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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 5. Feb 2013, 19:52
von buxtebrawler
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Pieces – Stunden des Wahnsinns
Wegen eines Puzzles, das eine nackte Frau zeigt, hackt ein Junge aus lauter Wut seine Mutter, die ihm das Spiel verbieten will, in Stücke. Die Polizei glaubt seinen Worten, dass ein wahnsinniger Killer der Täter war. Vierzig Jahre später. An einem College in Boston geschehen fürchterliche Morde. Ein grausamer Killer zerstückelt mit einer Kettensäge junge Studentinnen und fügt sie wieder zu einem menschlichen "Puzzlespiel" zusammen. Die nackte Angst geht um. Wer wird der nächste sein? Eine junge Polizistin wird als Lockvogel eingeschleust. Schnell stellt sich heraus, dass der Killer unter den Lehrern zu suchen ist. Doch wer ist es? Die Morde gehen weiter, und es bleibt wenig Zeit, den Täter zu entlarven und sein schreckliches Geheimnis zu enthüllen...
Bei der spanisch-puerto-ricanischen Koproduktion „Pieces – Stunden des Wahnsinns“ von Juan Piquer Simón („Slugs“) handelt es um deutlich von Slashern wie "Freitag der 13." sowie dem „Texas Chainsaw Massacre“ inspirierten, spanischen B-Horror aus dem Jahre 1983 um einen kleinen Jungen, der gerade mit einem Erotik-Puzzle beschäftigt ist, als ihn seine Mutter dabei erwischt und ihn maßregelt. Daraufhin greift er kurzerhand zur Axt und erschlägt und zerstückelt seine Mutter, um in Ruhe das Puzzle vollenden zu können. 40 Jahre später ist er mit einer Kettensäge ausgestattet an einer Universität unterwegs und zerstückelt junge Mädchen, um nach und nach sein geliebtes Nackedei-Puzzle mit echten Körperteilen vollenden zu können...

Was für eine Story! Bereits der im Boston der 1940er spielende Prolog würde für sich genommen als Kurzfilm prächtig funktionieren und ist eine glatte 1 in Sachen kruden Wahnsinns. 40 Jahre später greift er neben der vermutlich aus Tobe Hoopers Texas-Ausflug entlehnten, in Boston jedoch weit offensiver eingesetzten Kettensäge auch zu den Slasher-typischen Stichwaffen und hinterlässt regelmäßig ein Blutbad, was der Film in verhältnismäßig gut gemachten, zumindest sehr effektiven Spezialeffekten häufig recht drastisch und explizit zeigt, wenngleich die Kamera auch schon mal abblendet und nur das Ergebnis des wenig segenreichen Sägeneinsatzes präsentiert. Der Mörder, um dessen Identität im Erwachsenenalter ein „Whodunit?“ gesponnen wird, wird genretypisch häufig in „Point of view“-Perspektive gezeigt, seine schwarzen Handschuhe und Szenen wie der mittels Zeitlupe ästhetisierte Mord auf dem Wasserbett erinnern überaus angenehm an starke Vertreter des Giallo-Genres.

Obgleich nur wenige Täter infrage kommen, sind auch ausgiebige Ermittlungsarbeiten (bzw. das, was man dafür hielt) vonnöten, bis Detective Bracken (Christopher George, „Ein Zombie hing am Glockenseil“) im Laufe der Handlung ein mehrköpfiges Dream Team inkl. eines Schülers, auf den zunächst der Verdacht fiel, und einer verdeckt als Tennislehrerin ermittelnden Undercover-Agentin, entsteht, das mit vereinten Kräften hinter die Identität des Killers zu kommen versucht. Schwer verdächtig macht sich u.a. der von Bud-Spencer-Double Paul Smith („Popeye - Der Seemann mit dem harten Schlag“) gespielte grobschlächtige, grimmige Gärtner, der auch gern (?) mit seiner Kettensäge herumhantiert. Im Grunde genommen pendelt „Pieces“ zwischen Rip-Off und Hommage an seine Vorbilder (man beachte in diesem Kontext auch das „Freitag, der 13.“-Poster an der Zimmerwand) sowie unfreiwilliger Schmierenkomödie, die sich glücklicherweise selbst nicht immer ganz ernst nimmt, garniert mit blutigen Splattereinlagen. Zwischenzeitlich wird „Pieces“ jedoch auch immer mal etwas langatmig, werden Füllszenen gestreckt, um auf Lauflänge zu kommen. Doch auch darunter hat sich Unfassbares geschlichen, beispielsweise ein minutenlanges, dilettantisches Tennismatch oder eine vollkommen sinnlose, hochgradig alberne Eastern-Kampfsport-Einlage. Schön aber auch eine Bud-Spencer-artige Prügelei des Gärtners gegen gleich mehrere Gegner und natürlich die Zeigefreudigkeit der Darsteller, im Übrigen seitens beider Geschlechter. Faszinierend auch, wie unauffällig man einen Fahrstuhl mit Kettensäge im Anschlag betreten kann… Die Musik stammt vom Italiener Carlo Maria Cordio („Absurd“) und Librado Pastor (als „CAM“), welche sich freuen dürfen, durch ihren Soundtrack den Film atmosphärisch deutlich aufgewertet zu haben.

Die schockierende Prä-Schlusspointe fällt überaus makaber aus, die überraschende eigentliche Pointe indes ist ein gelungener Gag, wenn er auch recht aufgesetzt wirkt. Damit wird der Schlusspunkt gesetzt unter einen herrlichen Bastard des europäischen Genrekinos mit wunderbar kranker, psychopathologischer Story, dessen teils namhafte internationale Darsteller (unter ihnen Lynda Day George, „Casino“, Edmund Purdom, „Fröhliche Weihnacht“ und Jack Taylor, „Die neun Pforten“) bisweilen voll in Over- und Underacting aufgehen, die zudem im Deutschen mit einer lausigen, hölzernen Synchronisation ausgestattet wurden. Das Tollste an „Pieces“ aber ist, dass er genau das bietet, was er verspricht, und was den Härtegrad seiner nicht singenden, sondern ratternden Säge betrifft seinerzeit zur Genrespitze gehört haben dürfte. Ein großes Vergnügen des guten schlechten Geschmacks, nicht nur für Puzzlefreunde!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 5. Feb 2013, 22:12
von buxtebrawler
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The Slayer
Die Malerin Kay (Sarah Kendall) wird seit ihrer Kindheit wiederkehrend von Alpträumen gequält, in denen sie von einem übernatürlichen Wesen, dem "Slayer" verfolgt und schließlich getötet wird, weswegen sie diese Träume in ihren Bildern geradezu obsessiv auf die Leinwand bringt. Das nimmt schließlich solche Ausmaße an, daß ihr Ehemann David vorschlägt, gemeinsam mit ihrem Eric und dessen Frau Brooke für ein Wochenende auf einer abgelegenen Insel Urlaub zu machen. Zwar kommt man per Flieger ans Ziel, aber das Wetter spielt nicht mit und zu Kays Entsetzen erkennt sie auf der Insel das Gebäude aus ihren Träumen wieder. Tatsächlich werden ihre Träume immer intensiver und sie befürchtet, daß der "Slayer" schließlich in unsere Realität eindringen könnte...
„Es ist das Haus. Es macht mir Gänsehaut.“

Viele Filme, die auf der ’80er-Slasher-Welle mitreiten wollten, ahmten ihre Vorbilder recht originalgetreu nach bzw. setzen unterschiedliche Subgenre-Versatzstücke neu, leicht variiert, zusammen. Bei anderen wiederum kann man sich nicht sicher sein, ob sie sich nun davon abheben wollten, indem sie versuchten, besonders originell zu sein, oder aber ob sie Unvermögen und Einfallslosigkeit nicht einmal des erfolgreichen Plagiierens ermächtigten. Das Regie- und Drehbuch-Debüt des US-Amerikaners J.S. Cardone („8MM 2 – Hölle aus Samt“) aus dem Jahre 1982, „The Slayer“, ist ein solches Beispiel.

