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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 29. Mai 2025, 05:48
von Maulwurf
Black Emanuelle – Alle Lüste dieser Welt (Joe D’Amato, 1977) 5/10

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War der erste BLACK EMANUELLE-Film mit Laura Gemser noch in erster Linie der Softerotik verpflichtet, kamen bereits im zweiten Teil zunehmend düstere Untertöne hinzu. Im dritten Teil der Serie, STUNDEN WILDER LUST oder auch EMANUELLE IN AMERIKA, übernahm das Dunkle und Brutale bereits die Oberhand über die Handlung, es gab aber auch jeden Fall noch eine erkleckliche Menge an erotischen Momenten, die sich mit der Gewaltdarstellung so in etwa die Waage hielten, und damit für einen wahrlich verstörenden Film sorgen konnten.

Im vierten Teil nun, ALLE LÜSTE DIESER WELT, wird ausgerechnet bei einem BLACK EMANUELLE-Film die Erotik in den Hintergrund gedrängt. Emanuelle jettet in zunehmend hektischerem Tempo um die Welt, und kommt dabei einem international agierenden Mädchenhändlerring auf die Spur. Von San Francisco geht es nach New York, nach Indien, Rom, Hongkong, Macao und Teheran, bis am Ende die Spur nach Washington führt. Wer EMANUELLE IN AMERIKA bereits kennt, der kennt dann dummerweise auch diese „Überraschung“. Dabei hoppelt Laura Gemser dieses Mal mitnichten durch alle verfügbaren Betten, vielmehr engagiert sie sich mit vollem Einsatz (und das ist nicht ironisch gemeint) bei der Recherche zu den Gangstern, und bringt sich dabei mehr als einmal in echte Lebensgefahr. Ihrer Freundin und Kollegin Cora Newman (Karin Schubert) wird übelst mitgespielt, sie selber muss grausame Misshandlungen junger Mädchen mitansehen, und wird am Ende ebenfalls vergewaltigt und gedemütigt. Nein, mit Erotik hat dieser Film nur noch am Rande zu tun, außer man ist de Sade-Fan. Aber gerade die, in der deutschen Version geschnittenen, Szenen mit den Tieren und den Mädchen sind auch heute noch ganz hartes Kaliber, und lassen den Zuschauer tatsächlich ziemlich konsterniert zurück.

Gleichzeitig wird die Demontage des Leitbildes Mann sehr ernsthaft vorangetrieben: Emanuelle und ein ganz jungscher Typ stecken in einem engen Schrank, beobachten zwei reife Frauen beim Liebesspiel, und Emanuelle nimmt sich von dem Halbwüchsigen das was sie will, nicht so wie er sich das eigentlich vorgestellt hat. Auch ein wundervoller Moment: George Eastman als Liebesguru in Indien: Mehr als zwei Meter braune Haut, massiger und gutaussehender Körper, volle Haare, Kajal an den Augen, (sexuelles) Selbstbewusstsein bis zum Platzen – Und ein vorzeitiger Samenerguss …

Überhaupt sind bis auf zwei alle Männer zumindest Schlappschwänze, auf jeden Fall aber richtig miese Schweine, die ihre Stellung in der Welt nur darauf begründen, dass sie Frauen Schmerzen zufügen. Eine Aussage, die sich durch den gesamten Film zieht, und mit den sehr starken Frauenfiguren Emanuelle und Cora Newman auf das Schärfste kontrastiert. Regisseur Joe D’Amato hat selber eine kleine Rolle als Handlanger der Mädchenhändler, und macht hier als Charakter ebenfalls keine gute Figur (als Schauspieler aber durchaus!). Im Vorgängerfolgefilm war diese Aussage bereits ausformuliert, und auch dort gab es diese bestimmte Ausnahme - In ALLE LÜSTE DIESER WELT sind es der UNO-Sonderbeauftragte Jeff Davis und sein Leibwächter, die als Alibi gerade noch ein gutes Haar an der Männerwelt lassen. Bezeichnenderweise bleiben beide Figuren immer hochgeschlossen, ziehen sich nie aus, und denken vielleicht an Sex, haben ihn aber nie. Was unter Umständen die Frage aufwerfen könnte nach dem feministischen Gedankengut des Onkel Joe. Unter Berücksichtigung seines filmischen Spätwerkes …

Prinzipiell bewegt sich ALLE LÜSTE DIESER WELT eigentlich eher in Richtung eines Thrillers, allerdings mit einer nur relativ rudimentären Kriminalhandlung, dafür aber mit schönen Bildern der Großstädte dieser Welt sowie einigen wenigen sexuell aufgeladenen Szenen. Mein persönlicher Favorit ist der Moment, wo Laura Gemser und Karin Schubert sich erst gegenseitig einseifen, um dann dem Emir von Teheran ihren Dank zu bezeugen. Aber wie gesagt sind diese Momente deutlich in der Minderzahl, was dann zu einem sehr zwiespältigen Eindruck führt: Als Krimi nur bedingt funktionierend und als Erotikfilm gar nicht, stellt sich die Frage, wo der Film denn eigentlich hin möchte? EMANUELLE IN AMERIKA positioniert sich in beiden Punkten viel stärker, und hat auch eine entsprechend stärkere Wirkung. Aber ALLE LÜSTE DIESER WELT ist leider etwas sehr unentschieden und weiß offensichtlich nicht so recht was er will, was dann am Ende zu einem gewissen unbefriedigenden Gefühl führt. Schade, der schwächste Teil dieser Reihe.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: So 1. Jun 2025, 06:02
von Maulwurf
Gasparone (Georg Jacoby, 1937) 6/10

