zu Hause wohnen, ist dies die Obhut der Familie. Später wird es die Obhut des Mannes sein, den sie einmal ehelichen werden. Selbst innerhalb der Universität scheint alles gemäß der Regel ausgerichtet zu sein, dem Laster so wenige Nischen zum Hereinschlüpfen zu geben wie möglich. In den Seminaren sitzen zwar beide Geschlechter, jedoch streng innerhalb des Raumes aufgeteilt: die Jungs links, die Mädchen rechts. Allein in dem improvisierten Wohnheim sind die Mädchen unter sich und mehr oder minder frei von äußeren Reglementierungen. Es wundert wenig, dass Roya, Shirin und ihre Mitstudentinnen sich, obwohl längst der Kinderstube entwachsen, in ihrer neu gewonnen Freiheit benehmen wie kleine Mädchen, gegen die sogar die Ballettschülerinnen aus SUSPIRIA wirken wie reife, erwachsene Frauen. Man kichert viel, amüsiert sich über eine Kassette voller Liebesschlager, die Roya von Farhad geschenkt bekommen hat, erzählt sich beim Kerzenschein Schauergeschichten und kreischt, wenn einem eine Schabe über den Teppich läuft. Derart unschuldig ist das Verhalten unserer Heldinnen, dass die Besorgnisse ihrer Väter, sie könnten, erst einmal dem Elternhaus entstiegen, auf die schiefe Bahn geraten, dem Zuschauer mehr und mehr komplett haltlos erscheinen. Nichts liegt Roya und Shirin ferner als sich einen Fehltritt zu erlauben. Ihre Kopftücher sind nie um einen Zentimeter verrückt, selbst der obere Hemdsknopf ist stets ordentlich geschlossen. Sie sind so unbedarft und rein, dass ihr unbefugtes Betreten der Gebäuderuine gegenüber schon mit Abstand die schlimmste Sünde darstellt, die man ihnen zutrauen kann. Was für ein Unterschied zu den promiskuitiven, moralisch degenerierten Jugendlichen, die uns in einem US-amerikanischen Horrorfilm ähnlicher Prägung schon nach fünf Minuten auf die Nerven gegangen wären!
Ein weiterer Unterschied zu westlichen Genreproduktionen wäre ebenfalls die starke Betonung des Familienlebens unserer Mädchen. Wenn KHABGAH-E DOKTHARAN seine knappe erste Hälfte nicht nutzt, um angenehm leise, unaufgeregte Gruselstimmung zu verbreiten, die sich meist auf die gängigen Stilmittel wie knarrende Türen, flackernde Lichter, verlassene Keller beschränkt, fokussiert der Film oft und gerne den familiären Kosmos, dem Roya und Shirin entstammen und verbunden sind. Was in einem US-amerikanischen Horrorfilm so gut wie nie Erwähnung findet – und wenn, dann nur, weil es in irgendeinem Zusammenhang mit der bluttriefenden Handlung steht -, wird in vorliegendem Werk zuweilen derart ausgewalzt, dass es einem nicht-iranischen Publikum stellenweise wohl schon zu viel des Guten sein dürfte. Die beiden Familien singen, speisen, spielen miteinander, bereiten Royas und Farhads Hochzeit vor, bekommen sich nur in die Haare, um sogleich die Versöhnung zu feiern – ein derart harmonietrunkenes Familienbild dürfte man in Horrorfilmen der westlicher Hemisphäre, die sich ja oftmals gerade auf die Fahne schreiben, die klassische Familie im wahrsten Sinne des Wortes zu demontieren und zu destruieren, mit der Lupe suchen können, und trotzdem nicht viel finden. In diesen Themenkomplex spielt auch die absolut keusche Liebe zwischen Roya und Farhad hinein. Mehr als einen vorsichtiger Seitenblick gibt es zwischen den Entflammten nicht, die sich ihre Entjungferung für die Hochzeitsnacht aufsparen und sowieso, ohne die Erlaubnis ihrer Väter, es nie wagen würden, auch nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange auszutauschen.