Malerin Kay (Sarah Kendall, „Karate Kid II - Entscheidung in Okinawa“) möchte mit ihrem Ehemann David (Alan McRae, „Nightfall – Stimmen der Angst“), ihrem Bruder Eric (Frederic Flynn, „Shadow Hunter“) und dessen Ehefrau Brooke (Carol Kottenbrook, „Camp der verlorenen Teufel“) ein ruhiges Wochenende verbringen, um sich von den Strapazen des Alltags zu erholen – welcher seit ihrer Kindheit geprägt ist von immer wiederkehrenden Alpträumen um ein grauenvolles Wesen, das sie töten möchte. Doch das Wetter ist alles andere als einladend und so landet man schließlich auf einer abgelegenen Insel. Zu allem Überfluss werden ihre Träume immer intensiver. Sie erkennt sogar Details aus ihren Träumen wieder und ist schließlich überzeugt, dass das Monstrum auf der Insel sein Unwesen treibt, wie es ihre Träume prophezeien – doch man schenkt ihr keinen Glauben...

Der Film beginnt vielversprechend: Eine wunderbare Alptraumsequenz zieht bereits sämtliche Register des Horrorkinos und schürt die Erwartungshaltung. Bei den Protagonisten des Films handelt es sich zwar nicht um die sonst Slasher-typischen Teenies, dennoch wirkt der eigentliche Beginn der Handlung, als würden ein paar Halbstarke das Camp Crystal Lake beziehen. Fortan schreitet der auf Tybee Island, Georgia, gedrehte Film langsam, aber mit den bekannten, die richtige Stimmung erzeugenden Ingredienzien halbwegs atmosphärisch und betont ernst voran, spannungsgeladene Orchestermusik untermalt die Suspense-Szenen. Leider ist das Bild sehr dunkel, aber viel zu sehen bekommt man ohnehin nicht, denn in über einer Stunde geschieht lediglich ein einziger Mord. Statt einen Meuchelmörder, ein fieses Monster in Aktion oder die üblichen Stilelemente derartiger Filme, um den Zuschauer bei der Stange zu halten – z.B. Backwood-artige Kulturschocks oder schlicht nackte Haut – zu bekommen, darf man Dialogen über Kays Träume lauschen und Zeuge werden, wie man sie nicht ernst nimmt sowie den Herren der Schöpfung zusehen, wie sie im strömenden Regen irgendwas irgendwo auf der Insel machen, was ohne viel Belang ist.

Ja, trotz guter und Lust auf den Film machender Voraussetzungen wurde „The Slayer“, dessen Titel in krassem Kontrast zum Inhalt steht, fast schon lächerlich spannungsarm inszeniert, geht Cardone mit seinen Versuchen, eine mysteriöse, unheilschwangere Stimmung zu erzeugen und auf Spielfilmlänge bis zum Ende zu strecken, so ziemlich baden. Zum Schluss bekommt man als Höhepunkt zwar ein tatsächlich sehr ansehnliches, gelungen modelliertes Monstrum zu Gesicht, doch die finale Pointe, die (Achtung, Spoiler!) die vorausgegangen Ereignisse schlicht zu einem weiteren Alptraum Kays erklärt, führt die ganze Handlung ad absurdum und ergibt keinerlei Sinn. Nun stellt sich mir die Frage, ob man schlichtweg nicht wusste, wie man den Film zu einem Ende bringen könnte, ohne sich eine Art Hintergrundgeschichte zur „Slayer“-Kreatur einfallen lassen zu müssen, oder ob man dachte, damit den großen Originalitäts-Coup landen und dem Zuschauer einen gewitzten, unerwarteten Plottwist kredenzen zu können. Was auch immer die Intention war, das Ergebnis ging in die Hose und macht aus einem zu Beginn ambitionierten Slasher mit in Person der gut besetzten Sarah Kendall passablen darstellerischen Leistungen ein reines Durchschnittsprodukt, das einen 80 bis 90 Minuten irgendwie einlullte und im Dunkeln tappen ließ, ohne den Zuschauer wieder aus seiner schläfrigen Stimmung zu reißen bzw. ihn für sein Durchhalten zu belohnen. Die schlechte deutsche Synchronisation besorgt den Rest. „The Slayer“ ist einer dieser Filme, an den man sich schon nach kurzer Zeit so gut wie nicht mehr erinnern und der gerade deshalb in unregelmäßigen Zeitabständen immer mal wieder eingelegt werden wird, nur um erneut zu enttäuschen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 6. Feb 2013, 21:04
von buxtebrawler
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I Goth My World
"I Goth My World" erzählt die Geschichte der Gothic-Bewegung anhand der Porträts von drei Generationen. Die Journalismusstudenten Brice Lambert und Guillaume Clere waren dafür mit ihrer Kamera auf zahlreichen Gothic-Festivals in Deutschland und Frankreich. Sie tanzten und feierten und bekamen Einblicke in eine verborgene Welt.
Die 26-minütige Dokumentation „I Goth My World“ der Franzosen Guillaume Clere und Brice Lambert aus dem Jahre 2012 beleuchtet die Gothic-Szene in Deutschland und Frankreich. Sie zeigt Ausschnitte von Konzerten und Festivals sowie einige Interviews mit Angehörigen der Subkultur verschiedener Generationen, woraus sich auch bei bisher nicht mit dem Kult in Berührung gekommenen Zuschauer ein erstes, grobes Bild ergibt, sie ein gewisses Verständnis entwickeln können. Statt aber die Gothic-Kultur im Gesamten zu portraitieren, die ein breites Spektrum unterschiedlicher Stile – nicht nur hinsichtlich der Musik von punkigem Gothic Rock bis hin zu rein elektronischen Klängen – aufweist, finden fast nur der klassische Gothic Rock, der Ende der 1970er in Großbritannien entstand, und der von sog. Cybergoths favorisierte Industrial-Techno-Stil Berücksichtigung, womit man sicherlich zwei Extreme bzw. Pole herausgepickt, das Thema aber alles andere als erschöpfend behandelt hat. Am Rande wird der sich stark über die Kleidung definierende Fetischbereich erwähnt, ein paar Uniformträger kommen zu Wort. Ansonsten wird noch kurz aufs Pariser Gothic-Nachtleben eingegangen, was grundsätzlich nicht uninteressant ist, innerhalb eines solch kurzen Formats angesichts der vielen weiteren, relevanteren Informationen, die fehlen, aber verzichtbar erscheint. Dankenswerterweise finden sowohl der Kommentator als auch ein zum Interview gebetener alter Szenehase auch kritische Worte insbesondere hinsichtlich des kommerziellen Ausschlachtens und der Oberflächlichkeit der Szene, bevor die Dokumentation mit offenen Fragen nach der Zukunft der Subkultur schließt.

