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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Di 17. Aug 2021, 16:10
von karlAbundzu
Robert Zion: Der verletzliche Blick. Regie: Dario Argento

Zion analysiert die seiner Meinung nach wichtigsten Werke Argentos. Und das macht er interessant, nachvollziehbar und lenkt seinen Blick auf Details, Sinnzusammenhänge, die für mich zT neu waren. Schön.
Nicht ganz so schön sind ein paar Sachen im Vor- und Nachwort (und auch mal mittendrin). Sein Fantum läßt ihn negativ auf andere Regisseure runtergucken, die zum Teil diffamiert werden und eine gewisse arrogante "ich hab als einiziger recht"-Attitude bei seinen Bewertngen sowohl der Filme als auch bei anderen Filmschaffenden nervt dann doch mal zwischendurch. Bei einem Fanbuch würde mir das wahrscheinlich weniger ausmachen, aber analytisch kommt das hier ja als Filmwissenschaftliches Werk her.
In der Einzelfilmanalyse alleinstehend in der deutschen Literatur, manches muss da halt gechluckt werden.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Di 17. Aug 2021, 23:10
von buxtebrawler
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U-Comix präsentiert #45: Peter Bagge – Die Bradleys

Den US-Comiczeichner Peter Bagge hatte ich Mitte der 1990er dadurch kennenlernt, dass der Carlsen-Verlag seine punkig-anarchische, im Seattle des Grunge-Booms angesiedelte Funny-Reihe „Hate!“ unter dem deutschen Titel „Leck mich!“ veröffentlichte. Nach neun großartigen Heften war Schluss, und was ich nicht ahnte: Bereits vor „Hate!“ hatte Bagge Comics um sein Alter Ego Buddy Bradley gezeichnet und veröffentlicht. In diesen hatte es Buddy noch nicht nach Seattle verschlagen, sondern er lebte mit seiner Familie (Mutter, Vater, Schwester, kleiner Bruder) in einer New Yorker Vorstadt und pubertierte fröhlich vor sich hin. Der Alpha-Verlag veröffentlichte 1991 innerhalb seiner „U-Comic präsentiert“-Reihe als Band Nr. 45 ausgewählte Geschichten, die im US-Original im Zeitraum 1985 bis ’89 – also noch vorm die erste Hälfte der ‘90er popkulturell prägenden Grunge-Hype – erschienen waren.

Das rund 50-seitige Softcover-Album umfasst sechs unkolorierte Geschichten in sehr abwechslungsreichen, dynamischen, dennoch meist klar strukturierten Panel-Grids, innerhalb derer die Figuren eine stark expressionistische Karikatur einer „typischen“ US-Familie der zweiten ‘80er-Hälfte darstellen. Die vorherrschende Emotion ist Wut, die Raserei der Figuren wird mittels extremer Metamorphosen in schnaubende, brüllende oder um sich schlagende, monsterhafte Fratzen zum Ausdruck gebracht. Bereits das ist gehobenes Comicvergnügen, doch auch erzählerisch lässt Bagge aufmerken: In „Zuflucht beim Rock’n’Roll“ steht lange das damals aktuelle Duran-Duran-Album im Mittelpunkt, bis Buddy Eskapismus in einer Yardbirds-Best-Of findet; „Mom Power!“ ist ein heftiger feministischer Wutausbruch; „Ein heimlicher Blick in Babs Bradleys Tagebuch“ eine köstliche Persiflage auf die wirre Gedankenwelt heranwachsender Teenie-Schnepfen und in „Du bist nicht mein Boss!“ begehrt Babs gegen ihre Mutter auf und treibt diese damit in den Wahnsinn bis zur völligen Eskalation.

Die ohne Dialoge auskommende, im Prinzip nicht einmal eine richtige Geschichte erzählende Bildabfolge „Familie Bradley in: Ikonen“ stellt Idole bzw. Ob- und Subjekte der Verehrung wie Actionfiguren, Pop- und Rock-Musiker(innen), Sportmannschaften oder Politiker gleichberechtigt dem christlichen Glauben Mutter Bradleys gegenüber und regt in mehrere Richtungen zum Hinterfragen an. Vor allem aber wimmelt es hier nur so vor Zeitkolorit und popkulturellen Referenzen – und bei Bagges „Masters of the Universe“-Zeichnungen geht mir natürlich das Herz auf. Abschließend lernt man noch Oma Bradley im Rahmen eines Zweiseiters kennen.

