Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Moderator: jogiwan

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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

28.10.2017, Linker Laden, Hamburg:
Halloween-Party mit FAXE POLICE


Wir hatten etwas von Anti-G20-Prozesskosten-Solisaufen aufgeschnappt und uns auf ‘nen unspektakulären Abend am Tresen mit Musik aus der Konserve eingestellt. Als ein als fleischfressende Pflanze verkleideter Kassierer ‘nen Fünfer Eintritt verlangte und uns nicht hineinließ, ohne uns Kunstblut in die Visagen zu schmieren, wurde klar, dass wir da etwas falsch verstanden hatten. Der Laden war ebenfalls ganz im Zeichen Halloweens dekoriert und der Großteil hatte sich in entsprechende Schale geschmissen. Und wer nicht, war bzw. wurde eben angeschmiert. Im Konzertraum legte nicht nur ein mit gutem Geschmack gesegneter Vinyl-DJ auf, der sein Set mit diversen ‘80er-New-Wave/Synthie-Pop-Hits spickte, ein mit Drumkit etc. bestückter Bühnenbereich sowie ein selbstgebasteltes Glücksrad deuteten auf weitere Programmpunkte hin. Um Mitternacht wurden die Spiele schließlich eröffnet: Nach zwei „Gratis“-Tracks von FAXE POLICE – flotter HC-Punk/Oldschool-HC, der arschtrat – bat ein Moderator ans Glücksrad, das mehrere Optionen bot: FAXE POLICE spielen einen Song, Zitateraten, Schlag den Scholz, Songraten oder Karaoke. Beim Zitateraten galt es, Aussagen aus den Bereichen Politik, Philosophie u.ä. per Multiple-Choice-Verfahren richtig zuzuordnen, was bei Erfolg mit ‘nem Schnaps belohnt wurde. Die Zitate waren übrigens wohlgewählt und der Schwierigkeitsgrad nicht immer ganz profan. Bei „Schlag den Scholz“ galt es, mit Bällen eine Pappstatue des größenwahnsinnigen Hamburger Despoten vom Stuhl zu fegen, was ebenfalls in Alkoholika entlohnt wurde. Beim Songraten spielte ein Bandmitglied den Anfang eines mehr oder weniger populären Stücks über sein Smartphone an, was die meisten Teilnehmer vor keine größeren Herausforderungen stellte. Die geilste Disziplin war jedoch Karaoke: Wen es erwischt hatte, musste ein Los ziehen, das den Titel des zu singenden Songs offenbarte, welche auch alle auf der Tafel an der hinteren Bühnenwand aufgeführt worden waren. Selbst singen musste man nicht, sondern konnte jemanden aus dem Publikum auswählen, der Bock und den Text halbwegs drauf hatte. Ob GANG GREENs „Alcohol“, „California über alles“ vonne DEAD KENNEDYS, KIM WILDEs „Kids in America“, POISON IDEA – „Plastic Bomb“, BLACK FLAG – „Nervous Breakdown“ oder DEAD BOYS – „Sonic Reducer“ – die Band spielte die Songs jeweils live und fast nie wurden Sängerin oder Sänger alleingelassen, sondern konnten sich auf ‘nen kräftig mitsingenden Mob verlassen. Daraus entwuchs manch eigenwillige Interpretation und je später die Nacht, desto lockerer wurden die Leute und desto chaotischer wurde die Veranstaltung, die vom Moderator durch subtile Eingriffe am Glücksrad dann und wann in die gewünschte Richtung gelenkt wurde. Gegen Ende war dann immer noch „Breaking The Law“ von good old JUDAS PRIEST übrig; nachdem ich mir genügend Mut angetrunken hatte, ergriff ich die Chance und versuchte mich als Aushilfs-Halford. Hat derbe Laune gemacht, ganz wie die komplette, mit viel Liebe zum Detail gestaltete Sause, auf die ich so gar nicht vorbereitet war, die mich aber auch im Nachhinein noch breit grinsen lässt. Bleibt zu hoffen, dass auch für die G20-Repressionsopfer reichlich Rubel zusammenkamen – schließlich konnten längst nicht alle dieses Jahr derart ausgelassen Halloween feiern.

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Arkadin
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von Arkadin »

Jan van Hasselt: GLOBO
08.11.2017, Schwankhalle Bremen

Den guten Jan hatten Karlschi und ich Anfang des Jahres kennengelernt, als er uns fragte, ob wir - begleitend zu seiner Perfomance-Lecture über Godzilla.. äh... einer großen, atomverseuchten Echse, deren Name aus rechtlichen Gründen nicht genannt werden darf, im Rahmen unserer Weird-Xperience-Reihe einen Godzilla.. äh... einen Film mit besagter Echse zeigen könnten. Schon damals erzählte er uns von dem größten Projekt seines Lebens: Vier Jahre hat er in Rio an einem Dokumentarfilm für Thyssen-Krupp gearbeitet, die dort damals eines der größten Stahlwerke der Welt gebaut haben. Dieses Bauvorhaben entwickelte sich aber zu einer der größten Pleiten des Konzerns, führte zu Milliarden Verlusten, kostete mehreren Vorstandsmitgliedern den Job und einer kam während des Baues bei einem flugzeugunglück ums Leben. Als der Bau fertig war und Jan seinen Film fertiggestellt hatte, wurde dieser von Thyssen-Krupp kassiert und durfte nicht gezeigt werden. Man hatte Angst, er könnte einen negativen Einfluss auf den Aktienkurs haben. Jan bezeichnet den Film als das beste, was er je gemacht hat. Zeigen darf er ihn bis heute nicht.

