Re: Black Glasses - Dario Argento (2020)
Verfasst: Mo 4. Jul 2022, 18:58
Eine Kamerafahrt über die Anzeigetafel an einem Flughafenterminal nach unten, auf der die geplanten Flüge mit ihren Starzeiten, ihren Verspätungen, ihren Nummern veranschlagt sind. So beginnt Argentos Opus Magnum SUSPIRIA aus dem Jahre 1977; so endet Argentos jüngster Film OCCHIALI NERI aus dem Jahre 2022. Nahezu identisch ist die Einstellung, nur: In SUSPIRIA schwenkt die Kamera bei ihrer Senkbewegung ein bisschen nach rechts; in OCCHIALI NERI sinkt sie kerzengrade vor der Tafel Richtung Boden. Fulminanter ist die Kluft, die ansonsten zwischen den beiden Werken klafft: In SUSPIRIA scheut ein junger, wilder Regisseur sich vor keinen einzigen noch so verrückten ästhetischen Entscheidung, um einen Film zu drehen, der Genre-Kino und Avantgarde so eng verzahnt, dass es einzig Argentos Folgefilm INFERNO aus dem Jahre 1980 noch zu steigern wusste; in OCCHIALI NERI blickt ein Regisseur knapp über Achtzig auf ein Lebenswerk von etwa zwei Dutzend Regiearbeiten und etwa fünfzig Jahre Kunstschaffen zurück, und möchte, nach zehnjähriger Abstinenz und einer von Kritik und Publikum in Stücke gerissenen DRACULA-Adaption, offenbar so etwas wie einen versöhnlich stimmenden Schlusspunkt hinter sein Oeuvre setzen. Anders gesagt: In SUSPIRIA fährt die Kamera von der Flughafenanzeigetafel in eine magische Welt hinein, zusammengesetzt aus Jahrmarktskino, aus Schauermärchen, aus Cinéma Pur, aus M.C. Escher und verhexten Schäferhunden, denn SUSPIRIA ist ein Film der Möglichkeiten, von denen jede einzelne bis zum Grund ausgeschöpft wird; in OCCHIALI NERI fährt die Kamera über die Flughafenanzeigetafel aus einer naturalistischen Welt hinaus, zusammengesetzt aus wehmütig-nostalgischen Eigenzitaten, aus sattsam bekannten Versatzstücken des modernen Horrorthrillers, aus filmisch eher generisch inszenierten Flucht- und Verfolgungsszenen, aus Killerschlangen, entnommen irgendeinem beliebigen Asylum-Trash, die sowohl würgen wie zubeißen können, und auf Dich im Schilf außerhalb Roms lauern, denn OCCHIALI NERI ist ein Film, der seine Mechanismen von Anfang an offenlegt, der sich altersmilde gibt, introvertiert, zufrieden mit den kleinen Dingen.
Wir sind zu fünft. Meine Mitbewohnerin lacht mehrmals laut auf, sagt anschließend, dass ihr die Worte fehlen. Der Gastgeber gluckst anfangs noch einige Male, irgendwann schnaubt er bloß noch oder murmelt: Das kann er doch nicht ernstmeinen!? Meine Freundin verhält sich meist still, schlägt sich gegen Ende aber mehrfach die Hände vors Gesicht oder schüttelt den Kopf. Zwei weitere Freunde sitzen zu weit weg, als dass ich ihre Reaktionen während des Screenings hätte beobachten können. Anschließend fragt mich der eine: Nun, Herr Doktor, jetzt erklären Sie mir doch mal, was an diesem Film so besonders gewesen ist, so für mich als Laie?, und der andere sagt: Leichte Kost, aber unterhaltsam, und: Ich hab das Gefühl, er wollte einfach noch mal einen Film drehen, und Spaß haben, und was dabei herauskommt, ist erstmal zweitrangig.