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Im Staate Olivia geht der Räuberhauptmann Gasparone um – Keiner hat ihn gesehen, alle fürchten ihn, und doch ist er nur ein Phantom. Allerdings ein sympathisches, denn das Volk liebt Gasparone, und auf der Bühne tanzt der erfolgreiche Revuestar Ita wie ein Wirbelwind als Gasparone und veräppelt die Obrigkeit. Diese ist in Gestalt des Polizeipräfekten Nasoni ebenfalls im Theater, allerdings vor allem deswegen, um seinen Sohn Sindulfo zu bewachen. Der nämlich soll mit der Witwe Carlotta Ambrat anbandeln, da Nasoni dringend Geld braucht, und auf die Erbschaft der Witwe spekuliert. Sindulfo aber liebt Ita, und Ita liebt Sindulfo. Doch dieser traut sich nicht, seinem Vater zu gestehen, dass er Carlotta ganz schrecklich findet. Und Carlotta Sindulfo wiederum genauso schrecklich ...
Aber da taucht ein geheimnisvoller Fremder auf, der das Herz von Carlotta sofort erobert. Der den Theaterbesitzer Massacci, der nebenbei einen schwungvollen Kaffeeschmuggel betreibt und obendrein der Onkel von Ita ist, dazu bringt, ihm seine Geheimnisse zu verraten. Und der sich vornimmt, Sindulfo und Ita zusammen zu bringen. Und selber die Gräfin zu ehelichen. Wer oder was der Fremde, der sich Erminio Bondo nennt, aber wirklich ist, das weiß keiner. Vielleicht ein Polizist? Oder gar … Gasparone?

Zu der Inhaltsangabe kann ich nichts! GASPARONE basiert auf der erfolgreichen gleichnamigen Operette von Carl Millöcker, und 1884 waren solche Geschichten halt in. Aber der Film hat schließlich auch ganz andere Qualitäten als ausgerechnet die Storyline. Denn GASPARONE ist tatsächlich ein klassischer Revuefilm. Das nämlich konnten die Deutschen in den 30er-Jahren mindestens genauso gut wie die Amerikaner, die dieses Genre ab Ende der 20er zu riesigen Erfolgen geführt haben. Marika Rökk hat extra für diesen Film innerhalb weniger Wochen steppen gelernt (und zwar nach der Sichtung Eleanor Powells in BROADWAY MELODY), und fegt mit ihrem Tanz als Gasparone alles beiseite was bis dahin gutbürgerlich und lahmarschig über die Bühne schlurchte. Marika Rökk bringt tatsächlich einen völlig neuen Wind auf die Bühne, und verweist mit ihrem Charme und ihrem Können die US-amerikanische Konkurrenz mühelos auf die Plätze. Eine Ginger Rogers etwa kann jedenfalls der Rökk meines Erachtens nicht das Wasser reichen. Man schaue sich nur einmal an, was die Frau tanzt, um die Bekanntgabe der Verlobung zwischen Sindulfo und Carlotta zu verhindern. Entsprechend wurde der Film für sie auch zum großen Durchbruch und das Dreamteam Rökk und Heesters war geboren.
Der sympathische und schlitzohrig wirkende Johannes Heesters, der zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland hier ebenfalls den ganz großen Auftritt hat, kokettiert, flirtet, lacht, schmunzelt, und er wirkt dabei ungemein natürlich und großherzig. Heesters gehört dieser Film, Heesters ist hier, neben der Rökk, der große Star, und man muss Heesters nach diesem Film einfach großartig finden. Kein Vergleich mit dem altgewordenen und -backenen Charmeur vergangener Fernsehtage, hier kann man sehen, warum Heesters jahrzehntelang eine so große Nummer war.

Doch Obacht, es ist nicht alles Gold was glänzt. Wir reden hier von einer Operettenverfilmung - Entsprechend ertönt praktisch ununterbrochen Musik, und es wird auch alle Naslang gesungen. Selbst bei einfachsten Dialogen fangen die Darsteller an zu singen, meistens im Duett, und verdammt nochmal, so leid es mir tut: Einige dieser Melodien sind echte Ohrwürmer! Der Film entlässt das Publikum mit der Originalmusik des Gassenhauers „Mutter der Mann mit dem Koks ist da“, und diese Musik vergisst man nicht mehr so schnell. Aber ein Draht zu dieser Art Unterhaltung sollte natürlich schon vorhanden sein …

Also: Großartige Darsteller, umwerfende Tanznummern, viele wirklich komische Situationen, mitreißende Musik … Kann da noch was schief gehen? Ich gebe gerne zu, dass das extrem hohe Tempo des Films an der ein oder anderen Stelle auf die Nerven geht, aber im Großen und Ganzen ist GASPARONE ein wundervoller Revuefilm, der neben den Filmen eines Busby Berkeley völlig problemlos bestehen kann.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mi 4. Jun 2025, 04:36
von Maulwurf
Das Loch in der Tür (Michael Winner, 1971) 6/10

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England, 1901: Die Eltern von Miles von Flora sterben bei einem Autounfall. Die halbwüchsigen Kinder sind nun auf sich allein gestellt. Ist das so? Nicht ganz, denn die beiden leben auf einem Herrensitz, der Vormund hat sich aus der Verantwortung gestohlen, und für die Erziehung ist jetzt die Hauslehrerin Miss Jessel zuständig. Des weiteren im Haus: Die Wirtschafterin Miss Grose, die mehr oder weniger für Sauberkeit, Recht und Anstand da ist. Was auch notwendig ist, denn da gibt es noch Peter Quint – Gärtner, Diener, Faktotum, Säufer, und gewalttätiger Liebhaber von Miss Jessel. Die Kinder lieben Quint, sie lieben ihn so sehr, dass sie seine Geschichten für bare Münze nehmen, im Gegensatz zu den Lehrstunden von Miss Jessel. Sie lieben ihn so sehr, dass sie sein Verhalten nachahmen. Auch dann, wenn er Miss Jessel mit SM-Praktiken zum Höhepunkt bringt. Und sie lieben ihn so sehr, dass sie die dahingeschluderten Worte, die er an seine jugendlichen Freunde einfach so dahinsagt, dass sie diese Worte als Realität ansehen. Oder sie zur Realität machen.

So unschuldig sehen sie aus, so wohlerzogen geben sie sich, und in Wahrheit stecken hinter den liebreizenden „Kindern“ Dämonen. Ungestalten, die gerne Tiere foltern, und nach und nach die Lust, Schmerzen zuzufügen, auch auf Menschen ausweiten. Was im Einzelnen geschieht möchte ich nicht spoilern, damit sich beim Anschauen des Films die Ungläubigkeit ihren gebührenden Raum holen kann. Aber letzten Endes läuft es auf die Erkenntnis hinaus, zu was sich Kinder mit falschen Vorbildern auswachsen können.

