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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 26. Mär 2012, 17:04
von buxtebrawler
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Fleisch
Die beiden frisch verheirateten deutschen Monica (Jutta Speidel) und Mike (Herbert Herrmann) verbringen die Flitterwochen mit einer Autotour quer durch den Süden der USA. Als die beiden abends in einem Motel in New Mexico einkehren, wird Mike von der Besitzerin betäubt und anschließend von "Sanitätern" entführt. Monica selbst kann gerade noch entkommen. Geschockt irrt sie durch die Nacht und wird schließlich von dem Trucker Bill (Wolf Roth) aufgelesen. Der hört sich ihre zunächst unglaublich klingende Geschichte an und verspricht zu helfen. Die beiden kommen schließlich dahinter, dass Mike wohl von einem "Organ-Handel"-Syndikat entführt wurde, die "Fleisch" an reiche Klientel als Ersatzteile verkaufen. Bill und Monica beschließen Mike zu befreien und eine Jagd quer durch die USA beginnt ...
„How much is anyone worth?“

Im Jahre 1979 widmete sich der deutsche Autorenfilmer Rainer Erler („Operation Ganymed“) mit seinem fürs ZDF produzierten Spielfilm „Fleisch“ dem Thema Organtransplantation/-handel und unterstrich damit seinen Ruf als pessimistischer Mahner und technologiekritischer Prophet.

Das frischvermählte deutsche Paar Monica (Jutta Speidel, „Mädchen beim Frauenarzt“) und Mike (Herbert Herrmann, „Das Traumschiff“) verbringt seine Flitterwochen in den USA. In einem Motel in New Mexico werden sie von der Betreiberin betäubt und ihnen falsche Sanitäter auf den Hals gehetzt, die Mike entführen, während Monica entkommen kann. Diese trifft auf Trucker Bill (Wolf Roth, „Plutonium“), der seine Hilfe bei der Suche nach Mike anbietet. Zusammen kommt man der Organmafia auf die Spur…

Offensichtlich war dieses Thema seinerzeit brandaktuell bzw. innovativ und originell, weshalb Erlers Film – darf man den Überlieferungen Glauben schenken – Teile des Publikums zutiefst verstörte und heftige Kontroversen auslöste. „Fleisch“ beginnt sodann auch wahrhaft erschreckend und erinnert von seiner Rezeptur an Backwood-Horror nach Art eines „The Texas Chainsaw Massacre“. Generell präsentiert sich „Fleisch“ als ein an ein breites, internationales Publikum gerichteter Unterhaltungsfilm nach US-amerikanischem Vorbild, und das nicht nur durch die Wahl seiner Originalschauplätze. Mit Jutta Speidel wählte man eine attraktive Hauptdarstellerin, die man in Unterwäsche durch die Umgebung hetzt. Ein bisschen was hat er zeitweise von einem die Fernfahrerklientel idealisierenden Roadmovie, als Monica und Bill durch die Staaten den Tätern hinterherjagen. Dabei kommt es sogar zu einer Schießerei, die jedoch schon den Höhepunkt grafischer Gewalt darstellt, denn für den weiteren, recht konstruiert wirkenden Handlungsverlauf setzt man statt auf Härte und Action vielmehr auf das Publikum nicht überfordernde Abschwächung, verlässt das Gut/Böse-Schema, buhlt um Verständnis und begibt sich gefährlich in Kitschnähe. Nachdem Monica und Bill sich als Lockvögel selbst der Organmafia auslieferten, ist die Spannung eher raus, als dass sie gesteigert würde, denn mit Dr. Jackson (Charlotte Kerr, „Plutonium“) etablierte man einen bemüht auf tragisch und einsichtig getrimmten Garnichtmalsobösewicht, der zudem in schwindelerregender Geschwindigkeit seine Motivation herunterrattert und damit den zuvor aufgebauten Eindruck einer übermächtigen, verschwörerischen Organisation einstürzen lässt wie das vielzitierte Kartenhaus.

Dennoch bleibt ein Science-Thriller (ein Subgenre, das Erler angeblich begründet hat) von internationalem Format mit bis zu einem gewissen Zeitpunkt hohem Unterhaltungswert und einer Fiktion zum Thema, die nur wenig später von der Realität eingeholt werden sollte. Insofern war es vermessen, Erler von mancher Seite aus Panikmache vorzuwerfen, statt ihm zuzugestehen, einen sein Publikum erreichenden Film geschaffen zu haben, der die Sensibilität für die Schattenseiten fortschrittlicher Technologie und Wissenschaft schärft. Und wenn Ronnie L. Williams im Abspann sein „How much is anyone worth?“ trällert, ist dies nicht nur der einzige Moment, der die moralischen/ethische Frage explizit beim Namen nennt, sondern auch ein geschmackvoll ausgesuchter Soundtrack, der länger im Ohr verweilt und in seiner Leichtigkeit ein schweres Thema transportiert, das sich auf diese Weise ebenso wie durch den Film seinen Weg ins kollektive Bewusstsein bahnt.

Die schauspielerischen Leistungen reichen von unauffällig (Herrmann) über abgeklärt-unterkühlt (Kerr) bis über die gesamte Distanz ordentlich bzw. sehr gut (Speidel und Roth), Nebenrollen fallen nicht negativ aus der Reihe. Meines Erachtens ein Fernsehfilm, der angesichts heutiger TV-Film-Qualitäten positiv überrascht und mich nach „Operation Ganymed“ weiter in meinem Vorhaben bekräftigt, mich mit der spannenden Welt Erler’scher Produktionen auseinanderzusetzen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 27. Mär 2012, 23:02
von buxtebrawler
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Breakfast on Pluto
Patrick Braden (Cillian Murphy) hat schnell bemerkt, dass er anders ist als andere. Nicht nur weil er ein vor der lokalen Kirche ausgesetztes Findelkind ist. Vielmehr hat es damit zu tun, dass Patrick gerne Frauenkleider anzieht, im religiösen Internat die Lehrer mit Fragen zu Geschlechtsumwandlung zur Frau zur Verzweiflung bringt und nie richtig von seiner Pflegefamilie als eigener Nachwuchs akzeptiert wurde...
Der irische Regisseur Neil Jordan („Interview mit einem Vampir“) verfilmte im Jahre 2005 mit „Breakfast on Pluto“ den gleichnamigen Roman des Schriftstellers Patrick McCabe und schuf damit einen Film irgendwo zwischen Drama und Tragikomödie, der nicht nur für ein homosexuelles Publikum interessant sein dürfte.

Findelkind Patrick, von seiner leiblichen Mutter vor der örtlichen Kirchentür ausgesetzt – die Wahl des Orts erfolgte keinesfalls beliebig –, wächst im beschaulichen irischen Nest Tyreelin nahe der nordirischen Grenze auf, wo ihm und seiner Umwelt bald auffällt, dass er anders ist als andere Kinder. Aus dem kleinen Patrick, der gern Frauenkleider anzieht, sich schminkt und mit seiner provokant-frechen Art im streng katholischen Umfeld aneckt, wird ein homosexueller Transvestit, der sich in seiner Haut und seiner Rolle zwischen den Geschlechtern sehr wohl fühlt und offensiv mit ihr umgeht. In seiner Pflegefamilie stößt er damit aber nicht auf Gegenliebe, so dass er bald bis auf eine Handvoll Freunde auf sich allein gestellt die Welt erkundet – wobei „die Welt“ das Großbritannien der 1970er-Jahre vor dem Hintergrund des Nordirland-Konflikts ist. Viel mehr interessiert ihn aber seine leibliche Mutter, die er nie kennengelernt hat…

„Breakfast on Pluto“ hat durch seinen Hauptdarsteller Cillian Murphy („28 Days Later“, „Batman Begins“, „The Dark Knight“) schon halb gewonnen. Wie er sich in die Rolle des androgynen Patrick, der sich selbst gern Kitten nennt, hineinfindet, ist der schiere Wahnsinn und zählt zu den beeindruckendsten schauspielerischen Leistungen, die ich in der letzten Zeit gesehen habe. Er schafft es, seine tuntige, häufig komische – denn wenn Patrick etwas hasst, dann, das Leben ernst zu nehmen – Rolle auszufüllen, ohne sie überzustrapazieren und ins Lächerliche zu ziehen. Stattdessen verleiht er ihrer sensiblen Charakterzeichnung Anmut und Würde. Patrick bzw. Kitten ist jemand, der seinen Weg geht und das Beste aus seiner Situation macht, ohne sich von Rückschlägen und Intoleranz den Spaß am Dasein nehmen zu lassen.

