Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Verfasst: Di 2. Nov 2021, 16:50
Sören Olsson / Anders Jacobsson – Berts Megakatastrophen
Die Erlebnisse des pubertierenden schwedischen Jungen Berg Ljung gehen in die nächste Runde: Nach „Berts heimlichen Katastrophen“ sind es nun gar „Megakatastrophen“, die die schwedischen Vettern, Lehrer und Schriftsteller Sören Olsson und Anders Jacobsson im siebten Band der fünfzehnbändigen Jugendbuchreihe beschreiben, die Berts Tagebucheinträge vom zwölften bis zum 17. Lebensjahr enthalten. Die humorige Coming-of-Age-Reihe ist von 1987 bis 1999 im schwedischen Original und von 1990 bis 2005 ins Deutsche übersetzt bei der Hamburger Verlagsgruppe Friedrich Oetinger erschienen. Olsson und Jacobsson versetzen sich in die Gefühlswelt ihres Protagonisten und versuchen diese so wiederzugeben, wie a) er sie in einem Tagebuch niedergeschrieben hätte und b) sie ein jugendliches Publikum mit ähnlichen Voraussetzungen erreichen, das sich mit der Figur identifizieren kann. „Berts Megakatastrophen“ ist in Schweden 1994 und in der deutschen Übersetzung 1997 veröffentlicht worden.
Seit ich an einige aus einer Bibliothek ausgemusterte Bände der Reihe gekommen bin und mich irgendwann zögerlich an sie herangewagt habe, versuche ich, mir wenigstens einmal ein Jahr den jeweils nächsten Band zu Gemüte zu führen. Auch dieses siebte „Bert“-Buch verfügt über eine neugierig machende, bunte Zeichnung auf dem Buchdeckel und bringt es mit rund 160 recht groß geletterten und mit einigen comicartigen Schwarzweiß-Illustrationen Sonja Härdings versehenen Seiten auf zehn mehr als der Vorgänger. Die Einträge sind nicht mehr mit Datum versehen, knüpfen aber wieder unmittelbar an den Vorgänger an. Bert besucht nun die neunte Klasse und ist erst 15, später 16 Jahre jung. Er hat keine Freundin, aber ein Auge auf diverse Mädchen in seinem Umfeld geworfen.
Je älter Bert wird, desto mehr bin ich geneigt, ihm den zuvor etwas zu geschliffenen Schreibstil abzunehmen und weniger die erwachsenen Autoren dahinter zu sehen. Bert berichtet seinem Tagebuch von seinem Ferienjob in der Keksfabrik und später vom Sexualkundeunterricht sowie von seinen Kämpfen gegen Spontanerektionen. Seine Band, die Heman Hunters, löst sich auf, wird über einige Umwege aber gleich neu gegründet. Seine Einträge schließt er jeweils mit einem „Gedicht des Tages“, die leider allesamt sehr verzichtbar sind. Viel besser gefällt mir die Bezeichnung „ekliger Geilhuber“ für einen Lehrer, der zu eng mit einer Siebtklässlerin tanzt. „Seine“ Schreibe verfügt über lakonischen Humor und wird manchmal regelrecht sarkastisch, teils auch ein bisschen vulgär. Von Sex schreibt er (bzw. schreiben Olsson und Jacobsson bzw. Übersetzerin Birgitta Kicherer) als „bimpern“ – Freunde, das heißt immer noch „pimpern“! In einem Kapitel wie „Eine Nachricht aus dem Unbekannten“ um eine an die Klowand geschmierte Telefonnummer wirkt Bert unrealistisch naiv, in „Ein Diktator wird geboren“ geht’s dafür durchaus hintergründig um Parteipolitik.
Völlig aus dem Rahmen fällt die Krebserkrankung, die Mitschüler Björna plötzlich erleidet. Die humoristische Geschichte über Schimmelbefall der gesamten Schule ist spätestens dann grenzwertig, wenn Bert Björnas Erkrankung damit in Verbindung nimmt. Das nimmt dem Buch seine Leichtigkeit und ich weiß nicht, ob es das wirklich gebraucht hätte. Ansonsten denkt Bert ständig an Mädchen und Sex, doch dazu kommt es hier nicht – das gesamte Buch über hat er nie eine Freundin. Das ist irgendwie enttäuschend, aber, hey – auch durchaus realistisch. Gegen Ende lernt er seine alte Bekannte Nadja neu kennen und verknallt sich gleich in sie, wobei die Initiative tatsächlich von ihr ausging. Wird sie sein erster Stich? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich wohl den nächsten Band zur Hand nehmen müssen.
Da der Fremdschamfaktor von den Autoren, die einen Pubertierenden imitieren, mit den „Megakatastrophen“ (so, wie eigentlich intendiert) zu Bert übergegangen ist und dort seine kathartische Wirkung entfachen kann, wird dafür vielleicht nicht wieder ein ganzes Jahr ins Land ziehen, wenngleich es sicherlich zuhauf spannendere, lustigere, oder abgedrehtere Jugendliteratur ähnlicher Ausrichtung gäbe – nur befand sich diese eben nicht ausgemustert im Tauschschrank. Und ein Auftrag ist ein Auftrag…