DAS LOCH IN DER TÜR erzeugt dabei ein permanentes Unwohlsein. Das Gefühl, am liebsten abschalten zu möchten, setzt sich über große Teile des Films hinweg, und das liegt dabei nicht nur an den Kindern. Neben der zögernd-altjüngferlichen Miss Grose, einer Mischung aus Miss Bridges aus DAS HAUS AM EATON PLACE und Inge Meysel, sowie Miss Jessel, die als Sympathiefigur und Freundin des Zuschauers eingeführt wird, ist die Hauptfigur und gleichzeitiger Antagonist Peter Quint. Ein biederer Bediensteter, der nach oben buckelt und dienert, nach untern aber kratzbürstig und widerwärtig ist. Die Kinder liebt er, ohne Zweifel, wenn auch auf seine eigene und spezielle Art. Er zeigt ihnen wie man Frösche zu Tode quälen kann, er spielt mit ihnen Verstecken, und er ist der einzige Mensch der ihnen sagt, dass die Eltern tot sind. Und noch einen Menschen liebt Peter Quint (außer sich selbst), nämlich Miss Jessel, wobei diese Liebe viel mit Fesselung und Schlägen zu tun hat. Eine durchaus toxisch orientierte Art der Liebe, die sich im Laufe des Filmes ausgesprochen verhängnisvoll auswirken wird, denn auch in einem fast verlassenen Herrenhaus ist niemand jemals wirklich alleine. Nicht nur unter den Menschen ist die Atmosphäre also frostig und distanziert, auch die Natur ist abweisend und kalt. Es ist die Zeit zwischen Winter und Frühjahr, es gibt keine blühende Sträucher oder gar Blumen, die Natur ist kahl und verstärkt so dieses Gefühl der Einsamkeit. Wie wohltuend können doch da warme Worte oder freundliche Gefühle sein. Auch und gerade, wenn sie von einem Mann wie Peter Quint kommen.

Peter Quint also. Ein Ausbund an Solidität und Zuverlässigkeit, zumindest wenn es um seine eigenen Anliegen geht und darum, die Kinder sinnvoll zu beschäftigen. Der einzige der weiß, dass Kinder nicht nur zu lernen lernen lernen haben, sondern auch mal spielen müssen. Der mit ihnen einen Drachen steigen lässt und Voodoopuppen mit dem Gesicht von Miss Grose bastelt. Kein wirklich angenehmer Zeitgenosse, aber für ein Kind etwa kurz vor oder in der Pubertät natürlich ein großartiges Vorbild. Und wenn Peter Quint Miss Jessel fesselt und schlägt, und Miles dabei heimlich durch das namengebende Loch in der Tür zuschaut, dann spielen Miles und Flora anschließend eben auch „ekstatische Liebesbeziehung“. So einfach ist das. Und wenn Peter Quint sagt, dass es nur dann Liebe ist wenn es wehtut, dann hat es eben wehzutun …

DAS LOCH IN DER TÜR ist kein Horrorfilm, auch wenn die literarische Vorlage The turn of the screw von Henry James klassische englische Schauerromantik darstellt. Vielmehr bedient sich Regisseur Michael Winner bei den Personen des Romans und stellt diese, bei identischer Umgebung, in eine völlig eigene Geschichte, einer Art Prequel der James’schen Geschichte. Denn die Figuren, die bei James nur narrativ benannt werden, sind hier aus Fleisch und Blut (im wahrsten Sinne) zu bewundern. Gleichzeitig ist DAS LOCH IN DER TÜR aber auch eine Art Coming-of-Age-Geschichte, verbunden mit juveniler Gewalt und einem Liebesdrama mit sexuellen Untertönen. Mehr als einmal erwartet man, dass sich Peter Quint an Flora vergeht, und die entsprechend angedeutete Zuneigung Quints zu dem Mädchen könnte eine Erklärung sein für seine völlige Zügellosigkeit bei Miss Jessel. Möglicherweise sind dies aber auch nur die zwei Seiten einer Medaille: Hier die fast zärtliche Liebe zu den Kindern, dort die Brutalität in etwas, was mit dem Begriff „Liebesspiel“ nicht mehr viel zu tun hat. Dabei gehören Peter Quint paradoxerweise ganz klar unsere Sympathien, ist er derjenige, dem wir viel Glück im Leben wünschen möchten. Ja, er ist ungebildet. Und ja, seine Ansichten über Liebe und Hass (die seiner Meinung nach das gleiche sind) sowie zu Leben und Tod (was dann entsprechend ebenfalls korreliert) sind sehr eigen und eben die Ansichten eines ungebildeten Menschen. Aber er ist dem Zuschauer nah, und wenn er seine wilden Theorien über das Leben vor den Kindern ausbreitet, möchten wir ihm am liebsten zurufen was er da für einen Scheiß macht, wie sehr er die Kinder in ihrer eigenen unverbildeten Meinung beeinflusst und zu etwas macht, was er anschließend nicht mehr kontrollieren kann. Peter Quint rennt so in die Grube die er sich selber geschaffen hat, gegraben haben die Grube aber seine geliebten Kinder.