Aber er hat Material, welches er für den Film und ein - ebenfalls gescheitertes Folgeprojekt - gefilmt hatte, nun für eine Performance-Lecture namens "Globo" (so heißt ein in Rio sehr beliebter Keks, der von arbeitslosen Favela-Bewohner verkauft wird, wie bei uns die Zeitschrift wie "Zeitung der Strasse" etc. Über den Hersteller sollte der zweite Film gehen, aber der verweigerte kurzfristig zu Zusammenarbeit) verwendet.

Text der Ankündigung: "Der Bremer Filmemacher Jan van Hasselt reiste mehrmals nach Rio de Janeiro, um einen Dokumentarfilm über den Bau eines Stahlwerks zu drehen. Daraus wurde nichts, denn sein Auftraggeber gab das Material nicht frei. Stattdessen fand sich van Hasselt mitten in der Protestbewegung gegen den Bauwahnsinn, die geräumten Favelas und die militärische Belagerung Rios wieder. Zwischen WM und Olympiade werden die Auseinandersetzungen zu einem Kampf um die Bilder und darum wer was filmen darf. Zwischen Texten, Videoschnipseln und live Sound von Jacob Richter wird der Bilderkampf auf der Bühne fortgesetzt. ›Globo‹ reflektiert so nebenbei die Mechanismen der medialen Wahrheitsproduktion."

Jan hat viele spannende Geschichten zu erzählen. Das geschieht wie folgt. Zunächst sieht man Ausschnitte aus dem Filmmaterial, dann ließt Jan aus seinen Erinnerungen und stellt die Menschen, die man in den Filmauschnitten gesehen hat näher vor. Einen Favela-Bewohner, der täglich 30 Bilder auf alle möglichen Materialien malt, die er an Strand an Touristen verkauft; zwei Aktivisten, die sich als Batman verkleiden - der eine in einem echt coolen Kostüm, der andere hat seins aus Müll nachgebaut und sich das Batman-Zeichen mit Edding auf die nackte Brust gemalt; einen Musiker. Dann gibt es Musik des Musikers Jacob Richter. Diese ist experimenteller Elektro-Noise und die Einlagen gehen gut und gerne über 10 Minuten. Danach sieht man wieder Ausschnitte und hört Jans Erinnerungen. Das ist alles sehr spannend und greift sehr gut ineinander. Die Musik ist jedoch ein kleines Problem. Sie ist auch meiner Meinung nach viel zu lang (2-3 Minuten hätten durchaus gereicht) und rief im Publikum (elches zu 98% aus jungen bis sehr jungen Stundenten bestand) höchste Unruhe hervor. Jan und die Filmausschnitte sind wahnsinnig interessant, und man könnte ihm den ganzen Abend zuhören und die bewegten Bilder aus Rio ansehen. Die Musik stoppt diesen Fluss und man wartet dann 10 Minuten bei teilweise extrem lauten, disharmonischen Noise darauf, dass es weiter geht. Ich fand es spannend, da ich mich mit dieser Art von Musik bisher nur ganz, ganz am Rande mal befasst habe. Ich gehe aber davon aus, dass 90% des Publikums da so gar nichts mit anfangen konnte, nicht verstand, was das sollte und genervt war. Auf dem Heimweg sassen zwei junge Frauen vor mir, die auch da waren und lebhaft darüber diskutierten, dass die Musik sie extrem gestört hätte. Auch schon während der Lecture-Performance gingen in dem Teil immer wieder Leute raus und am Ende gab es sogar einen Zwischenruf aus dem Publikum, dass das viel zu laut sei. Ich jedenfalls habe es nicht bereut dabeigewesen zus ein. Ganz im Gegenteil. Es war ein für alle Sinne sehr anregender und spannender Abend mit einem sehr sympathischen "Lecture-Perfomer". Ich bin schon sehr gespannt, was er als nächstes anpackt. Da bin ich dann bestimmt auch wieder dabei.

Eine Ankedoten am Rande. Ich hatte es mir in der allerersten Reihe bequem gemacht (in unserem Alter braucht man einfach Beinfreiheit) und hatte mir eine Flasche Beck's mit reingenommen. die stellte ich vor dem Sitz ab, dann ging ich schnell Jan begrüßen. als ich mich umdrehte sah ich gerade noch, wie eine Gruppe Studenten auf meine Bierflasche zuschlurften. Trotz meiner lauten und verzweifelten Warnrufe, kickte die erste ind er Gruppe meine halbvolle Flasche quer durch den Saal. Natürlich entschuldigte sie sich wortreich (auf Englisch) und bot mir als Kompensation "a meal" an. Dafür nestelte sie in ihrem Portemonie herum und hielt mir dann einen blauen Papierschnippsel unter die Nase. Ich fragte mich, was das solle, lehnte aber natürlich freundlich mit "No, no.. no problem" ab. Erst später ging mir auf, dass sie mir wohl eine Essenmarke für die Uni-Mensa geben wollte. D.h. wohl ich ich habe mich wohl so gut gehalten, dass ich für das Jungvolk immer noch als Student durchgehe. Da schmeckte die Pfütze, die noch in der Flasche verblieben war, gleich doppelt so gut... (an dieser Stelle bitte ich von etwas realistischeren Interpretationen abzusehen, welche mir dieses schöne Selbstbild zerstören könnten).
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jogiwan
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von jogiwan »