Für viel mehr reichte natürlich die knapp bemessene Zeit schlichtweg nicht, eine etwas ausgewogenere, homogenere Berichterstattung wäre aber dennoch wünschenswert gewesen. So sind es vor allem die kritischen Worte, die zu gefallen wissen und sich in Richtung einer kritischen Bestandsaufnahme bewegen, die sich an die eigene Szene richtet. Interessanterweise ist der Film aber anscheinend aus Teilen einer interaktiven Web-Dokumentation zusammengesetzt worden, welche vermutlich weiter in die Tiefe geht.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 7. Feb 2013, 17:17
von buxtebrawler
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Das Gold von Sam Cooper
Der alte Sam Cooper (Van Heflin) hat sein Leben lang in der Sierra Nevada nach Gold gesucht. Endlich stößt er auf eine ergiebige Goldader, doch mit diesem Fund fangen die Probleme erst an. Nur knapp entgeht Sam einem Mordanschlag seines Partners. Als Sam nach Villetown zurückkehrt, weiß er, dass er keinem trauen kann und bewahrt Stillschweigen über seinen Fund. Er lässt seinen Ziehsohn Manolo aus Mexiko kommen, der ihm beim Abbau und Verladen des Goldes helfen soll. Doch Manolo erweist sich alsbald als herbe Enttäuschung, denn er kommt in Begleitung eines gesuchten Mörders, der nur unter dem Namen "der Blonde" (Klaus Kinski) bekannt ist....
„Wenn du reich geworden bist, ist dein Leben keinen Cent mehr wert.“

Der deutsch-italienisch produzierte Italo-Western „Das Gold von Sam Cooper“ aus dem Jahre 1967 ist Regisseur Giorgio Capitanis („Der große Schwarze mit dem leichten Knall“) einziger Ausflug in das Genre. Das Drehbuch aus der Feder von Augusto Caminito und Fernando Di Leo basiert auf dem US-amerikanischen Abenteuerfilm „Der Schatz der Sierre Madre“, das dessen Thema variiert und in ein Western-Gewand kleidet. Di Leos ursprüngliches Drehbuch wurde stark modifiziert, was als Grund für dessen harsche Kritik am Regisseur angenommen wird.

Nach langer Zeit stößt der alternde Goldschürfer Sam Cooper (Van Heflin, „Zähl bis drei und bete“) in einer Mine der Sierra Nevada endlich auf Gold. Doch sein Partner will nicht mit ihm teilen und versucht, ihn um die Ecke zu bringen. Dank seiner List kann sich Cooper des Angreifers erwehren, steht nun aber vor dem Problem, das Gold nicht allein bergen zu können. Er kehrt vorbei an Wegelagerern zurück nach Villetown und übt sich bei der Suche nach einem neuen Partner in Verschwiegenheit. Einzig seinem Ziehsohn Manolo (George Hilton, „Django – Sein Gesangbuch war der Colt“) schenkt er sein Vertrauen, weshalb er ihn aus Mexiko kommen lässt. Dieser jedoch hat den undurchsichtigen Brent (Klaus Kinski, „Leichen pflastern seinen Weg“) im Schlepptau, zu dem er eine von Unterwürfigkeit geprägte Beziehung unterhält. Zu Coopers Entsetzen weiht Manolo ihn in den Plan ein, woraufhin dieser mitzukommen beschließt. Da Cooper dem Fremden nicht über den Weg traut, zieht er seinen ehemaligen Weggefährten Mason (Gilbert Roland, „Cheyenne“) hinzu, welcher jedoch Groll und Rachegedanken gegen Cooper hegt, da er ihn bezichtigt, ihn im Stich gelassen zu haben und ihm einige Jahre Zuchthaus zu verdanken. Voll gegenseitigem Misstrauen tritt man zu viert die beschwerliche Reise zur Goldmine an, deren Weg nur Cooper kennt…

Der auf eine hochkarätige internationale Besetzung bauende Western ist ein untypischer, eigenständiger seiner Art, der sich einerseits zwar an US-amerikanischen Vorbildern orientiert, jedoch in seiner dichten, spannenden Weise der Inszenierung keinen Millimeter Raum lässt für Verklärung des US-Goldrauschs und Pioniergeists und in seinem Pessimismus typisch italienisch ist, ohne den genreprägenden Stil eines Leones zu kopieren. Bereits wenn Cooper seinen ersten Rückweg antritt, durch die siedend heiße Wüste und voller Entbehrungen, ist man als Zuschauer voll drin in der Thematik und Stimmung des Films: Im Schweiße seines zerlebten Angesichts nimmt Cooper für seine Aussicht auf späten Reichtum unheimliche Anstrengungen auf sich und begibt sich in sowohl von Banditen als auch der lebensfeindlichen Natur ausgehende Gefahren. Die Kamera Sergio d’Offizios betont Coopers Antlitz ebenso wie die Geographie der Wüste und fängt Bilder von Einsamkeit und Isolation ein, wie sie in etwas abgewandelter Form so typisch sind für diese Art von Western. Carlo Rustichelli unterlegt den Film mit epischen, orchestralen Kompositionen, die gänzlich anders klingen als Morricones häufig lautmalerische Western-Soundtracks und sich dennoch stimmig einfügen oder vielmehr maßgeblich zur Atmosphäre des Films beitragen.

Kernstück von „Das Gold von Sam Cooper“ ist das ungleiche und sich letztlich doch so ähnliche Quartett mit seinen unterschiedlichen, interessant und spannend herausgearbeiteten, ambivalenten Charakteren, die eine äußerst zerbrechliche Zweckgemeinschaft miteinander eingehen. Manolo, ein junger Strahlemann, hat in den Jahren seiner Abwesenheit von Ziehvater Sam den merkwürdigen, wenig vertrauenserweckenden Brent kennengelernt, welcher ihm in die Stadt folgte. Zum bleichen, in schwarz gekleidet phantomhaft wirkenden Blonden, der mit scheinbar innerer Ruhe und wachem Geist, doch unruhigem, manischem Blick die Situation verfolgt, unterhält er eine Art Abhängigkeitsbeziehung, angelegt als angedeutete Homosexualität. In Brents Anwesenheit wird aus Manolo ein unterwürfiger, kaum noch Stärke oder Souveränität ausstrahlender Mensch, der häufig zwischen Sam und Brent hin- und hergerissen scheint, sich im Zweifelsfall jedoch stets für Brent entscheiden würde. Diese gegen viele Genreklischees gebürstete Figurenkonstellation ist von psychologischer und moralischer Brisanz und lässt viel zwischen den Zeilen lesen. Brent bleibt mysteriös. Zwar weiß man, dass auch er ans Gold will, viel mehr aber auch nicht. Erst im Laufe der Handlung erfährt der Zuschauer, dass es sich um einen gesuchten Mörder handelt – was wenig überrascht.

Mit weitaus offeneren, wenn auch nicht gänzlich einsehbahren Karten spielt Mason, der mit Cooper noch eine Rechnung offen hat, um das Gleichgewicht wiederherzustellen aber mitgenommen und von Cooper trotz allem für einen der integeren Männer gehalten wird. Optisch bietet dieser einen starken Kontrast zu Cooper. Mit seinem dünnen Oberlippenbart und Latino-Schick wirkt er eitel, ein wenig eingebildet, dabei aber blitzgescheit und vorausdenkend – was sich später bewahrheiten wird. Ihm macht die Reise aufgrund seiner Malaria besonders zu schaffen, dennoch bleibt er sich und seiner Linie treu und lässt nur selten eigene Schwäche zu. Die Ausmaße menschlicher Abgründe, die Ausgeprägtheit der Gier und Skrupellosigkeit der Vier, wird erst im Verlaufe der Handlung deutlich, woraus der Film einen Großteil seiner Spannung bezieht. Als Zuschauer ist man unsicher, wer wie weit gehen würde und wem vielleicht Unrecht getan wird, stempelte man ihn zu früh als Intriganten und Verräter ab. Zweckbündnisse werden eingegangen – auch, um sich gegen äußere Gefahren zu erwehren – und wieder aufgebrochen; am sichersten sind alle vier, wenn gleich verteilte Kräfteverhältnisse vorherrschen. Die Anspannung steht allen ins Gesicht geschrieben, jeder muss stets damit rechnen, den Dolchstoß zu erleiden und dementsprechend vorsichtig und mit Bedacht agieren.