Für mich war KHABGAH-E DOKTHARAN, wie man vielleicht schon merkt, vor allem ein interessanter Einblick in eine mir fremde, aber zeitgenössische Kultur. Nicht nur das menschliche Miteinander hat dabei meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern ebenfalls all die Kleinigkeiten, die mir dieser Film über das alltägliche Leben im Iran verraten hat. Ich meine solche Details wie: welche Geräte stehen in einer iranischen Küche? Wie sieht die Sitzordnung an der Uni aus? Mit welcher Musik kann man das Herz seiner Liebste erobern – und auf welchem Tonträger? Darüber trat für mich die eigentliche Horrorhandlung über weite Strecken in den Hintergrund – zumal sie sich sowieso eher langsam entwickelt und in der ersten Hälfte hauptsächlich auf Atmosphäre setzt, und weniger einen komplexen Plotpunkt an den nächsten reiht. Dass diese erste Hälfte, der Aufenthalt von Roya und Shirin in ihrer Universitätsstadt, gerade in den Gruselszenen manchmal an ein Märchen erinnert, ist symptomatisch für einen Film, der mit Blut und Gewalt derart geizig umspringt, dass es einen schon richtig erschreckt, wenn dann doch ein einziges Mal eine mit vergleichsweise viel Lebenssaft überschüttete Leiche zu sehen ist. Wenn Roya das Brautkleidzimmer in der Geisterruine entdeckt, oder wenn die einfältige Haushälterin im Flackerschein der Kerzen von angeblichen Geistern erzählt, die sich auf Brautschau befinden, dann sind das Momente, in denen man kaum von realistischem Grauen sprechen kann, da sie viel eher auf eine irrationale Welt verweisen, in der die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit so brüchig sind, dass es eigentlich gar keinen Sinn macht, sie überhaupt zu ziehen. Umso überraschender ist es, dass KHABGAH-E DOKTHARAN in seiner zweiten Hälfte einen jähen Wechsel vollführt, seinen Schauplatz zurück nach Teheran verlegt und plötzlich, ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, zu einem veritablen Serienkiller-Slasher wird, inklusive der einen oder anderen Actionszene, Schießereien und inflationärem Einsatz von Blaulichtern. Züchtig bleibt das Ganze nichtsdestotrotz, und auf der technischen Seite, was Kamera, Montage etc. betrifft, weitgehend solide, aber wenig aufregend, doch den Vorwurf, inhaltlich einseitig und ohne größere Überraschungen zu sein, muss sich der Film gewiss nicht gefallen lassen.
KHABGAH- E DOKTHARAN ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger Ausflug in einen kulturellen Kontext, den der westliche Genrefreund nicht zuallererst mit seiner Horrorfilmproduktion in Verbindung bringt, und zieht gerade daraus seinen für mich recht eigenwilligen Reiz.
Originaltitel: Khabgah-e dokhtaran
Produktionsland: Iran 2005
Regie: Mohammed Hossein Latifi
Darsteller: Baran Kosari, Negar Javaherjan, Majeed Salehi, Sadeq Safaei, Farahnaz Manafi Zaher
Die Busenfreundinnen Roya und Shirin haben Post. Beide sind von einer renommierten Universität etwas außerhalb Teherans zum Studium zugelassen worden. Da ist das freudige Quietschen erstmal laut, wird aber schnell von den Herren Vätern eingedämpft, die es überhaupt nicht einsehen, ihre Töchterchen unter der Woche in ein abseitiges Kaff ziehen zu lassen: zu groß seien die Gefahren, die allein auf der Hin- und Rückfahrt auf sie lauern würden. Dass die Namen unserer Heldinnen bereits in der Zeitung als Hoffnungsträger weiblicher Bildung abgedruckt stehen und die Mütter sich fest ins Zeug legen, ihre Gatten umzustimmen, hilft zunächst wenig. Letztlich ist es Shirins Bruder, der, nicht ganz uneigennützig, den letzten Tropfen Überzeugungsarbeit leistet, indem er Royas Vater und seinem eigenen vorschlägt, er könne die Mädchen doch stets mit seinem Auto sonntags bis vor die Universitätspforten fahren und dort dann am Freitag wieder abholen. Farhad nämlich hat schon lange ein Auge auf Roya geworfen, und Shirin ist dem Gedanken ebenfalls alles andere als abgeneigt, ihre beste Freundin bald zur Schwägerin haben zu können. Nur Roya ziert sich noch ein bisschen, was, als die Mädchen erstmal in ihrer Universitätsstadt sind, zu allerhand abendlicher Flüsterunterhaltungen, Neckereien und schamroter Wangen Anlass gibt. Doch nicht nur das weckt die Neugierde der frischgebackenen Studentinnen: Da das Studentenwohnheim zurzeit noch im Umbau begriffen ist, hat man sie nebst einer Handvoll anderer Mädchen in einem abgelegenen Gebäudetrakt untergebracht, in dessen Nähe sich eine unheimliche Ruine befindet, über die in der Gegend reichliche Gruselgeschichten grassieren. Angeblich soll sie von Geistern bewohnt sein. Obwohl unbewohnt, sehe man dort nachts erleuchtete Fenster. Außerdem seien in ihrer unmittelbaren Umgebung in den letzten Jahren immer mal wieder junge Mädchen verschwunden, um etwas später ermordet aufgefunden zu werden. Roya, Shirin und Farhad, der seine Wachhundpflichten so sehr ernstnimmt, dass er auch mal einen Abend mit Schwester und Zukünftiger in deren Wohnheim verbringt, widerstehen ihrem inneren Drängen schließlich nicht mehr und beginnen, das Gemäuer zu erkunden. Dabei stößt Roya auf einen Raum voller brennender Kerzen, Hochzeitskleider und Schmuckstücke. Obwohl sie ein Diadem mitgehen lässt, ist am nächsten Tag nichts mehr von dem nächtlichen Spuk zu sehen und sie zweifelt fast schon an ihrem Verstand. Die Haushälterin des provisorischen Wohntrakts indes ist sich sicher, dass der Schmuck einem der vielen ermordeten Mädchen gehört hat...