All das ist brillante, oft hintergründige Comicunterhaltung, die beweist, dass Bagge seinerzeit mit „Hate!“ keinesfalls auf den Grunge-Zug aufgesprungen ist, sondern bereits ein mehr als respektabler Comicautor und -zeichner war. Es würde mich nicht wundern, wenn „Die Bradleys“ auch einen gewissen Matt Groening inspiriert haben… Schön, dass ich dieses Album auf einem Flohmarkt entdeckt habe; schade hingegen, dass Bagges ‘80er-Œuvre bisher nicht vollständig in einer deutschen Fassung erhältlich ist.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Mi 18. Aug 2021, 15:43
von karlAbundzu
Ich wußte gar nicht, das Bagge auf deutsch rauskam, ich habe da immer die US Heftchen beim ComicDealer geholt.
Und Groening hat ja schon vor den Simpsons Comics gemalt. Ab 1977 glaube ich Life in Hell und mit den Simpsons fing er auch schon 1985 an. Insofern nährten sich beide am amerikanischen Alltag, allerdings aus ein bisschen anderer Richtung.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Do 19. Aug 2021, 12:00
von sergio petroni
IMG_3196.JPG
IMG_3196.JPG (545.3 KiB) 568 mal betrachtet
Für zwischendurch ein leicht verdauliches Werk über Slasher. Liest sich flüssig weg und bietet
gerade im ersten Teil Informationen zu Vorläufer-Filmen aus den 1960ern, von denen
einige doch recht interessant klingen, aber zumeist wohl schwer zu bekommen sind.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Mi 25. Aug 2021, 19:07
von purgatorio
Chuck Palahniuk: FIGHT CLUB

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Ich bin Jacks überschwängliche Begeisterung!

Ja!
JA!!
JAAAA!!!
JAAAAAAA!!!

Was ich bis kürzlich nicht wusste ist, dass Finchers epochaler FIGHT CLUB (ein ewiger Gast auf meiner sich doch stetig wandelnden best-movies-of-all-time-Liste) eine Literaturverfilmung ist. Hat mich aber offensichtlich auch nie wirklich interessiert, sonst hätte ich das im Informationszeitalter ja unproblematisch in Erfahrung bringen können. What ever, wusste ich nicht, jetzt weiß ich es. Und als Literaturverfilmung stellt FIGHT CLUB quasi eine 1:1-Umsetzung dar. Nur wenige Details sind im Film variiert. Umso stärker und krasser ist darum dieses Buch. Wie schräg, springend und hüpfend durch Zeit und Gedanken ist dieses Buch bitte geschrieben? Kurze Kapitel schmeißen einen hin und her, als sitze man im Flugzeug und überquere jegliche Zeitzonen in alle Richtungen. Und trotzdem weiß der Leser stets, wo er gerade ist und sein soll (im Gegensatz zum Protagonisten, der irgendwann nicht mehr weiß, welcher Tag ist, ob er schläft oder wacht, wo er ist... wer er ist). Unglaublich gut! Liest sich entsprechend und lädt in die desillusionierte Welt von Männern ohne Sinn im Leben, angeödet von Ikea, ihrem Job, definiert durch ihren Besitz, antriebslos und quasi tot. FIGHT CLUB ist eine extreme Reise durch die Midlife Crisis - dabei witzig, irrsinnig, atemberaubend, unterhaltsam, nachfühlbar und ein kleiner Meilenstein der Populärkultur. Ich bin Jacks wohlige Erinnerung an die späten 90er :mrgreen:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Do 2. Sep 2021, 10:55
von buxtebrawler
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Frank Schäfer – Homestories - Zehn Visiten bei Schriftstellern