Schließlich verschlägt es ihn nach London, wo er nach einem Techtelmechtel mit Billy Hatchet, dem Sänger der Rock’n’Roll-Band „The Mohawks“ (Gavin Friday, „Disco Pigs“) und einigen weiteren, mitunter gefährlichen Abenteuern sowohl in privater als auch beruflicher Hinsicht seinen Körper verkauft, was der Film nicht plakativ als sozialen Abstieg definiert, sondern ebenso selbstverständlich damit umgeht wie mit der Person Patricks. Nach einem Bombenanschlag der IRA, bei dem Patrick selbst verletzt wird, gerät er ins Visier der Polizei, die ihn schwer misshandelt. Tatsächlich hatte Patrick Kontakt mit radikalen irischen Revoluzzern, hat den bewaffneten Kampf aber stets abgelehnt. Damit betont der Film seine grundlegend pazifistische Haltung, bei der die IRA alles andere als gut wegkommt. Jedoch schlägt sich „Breakfast on Pluto“ auf keine Seite bzw. wenn, dann die auf des unpolitischen Patricks, der allein durch sein Auftreten schon mehr Reaktionen hervorruft als die Masse anderer Menschen und bereits in seiner Person ein Statement darstellt, ob er nun will oder nicht. Es passieren viele schreckliche Dinge im Rahmen der Handlung, auf die die Antwort des Films zu sein scheint, sich besser weitestmöglich herauszuhalten und auf sich selbst zu konzentrieren, dabei seinen Optimismus und seine Lebensfreude zu behalten.

Ebenfalls ungeschönt und fernab jeglicher romantischer Verklärung irischer Kultur werden die Schattenseiten einer konservativen, katholischen Gesellschaft gezeigt, die Patrick in Form blanker Ablehnung bis hin zu Mordversuchen entgegenschlagen. Das widernatürliche, gestörte Verhältnis zur Sexualität katholischer Würdenträger wird dabei ebenso thematisiert wie Bigotterie und Heuchelei. Bei alldem funktioniert „Breakfast on Pluto“ quasi komplett ohne allzu freizügige Sexszenen oder Artverwandtes, das einen zusätzlichen Provokationsfaktor geboten und evtl. polarisiert hätte. Nein, in dieser Hinsicht bleibt der Film einem breiten Publikum verpflichtet und nach gängigen, hiesigen Moralvorstellungen „anständig“. „Breakfast on Pluto“ will seinem Publikum nicht vor den Kopf schlagen, sondern es langsam um den Finger wickeln und verzaubern. Dies gelingt auch größtenteils ganz vorzüglich, denn neben den schauspielerischen Leistungen sind die authentisch wirkenden Kulissen und der flotte, abwechslungsreiche Soundtrack quer durch die Populärmusik der 70er Garanten und Stützpfeiler für das hohe Niveau der Inszenierung.

Das Ende indes bleibt offen und in mehrere Richtungen auslegbar und hat man es erst einmal geschafft, sich nach den möglicherweise etwas zu lang geratenen rund zwei Stunden aus dem Klammergriff des Films zu befreien, die charmante Kitten vom Schoß zu stupsen und wieder klare Gedanken zu fassen, bleibt ein Plädoyer für individuelle, andersartige Lebensentwürfe und ein kritischer Blick auf den Nordirlandkonflikt, verbunden mit einer politisch etwas naiv anmutenden, pazifistischen Aussage, gekleidet in die luftigen Frauengewänder eines leichtfüßigen transsexuellen Coming-outs. Allein schon aufgrund Murphys überragender Leistung überaus sehenswert!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 28. Mär 2012, 17:11
von buxtebrawler
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Die Delegation
TV-Reporter Will Roczinsky erhält den Auftrag einen Bericht über Ufologen zu erstellen. Obwohl er selbst dem Thema keinen Glauben schenkt macht er sich an die Arbeit und findet immer mehr Ungereimtheiten heraus, die ihn letztendlich sogar an seiner bisherigen Überzeugung zweifeln lassen. Allerdings: Je mehr Roczinsky sich in das Thema vergäbt, desto gefährlicher wird es auch für ihn und sein Umfeld.
Ok, langsam aber sicher muss ich mir als in die Jahre kommendem Filmfreund wohl endgültig eingestehen, dass sich die Innovation des „Blair Witch Project“ auf das Marketing-Brimborium im Vorfeld beschränkte, denn nicht nur „The Last Broadcast“ und, was die „Found Footage“-Thematik betrifft, Filme à la „Cannibal Holocaust“ gab es bereits vorher, sondern auch Rainer Erlers Mystery-Science-Fiction „Die Delegation“, die im Jahre 1970 (!) für das ZDF (!) produziert wurde. Dass Autorenfilmer Erler sowohl ein Händchen für Science Fiction („Operation Ganymed“) als auch für ein breites Publikum erreichendes Unterhaltungskino mit deutlicher Aussage („Fleisch“) hatte, durfte ich bereits während meiner vorausgegangenen Auseinandersetzung mit diesem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen und unbedingt wiederzuentdeckenden Kapitel der deutschen Kino- bzw. Fernsehkultur positiv überrascht zur Kenntnis nehmen. „Die Delegation“ aber toppt beide Filme und gehört zum Besten, was ich bisher an deutschen TV-Filmen zu sehen bekam.

Will Roczinski (Walter Kohut, „Die Brücke von Arnheim“) ist ein TV-Reporter, der ganz seinem Beruf und damit der Realität, der Skepsis und der Wahrheitsfindung verpflichtet ist und mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht. Ein Wendepunkt in seinem Leben soll jedoch eine Reportage über einen „Ufo-Kongress“ an die Existenz außerirdischer Lebewesen und deren Besuche auf Erden glaubender „Ufologen“ werden. Als er dort von einer angeblichen Ufo-Sichtung in Kanada erfährt, reist er an den Ort des Geschehens und macht eigenartige Entdeckungen. Immer mehr überwindet er seine anfängliche Skepsis und erliegt selbst der Faszination des Themas. Sein Arbeitgeber, der TV-Sender, hingegen ist wenig begeistert von Roczinskis Alleingängen und kündigt schließlich seinen Arbeitsvertrag. Auf eigene Faust ermittelt Roczinski weiter, stirbt jedoch nach einer Verkettung mysteriöser Phänomene bei einem Autounfall…