Arkadin hat geschrieben:[...]Trotz meiner lauten und verzweifelten Warnrufe, kickte die erste ind er Gruppe meine halbvolle Flasche quer durch den Saal. Natürlich entschuldigte sie sich wortreich (auf Englisch) und bot mir als Kompensation "a meal" an. Dafür nestelte sie in ihrem Portemonie herum und hielt mir dann einen blauen Papierschnippsel unter die Nase. Ich fragte mich, was das solle, lehnte aber natürlich freundlich mit "No, no.. no problem" ab. Erst später ging mir auf, dass sie mir wohl eine Essenmarke für die Uni-Mensa geben wollte. D.h. wohl ich ich habe mich wohl so gut gehalten, dass ich für das Jungvolk immer noch als Student durchgehe. Da schmeckte die Pfütze, die noch in der Flasche verblieben war, gleich doppelt so gut... (an dieser Stelle bitte ich von etwas realistischeren Interpretationen abzusehen, welche mir dieses schöne Selbstbild zerstören könnten).
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karlAbundzu
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von karlAbundzu »

@arkschi Schade, dass ich keine Zeit habe. Bei seiner Lecture Performance zu G* gab es ja auch immer experimentelle Musik, die aber immer klaren Bezug zu den Echsenfilmen hatte. Jan hat, glaube ich, auch mal selbst Noise gemacht.

@Buxte hehehe, Breaking the law hab ich ja auch bei einem meiner ersten Karaoke-Versuche gesungen. Ging ab. Aber mit Liveband ist natürlich doppelt so geil. Das hatte ich erst einmal. da sang ich Bullenschweine von Slime!
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

karlAbundzu hat geschrieben:@Buxte hehehe, Breaking the law hab ich ja auch bei einem meiner ersten Karaoke-Versuche gesungen. Ging ab. Aber mit Liveband ist natürlich doppelt so geil. Das hatte ich erst einmal. da sang ich Bullenschweine von Slime!
Das wurde jenen Abend ebenfalls karaokisiert :D
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

04.11.2017, Störtebeker, Hamburg:
NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN + MONOTROP + LASTER-KADAVER


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An diesem Wochenende hätte man sich wieder in etliche Puzzleteile zerreißen müssen, hätte man jede interessante Veranstaltung in der Hansestadt mitnehmen wollen. Mir stand der Sinn nach ‘ner überschaubareren Sause und das Störtebeker lockte mit einem Gig der lokalen NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN zusammen mit zwei mir unbekannten Bands. Die Berliner HC-Punks SZRAMA mussten krankheitsbedingt leider absagen, als Ersatz war das Duo LASTER-KADAVER eingesprungen. Im noch einige Beinfreiheit bietenden Störte eröffnete dieses irgendwann zwischen 22:30 und 23:00 Uhr vor auffällig vielen Vokuhila-Trägern (nach mal mehr, mal weniger ironischen Schnurris offenbar der letzte szeneinterne Antimodeschrei) mit Sludge-Gedröhne ohne Bass, dafür mit Kunstnebel, tiefer Klampfe mit vielen Effekten und Loops, die weitere Instrumente überflüssig machten. Das klang wie ein überlanger Soundcheck, monoton, schleppend und vorhersehbar. Freunde dieser Musik würden jetzt vermutlich eher doomig, atmosphärisch und rustikal sagen, aber ich penn‘ bei sowat echt weg. Der Shouter/Klampfer drehte zwischendurch Kippen und legte seine Axt auch mal ganz zur Seite, um zu den Loops nur noch zu brüllen. Da Stück an Stück ohne Pausen aneinandergereiht wurde, hinterließ das Ganze den Eindruck einer einzigen Endlosnummer. Selbst der berüchtigte Erste-Reihe-Tänzer im Metal-Dayz-Shirt verharrte regungslos und als sogar die Vokuhilas irgendwann das Weite suchten, hatte die Band offenbar ihr Soll erfüllt und räumte die Bühne. Nee, Sludge und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr.

Bei den Bremer Krusten MONOTROP stehen die Chancen schon besser, wenngleich der Bandname in Kombination mit dem Genre erst mal wenig Gutes befürchten ließen, monotones Crust-Geschepper ist nun auch nicht gerade meine Baustelle. Doch weit gefehlt! Nach einem Intro, für das der Sänger sprichwörtlich auf die Pauke haute, sprich: an einer zusätzlichen Trommel den Drummer unterstützte, brachten MONOTROP mittels pfeilschneller Songs und ordentlich Arschtritt kräftig Leben in die Bude. Zwischen den Songs erzählte der Drummer kurz etwas zum textlichen Inhalt der Songs, wovon man beim (offenbar deutschsprachigen) Brüll- und Röchelgesang des stilechten Frontzottels dann ohnehin kein Wort verstand, der aber Energie und Aggressivität vermittelte, während sich heftige Riffs durch die Gehörgänge frästen. Crustpunk mit echten Songs inkl. Wiedererkennungseffekten, Speed und Groove, der richtigen Dosis an Abwechslung und arschviel Power. So gefällt das auch Skeptikern wie mir.

