Die Frage nach dem Klavier
Gegen den Staat, das bekannte Unwesen: Dietrich Kittner ist gestorben
Von Christof Meueler
Der Kabarettist Dietrich Kittner ist tot. Er starb am Freitag im Alter von 77 Jahren in Bad Radkersburg in der Steiermark, wo er seit längerem lebte. Aber was heißt schon Kabarett? »Kabarett ist ja nur in Dikaturen verboten«, erzählte er 2010 dieser Zeitung, »die BRD ist aber bekanntermaßen eine Demokratie! Da gibt es einen Trick: Man sendet Comedy und Klamotte, Komiker und Kunstfurzer unter dem Oberbegriff Kabarett. Es gibt ja begnadete Komiker und Comedians, aber Kabarett ist das eben nicht. Übrigens, es muß ein Beamter gewesen sein, der das Wort Kleinkunst erfunden hat.« Kittner war Klassenkampf und Grassroots, aber auch Intellektueller, Gitarrist, Autor und arbeitender Lesender: 230 Auftritte im Jahr waren für ihn früher normal.
Er kam vom anderen Stern, dem roten. Den trug er auch offen am Revers. 1971 aus der SPD geflogen, hatte er seit 1974 praktisch Auftrittsverbot im Fernsehen, weil er partout von der Eigentumsfrage nicht lassen wollte. Die ist in der Bundesrepublik bis in die Linkspartei hinein tabu. Sich zu erkundigen, wem denn die Banken und die Konzerne gehören, das ist wie die Frage nach dem Klavier, das Stan Laurel und Oliver Hardy die Treppe hochtragen wollen und das immer wieder zurückkommt: wer nicht aufpaßt, hat schon verloren. Kittner selbst bezeichnete sich am liebsten als »Denkspaßmacher«. Wenn man ihm nachsagte, er sei politisch vorhersehbar, dann war genau das auch seine beste Qualität, denn er hatte keine Lust auf »dein Staat – das bekannte Unwesen«. Seine Scherze richten sich gegen das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis, die Programme und Platten hießen entsprechend »Schöne Wirtschaft«, »Hai- Society« oder »Wollt ihr den totalen Mief?«. Er kam aus einem Studentenkabarett in Göttingen, das er mit seiner Frau Christel gegründet hatte. Ab 1966 trat er als »Kittners kritisches Kabarett« solo auf, später auch in seinem eigenen Theater in Hannover, das auf Wunsch des CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht als einziges Privattheater Niedersachsens nicht subventioniert werden durfte.
Was trieb ihn an? 2010 erzählte er der jungen Welt, die er nicht nur regelmäßig las, sondern auch verschiedentlich unterstützte: »Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist das Bild der brennenden Synagoge in meiner kleinen schlesischen Heimatstadt Oels, heute Olesnica. Die mit mir gleichaltrige kleine Tochter des Rabbiners in der Wohnung über uns. Sie war mit ihrer ganzen Familie plötzlich weg, und niemand der Erwachsenen wollte uns Kindern sagen, wie und wohin. Später im Januar 1945 der Anblick dreier Soldaten, die an Bäumen hingen mit einem Schild vor der Brust: ›Ich Schwein habe den Führer verraten.‹ Am Tage zuvor hatten sie mir noch eine Tafel Schokolade geschenkt. Ich habe entsetzt meine Mutter gefragt. Die fing an zu weinen. Da wußte ich genug und habe im Alter von neun Jahren Haß entwickelt auf Krieg und Nazis.«
Quelle:
http://www.jungewelt.de/2013/02-16/048.php