DAS LOCH IN DER TÜR ist ein Psychogramm, ein Kammerspiel über die gegenseitige Beeinflussung von Menschen in einem fast von der Außenwelt abgeschlossenen Universum. Aber vor allem auch über Vorbilder und Nachahmer. Ein ungemütlicher und kratziger Film, der in vielerlei Hinsicht erst nach der Sichtung so richtig wirkt, wenn die Bilder langsam in das Gehirn einsickern. Und vor allem diejenigen Bilder, die nicht zu sehen waren. Die Kopfbilder …

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Sa 7. Jun 2025, 05:47
von Maulwurf
Rattennest (Robert Aldrich, 1955) 8/10

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Eines Nachts steht plötzlich mitten in der Wüste eine Frau vor dem Kühler von Mike Hammers Auto. Eine völlig desolate Blondine, barfuß und in einen Trenchcoat gekleidet. Sie bittet darum, mitgenommen zu werden. Doch kurz bevor Hammer die Dame an einer Bushaltestelle abladen kann wird er überfallen und K.O. geschlagen, und als er im Krankenhaus wieder aufwacht erfährt er, dass die Blondine tot ist, sein Auto Schrott, und er unheimliches Glück hat, dass er überhaupt noch lebt. Mike Hammer möchte wissen was dahinter steckt, denn er wittert Geld. Viel Geld. Und je tiefer er bohrt, desto klarer wird, dass nicht nur die Geldmenge, sondern vor allem das Geheimnis hinter diesem Fall jede vorstellbare Dimension sprengt. Dass so viel mehr dahintersteckt, dass ein Menschenleben nicht einmal mehr ein Fingerschnipsen wert ist.

Wie in so vielen großartigen Noirs, hat auch RATTENNEST drei herausragende Darsteller.

Die Stadt.
Die Stadt ist anonym, es könnte jede Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika sein. Es geht auch nicht um die Stadt als solche, besteht sie doch wie New York oder Los Angeles oder Gotham City aus dunklen Ecken, aus einsamen Gassen, aus herabgekommenen Häusern und aus Geheimnissen. Aus was Städte eben so bestehen. Der Verkehr ist im Hintergrund immer allgegenwärtig, die städtische Gesellschaft ist nie weit weg, und dabei doch immer so unendlich weit entfernt. Wenn Lil Carver aus ihrer Unterkunft zu Hammer flüchtet muss sie eine endlos erscheinende Treppe hinabrennen. Fort aus ihrem sicher erscheinenden Wolkenkuckucksheim, hinunter in die Niederungen des Alltags, der Gewalt und des Verbrechens. Alltagsmenschen sind dabei kaum einmal zu sehen. Auftragsmörder, ja, die hat es überall, daneben auch Polizisten und ein klein wenig medizinische Versorgung. Aber sonst sind da nur noch die unteren Schichten einer Gesellschaft: Tankwarte, Popcornverkäufer, Automechaniker. Ein Fernfahrer taucht kurz auf, genauso wie ein gestrandeter Opernsänger, aber ein richtiger Mittelstand existiert hier nicht. Wie in Gotham City …

Die Männer.
Die Männer sind hart. Knallhart. Gefühle sind nicht zugelassen, weder Liebe noch Hass existieren. Das Töten ist ihr Geschäft, und Frauen, die sich ihnen anbieten, werden entweder ignoriert oder benutzt. Ansonsten ist das Geldverdienen das Einzige was zählt. Dies, und die Aufklärung eines Kriminalfalles. Die Hauptfigur, der Hardboiled-Detektiv Mike Hammer, ist mit stolz geschwellter Brust ein Prachtexemplar eines Mann-Mannes. Überheblich, ausbeuterisch, arrogant, sich in seiner eigenen toxischen Männlichkeit suhlend. Bietet sich ihm eine Frau an dann nimmt er sie, gleich ob das seine Freundin ist oder eine Fremde. Freunde müssen ihm einen Gefallen nach dem anderen tun, und erst sehr spät, zu spät, merkt Hammer, was er mit seiner grandiosen Männlichkeit anrichtet. Seine Freunde sterben, seine Freundinnen opfern sich bedingungslos für ihn auf, und sein eigenes Leben ist nicht einem Pfifferling mehr wert, weil er die Tragweite dieses Falls mit seinem Spatzenhirn völlig unterschätzt hat. Wie jeder gute Kriminelle weigert Hammer sich, mit seinem einzigen wahren Freund, dem Polizeilieutenant Murphy zu reden. Nein, er will diesen Fall alleine lösen, will die vermutete Kohle alleine einstreichen. Ein verhängnisvoller Fehler, und die Reue über diesen Fehler kommt erst sehr spät. Zu spät?

Neben dem toxischen Mike und dem aufrechten(?) Murphy sind die Gescheiterten dieses Lebens zu begutachten. Dem Automechaniker Nick, der für Mike einfach absolut alles tut weil er Aufopferung mit Freundschaft verwechselt, geht es noch gut in seiner selbstgewählten Existenz. Aber der von den Gangstern gejagte und hilflose Journalist Diker, der am Rande der Gesellschaft vegetierende „Opernsänger“ Trivago oder der Freund des Freundes, der dicklich-kindliche Autoschrauber Sammy, sie alle eint ein zwar ehrliches, dafür aber freudloses Leben in der unteren Hälfte der Gesellschaft. Die anderen, diejenigen die das Sagen haben, das sind die Gangster wie Carl Evello, oder deren Handlanger wie Charlie Max und Sugar Smallhouse. Die die stahlharten Fäusten haben, die großen Knarren, und dafür kein bisschen Gewissen. Die ohne mit der Wimper zu zucken töten, weil sie dafür bezahlt werden. Sie beherrschen Gotham City, und Mike Hammer, der so gerne Batman wäre, in Wirklichkeit aber eher Robin ist, kann ihnen kaum etwas entgegensetzen. Die Welt dieser Männer ist knüppelhart und erbarmungslos. Gewalt. Und Sex …