Die Stimmung war mittlerweile positiv aufgeheizt, die NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN brauchte diese nur noch mitzunehmen. Nach den vorausgegangenen Darbietungen stellte sie sich als Pop-Band vor, was mit dem zwar wesentlich melodischeren, doch bisweilen nicht minder aggressiven und energetischen Sound der Band natürlich nicht viel zu tun hat. Im Gegenteil: Die Mischung aus feinen Melodien, ruppigerem Zeug und kämpferischer, melancholischer und wütender Stimmung stieß wie üblich auf offene Ohren und Herzen. Rechts vor Bühne übertönte der Gitarrensound leider völlig beide sich abwechselnde Gesänge, vermutlich Bühnensound-bedingt, aber ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen und nutzte die immer noch angenehmen Platzverhältnisse, um mich einfach auf die andere Seite zu begeben und dort den einnehmenden Bassläufen des stets fröhlich vor sich hingrinsenden, aber komplett die Klappe haltenden Bassisten ebenso zu lauschen wie den leidenschaftlichen Ansagen, die Anlass für einen kleinen Zwischenfall waren: Ein auf dem Bühnenrand sitzender Punk zeigte an diesen anscheinend demonstratives Desinteresse, was einen anderen derart auf die Palme brachte, dass er diesen maßregelte. Unnötig, weil eigentlich beides panne: Die Annahme, eine Punkband sei dazu da, einen Song nach dem anderen rauszuhauen, ohne länger als fünf Sekunden etwas zu ihnen zu sagen und man deshalb genötigt sei, verächtlich auf alles zu reagieren, was die eigene Aufmerksamkeitsspanne überreizt, ist natürlich grundfalsch, zumal weder die NOTGEMEINSCHAFT noch andere ähnlich geartete D.I.Y.-Bands wirken, als würden sie sich auf ein Podest stellen und sich selbst gern einstudierten Bullshit quatschen hören, der allen längst aus den Ohren herauskommt. Genauso Quatsch ist es aber, so zu tun, als sei man auf einer ach so politischen Agitprop-Veranstaltung denn auf einem wüsten HC-Punk-Gig und für jedes Teaching to the converted höchste Aufmerksamkeit erzwingen zu wollen. Über diesen Unfug habe ich nun aber längst viel zu viel geschrieben, letztlich wirkte Gitarrist/Sänger Stemmen beruhigend auf die Situation ein, die wohl schnell geklärt war. Als die Band schließlich erstmals von ihren Instrumenten ließ, wurden lauthals Zugaben gefordert, bis weitere Anti-Aging-Tipps in Form eines eingedeutschten und an hiesige Verhältnisse angepassten AGNOSTIC-FRONT-Songs sowie einer direkt ins Ohr gehenden Singalong-Hymne ausgetauscht wurden, deren Chor aus vielen Kehlen mitgesungen wurde.

Nach einem sich mir musikalisch nicht erschließenden Beginn, den ich vor allem als Kunstnebel- und Equipment-Technik-Demonstration in Erinnerung behalten werde, wurd’s der erwartete und erhoffte arschnette Abend mit guter Musik im ebenso herzlichen wie rustikalen Störtebeker-Ambiente, wo dann auch die eine oder andere Pilsette mehr geköpft wurde, als vielleicht ursprünglich „geplant“. Schönes Ding, das seinen obligatorischen Absacker im Onkel Otto fand.

Reich bebildert auch hier:
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Beitrag von buxtebrawler »

18.11.2017, Gängeviertel, Hamburg:
F*CKING ANGRY + EAT THE BITCH + AFFE SUCHT STOCK


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Die unermüdliche „Beyond Borders“-Konzertgruppe hatte vorgewarnt: Die räumlichen Kapazitäten seien begrenzt und man solle möglichst pünktlich erscheinen. Tatsächlich füllte sich an diesem Abend der jüngst renovierte Schuppen in Windeseile und relativ zeitig begann die Berliner Band mit dem seltsamen Bandnamen: Die wohl noch sehr jungen AFFE SUCHT STOCK spielten melodischen, wohl eher ‘90er-inspirierten Punkrock mit vornehmlich deutschen, kritischen Texten, für deren Interpretation sich der Drummer und die Gitarristin abwechselten, unterstützt von mehrstimmigem Background-Gesang. Mit zwei Gitarren war man relativ breit aufgestellt und zauberte manch nette Melodie hervor, wenngleich dem Gitarristen gleich beim ersten Song eine Saite riss. Die anderen drei machten zunächst ohne ihn weiter, bis er mit EAT-THE-BITCH-Tims Klampfe wiederkam und weiterfideln konnte. Nicht jeder Song war ein Kracher, doch einige Sahnestücke waren dazwischen und die Band wirkte doch sehr charmant und bestimmt nicht unsympathisch. Am besten lief mir aber das letzte Stück rein; astreiner Hardcore mit derbem, ohrenscheinlich englischem Gesang von hinter der Schießbude wech, der irgendwie auch auf die kommende Steigerung des Härtegrads vorbereite.

So richtig proppevoll war’s dann pünktlich zu EAT THE BITCH, die m.E. bekanntlich zu den stärksten jungen und hungrigen Bands aus Hamburgs Underground zählen. Ich hatte mich irgendwo im vorderen Drittel hinter den Pogoreihen relativ mittig positioniert und empfand den Sound anfangs als gewöhnungsbedürftig, der Bass war zu laut und die Drums zu leise. Dies besserte sich im Laufe des Sets, wobei andere die Akustik offenbar ganz anders wahrgenommen haben und von zu lauter Gitarre u.ä. sprachen – evtl. sehr standpunktabhängig gewesen? Die Band hatte ihre Setlist kräftig überarbeitet, sodass sich Bekanntes mit neuem Material abwechselte. Die neuen Songs lassen hoffen, denn sie scheinen die Mischung aus desillusionierter Aggressivität, ruppiger Härte und Eingängigkeit bzw. Wiedererkennungseffekt konsequent weiterzuführen: „Nazideutschland 2.0“ z.B. ist direkt hängengeblieben. Man traute sich jedoch anscheinend auch etwas und öffnete sich für neue Einflüsse, was in einem als experimentell angekündigten Song mit Sprechgesang Ausdruck fand. Vor der Bühne ging’s ganz gut zur Sache; kein Wunder, denn Jonas Gesang zwischen Wut und Hysterie mit ihren harmonischen Einsprengseln wirkte erneut dem Wahnsinn nahe und besonders in Kombination mit Basser Manus diesmal sehr lautem, herrlich angepisstem Aggro-„Background“-Gesang knallte das bestens, während die Instrumente das gewohnte HC-Punk-Gewitter fernab von Monotonie oder moderner, kalkulierter Kantenlosigkeit erbarmungslos durchbretterten. Da ballt sich schnell einiges zusammen, das nach Entladung schreit – und schließlich findet. Zwei als Zugaben eingeplante Songs wurden ohne das ihnen normalerweise vorausgehende Ritual nahtlos ans reguläre Set gehängt, wobei der erste, das ältere „Elend“, ein bisschen vermurkst wurde und Jona am Schluss doch hörbar aus der Puste war – doch das bin ich nach einem geilen Gig auch und ist natürlich kein Makel, sondern Ausdruck dafür, dass ohne Rücksicht auf Verluste alles gegeben wurde.