„Die Delegation“ ist dabei im Stile einer „Mockumentary“, einer vermeintlichen Dokumentation, aufgebaut. Im Rahmen der fiktiven Fernsehsendung „aktuelles forum“ wird anhand der Auswertung der von Roczinski hinterlassenen Bild- und Tondokumente über dessen Unternehmungen und seinen rätselhaften Tod berichtet. Dabei fährt Erler das komplette Repertoire auf, das später einen Film wie „Blair Witch Project“ zum Kassenknüller machte: Roh und unbearbeitet erscheinendes Material, Wackelkamera, steigende Hysterie und Paranoia des Protagonisten und eben auch schemenhafte, in mehrere Richtungen interpretierbare Aufnahmen von Erscheinungen, die diffus und uneindeutig bleiben unter weitestgehendem Verzicht auf Spezialeffekte. Diese Uneindeutigkeit ist zudem neben dem großartigen, hochgradig authentisch wirkenden Schauspiel Walter Kohuts eine der großen Stärken des Films. Innerhalb eines von der US-amerikanischen Mondlandung und den Theorien eines Erich von Däniken für derartige Themen sensibilisierten gesellschaftlichen Klimas beantwortet „Die Delegation“ die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit intelligenten außerirdischen Lebens mit einem zaghaften Ja, liefert aber lediglich eine Aneinanderreihung seltsamer, schwer bis nicht zu erklärender Phänomene, die nüchtern betrachtet nicht viel aussagen, zusammengesetzt wie in den sich entwickelnden Theorien Roczinskis den Besuch extraterrestrischer Wesen aber als eine mögliche, naheliegende Interpretationsmöglichkeit anbieten.

Dabei scheint sich mir „Die Delegation“ eng an damals wie heute aktuelle Überlieferungen und Theorien zu halten, ob nun Entführungen durch Außerirdische mit anschließendem Gedächtnisverlust, Dänikens Hypothesen von der Prä-Astronautik oder brisante Informationen zurückhaltende, staatliche Behörden. Gedreht an Originalschauplätzen in Deutschland, Kanada, den USA und Peru, entfaltet sich eine beunruhigende, rätselhafte Atmosphäre, in der alles möglich scheint, sich Roczinski aber mehr und mehr in einer spürbar vorhandenen, aber nicht näher definierbaren Gefahr verliert. Hat er es tatsächlich mit einer außerirdischen Macht zu tun? Oder sind geheimbündnerisch agierende Behörden hinter ihm her? Oder verfällt er schlicht dem Wahnsinn, ist vollkommen gefangengenommen von einer fixen Idee, der er jegliche Vernunft unterordnet? Keine dieser Fragen wird dem verunsicherten Zuschauer beantwortet, der mit Erlers Gedankenspiel allein zurückgelassen und angehalten wird, seine eigenen Überlegungen anzustellen und entsprechende Schlüsse zu ziehen.

Wie feinfühlig Erler seinerzeit mit der Thematik umging und ihm eine nahezu perfekte „Found-Footage-Mockumentary“ gelang, mit der seiner Zeit offenbar voraus war, ringt mir großen Respekt und eine Empfehlung für Freunde derartiger Filme, Ufo-Fans und -Skeptiker sowie Science-Fiction-Interessierte gleichermaßen ohne jedes Wenn und Aber ab. Erstaunlich, was damals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich war.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 30. Mär 2012, 00:39
von buxtebrawler
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Der Affe im Menschen
Nach einem Unfall ist Allan Mann querschnittsgelähmt. Zu seiner Hilfe im Haushalt bekommt er das Äffchen Ella gestellt, die die nötigen Aufgaben für ihn übernimmt. Doch Ella ist auch noch Teil eines intelligenzfördernden Experiments, daß sie bald befähigt, die psychischen Zustände Allans wahrzunehmen und darauf zu reagieren, was sie dazu bringt, dessen düsterste Wünsche in die Tat umzusetzen...
In George A. Romeros („Day of the Dead“) nach dem vorläufigen Abschluss seiner bahnbrechenden Zombiereihe 1988 veröffentlichten Horrorthriller „Der Affe im Menschen“ treffen Mad-Scientist-Motive auf Tierhorror und Psychothrill. Das von Romero selbst verfasste Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen, mir unbekannten Roman Michael Stewarts.

Der junge, sportliche, mitten im Leben stehende Allan (Jason Beghe, „Tödlicher Anruf“) erleidet unverschuldet einen schweren Unfall, als er beim Joggen von einem Lkw angefahren wird und ist fortan vom Hals abwärts gelähmt. Auf den Rollstuhl angewiesen, hadert er mit seinem Schicksal, zudem verlässt ihn auch noch seine Freundin Linda (Janine Turner, „Cliffhanger – Nur die Stärksten überleben“) und brennt ausgerechnet mit seinem Arzt (Stanley Tucci, „Die Akte“) durch. Seine Mutter (Joyce Van Patten, „Die Sopranos“) und eine bestellte Pflegerin betreuen ihn, schaffen es aber nicht, ihn aus seiner Verbitterung zu befreien. Sein Freund Geoffrey (John Pankow, „Tödliche Gedanken“) führt derweil Tierversuche an Kapuzineräffchen durch, einer Rasse, die auch speziell darauf trainiert wird, Behinderten im Alltag zu helfen. Er erklärt kurzerhand eines seiner Versuchstiere (Boo) seinem Arbeitgeber gegenüber für tot, schmuggelt es jedoch zu solch einer Tiertrainerin (Kate McNeil, „Geht’s hier nach Hollywood?“). Diese arbeitet mit dem Tier, mit dem sie und Geoffrey schließlich Allan überraschen. Sehr zum Leidwesen seiner Pflegerin freundet er sich schnell mit dem Ella getauften Äffchen an, das ihn im Alltag unterstützt. Seine Lebensfreude kehrt zurück, zudem verliebt er sich in Melanie, die Tiertrainerin. Doch was niemand außer Geoffrey weiß: Im Rahmen seiner Versuche verabreicht er Ella regelmäßig ein aus menschlichen Gehirnzellen bestehendes Serum, das Ella außerordentlich intelligent macht – so intelligent, dass Ella schließlich beginnt, Allan zu manipulieren und gar telepathische Fähigkeiten erlangt...

Manipulative, intelligente Affen gab es des Öfteren im Horrorgenre und insbesondere aufgrund seiner Zombiefilm-Großtaten lag die Messlatte für diesen Film Romeros verdammt hoch. Leider tut sich Romero unabhängig von der hohen Erwartungshaltung recht schwer mit der Umsetzung dieses interessanten Stoffs. Dramaturgisch holpert es hier und da, wie es bei Romero ja ganz gern mal der Fall ist, doch das ist halb so wild. Viel irritierender empfand ich das löchrig wirkende Drehbuch. Woran genau und zu welchem Zweck forschen Geoffrey bzw. der Konzern, für den er arbeitet, eigentlich? Diese Frage beantwortet man nicht, was verschmerzbar wäre, hätte man nicht Konflikte zwischen Geoffrey und seinem Vorgesetzten in die Handlung integriert. Die potentielle Wirkung dieser halbherzigen Auseinandersetzung mit dem Thema Tierversuche bzw. -schutz verpufft so recht schnell und geht unter. Und wenn man schon mit Mad-Scientist-Versatzstücken arbeitet, sollte man wenigstens den Versuch einer pseudowissenschaftlichen, dennoch möglichst glaubwürdig wirkenden Erklärung für den Zuschauer dahingehend unternehmen, was genau sich da abspielt, weshalb das Äffchen durch die Verabreichung eines Serums plötzlich derartige, bis ins Übernatürliche hineinreichende Fähigkeiten erlangt. All dies bleibt diese Verfilmung leider schuldig.