Was an KHABGAH-E DOKTHARAN westlichen Augen wie meinen zuallererst auffällt, das ist die exorbitante Züchtigkeit dieser iranischen Produktion aus dem Jahre 2005. Dass die iranische Gesellschaft nach, je nach Gesichtspunkt, wesentlich sittsameren oder restriktiveren Normen ausgerichtet ist als die unsere, beweisen schon die Eröffnungsszenen, in denen unsere Heldinnen sämtliche ihrer Kräfte zusammennehmen müssen, um ihre Väter allein dazu zu überreden, sie in einer Stadt studieren zu lassen, die in etwa einer halben Stunde mit dem Auto von Teheran aus zu erreichen ist. Erst als Farhad die Rolle des männlichen Beschützers übernimmt, lassen die Väter sich allmählich weichkochen. Roya und Shirin sollen demnach, zumindest wenn es nach ihren Familien geht, zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens außerhalb einer bestimmten Ordnung stehen. Als sie noch zu Hause wohnen, ist dies die Obhut der Familie. Später wird es die Obhut des Mannes sein, den sie einmal ehelichen werden. Selbst innerhalb der Universität scheint alles gemäß der Regel ausgerichtet zu sein, dem Laster so wenige Nischen zum Hereinschlüpfen zu geben wie möglich. In den Seminaren sitzen zwar beide Geschlechter, jedoch streng innerhalb des Raumes aufgeteilt: die Jungs links, die Mädchen rechts. Allein in dem improvisierten Wohnheim sind die Mädchen unter sich und mehr oder minder frei von äußeren Reglementierungen. Es wundert wenig, dass Roya, Shirin und ihre Mitstudentinnen sich, obwohl längst der Kinderstube entwachsen, in ihrer neu gewonnen Freiheit benehmen wie kleine Mädchen, gegen die sogar die Ballettschülerinnen aus SUSPIRIA wirken wie reife, erwachsene Frauen. Man kichert viel, amüsiert sich über eine Kassette voller Liebesschlager, die Roya von Farhad geschenkt bekommen hat, erzählt sich beim Kerzenschein Schauergeschichten und kreischt, wenn einem eine Schabe über den Teppich läuft. Derart unschuldig ist das Verhalten unserer Heldinnen, dass die Besorgnisse ihrer Väter, sie könnten, erst einmal dem Elternhaus entstiegen, auf die schiefe Bahn geraten, dem Zuschauer mehr und mehr komplett haltlos erscheinen. Nichts liegt Roya und Shirin ferner als sich einen Fehltritt zu erlauben. Ihre Kopftücher sind nie um einen Zentimeter verrückt, selbst der obere Hemdsknopf ist stets ordentlich geschlossen. Sie sind so unbedarft und rein, dass ihr unbefugtes Betreten der Gebäuderuine gegenüber schon mit Abstand die schlimmste Sünde darstellt, die man ihnen zutrauen kann. Was für ein Unterschied zu den promiskuitiven, moralisch degenerierten Jugendlichen, die uns in einem US-amerikanischen Horrorfilm ähnlicher Prägung schon nach fünf Minuten auf die Nerven gegangen wären!