Die Frauen.
Im Jahre 1955 war die Filmwelt in vielerlei Hinsicht noch sauber und ordentlich. Frauen trugen durchaus einmal schulterfrei oder zeigten viel Rücken, sie durften bereits verführerisch wirken und mit schmachtenden Augen von Liebe (sic!) zumindest reden. In RATTENNEST ist diese verlogene Hollywood-Kitsch-Hays-Code-Welt vorbei, mit einem Schuss aus einem 38er niedergestreckt. Hier sind die Frauen erotisch aufgeheizt, sie sind verschwitzt, und sie wollen Sex. Sowohl eine Christina wie auch eine Lil Carver sind fast ausschließlich barfuß zu sehen, was auf eine ständige Bereitschaft hindeutet. Lil Carver hat in ihren Szenen meistens etwas an was einem Bademantel ähnelt, und die Ahnung zulässt, dass sie darunter nackt ist. Lil Carver wirft sich Hammer an den Hals, herunter an die Brust, sie himmelt ihn an, sie will ihn, und ihre Augen sagen „Nimm mich“. Lil Carver will Liebe, sie will die ganz große Umarmung, und sie ist auch diejenige, die am Ende des Films den tödlichen Kuss vom Objekt ihrer Begierde empfangen wird. Eine Frau die für die Liebe brennt …
Ganz anders Hammers Sekretärin und halbgare Freundin Velda, die, wenn Mike sie besucht, in hautenger Kleidung und komplett verschwitzt Ballettübungen macht, und während des Gesprächs mit Mike auch gar nicht damit aufhört. Ihre Körperhaltungen sind pure und aufgeladene Einladungen zu wildem Stellungswechsel, ihr Schweiß signalisiert bedingungslose Hingabe an den männlichen Körper, und ihre Augen spiegeln die Enttäuschung über Hammers Ignoranz wieder. Später, als Hammer nachts an ihrem Bett sitzt, schwitzt Velda beim Erwachen wieder, ihre Augen sagen „Wie schön dass Du da bist. Nimm mich“, und wieder ist Hammer der ignorante Klotz. Velda verlässt kurz das Bild, und als sie wiederkommt zieht sie sich gerade einen Morgenmantel über. Es ist offensichtlich dass sie nackt im Bett lag, ein Umstand, der für das Jahr 1955 ungewöhnlich deutlich dargestellt wird.
Und dann ist da noch Cheesecake, ein leichtes Mädchen im Umfeld des Gangsters Evello. Oder ist sie gar seine Schwester? Sie kann sich sehr viel herausnehmen gegenüber dem Boss, aber noch mehr nimmt sie sich heraus wenn sie mit Hammer beim Kaffee sitzt und ihre Bereitschaft offensichtlich signalisiert. Praktisch jede Äußerung besitzt einen sexuellen Unterton, manche Sätze sind eine klare Aufforderung zum Geschlechtsverkehr. Und was macht Hammer? Natürlich, alles ignorieren …

RATTENNEST ist ein Trip in eine dunkle und harte Welt, bestehend aus selbstgefälligen Männern und ihren devoten und hingabebereiten Dienerinnen. Das Ziel dieser Reise ist dabei, wie im klassischen Noir der 40er-Jahre, nicht erkennbar, und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Stationen sind auch im Nachhinein nicht erklärbar. Die verwinkelten Wege des Mike Hammer, die rätselhaften Menschen die er auf seinem Weg trifft, und die klare Aufteilung der Welt in gewalttätig, sexuell und nebensächlich, das alles könnte auch einer dieser undurchschaubaren und narrativ oft nebulösen Chandler-Erzählungen entnommen sein. Das Ende bleibt ohne Auflösung, aber dafür wird endlich klar, auf was Quentin Tarantino mit dem Koffer der ersten Episode von PULP FICTION referenziert. Ein deutlicher Querverweis, aus dem sich sogar, mit nur wenig Phantasie, eine eigene Geschichte ableiten lassen könnte.

Nackte Gewalt und unverblümter Sex im düsteren US-Kino der 50er. Unbedingt anschauen!

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Di 10. Jun 2025, 05:02
von Maulwurf
Lastwagenkrieg (Horst Königstein, 1982) -/10

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Zentrum der Un-Zivilisation …

Schmutzige Straßen. Häuser an denen der Putz abblättert. Straßen. Autos. LKWs. Industriegebiete. Dazwischen ein Stück Land ganz versteckt … Das Land ist grau und öde. Schwarz - Der Himmel unserer Zukunft. Rot - Die Erde der Vergangenheit. Gold - Die Zähne unserer Väter. Plastik, Neon und Beton. Atomwaffen in Deutschland. Wer weiß schon was in diesen Raketen drin ist? Vielleicht Mehl. Oder Scheiße. Niemand weiß es, aber die Angst ist da. Die Angst ist allgegenwärtig. Die frühen 1980er in Deutschland.

Man wartet auf den Atomkrieg, und bis er endlich da ist, schlägt man sich mit Schnupfen herum.

Die Musik ist direkt und energiegeladen. Das Einzige was ablenkt, außer in der Kneipe zu stehen und zu flippern, zusammen. Aber außer der Musik gab es nichts. Nicht die Ermahnungen der grauen Eltern, nicht die Vorstellungen von einem grauen Leben, und nicht das Grauen vor der Politik.

LASTWAGENKRIEG ist eine Zeitreise in das Deutschland der ganz frühen 80er-Jahre. Wo nur Bier, Musik und alltäglicher Dadaismus noch dafür sorgten, dass ein frischer und neuer Wind durch das Land wehte, über dem ein Grauschleier lag, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat. Nicht anbiedernd oder stylisch. Nicht Action und schon gar nicht künstlich. Surreal wie das Leben. Langweilig wie so ein Tag halt ist. Und genauso unzusammenhängend. Wir folgen Peter Hein durch Düsseldorf. Ein wenig am Rhein entlanglaufen, Peter Glaser kennenlernen und sich mit ihm unterhalten, im Ratinger Hof vorbeischauen und ein Bier trinken, durch die Stadt ziehen. Nichts Besonderes, nichts Aufregendes. Alltag in Deutschland 1981. Wie es ein Kommentator in YouTube schreibt: [Ein] „Film über junge Menschen/Künstler in den tristen und frühen 80ern in einer fast x-beliebigen Großstadt“. Ich schau mich um und seh‘ nur Ruinen …
Wir hören Fehlfarben, Mittagspause, ZK, DAF und einige andere. Peter Hein fährt und läuft durch Düsseldorf und wir laufen und fahren mit. Mehr passiert nicht. Mehr ist damals auch nicht passiert. Genauso wenig wie heute etwas passiert. Aber die Musik war damals besser! Und wir tanzten bis zum Ende, zum Herzschlag der besten Musik. Jeden Abend, jeden Tag. Wir dachten schon das wär der Sieg.