Scheißhaus an Marmeladeneimer

Angefixt durch Frank Schäfers „Rumba mit den Rumsäufern – Noten zur Literatur“ habe ich mir antiquarisch dessen Quasi-Vorgänger besorgt: „Homestories“ ist im Jahre 2008 im Hamburger Textem-Verlag erschienen, seine rund 150 Seiten sind zwischen zwei festen Buchdeckeln im Schutzumschlag gebunden. Die Gespräche, die der Braunschweiger Dr. phil. Schäfer, selbst Schriftsteller und Literaturexperte, mit Wolf Wondratschek, Eugen Egner, Peter Glaser, Max Goldt, Helge Schneider, Frank Schulz, Horst Friedrichs, Harry Rowohlt, Ludwig Lugmeier und Thomas Kapielski führte, waren auf verschiedene Ausgaben verteilt in gekürzter Form zwischen 2003 und 2006 bereits im „Rolling Stone“ angedruckt worden.

Zweifelsohne verdienen sie die etwas prätentiöse Wiederveröffentlichung in ihrem vollen Umfang, denn so unterschiedlich die Personalien, so abwechslungsreich, spannend und unterhaltsam sind auch die Interviews, die Schäfer mitsamt den vor Ort gewonnenen Eindrücken in Essay-Form verarbeitete. Wondratschek traf er in dessen Hotelzimmer in einer Berliner Fünf-Sterne-Unterkunft, Egner hingegen in dessen Haus in Wuppertal, eine Stadt, für die Schäfer offenbar nicht das Geringste übrighat – und in der er etwas elitär beleidigend zusammen mit Egner über dessen lärmende Nachbarn herzieht. New-Wave-Literat und Chaos-Computer-Club-Mitbegründer Glaser empfängt Schäfer ebenfalls zu Hause, wo Glaser u.a. über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Journalismus und Literatur resümiert und sich an alte Punk-Zeiten erinnert.

Mit Max Goldt war lediglich ein E-Mail-Austausch möglich, augenscheinlich indes ein sehr ergiebiger, in dem Goldt sich für mich etwas überraschend als echter Schöngeist entpuppt. Helge Schneider traf Schäfer im Zuge der Pressevorstellung des Schneider-Films „Jazz Club“ und entlockte ihm, weshalb er zwar „Clockwork Orange“, nicht jedoch „Pulp Fiction“ mag. Ein weiterer Höhepunkt ist das Gespräch mit Harry Rowohlt, das beinahe gar nicht stattgefunden hätte, zumindest immer wieder aufgeschoben worden war, wie Schäfer chronologisch dokumentiert. Himmel, welch göttlichen Humor Rowohlt besaß! Durch Lektüre wie diese wächst die Liste an Schriftsteller(inne)n, von denen ich wirklich einmal etwas lesen sollte. Aber das nur am Rande...

Nicht unbedingt lesen muss ich die „Jerry Cotton“-Heftromane, umso aufschlussreicher ist aber, was Horst Friedrichs, alteingesessener Stammautor jener Reihe, über diesen oft verschmähten, doch noch häufiger innig geliebten Bereich der Trivialkultur und die damit einhergehenden speziellen Produktionsprozesse zu berichten hat. Man kann es Schäfer gar nicht hoch genug anrechnen, wie er Friedrichs und dessen Lebenswerk respektvoll und auf Augenhöhe begegnet. Vom Verbrechensbekämpfer zum Verbrecher: Lugmeier hat bewaffnete Raubüberfälle begangen und war ein echter Knacki, bevor er zum Schriftsteller avancierte. Mit Schulz klappert Schäfer auf dem norddeutschen Lande Originalschauplätze dessen Dorfabenteuer ab und mit Kapielski geht er einen trinken. Letzterer wird von Schäfer so wunderbar blumig charakterisiert, dass ich es zitieren muss: „Er hat sich eine ganz eigene, von Luther’schem Starckdeutsch infizierte, mit altväterlicher Gelehrsamkeit und wilhelminischem Pathos gewichste Protz- und Spreizdiktion erschrieben, die immer wieder übertönt wird vom gewitzten Proletensound der Berliner Eckkneipe oder ironisch angeschrägt von forcierter, bisweilen durchaus alberner Sprachspielerei.“ Leider entblödet Kapielski sich nicht, ausgerechnet den rechtspopulistischen Eiferer Udo Ulfkotte, der zuletzt ausschließlich im Idiotenverlag Kopp veröffentlichte, als „Mutigen“ darzustellen. Au weia...

