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buxtebrawler hat geschrieben:Denn wer kann schon von sich behaupten, jemals an einem der sieben Tore zur Hölle gewesen zu sein und über dessen Naturgesetze Bescheid zu wissen...?
Ich!
GELÖSCHT, anscheinend hat da jemand editiert
Ich denke Ugo, was du meinst, nennt sich die Arge. Aber der Vergleich ist durchaus richtig, nur Bescheid weiß da niemand
Zuletzt geändert von dr. freudstein am Di 1. Apr 2014, 20:24, insgesamt 1-mal geändert.
buxtebrawler hat geschrieben:Denn wer kann schon von sich behaupten, jemals an einem der sieben Tore zur Hölle gewesen zu sein und über dessen Naturgesetze Bescheid zu wissen...?
Ich!
Meintest du Untersetzte?
Ich denke Ugo, was du meinst, nennt sich die Arge.
Nö.
The more I see
The less I know
About all the things I thought were wrong or right
& carved in stone
Ich muss nun doch noch einmal betonen wie sinnig ich es finde, dass für das diesjährige Forentreffen ausgerechnet Fulcis THE BEYOND sowie Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST ausgewählt worden sind, ergänzen sich beide Filme doch, wie ich meine, so sehr sie sich wiederum auch widersprechen, in kongenialer Weise.
Maurice Blanchot schreibt über LES CHANTS DE MALDOROR, jenes Ende der 1860er Jahre von dem blutjungen Dichter Isidore Ducasse unter dem Pseudonym Lautréamont verfasste literarische Werk reinster, selbst heute zarte Gemüter wohl noch zutiefst erschütternder Subversion: „Es gibt ernsthafte Gründe, in den GESÄNGEN DES MALDOROR einen Roman zu sehen, dessen Hauptthema seine Schöpfung als Roman selbst ist.“ Blanchot argumentiert, dass erst der letzte der insgesamt sechs Prosagesänge so etwas wie eine ansatzweise nachvollziehbare, nacherzählbare Story enthält, während Ducasse auf all den Seiten zuvor mehr oder minder formlos Scheußlichkeiten, die der titelgebende kinderfressende Dämon Maldoror begeht, ausschweifende Metaphern aus dem Bereich der eher obskuren Tierwelt, der Medizin und der Naturwissenschaften und kaum zuordenbare Deklamationen, beispielweise ein Loblied auf den Ozean oder fortwährende Äußerungen wie verkommen und sinnlos Welt und Mensch doch seien, aneinanderreiht. Dieses wahlweise poetische oder pornographische Gewitter an Grenzüberschreitungen bewertet Blanchot quasi rückwärts, von der im Finale des Texts plötzlich sich zusammensetzenden, nicht nur latent homoerotischen Verführungsgeschichte her, indem er Roman und Dichter unterstellt, bis dahin in einem steten Selbstfindungsprozess gesteckt zu haben. Da flattern Assoziationen, Metaphern, Versatzstücke aller Art wie in einem Sturmwind umher, sich stetig suchend und nacheinander tastend, um dann, zuletzt, doch noch in so etwas wie Kohärenz zu münden: ein Eindruck, den ich für THE BEYOND, zumindest, was meine Person betrifft, sofort unterschreiben würde. Fulcis Film ist so sehr auf seine letzten Minuten hin inszeniert, dass diese den Film zwangsläufig von Grund auf umwälzen. Zuvor herrscht relatives Chaos. Genre-Fetzen tapsen als maulende Zombies umher ohne ein rechtes Ganzes zu ergeben, Plotpoints werden, nachdem sie lange aufgebauscht wurden, unvermittelt fallengelassen, als seien sie vergessen worden, die Protagonisten benehmen sich auf eine Weise, die dem gesunden Menschenverstand widerspricht, hinzukommen natürlich noch die ästhetischen Irritationseffekten wie in einer meiner liebsten Szene, als Emily mit ihrem Blindenhund mehrmals in Zeitlupe das Spukhotel hinauseilen darf, ein unmotivierter Effekt, der einfach so im Raum zu stehen scheint und nichts verspricht, nichts einlöst.
Ein merkwürdiges Lallen scheint die Bilder von THE BEYOND hervorzubringen, dem es eher um das Artikulieren bestimmter Laute und nicht bestimmter Sätze mit bestimmten Sinninhalten ankommt. Das ist eben dann auch der grundlegende Unterschied zwischen Fulci in seiner Horror-Phase und den ihn ja offensichtlich beeinflusst habenden Werken Dario Argentos. Argentos Filme mögen irritieren und surreal, hypnotisch wirken, dennoch beweist dieser Regisseur fortwährend, dass er beispielweise SUSPIRIA oder INFERNO nicht im Vollrausch oder in sonstigen Delirien gedreht haben kann, allein dadurch, dass er unablässig auf Kunst und Kultur vergangener Zeiten verweist, literarische Anspielungen in den Topf wirft – so beruhen oben genannte beiden Filme auf einer Vorlage von Thomas de Quincey -, Werke der Bildenden Kunst zitiert – man denke an das regelrechte Neuinszenieren eines Gemäldes von Edward Hopper in PROFONDO ROSSO oder die Escher-Architektur der in einer Escher-Straße liegenden Ballettschule, die den Schauplatz von SUSPIRIA bildet. Argento sind, wie Fulci bei THE BEYOND, Bilder wichtiger als ein konkreter, durch diese transportierter Inhalt, dennoch stehen seine Bilder nicht im luftleeren Raum, sondern sind durch Blumengirlanden und Mädcheneingeweideschlingen mit einer verehrten Vergangenheit verbunden, die automatisch unser kulturelles Bildgedächtnis stimuliert. THE BEYOND indes kommt ohne solche offensichtlichen Verweise aus. Er hat mehr etwas von einer Pflanze, die wild und unbeschnitten in die Höhe wuchert, völlig frei, völlig assoziativ, und selbst ihr Stängel, der Wurzeln und Äste zusammenhält, ist da nicht mehr als ein Stängel, das heißt: reiner Selbstzweck. So wie, um darauf zurückkommen, in Lautreámonts Dichtung auf einen Bilder einstürzen wie hysterische Furien, denen man ausgeliefert ist, als würde man mit einer Überdosis Opium auf dem Boden herumliegen, hat Fulcis THE BEYOND keinen inneren Filter, der irgendwie selektiert oder steuert, was da aufeinanderfolgt. Niemand, der diesen Film zum ersten Mal sieht, und das ist vielleicht seine größte Qualität, wird voraussehen können, was in der nächsten Szene auf ihn wartet.