Es dauert lange, bis sich der aufgestaute Hass entlädt, dann aber so richtig und mit herben, gar tragischen Verlusten. Am Ende steht ein einsamer, alter Mann, der trotz des Goldschatzes alles verloren hat und über dem die Frage im Raum schwebt, wozu das alles nötig war. Damit ist „Das Gold von Sam Cooper“ ein Film, der sich kritisch mit menschlichen Schwächen wie Gier und Neid auseinandersetzt und aufzeigt, wie sämtliche Werte über Bord geworfen werden, sobald der schnelle Reichtum lockt, aber auch eine Gesellschaft, die in erster Linie nach maximalem materiellen Besitz strebt, in Frage stellt, indem er in überspitzter Weise ihren Zynismus dokumentiert. Ein fesselndes, hervorragend gefilmtes Stück europäischer Western-Geschichte, das einen hohen Grad gefühlter und fühlbarer Authentizität aus dem Ambiente des südspanischen Drehorts herauskitzelt sowie zwei in erster Linie durch Nebenrollen bekannt gewordenen, alternden Ami-Recken große Rollen sowie einem jungen George Hilton einen seiner ersten Genreauftritte und Klaus Kinski noch vor „Leichen pflastern seinen Weg“ eine Möglichkeit zur Entfaltung seiner diabolischen Ausstrahlung bietet. Capitani und seine Autoren verstanden es zudem, allen vier ausreichend Raum nicht nur für ihre trotz mehr oder weniger aufs Gleiche hinauslaufenden, dennoch mehrschichtigen und doppelbödigen Charaktere inkl. einiger Exzentrik (nach Ringo dürfte Brent der zweite Italo-Western-Pistolero sein, der ein Glas Milch bestellt) zur Verfügung zu stellen. Ein gut gereifter, nur auf den ersten Blick wenig spektakulärer Genre-Klassiker, der zwar „Der Schatz der Sierre Madre“ bisweilen szenegetreu kopiert, jedoch mit individueller Note versieht und auf ein ganz eigenes Level des schmerzhaft ehrlichen, auf Heldenzeichnungen verzichtenden Italo-Western hievt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 9. Feb 2013, 22:21
von buxtebrawler
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Der große Blonde kehrt zurück
Nachdem Auftragskiller in Rio vergeblich versucht haben den tolpatschigen Geiger François Perrin (Pierre Richard) zu beseitigen, kehrt der vermeintliche Superagent mit seiner Freundin Christine (Mireille Darc) aus dem gemeinsamen Brasilien-Urlaub ins heimatliche Paris zurück und gerät erneut zwischen die Fronten zweier Geheimorganisationen. Der Polizeileutnant Cambrai (Michel Duchaussoy) will mit allen Mitteln den Mord an dem Geheimdienstchef Milan aufklären und verdächtigt den gerissenen Oberst Toulouse (Jean Rochefort), der felsenfest davon überzeugt ist, dass Perrin ein gefährlicher Geheimagent ist. Als Toulouse von Perrins Rückkehr nach Frankreich hört, lässt er Christine entführen und zwingt diese erneut in die Rolle der Spionin zu schlüpfen…
„Er bezahlt seine Steuern pünktlich.“ – „Warum?! Muss er denn in allem von der Norm abweichen, dieser Halbidiot?!“

Zwei Jahre nach Yves Roberts französischer Agentenfilm-Parodie „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ wurde die ebenfalls unter seiner Regie entstandene und erneut mit Pierre Richard als Hauptdarsteller aufwartende einzige Fortsetzung „Der große Blonde kehrt zurück“ veröffentlicht, die erneut zahlreiche Agentenfilm-Klischees aufs Korn nimmt und Richard in einer seiner Paraderollen präsentiert.

Drei Jahre nach den Vorfällen des ersten Teils ist man von offizieller Stelle bemüht, den Tod des leitenden Geheimdienstmitarbeiters Milan aufzuklären und stößt auf Ungereimtheiten in Bezug auf die Personalien François Perrin (Pierre Richard, „Das Spielzeug“) und Oberst Toulouse (Jean Rochefort, „Ridicule – Von der Lächerlichkeit des Scheins“). Toulouse fürchtet, dass man hinter seine Machenschaften auf den Schultern des armen Perrins kommt, den er als zufällig ausgewählten Köder für die Falle ausgewählt hatte, in die er Milan tappen ließ. Er versucht daher, Perrin in Rio, wo dieser sich gerade im Urlaub mit seiner neuen Freundin Christine (Mireille Darc, „Das Millionen-Duell“) befindet, unauffällig auszuschalten. Als dies nicht gelingt, lässt er Christine entführen und zwingt damit Perrin, den ermittelnden Kräften den mit allen Wassern gewaschenen, gefährlichen Super-Agenten vorzuspielen…

Auch stilistisch knüpft „Der große Blonde kehrt zurück“ unmittelbar an den Vorgänger an; sobald die bekannte Panflöten-Titelmelodie erklingt, findet man sich sofort in die richtige Stimmung versetzt. Als Reminiszenz an den Vorspann von „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ beginnt der Film mit einer künstlerischen Rückblende im Kartenspiel-Format, erzählt von einem Kommentar aus dem Off, die noch einmal den vorausgegangenen Film Revue passieren lässt. Und dann in der Gegenwart weiter: Ein Brief an Perrins vermeintlich verrückt gewordenen Kumpel Maurice (Jean Carmet, „Tödliche Ferien“) wird abgefangen, eine Akte über Perrin angelegt und „zufällig“ gefunden, der Minister will ihn kennenlernen, Toulouse will ihn beseitigen – so beginnt der ganze Schlamassel von vorn. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Perrin diesmal über sein vermeintlich Doppelleben bestens informiert ist – nicht aber über die geplanten Attentatsversuche auf seine Person während seines Rio-Aufenthalts, die zunächst einen recht großen Teil der Handlung ausmachen. Wir lernen, begleitet von ständigen Sambarhythmen, dass man Mordversuchen prima ausweichen kann, indem man durch die Wohnung tanzt und werden darüber hinaus Zeuge herzerwärmender Turteleien des jungen, beneidenswerten Liebesglücks.

Nach Christines Entführung und Perrins Rückkehr nach Paris wird „Der große Blonde kehrt zurück“ zu einer reinrassigen Agentenfilm-Parodie, die noch direkter als zuvor Bezug auf James Bond und Konsorten nimmt. Höhepunkt der Handlung wird ein einstudierter Agentenauftritt Perrins unter freiem Himmel, im Rahmen dessen er sich zahlreicher fingierter Gefahren möglichst behände erwehren soll, um sämtliche Zweifel an seiner doppelten Identität auszuräumen. Natürlich geht dabei eine Menge schief, denn Perrin, der zuvor bereits mit seinem „Gadgets“, von denen jeder Yps-Abonnent und -Geheimagent nur träumen konnte, überhaupt nicht klar kam, bekommt unverhofften Besuch von Maurice, was den Ablauf durcheinanderbringt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Schießen komisch und nimmt manch Genre-Versatzstück satirisch-komödiantisch aufs Korn. Sogar die Musik erklingt währenddessen instrumentiert wie das berühmte James-Bond-Titelthema. Und wenn Konzertgeiger Perrin sich in ostasiatischer Kampfkunst versucht, ist der Wahnsinn komplett und bleibt kein Auge trocken.

Doch damit ist noch nicht Schluss, denn ein wieder einmal extrem doppelbödiger Konzertauftritt Perrins mit seinem Ensemble liefert Finale, das wieder einige Menschenleben fordert, und Pointe dieses verglichen mit Teil 1 geradlinigeren und überraschungsärmeren, dafür kompakteren und pointierteren, insgesamt etwas weniger tiefgründigen Films, der mit seiner Situationskomik, seinen starken parodistischen Momenten, dem größtenteils identischen Darsteller-Ensemble und insbesondere natürlich mit Pierre Richards liebenswerter Schusseligkeit prima unterhält.

P.S.: Christine trägt wieder solch ein Kleid (genau, DAS Kleid).