Anfangs versuche ich mich ja wirklich noch, auf OCCHIALI NERI einzulassen. Ich liebe die Prologsequenz, die ein ganz kleines bisschen an das Finale von Michelangelo Antonionis L’ECLISSE erinnert, (worauf ich nicht zuletzt komme, weil Argento mit PROFONDO ROSSO ja ein Quasi-Giallo-Remake von Antonionis BLOW UP gedreht hat): Die Kamera rauscht unter Baumwipfeln dahin; eine Sonnenfinsternis rollt über einen römischen Vorort hinweg; sterile, stringente Architektur; Menschen auf Balkonen und Wiesen, ihre Gesichter geschützt von speziellen Brillen; unsere Protagonistin, die Edelhure Diana, fährt mitten in dieses Ereignis hinein; sie scheint nicht mitbekommen zu haben, welches Naturphänomen sich am Himmel abzeichnet; ohne Sichtschutz, bloß ihre schwarze Sonnenbrille auf der Nase, stolpert sie zu den Schaulustigen und guckt ins Firmament; um sie herum murmeln die Menschen: Sonnenfinsternisse, die hätten in früheren Zeiten nie etwas Gutes bedeutet, Weltuntergang sogar; die Stimmung ist elegisch, melancholisch, trotzdem bedrohlich; der Soundtrack pulsiert erst verhalten, wird dann immer lauter. Allein diese Szene empfinde ich glorreicher als die letzten drei, vier eigenständigen Argento-Spielfilme zusammengenommen.
Dann der erste Mord: Eine Prostituierte; eine Cellosaite; Sergio Stivalettis Vorliebe für offene Halswunden, aus denen das Blut nur so fontänengleich sudelt. Ein Portier des Hotels, wo die Tote soeben einen Kunden besucht hat, meint, sich an irgendwas erinnern zu können, was mit dem Mord in Zusammenhang stehen könnte: Nur was? Eine typische Giallo-Trope, - die dann aber ebenso bald leer verpufft wie die symbolträchtig aufgeladene Verwendung ausgerechnet einer Cellosaite oder solche selbstbezüglichen Manierismen wie der Kameraschwenk über die Hotelfront hinweg, deren Architektur ein wenig an die hexenverseuchten Gebäude in INFERNO erinnert.
In OCCHIALI NERI geht es in der Folge indes filmisch und inhaltlich eher generisch zu: Erneut recycelt Argento seine eigene güldene Vergangenheit, wenn er zu seinen Protagonisten die blindgewordene Diana sowie einen chinesischen Waisenjungen wählt, der ihr als verblüffend strategisch handelnder Helfer zur Seite steht. Dieselbe Konstellation gab’s ja schon in IL GATTO A NOVE CODE, - nur dass dort die komplexe Aufklärung einer Mordserie im Fokus stand, und sich Argento in OCCHIALI NERI erst gar nicht damit abgibt, irgendein Mysterium um die Identität seines Prostituiertenschlächters zu stricken: Der Typ heißt Matteo, hat einen nicht näher motivierten Hass auf Frauen, sitzt in seiner Freizeit in irgendeinem Kabuff, um Alexandre Ajas MANIAC-Remake zu schauen und zu koksen, verdient sich seine Brötchen als Hundezüchter – und fühlt sich von Diana herausgefordert, erst weil sie ihn wegen seines Zwingergeruchs zurückstößt, dann, weil sie einen von seinem weißen Lieferwagen provozierten Unfall überlebt hat, (wenn auch ohne Augenlicht), und die er für die keine neunzig Minuten dauernde Laufzeit nunmehr (manchmal wortwörtlich) aus dem Verkehr zu ziehen versucht. An ihrer Seite: Der angeblich siebenjährige Chin, (tatsächlich ist der Bub doch mindestens neun oder zehn!), dessen Eltern bei besagtem Unfall starben, eine süße Blindenhündin und Asia Argento als Blindencoach. Ebenfalls an ihrer Seite: Endlos ausgewalzte Szenen, in denen durch die finstre Nacht gestolpert wird; befremdlichste Entscheidungen von völlig gegen die Ratio handelnde Figuren; völlig blutarme Tötungsszenen diverser Kollateralschäden-Charaktere, die dem Film, meiner Meinung nach, gut und gerne eine FSK 16 hätten einbringen können.