Wer Godards ONE PLUS ONE kennt, der kann sich auch LASTWAGENKRIEG vorstellen. Musik. Heruntergekommene Städte. Dadaistisch-zerrissene Texte. Kein nostalgischer Rückblick auf eine im Nachhinein verklärte Jugend. Sondern graue Bilder einer grauen Welt. So waren die frühen 80er in den Städten. Und so war das „Aufbegehren“. Die Musik war es, was uns am Leben gehalten hat. Die Musik …

Wir sind Fische in einem Aquarium voll Scheiße.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 13. Jun 2025, 05:18
von Maulwurf
Union Jack (Paul Tanter & Alexander Williams, 2010) 6/10

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Da der zweite Teil der Trilogie, JACK SAID, mit einem Cliffhanger endete, komme ich leider nicht umhin ein wenig spoilern zu müssen. Außerdem macht es Sinn, sich vor dem Lesen dieses Textes zuerst die ersten beiden Teile anzuschauen. Denn sind wir mal ehrlich, der dritten Teil einer Trilogie mit durchgehender Handlung kann nur in den allerseltensten Fällen als Standalone-Film bewundert werden. Was auch bedeutet, dass ich in Film und Text (sowie dem dazugehörigen Comic auch) die entsprechenden Vorkenntnisse voraussetze: Undercover-Cop Jack, der die Bande des Guv’ners infiltrieren sollte, dabei zwischen die Fronten von Gangstern den Polizisten geriet, und am Ende von beiden gejagt wurde …

Und UNION JACK würde ja gar nicht existieren, wenn Jack nicht das Attentat am Ende des zweiten Teils überleben würde. Soweit also schon mal kein Spoiler. Zusammen mit der jüngeren Tochter des Guv’ners, Natasha, bildet er nun ein Sie-lieben-und-sie-hassen-sich-Gespann, und nach Jacks endgültiger Genesung geht es wieder zurück nach London, denn Jack weiß genau wer hinter dem Mordanschlag steckt: Carter, der mächtige Gangsterboss, der die Geschäfte des Guv’ners geerbt hat. Offiziell ist Jack also tot, Natasha soll sich in Carters Bande einschleichen, und Jack will dann alles von hinten aufrollen. Stattdessen wird Jack noch am ersten Abend in London entdeckt, Natasha versemmelt das mit der Bande völlig, und die Jagd auf Jack ist ganz schnell wieder in vollem Gange. Vor allem seine früheren Kollegen sind es, die ihm dieses Mal das Leben verdammt schwer machen. Denn wenn korrupte Cops mit der gesamten Macht der staatlichen Exekutive Jagd auf einen einzelnen Mann machen, dann kommt es schnell auch mal zu Kollateralschäden …

Was nach einem mittelschweren Arnold Schwarzenegger-Vehikel klingt ist dann aber tatsächlich ein zügig inszenierter Gangsterfilm. Jack raubt ein Spielkasino Carters aus, und finanziert mit diesem Geld seinen Rachefeldzug. Bis er dann lernt, dass mitnichten Carter hinter dem Attentat steckt. Die Konfiguration, in der Jack dann seine Rache vollendet, hat tatsächlich etwas von dem bekannten klingonischen Sprichwort an sich, nur der Weg dorthin, der ist öfters einmal verdammt holprig. Die Charaktere benehmen sich größtenteils vollkommen idiotisch, führen Handlungen aus die überhaupt keinen Sinn machen (außer dass gefährliche Situationen erzeugt werden), und irgendwie spielt das ganze über kurz oder lang fast in einer Parallelwelt à la JOHN WICK: Es gibt Gangster, es gibt die Polizei (die den Bösen in absolut Nichts nachsteht), und es gibt keinerlei normale Menschen mehr auf diesem Planeten. Außer vielleicht Carly, der Barfrau, die schnell als Drehscheibe zwischen dem verfemten Jack und seinen wenigen Freunden dient. Aber wo JOHN WICK durch Style und Coolness punktet, zieht UNION JACK einen etwas hirnrissigen Neo-Noir-Stil durch. Der Film ist schwarzweiss, wobei das Hemd Tamer Hassans blau heraussticht, Blut und Dinge die zum Bluten bringen können deutlich rot sind, und die Wiese im Fußballstadion, Jacks Alptraum, quietschgrün. Aber ich muss sagen, die Optik überzeugt! Jacks früherer Kumpel Sid und seine geliebte Erin, beide tot, hosten Jack aus dem Jenseits heraus, helfen ihm auch mal aus der Patsche oder retten sein Leben. Spannenderweise sind beide völlig scharf in Szene gesetzte, aber die (lebenden) Personen die neben ihnen stehen sind dann unscharf. Was zu einer etwas verzerrten, und damit wiederum interessanten, Wahrnehmung der parallelen Realität führt.

Nein, UNION JACK ist nicht wirklich schlecht. Aber leider auch nicht richtig gut. Nur ein bisschen … Denn wie gesagt sind viele einzelne Episoden völlig dumm. Was mache ich, wenn ich als Engländer in Amsterdam bin und heimlich nach London muss? Richtig, ich fahre mit einem linksgesteuerten Auto bei Nacht über einen einsamen Grenzposten in Nordirland. Wie infiltriere ich die Gang meines Feindes? Indem ich beim Obergangster auftauche, ab dem ersten Wort nur schimpfe und beleidige, und jegliche Chance, tatsächlich näher an den Mann ranzukommen, von vornherein versiebe? Solche Sachen sind einfach überflüssig und von der Erzählung her stimmungstötend. Das hat auch nichts mit den gefürchteten Logiklöchern zu tun, denn so etwas ist von Grund auf nicht überzeugend und führt schnell zu Frustration auf Seiten des Zuschauers.