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 11. Feb 2013, 18:59
von buxtebrawler
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Eine Wolke zwischen den Zähnen
Der Reporter Malisard (Philippe Noiret) und der Pressefotograf Prevot (Pierre Richard) arbeiten für das Pariser Boulevardblatt "Le Soir de Paris" und sind ständig auf der Suche nach einer Topstory. Eines Tages will Prevot seine beiden Söhne von der Schule abholen und verliert diese unterwegs. Malisard und er glauben, dass die beiden Opfer einer Entführung geworden sind und heften sich an die Spur von zwei vermutlichen Kidnappern, von denen Phantombilder angefertigt werden konnten. Sie merken allerdings nicht, dass sie nun auf der Jagd nach sich selbst sind...
„Respektiere den Leser!“

In Frankreich wurden im Jahre 1974 gleich vier Komödien mit Parade-Tollpatsch Pierre Richard in der Hauptrolle veröffentlicht. Nach „Der große Blonde mit dem blauen Auge“ erschien im Mai ’74 „Eine Wolke zwischen den Zähnen“ unter der Regie Marco Picos, der zusammen mit Edgar De Bresson auch das Drehbuch verfasste. Es handelt sich um sein Regie-Debüt, fortan trat er in erster Linie als TV-Film- und -Serien-Regisseur in Erscheinung.

Die Pariser Zeitungsreporter Malisard (Philippe Noiret, „Der Saustall“) und Prevot (Pierre Richard, „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“), „Die Cowboys“ genannt, sind angestellt beim Revolverblatt „Le Soir de Paris“ und jagen einer heißen Story nach der anderen hinterher. In der allgemeinen Hektik verliert Prevot eines Tages seine beiden kleinen Söhne, die er von der Schule abgeholt hatte. Die Zeitung bauscht die Angelegenheit zu einer Entführungsgeschichte auf. Auch die beiden Journalisten glauben, dass die Kinder Opfer von Kidnappern wurden und suchen verzweifelt in ganz Paris nach den Entführern. Was sie jedoch nicht ahnen: Sie selbst wurden dabei beobachtet, vor der Schule auf die Kinder gewartet zu haben und sie sind es auch, deren Phantombilder in der Zeitung abgedruckt wurden…

„Eine Wolke zwischen den Zähnen“ ist ein relativ unbekannter Pierre-Richard-Film, aber meines Erachtens ein hochinteressanter. Er beginnt mit der Realität entrückt scheinendem Gequatsche beider Protagonisten über unterschiedliche Wolkenformen, bis sie in ihrer Eigenschaft als Reporter jäh aus ihrem Gespräch gerissen und zu einem Unglück gerufen werden. Nein, „Eine Wolke zwischen den Zähnen“ präsentiert Paris nicht als sonnendurchfluteten, schönen, lebenswerten Ort, sondern zeichnet es in tristen Farben und herbstlicher Stimmung als chaotische Großstadtvoll voll hektischem, wuseligem Treiben und einer Vielzahl an notwendigen Polizeieinsätzen. Da stürzt ein Haus bei Bauarbeiten in sich zusammen, Bauarbeiter werden verschüttet, da explodiert Gas in einem Wohnblock… und der Film zeigt realistische Bilder Schwerverletzter. Unglück und Tod scheinen allgegenwärtig. Der Zuschauer bekommt Einblicke in den hektischen Alltag des Arbeitslebens. Es wird viel getrunken, viel geraucht – und niemand kann es verdenken.

„Die Cowboys“ betreiben Sensationsjournalismus für ihren Brötchengeber und heizen damit die aufgeladene Atmosphäre zusätzlich an. Sie sind totale Rowdys im Straßenverkehr. Prevot ist ein schusseliger Choleriker, der permanent vor Autos rennt und makabrerweise seine Kinder mit zu Unglücken nimmt. Cholerisch ist auch sein Chef, der die vermeintliche Kindsentführung zwecks Auflagensteigerung in seiner Zeitung ausschlachtet. Schon bald wird das völlig aus der Luft gegriffene Thema gar zu Lustmorden hochstilisiert, denn Sexualverbrechen erhöhen die Auflage nochmals. Kommt es zu tatsächlich Berichtenswertem bei treu ergebenen, vermögenden Anzeigenkunden oder wohlgesinnten Staatsbeamten, wird sich in Selbstzensur geübt, schließlich solle „der Leser beim Zeitunglesen seine Sorgen vergessen!“ Der Zuschauer indes erfährt schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt, dass die Kinder wohlauf und in Sicherheit sind, woraufhin er mehr weiß als das Reporter-Duo. An dieser Stelle muss sich Pico den Vorwurf gefallen lassen, dramaturgisch unklug vorgegangen zu sein, indem er aus dem unklaren Verbleib der Kinder keinerlei Spannung mehr bezieht.

Doch sein Film verfügt über eine ungewöhnliche Ambivalenz: Während er auf der einen Seite hektisch wie ein De-Funés-Film wirkt und trotz seines grimmigen, irgendwie wütenden Sujets auf Slapstick, Situationskomik und herrlich schrullige Charaktere setzt, verfügt er andererseits auch über eine gewisse melancholische Note. Das beginnt bereits beim wörtlich übersetzten, irgendwie verträumt wirkenden Titel und setzt sich fort in angegrauten Bildern eines wenig erstrebenswerten Lebensentwurfs, die dazu einladen, einfach im Bett zu bleiben und zu entspannen, dem Treiben dabei mit sicherem Abstand passiv beizuwohnen. Der weitestgehende Verzicht auf Filmmusik trägt seinen Teil dazu bei und vertraut voll auf die Kraft der Bilder.

Sein Hauptaugenmerk richtet „Eine Wolke zwischen den Zähnen“ natürlich darauf, die Boulevard-Medienlandschaft kräftig aufs Korn zu nehmen und zu karikieren, was ihn zusätzlich kantig und unbequem macht. Übertreibung, die so übertrieben gar nicht ist, veranschaulicht hier, wie „Bild“ und Konsorten ihre journalistisch höchst fragwürdigen Erzeugnisse verbreiten. Prevots und Malisards Odyssee durch den Großstadtdschungel liefert zudem viele bereits genannte urbane Eindrücke, die sogar mit ausgiebig gezeigten Recherchen im Varieté-Show-Bereich einhergehen und das Pariser Nachtleben beleuchten. Neu an diesem Vertreter der Pierre-Richard-Komödie war neben der ernsten Note zudem, dass mit dem faltengesichtigen, brummeligen Philippe Noiret Richard erstmals ein starker männlicher Charakter zur Seite stand, woraus ein wechselwirkendes, ungleiches Duo entstand – wie es später mit Gérard Depardieu an Richard Seite in Filmen wie „Der Hornochse und sein Zugpferd“ oder „Die Flüchtigen“ zu großer Popularität gelangte.

Neben der bereits erwähnten wenig nachvollziehbaren Entscheidung in Sachen Dramaturgie kann man dem Film vielleicht noch attestieren, letztlich dann doch ein wenig zu selten zum lauthalsen Mitlachen eingeladen zu haben. Dass er mit einer wahren Schimpfkanonade schließt, ist jedoch wiederum konsequent und passt zu diesem wagemutigen stilistischen und inhaltlichen Gebräu, das meines Erachtens zu Unrecht ein Schattendasein im Œuvre Richards fristet.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 13. Feb 2013, 13:33
von buxtebrawler
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Pumpkinhead
Ed Harley lebt nach dem Tod seiner Frau mit seinem Sohn allein. Sie führen ein einfaches, aber zufriedenes Leben. Bis zu dem Tag, als eine Gruppe Jugendlicher in das ländliche Gebiet kommen, um dort Motocross zu fahren. Als Ed gerade nicht da ist, wird sein Sohn von einem der Jugendlichen angefahren und stirbt an den Verletzungen. In seiner Trauer ersucht Ed eine alte Hexe um Hilfe, doch diese kann seinem Sohn nicht mehr helfen. Jedoch bietet sie ihm die Dienste eines uralten Rachedämonen an, der in seinem Grab ruht. Blind vor Wut willigt Ed ein und die Hexe erweckt den "Pumpkinhead" zu neuem Leben. Der Dämon erwacht und macht sich sofort auf die Jagt nach den Sterblichen, für die er gerufen wurde. Einer nach dem Anderen stirbt nun einen fürchterlichen Tod. Der Dämon genießt es, seine Opfer langsam sterben zu lassen. Doch die Sache hat auch seinen Preis. Als Ed seine Tat bewusst wird, kann auch er den Pumpkinhead nicht mehr aufhalten...
„Sie werden versagen, Ed Harley! Sie werden versagen und auch sterben!“ – „Dann sterb ich eben!“