Die bereits angesprochene Erwartungshaltung indes wird zusätzlich angeheizt, wenn man im Vorspann zu lesen bekommt, dass niemand Geringerer als Tom Savini für die Spezialeffekte verantwortlich zeichnet. Blutige Effektarbeit muss man hier nämlich mit der Lupe suchen und man fragt sich unweigerlich, was Savini eigentlich überhaupt zu tun hatte. Dieser Umstand dürfte manch einen Zuschauer mit Romeros bzw. Savinis vorausgegangenen Arbeiten im Hinterkopf zumindest während der Erstsichtung doch arg verunsichern und es erschweren, sich auf die eigentliche Handlung zu fokussieren. Glücklicherweise handelt es sich jedoch um einen Film, in dem man ausufernde Gewaltorgien eigentlich kaum vermisst, denn die Geschichte ist vielmehr psychologischer Natur und setzt sich u.a. mit der geistigen Verfassung plötzlich an den Rollstuhl Gefesselter auseinander, deren Leben innerhalb kürzester Zeit komplett umgekrempelt wurde. Erscheint Allan zunächst noch eher klischeehaft als Sunnyboy gezeichnet, entwickelt sein Charakter nach dem Unfall eine gut ausgearbeitete Ambivalenz, mit der er nicht allein steht: Auch Allans Mutter, zu der er ein zwiespältiges Verhältnis pflegt, und selbst sein Freund Geoffrey bewegen sich außerhalb eines vereinfachenden Gut/Böse-Schemas. Die schauspielerischen Leistungen der Darsteller sind dabei stets mindestens solide, modische und sonstige kulturelle Geschmacklosigkeiten des Jahrzehnts halten sich in eng abgesteckten Grenzen.

Doch der eigentliche Star des Films ist Ella, das zunächst so niedliche, kleine Kapuzineräffchen, das bald mehrere Menschenleben auf dem Gewissen haben soll. Was in ihrem Falle an absolut perfekter Tierdressur geleistet wurde, ist unheimlich faszinierend und wertet den gesamten Film deutlich auf. Romero versteht es, sie stets ins rechte Licht zu rücken und geizt nicht mit Nah- und Detailaufnahmen, während der Zuschauer nie einen Zweifel an Ellas Intelligenz und Verschlagenheit hegt. Großartig! Jedoch wollten Romero respektive die Produktionsgesellschaft mit „Der Affe im Menschen“ zu starke Zugeständnisse an ein Massenpublikum machen, gestalteten den Film zu kalkuliert-kommerziell. Ein niedliches Äffchen statt blutrünstiger Zombies, keine expliziten Gewaltszenen und – und das ist die größte negative Überraschung – statt eines zynischen, sarkastischen oder wenigstens nachdenklich stimmenden Ausgangs ein „Happy End“, das die Kitschgrenze passiert, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Das wiegt umso schwerer, als man das nicht ganz so glückliche Ende der Literaturvorlage offensichtlich gar dafür umschrieb.

Unterm Strich bleibt ein in psychologischer Hinsicht interessanter, dramatischer Spielfilm, der unter der Fassade brodelnden Hass Benachteiligter thematisiert, die manipulative, destruktive Kraft menschlicher Liebesbeziehungen anhand eines sich unnatürlich verhaltenden Äffchens verdeutlicht und die gefährliche emotionale Wechselwirkung von Partnerschaften aufzeigt, die ein äußerlich kein Wässerchen trüben könnendes Geschöpf entlarvt – leider verborgen unter einer für Romero-Verhältnisse ungewohnt glatten Oberfläche und mit Schwächen in Logik und konsequenter Spannung sowie einer vermasselten Pointe. Doch genug nun, allein schon Ella ist Grund genug, sich diesen Film einmal anzusehen und gleichzeitig Garant dafür, dass man es keinesfalls bereuen wird.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 2. Apr 2012, 18:12
von buxtebrawler
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Angel Heart
New York 1955: Der Privatdetektiv Harry Angel wird von dem geheimnisvollen Louis Cypher engagiert, den Schnulzensänger Johnny Favorite zu finden, der vor einigen Jahren aus einer Nervenklinik verschwunden ist. Angel macht sich auf die Suche, doch jeder, der ihm mit Informationen behilflich sein kann und ihn in diesem düsteren Puzzlespiel einen Schritt weiterhilft, stirbt kurz darauf eines grausamen Todes. Sein Weg führt ihn schließlich nach New Orleans, wo er in ein Rattennest aus Mord, Teufelsfluch und Voodoo sticht und langsam aber sicher einer schrecklichen Wahrheit immer näher kommt.
„Angel Heart“ – das bedeutet das Aufeinandertreffen von Mystery/Okkult-Horror, Psychothrill und einer Film noir’schen Detektivgeschichte, die für seinen Protagonisten zu einer schmerzhaften Selbsterkenntnis führt. Der britische Regisseur Alan Parker („Das Leben des David Gale“) verfilmte 1987 den Roman „Falling Angel“ von William Hjortsberg und verfasste das Drehbuch zu dieser britisch-kanadisch-US-amerikanischen Produktion.

Im New York des Jahres 1955 engagiert der mysteriöse Louis Cyphre (Robert De Niro, „Taxi Driver“) den Privatdetektiv Harry Angel (Mickey Rourke, „Rumble Fish“, „Barfly – Szenen eines wüsten Lebens“), um den verschwundenen, totgesagten Sänger Johnny Favorite zu finden. Favorite ist angeblich ein Geschäft mit Cypher eingegangen und ihm etwas schuldig geblieben. Angels Suche führt ihn in die Ghettos New Orleans, wo er es mit eigenartigen Menschen und immer verwirrenderen Informationen ebenso zu tun bekommt wie mit Voodoo und bestialischen Morden, weshalb die Polizei ihn bald als Hauptverdächtigen verfolgt…

Parker gelang mit „Angel Heart“ nicht nur ein authentisch wirkend rekonstruiertes 1955, sondern auch ein früher Beitrag zum später so populär werdenden „Mindfuck“-Thriller, einem Film mit einer mehr oder weniger überraschenden Wendung der Handlung, die das zuvor Gezeigte auf den Kopf zu stellen scheint. Mickey Rourke liefert eine in allen Belangen überzeugende Ein-Mann-Show ab und findet sich wunderbar in seine Rolle als eher abgefuckter denn souveräner Privatdetektiv nach Film-noir-Vorbild ein, einem Mann, der stets an der Schwelle zu irgendetwas scheint, nur zu was? Daraus bezieht „Angel Heart“ seine Spannung, denn von vornherein ist klar, dass Angels Ermittlungen nicht spurlos an ihm vorübergehen werden. Stück für Stück bekommt der Zuschauer Mosaiksteinchen aufgetischt, die er in Gedanken zusammensetzen, verwerfen und neu ordnen darf. Das Umfeld, in das er sich begibt, ist fremdartig und gefährlich, als stochere er in einem Wespennest und kneift dabei die Augen in der Hoffnung fest zusammen, keine tödliche Dosis Stiche abzubekommen. De Niro als sein Auftraggeber bekommt kaum etwas zu tun, im Prinzip braucht er nur dazusitzen und diabolisch zu erscheinen, während Rourke um sein Leben spielt. Mehr Arbeit wurde dabei der Maske zuteil, die De Niro in ein respekteinflößendes, finsteres Äußeres hüllte.