Eine These zu Argentos Spätwerk lautet, dass der Maestro seine neueren Filme bewusst gegen die Publikumserwartungen inszenieren würde: Jeder lechzt nach einem zweiten SUSPIRIA, einem zweiten TENEBRE, einem zweiten OPERA, wenigstens – und er dreht dröge TATORT-Folgen wie IL CARTAIO, verhebt sich an Klassikern der Gruselliteratur wie DRACULA, demontiert gar den eigenen (Mütter-)Mythos wie in MOTHER OF TEARS. Soll OCCHIALI NERI eine Parodie sein? Manche Szenen soufflieren mir das ganz stark: Die narrativ völlig unmotivierten, tatsächlich in gröbstem Maße unfreiwillig komischen Killerschlangen habe ich ja bereits erwähnt. Ich könnte aber auch noch die himmelschreiende Ermordung einer Polizistin erwähnen, eine Szene, in der Diana und Chin gemeinsam mit einem Gewehr ihren Verfolger über den Haufen zu schießen versuchen, oder die Art und Weise, wie der Killer schließlich seinen Endgegner findet, (und die Argento, einmal mehr, direkt aus SUSPIRIA zitiert, Stichwort: Kaiserplatz; diesmal sind drei, vier Einstellungen sogar eins zu eins kopiert worden.) Andererseits verwendet Argento unfassbar viel Zeit darauf, uns vorzuführen, wie schwer es für Diana ist, sich blind in ihrem Alltag zurechtzufinden; er vergisst darüber, die Beziehung zwischen Chin und Diana auszugestalten, für weite Strecken den Thriller-Plot; er konfrontiert uns mit einer durchaus traurigen Schlussszene – alles Ingredienzien, die dagegensprechen, dass OCCHIALI NERI im Kern ein elaborierter Scherz sein soll. Aber puh, diese Schlangen, im Ernst!
Eine weitere These zu Argentos Spätwerk lautet, - und zwar meist von Kostverächtern vorgetragen -, dass schon Argentos Meisterstreiche wie PHENOMENA, PROFONDO ROSSO, TENEBRE unter tausend Logiklöchern, unter sinnbefreit agierenden Figuren, unter miesen Drehbüchern litten, dass all diese Defizite jedoch der gespreizte Stil übertünchte, mit dem der Maestro sie uns kredenzte. Somit hätten wir in OCCHIALI NERI tatsächlich so etwas wie ein Gerippe: Die Zeiten von taumligen Kamerafahrten sind lange vorbei, die Zeiten von schrillen Primärfarben, die Zeiten unterkühlter Bauhaus-Ästhetik oder schauerromantischer Schweizgebirge. Was bleibt: Löchrige Logik und verwirrte Figuren und Storys, bei denen man fortwährend fragen kann: Was will uns der Künstler damit sagen? Auch wenn ich diese These schon allein deshalb nicht teile, weil ich es kaum machbar finde, den Stil von der Substanz zu trennen – wo fängt das eine an?, wo hört das andere auf?, ist das Licht in SUSPIRIA, sind die Berge in PHENOMENA, sind die kühlen Räume in TENEBRE nicht Teil der Substanz? -, kommt mir OCCHIALI NERI wirklich wie ein Gerippe vor: Ein Film, aufs Basalste runtergebrochen. Ein Kammerspiel, eigentlich. Ein traumtänzerischer Beginn - und dann ein langes, ernüchterndes Erwachen mit dem einen, oder anderen Moment, bei dem sich mir die Bauchmuskeln verkrampfen, (Killerschlangen!)