F*CKING ANGRY aus der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn traten an, den Stimmungspegel zu halten oder gar zu toppen. Seit ihrem 2015er Album „Dancing in the Streets“ ist der Vierer szeneintern recht populär, und zwar zu Recht, denn die Platte ist geil. Das Live-Erlebnis übertrumpft den Hörgenuss aus der Konserve jedoch i.d.R., so auch hier: Schnörkelloser, meist schnell gespielter Oldschool-HC trifft auf unaufdringliche Melodien und wird von einer Sängerin veredelt, deren raue, schnoddrige, rotzige Stimme mich positiv ein bisschen an die unvergessene Wendy O. Williams erinnert. Die bissigen Texte sind mal in deutscher, mal in englischer Sprache verfasst und waren Teilen des Publikums durchaus bekannt. Da wurde nicht nur getanzt, sondern auch fistgeraised und mitgesungen, NOTGEMEINSCHAFT-PETER-PAN-Stemmen übernahm gar kurzerhand einen ganzen Song und empfahl sich damit als Hardcore-Shouter. „Atomstrom“ ist so was wie der Hit der Band, vermutlich aufgrund seiner Verbreitung auf CD-Beilagen und seiner hartnäckigen Ohrwum-Qualitäten – dementsprechenden Widerhall fand er seitens des Publikums. Es war eng, allen war heiß, Bierspritzer eine willkommene Abkühlung, aber die Bands waren klasse, die Atmosphäre entspannt und die euphorische Stimmung spätestens jetzt auf ihrem Siedepunkt, sodass es gern noch länger so hätte weitergehen können. Nach dem Schlusspfiff verkaufte sich die F*CKING-ANGRY-Scheibe wie geschnitten Brot. Das Plattenkaufen auf Konzerten sollte ich aber evtl. doch noch mal überdenken, denn diese war nicht die erste, die es nach einer anschließenden Kneipentour doch deutlich entfernt vom Mint-Zustand nach Hause geschafft hat (wenigstens hat sie es überhaupt geschafft) …

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24.11.2017, Lobusch, Hamburg:
PESTARZT + ABRUPT + KANISTERKOPF


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Auweia, schon wieder zwei Wochen her – aber speziell in der Vorweihnachtszeit kommt man ja zu nix, schon gar nicht zum Führen des Konzerttagebuchs. Also mal im Hinterstübchen (und den spärlichen Notizen) gekramt – wat war da los? Zunächst einmal trotz nur spärlichster Werbung in den sozialen Netzwerken eine erfreulich gefüllte Lobusch, in der sich zudem einige Freunde und gute Bekannte herumtrieben, ohne dass man sich verabredet hätte. Einer war gar auf dem falschen Gig gelandet, aber kurzerhand dageblieben. Gegen 22:30 Uhr gaben sich endlich einmal wieder KANISTERKOPF die Ehre, jenes lokale Trio, das sich dem wuchtigen Mehr-so-90s-style-Hardcore verschrieben hat. Die englischsprachigen Songs haben Schmackes und Groove, die Band verfügt über ausgefeilte Gitarrenarbeit und einen Bassisten/Sänger in Personalunion mit schön rau-räudiger Stimme sowie als vielleicht größten Trumpf mit Sympathiebolzen Herrn Lehmann über jemanden, der an seinen Kesseln den reinsten Drum-Porno anrührt! Nicht nur, dass man arschtight zusammenspielt, das Präzisionsdrumming mit seinen zahlreichen Fills und sonstigen Kabinettstückchen ist noch mal eine Klasse für sich. Ungefähr ab der Hälfte des Sets war das Publikum weichgeklopft und erwachte aus seiner Schockstarre, was sich in einem gepflegten Pogo vor der Bühne widerspiegelte. Der Gesang war zwischenzeitlich etwas leise geworden, wurde irgendwann aber nachreguliert, zwischen den Songs gab sich die Band ziemlich maulfaul – man lässt die Songs für sich sprechen. Die „Zugabe!“-Rufe am Ende wurden zunächst mit „Coole Bands spielen keine!“ quittiert; die Band ließ sich dennoch überreden und mit „Aber da wir keine coole Band sind...“ wurde der NWOBHM-Klassiker „2 Minutes To Midnight“ von IRON MAIDEN eingeleitet, das bekanntlich in einer stark dem eigenen Stil angepassten Version dargeboten wird. Alles in allem der bisher beste Gig der Band, den ich bisher gesehen habe und wie üblich gefallen mir persönlich die schneller durchgepeitschten Songs am besten, die jedoch gerade im Kontrast zu eher schleppenden Stücken, Feedback-Spielereien und Groove-Monstern ihre Wirkung entfachen.