Regisseur Parker nimmt sich Zeit und gibt seinem verloren wirkenden Protagonisten selbige, um sich zum Spielball Cyphers machen zu lassen, er kostet Angels Horrortrip genüsslich aus. Wohldosierte und innerhalb des gediegenen Filmtempos umso wirksamere blutige Ereignisse unterstreichen den Pessimismus der persönlichen Apokalypse des Detektivs und verhelfen der Handlung auch visuell zu Konsequenz und Härte. Eine absolut fantastische Kameraarbeit verwöhnt permanent das Auge des Betrachters und wertet das Ambiente zusätzlich auf, und zwar auf höchstem Niveau. Ein weiterer Hingucker ist ohne jeden Zweifel Lisa Bonet („High Fidelity“, „Die Bill-Cosby-Show“) als dunkelhäutige Schönheit Epiphany Proudfoot, die sich Voodoo-Riten hingeben und blankziehen darf und zum Gegenstand des Interesses von Angels Libido wird. Einer der visuellen Höhepunkte des Films ist ihre Sexszene mit Rourke, die in einen wahnsinnigen, alptraumhaften Gewaltrausch übergeht – wow! Auch eine Prise Humor – wohldosiert wie quasi ausnahmslose alle Ingredienzien des Films – wurde nicht ausgespart, Hearts Hühnerphobie provoziert Schmunzler, fügt sich jedoch nahtlos in das als atmosphärische Meisterleistung zu bezeichnende Gesamtwerk ein.

Alan Parker erschuf, wie man ihm zurückblickend zugestehen muss, einen nahezu zeitlos wirkenden Genre-Mix-Klassiker, der nicht zu altern scheint und gereift ist wie ein guter Wein. Der Stil des Films ist unverändert ein faszinierendes Lehrstück für die Möglichkeiten des Mediums Kino beim Erzählen einer Geschichte und sorgt dafür, dass die zumindest ab einem gewissen Punkt relative Vorhersehbarkeit der Pointe, an die der Zuschauer aber erzählerisch und dramaturgisch geschickt herangeführt wird, statt ihn mit ihr zu überrollen, dem Sehvergnügen kaum einen Abbruch tut. „Angel Heart“ ist ein inszenatorisch nahezu perfektes Filmvergnügen mit emotionalem Tiefgang, ohne ganz auf Genrekonventionen zu verzichten und behält letztlich das Comichaft-Moralische, das so vielen Schauergeschichten zugrunde liegt, bei – und zeigt dabei, was man auf dieser Grundlage zu leisten vermag, das nötige technische Geschick, aber sicherlich auch Budget, vorausgesetzt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 3. Apr 2012, 14:01
von buxtebrawler
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So finster die Nacht
Der kleine Oskar hat es nicht leicht im Leben. Von seinen Mitschülern gemobbt und von den Erwachsenen nicht beachtet, tristet er ein trauriges Dasein im Herzen von Schweden. Er ist fasziniert von einer Mordserie in den Medien, bis er eines Tages auf die ebenso allein gelassen wirkende Eli trifft, mit der er sich schnell anfreundet und sogar eine leichte Liebesbeziehung eingeht. Doch irgendwie scheint Eli kein gewöhnliches 12 jähriges Mädchen zu sein und ihr Geheimnis ist fürchterlicher als man zunächst meinen könnte...
„Werde ein wenig wie ich!“

Horror? Aus Schweden? Das geht? Den Beweis tritt das in diesem Genre zuvor unbeschriebene Blatt Tomas Alfredson („Four Shades of Brown“) an, der im Jahre 2008 Regie bei der Verfilmung des mir unbekannten, gleichnamigen schwedischen Bestsellers von John Ajvide Lindqvist, welchen Letztgenannter persönlich zum Drehbuch umschrieb, führte.

Der 12-jährige Oskar führt ein tristes Leben zwischen schwedischen Plattenbauten, Schulmobbing und sozialer Verwahrlosung. Von seinem Umfeld eingeschüchtert, flüchtet er sich in Rache- und Gewaltphantasien, bis er das in der Nachbarschaft hinzugezogene Vampirgeschöpf Eli kennenlernt, das äußerlich in der Hülle eines gleichaltrigen Mädchens steckt. Die beiden gehen eine Beziehung zwischen zarter präpubertärer Romanze und berechnender Zweckgemeinschaft ein...

„So finster die Nacht“ ist die Antithese zu Astrid Lindgrens Schweden und der mit ihm einhergehenden Romantisierung/Idealisierung gerade durch Außenstehende, die mit Bullerbü und Konsorten aufgewachsen sind. Alfredson und Lindqvist zeichnen das Bild eines unwirtlichen Schwedens zu Beginn der 1980er-Jahre, dessen lange Winternächte einem blutrünstigen Geschöpf in niedlicher Gestalt Zuflucht bieten und hauptsächlich mit sich selbst beschäftigte, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herausforderungen mit sich und ihrem Dasein hadernde Erwachsene in mehrstöckigen Wohnblocks beherbergt, die isoliert wirken und einem Kind wie Oskar weder Halt noch Unterstützung bieten können oder wollen. Oskars Beziehung zu Eli wird zu einer Rebellion nicht nur gegen die Erwachsenenwelt, sondern gegen das gesamte unerträgliche Umfeld, das Oskar mit Unverständnis und Erniedrigung begegnet und ihm sein verrohtes Antlitz präsentiert, statt mit attraktiven Zukunftsaussichten und Lebensqualität zu locken.

In dieser Tristesse keimt eine wunderbar traurige, abseitige Romanze, die tiefe Melancholie atmet und wie ein morbider Traum eines geschundenen Geistes wirkt. Eli braucht regelmäßig frisches menschliches Blut und zunächst kann sie dafür noch auf Håkan zählen, der eine Art Vater- und Beschützerfigur ihr gegenüber einnimmt. Als jedoch eine geplante „Beutejagd“ erneut schief geht, übergießt er sich mit Säure und wird anschließend von Eli erlöst, woraufhin Oskars Rolle für Eli an Bedeutung gewinnt. Die Einwohner suchen unterdessen nach dem Mörder unter ihnen und kommen Eli nach und nach auf die Spur.

„So finster die Nacht“ hat einige grafisch recht explizite, harte Szenen zu bieten, erzielt seine eigentliche Härte aber aus dem für Eli selbstverständlichen Umgang mit Gewalt und Tod, wofür sie nicht verurteilt wird. Stattdessen verzichtet „So finster die Nacht“ weitestgehend auf Gut/Böse-Schwarzweißmalerei und zeigt Eli als cleveres, souverän mit seiner Situation umgehendes Geschöpf, das sich mit dem Mittel zum Zweck längst abgefunden hat und trotz allem Oskar mehr zu bieten hat als seine Welt, bevor sie in sein Leben trat. Das ist auf den ersten Blick Außenseiterromantik pur, zwei Menschen in Fatalismus vereint gegen den Rest der Welt. Wer genauer hinsieht, erkennt jedoch eine interessante Ambivalenz dieser Konstellation, denn wie bereits eingangs erwähnt handelt es sich nichtsdestotrotz auch um eine Zweckgemeinschaft, die die Frage aufwirft, inwieweit Eli Oskars Situation für egoistische Zwecke – das eigene Überleben – ausnutzt und seine Verunsicherung, sein mangelndes Selbstbewusstsein zum Anlass nimmt, sich nach Håkans Ableben einen neuen Gehilfen heranzuzüchten. Die Handlung bzw. die Umsetzung selbiger nimmt dabei eher eine beobachtende Position ein, die den Zuschauer mit den aufgeworfenen moralischen Fragen und interpretativen Gedankenspielen allein lässt.