Der erste von nur zwei Filmen in Spielfilmlänge, bei denen US-Spezialeffekt-Experte Stan Winston (verantwortlich für die Kreaturen aus den „Terminator“-, „Predator“- und „Jurassic Park“-Filmen) Regie führte, ist der Horrorfilm „Pumpkinhead“, der auch auf den verhunzten und unsinnigen deutschen Titel „Das Halloween Monster“ hört, aus dem Jahre 1988. Ed Harley führt ein Leben des bescheidenen Glücks allein mit seinem kleinen Sohn auf dem Lande. Bei einem Unfall mit jugendlichen Motocross-Fahrern wird sein Filius jedoch schwer verletzt und stirbt. Daraufhin sucht er eine alte Hexe auf, die für ihn den Rächedämon „Pumpkinhead“ herbeiruft, der fortan erbarmungslose Jagd auf die Jugendlichen macht – bis auch Ed die Angelegenheit nicht mehr ganz geheuer ist…

„Pumpkinhead“ beginnt im Jahre 1957 mit einigen unheimlichen Szenen, in denen ein Monster nur schemenhaft zu erkennen ist und der sich nach sieben Minuten als rückblendender Prolog (und spätestens am Ende des Films als verzichtbar) entpuppt, denn von nun an beginnt er seine eigentliche, in der damaligen Gegenwart spielende Geschichte zu erzählen. Man findet sich in einer ländlichen Idylle wieder – harte Arbeit, ehrliche Menschen, einer von ihnen Ed Harley (nein, nicht der Stricker überteuerter T-Shirts), der vor einiger Zeit seine Frau verloren hat und nun mit seinem Sohn allein lebt. Doch die Idylle wird jäh gestört von halbstarken Motocross-Fahrern mit Stirnbändern, die direkt aus Wes Cravens „Im Todestal der Wölfe“ entsprungen scheinen. Es kommt zum folgenschweren Unfall und erstmals versucht uns der Film die Jugendlichen als unterschiedliche Charaktere näherzubringen. Einer von ihnen entpuppt sich als Arschloch, da er am liebsten schnell das Weite suchen würde. Andere wiederum sorgen sich aufrichtig um den Sohnemann und überlegen, wie sie sich jetzt am besten verhalten sollten. Streng genommen war es das aber auch schon mit der Charakterisierung, von nun an verbleiben sie in ihren ihnen zugewiesenen Rollen und sind für keine Überraschungen oder etwas mehr Tiefgang mehr gut. Überraschender ist da schon das Verhalten Harleys, der sich plötzlich in einer Art Neuverfilmung von „Friedhof der Kuscheltiere“ wiederzufinden scheint, als er nach dem Tod seines Sohns gegen den ausdrücklichen Rat seines Nachbarn in seiner Trauer und in seinem Zorn die alte Hexe aufsucht.

Diese wirkt mehr tot als lebendig und lebt in einer nach allen Regeln der Bühnenbildnerkunst wenig einladend ausstaffierten Hütte. Sie muss dem armen Ed eröffnen, leider auch nichts mehr für Harley junior tun zu können. Sie behauptet dafür frei von der Leber weg, dass er gewiss Rache wolle und ungewöhnlich schnell hat sich Ed mit dem Ableben seines Stammhalters abgefunden. Er lässt zu, dass die alte Dame (*hüstel*) den Rachedämon beschwört und tut in einer – natürlich – unfassbar heftig wütenden Gewitternacht alles Notwendige dafür: Er gräbt den alten Schrumpelkopf (den Dämon, nicht die Hexe) im Embryonalzustand auf einem alten Friedhof aus und bringt ihn der Hexe. Spätestens nun weiß Ed, dass die Legende, die man sich im Ort seit Generationen erzählt, tatsächlich wahr ist und spätestens jetzt bekommt der halbwegs aufmerksame Zuschauer erste Stirnrunzler – zu holperig fiel Eds Entwicklung vom eben noch um sein Kind Trauernden zum sofort Vergeltung Fordernden und dafür größte Anstrengungen auf sich Nehmenden aus, zu wenig – trotz der Extremsituation, in der er sich befindet – nachvollziehbar das, was da gerade passierte. Hier hätten die Drehbuchautoren gut daran getan, Ed und/oder den anderen Charakteren für ihre Entwicklung etwas mehr Platz einzuräumen, vielleicht noch irgendetwas in die Waagschale zu werfen, anderes dafür zu straffen. Derartige Schwächen ziehen sich dramaturgisch (mehr) und inhaltlich (weniger) durch den eigentlich fast zu geradlinigen und vorhersehbaren Film, der entweder auf dem Schnittbrett deftig zusammengestaucht oder mit fehlendem emotionalen Gespür geschrieben bzw. inszeniert wurde.

Doch was soll’s, immerhin befinden wir uns ja in einem Stan-Winston-Film, also her mit Monster! Das erscheint nach langer Exposition auch endlich in voller Pracht auf der Bildfläche und sieht wirklich respekteinflößend und hübsch eklig aus. Es schnappt sich (bis aufs „Final Girl“ selbstredend) einen Rabauken nach dem anderen und bringt ihn um die Ecke. Dabei erinnert es in manch Einstellung an den Alien aus, nun ja, der „Alien“-Reihe eben; aber das ist in Ordnung, denn da gibt es weitaus schlechtere Referenzen. Nach einiger Zeit jedoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Sause wenig explizit und kaum blutig vonstattengeht, was prinzipiell natürlich nicht unbedingt schlimm ist – da jedoch auch das Monstrum keine wirklichen Überraschungen zu bieten hat, ja, sich verglichen mit anderen Kreaturenarbeiten Winstons relativ schnell „abnutzt“, macht sich zumindest bei denjenigen, die an einen Stan-Winston-Film eine in dieser Hinsicht hochgesteckte Erwartung hatten, ein wenig Ernüchterung breit. Der Film gewinnt dafür in anderer Hinsicht: Mit unheimlichen Soundeffekten und Klangkulissen versetzt er sein Publikum in die entsprechend angepeilte Stimmung, genreästhetische, in Blautönen ausgeleuchtete Nachtbilder bilden einen wirkungsvollen Kontrast zu den sonnendurchfluteten Bildern vom Tage, Wald- und Sumpfgebiete stehen stellvertretend für dunkle Geheimnisse und werden ansprechend-ungemütlich in Szene gesetzt. Die Kamera bietet einige gelungene Perspektiven und Fahrten und hilft dabei, „Pumpkinhead“ zumindest optisch zu einem wohltuenden End-’80er-Genuss zu machen.