Von ABRUPT aus Göttingen hatte ich bis dato noch überhaupt nichts gehört, doch wieder einmal sollte sich bewahrheiten, dass das rein gar nichts über die Qualitäten einer Band aussagt. Derbe kehliger, meist deutschsprachiger Gesang eines Nietenkaisers trifft auf geile, zum Teil metallisch-melodische Gitarren-Leads und bei manch Song auch eine leichte Crust-Schlagseite, stilistisch würde ich das als düsteren und garstigen Hardcore-Punk einordnen. Das entsprach schon ziemlich exakt meinem Geschmack. Gerade anfänglich war der Gesang herrlich dominant, später übte er sich gar in gutturalem tiefem Geröchel. Der beste Song war vielleicht „Deutschland von hinten“, „Who cares?“ ist ebenfalls spontan hängengeblieben. Kuriosum am Rande: Der Drummer verlor zwischendurch einen Stick und hatte offenbar kein einziges Ersatzexemplar parat. Das blieb aber auch die einzige hörbare Panne eines sehr überzeugenden Gigs, der – passend zum Bandnamen – ziemlich abrupt endete. Da hoffe ich doch, dass man die Göttinger noch öfter in Hamburg zu Gesicht (und Gehör) bekommen wird.

Bei PESTARZT hatte ich dann schon gut einen im Tee. Das betont antifaschistische Bandkollektiv aus Serbien prügelte sich durch diverse 20-Sekunden-Songs, die ebenfalls gern sehr unvermittelt endeten und zu denen der vermummte Shouter durchs Publikum sprang. Eine Zugabe wollte man nicht spielen und irgendwie war die Chose zumindest gefühlt ziemlich schnell wieder vorbei – einmal flott durchgerauscht sozusagen. Der Mob hatte seinen Spaß, die Band vermutlich auch und wer seinen Hardcore eruptiv, kurz und schmerzhaft mag, könnte mal einen Termin zur Darmspiegelung bei Dr. PESTARZT vereinbaren (evtl. vorher die Krankenkasse konsultieren).

Die „Disgigz“-Konzertgruppe hatte einen weiteren lohnenden Abend aus dem Boden gestemmt und die altehrwürdige Lobusch zum Beben gebracht. Schönes Ding – weiter so!

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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

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01.12.2017, Hamburg, Bambi Galore:
NIGHT VIPER + INDIAN NIGHTMARE + GAME OVER


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Am ersten Dezemberabend lockte das Billstedter Bambi mal wieder mit einem fetten Viererpaket, das ich mir keinesfalls entgehen lassen wollte. Da es mir momentan an einem Freitagabend jedoch nicht ohne weiteres möglich ist, überpünktlich zu erscheinen, verpasste ich glatt die erste Band, die US-Thrasher von EUPHORIA. Zu den Italienern von GAME OVER stand ich aber Gewehr bei Fuß und wurde im mittlerweile rauchfreien besten Metal-Club Hamburgs Zeuge, wie das Quartett, das bereits aus einigen Album-Veröffentlichungen schöpfen kann, einen satten Stiefel rüden ’80er-Thrash voller Spielfreude herunterprügelte und sowohl mich als auch das sich aus den „üblichen“ Bambi-Gängern, angereichert durch einige Punks, zusammensetzende Publikum in Verzückung und Feierlaune versetzte. Bis auf den Sänger/Bassisten sah die Band wie direkt aus der Hochzeit des Thrashs herübergebeamt aus (inkl. ausgeblichenem JUDAS-PRIEST-Shirt und Schnurri) und spielte einen punkig-schnellen, sehr aggressiven, wenig feinsinnigen, dabei technisch durchaus anspruchsvollen versierten Sound, der live noch besser als von (mir eine Idee zu modern produzierter (das neue Album „Claiming Supremacy“ muss ich mir aber erst noch anhören)) Platte knallte, Energie freisetzte und eine Spannung erzeugte, die den gesamten Abend lang gehalten werden sollte – wenn auch über weite Strecken der Sound ein wenig übersteuert wirkte und der Gesang etwas unterging. Als letzten Song coverte man ANTHRAX’ „Metal Thrashing Mad“ in einer unglaublich geilen Version mit dem EUPHORIA-Sänger am Mic, bevor man die Bühne für INDIAN NIGHTMARE räumte.

Bei jenen Berlinern, die sich ungewöhnlicherweise aus Menschen mit Migrationshintergrund aus den verschiedensten Ländern zusammensetzt, handelt es sich um eine erst 2014 gegründete Band auf dem Kriegspfad, die sich den Begriff „Metalpunksteel“ angeeignet hat und auf die sich seither Metaller und Punks gleichsam einigen können. Das Debüt-Album „Taking Back The Land“ läuft mir gut rein mit seiner wahnsinnigen Mischung aus Speed- und Thrash-Metal sowie Hardcore-Punk, die die wie kannibalistische Endzeit-Indianer in irrer Kostümierung und Maskerade aussehenden Musiker unter Zuhilfenahme einer Extraportion Hall auch live reproduzieren. Zwei Fünftel der Band waren zudem in VENOM-Leibchen gehüllt, was zusätzliche Sympathiepunkte bringt. Das Publikum drehte nun endgültig feil, vor der Bühne war kaum noch ein Durchkommen. Erweitert wurde die rasende Show durch Auftritte einer leichtbekleideten Feuerspuckerin, was in solch einer kleinen Location natürlich schnell zum sprichwörtlichen Spiel mit dem Feuer werden kann – geil, dass das trotzdem so stattfinden konnte. So heizte man dem Mob also in jederlei Hinsicht kräftig ein und verausgabte sich gut auf der Bühne, bis als letzter Donnerschlag „Riders of Doom“ erschallte, der sich wohl als so etwas wie der herausstechende Bandhit herauskristallisiert hat, bevor das Kriegsbeil wieder temporär begraben wurde. Die Gruppe Punks hatte sich einen Spaß daraus gemacht, immer wieder Wasserblasen aus einer Blubberpistole in die Luft zu schießen, was nun nicht ganz so spektakulär wie die Feuershow ausfiel, aber als witziger Kontrast fungierte, haha… Spitzenband, die es sehr ernst zu meinen scheint und das richtige Gefühl für ihren Stil mitbringt, den zu genießen jedoch ein gewisses Faible für Over-the-top-Speed-Metal-Madness inkl. spitzer Schreie, schriller Töne und Evil-Attitude-Terror-Riffs vonnöten ist. Klasse auch, dass ich endlich einen Haken hinter „Die ma live gucken“ setzen kann.