Das durchweg düstere Ambiente und seine in ihm agierenden bzw. sich ihm unterordnenden Protagonisten wirken häufig bewegungsarm, eingefroren, starr vor Kälte, Tempo des Films und Kameraführung fungieren dazu als unterstützendes bzw. stilbildendes Äquivalent. Mit der Langsamkeit einer schleichenden, doch allgegenwärtigen Gefahr wird die Geschichte erzählt, während sich in vielen längeren Sequenzen die Kamera jegliche Zooms ebenso verkneift wie rasche Bewegungen und Schnitte, ohne jedoch in langatmige Statik zu verfallen. Das unterstreicht die spröde, kalte Stimmung der Geschehnisse äußerst geschickt und verhilft „So finster die Nacht“ dazu, das atmosphärische Kabinettstückchen zu werden, das es ist. Die sorgfältig gecasteten Kinderdarsteller bewegen sich traumwandlerisch in authentisch rekonstruiertem 80er-Interieur, während sich insbesondere Lina Leandersson als Eli hervortut, die ihre Rolle mit einer erstaunlichen Abgeklärtheit spielt und mit einem Schuss geheimnisvoller Exotik in ihrem Erscheinungsbild auch optisch einen schönen Kontrast zum blonden Schwedenbengel Kåre Hedebrant als Oskar darstellt, der mitunter etwas verunsichert und hölzern wirkt, was aber wiederum zum von ihm verkörperten Charakter passt. Die erwachsenen Schauspieler, unter ihnen Per Ragnar und Peter Carlberg, überzeugen als kantige, knorrige, vom Leben gezeichnete Charakterdarsteller und liefern eine ausfallfreie Leistung. Die musikalische Untermalung von Johan Söderqvist trägt zur Entfaltung der sehnsüchtigen Melancholie bei, indem er sich mit Streichern und Gitarren subtil ins Ohr schmeichelt. Als störend erweisen sich lediglich die der Computeranimation entsprungenen Katzen, die eine aufregende Szene zerstören und einen richtiggehenden Stilbruch darstellen.

In Form eines von Kitsch, Pomp und Pathos bereinigten, modernen, von Boshaftigkeit und gleichsam morbider Schönheit geprägten Vampirmärchens spiegelt „So finster die Nacht“ sensibel das Seelenleben emotional und sozial vereinsamter Kinder auf dem Sprung zur Pubertät wieder und konserviert die Hoffnung auf die erlösende erste Liebe, die, ganz gleich, was sie bringen mag, als willkommene Belebung der eigenen Situation herbeigesehnt wird und so inspirierend wirkt, dass sie als Initialzündung zu einem neuen Leben verstanden wird, aber auch die Gefahr einer manipulativen Wirkung auf labile Gemüter birgt – wodurch man bei allem Märchenhaften dem Realismus verhaftet bleibt. Nach einem überraschend rasanten und expliziten Finale stellt das offene Ende eine Reise in eine ungewisse Zukunft dar, die Chance und Fluch zugleich sein kann und den Zuschauer zu weiterführenden Gedankenspielen animiert. Alfredsons Film ist keine standardisierte Genrekost, er ist anders, aber nicht auf bemüht künstlich-künstlerische Weise, sondern ganz eigene, individuelle, unterkühlt nordeuropäische, in der das Feuer der jugendlichen Leidenschaft unter einer hohen Schneedecke innerhalb einer gleichgültigen bis feindlichen Welt brodelt. SO sieht anspruchsvolle Horrorkost anno 2008 aus!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 3. Apr 2012, 14:21
von buxtebrawler
Anschließend ging's ins Bizarre Cinema, um mir "Milano Kaliber 9" auf großer Leinwand anzusehen. Hier noch einmal mein Kommentar aus dem April 2011:

„Milano Kaliber 9“ aus dem Jahre 1971 ist der Auftakt von Italo-Regisseur Fernando Di Leos fulminanter Mafia-Action-Trilogie. Die Geschichte um den glücklosen, bemitleidenswerten Ganoven Ugo Piazza, der, frisch aus dem Knast entlassen, unmittelbar in die Fänge seiner alten Bande gerät und dazu gezwungen ist, sich wieder mit ihr einzulassen und für „den Amerikaner“ zu arbeiten, der längst die alt eingesessenen Mafiastrukturen verdrängt hat, während über allem die Frage nach den verschwundenen 300.000 Dollar schwebt, wurde temporeich und punktgenau inszeniert: Wie auch bei Di Leos folgenden beiden Mafia-Poliziotti ist Langatmigkeit ein Fremdwort. Trotzdem besitzt die Handlung eine gewisse Komplexität, richtet dabei das Hauptaugenmerk aber stets mehr auf einen hohen Unterhaltungsfaktor denn auf Kopflastigkeit.

Mithilfe fantastischer Schauspieler wie Mario Adorf, der sich als Mafiascherge Rocco in ungeahnter, wahnsinniger, fast beängstigender Raserei ergeht oder Gastone Moschin, der den wortkargen, angefressenen Piazza mimt, aber auch mit einer ganzen Reihe weiterer herrlicher Italo-Charakterfressen sowie einem Stelldichein der sexy Barbara Bouchet, die einen erotischen Tanz aufführt, geht das Konzept voll auf. Als wertvolle Unterstützung erweist sich dabei auch die Kameraarbeit, die sowohl das Tempo, als auch skurrile Schrägheit manchen Moments visuell verstärkt. Abgerundet wird das kreative Potpourri von einem sehr hörenswerten Soundtrack, wie ihn die Italiener, so könnte man rückblickend zumindest den Eindruck gewinnen, seinerzeit aus dem Ärmel geschüttelt haben.

Der Action-Anteil ist hoch und spätestens im großen Finale wird aus allen Rohren geballert, was das Zeug hält. Trotzdem nimmt man sich auch die Zeit für leisere Zwischentöne sowie zugegebenermaßen recht plakative Systemkritik in Form von in der deutschen Kinofassung ursprünglich herausgeschnittenen Dialogen zwischen zwei Polizeioberen, die den italienischen Nord-Süd-Konflikt sowie die ungerechte Verteilung des Reichtums, Wirtschaftskriminalität und Steuerflucht thematisieren.

Die Aussage des Films lautet in etwa „traue Niemandem“, die Sicht auf die Gesellschaft, gerade auch außerhalb der Mafia, ist pessimistisch und das Ende wendungsreich, überraschend und mit einem abermals durchdrehenden Mario Adorf so gestaltet worden, dass einem glatt die Spucke wegbleibt.

Ganz großes italienisches Genrekino, in der heutigen Zeit vielleicht wertvoller denn je!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 3. Apr 2012, 20:31
von buxtebrawler
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Das schöne Ende dieser Welt
Der deutsche Chemiker Michael Brandt (Robert Atzorn) soll für einen multinationalen Konzern Land kaufen, um ein Zweigwerk zu errichten, in dem hochgiftiges Pflanzenschutzmittel produziert wird. Zwar steht das Herbizid in Amerika und Europa auf dem Index - aber in den Ländern der Dritten Welt wirft das mörderische Gift enorme Gewinne ab. Brandt lässt sich von der Stewardess Elaine (Claire Oberman) und ihrem Bruder, dem Umweltschützer Craig (Götz George), überzeugen. Er versucht, gegen den Widerstand seiner Ex-Frau Ursula (Judy Winter) das umstrittene Treiben zu unterlaufen.
„Nein, nichts ist in Ordnung, nichts ist gut.“

Der ambitionierte deutsche Autorenfilmer Rainer Erler, der mit Filmen wie „Operation Ganymed“, „Fleisch“ und „Die Delegation“ überraschend gute TV-Filme von internationalem Format ablieferte, versuchte sich mit seinem 1983 gedrehten und im Januar 1984 ausgestrahlten „Das schöne Ende dieser Welt“ erneut als kritischer Mahner, der mittels des Unterhaltungsfilm-Mediums breite Massen mit seiner Aussage erreichen will.