Das Finale dann stiftet Sinn, obwohl da eigentlich gar kein Sinn ist, der gestiftet werden kann. Man könnte sagen: THE BEYOND tut am Ende so, als sei diese Auflösung, der Eintritt unserer Helden in eine unterweltliche Paralleldimension, die einzig logische. Im Grunde ist sie das auch. Wie hätte Fulci seinen sowieso schon völlig wahnsinnigen Bilderbogen noch steigern und zugleich zu einem befriedigenden Abschluss bringen können? Das Finale stiftet Sinn, weil es noch weiter weg von irgendeinem Sinn in dem Sinne ist als der gesamte, schon reichlich sinnlose, dafür aber umso sinnlichere Restfilm. Wie viel Sinn vermag eine Sinnlichkeit zu ertragen? Am besten gar keinen, damit sie Rücken und Schultern für Liebkosungen freihat. Somit legitimiert Fulci seinen Wahn, indem er komplett unter ihm einknickt. Auf den ganzen religiösen Subtext bin ich ja schon eingegangen: erst eine Kreuzigung, dann der Mensch hin und her gerissen zwischen Vernunft und Phantasie, schließlich die Apokalypse. Das Jüngste Gericht ist das letzte Gericht, das uns vorgesetzt werden wird. Somit kann THE BEYOND sowieso keinen Schritt mehr weiter. Um mit Godard zu sprechen: Ende des Films, Ende der Menschheit. Es bleibt dabei: Es gibt ernsthafte Gründe, in THE BEYOND einen Film zu sehen, dessen Hauptthema seine Schöpfung als Film selbst ist.
CANNIBAL HOLOCAUST demgegenüber, um das noch kurz anzuführen, ist der exakte Antipode einer solchen Machart. Deodato legt uns eine Sammlung von einzelnen, in sich abgeschlossenen Filmen vor: die Dokumentationen des Yates-Teams, das found-footage-Material der letzten Expedition des Yates-Teams, Professor Monroe als Held eines eigenen typischen Kannibalenstreifens, der nach festgelegten Genreregeln spielt usw. Der Witz ist hier, dass Deodatos Film mit Namen CANNIBAL HOLOCAUST zwar einerseits von Anfang bis Ende aus Material besteht, das für sich spricht und über eindeutige Grenzen verfügt, das heißt: technisch gesehen eine Collage darstellt, und andererseits von einer übergroßen Metaebene her dieses Material konsequent und permanent kommentiert, auswertet, bis zu der Grenze beleuchtet, wo Realität und Fiktion verwischen und der Zuschauer sich plötzlich selbst im innerfilmischen Diskurs wiederfindet und sich erschreckt mit der Frage an die Stirn fasst: weshalb habe ich mir überhaupt einen Film mit einem solchen reißerischen Titel ins Haus geholt? THE BEYOND ist damit ein Film, der immer stärker ins Un(ter)bewusste abdriftet, sodass er am Ende, trotz aller Sinnlosigkeit, doch noch schlüssig wirkt, CANNIBAL HOLOCAUST ist ein Film von so wachem Bewusstsein, dass er einem Bauchschmerzen bereiten kann, weil er weder sich selbst noch mich, der ich ihn mir anschaue, um mich an Menschenfresserei und Tiertod zu ergötzen, aus seiner Kritik ausnimmt.
@Salvatore
Sehr unterhaltsame und informative, sowie anregende Ausführungen Salvatore. Wie immer!
"The Beyond" als Selbstzitat.
Anregung: Wäre sicher eine tolle Sache "The Beyond" auf dem Forentreffen mit einer
fundierten Einleitung von Dir zu genießen!
Zuletzt geändert von sergio petroni am Fr 23. Mai 2014, 21:48, insgesamt 1-mal geändert.
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
buxtebrawler hat geschrieben:@Salvatore: Wie üblich ein klasse Text, zudem ein interessanter Vergleich!
sergio petroni hat geschrieben:@Salvatore
Sehr unterhaltsame und informative, sowie anregende Ausführungen Salvatore. Wie immer!
"The Beyond" als Selbstzitat.
Anregung: Wäre sicher eine tolle Sache "The Beyond" auf dem Forentreffen mit einer
fundierten Einleitung von Dir zu genießen!
Danke euch! Aber die Einführung würde ich nur im mittelalterlichen Lochgefängnis halten wollen, und zwar angekettet am kalt-feuchten Gemäuer... :