Was schade ist, denn die Stimmung ist durchaus da. Die schwarzweiße Fotografie ist exzellent, es wird auch mal Robert Rodriguez‘ SIN CITY hommagiert, und ab und zu schleicht sich sogar ganz vorsichtig ein Anflug von Humor durch das Bild, für den interessanterweise oftmals Alan Ford als Carter zuständig ist. Alan Ford, wir erinnern uns, das war in Guy Ritchies SNATCH – SCHWEINE UND DIAMANTEN dieser richtig miese und eiskalte Obermotz, der höchstens dann mal gelächelt hat, wenn vor ihm ein Mensch blutig abgeschlachtet wurde. Doch was grundsätzlich fehlt ist gerade dieser modische Guy Ritchie-Style. Diese durchgeknallten und völlig abstrusen Pseudo-East End-Typen, die mit coolen Sprüchen und zu erstklassiger Musik das Bild eines swingenden Gangster-Londons kolportieren. Stattdessen orientiert UNION JACK sich viel eher an den klassischen Gangsterfilmen britischen Ursprungs. Die Grundstimmung ist düster und eher ruhig und die Figuren sind, bei allem fehlendem Realismus, geerdet und grundsätzlich böse, was zu einer eisigen und harten Stimmung führt. Und selbst wenn einige der Actionszenen unter dem kleinen Budget kranken, und selbst wenn manchmal vielleicht ein klein wenig zu viel Dialoge dabei sind, so ergibt sich, wenn man keinen 100 Millionen Dollar-Blockbuster erwartet, in Summe ein kleiner, schmutziger und angenehm altmodischer Gangsterfilm mit einigem Unfug in der Handlung und einem durchaus befriedigendem Ende, der vor allem Fans von billigeren Filmen sehr wohl Freude bereiten kann. Ein durchwachsener Abschluss einer durchwachsenen Trilogie. Höhen und Tiefen. Good Cop Bad Cop. Nennt es wie ihr wollt, doch mir haben Film und Trilogie gefallen. Kein Überflieger, aber ein grundsolider Cops vs. Thugs-Film.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Mo 16. Jun 2025, 05:05
von Maulwurf
Hard Boiled Sweets (David L.G. Hughes, 2012) 6/10

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Normalerweise hat „Shrewd“ Eddie immer so um die 250.000 Pfund zu Hause liegen. Was natürlich schon Begehrlichkeiten weckt. Aber dieses Wochenende kommt „The Man“ in die Stadt: Jimmy The Gent, der Herr der Moneten. Und Jimmy The Gent hat immer einen Aktenkoffer dabei, den er niemals aus der Hand gibt. An diesem Freitag werden geschätzte Eins Komma Fünf Millionen Pfund(!) in Jimmys Koffer sein! Was niemand weiß: Jimmy hat einen jungen Aufpasser dabei, Jermaine, und Jermaine bewacht Jimmy im Auftrag Leroys, der Jimmy nach der Tour umlegen wird. Jimmy weiß das natürlich, und er hat einen Plan …
Aber wie gesagt, so eine Menge Geld weckt Begehrlichkeiten. Bei Eddie, dem Herrn von Southgate, der Jimmy bis aufs Blut hasst, und es noch mehr hasst, dem Typen seine sauer verdiente Kohle abdrücken zu müssen. Bei Porsche, die bei Eddie die Beine breit machen muss, dabei aber eigentlich der Besitz des Zuhälters Gerry ist, mit Eddies rechter Hand Dean fickt, und aus diesem Drecksleben endlich raus will. Bei Delta, die ihren Arsch ebenfalls für Gerry hinhält. Und bei dem Cop Fred, der mit dem Geld die teure Behandlung seiner Frau bezahlen will, und darum den frisch aus dem Knast entlassenen Gangster Johnny auf Eddie losschickt. Nun ja, Pläne haben die Eigenschaft, sich nicht immer so zu entwickeln wie man es denkt …

Das gleiche gilt auch für Gangsterfilme, die mit philosophischen Sprüchen und Schrifttafeln, welche die Hauptfiguren vorstellen, losgehen. Aha, denkt sich der geneigte Filmfan, ein Guy Ritchie-Rip Off, oder gleich ein Tarantino-Klon. Zurücklehnen, einen Drink in die Hand nehmen, und auf coole Gangster warten die sich gegenseitig so abstrus wie möglich wehtun.

Weit gefehlt! HARD BOILED SWEETS hat einen durchgehend düsteren Ton, und kommt vor allem sehr ruhig daher. Manchmal vielleicht ein klein wenig zu ruhig, wenn selbst das Showdown in erster Linie darin besteht, sich gegenseitig Pistolen vor die Fresse zu halten und viel zu reden. Dies, und der Umstand, dass die Überlebenden des Films durch den Titel praktisch von vornherein feststehen, sorgt beim Zuschauen dann doch für eine leichte Ernüchterung. Dank der Ernsthaftigkeit der Figuren und dem Fehlen jeglicher dummen Sprüche kommt aber dann doch schnell Stimmung auf, und da die Geschichte trotz der vielen Personen gut zu überschauen ist, und die Entwicklung wenig Haken schlägt sondern eher straight forward bleibt, kann der Liebhaber gediegener Gangsterkost hier durchaus ein Auge riskieren. Die Musik erinnert an italienische Krimis aus den 70en, die handelnden Figuren laden zur Identifizierung geradezu ein, und die bereits erwähnte Ernsthaftigkeit macht das Ganze dann doch irgendwie sehenswert. Kein Highlight, aber durchaus in Ordnung.

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Do 19. Jun 2025, 06:04
von Maulwurf
Blutsverwandte (Claude Chabrol, 1978) 6/10

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Fritz Göttler schrieb in der Süddeutschen Zeitung über Claude Chabrol unter anderem „Mit filmischen Mitteln sezierte er das Verhältnis der Bourgeoisie zu Geld und Macht, schildert deren Intrigen, ihre Dekadenz und ihre Geilheit. Mehr noch den gutbürgerlichen Mittelstand, der sich an den fremdbestimmten oder selbstgesetzten Wünschen und Ansprüchen, an dem gewünschten Selbstbild abarbeitet, bis das Selbstbewusstsein bröckelt und mit Obsessionen und Pathologien bestraft wird.“ (1) Eine Charakterisierung, wie für BLUTSVERWANDTE gemacht.