Musikalisch in gemäßigtere Fahrwasser begaben sich schließlich NIGHT VIPER aus Schweden, die dem klassischen Heavy Metal frönen, gerade ihr neues, zweites Album „Exterminator“ veröffentlicht haben und aufgrund ihrer unprätentiösen No-Bullshit-Attitüde sowie ihrer catchy Songs und ihrer erstklassigen Sängerin bestens ankommen. Die Kapelle um Tom Sutton von THE ORDER OF ISRAFEL schüttelte Haar, die Sängerin auch mal einen Schellenkranz, zündete Konfettikanonen und hatte sichtlich Spaß am sie mit offenen Haaren und Armen empfangenden Publikum, von dem sie sich anfeuern ließ. „Nu Metal“, Elektronik, pathetischer Bombast oder anbiedernder Kitsch hatten hier nichts verloren und dennoch wirkte der klassische Stil der Band weder altbacken noch rückwärtsgewandt, sondern knackfrisch und hungrig. Allerdings fehlen mir noch ein paar mehr lupenreine Hits, sodass ich glaubte, nun guten Gewissens auch mal während des Sets eine dampfen gehen zu können und mich prompt vor der Tür festquatschte. Den Gig habe ich also nicht komplett verfolgt. Von der guten Stimmung war ich dennoch ergriffen und ließ mich mitreißen, bevor ich nach einem letzten Pilsener Urquell brav den Heimweg antrat und ein Konzert hinter mir hatte, das mehr noch als andere besonders vom speziellen Vibe zwischen Bands und Publikum lebte, mir eine verdammt gute Zeit bescherte und seine 16,- EUR Eintritt letztlich wert war.

Reich bebildert auch hier:
http://www.pissedandproud.org/01-12-201 ... game-over/
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Arkadin
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von Arkadin »

THE ELECTRIC FAMILY + FRIENDS
Music Hall, Worpswede - 02.12.2017

Eigentlich wollte ich Ende September ein Konzert der Band „Liquid Orbit“ besuchen. Im legendären Blues Club im Meisenfrei, Bremen. Die spielten im Rahmen der „Local Rock Safari“ für lau und stellten ihre erste Scheibe vor. Daraus wurde nichts, weil mir der Sturm Xavier den Weg von Hamburg nach Bremen versperrte. Schöner Mist. Aber ich wusste, dass „Liquid Oribt“ auch Anfang Dezember als Vorband der „Electric Family“ in der nicht minder legendären Music Hall in Worpswede spielten. Die „Electric Family“ kannte ich bis dahin nicht, aber unser guter KarlAbunzu erzählte mir, dass dahinter Tom Redecker steckt, welcher Ende der 80er/Anfang der 90er mit „The Perc Meets the Hidden Gentleman“ einigen (Indie)-Erfolg hatte. Also habe mir mal was von eben jener Band (großartig) und von ihm solo (sehr gut) besorgt, um mich mal so ein wenig vorzubereiten. Und so ging es dann am 2.12. mit dem Auto (netterweise hat sich ein Freund angeboten zu fahren) ab ins Künstlerdorf Worpswede zu „The Electric Family & Friends“.

Dafür, dass „The Electric Family“ eine so große Wertschätzung gerade unter Musikern (die Liste der Leute, die mal hier und da mit der Family assoziiert waren ist SEHR lang und beeindruckend) genießt und dies ihr einziges Konzert in 2017 war, fand ich es in der Music Hall recht leer. Ich schätze mal, die war gerade mal zu einem 1/3 gefüllt. Das tat der guten Stimmung aber keinen Abbruch. Mein erster Blick ging dann auch nicht zu der großen Bar, sondern den feinen Merchandising-Stand von Sireena-Records, der reich bestückt war mit CDs des Labels und den ich locker hätte leer kaufen können. Immerhin schnappte ich mir gleich eine TPMTHG-CD, die mir noch fehlte. Ansonsten herrschte eine sehr angenehme, entspannte Atmosphäre.

Als erster Act startete pünktlich „Liquid Orbit“ und es war großartig. Die Band spielt so eine Mischung aus Psychedelica/Prog/Hardrock/Folkrock. Erinnert oft an Deep Purple, aber auch Black Sabbath, die Doors und guten alten Krautrock. Getrieben werden die Songs durch die dominante Orgel/analoge Keyboards von Anders Becker (den ich schon bei „Agentenmusik“ bewundert habe) , die sich auch immer wieder mitreißende Duelle mit Andree Kubillus‘ Gitarre liefert. Dazu passt der Gesang von Sylvia Köpke wie die Faust aufs Auge. Irgendwo zwischen Blues Pills und frühen Nightwish mit Tara. Der Funke sprang auch sofort auf das Publikum über, und die Lieder rockten wie nix gutes. Für mich ganz vorne dabei Anders Becker, der seinem Instrument die irrwitzigsten Melodien entlockt. Der Gute spielt für mich in einer Liga mit Jon Lord und Ray Manzarek. Fantastisch. Ich glaube ja, das JEDER Band eine Hammond Orgel gut tun würde. Und Anders Becker liefert hier einmal mehr den Beweis. Nach viel zu kurzen 30 Minuten war der Auftritt vorbei (und das ganze Album gespielt). Die Stimmung auf einem Höhepunkt und das Publikum wollte die fünf gar nicht mehr gehen lassen.