Thematisch setzt sich „Pumpkinhead“ mit den Themen Schuld, Vergeltung und Vergebung auseinander und läutet auf dieser Grundlage ein dann doch recht originelles Finale ein. Der Rachedämon entpuppt sich als Teil Eds Selbst, als die physikalische Manifestation seiner negativen Energie. Letztlich wird Eds Rachsucht ihm selbst zum Verhängnis, wenn er feststellen muss, eine Spirale in Gang gesetzt zu haben, über die er keine Kontrolle mehr hat, dass er alles nur noch schlimmer gemacht hat und die erhoffte Genugtuung nicht eintritt, im Gegenteil: er selbst größte Schuld auf sich geladen hat – bis ihn seine Rache selbst zugrunde richtet, denn (Achtung, Spoiler!) körperliche Verletzungen die ihm widerfahren, wirken sich auch schwächend auf den Dämon aus bzw. sind die einzige Möglichkeit, diesen aufzuhalten. Damit bewegt sich der Film im moritatisch-moralischen Fahrwasser vieler comichafter Genrekollegen, wobei ihm aber jegliche Ironie und makabrer Zynismus abgehen, er mit seinem betonten Ernst seinen Stiefel durchzieht, dabei nie unfreiweillig komisch, aber bisweilen etwas zäh und langatmig wirkt. Hier hätte ein wenig Auflockerung tatsächlich gutgetan.

Ein satter Glücks- bzw. gut gewählter Griff war die Wahl des Hauptdarstellers, denn der erfahrene Lance Henriksen, der mit Winston bereits für die „Alien“-Fortsetzung „Aliens“ zusammenarbeitete, verleiht mit seinem emotionalen Mienenspiel seinem recht oberflächlich konzipierten Charakter Ausdruck und eine gewisse, im Rahmen des Drehbuchs mögliche Authentizität, die sich sehr positiv auf das Gesamtergebnis auswirkt und aus dem ansonsten ziemlich austauschbaren Darsteller-Ensemble heraussticht. Letztlich ist „Pumpkinhead“ eine Gratwanderung zwischen an Härte und Schauwerten interessiertem Kreaturenspektakel und Kritik an niederen menschlichen Instinkten mit einem gewissen Anspruch, allerdings beides nie so ganz und oftmals eher halbherzig. Wer ein blutiges und/oder innovatives Winston-Spezialeffektfeuerwerk erwartet, dürfte ebenso enttäuscht werden wie derjenige, der eine dramaturgisch ausgefeilte, spannend konzipierte und mit einigen Wendungen gespickte Geschichte erzählt bekommen möchte. Macht man sich von derartigen Erwartungshaltungen frei und geht an „Pumpkinhead“ unbedarft wie an viele andere '80er-US-Horror-Produktionen heran, kann man aber durchaus unterhaltsame und kurzweilige rund 80 Minuten verleben, die mehr richtig als falsch machen und aufgrund des Kürbiskopfes in jede Sammlung von Fans handgemachter, bösartiger Kreaturen gehören.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 13. Feb 2013, 17:26
von buxtebrawler
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Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn
Der brave Bankangestellte Pierre Vidal (Pierre Richard) hat arge Probleme mit seiner Freundin Janet (Jane Birkin), die sich von ihm vernachlässigt fühlt und über eine Trennung nachdenkt. Pierre will die Beziehung retten und plant einen Wochenendurlaub mit ihr, soll aber kurzfristig seinen Chef vertreten und muss seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt stehlen drei Transvestiten wertvolle Papiere aus dem Banktresor, die man nur zu unterschreiben braucht und praktisch der neue Besitzer des erfolgreichen Pariser Variétés Alcazar ist. Auf eigene Faust verfolgt Pierre die Diebe per Zug in Richtung England. Der misstrauische Kommissar Brunet (Michel Aumont) und die eifersüchtige Janet sind ihm dabei dicht auf den Fersen…
„Welcher ist es?“ – „Der mit der Blümchenunterhose!“

Nach „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ ist die französisch-deutsche Koproduktion „Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn“ aus dem Jahre 1975 die zweite Zusammenarbeit des französischen Komödiendarstellers Pierre Richard mit Jane Birkin („7 Tote in den Augen der Katze“) in der weiblichen Hauptrolle sowie Claude Zidi auf dem Regiestuhl. Wie gewohnt handelt es sich um eine chaotische Komödie im typischen Pierre-Richard-Stil, diesmal mit starken Kriminalfilm-Anleihen.

Pierre Vidal ist ein biederer Bankangestellter, der mit Freude seinem Beruf nachgeht und bei seinem Chef ein hohes Ansehen genießt. Leider findet ihn seine Freundin Jane stinklangweilig und pfeift auf Sicherheit und einen geregelten Alltag. Heimlich denkt sie schon darüber nach, Pierre in den Wind zu schießen. Dieser plant stattdessen einen Wochenendurlaub mit ihr, als ihm just sein Chef eröffnet, ihn für ein paar Tage vertreten zu sollen. Doch kaum ist der Chef weg, stiehlt ein Bankräuber Blankoüberschreibungen des erfolgreichen Pariser Varietés Alcazar aus einem Banktresor. Pierre nimmt die Verfolgung auf, die in Travestiekünstler-Szene führt, dicht gefolgt von Kommissar Brunet (Michel Aumont , „Nada“) und seiner plötzlich Eifersucht verspürenden Freundin…

Wie häufiger in Pierre Richards Filmen bezieht auch „Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn“ seinen Reiz zu einem großen Teil aus der Konfrontation zwei gegensätzlicher Charaktere miteinander, in diesem Falle der spießige, langweilige oder zumindest so erscheinende Banker Vidal und dessen lebenslustige, Spontanität, Abenteuer und Aufregung suchende Freundin und Frisörin Janet. Doch während die Woche als Vertretung des Bankdirektors eine einzige Katastrophe wird und er in eine haarsträubende Angelegenheit nach der anderen verwickelt und bald täglich bei der Polizei vorstellig wird, bekommt sie von all dem Trubel zunächst gar nichts mit. Anschließend geht es auf eine rasante Hatz, hinein in einen Zug mit der gesamten Travestie-Truppe bis in ein Hotel in Brighton. Neben Situationskomik und Slapstick setzt man hier auf Schwulenkomik, indem man das bunte Künstlervolk so klischeehaft wie nur möglich darstellt. In Zusammenhang mit ihren abgedrehten Kostümen ist das zwar stark übertrieben, aber nie diskriminierend oder bösartig. Höhepunkt ist schließlich der Liveauftritt des Varietés im Theater, den Vidal auf der Suche nach den gestohlenen Unterlagen empfindlich und brutal stört, was die Performance jedoch weitaus interessanter und unterhaltsamer als zuvor macht, die nun hervorragend vom Publikum aufgenommen wird – welches natürlich nicht ahnt, dass all das niemals einstudiert wurde.

„Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn“ ist hochgradig und entfesselt albern, wird dabei jedoch nie zu beliebig, gibt nie den roten Handlungsfaden und Spannungsbogen in vollem Maße für den nächsten Gag auf. Außer zeitweise während der grassierenden Hektik im vollgestopften Zug und der Vielzahl unterschiedlicher Charaktere in jener Sequenz, in der sich durch das Zusammenspiel mit der Polizei nicht immer ganz leicht der Überblick bewahren lässt, lässt sich der Handlung stets gut folgen, wenngleich man von einer Pointe zur nächsten gehetzt wird. Manch lebensbedrohliche Situation lässt durchaus auch mal den Atem stocken; generell ist der Film gespickt mit einigen unglaublichen Szenen, die mal intelligent, mal auf Teufel komm raus, aber häufig unvorhersehbar konstruiert wurden. Damit und mit gleich mehreren Anspielungen auf Vidals Schuhe, die auf „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ und dessen Fortsetzung verweisen, macht „Der Tolpatsch mit dem sechsten Sinn“ viel Spaß, wenngleich andere Richard-Komödien stärker über den reinen Humor hinaus emotional berühren. Bemitleidenswert ist der arme Kerl aber erneut allemal, dem auch ohne schwule Tresorräuber und zweifelnde Freundin der Alltag genug Tücken bereithält. Seine Position als erfolgreicher Bankangestellter jedoch verhindert übermäßige Empathie seitens des Zuschauers, der ihn mit einer Axt wütend zielstrebig wie selten zuvor kennenlernt. Jane Birkin wurde eine weitaus größere Rolle als zuvor in „Der lange Blonde mit den roten Haaren“ zuteil, die sie nicht nur mit ihrer körperlichen Attraktivität, sondern mit ihrer gesamten extrem weiblichen, leicht ungerechten und zickigen, jedoch sympathisch unbekümmerten und jugendlichen Ausstrahlung hervorragend ausfüllt. Sogar eine kleine erotische Szene mit Jane in der Badewanne fand in den Film.