Immerhin, die vergleichsweise häufigen positiven, wenn nicht gar euphorischen Kritiken im Netz sprechen dafür, dass es durchaus Leute gibt, für die OCCHIALI NERI so etwas wie eine Offenbarung darstellte: Von Referenzen an die römische Mythologie ist da die Rede, (von denen ich keine einzige finden konnte); davon, dass Argento sich in seinem möglicherweise letzten Film an der genre-eigenen Misogynie, an Phänomenen wie Inceltum und toxischer Maskulinität abarbeiten würde; davon, dass OCCHIALI NERI einen feministischen Empowerment-Prozess beschreiben würde, bei dem eine Frau, die während der Laufzeit alles genommen bekommt, von der Würde über das Augenlicht hin zu ihrer Selbstbestimmtheit, letztlich siegreich ihren Kopf aus der Schlinge zieht.
Nach der Vorstellung spricht mich eine Zuschauerin auf mein Shirt an: Ein Print mit einer Raumfahrer-Katze, angeblich Juri Gagarin, heißt es. Sie fragt, ob das von diesem oder jenem Designer sein, und zeigt mir sein Instagram-Profil, und ich habe keine Ahnung, wovon sie redet, denn, nein, das hab ich im Second-Hand-Laden im Magniviertel geschossen, und sie ist nach wie vor entzückt: Ehrlich, dieses Shirt ist besser als der Film, den wir eben gesehen haben. Kann ich ein Photo davon machen?!
P.S.: Abbitte an Bux: Es lief wider Erwarten tatsächlich die deutsche Synchronfassung, (inklusive extrem furchtbarer Asia-Argento-Stimme!)
Wir sind zu fünft. Meine Mitbewohnerin lacht mehrmals laut auf, sagt anschließend, dass ihr die Worte fehlen. Der Gastgeber gluckst anfangs noch einige Male, irgendwann schnaubt er bloß noch oder murmelt: Das kann er doch nicht ernstmeinen!? Meine Freundin verhält sich meist still, schlägt sich gegen Ende aber mehrfach die Hände vors Gesicht oder schüttelt den Kopf. Zwei weitere Freunde sitzen zu weit weg, als dass ich ihre Reaktionen während des Screenings hätte beobachten können. Anschließend fragt mich der eine: Nun, Herr Doktor, jetzt erklären Sie mir doch mal, was an diesem Film so besonders gewesen ist, so für mich als Laie?, und der andere sagt: Leichte Kost, aber unterhaltsam, und: Ich hab das Gefühl, er wollte einfach noch mal einen Film drehen, und Spaß haben, und was dabei herauskommt, ist erstmal zweitrangig.
Anfangs versuche ich mich ja wirklich noch, auf OCCHIALI NERI einzulassen. Ich liebe die Prologsequenz, die ein ganz kleines bisschen an das Finale von Michelangelo Antonionis L’ECLISSE erinnert, (worauf ich nicht zuletzt komme, weil Argento mit PROFONDO ROSSO ja ein Quasi-Giallo-Remake von Antonionis BLOW UP gedreht hat): Die Kamera rauscht unter Baumwipfeln dahin; eine Sonnenfinsternis rollt über einen römischen Vorort hinweg; sterile, stringente Architektur; Menschen auf Balkonen und Wiesen, ihre Gesichter geschützt von speziellen Brillen; unsere Protagonistin, die Edelhure Diana, fährt mitten in dieses Ereignis hinein; sie scheint nicht mitbekommen zu haben, welches Naturphänomen sich am Himmel abzeichnet; ohne Sichtschutz, bloß ihre schwarze Sonnenbrille auf der Nase, stolpert sie zu den Schaulustigen und guckt ins Firmament; um sie herum murmeln die Menschen: Sonnenfinsternisse, die hätten in früheren Zeiten nie etwas Gutes bedeutet, Weltuntergang sogar; die Stimmung ist elegisch, melancholisch, trotzdem bedrohlich; der Soundtrack pulsiert erst verhalten, wird dann immer lauter. Allein diese Szene empfinde ich glorreicher als die letzten drei, vier eigenständigen Argento-Spielfilme zusammengenommen.