Nichtsdestotrotz, um es auf den Punkt zu bringen: Um zumindest den überwiegenden Teil dieser Homestories genießen zu können, braucht man sich einen feuchten Kehricht für Literatur oder die von Schäfer heimgesuchten Schriftsteller zu interessieren. Ein gewisses Interesse an unterhaltsam, pointiert und mit feinem Humor geschriebenen Geschichten – denn das sind diese Essays – reicht vollkommen aus. Kommt eine grundsätzliche Offenheit gegenüber den in dieser Form Porträtierten hinzu, sind alle Voraussetzungen gegeben, darüber hinaus einiges an Inspiration und Wissen mitzunehmen. Ach, und natürlich eigenartige Wörter, sprich: Schäferesken wie faunisieren, Epiphanie, bramarbasiert, Invektiven, Epistel, Temperenzler, prolongiert oder auch antichambrieren.

Schäfer ist es offenbar gelungen, den richtigen Zugang zu seinen Gesprächspartnern zu finden, irgendwo zwischen neugierigem, durchaus kritischem, aber immer gut vorbereitetem Journalisten und respektvollem Bewunderer. Was er ihnen entlockte, hat er zu sehr lesenswerten Mischungen aus Sachinformation und Persönlichem geformt, das, häufig verankert im Privatumfeld der Gesprächspartner, ein runderes Bild zu vermitteln versteht als es sich lediglich auf Teilaspekte beziehenden Interviews oder gar boulevardesker Berichterstattung in der Regel möglich ist.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Do 2. Sep 2021, 15:33
von Dick Cockboner
karlAbundzu hat geschrieben: Mi 18. Aug 2021, 15:43 Ich wußte gar nicht, das Bagge auf deutsch rauskam, ich habe da immer die US Heftchen beim ComicDealer geholt.
Und Groening hat ja schon vor den Simpsons Comics gemalt. Ab 1977 glaube ich Life in Hell und mit den Simpsons fing er auch schon 1985 an. Insofern nährten sich beide am amerikanischen Alltag, allerdings aus ein bisschen anderer Richtung.
Wenn ich mich recht erinnere, kam bei Jochen Enterprises einiges von P. Bagge auf deutsch raus, was preislich auch heute noch im Rahmen ist.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Do 2. Sep 2021, 17:50
von Arkadin
purgatorio hat geschrieben: Mi 25. Aug 2021, 19:07 Was ich bis kürzlich nicht wusste ist, dass Finchers epochaler FIGHT CLUB (ein ewiger Gast auf meiner sich doch stetig wandelnden best-movies-of-all-time-Liste) eine Literaturverfilmung ist.
:shock: :shock: :shock:

Sag bloß, Du kennst dann auch Chuck Palahniuk noch nicht? Falls dem so sein sollte: Unbedingt nachholen.
Ich empfehle mal "Der Simulant" (auch verfilmt worden) und "Lullaby".
Um "Snuff" bin ich ein paar mal herumgeschlichen, habe mich dann aber doch nicht getraut.

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Do 2. Sep 2021, 21:22
von karlAbundzu
Das, was arkschi sagt.
Der simulant heißt als Film Choke, von und mit Clark Gregg, daneben Sam Rockwell und Angelica Huston. Mein Oldenburg Gewinner 2008(?)

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Verfasst: Fr 3. Sep 2021, 06:42
von purgatorio
Arkadin hat geschrieben: Do 2. Sep 2021, 17:50 Sag bloß, Du kennst dann auch Chuck Palahniuk noch nicht? Falls dem so sein sollte: Unbedingt nachholen.
Ich empfehle mal "Der Simulant" (auch verfilmt worden) und "Lullaby".
Um "Snuff" bin ich ein paar mal herumgeschlichen, habe mich dann aber doch nicht getraut.
Hatte ich tatsächlich nie auf dem Schirm... ich musste ja aber auch jahrelang nur Zombiebücher lesen :lol: Aber ist doch schön, mir eröffnet sich gerade eine Wundertüte an neuer Literatur, da ich von seinem Schreibstil sehr angetan war :cool: