bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Scre4m - Neues Spiel. Neue Regeln.
15 Jahre ist es nun her, als das kleine Städtchen Woodsboro das erste Mal von einer fürchterlichen Mordserie erschüttert wurde. Sydney Prescott, Überlebende und Lieblingsopfer des sogenannten Ghostface-Killer, hat sich seither zurückgezogen, kommt nun jedoch für die Werbetour ihres Buches "Out of the Darkness" wieder zurück in ihre Heimat. Doch kaum ist Sydney da, erschüttert erneut eine Mordserie die Umgebung. Ein neuer Killer im Ghostface-Outfit ist unterwegs und killt seine Opfer nach allen Regeln der Slasherkunst. Sydney versucht nun erneut, zusammen mit Sheriff Dewey und seiner Frau, der Ex-Journalistin Gale Riley (geb. Weathers) den Killer dingfest zu machen. Doch die Regeln haben sich geändert...
Mordsetzung oder Screamake?

„Wie meta kann man sein?“

Rund zehn Jahre nach dem Abschluss der Slasher-Filme-parodierenden „Scream“-Trilogie von US-Regisseur Wes Craven („Last House on the Left“, „A Nightmare on Elm Street“) reanimierte Craven in Zusammenarbeit mit „Scream“- und „Scream 2“-Drehbuchautor Kevin Williamson die Reihe mit „Scre4m - Neues Spiel. Neue Regeln.“, der 2011 in die Kinos fand.

15 Jahre nach den Ereignissen aus „Scream“ kehrt die Überlebende Sydney Prescott (Neve Campbell) in die US-amerikanische Kleinstadt Woodsboro zurück – sie befindet sich auf Promotion-Tour für ihre Autobiographie „Out of the Darkness“, mithilfe derer sie einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit ziehen möchte. Doch ihre Ankunft bringt eine neue brutale Mordserie nach Vorbild des/der „Ghostface“-Killer(s) mit sich. Sheriff Dewey (David Arquette) und seine Frau Gale Riley (geb. Weathers, Courteney Fox) versuchen zusammen mit Sydney, den oder die Täter zu schnappen...

„Scre4m“ beginnt mit einem gelungenen Gag, einem „Film im Film“ – was dem Zuschauer erst bewusst wird, wenn nach dem ersten, sehr blutigen Mord der „Stab 6“-Schriftzug auf dem Bildschirm erscheint. Da man diese Form der Irreführung aber bereits aus dem einen oder anderen Film kennt, setzt „Scre4m“ noch einen drauf und erklärt die folgenden Szenen überraschend zum Prolog von „Stab 7“. Wenn man dann endlich im eigentlichen Film angekommen ist, ist die Marschrichtung bereits klar: Ein Film über Filme, strenggenommen ein Film über Filme über Filme.

„Scre4m“ ist gleichzeitig eine Fortsetzung und ein Remake/Reboot und nimmt damit kräftig sowohl den Fortsetzungswahn von Horrorfilmen – insbesondere Slashern – sowie die jüngste Entwicklung im Genre, die Neuverfilmung von Klassikern, aufs Korn. Dieses tut er am offensichtlichsten, wenn er direkt zu Beginn Teenagerinnen wie Filmkritikerinnen schnattern und sich über Genreklischees lustig machen lässt. Da wird die „Saw“-Reihe ebenso abgewatscht wie eine juveniles Früchtchen in Hochgeschwindigkeit sämtliche Remakes herunterrattert. Das ist einerseits wunderbar selbstironisch-parodistisch, trifft den unbedarften Zuschauer (sofern jemand unbedarft an einen „Scream“-Film herangeht) aber andererseits so geballt, dass es fast schon zu viel des Guten ist. Nach der Eröffnungssequenz indes hält sich das im wahrsten Sinne des Wortes „Zitatekino“ in seiner plumperen Form in annehmbaren Grenzen und man erfährt, was sich in den letzten Jahren so alles in Woodsboro getan hat. Dewey Riley ist inzwischen zum Sheriff aufgestiegen und mit Gale Weathers verheiratet, welche den Journalistinnen-Job an den Nagel gehängt hat und sich als Autorin verdingt. Die blutigen Ereignisse vor zehn Jahren und davor sind zum lokalen Kultobjekt geworden, die nachgewachsene Jugend feiert die auf diesen Ereignissen beruhende „Stab“-Reihe ab, die u.a. einen gewissen Robert Rodriguez als Regisseur aufweist… Einen Schrecken einjagen vermag all das den Jünglingen nicht mehr; als würden sie über den Dingen stehen und hätte es nichts mit ihnen zu tun, machen sie sich über Horrorklischees lustig und etablieren „Running-Insider-Gags“. Greift dann erst einmal die Mordserie um sich, tun sich zwei Horrorfilm-Nerds besonders hervor und prompt erreicht das Filmgequatsche wieder Dimensionen knapp unterhalb der Schmerzgrenze.

Doch dankenswerterweise hat „Scre4m“ weitaus mehr zu bieten: Der Aufbau des Films wurde eng an den des ersten Teils angelehnt, übriggebliebenen gealterten Rollen wurden „Ersatzcharaktere“ zur Seite gestellt, wodurch „Scre4m“ selbst zu einem Quasi-Remake wird – das überaus geschickt und intelligent mit den „Filmregeln“ spielt, mehrere Meta-Ebenen einführt, die mit jüngeren Genre-Produktionen einhergegangenen neuen Gesetzmäßigkeiten – und sei es die, ebensolche bestmöglich zu umschiffen, um den erfahrenen Zuschauer überhaupt noch überraschen zu können – benennt, seziert und zum Gegenstand der eigenen Handlung in der bereits erwähnten Mischung aus Fortsetzung und Neuverfilmung macht und nie den Bezug zu den wahren Genreklassikern verliert. Das beweist, wie genau man Markt und Konsumenten beobachtet hat, „Scre4m“s nicht nur selbstreferentielle, entlarvende Parodien wirken ebenso extrem durchdacht wie völlig unverkrampft und einfach umgesetzt, als wäre es nicht mehr als eine Fingerübung altgedienter Filmemacher, hat man die sich ähnelnden Rezepte erst einmal durchschaut. Das eigentliche Geniale daran ist die Funktionsweise des Films: Während genreerfahrene Zuschauer, die mit der „Scream“-Reihe vertraut sind, im sanftmütigen, mitunter etwas unbeholfen wirkenden, doch wenn es darauf ankommt bestimmt auftretenden Dewey Riley, in der attraktiven Powerfrau in den besten Jahren und mit stechendem Blick – Gale Weathers – sowie in der verdienten, den Teenager-Jahren entwachsenen „Scream Queen“ Sydney Prescott ihre mit ihnen deutlich gereiften Identifikationsfiguren wiederfinden, bekommen jüngere Zuschauer, die sich eher auf die nominellen Hauptrollen stürzen, ihr ebenfalls jüngeres, an die ursprünglichen „Scream“-Charaktere angelehntes Figuren-Ensemble, das genretypisch teilweise austauschbar wirkt und in erster Linie dazu dient, blutverschmiertes Schlitzerfutter zu werden und können ebenso wie Genreunkundige oder -uninteressierte einen oberflächlicheren, doch technisch einwandfreien, visuell harten Horrorfilm genießen, dessen parodiebedingte komödiantische, ironisierende Aspekte das pietätlose Treiben rechtfertigen, das in seiner Schock- und Skandalwirkung heutzutage doch merklich eingebüßt hat. Gleichzeitig ist eben auch die beschriebene jüngere Generation selbst Teil der Parodie, die vielleicht gar nicht bemerkt, wie sehr die Abläufe denen der vorausgegangenen „Scream“-Filme gleichen.

Ja, die „Scre4m“ Ebenen, die erzählerischen, die referentiellen, die Meta-Ebenen, sind eng miteinander verknüpft, ineinander verschachtelt und nicht unkomplex. Wer dabei den Überblick behält, dem erschließen sich die ganzen Qualitäten des Films. Zu diesen zählt auch, wie genau man die Moderne beobachtet und in Form von Smartphone-, Messenger- und Webcam-Gebrauch in den Film einfließen ließ – inklusive der dazugehörigen Teenager, deren Lebensinhalt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus dem Umgang mit diesen Technologien besteht. Diese Elemente wiederum treffen auf damit verglichen altmodischen Zeitvertreib wie das Anschauen alter Filme – der „Stab“-Reihe – in einer einfachen Scheune, die zum konspirativen Kino umfunktioniert wurde. Die Jugendlichen feiern dies als „Event“, als großangelegte Kinoparty, während der gesoffen und gejohlt wird. Erfreuen darf sich der Slasher-Freund weitestgehend unabhängig von allen parodistischen und metafunktionellen Ansprüchen an deftigen, reichlich ausgekosteten, blutigen Morden und einem hohen Bodycount; der Filmkenner entdeckt zudem viele Details und Ehrerbietungen an das Genre und bekommt „Fan-Support“, indem „Scre4m“ den unscheinbarsten Filmnerd der Handlung beinahe von einer der drallen Sexbomben knutschen lässt – da lacht nicht nur das pubertäre Freakherz. Trotz einer ganzen Riege mehr oder weniger hoffnungsvoller Jungschauspieler, von denen die weiblichen Exemplare größtenteils gängigen Schönheitsidealen entsprechen, unter denen sich aber Emma Roberts („Unfabulous“) nicht nur mit einem besonders niedlichen Äußeren, sondern auch einer Menge Ausstrahlung hervortut, blieb man „Scream“-typisch dem Verzicht auf Sleaze-Anleihen treu und ignoriert dieses ebenfalls Slasher-typische Stilelement weitestgehend. Abstriche machen muss man leider auch bei der Filmmusik, die über keinen sonderlich charakteristischen Soundtrack verfügt. Der helle Wahnsinn hingegen ist dann folgerichtig und schwer konsequent das Finale bzw. dessen Einleitung, denn strenggenommen gibt es derer in diesem Film voller Dopplungen auch zwei. Alle Stränge und Ebenen werden zusammengeführt und runden den Film durchaus in sich schlüssig ab, dennoch können einem die vielen Zusammenhänge und Verweise, die offengelegt werden, schon einmal den Kopf rauchen lassen. Ich empfand die Auflösung des „Whodunit?“ als herrlich überspitzt, angenehm abstrus und sehr gialloesk und verspürte eine tiefe Befriedigung darüber, dass „Scre4m“ sich bis zum Schluss nie verzettelt hat, sondern durchgehend prächtig unterhielt und positiv zu überraschen vermochte. Mein spontaner Ersteindruck mit Einsetzen des Abspanns war „Partyfilm mit Köpfchen, nicht nur für Genrefans“ und ich glaube, das trifft es, so man es denn in einem kurzen Satz zusammenfassen möchte, ganz gut. Nach dem enttäuschenden dritten Teil sowie Cravens lauem Übergangsprodukt „My Soul to Take“ (und weiterer recht durchschnittlich kritisierter Filme, die ich mir bis jetzt gar nicht erst angesehen habe) ein großer Wurf des Altmeisters, dem ihm viele in dieser Form sicherlich nicht mehr zugetraut hätten. Selbstreflektierende Slasher-Parodien dürften damit nun aber endgültig totgeritten sei – zumindest solange, bis das nächste Horrorfilm-Popkultur-Phänomen auftritt...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Yor – Einer gegen das Imperium
Yor ist ein Held, wie er im Buche steht: In seiner üppigen Freizeit kraucht er durch die steinzeitliche Botanik und verkloppt übellaunige Dinosaurier. Aber ihn plagt eine schwere Identitätskrise, denn Yor weiß nichts über seine Herkunft. So macht er sich mit seiner Freundin Ka-Laa und deren Vater Pag auf, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Gruppe geht auf ihrer Reise nicht nur auf Konfrontationskurs mit der örtlichen Fauna, sondern schließlich auch mit vermeintlichen Außerirdischen...
„Zeigt mir, wie ein gelbhaariger Löwe zu kämpfen versteht!“

Der italienische Genrefilmer Antonio Margheriti („Asphaltkannibalen“), zuhause in allen möglichen Genres von Sandalenfilmen über Science-Fiction- und Kriegsfilme bis hin zu Horrorfilmen, drehte 1983 in italienisch-türkisch-französischer Koproduktion einen „Conan“-Barbarenfilm-Rip-Off als Vierteiler fürs italienische Fernsehen: „Yor – Einer gegen das Imperium“. Auf Spielfilmlänge zurechtgestutzt, fand der Film seinen Weg auch in die deutschen Kinos.

In grauer Vorzeit: Yor, starker, blonder („gelbhaariger“) Held in Lendenschurz und Fellstiefeln, weiß nichts über seine Herkunft und über das rätselhafte Amulett, das er stets mit sich trägt. Nachdem er eines Tages die hübsche Ka-Laa (Corinne Clery, „Die Geschichte der O.“) und ihren väterlichen Freund Pag (Luciano Pigozzi, „Blutige Seide“) vor einem Dinosaurier-Angriff gerettet hat, wird leider ihr gesamter Stamm von grimmigen Neandertalern ausgelöscht, woraufhin er sich mit Ka-Laa und Pag in zahlreiche Abenteuer stürzt: Er rettet Ka-Laa vor den unzivilisierten Wilden, lernt die attraktive Roa kennen, die das gleiche Amulett wie er trägt und sich in einer abgeschiedenen Höhle vom Schmelzwasser eines Eisblocks ernährt (!), muss sich vor weiteren Untieren verteidigen und stößt schließlich auf ein kleines Strandvolk (?), das von Außerirdischen angegriffen wird (!!!). Diese werden angeführt von einem sich selbst „Der Höchste“ nennenden Obermotz (John Steiner, „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s!“), der mit seinen Androiden-Armeen die frühe Menschheit zu unterjochen gedenkt (oder so…). Doch Yor ist zur Stelle und tritt zusammen mit einigen Abtrünnigen des „Höchsten“ zum finalen Kampf gegen das „Imperium“ an…

Margheritis Filme, die ich bisher gesehen habe, zeichneten sich gemeinhin durch eine handwerklich saubere Inszenierung gepaart mit gerne mal unfreiwilliger Komik, aber auch – insbesondere im Horrorbereich – krude, originelle Ideen aus, die für zum Teil wirklich gute Genreproduktionen sorgten. Mit „Yor – Einer gegen des Imperium“ versuchte er sich seinerzeit am unsäglichen Barbaren-Subgenre des Fantasy-Bereichs und jagte den durchtrainierten US-Amerikaner Reb Brown („Sssssnake Kobra“) in dessen ersten Hauptrolle durch die Freiluft-Botanik. Über Browns schauspielerisches Talent darf man sicherlich geteilter Meinung sein, doch in seiner Rolle als strahlender Haudrauf-Held und Urzeitfrauenschwarm passt er sich hervorragend dem allgemeinen Niveau dieses Vollzeit-Trashers an. So hüpft, joggt, springt und klettert er behände durch die spärlichen Kulissen und hat für jede weibliche Avance oder Eifersüchtelei ein schmieriges Grinsen parat. Margheriti trat einmal mehr unter seinem Pseudonym Anthony M. Dawson an und macht damit aufgrund der unheimlichen Ähnlichkeit seines Hauptdarstellers mit James Van der Beek „Yor – Einer gegen das Imperium“ zu „Dawson’s Creek“…

Doch Spaß beiseite bzw. geht der jetzt erst richtig los, denn der Film ergibt kaum Sinn, ist aufgrund seines episodenhaften Zusammenschnitts aber eine rasante Maschinengewehrsalve dümmlichster Barbaren-Action voll strunzdoofer Dialoge, hanebüchener Entwicklung und beknackter Ideen, von denen der Tränen in die Augen treibende Höhepunkt gleichzeitig das Finale ist, der „Star Wars“-Rip-Off gegen Ende inklusive vieler kleiner Darth Vaders als Androiden-Armee. Nichts war damals heilig, schon gar nichts zu stumpf, abgedroschen, flach oder klischeebehaftet, kurz: den Damen und Herren nichts peinlich, so dass Margheriti & Co. ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Vollen schöpfen. Das macht durchaus Spaß und verführt je nach Gemütszustand und persönlicher Veranlagung zu Gelächter oder Fremdscham, und da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass überhaupt jemand mit in irgendeiner Weise ernsthafteren Erwartungen an einen Film herangeht, der die vom Grundsatz her ja eigentlich schon schwer alberne, testosteron- und anabolikageschwängerte Barbaren-Fantasy zum Thema hat, geht das sicherlich in Ordnung – wenngleich eigentlich nichts an „Yor – Einer gegen das Imperium“ stimmt, außer dass man manch Spezialeffekt auch schon wesentlich schlechter gesehen hat und sich lustigerweise einige erfahrene, verdiente Schauspieler unter das Ensemble gemischt haben. Selbst die De-Angelis-Brüder, besser bekannt unter dem Pseudonym „Oliver Onions“, verpflichten sich mit ihrem Synthie-Pop-Soundtrack dem unheiligen Gott des Trashs und texten sinnbefreit: „Yor's World, he's the man! Yor's World, he's the man!“

Apropos „Man“: Besonders bemerkenswert finde ich an „Yor“, dass er mit seiner Mixtur aus Fantasy- und Science-Fiction-Motiven der 1982 gestarteten „Masters of the Universe“-Actionfigurenreihe um Front-Muskelpaket „He-Man“, seinerzeit ebenfalls inspiriert von „Conan“, nähersteht als „Conan“ es tut. Nichtsdestotrotz tat mir nach Sichtung des Films auf großer Leinwand, allen Spaßes zum Trotz, das Gehirn ein wenig weh – und zwar bestimmt nicht wegen Überanstrengung… Es war eine nette Grenzerfahrung, nach der ich mich umso mehr auf den nächsten Margheriti-Sci-Fi-Trash-Klopper freue – da bin ich dann doch eher zuhaus.
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The Dead Next Door
Die gesamten USA werden von Zombie-Horden bevölkert, die das Land mittlerweile fest in ihren Besitz gebracht haben. Ausgangspunkt der Plage ist die Kleinstadt Akron in Ohio. Dort hat sich die "Zombie-Squad" formiert, eine Eliteeinheit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Untoten zu beseitigen und so die wenigen überlebenden Amerikaner zu beschützen. Dabei sind ihnen einige Zombie-Beschützer nicht gerade hilfreich, die die armen seelenlosen Kreaturen in Gehegen halten und füttern. Doch die Zombie-Squad kennt keine Gnade und greift hart durch...
Der US-Amerikaner J.R. Bookwalter war 1985 Zombie-Komparse in Romeros „Day of the Dead“. 1989 dann drehte er zusammen mit ein paar Kumpels “The Dead Next Door”, eine Amateur-Hommage an Romeros berüchtigte Trilogie. Fortan trat er immer wieder einmal mit Amateur-Direct-to-Video-Horrorproduktionen auf den Plan.

Von der Kleinstadt Akron im US-Bundesstaat Ohio geht eine Zombieplage aus, die mittlerweile fast die gesamten USA erreicht hat. Die „Zombie Squad“-Einheit macht unermüdlich und -erbittlich Jagd auf die Untoten, wird jedoch mit einer religiös verwirrten Sekte konfrontiert, die die Zombies beschützt…

Bookwalters Filmdebüt ist offensichtlich die Arbeit junger Zombiefilm-Fans, die ihren Vorbildern eine Ehrerbietung erweisen und dabei eine Menge Spaß haben wollten. Dass man diesen vermutlich auch hatte, sieht man dem Film in seinem Videokamera-Billiglook auch an, grundsätzlich wirkt „The Dead Next Door“ nicht unsympathisch. Allerdings krankt er an den typischen Symptomen derartiger Amateur-Produktionen: Während man sich fleißig durch die Filmgeschichte zitiert und der Genrekenner wissend nicken kann, werden zwar zu einem nicht geringen Teil erstaunlich gut gelungene, detailverliebte selbstgemachte Splatter- und Gore-Effekte geboten, bleibt jedoch alles andere – Bildaufbau, Dramaturgie/Tempo, Spannung – aufgrund der Unerfahrenheit der jungen Filmemacher, die all dem in ihrer Versessenheit auf blutige Schauwerte vermutlich auch keinen allzu großen Stellenwert beimessen, größtenteils auf der Strecke. So plätschert die Handlung viel zu sehr als bloßes Füll- und Streckwerk vor sich hin, die zudem das große Problem aufweist, beständig zwischen (selten wirklich lustiger) Komik und (eigentlich nie ernstzunehmendem) Ernst zu pendeln, so dass sich weder Stimmung, Atmosphäre oder was sonst noch wichtig wäre, den für die Empathie beim Filmgenuss so wichtigen Eindruck einer Parallelwelt zu schaffen, entwickeln. Da stört es dann auch schon nicht mehr, dass fast alles, was an der Handlung akzeptabel erscheint, von Genrevorbildern wie „Day of the Dead“ oder auch „Return of the Living Dead“ abgekupfert scheint, eigene Elemente hingegen, die ohne Effektspektakel auskommen müssen, ziemlich daneben wirken.

So bleibt unterm Strich ein weniger gelungenes, dennoch respektables Amateur-Debüt, an dem der Genrefan noch am meisten Spaß haben wird, wenn sich ein vergnügtes Laiendarsteller-Ensemble gegenseitig ständig mit den Namen von Horrorregisseuren anredet, selbst die Kulissen schwer auf Nerd-Zitat getrimmt wurden und die Effekte krude Masken und herrliches Zombie-Gemansche zu bieten haben, inkl. einiger wirklich anspruchsvoller Techniken (aus meiner Laiensicht…) wie z.B. Schmelzeffekte. Mit ein wenig Geduld und Sitzfleisch oder aber guten Kumpels, die filmischen Leerlauf mit bierseligem Gequatsche überbrücken, wird der amateuroffene Genrefreund nicht enttäuscht werden, alle anderen seien hiermit vorgewarnt – insbesondere vor der deutschen Synchronisation, die alle Mängel des Films noch einmal locker unterbietet.

Einem ebenfalls am Film beteiligten Scott Spiegel beispielsweise gelang im gleichen Jahr mit „Bloodnight“ alias „Intruder“ ein wesentlich besseres Spielfilmdebüt, allerdings dürfte er auch über ein wesentlich höheres Budget verfügt haben.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Trouble

„Trouble“ ist das Spielfilmdebüt der kanadischen Regisseurin Penelope Buitenhuis, die in erster Linie fürs Fernsehen dreht. Auch der 1993 veröffentlichte Film wurde fürs TV produziert, genauer: fürs ZDF in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“. Es handelt sich um eine Mixtur aus Milieuporträt, Drama, Komödie und Musikfilm.

Die junge Jonnie (Yvonne Ducksworth), eine dunkelhäutige Kanadierin, lebt in der alternativen Szene von Berlin-Kreuzberg und ist Sängerin der Band Jello Belly. Sie lernt Erik kennen, der sich zusammen mit Freunden gegen Bauspekulanten und die Gentrifizierung des Viertels engagiert, und verliebt sich in ihn. Ihr Leben wird turbulent, als sie sich ihrer Gefühle nicht sicher ist, gleichzeitig Wohnungen und das Kulturzentrum „Rockhaus“, in dem sich auch der Bandproberaum befindet, in Gefahr sind und Geschäftemacher der Musikindustrie auf Jello Belly aufmerksam werden…

Der amateurhafte (nicht abwertend gemeint), komplett in Schwarzweiß gedrehte Film rückt Yvonne Ducksworth, tatsächlich Exil-Kanadierin, Sängerin der Punk-/Crossover-Band „Jingo de Lunch“ und ehemalige „Metalla“-Moderatorin, in den Mittelpunkt und lässt sie größtenteils sich selbst spielen. Zuvor wirkte sie bereits in Kurzfilmen Buitenhuis‘ mit. „Trouble“ porträtiert die Zeit nach dem Mauerfall in der „Alternativen-Hochburg“ Kreuzberg, als der Nationalismus erstarkte und Neonazis Morgenluft witterten sowie Berlin an Attraktivität für Immobilienspekulanten gewann. Nicht frei von Ironie und Humor wird das Selbstverständnis der jungen Kreuzberger reflektiert, zwischen Kreativität, alternativen Lebens- und Wohnentwürfen, politischem Engagement und rebellischer Musik. Dabei weiß insbesondere der häufig selbstironische, differenzierte Blick auf die einzelnen Charaktere zu gefallen, die weder heroisiert, noch dämonisiert werden. So gibt es dort junge Frauen mit psychischen Problemen, sich selbst gern reden hörende Politnicks und vom Geschwafel Genervte und Gelangweilte. Als wirkliches Übel aber stellt sich die Immobilien- und Baumafia heraus, deren verbrecherische Methoden, die Menschen aus ihren noch bezahlbaren Wohnungen zu vertreiben, der Film unter die Lupe nimmt und damit nach wie vor einen starken Realitätsbezug aufweist, der sich problemlos auch auf andere Stadtteile und Städte übertragen lässt.

Ferner wird die Musikindustrie in Form eines penetranten Talent-Scouts aufs Korn genommen, der an den Aussagen der Band weitaus weniger interessiert ist als am Körper der Sängerin. Doch auch diese schleppt ihre inneren Dämonen mit sich herum und tut sich schwer mit einer vertrauensvollen Beziehung zu Erik – was einen weiteren, nicht uninteressanten Handlungsfaden des Films darstellt, in dessen Rahmen Yvonne Ducksworth sogar überraschenderweise einmal blank zieht. Generell ist sie es, die den Film trägt, ihr attraktives Äußeres in Kombination mit ihrer niedlichen Ausstrahlung helfen ihr dabei ebenso wie ihr musikalisches Talent, denn gute Musik, allem voran das Titelstück, zieht sich durch den gesamten Film, vorgetragen von Ducksworth mit Punk-Attitüde und Soul in der Stimme. An ihren charmanten Akzent hat man sich schnell gewöhnt und in einer multikulturellen Umgebung wie Kreuzberg ist sie beileibe nicht die einzige Nicht-Muttersprachlerin – einige Dialoge werden auf Englisch geführt und deutsch untertitelt. Mal mehr, mal weniger ernst gemeinte Vergleiche zwischen Kanada und Kreuzberg kokettieren mit Jonnies Exotik und werden sporadisch eingestreut.

Reichlich eigenartig mutet jedoch der Stilmix aus Ernst und Komödie an, der dem Film meines Erachtens doch einiges seines potentiellen Gewichts beraubt. Besonders gegen Ende, wenn man nach Art einer Großstadt- und Medienguerilla agiert, tendiert „Trouble“ doch stark in Richtung „Piratensender Powerplay“ und bleibt zwar unterhaltsam, wird jedoch auch anarchomäßig-verträumt, um nicht zu sagen: naiv. Nichtsdestotrotz hat Buitenhuis ihren Film spannend genug inszeniert, um nicht nur für am Milieu Interessierte oder ihm Entstammende bzw. über seine dokumentarischen und biographischen Elemente zu funktionieren. So bleibt unterm Strich ein sehenswerter, im Idealfall inspirierender Film mit sehr annehmbar aufspielenden Laiendarstellern und einer selbstbewussten, respektablen Hauptdarstellerin, der gerne mal wieder öfter ausgestrahlt und aufgeführt werden sollte, da er an Aktualität kaum eingebüßt hat. Als störend erweisen sich auf der „good movies!“-DVD allerdings die Tonschwankungen – sowie das Fehlen jeglicher Kapitel.
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Dark Places
Der Horror beginnt für die junge Anna (Leelee Sobieski) unmittelbar nach Antritt ihrer neuen Stelle in einem malerischen Herrenhaus. Als Privatlehrerin soll sie sich um zwei Waisen kümmern, die ein dunkles Geheimnis hüten. Zusätzlich zum Gerede von unnatürlichen Sünden der Kinder und dem Tod ihrer Vorgängerin künden bald auch geisterhafte Erscheinungen und merkwürdige Ereignisse vom unmittelbar bevorstehenden Grauen. Quelle: Cinefacts.de
Mit dem Mystery-Thriller/Horrorfilm “Dark Places” aus dem Jahre 2006 wagte sich Donato Rotunno für sein Regiedebüt – zuvor war er ausschließlich als Produzent in Erscheinung getreten – nach „Schloss des Schreckens“ (1961) und „Obsession – Besessene Seelen“ (1992) an eine weitere Verfilmung auf Grundlage der Novelle „The Turn of the Screw“ aus dem Jahre 1898 des US-amerikanischen Schriftstellers Henry James. Interessanter- oder ignoranterweise, je nach Sicht, hatte er sich zuvor nie mit der Literaturvorlage auseinandergesetzt – nach eigener Aussage war ihm lediglich daran gelegen, aus dem Drehbuch aus der Feder Peter Waddingtons einen schaurigen Gruselfilm zu inszenieren. Der Film entstand in britisch-belgischer-luxemburgischer Koproduktion.

Die junge Anna (Leelee Sobieski, „Eyes Wide Shut“) verliert ihre Anstellung als Kunstlehrerin, wird aber als Privatlehrerin der Waisenkinder Miles und Flora engagiert, die in einem abgelegenen Herrenhaus zusammen mit der Haushälterin Miss Grose (Tara Fitzgerald, „Waking the Dead“) leben. Doch je mehr sie dort über die tragischen Ereignisse, die ihre Vorgängerin Miss Jessel sowie den Bediensteten Quint, der eine sexuell ausschweifende Affäre mit Miss Jessel hatte, das Leben kosteten, erfährt und je seltsamer sich die beiden Kinder verhalten, desto mehr wird sie von Alpträumen und Geistererscheinungen geplagt. Sind die Kinder von den bösen Geistern der ruhelosen Verstorbenen besessen?

Nachdem die Handlung in „Obsession – Besessene Seelen“ bereits in die 1960er-Dekade verlagert wurde, siedelt sie „Dark Places“ in der Gegenwart an. Bereits der Beginn irritiert mich jedoch etwas, denn der proletarisch anmutenden Sobieski nehme ich die Kunstlehrerin und Pädagogin nicht so ganz ab. Dafür verfügt sie aber über ein charakteristisches Äußeres sowie eine Anatomie, die die Regie für den pikanten Erotikfaktor des Films dann und wann in ein entsprechendes Licht zu rücken versteht. Ihr zur Seite steht die zunächst kühl und unnahbar wirkende Tara Fitzgerald als Miss Grose, die lesbische Ambitionen und wollüstige Leidenschaft hinter ihrer kantigen Fassade verbirgt. „Dark Places“ ist jedoch keinesfalls ein Sleaze-Film; diesbezüglich lebt er in erster Linie von subtil-prickelnder Erotik, Andeutungen und züchtigen Aus- und Abblendungen, um dem Gruselgehalt nicht den Rang streitig zu machen. Annas lesbisches Liebesspiel mit Miss Grose jedoch steht symbolisch für verborgene sexuelle Neigungen, die der Vorgeschichte um Quint und Miss Jessel innewohnen; die sexuelle Aufladung der Vorlage projiziert „Dark Places“ in unmissverständlichen Bildern auf seine erwachsenen Protagonisten.

Weitaus weniger unmissverständlich gestaltet sich die Handlung, die insofern ihrer Vorlage treu bleibt, als sich die wahren Hintergründe nicht eindeutig erschließen und auch die Rolle, die Annes eigene psychische Verfassung dabei spielt, nicht abschließend geklärt wird. Bei aller Schwammigkeit drängte sich mir hier jedoch relativ stark eine Interpretationsmöglichkeit auf, die den Film als eine Metapher auf Kindesmissbrauch und dessen Folgen versteht. Mit Blut und Spezialeffekten hält man sich sehr zurück, einige wohldosierte gruselige Einzelszenen vermögen in der richtigen Atmosphäre aber durchaus zu erschrecken. Ein wenig plump wird es, wenn beispielsweise kindliche Zeichnungen überinterpretiert werden oder Annas Entwicklung zur panischen, verängstigten Ersatzmutter doch relativ abrupt und damit – insbesondere angesichts der Geheimniskrämerei der Handlung – nicht ganz nachvollziehbar ihren Lauf nimmt. Zu gefallen wissen hingegen die schönen Bilder der frostigen Winterlandschaft sowie die unwirklich und bisweilen anachronistisch anmutenden Kulissen, die exakt die richtige Gruselstimmung ausatmen. Für einen ruhigen Grusler jedoch ist der Schnitt manchmal etwas sehr hektisch geraten.

Zu behaupten, „Dark Places“ wäre die vereinfachteste Verfilmung des Stoffs, wäre sicherlich zu undifferenziert. Deutlich wird aber, dass die psychologische Komponente hier weiter in den Hintergrund gerückt wird als in den vorausgegangenen Filmen, was in Verbindung mit den vielen schlichtweg nicht zu Ende geführten Handlungsfäden und der allgemeinen Präzisionslosigkeit der Handlung zu einem etwas unbefriedigenden Filmerlebnis führt, das nicht primär eine ausgeprägte Mehrdeutigkeit zu verfolgen scheint, sondern eher etwas hilflos und uncouragiert wirkt. Da sich jedoch trotz gewisser eingangs beschriebener Problemchen die Schauspielerinnen recht wacker behaupten und souverän durch den Film führen, kann man insgesamt von einem wirklich ordentlichen Regiedebüt speziell für Freunde von Filmen dieser Art sprechen.
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Der lange Blonde mit den roten Haaren
Der introvertierte Mathematiklehrer Pierre Durois (Pierre Richard) lernt zufällig die skandalträchtige Filmdiva Jackie Logan (Jane Birkin) kennen und wird durch eine Verkettung unglücklicher Umstände von den Medien fälschlicherweise als neuer Liebhaber der Schauspielerin präsentiert und landet auf den Titelseiten der Regenbogenpresse. Dies passt Pierres Vater Hubert (Claude Piéplu), einem Arzt und Kandidaten auf das nächste Bürgermeisteramt ganz und gar nicht, denn sein Wahlkampfthema lautet „saubere Bürger in einer sauberen Stadt" und da sind jegliche Skandale fehl am Platz. Der sonst so unscheinbare Pierre steht plötzlich im Mittelpunkt des Interesses und muss sich von nun an mit nervigen Reportern, seinem aufgebrachten Vater und seinen pubertierenden Schülerinnen herumschlagen…
Pierre Richard („Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“) war in den 1970ern neben Louis de Funès einer der beliebtesten französischen Komödien-Stars. „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ ist eine turbulente Slapstick- und Klamauk-Komödie aus dem Jahre 1974, bei der Claude Zidi („Brust oder Keule“) die Regie führte.

Mathematiklehrer Pierre Durois („Pierre Richard“) ist ein gutmütiger, etwas kauziger und spießiger Kerl, der kaum jemandem einen Wunsch abschlagen kann. So erklärt er sich bereit, für seinen konservativen Vater und Bürgermeisterkandidaten Hubert (Claude Piéplu, „Eine Wolke zwischen den Zähnen“) eine Rede zu schreiben, für einen befreundeten Journalisten, der dem gerade in der Stadt befindlichen Filmstar Jackie Logan (Jane Birkin, „7 Tote in den Augen der Katze“) für die Regenbogenpresse nachstellt, Artikel zu verfassen und bekommt außerdem vom herrischen Schulleiter die Korrektur von Klassenarbeiten aufgedrückt. All diese Unterlagen befinden sich zusammen mit Exklusiv-Fotos der Logan in seinen Mappen, die seine Schülerinnen vertauschen, um ihm einen Streich zu spielen – vom brisanten Inhalt nichts ahnend. Es kommt, wie es kommen muss, und das Chaos nimmt seinen Lauf – durch seine Versuche, die Ordnung wiederherzustellen, treibt Pierre die Konfusionen jedoch auf die Spitze und gerät in ein nicht immer ganz ungefährliches Abenteuer, das ihn schließlich direkt in Logans Wohnung befördert. Plötzlich wird ihm eine heiße Liebesnacht mit Jackie Logan angedichtet, sehr zum Unmut seines mit markigen Parolen von Zucht und Ordnung um sich werfenden, wahlkämpfenden Vaters und seiner Freundin, der Sportlehrerin…

Pierre Richard, der auch hier wieder am Drehbuch beteiligt war, versteht es perfekt, seine Komik mit einer ausgeprägten tragischen Note zu versehen; bereits im zarten Vorschulalter tat mir der trottelige Tollpatsch mit dem Backpfeifengesicht ob der vielen unwirtlichen Situationen, in die er sich aufgrund seiner Naivität, seiner Unbedarftheit oder schlicht seines Pechs verwickelte, aufrichtig leid – jedoch nicht, ohne dass ich voller Schadenfreude herzlich hätte lachen können! In exakt die gleiche Kerbe schlägt „Der lange Blonde mit den roten Haaren“, für den Richard den gutmütigen, etwas zerfahrenen Mathepauker mimt, der stets so wirkt, als wäre die Bewältigung des Alltags trotz fortgeschrittener Lebenserfahrung jeden Tag aufs Neue eine kleine Herausforderung, als würde eben dieser Alltag speziell für ihn immer die eine oder andere „nette“ Überraschung bereithalten. Bereits dies ist der Anknüpfpunkt für alle Zuschauer, die sich ebenfalls ab und zu mal etwas neben der Spür befindlich oder von den Tücken des Alltags gepiesackt fühlen. So wird Pierre trotz seiner Verschrobenheit schnell zu Identifikationsfigur und Sympathieträger.

Ihm zur Seite steht die attraktive Jane Birkin als von aufdringlichen Journalisten geplagter Filmstar Jackie Logan, die ein Jahr später erneut mit Richard für „Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn“ vor der Kamera stand. Sie ist der Augenschmaus des Films, der sich jedoch im Gegensatz zu anderen Richard-Filmen nie in schlüpfrige Gefilde inklusive Zurschaustellung nackter Haut begibt. „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ setzt primär auf halsbrecherischen, akrobatischen Slapstick sowie niveauvolle Situationskomik/Klamauk in recht hohem Tempo und ist zudem gespickt mit satirischen Seitenhieben auf verklemmte, konservative Demagogen, sensationslüsterne Medien – und Mathematikunterricht! Schier unglaublich, wie es Zidi gelang, 1:1 wiederzugeben, wie sich der Mathematikunterricht ab der 11. Klasse mir darstellte: Überbreite, vollgekritzelte Tafeln, wirres Gequatsche von mehr Buchstaben als Zahlen, heruntergerattert in einem Affentempo – das Gehirn schon ab der ersten Minute auf Durchzug und nur noch in einer seltsamen Mischung aus Faszination und Angst hektische Tafelaktivitäten verfolgend, die laut irgendwelcher Pädagogen irgendeinen Sinn ergeben. Richard in eben dieser Rolle zu sehen, ist ein großer Spaß und Genugtuung zugleich und der erste große Lacher in einem Film mit auch aus heutiger Sicht noch beeindruckend hoher Gagdichte. Auch ohne einen meinen Beschützerinstinkt herausfordernden Hauptdarsteller hätte ich sicherlich oftmals lauthals lachend müssen; nichtsdestotrotz ist Richard selbstverständlich das Tüpfelchen auf dem I. Ob er nun gerade nervöse Zuckungen simuliert, um den Kaffeeangriff auf die Tageszeitung seines Vaters zu rechtfertigen, mit seinem Kleinwagen mitten durch ein Western-Filmset düst, sich in einer vollen Badewanne versteckt oder Türen und andere Gegenstände ins geleidplagte Gesicht geschlagen bekommt – ich habe mich köstlich amüsiert und gleichzeitig mitgefiebert, dass sich schließlich doch noch alles zum Guten wenden würde.

Obwohl „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ also durchaus die Empathie des Zuschauers berührt, gehen der Stil des Films und dessen Gag-Gehalt zu Ungunsten der in anderen Richard-Komödien so deutlich mitschwimmenden Melancholie, die manchen Film zusätzlich aufgewertet hat. Vom hochgradigen, dauerhaften Unfug eines „Der Zerstreute“ jedoch ist „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ ein gutes Stück entfernt, die Handlung also noch nicht reine Nebensache. Nicht ganz deutlich wird jedoch, in welcher Beziehung Pierre zur Sportlehrerin steht und inwieweit ein tatsächliches Techtelmechtel mit Jackie Logan moralisch vertretbar ist bzw. wäre. Und ich bin mir auch nicht ganz im Klaren darüber, ob es als gelungener Witz gedacht war, für Detailaufnahmen von Jackies Raubkatze sehr offensichtlich auf einen Menschen im Plüschkostüm zurückzugreifen. Ansonsten aber handelt es sich um eine weitere schwer sympathische französische Komödie mit angenehm hoher Trefferquote – für Richard-Freunde Pflichtprogramm.
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Der Volltreffer
Gib (John Cusack) plant, seine Ferien bei seinem Freund Lance (Anthony Edwards) zu verbringen, an der Westküste. Dort erwartet ihn ein sogenannter Volltreffer, eine Blondine von absoluter Perfektion. Um dorthin zu gelangen, muß er allerdings eine Fahrgemeinschaft mit der leicht verklemmten, überintellektuellen Allison (Daphne Zuniga) bilden. Der Trip wird die Hölle, denn die beiden sind wie Hund und Katz...
Zwischen der Mockumentary „This is Spın̈al Tap” und der Stephen-King-Verfilmung “Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ drehte US-Regisseur Rob Reiner 1985 mit „Der Volltreffer“ eine überraschend leichtfüßige romantische Teenie-Komödie in Form eines Road-Movies.

Gib (John Cusack, „High Fidelity“) studiert an der Ostküste und hat wenig Glück bei den Mädchen. Sein Kumpel Lance (Anthony Edwards) hingegen ist an der Westküste im sonnigen Kalifornien untergekommen und feiert eine Party nach anderen. Er lädt Gib ein, in den Ferien zu ihm zu kommen, wo eine sexy blonde Strandnixe auf ihn warten würde. Gib nimmt die Einladung dankend an und organisiert sich eine Mitfahrgelegenheit – ausgerechnet dieselbe, mit der sich auch die zurückhaltende Streberin Allison (Daphne Zuniga, „Blutweihe“), die Gib kurz zuvor erfolglos angegraben hatte, auf den Weg zu ihrem Freund in Kalifornien macht…

In „Der Volltreffer“ treffen ein chaotischer, noch leicht pubertärer Student und ein etwas unscheinbares, langweilig und spießig anmutendes, ihr Studium sehr ernst nehmendes Fräulein Rührmichnichtan aufeinander, lernen sich während der mit vielen Komplikationen gespickten Reise jedoch richtig kennen, entdecken gegenseitig ihre Liebenswürdigkeit und verlieben sich schließlich ineinander. Dabei ist Reiners Film bei Weitem nicht so zotig und schlüpfrig wie andere Teenager-Komödien, insbesondere neueren Datums. Seine Frechheiten bezieht er in erster Linie aus augenzwinkerndem Spiel mit sexueller Unerfahrenheit und einigen infantilen Prolligkeiten wie an Autoscheiben gepresste Nacktärsche und Biergenuss durch Dosenstechen. Manch Klischee wird dabei gekonnt umschifft (beispielsweise ist Allison keine Brillenschlange, die sich plötzlich in eine Sexbombe verwandelt, wenn sie ihr Haar öffnet), in anderen hingegen wird sich gesuhlt, wie man es auch solchen Filmen kennt.

Der Witz ergibt sich aus überzeichneten Charakteren (weniger gelungen), Situationskomik (besser gelungen) und lustigen Dialogen (gut gelungen), artet aber nie in Schenkelklopferhumor aus. Er peppt die Handlung mit ihrem vorhersehbaren Happy End, innerhalb derer sich Gib und Allison in vielerlei Hinsicht einander annähern, auf und versucht, über das weitestgehende Fehlen der beiden Pole Tiefgang und Exploitation hinwegzutrösten. Dabei helfen Cusack und Zuniga, die sehr überzeugend in ihre Rollen schlüpfen und dem Film Charisma verleihen. Ansonsten plätschert er aber über weite Strecken sehr harmlos und seicht vor sich hin, bleibt oberflächlich und irgendwie austauschbar. Das ist zwar alles recht nett, gerade von einem Rob Reiner hätte ich aber etwas mehr erwartet und blieb deshalb nach meiner kürzlich erfolgten Erstsichtung etwas ratlos zurück. Für 80er-Nostalgiker, die den Film in ihrer Jugend kurz nach Erscheinen gesehen haben, mag sich das grundlegend anders darstellen, ich habe persönlich habe jedoch sogar geballtes Zeitkolorit wenn nicht schmerzlich vermisst, so doch in für meinen Geschmack zu geringer Dosis vorgefunden. Intelligenter und feinfühliger als manch anderer Teenie-Schmu, aber bestimmt kein „Volltreffer“.
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Der unsichtbare Aufstand
Die Tupamaros - eine legendäre Stadt-Guerilla-Organisation in Uruguay - entführen den Leiter einer geheimen US-Behörde und erschießen ihn, als ihre Forderung, die Freilassung gefangener Genossen, nicht erfüllt wird. Ein Journalist macht sich auf die Suche nach der Wahrheit.
„Regierungen kommen und gehen – die Polizei bleibt!“

Die Tupamaros sind eine antikapitalistische Bewegung in Uruguay. Gegründet in den 1960er-Jahren, wurde sie von der reaktionären Staatsmacht gegen Ende des Jahrzehnts in den Untergrund und bewaffneten Widerstand gezwungen. Unter Notstandsgesetzen war man politischen Freiheitsberaubungen und Folter, ausgesetzt, weshalb man in Notwehr den Guerillakampf aufnahm. 1970 zogen die Tupamaros den US-amerikanischen „Entwicklungshelfer“ Daniel Mitrione aus dem Verkehr und versuchten, durch seine Entführung politische Gefangene freizupressen. Doch die Regierung opferte lieber Mitrione, als auf die Forderungen einzugehen. So starb Mitrione am 10. August 1970.

Der griechische Regisseur Costa-Gavras, der mit „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ die Entstehung der griechischen Militärdiktatur thematisierte und mit „Das Geständnis“ die politischen Morde Stalins aufgriff, nahm sich in seinem 1972 gedrehten – ein Jahr, nachdem die Linken die Wahl in Uruguay verloren hatten –, in französisch-italienisch-deutscher Koproduktion realisierten Film „Der unsichtbare Aufstand“ dieser Vorgänge an und entspinnt in seinem hochkarätigen Polit-Thriller die wahren Hintergründe der Tat. Für die Hauptrolle konnte er einmal mehr den Franzosen Yves Montand („I wie Ikarus“) gewinnen.

„Der unsichtbare Aufstand“ beginnt damit, dass Santore (Yves Montand) – das filmische Alter Ego Mitriones – erschossen aufgefunden wird. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen Entwicklungshelfer handelte. Der Zuschauer fragt sich ebenso wie Presse und Öffentlichkeit, warum er sterben musste und ob er nicht schlichtweg ein bedauernswertes Opfer kaltblütiger, brutaler Terroristen wurde. Die Rolle des Fragenden übernimmt der unbequeme Journalist Carlos Ducas (O.E. Hasse, „Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse“). Im Folgenden aber macht Costa-Gravas die wahren Zusammenhänge begreifbar: Die Tupamaros entführten Santore und zwei weitere Männer und verhören sie in aller Ruhe und ohne Folter oder Gewaltexzesse. Gibt sich Santore anfänglich noch selbstsicher und souverän, muss er bald erkennen, dass seine Entführer bestens Bescheid wissen: Darüber, dass er getarnt als Entwicklungshelfer die Interessen US-amerikanischer Wirtschaftsgrößen vertritt, indem er zusammen mit einem großen Netzwerk eine faschistische Diktatur in Uruguay aufbaut, die sicherstellen soll, dass die USA das Land wirtschaftlich ausbeuten können, u.a. indem antikapitalistische und antiimperialistische Kräfte verfolgt und handlungsunfähig gemacht werden. Er ist Teil der Exekutive des US-amerikanischen Imperialismus, der Diktatoren und totalitäre Systeme in Entwicklungs- und Schwellenländern installiert, und Vertreter eines der mächtigsten Organe der organisierten Kriminalität und des Staatsterrorismus, der CIA. Trotz ihres Wissens behandeln die Entführer ihre Gefangenen fair, lassen sie ihrerseits argumentieren und diskutieren.

Costa-Gavras hält sich dabei eng an historische Fakten und schafft es aufgrund seines Inszenierungsstils, der sich die Vorgänge langsam entfalten lässt sowie aufgrund der Tatsache, dass diese Art der US-amerikanischen „Politik“ meist im Verborgenen und von den Medien nur unzureichend kritisch beleuchtet stattfindet, anspruchsvolle und spannende Unterhaltung zu bieten, die jedem fiktiven Stoff das Wasser reichen kann. Er kreiert kein pädagogisches Kino mit erhobenem Zeigefinger, sondern nimmt die Zuschauer an die Hand, um sie sachlich-nüchtern und weitestgehend unmanipulativ durch die Handlung zu führen, so dass das Publikum die Beweggründe der Tupamaros nachzuvollziehen lernt, es ihm dabei aber freigestellt bleibt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Er heroisiert die Rebellen nicht, sondern zeigt sie mit ihren Stärken und Schwächen sowie der Ernüchterung, Ausweglosigkeit und Verzweiflung, die sie letztlich Santores Leben beenden ließen. Einerseits wird dieser letzte Schritt nicht verurteilt, andererseits aber auch erst recht nicht als erfolgversprechendes Mittel oder irgendeine Art von „Sieg“ verkauft. Das Fehlen eines Patentrezepts, eines „Happy Ends“ oder direkter propagandistischer Aufforderungen regt den kritischen Geist an und verhilft zu interessanten Perspektiven. Derer gibt es im Film neben der der Tupamaros mehrere; neben der des kritischen Journalisten sieht man den Umgang der Staatsmacht mit den Entführungen, die Kaltschnäuzigkeit, mit der Foltermethoden „am lebenden Objekt“ erprobt und angewandt werden, so dass das Klima staatlicher Repression, verlorener Freiheit und Ohnmacht spürbar wird – weshalb „Der unsichtbare Aufstand“ zwar subtil, aber dennoch nachhaltig auch emotional wirkt und lange nachklingt.

Weit weniger als der Tod Santores sind es die Pseudo-Unabhängigkeit der marionettenhaften latein- und südamerikanischer Staaten, die von Industriellen infiltrierte, durchsetzte Politik, die Existenz eines faschistischen Killerkommandos („Geheimpolizei“ genannte Todesschwadronen) und das generelle Verhalten der Regierungskreise, die kurzzeitig in eine Krise geraten und um ihren Machterhalt fürchten müssen, letztlich jedoch Santore opfern, den Ausnahmezustand verhängen und das Land mit Folter und Terror überziehen, die schockieren, aber die Augen öffnen

Yves Montand, der bereits in den anderen beiden oben genannten Polit-Thrillern Costa-Gavras mitwirkte, spielt einen gefassten, besonnenen Santore, der stets die Contenance wahrt, auch je mehr er sich seiner ausweglosen Situation bewusst wird. Er wird bewusst nicht als das Böse in Person oder Wurzel allen Übels dargestellt, sondern als eines von vielen Rädchen im Getriebe, dessen Funktion analysiert und ausgewertet wird, das jedoch austauschbar ist und dessen Verlust die Todesmaschinerie kaum beeinträchtigt. Costa-Gavras Kritik erfolgt nicht personalisiert, sondern systemorientiert und damit mit wesentlich mehr Ein- bzw. Überblick und Weitsicht, als es die Fixierung auf eine bestimmte Person je könnte. Der große Machtapparat bleibt realitätsgetreu anonym im Hintergrund. Costa-Gavras gestattet es dem Zuschauer gar, Mitgefühl für Santore zu entwickeln, für ihn als Ehemann, als Mensch; er lässt jedoch auch keinen Zweifel daran, dass der Tod Santores ein vergleichsweise geringer Verlust ist verglichen mit den Unmenschlichkeiten und Morden, mit denen seine Auftraggeber vorgehen.

Gedreht wurde dieses Paradebeispiel für tief in der Realität verwurzelte, aufklärerische, kritische Polit-Thriller in Chile, dem kurz danach ein ähnliches Schicksal widerfuhr: Die Allende-Regierung wurde gestürzt und der faschistische Diktator Pinochet errichtete mithilfe der USA seine Schreckensherrschaft. Die Militärdiktatur in Uruguay endete erst 1985, Überlebende der Tupamaros gingen in die parlamentarische Politik und sind seit 2004 an der Regierung beteiligt. Amtierender Präsident Uruguays ist seit März 2010 mit José Mujica ein Tupamaro. Ein spätes „Happy End“? USA/CIA jedenfalls trieben und treiben ihr Unwesen in etlichen weiteren Ländern und sind noch immer die kriegerischste Nation der Welt, die zynischerweise mitunter ihre eigens installierten Diktatoren und Soziopathen bekämpft, sobald sich diese gegen sie wenden, und dies der Öffentlichkeit als „Krieg gegen den Terror“ oder „Friedensmissionen“ zu verkaufen versucht. Geändert hat sich nichts.

Filme wie „Z – Anatomie eines politisches Mordes“, „Das Geständnis“ und „Der unsichtbare Aufstand“ sollten eigentlich zu Standardwerken des Geschichts- und Politikunterrichts gehören. Stattdessen wurde auch diesem Meisterwerk bisher noch nicht einmal eine DVD-Auswertung zuteil, in Deutschland erschien es lediglich auf Montevideo (man verzeihe mir diesen Kalauer zum Schluss, auf VHS ist gemeint).

Bei der Recherche bzgl. der Geschichtlichen Hintergründe des Films und der Entwicklung Uruguays erwies sich die deutsche Wikipedia als hilfreich.
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Captain Kronos – Vampirjäger
Kronos, ehemals Captain der britischen Armee, hat sein Leben dem Kampf gegen Vampire gewidmet, da seine ganze Familie diesen Kreaturen zum Opfer fiel. Als er einen Brief von seinem alten Freund Dr. Markus erhält, der ihn um Hilfe bittet, machen sich Kronos und der ihn unterstützende Professor Grost sofort auf den Weg. Im Wohnort von Dr. Markus wurden vermehrt junge Mädchen Opfer einer unheimlichen Macht , die sie als alte Frauen sterbend zurück lässt. Dies alles deutet auf eine besondere Form des Vampirismus hin, wo das Opfer nicht seines Blutes, sondern seiner Lebenskraft beraubt wird. Doch dies ist nicht der einzige Unterschied zum klassischen Vampir, fanden doch alle Angriffe tagsüber statt. Und je mehr Kronos dem Vampir auf die Spur kommt, umso klarer wird ihm, dass die ihm bekannten Mittel nichts gegen diese Kreatur ausrichten können...
„Trinke ihr Blut und labe dich daran!“

„Captain Kronos – Vampirjäger“ aus dem Jahre 1973 war einer von mehreren Versuchen der altehrwürdigen „Hammer Film Productions“, sich mit ihren Produktionen neu zu positionieren und eine frische serientaugliche Figur neben Peter Cushing als Protagonisten der Frankenstein- und Van Helsing der Dracula-Reihe sowie Christopher Lee als Vlad Tepes persönlich zu etablieren. Er blieb jedoch leider die einzige Regie-Arbeit des britischen „Mit Schirm, Charme und Melone“-Autors und -Produzenten Brian Clemens.

Kronos (Horst Janson, „Zinksärge für die Goldjungen“) hat sein Leben dem Kampf gegen Vampire verschrieben, da er der einzige Überlebende seiner Familie ist, die den Blutsaugern zum Opfer fiel. Zusammen mit seinem Gefährten Professor Grost eilt er in Mantel und Degen auf seinem Pferd seinem alten Freund Dr. Marcus zur Hilfe, der machtlos mit ansehen muss, wie junge Mädchen von einem Tag auf den anderen extrem altern und dahinscheiden. Offensichtlich saugt ein Vampir ihnen die Lebenskraft aus...

Brian Clemens, der auch das Drehbuch verfasste, bricht in „Captain Kronos – Vampirjäger“ mit vielen Vampirklischees und aus Brma Stokers „Dracula“-Roman überlieferten Gesetzmäßigkeiten. Das Aussaugen von Lebensenergie statt Blutes, die Lichtunempfindlichkeit sowie veränderte Vampirtötungsmöglichkeiten sind tatsächliche interessante Variationen der klassischen Thematik, die jedoch genregetreu einmal mehr in einem nicht näher definierten Gotik-Zeitalter angesiedelt wurde. Größtes Alleinstellungsmerkmal ist jedoch, dass man mit Kronos einen neuartigen Vampirjäger in den Mittelpunkt rückte, dem eine geheimnisumwitterte Aura zuteil wurde, der anscheinend über außergewöhnliche, übermenschliche Fähigkeiten verfügt und als heldenhafter, letztlich jedoch einsamer und innerlich zerrütteter Rächer getrieben und rastlos seines Weges zieht. Allem Anschein nach war „Captain Kronos – Vampirjäger“ tatsächlich als Auftakt einer Serie oder Filmreihe konzipiert worden, die ihn mit verschiedenen Vampirarten konfrontiert und vermutlich auch mehr über seine Vergangenheit und seinen Charakter preisgegeben hätte. Unter Filmkennern gilt „Captain Kronos – Vampirjäger“ als Quasi-Pionier für Konzepte wie „Buffy“ und „Blade“. Das Potential jedoch blieb seinerzeit unerkannt und der Film floppte – auch (oder vor allem?) aufgrund mangelnder Promotion – an den Kinokassen.

Das hat zur Folge, dass die Charakterkonstellation mitunter etwas unübersichtlich wirkt und einiges angerissen wird, jedoch weitestgehend im Verborgenen bleibt, offene Fragen zurücklassend. Apropos Fragen: Mir stellte sich sofort die nach der Tauglichkeit des blonden deutschen Schwiegermama-Lieblings Janson in der Hauptrolle als verwegener Vampirjäger. Es dauerte etwas, bis ich mich an den Anblick gewöhnt hatte, musste Janson aber schließlich zugestehen, seine Sache im Rahmen seiner Möglichkeiten gut gemacht zu haben. Ihm zur Seite steht John Cater („Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes“) als buckliger, kauziger Professor Grost. Keine dieser beiden gegensätzlichen Rollen wäre direkt vergleichbar mit dem bekanntesten Vampirjäger Van Helsing. Klassische Gothic-Horror-Atmosphäre indes kommt in „Captain Kronos – Vampirjäger“ erst im in einem – hammertypisch detailreich ausgestatteten – alten Schloss stattfindenden Finale so richtig auf, weite Teile der Handlung spielen tagsüber unter freiem Himmel, was ihn zeitweise eher wie einen Abenteuer- oder Fantasy-Film wirken lässt. Das fällt aber nicht sonderlich negativ ins Gewicht, sondern ist Teil der veränderten Ausrichtung des Films und trägt zu seinem Charme und Unterhaltungswert bei. Die vampiristischen Übergriffe finden i.d.R. im Off statt, mit blutigen Details hält man sich demnach stark zurück. Die durch die Wälder streifende schwarzgewandte Gestalt jedoch beschwört durchaus wohligen Grusel herauf. Ein gewisser humoristischer Anteil lockert das Geschehen auf und unterstreicht die bisweilen augenzwinkernde Leichtfüßigkeit des Films, der bewusst keine pathosgetränkte, pompöse Gothic-Operette sein will. Doch nicht jede Idee zündet und weiß zu überzeugen; Szenen wie die mit erst toten, dann unwissentlich von Vampiren zum Leben wiedererweckten Kröten kratzen doch arg an der Grenze zum Albern-Absurden. Die gut gelungenen Make-up-Effekte vor allem der Alterungsprozesse können sich ebenso sehen lassen wie die schöne, detailverliebte Kameraarbeit.

Einer der größten Trümpfe von „Captain Kronos – Vampirjäger“ ist allerdings die Beteiligung Caroline Munros („Maniac“), die seinerzeit nicht nur eines der hübschesten Genrefilm-Gesichter war, sondern auch ein Erotikfaktor, mit dem auch hier nicht zu knapp kalkuliert wurde. Zwar bleibt man stets insofern züchtig, als man keinerlei unbekleidete Geschlechtsorgane mit der Kamera einfängt, lässt es zwischen Kronos und der Munro, die hier eine ebenfalls geheimnisvolle, durch Kronos vom Pranger befreite, exotisch-rassige und verrucht anmutende Schönheit spielt, ordentlich funken und die Phantasie des Zuschauers beflügeln. Caroline Munro ist das Salz in der Suppe und füllt ihre Rolle neben körperlichen Reizen mit Ausstrahlung und angenehmer Natürlichkeit aus. Auch dem Gehörsinn wird geschmeichelt, in Form stimmiger orchestraler Begleitung. Das wahrlich überraschende Ende schüttet dann noch einmal eine ganze Menge origineller Einfälle aus und kann sich auch dramaturgisch sehen lassen, inkl. eines ausgiebigen Schwertkampfs. Es ist der Schlusspunkt unter einen in Bezug auf Genrekonventionen experimentellen, nicht nur filmhistorisch interessanten, unterhaltsamen Film, der mit seinem britischen Charme zu keiner Sekunde langweilt, wenn er auch aus heutiger Sicht sicherlich recht unspektakulär wirkt. Und es ist ein Film, den ich persönlich lieber in Serie gehen gesehen hätte als „Buffy“ oder „Blade“...

Danke an Anolis für die eigens für die DVD-Veröffentlichung angefertigte, professionelle deutsche Synchronisation, für die Horst Jansen sich selbst sprechen durfte, und die allgemein vorbildliche Veröffentlichung dieses vergessenen, nun entstaubten Klassikers!
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Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod
1937: Spanien im Bürgerkrieg. Ein Clown, von Milizen zwangsrekrutiert, findet sich, bewaffnet mit einer Machete, in einem Blutbad gegen die Faschisten wieder. Jahre später tritt dessen Sohn Javier in die Fußstapfen seines Vaters und findet als "trauriger Clown" in einem Zirkus Arbeit. Dessen Star ist Sergio, ein nach außen hin "lustiger Clown", der sich jedoch hinter den Kulissen als brutaler Sadist entpuppt. Darunter leidet vor allem seine Freundin Natalia. Als diese Gefallen an Javier findet, ist das der Anfang eines erbitterten Kampfes zwischen den beiden Clowns um die Gunst der schönen Artistin. (Quelle: Jacob GmbH)
„Wer nicht über dich lacht, sollte lernen, dich zu fürchten!“

Álex de la Iglesia ist ein außergewöhnlicher Filmschaffender aus Spanien. Seinen Filmen wie „Aktion Mutante“, „El dia de la bestia“, „Perdita Durango“ oder „Ein ferpektes Verbrechen“ ist stets groteske Überzeichnung ebenso gemein wie beißender, wütender schwarzer Humor. Im Jahre 2010 schließlich räumte er in seinem Heimatland mit dem spanisch-französisch koproduzierten „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“, für den er selbst das Drehbuch verfasste groß ab, blieb hierzulande allerdings ein Geheimtipp.

