Joe Strummer: The Future Is Unwritten
Vier Jahre nach Strummers Tod hat Temple, der die Punkbewegung schon 1976 gefilmt hat, seine eigenen Aufnahmen aus dieser Zeit mit Archivmaterial von Strummers Kindheit bis hin zu seiner Zeit mit den Mescaleros kombiniert. Schulfreunde erzählen von der Verwandlung des kleinen charismatischen John Mellor in den Punkleader Joe Strummer. Die Clash-Mitglieder Nicky »Topper« Headon, Mick Jones und Terry Chimes, der Manager Bernie Rhodes und der Sex Pistol Steve Jones treten als Zeugen der ersten Stunde auf, während Bono von U2, Anthony Kiedis von den Red Hot Chilli Peppers, John Cusack und Jim Jarmusch über Strummers Einfluss auf ihr musikalisches Schaffen sprechen. Der politisch engagierte Leader ist immer noch ein Idol für viele Bands unterschiedlichster Musikstile, die sich noch heute von seiner Persönlichkeit und seinem Engagement beeinflussen lassen. Diese Beziehungen werden mit bislang teilweise unveröffentlichtem Archivmaterial der Hippie- und Punkbewegung gemischt, deren Musik, Kultur und Kämpfe Strummers Persönlichkeit gebildet haben. (Quelle:
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Für seinen Dokumentarfilm „The Future Is Unwritten“ aus dem Jahre 2007 zeichnet der britische Dokumentarfilmer Julien Temple („The Great Rock’n’Roll Swindle“) das Leben Joe Strummers, dessen kulturelles Selbstverständnis und Schaffen, nach. Joe Strummer wird in erster Linie mit THE CLASH, der besten und bedeutendsten Punkband, assoziiert, hat sich aber auch zahlreichen anderen Projekten gewidmet, bevor er überraschend im Winter 2002 an den Folgen eines angeborenen Herzfehlers viel zu früh verstarb.
Temple hat bereits Erfahrung mit Rock’n’Roll-Filmen und Punk-Dokus und konnte dadurch nicht nur auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen, sondern auch auf viel Archivmaterial, das er über die Jahre hinweg – angefangen in der Sturm-und-Drang-Zeit der Punk-Revolution – angesammelt hat. Das wäre der erste große Pluspunkt des Films: Man bekommt bislang unbekannte Aufnahmen zu sehen anstelle der immer gleichen TV-Archivaufnahmen oder Filmausschnitte, die immer wieder in Dokumentationen und Reportagen zweit-, dritt- oder viertverwertet werden. Zudem bekam er Zugriff aufs das Privatarchiv der „Familie Strummer“, wodurch es Kindheits- und Jugendaufnahmen in den Film geschafft haben.
Ideen für die Gestaltung seines Films hatte Temple so einige: So besteht ein nicht unerheblicher Teil von „The Future Is Unwritten“ aus Ausschnitten von Spielfilmen, insbesondere George-Orwell-Verfilmungen, womit er eine Brücke zum politik- und gesellschaftskritischen Inhalt des Schaffens Strummers schlägt. Ferner war „Commandante Joe“, wie ihn Attila the Stockbroker nannte, in früher Zeit ein gar nicht mal so unbegabter Comiczeichner, weshalb Temple Strummers alte Zeichnungen animieren ließ und in seinen Film integrierte. Für meinen Geschmack wurde gerade von den Filmausschnitten aber etwas viel Gebrauch gemacht, lieber hätte ich weitere Originalaufnahmen gesehen.
Wie Strummer es gern tat, versammelte Temple diverse Weggebleiter Strummers um Lagerfeuer und führte dort seine Interviews. Das sorgt mal mehr, mal weniger – abhängig vom jeweiligen Gesprächspartner – für eine besondere Atmosphäre, kann aber auch schnell kitschig wirken. Dem einen nimmt man das Lagerfeuer eben mehr als dem anderen… Das Prasseln des Feuers wirkte sich auch nicht immer störungsfrei auf den Ton aus, was aber vermutlich beabsichtigt zwecks Authentizität nicht großartig nachbearbeitet wurde.
Zu Wort kommen ehemalige Genossen aus der Hausbesetzerzeit, Musikerkollegen, die mit ihm zusammen musiziert haben, z.B. Mick Jones und Topper Headon von THE CLASH, aber auch andere wie Steve Jones (THE SEX PISTOLS) und Bono (U2). Außerdem äußern sich einige Schauspieler wie Johnny Depp, John Cusack und Matt Dillon zu ihren Erfahrungen mit THE CLASH und Joe Strummer.
Temple erwähnt auch die weniger erfolgreich gebliebenen musikalischen Projekte Strummers und geht auf dessen Tätigkeiten als Schauspieler und Filmmusikkomponist ein, bis er sich wieder ausführlicher mit Strummers letzter Band, den MESCALEROS, beschäftigt. Bei all dem werden auch auf angenehme Weise die Widersprüchlichkeiten der Band THE CLASH bzw. den Punk-Phänomen im Allgemeinen und Strummers Person im Speziellen aufgezeigt, ohne zu be- oder verurteilen. Wirklich tiefgreifend Persönliches erfährt man aber eher weniger, Strummer künstlerische Ader steht eindeutig im Vordergrund. Aufgrund der Bandbreite, die es in der Kürze der Spielzeit abzudecken galt, bleibt natürlich vieles lediglich angerissen. Oberflächlichkeit möchte ich Temple aber nicht vorwerfen, denn dafür wurden zu viele Details berücksichtigt, denen manch anderer wenig Bedeutung beigemessen und sie deshalb verschwiegen hätte.
Ich hatte mich lange damit schwergetan, mir den Film anzusehen, obwohl oder vielleicht gerade weil ich selbst großer Fan von THE CLASH und anderen Projekten Strummers bin. Ich wollte mir meine eigene Sichtweise auf die Dinge nicht kaputtmachen lassen und wusste auch nicht, warum ich Leuten wie Bono dabei zuhören sollte, wenn sie über Punkrock-Ikonen schwadronieren. Letzteres weiß ich bis heute nicht und manches wirkt aus meiner Sicht etwas deplatziert, unterm Strich bin ich aber zufrieden mit „The Future Is Unwritten“ und hoffe, dass er viele bzw. die richtigen Menschen, die bisher keinen Zugang zu Joe Strummer gefunden hatten, inspiriert hat – in welcher Hinsicht auch immer.