Der bei einem Chemiekonzern angestellte Deutsche Michael Brandt (Robert Atzom, „Unser Lehrer Dr. Specht“) reist nach Australien, um für seinen Arbeitgeber eine größere Fläche Land zu erwerben. Darauf soll ein Konzernableger errichtet werden, der ein hochgiftiges Pflanzenschutzmittel produzieren soll. Aufgrund nationaler Gesetze, Bestimmungen und Auflagen darf es nicht in den USA und Europa hergestellt werden, weshalb man nach Australien ausweicht, um es für die Dritte Welt zu produzieren. Australische, wenig pazifistische Umweltaktivisten haben allerdings etwas dagegen und versuchen, Brandt gewaltsam wieder loszuwerden. Dieser hat sich aber in die Stewardess und Schwester des Umweltschützers Craig (Götz George, „Abwärts“) Elaine (Claire Oberman, „Die Stunde der Patrioten) verliebt und denkt nicht daran, wieder abzureisen. Durch die Konfrontation mit den Argumenten der Umweltschützer setzt bei Brandt jedoch ein Umdenken ein…

Erler kombiniert eine Abenteuergeschichte mit einer Romanze und einer intelligenten Aussage hinsichtlich der Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung durch skrupellose multinationale Konzerne, büßt aber leider sein erzählerisches Geschick zu einem nicht geringen Teil ein. So verbreitet er seine Botschaft wenig subtil in Form von ausladenden Dia- bzw. Monologen seiner Charaktere, statt sie weniger lehrerhaft in die laufende Handlung einzuflechten. Über weite Strecken erscheint „Das schöne Ende dieser Welt“ stark vereinfacht bis plakativ. Das beginnt damit, dass es keinerlei Sprachbarrieren zu geben scheint, alle Protagonisten, gleich welcher Filmnationalität, verständigen sich schlicht in ungebrochenem Deutsch miteinander. Des Weiteren wirkt die Liebesgeschichte sehr erzwungen und aufgesetzt statt nachvollziehbar konstruiert. So fragt man sich unweigerlich, was Elaine eigentlich an diesem deutschen „Hanswurst“, als der sich Atzom präsentiert, überhaupt findet. Das Drehbuch bleibt jede Antwort schuldig; der Zuschauer erfährt so gut wie nichts über die Hintergründe der Beziehung, obwohl er seit der ersten Begegnung der beiden im Flugzeug von Anfang an involviert ist.

Akzeptiert man diese Prämisse jedoch erst einmal, kann man sich an diversen gelungeneren Elementen erfreuen: Da wäre zum einen der australischen Folkkünstler James Brookes, der den zweideutig zu verstehenden Filmtitel in englischer Sprache zu einem Ohrwurm formt und eindringlich vorträgt, da wäre ein prima aufgelegter Götz George, zumindest anfänglich ähnlich hart durchgreifend wie von vielen seiner Rollen gewohnt, ungewohnter- und damit interessanterweise diesmal aber in der Rolle eines fortschrittlichen Idealisten, die der nominellen Hauptrolle die Schau stiehlt, ferner Claire Oberman als kleiner Augenschmaus, der zeigen darf, was er hat sowie einige Actioneinlagen inkl. Schusswaffengebrauch und Explosionen, und das alles eben gedreht am „schönen Ende dieser Welt“, so dass der Film auch authentisches, eventuell gar Fernweh weckendes Lokalkolorit zu bieten hat. Und wenn gegen Ende eine überraschende Wendung einsetzt, ist da wieder eindeutig die pessimistische, grundlegend misstrauische Handschrift Erlers zu erkennen. Doch was die Handlung zunächst aufwertet, indem es sie um eine Ebene, einen wichtigen Teilaspekt erweitert, wird leider nicht bis zum Schluss durchgehalten, der ein versöhnliches, optimistisches „Happy End“ bereithält.

Alles in allem hat „Das schöne Ende dieser Welt“ leider den Anschein eines belehrenden Moralfilms, dem der künstlerische Aspekt untergeordnet wurde. Was Erler soweit mir bekannt sonst eher vermied, ist hier nur allzu offensichtlich, so inhaltlich richtig die im Film enthaltenen Aussagen hinsichtlich der Verantwortungslosigkeit und Geldgier von Chemiekonzernen und sein Aufruf zur Zivilcourage gegen die Machenschaften derartiger Unternehmen auch sein mögen. Dennoch bleibt ein überdurchschnittlicher Spielfilm, der Intelligentes eben nicht sonderlich intelligent, dafür aber auch nicht langweilig oder übermäßig ärgerlich transportiert. Ich gebe dafür ein bisschen wohlwollende 6 von 10 explodierenden Eukalyptusbäumen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 4. Apr 2012, 14:16
von buxtebrawler
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Der Würger kommt auf leisen Socken
Der Metzger Otto ist in ganz Wien für seine hervorragenden Fleischwaren bekannt. Was seine Kunden nicht wissen: Otto hat 'ne Schraube locker und wird seit seinem Aufenthalt in der Klapsmühle von Alpträumen geplagt. Eines Tages dreht er durch, tötet seine Frau und verkauft ihre sterblichen Überreste in Würstchenform. Das kommt bei den Kunden an, so dass sich Otto nach neuen Opfern umschaut...
„Versuch ja nicht, diese Komödie weiterzuspielen!“

Italo-Regisseur Guido Zurlis („Zorro – Der Mann mit der Peitsche“) „Der Würger kommt auf leisen Socken“, 1971 in deutsch-italienischer Koproduktion entstanden, ist eine ungewöhnliche schwarzhumorige Horrorkomödie. Metzger Otto (Victor Buono, „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“) wurde just aus der Klapsmühle entlassen, in die er seinerzeit eingewiesen wurde, nachdem er einer Dame an die Gurgel ging. Nun hat er schriftlich, dass er geheilt ist, und geht wieder seinem erlernten Beruf nach – immerhin ist er der beste Metzger von ganz Wien! Als er seine permanent an ihm herumnörgelnde, herrische Frau jedoch im Affekt erwürgt, weiß er zunächst nicht, wohin mit der Leiche, bis ihm die Idee kommt, sie kurzerhand ebenfalls durch den Fleischwolf zu drehen...

Zurlis Film wirkt in seinen klar als solche erkennbaren Kulissen und seinem eigenwilligen Humor vielmehr wie ein abgefilmtes Lustspiel denn herkömmlicher Genrebeitrag. Makaber und überraschenderweise tatsächlich durch und durch österreichisch erscheint der im Wien des Jahres 1930 angesiedelte Film, der mit Hauptdarsteller Victor Buono steht und fällt. Mit der Verarbeitung des Motivs der unfreiwillig zu Kannibalen werdenden Bevölkerung, vermutlich inspiriert von wahren Ereignissen um derangierte Mitmenschen wie Ed Gein oder auch Fritz Haarmann, um auf dem Kontinent zu bleiben, war „Der Würger...“ noch früher dran als „The Texas Chainsaw Massacre“ und Konsorten, lässt sich aber nicht wirklich mit diesen Filmen vergleichen. Emotionale Tragik und Drama wurden ausgespart zugunsten einer trotz des beachtlichen Körperumfangs Ottos leichtfüßigen, trashigen Groteske, die konsequent auf nicht vollends überzogenen, sondern häufig eher etwas leiseren, karikierenden Humor setzt. Der Ekel spielt sich dabei ausschließlich im Kopf des Publikums ab, denn obgleich Ottos Würgemorde in Großaufnahme gezeigt werden, wird die anschließende Verarbeitung nach allen Regeln der Fleischerzunft lediglich angedeutet, ohne dass ein Tropfen Blut fließt.

Stattdessen wird man mit der fast schon tragikomischen Person Ottos vertraut, der eine Nachbarin voyeuristisch beobachtet, ins Visier der Polizei gerät, die ihm aber nichts nachweisen kann – und viel Lob für seine wohlschmeckenden Würste mit Geheimzutat erntet. Er ist einer dieser großen, dicken, kauzigen, grobschlächtigen dabei aber auf ihre eigene Weise liebenswerten und bauernschlauen Typen, wie sie ein jeder schon mal irgendwo kennengelernt hat. Der US-Amerikaner Buono passt so perfekt in die Rolle, dass er 100%ig authentisch wirkt, als wäre er tatsächlich Österreicher. Alle anderen Schauspieler verblassen neben der Präsenz dieses Mannes, wenn auch US-Amerikaner Brad Harris („SS Hell Camp“) als sensationslüsterner, eifriger Journalist der unfähigen und unwilligen Polizei die Arbeit abnimmt, sich amüsante Dialoge mit selbiger liefert und unschwer erkennbar als Kontrastperson zu Otto eingeführt wird. Schließlich hegen beide auch noch Interesse an der gleichen Frau, so dass weitere Katastrophen unausweichlich scheinen.

Sonderlich komplex ist die Handlung dabei nicht und Ottos Morde lassen sich an einer Hand abzählen. Überfordert wird mit der stringenten Erzählweise, die sich mitunter etwas unglücklich bemüht, den Film auf Länge zu bringen, niemand, einzige wirkliche Überraschung ist das Ende. Zudem sorgen ein, zwei zeigefreudige Damen für einen leichten Sleaze-Anteil. Das reicht aber für dieses ebenso kuriose wie charmante Filmerlebnis, das sich mit nicht immer ganz einfach zu verstehendem Wiener Dialekt und Walzerklängen streng dem Drehort verpflichtet zeigt, dank seiner überwiegend komödiantisch klingenden Klavierklänge aber nie einen Hehl aus seiner humoristischen Ausrichtung macht. Als Horrorfilm funktioniert „Der Würger...“ demnach kaum und auch im Bereich makabrer Komödien hat mit im Laufe der Jahrzehnte viel wesentlich Spektakuläreres gesehen. Als verschrobenes kleines, gemeines Stück europäischer Filmkultur sollte er aber nicht unterschätzt werden, allein schon aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale, die er sich bis heute bewahrt hat. Bei zur Selbstironie fähigen Österreichern zumindest dürfte „Der Würger...“ unbedingten Kultstatus genießen. Oder um es mit Ottos Worten zu sagen: „Was ich denk, ist sowieso alles Wurscht.“

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 4. Apr 2012, 23:27
von buxtebrawler
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Der Spot oder Fast eine Karriere
Mit reichlichem Einsatz an Mensch und Material, mit Geistesblitzen im Dutzend und Unmengen an Kreativität Werbespots zu kreiren, damit die Kunden ihre Produkte auch an den Mann bringen ist kein Problem für die Werbeagentur, dafür sind sie da, dafür werden sie bezahlt. Allerdings das gleiche tun für ein Produkt, das noch gar nicht existiert, ja das noch nicht einmal jemand kennt? Nun denn, wenn der Kunde es wünscht, wird auch das von der Agentur angegangen, gleich was es kostet ...
„Werbung ist die Kunst, auf den Kopf oder das Herz zu zielen, aber immer die Brieftasche zu treffen.“

Mit dem 1981 fürs ZDF produzierten „Der Spot oder Fast eine Karriere“ nimmt der deutsche Autorenfilmer Rainer Erler („Die Delegation“, „Operation Ganymed“, „Fleisch“) in Form einer bitterbösen Satire die schnelllebige Werbebranche und den in ihr grassierenden Wahnsinn aufs Korn.

Der ambitionierte Jüngling Peter Johann „Pit“ Soling (Claus Obalski, „Wer spritzt denn da am Mittelmeer?“) verhilft der Werbeagentur, in der er angestellt ist, dank seiner jugendlichen Unbedarftheit zum Vertragsabschluss mit einem Eau-de-Toilette-Fabrikanten. Mit Unterstützung der opportunistischen, verschlagenen Chefsekretärin Lisa (Elisabeth Endriss, „Das Spinnennetz“) fällt er in schwindelerregender Geschwindigkeit die Karriereleiter hoch und wird schließlich federführend beim Versuch, den nächsten großen Auftrag, eine Kampagne für das Allzweckmittel „Santorin“, an Land zu ziehen. Dabei weiß niemand, was „Santorin“ überhaupt ist…

Legt man „Der Spot“ unbedarft und ohne Vorwissen in den Player, fragt man sich zunächst vielleicht noch, wer dieser widerliche, neunmalkluge Streber Pit überhaupt ist und was das Ganze soll, bis glücklicherweise relativ schnell deutlich wird, dass sein übertriebenes Schauspiel zum Konzept des Films gehört, der sich als wahnwitzige, komödiantische Satire entpuppt. Gedreht in Deutschland (vermutlich München), Spanien und New York, zieht Erler mit dem Stilmittel der veranschaulichenden Übertreibung das Erzeugen hohler Phrasen, kurzlebiger Luftblasen und substanzloser Trends, also von sprichwörtlich „viel Lärm um nichts“, das künstliche Wecken von Bedürfnissen in einer Konsumgesellschaft und die Bedeutungslosigkeit des tatsächlichen Gehalts einer Sache für den Markterfolg kräftig durch den Kakao und rechnet mit den rücksichts- und skrupellosen Mechanismen der Branche ab, die sehenden Auges ihre speichelleckenden und karrieregeilen Mitarbeiter verheizt und nichts und niemandem außer dem schnödem Mammon verpflichtet ist.

Das fiktive Produkt „Santorin“ zieht sich als roter Faden durch die Handlung, über den schließlich auch Pit stolpern soll. Der Weg dahin ist gespickt mit dank offensichtlich im Vorfeld angestellter guter Beobachtungen punktgenauer, bizarrer Satire, die das nicht vorhandene Fundament aller Bemühungen um ein Marketingkonzept entlarvt. Einsamer Höhepunkt ist dabei eine irrsinnige Abfolge potentieller „Santorin“-Werbespot-Storyboards, präsentiert von einem dem Wahnsinn nahen, überforderteten, es niemandem recht machen könnenden Mitarbeiter, die – und das ist das besonders Tolle – eines nach dem anderen von Erler sogar filmisch umgesetzt wurden, bis selbst dem Zuschauer bald der Kopf dröhnt. Großartig!

Nicht ganz so überzeugend, allerdings auch weniger wichtig für diese Art von Film, sind die schauspielerischen Leistungen des Hauptdarstellers, der zuvor offensichtlich in diversen Softsex-Klamotten Erfahrung sammeln durfte, mit seinem glattgeleckten Äußeren und seiner „Everybody’s Darling“-Attitüde andererseits gut in seine Rolle passt. Die übrige Darstellerriege findet sich gut in ihre überdrehten Charaktere ein. Elisabeth Endriss soll als reife Karrierefrau, die nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre Sexualität prostituiert ebenso für einen kleinen Erotikfaktor sorgen wie zeigefreudige junge Models. „Der Spot oder Fast eine Karriere“ ist somit eine köstliche und höchst unterhaltsame Verspottung der längst durchschauten, selbstgefälligen Werbewelt und regt so ganz nebenbei und ohne jeden pädagogischen Zeigefinger sein Publikum dazu an, sich Gedanken über den Grad seiner eigenen Beeinflussung durch professionell konstruierte, verführerische Scheinwelten zu machen. Nur wo bekomme ich jetzt dieses verdammte „Santorin“ her?!