Dann der erste Mord: Eine Prostituierte; eine Cellosaite; Sergio Stivalettis Vorliebe für offene Halswunden, aus denen das Blut nur so fontänengleich sudelt. Ein Portier des Hotels, wo die Tote soeben einen Kunden besucht hat, meint, sich an irgendwas erinnern zu können, was mit dem Mord in Zusammenhang stehen könnte: Nur was? Eine typische Giallo-Trope, - die dann aber ebenso bald leer verpufft wie die symbolträchtig aufgeladene Verwendung ausgerechnet einer Cellosaite oder solche selbstbezüglichen Manierismen wie der Kameraschwenk über die Hotelfront hinweg, deren Architektur ein wenig an die hexenverseuchten Gebäude in INFERNO erinnert.
In OCCHIALI NERI geht es in der Folge indes filmisch und inhaltlich eher generisch zu: Erneut recycelt Argento seine eigene güldene Vergangenheit, wenn er zu seinen Protagonisten die blindgewordene Diana sowie einen chinesischen Waisenjungen wählt, der ihr als verblüffend strategisch handelnder Helfer zur Seite steht. Dieselbe Konstellation gab’s ja schon in IL GATTO A NOVE CODE, - nur dass dort die komplexe Aufklärung einer Mordserie im Fokus stand, und sich Argento in OCCHIALI NERI erst gar nicht damit abgibt, irgendein Mysterium um die Identität seines Prostituiertenschlächters zu stricken: Der Typ heißt Matteo, hat einen nicht näher motivierten Hass auf Frauen, sitzt in seiner Freizeit in irgendeinem Kabuff, um Alexandre Ajas MANIAC-Remake zu schauen und zu koksen, verdient sich seine Brötchen als Hundezüchter – und fühlt sich von Diana herausgefordert, erst weil sie ihn wegen seines Zwingergeruchs zurückstößt, dann, weil sie einen von seinem weißen Lieferwagen provozierten Unfall überlebt hat, (wenn auch ohne Augenlicht), und die er für die keine neunzig Minuten dauernde Laufzeit nunmehr (manchmal wortwörtlich) aus dem Verkehr zu ziehen versucht. An ihrer Seite: Der angeblich siebenjährige Chin, (tatsächlich ist der Bub doch mindestens neun oder zehn!), dessen Eltern bei besagtem Unfall starben, eine süße Blindenhündin und Asia Argento als Blindencoach. Ebenfalls an ihrer Seite: Endlos ausgewalzte Szenen, in denen durch die finstre Nacht gestolpert wird; befremdlichste Entscheidungen von völlig gegen die Ratio handelnde Figuren; völlig blutarme Tötungsszenen diverser Kollateralschäden-Charaktere, die dem Film, meiner Meinung nach, gut und gerne eine FSK 16 hätten einbringen können.
Eine These zu Argentos Spätwerk lautet, dass der Maestro seine neueren Filme bewusst gegen die Publikumserwartungen inszenieren würde: Jeder lechzt nach einem zweiten SUSPIRIA, einem zweiten TENEBRE, einem zweiten OPERA, wenigstens – und er dreht dröge TATORT-Folgen wie IL CARTAIO, verhebt sich an Klassikern der Gruselliteratur wie DRACULA, demontiert gar den eigenen (Mütter-)Mythos wie in MOTHER OF TEARS. Soll OCCHIALI NERI eine Parodie sein? Manche Szenen soufflieren mir das ganz stark: Die narrativ völlig unmotivierten, tatsächlich in gröbstem Maße unfreiwillig komischen Killerschlangen habe ich ja bereits erwähnt. Ich könnte aber auch noch die himmelschreiende Ermordung einer Polizistin erwähnen, eine Szene, in der Diana und Chin gemeinsam mit einem Gewehr ihren Verfolger über den Haufen zu schießen versuchen, oder die Art und Weise, wie der Killer schließlich seinen Endgegner findet, (und die Argento, einmal mehr, direkt aus SUSPIRIA zitiert, Stichwort: Kaiserplatz; diesmal sind drei, vier Einstellungen sogar eins zu eins kopiert worden.) Andererseits verwendet Argento unfassbar viel Zeit darauf, uns vorzuführen, wie schwer es für Diana ist, sich blind in ihrem Alltag zurechtzufinden; er vergisst darüber, die Beziehung zwischen Chin und Diana auszugestalten, für weite Strecken den Thriller-Plot; er konfrontiert uns mit einer durchaus traurigen Schlussszene – alles Ingredienzien, die dagegensprechen, dass OCCHIALI NERI im Kern ein elaborierter Scherz sein soll. Aber puh, diese Schlangen, im Ernst!