Im spanischen Bürgerkrieg wird Javiers Vater von Widerstandskämpfern gegen die faschistischen Franco-Truppen zwangsrekrutiert und kommt schließlich zu Tode. Ca. 35 Jahre später tritt Javier in die Fußstapfen seines Vaters und verdingt sich als Zirkusclown – als trauriger Clown wohlgemerkt, der zusammen mit Sergio, dem lustigen Clown, auftritt. Außerhalb seiner Auftritte ist Sergio jedoch ein brutaler Choleriker und Sadist, der seine attraktive Freundin, die Artistin Natalia, misshandelt. Javier verliebt sich in Natalia, die schließlich hin- und hergerissen zwischen beiden Männern ist, welche sich ein unerbittliches Duell liefern...

Eine Inhaltsangabe wie diese profanisiert die Handlung in unzulässiger Weise, denn „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“ ist viel mehr, als diese paar Zeilen vermuten lassen – wenngleich sie tatsächlich das Handlungsgerüst grob umschreiben. Eine Genrezuordnung ist quasi unmöglich, es sein denn, man möchte von einer Mischung aus Kriegsfilm, Tragikomödie, Drama, Thriller/Horrorfilm und Historienepos sprechen. Doch was hier grenzenlos überfrachtet und überambitioniert klingt, wirkt trotzdem in sich stimmig und ausgewogen. De la Iglesia beginnt mit einem collagenartigen Intro, dass zeitgeschichtliche Bilder mit popkulturellen Phänomenen verbindet und dabei, beispielsweise in Form eines „Cannibal Holocaust“-Motivs, nicht vor der Filmbranche halt macht. Anschließend findet sich der Zuschauer im spanischen Bürgerkrieg wieder und wird Zeuge grauenhafter Kämpfe sowie des Schicksals von Javier und seinem Vater. Die Bilder sind ungeschönt, brutal und blutig, der Wahnsinn des Krieges, der schließlich auch die Belegschaft eines harmlosen Zirkus einholt, tobt über die Leinwand und versetzt dem Zuschauer einen derben Tiefschlag. Zeitsprung, wir befinden uns in den 1970ern. Javier, ein korpulenter, ruhiger, melancholischer Mensch, der sein Kindheitstrauma als Narben auf seiner Seele mit sich herumträgt, heuert bei einem Zirkus an. Schnell entromantisiert de la Iglesia das fahrende Volk; hinter den Kulissen werden die kaputten Charaktere deutlich, herrschen Egozentrik, Eifersucht, Missmut und nackte Gewalt. Für Liebe scheint kein Platz zu sein, selbst Sex dient in erster Linie als Ventil zur Entladung der eigenen Aggressionen. Diese allgegenwärtige Kälte und Düsternis des unwirtlichen Alltags lässt de la Iglesia spürbar werden, schreckt auch hier vor expliziten Bildern nicht zurück und kommentiert sie mit Spitzen zynischen Humors. Vor allem aber setzt er eine Gewaltspirale in Gang, die sich bis zum wahnwitzigen Finale steigern wird.

Die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Javier und Natalia ist von vornherein zum Scheitern verurteilt und mündet für alle Beteiligten nicht nur in Konfrontation und Gewalt, sondern in völliger Selbstzerstörung. Zerstörte Seelen treffen aufeinander und schenken sich nichts, sondern ziehen sich gegenseitig in einen Strudel zum Abgrund der Unmenschlichkeit und des Verfalls, physisch wie mental.

Der Konflikt dieser unglückseligen Dreierkonstellation lässt die inneren Dämonen des introvertierten Javiers nach außen treten, was sich auch in schockierenden Selbstverstümmelungen manifestiert, die aus ihm den wandelnden Wahnsinn machen, der schließlich über Leichen geht. Spätestens ab diesem Punkt ist „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“ plakativ-überzeichnet ins Comichaft-Groteske, als wohne man der Entstehung eines Superschurken aus den psychopathologischen Untiefen beispielsweise des DC-Universums bei: Der Joker geht eine Symbiose mit dem Pinguin ein und ergreift Besitz von Javier. Er bezieht eine morbide eingerichtete Höhle, der Film wird zum beinharten Psycho-Thriller mit Horrorelementen. Die Reaktionen darauf bestehen in einem Wechselbad der Gefühle; man erschrickt, man lacht, man wendet sich angewidert ab. Was de la Iglesia hier zelebriert, ist der Wahnsinn hochemotionaler Beziehungen, der Fatalismus gepeinigter Seelen, aber auch das fleischgewordene Trauma der spanischen Gesellschaft nach 36 Jahren faschistischer Franco-Diktatur und entsolidarisierter Zerrissenheit. Es ist der Amoklauf des lange verborgen Schlummernden, die hässliche Fratze des gekränkten inneren Widerspruchs, die sich Bahn bricht. De la Iglesias Film funktioniert auf beiden Ebenen, der persönlichen, zwischenmenschlichen ebenso wie der metapherreichen, parabel- und symbolhaften, die die jüngere Geschichte Spaniens aufrollt. Nahezu beiläufig kommt es immer wieder zu Überschneidungen mit wichtigen geschichtlichen Ereignissen des Halbinselstaats wie z.B. dem Attentat auf Franco. Javiers Wege kreuzen sich tatsächlich noch einmal mit Franco und seinen Schergen, die mittlerweile anscheinend weitestgehend akzeptiert fest im Sattel sitzen und als eine perfide Art von Normalität empfunden werden. Diese Situationen nutzt de la Iglesia für Rachefeldzüge Javiers, die de la Iglesias eigene zu sein scheinen. Die Art und Weise, wie diese geschichtlichen Orientierungspunkte nach dem dominanten Auftakt in die Handlung eingebunden werden, sind bemerkenswert, da ihr gerade genug Bedeutung beigemessen werden, um ihren Einfluss zu verdeutlichen, sie jedoch nicht direkt die persönliche Ebene des Films okkupieren, obwohl sie doch so allgegenwärtig sind. Geschichtsbewältigung à la de la Iglesia, zwischen Unaufgeregtheit und totaler Hysterie.

Das große Finale über bzw. auf den Dächern der Stadt ist die Konsequenz aus den vorausgegangenen Ereignissen, ein gegenseitiges Zerfleischen ohne Rücksicht auf Verluste, bis das, was eigentlich zählt, endgültig aus den Augen verloren und schließlich zum unwiederbringlich ausgelöschten, für immer verlorenen Opfer wird. Am Ende sind sie dann tatsächlich, was sie stets vorgaben zu sein: Lachende und weinende Clowns. Ja, auch trotz einiger weniger nicht gänzlich gelungener Tricktechniken und ebenso wenigen nicht ganz passenden Albernheiten ist das Finale ein großartiger Schlusspunkt unter 107 Minuten grassierenden Wahnsinns – und trotz allem so romantisch, entlarvend-romantisch, beißend-romantisch... anti-romantisch? Wie auch immer man „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“ interpretieren, auf welche Auslegungsmöglichkeit man mehr Gewicht legen möchte, es ist ein Film, der – ein ausreichend sensibles Publikum vorausgesetzt – tief berührt, trotz oder gerade wegen seiner Unorthodoxheit. Ihren entscheidenden Teil tragen dazu zweifelsohne die Schauspieler bei: Carolina Bang mimt in ihrer anscheinend ersten Spielfilmrolle die idealisierte, scheue, elfenhafte Schönheit, von der man interessanterweise erstaunlich wenig erfährt und man sich fragen darf, wie viel die um sie Buhlenden überhaupt von ihr wussten. Ihr wird vorrangig eine Katalysatorfunktion für Javiers Ausbruch zuteil. Antonio de la Torre („Torrente – Der dumme Arm des Gesetzes“) erfüllt die Rolle des unberechenbaren Soziopathen nicht nur glaubwürdig, sondern auch durchaus furchteinflößend und mit dieser für den Film wichtigen Ambivalenz, die seine Gefühle für Natalia glaubhaft erscheinen lassen. Wie viel Opfer steckt in diesem Täter? Was hat ihn zu dem gemacht, was er ist? Diese Fragen wirft der Film, wirft seine darstellerische Leistung auf. Carlos Areces („Super Drama Movie“) in der Hauptrolle als Javier ist der unscheinbare Dicke, auf dem man herumhacken kann – bis seine Seele der Pein überdrüssig ist, sich zur Wehr setzt und er ein Ziel vor Augen unnachgiebig verfolgt. Eine unglaubliche Leistung, die Areces hier abliefert, voller Mut zu Hässlichkeit, Leidensfähigkeit einer breiten Emotionspalette, die vom ruhigen, nachdenklichen Typen über den sehnsüchtigen, zärtlichen, liebenden Gentleman bis zum schreienden Amokläufer alles abdeckt. Die Nebenrollen sind mit zu großen Teilen herrlichen Charakterköpfen besetzt worden und allein schon deshalb sehenswert. Seine bunten Bilder der 1970er versteht de la Iglesia als atmosphärische Tristesse zu inszenieren, eingefangen von einer entfesselten Kamera in authentischen Kulissen.

Mit „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“ hat de la Iglesia seinen ureignen Stil auf die Spitze getrieben. Sein bisher bester Film, ein anarchisches, schmerzhaftes Meisterwerk, ein Epos des Wahnsinns, von dem ich nicht glaube, dass er es noch übertrumpfen können wird. 8,5/10 Punkte nach einer Erstsichtung, die einen erschöpften, doch faszinierten und glücklichen Rezipienten zurückgelassen hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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