Ein weiterer Unterschied zu westlichen Genreproduktionen wäre ebenfalls die starke Betonung des Familienlebens unserer Mädchen. Wenn KHABGAH-E DOKTHARAN seine knappe erste Hälfte nicht nutzt, um angenehm leise, unaufgeregte Gruselstimmung zu verbreiten, die sich meist auf die gängigen Stilmittel wie knarrende Türen, flackernde Lichter, verlassene Keller beschränkt, fokussiert der Film oft und gerne den familiären Kosmos, dem Roya und Shirin entstammen und verbunden sind. Was in einem US-amerikanischen Horrorfilm so gut wie nie Erwähnung findet – und wenn, dann nur, weil es in irgendeinem Zusammenhang mit der bluttriefenden Handlung steht -, wird in vorliegendem Werk zuweilen derart ausgewalzt, dass es einem nicht-iranischen Publikum stellenweise wohl schon zu viel des Guten sein dürfte. Die beiden Familien singen, speisen, spielen miteinander, bereiten Royas und Farhads Hochzeit vor, bekommen sich nur in die Haare, um sogleich die Versöhnung zu feiern – ein derart harmonietrunkenes Familienbild dürfte man in Horrorfilmen der westlicher Hemisphäre, die sich ja oftmals gerade auf die Fahne schreiben, die klassische Familie im wahrsten Sinne des Wortes zu demontieren und zu destruieren, mit der Lupe suchen können, und trotzdem nicht viel finden. In diesen Themenkomplex spielt auch die absolut keusche Liebe zwischen Roya und Farhad hinein. Mehr als einen vorsichtiger Seitenblick gibt es zwischen den Entflammten nicht, die sich ihre Entjungferung für die Hochzeitsnacht aufsparen und sowieso, ohne die Erlaubnis ihrer Väter, es nie wagen würden, auch nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange auszutauschen.
Für mich war KHABGAH-E DOKTHARAN, wie man vielleicht schon merkt, vor allem ein interessanter Einblick in eine mir fremde, aber zeitgenössische Kultur. Nicht nur das menschliche Miteinander hat dabei meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern ebenfalls all die Kleinigkeiten, die mir dieser Film über das alltägliche Leben im Iran verraten hat. Ich meine solche Details wie: welche Geräte stehen in einer iranischen Küche? Wie sieht die Sitzordnung an der Uni aus? Mit welcher Musik kann man das Herz seiner Liebste erobern – und auf welchem Tonträger? Darüber trat für mich die eigentliche Horrorhandlung über weite Strecken in den Hintergrund – zumal sie sich sowieso eher langsam entwickelt und in der ersten Hälfte hauptsächlich auf Atmosphäre setzt, und weniger einen komplexen Plotpunkt an den nächsten reiht. Dass diese erste Hälfte, der Aufenthalt von Roya und Shirin in ihrer Universitätsstadt, gerade in den Gruselszenen manchmal an ein Märchen erinnert, ist symptomatisch für einen Film, der mit Blut und Gewalt derart geizig umspringt, dass es einen schon richtig erschreckt, wenn dann doch ein einziges Mal eine mit vergleichsweise viel Lebenssaft überschüttete Leiche zu sehen ist. Wenn Roya das Brautkleidzimmer in der Geisterruine entdeckt, oder wenn die einfältige Haushälterin im Flackerschein der Kerzen von angeblichen Geistern erzählt, die sich auf Brautschau befinden, dann sind das Momente, in denen man kaum von realistischem Grauen sprechen kann, da sie viel eher auf eine irrationale Welt verweisen, in der die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit so brüchig sind, dass es eigentlich gar keinen Sinn macht, sie überhaupt zu ziehen. Umso überraschender ist es, dass KHABGAH-E DOKTHARAN in seiner zweiten Hälfte einen jähen Wechsel vollführt, seinen Schauplatz zurück nach Teheran verlegt und plötzlich, ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, zu einem veritablen Serienkiller-Slasher wird, inklusive der einen oder anderen Actionszene, Schießereien und inflationärem Einsatz von Blaulichtern. Züchtig bleibt das Ganze nichtsdestotrotz, und auf der technischen Seite, was Kamera, Montage etc. betrifft, weitgehend solide, aber wenig aufregend, doch den Vorwurf, inhaltlich einseitig und ohne größere Überraschungen zu sein, muss sich der Film gewiss nicht gefallen lassen.
KHABGAH- E DOKTHARAN ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger Ausflug in einen kulturellen Kontext, den der westliche Genrefreund nicht zuallererst mit seiner Horrorfilmproduktion in Verbindung bringt, und zieht gerade daraus seinen für mich recht eigenwilligen Reiz.