Eine weitere These zu Argentos Spätwerk lautet, - und zwar meist von Kostverächtern vorgetragen -, dass schon Argentos Meisterstreiche wie PHENOMENA, PROFONDO ROSSO, TENEBRE unter tausend Logiklöchern, unter sinnbefreit agierenden Figuren, unter miesen Drehbüchern litten, dass all diese Defizite jedoch der gespreizte Stil übertünchte, mit dem der Maestro sie uns kredenzte. Somit hätten wir in OCCHIALI NERI tatsächlich so etwas wie ein Gerippe: Die Zeiten von taumligen Kamerafahrten sind lange vorbei, die Zeiten von schrillen Primärfarben, die Zeiten unterkühlter Bauhaus-Ästhetik oder schauerromantischer Schweizgebirge. Was bleibt: Löchrige Logik und verwirrte Figuren und Storys, bei denen man fortwährend fragen kann: Was will uns der Künstler damit sagen? Auch wenn ich diese These schon allein deshalb nicht teile, weil ich es kaum machbar finde, den Stil von der Substanz zu trennen – wo fängt das eine an?, wo hört das andere auf?, ist das Licht in SUSPIRIA, sind die Berge in PHENOMENA, sind die kühlen Räume in TENEBRE nicht Teil der Substanz? -, kommt mir OCCHIALI NERI wirklich wie ein Gerippe vor: Ein Film, aufs Basalste runtergebrochen. Ein Kammerspiel, eigentlich. Ein traumtänzerischer Beginn - und dann ein langes, ernüchterndes Erwachen mit dem einen, oder anderen Moment, bei dem sich mir die Bauchmuskeln verkrampfen, (Killerschlangen!)
Immerhin, die vergleichsweise häufigen positiven, wenn nicht gar euphorischen Kritiken im Netz sprechen dafür, dass es durchaus Leute gibt, für die OCCHIALI NERI so etwas wie eine Offenbarung darstellte: Von Referenzen an die römische Mythologie ist da die Rede, (von denen ich keine einzige finden konnte); davon, dass Argento sich in seinem möglicherweise letzten Film an der genre-eigenen Misogynie, an Phänomenen wie Inceltum und toxischer Maskulinität abarbeiten würde; davon, dass OCCHIALI NERI einen feministischen Empowerment-Prozess beschreiben würde, bei dem eine Frau, die während der Laufzeit alles genommen bekommt, von der Würde über das Augenlicht hin zu ihrer Selbstbestimmtheit, letztlich siegreich ihren Kopf aus der Schlinge zieht.
Nach der Vorstellung spricht mich eine Zuschauerin auf mein Shirt an: Ein Print mit einer Raumfahrer-Katze, angeblich Juri Gagarin, heißt es. Sie fragt, ob das von diesem oder jenem Designer sein, und zeigt mir sein Instagram-Profil, und ich habe keine Ahnung, wovon sie redet, denn, nein, das hab ich im Second-Hand-Laden im Magniviertel geschossen, und sie ist nach wie vor entzückt: Ehrlich, dieses Shirt ist besser als der Film, den wir eben gesehen haben. Kann ich ein Photo davon machen?!
P.S.: Abbitte an Bux: Es lief wider Erwarten tatsächlich die deutsche Synchronfassung, (inklusive extrem furchtbarer Asia-Argento-Stimme!)