In einer regnerischen Nacht wird in einem Hinterhof die junge Muriel abgestochen. Ihre Cousine Patricia, dem Mörder knapp entronnen, beschreibt den Täter, und die Polizei beginnt zu ermitteln. Ein aufregender Mordfall, und es werden auch schnell die üblichen Verdächtigen abgehakt: Diejenigen, auf die die Beschreibung passt, genauso wie die Pädophilen. Aber Inspektor Carella tritt auf der Stelle und die Aufklärung des Falls kommt so gar nicht voran, bis Patricia eine Aussage machen will: Sie möchte ihren Bruder Andrew nicht länger schützen, denn tatsächlich sei er der Mörder. Andrew wird verhaftet, doch allmählich kommen Carella Zweifel an der Einfachheit des Falls, als er den Vorgesetzten Muriels kennenlernt, deren freundschaftlich verbandelte Kollegin, und den Frauenarzt, der Muriel vor gar nicht langer Zeit behandelt hat …

Das Bürgertum und am besten gleich die ganze Gesellschaft, alles geht den Bach hinunter. Die Müllmänner streiken, Cousin und Cousine haben eine Affäre, die Mutter säuft, der Vater ist ein prinzipientreuer Christ der nicht nur einen Stock, sondern gleich ein ganzes Kruzifix im Arsch hat, und überhaupt besteht die gesamte Mischpoke irgendwie nur aus notgeilen Teenies und verknöcherten Alten. So ungefähr schildert Chabrol seine Sicht der kanadischen(!) Gesellschaft in BLUTSVERWANDTE. Einzig die Polizisten scheinen integer, aber dafür verweigert das Skript denen praktisch jedwedes Familienleben. Nein, das stimmt nicht ganz: Carella hat einen Job, eine Frau und einen Hund. In dieser Reihenfolge. Aber zumindest bei ihm ist das Familienleben intakt: Während Carella zuhause stunden- und gefühlt sogar tagelang wichtiges Beweismaterial sichtet, schläft seine Frau verständnisvoll einfach neben ihm ein. Wenn es nur immer so einfach wäre.

Aber alle anderen sind deutlich auf dem Weg in den Abgrund. Der Vater von Patricia und Andrew ist ein stockkonservativer Möchtegernchrist, der für seine Autowerkstatt und Gott lebt, ansonsten aber im Familienleben Liebe mit Strenge verwechselt. Ob die Mutter der Familie schon vor dem Tod ihrer Tochter das Trinken begonnen hat lässt sich nicht sagen, aber die Performance Stéphane Audrans als älter werdende einsame Frau auf dem Abstieg in ihre private Hölle ist trotz der wenigen Screentime extrem beeindruckend und ausgesprochen realistisch. Der Vorgesetzte Muriels ist ein älter werdender Mann, in dessen Ehe es nicht mehr so gut läuft, und der sich deswegen an die knackige Muriel ranmacht. Die Charmeoffensive hat auch Erfolg, und man fragt sich unweigerlich, wie der Film wohl ausgegangen wäre, wenn da nicht dieser Mord im Raum stehen würde. Und von Donald Pleasance als Pädophilem, der eine 13-jährige unter seiner Kontrolle hat, brauchen wir genauso wenig zu reden wie von dem Säufer, der seine Frau krankenhausreif schlägt und das völlig normal findet. Nein, dieses Pack ist nicht mehr auf dem Weg in den Abgrund. Dieses Pack ist bereits dort angekommen. Und zieht seine bemitleidenswerte Umwelt gleich mit …

Deine Frau hält sich für was Besseres. Wenn sie Dir dumm kommt, hau ihr eine rein.

Bleiben die Jugendlichen, die diese Welt mal irgendwann von den Älteren erben werden: Patricia und Muriel sind 15 bzw. 17 Jahre alt – Und teilen sich ein Zimmer. Privatsphäre oder Geheimnisse, etwas was alle Teenager in diesem Alter haben und brauchen, sind da natürlich ausgeschossen. Muriel führt ein Tagebuch, das mit einem Schlüssel, der an einer Kette um ihren Hals hängt, verschlossen ist. Es ist klar, dass solche Geheimnisse auch entsprechende Begehrlichkeiten wecken, und auch hier sind die Konflikte bereits vorprogrammiert. Vor allem da Andrew ein eigenes Zimmer hat (klar, die Sache mit dem kleinen Unterschied), und noch viel mehr, weil Andrew und Muriel ganz furchtbar heiß aufeinander sind. Und Muriel jedes Detail dieser verbotenen Liebe ihrem Tagebuch anvertraut. Jenes Tagebuch, das immer in der obersten Schublade ihrer Kommode liegt. Und das jetzt verschwunden ist …

Die Konstellation ist ein wenig arg statisch, was bei mir persönlich auch zu einem leichten Punktabzug führt. Die Figuren sind alle sehr stereotyp gezeichnet, und die großartigen Schauspieler sind es, die diesem vorgegebenen Schema F Leben einhauchen und ein Panoptikum des Schreckens zeichnen können. Der Schrecken funktioniert, und auch wenn sich der krimierfahrene Zuschauer die Auflösung des Kriminalfalles schon sehr früh denken kann, so ist dieser Fall schließlich auch nicht der Sinn des Filmes. Viel mehr geht es um die Vorführung einer spießbürgerlich-bigotten Bürgerschicht und der Betrachtung der daraus entstehenden Auswüchse. Und trotz der, ein wenig vorhersehbaren, Ausführung des Handlung setzt Chabrol die kleinen Schocks und die nicht so kleinen Entsetzlichkeiten genau an den richtigen Punkten, um das Interesse des Zuschauers nie erlahmen zu lassen. Was dann dazu führt, dass man zwar weiß wie der Hase laufen wird, man aber ob der gelungenen Umsetzung dann doch wieder gebannt vor der Glotze hängen bleibt und zuschaut, wie diejenigen, die eigentlich alles haben, sich in ihrer Gier und ihrer Eitelkeit ihr eigenes Grab schaufeln. BLUTSVERWANDTE ist sicher kein großes Meisterwerk, aber gut anzuschauen und leider auch bemerkenswert modern in seiner Aussage.

(1) (1) https://web.archive.org/web/2016030 ... n-1.998854