Danach stieg Brian Parrish auf die Bühne. Ein älterer Brite im Roy Orbison-Look, der kurz zuvor noch neben uns im Publikum gestanden hatte. Nach einigen technischen Problemen gab er zwei eher ruhige, nur mit seiner Gitarre begleitenden Songs zum Besten, die ich mal als Country/Folk bezeichnen würde. Das brachte die explosive Stimmung nach „Liquid Orbit“ erst mal wieder runter. Der sympathische Herr war sicherlich auch nicht schlecht, aber das alles nicht so mein Ding. Hörte ich mir an, aber plätscherte auch so an mir vorbei.

Danach noch mehr „Friends“. Ein weiterer in Worpswede lebender Brite namens Steve Westaway betrat die Bühne. Auch diesen älteren Herren mir langen weißen Haaren und einen ebensolchen, beeindruckenden Bart hatte ich zuvor im Publikum ausgemacht und ich ulkte mit meinem Freund, dass – wenn das so weiter geht – wir auch noch auf die Bühne müssten. Westaway spielte die Arkustische und sang dazu mit seiner dunklen Stimme. Als Verstärkung hatte er einen großartigen Gitarristen dabei, der wundervolle mit seiner stylischen E-Gitarre umging (leider habe ich mit dessen Namen nicht merken können). Die beiden (plus eine Zugabe) eher ruhigen, von den E-Gitarren-Soli kraftvoll unterstützten, Songs erinnerten mich irgendwie an Chris Rea, und ich hätte da auch noch stundenlang zuhören und langsam weg dösen können. Also nicht falsch verstehen: Das war schon toll, aber konditionell nicht gerade förderlich.

Dann dauerte es aber nicht lange und der Main-Act betrat die Bühne. Und der Familiengedanke wurde gleich in die Tat umgesetzt. Bei den ersten Songs war noch der Gitarrist von Steve Westaway dabei, dafür fehlte Sänger, Gitarrist und Kopf Tom „The Perc“ Redecker, der erst nach so einer Viertelstunde erschien. Die Musik von „The Electric Family“ wird als „Hippiesker Krautrock, Psychodelia, Progressive-Rock und Psycho-Folk“ bezeichnet. Ja, passt schon, aber die Musik sprengt wirklich alle „Genre-Grenzen“. Da wird „Can“, ebenso wie die „Sisters of Mercy“ gecovert. Krautrockiges wechselt sich mit Funkigem ab. Nur eines haben alle Songs gemeinsam: Sie haben mir unglaublich gut gefallen. Es ging gleich in die Vollen mit einem von einer Sitar dominierten Instrumental-Stück. Die Sitar und ihr Spieler Harry Payuta (später auch Bass, Gitarre und Gesang) waren sowieso klasse, und dass sich an der Orgel/Keyboards auch gleich wieder Anders Becker wiederfand, hat mich natürlich auch sofort begeistert. Mein Held des Abends war aber Rolf Kirschstein. Der saß erst links am Bühnenrand und spielte so ein wenig Percussion, dann schnallte er sich später eine Gitarre um und verzauberte mich regelrecht. Nicht nur, dass er ein Virtuose an diesem Instrument ist (und an etwas, was aussah wie eine E-Ukulele), er übernahm auch bei einigen Stücken den Gesang (bei dem GROSSARTIGEN „Push Me (Before I Fall“ – wie ich später herausfand eine umwerfende, in die Beine gehende Cover-Version eines Stückes seiner eigenen Band „Pachinko Fake“) oder dem „Can“-Cover „Mary, Mary , So Contrary“, welches ebenfalls abging wie ein Zäpfchen. Überhaupt die Musiker: Allesamt ganz, ganz große Klasse. Da wurden dann auch fröhlich die Instrumente gewechselt und ich glaube, jeder hat mal alles gemacht (bis auf Anders Becker und dem Drummer). Der Saal war jedenfalls am Dampfen. Da ich die Stücke vorher allesamt nicht kannte, war es für mich auch eine tolle Entdeckungsreise und jedes einzelne riss mich zu lautstarken Jubelrufen hin. An dieser Stelle muss auch die umwerfenden Lichtspiele und Bilder von P+P Analogue Lighshow erwähnt werden, welche bei den Auftritten von Liquid Orbit und Electric Family in eine überirdisch-psychedelische Stimmung auf die Bühne zauberten.

Das alles hätte von mir aus noch bis in den frühen Morgen hinein weitergehen können. Aber um Punkt 12 war dann mit der zweiten Zugabe Feierabend. Glücklich stolperte ich zum Merchandising-Stand und nahm noch die aktuelle Scheibe „Terra Circus“ der Family und natürlich das Debüt von „Liquid Orbit“ mit. Beides selbstverständlich auf Vinyl. Als wir nach draußen gingen, stellten wir fest, dass es gerade das erste Mal in diesem Winter geschneit hatte. Was der magischen Stimmung des Abends dann das Zipfelmützchen aussetzte.
Früher war mehr Lametta
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