Fazit: Ein weiteres Pflichtprogramm für Pierre-Richard-Fans, in etwa auf Augenhöhe mit Zidis Vorgänger.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 15. Feb 2013, 12:00
von buxtebrawler
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The Amityville Horror
Die Familie Lutz zieht in dem kleinen Ort Amityville in ein Haus, daß vor vielen Jahren einmal Schauplatz eines Massenmordes gewesen ist. Binnen kürzester Zeit kommt es zu merkwürdigen Vorgängen in dem Gebäude: der Hund versteckt sich im Keller, die Familie kann nicht schlafen, ein Zimmer voller Fliegen kostet einen Priester fast das Leben. Auch Familienvater George Lutz nimmt deutlich aggressivere Züge als bisher an. Eine merkwürdige Stelle in der Kellerwand erweckt das Interesse aller, doch ehe es zu einer Klärung kommt, bereitet das Haus bereits einen großen Schlag gegen die Familie vor...
„Ein Haus hat nun mal kein Gedächtnis!“ – „Also, ich weiß nicht...“

US-Regisseur Stuart Rosenberg („Ein Mann räumt auf“) verfilmte im Jahre 1979 den Roman „The Amityville Horror“ von Jay Anson, der die Geschichte, die ihm das Ehepaar Lutz erzählt hatte, niederschrieb. Demnach hätten sich im Haus im idyllischen New Yorker Stadtteil Amityville, in dem in einer Novembernacht des Jahres 1974 der 23-jährige Ronald DeFeo Jr. seine sechsköpfige Familie angeblich auf Befehl von „Stimmen“ erschoss, nach ihrem Einzug paranormale, bedrohliche Phänomene derart gehäuft, dass sie bereits nach 28 Tagen die Flucht hätten ergreifen müssen. Das Buch avancierte zum Bestseller und die Geschichte der Lutzens wurde Gegenstand der Sensationsjournalie. Ungeachtet dessen, dass als wahrer Grund für DeFeos Morde eine Versicherungspolice von 200.000 Dollar vermutet und den Lutzens eine enge Verbindung zum DeFeo-Anwalt nachgesagt wird, erfreute sich der Amityville-Spuk großer Beliebtheit und Rosenbergs Haunted-House-Horrorfilm mit Okkult-Versatzstücken trat eine der langlebigsten Genrefilmreihen los.

„Amityville Horror“ versetzt den Zuschauer direkt zu Beginn durch Lalo Schifrins unheimliche Titelmelodie mit Kindergesang in akkurate Gruselstimmung und lässt das Haus mit seinen beleuchteten Fenstern wie ein grimmiges Gesicht erscheinen. Dass man keinesfalls gewillt ist, Klischees möglichst zu umschiffen, stellt unmissverständlich die an ein Jahrhundertunwetter gemahnende Gewitternacht klar, in der die schrecklichen Ereignisse ihren Lauf nahmen – Rückblenden, die immer wieder kurz und unvermittelt – und dadurch erschreckend – eingestreut werden. Dabei scheint zunächst noch alles in Ordnung: Familie Lutz ist nicht sonderlich vermögend, griff aufgrund des für das Grundstück günstigen Preises aber zu und schickt sich an, die recht heruntergekommene Immobilie aufzumöbeln. Ein störender Priester wird sanft von einer Schar Fliegen und einer düsteren Stimme aus dem Anwesen herauskomplimentiert, statt Angst und Schrecken zeigt man uns Katy mit Lolitazöpfen und Fliegen in faszinierenden Ultranahaufnahmen, die sich als Symbol für die finsteren Mächte durch den ganzen Film ziehen.

„Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was damals passiert ist: Teufelsanbetung, Tod, Menschenopfer!“

Allgemein arbeitet die Kamera relativ viel mit Nah- und Detailaufnahmen und taucht das Ambiente in satte, gedeckte Herbstfarben. Ja, optisch macht „The Amityville Horror“ was her, atmosphärisch auch insofern, als er eine Ungemütlichkeit ausstrahlt, die dazu einlädt, sich tief in die Bettdecke zu vergraben und sich von der Gruselmär manchen Schauer über den Rücken jagen zu lassen. Schauspielerisch hingegen gibt es schon zu einem frühen Zeitpunkt Höhen und Tiefen zu verzeichnen: Während James Brolin („Hotel“) seine schleichende Charakteränderung vom liebenden Familienvater zum jähzornigen Lump, der DeFeo immer ähnlicher wird, durchaus subtil vollzieht und allerspätestens gegen Ende mit rot unterlaufenen Augen maximalen Schrecken erzielt, Margot Kidder („Black Christmas“) als Mutter eine grundsolide Leistung mit viel Gekreisch abliefert und Rod Steiger („Anthony“) in seiner Priesterrolle als toller, emotionaler Schauspieler mit einer intensiven Darbietung auftrumpft, gefährdet eine overactende Tante, die zudem auch noch Nonne ist, die angestrebte Ernsthaftigkeit und steht stellvertretend für mehrere Charaktere, die nur seltsam kurz in die Handlung eingeführt werden, um sofort wieder zu verschwinden oder allzu unauffällig zu bleiben. Da wäre zum einen eine Freundin der Familie, die sich als „‘ne Art Medium“ entpuppt und da wären da Kinder, u.a. die mit einer unsichtbaren Freundin sprechenden Tochter, die generell in der Familie wie ein fünftes Rad am Wagen wirkt, um zwei Beispiele zu nennen.

Vieles in „Amityville Horror“ erinnert an Horror-Großtaten wie „Shining“ (unsichtbare Freunde, den Verstand verlierender und aggressiv werdender Vater, der sich plötzlich beängstigend für seine Axt interessiert...), Poltergeist (Indianerfriedhof), „Der Exorzist“ (Papa Lutz‘ voranschreitende Besessenheit) oder auch Psycho (die Streicherklänge während der Schockszene mit den leuchtenden Augen am Fenster), obwohl von den beiden letztgenannten abgesehen die jeweiligen Filme erst später veröffentlicht wurden. Eine kleine Anspielung auf den Vietnam-Überfall verhallte auch nicht ungehört. Doch wer glaubt, es müsse sich daher um einen hochgradig wertvollen Vertreter seiner Zunft handeln, irrt. „Amityville Horror“ leidet unter einer eigenartigen Regie, die den Film nur mäßig spannend inszenierte. Viele unheimliche Szenen, derer es prinzipiell eine Menge gibt, werden nur unzureichend aufgebaut und bestehen in erster Linie aus einzelnen, durchaus wirkungsvollen, wenn auch sehr simpel umgesetzten Bildern, nach denen jedoch schnell – zu schnell – wieder zum Alltag übergegangen wird. Es gibt auch – von den Untaten in den Rückblenden einmal abgesehen – in der filmischen Gegenwart keinen einzigen Toten zu beklagen (das ist nun einmal der Buchvorlage geschuldet); es bleibt bei Spuk und angedeuteter Gefahr, die irgendwie nie so richtig ausbricht. Auf ein packendes Finale, eine Art Showdown oder dergleichen verzichtete man dann auch gleich gänzlich und begnügte sich stattdessen mit der erneuten Verwendung des Gewitter-Klischees.

Einerseits ist es unfassbar, welch ein Potential hier verschenkt wurde, andererseits muss man dem Film aber zugute halten, dass er es trotz allem schafft, nie so richtig langweilig zu werden und der springende Punkt ist letztlich, dass er, nachts allein zuhaus angeschaut, mitunter wirklich gruselig ist, er auf gewisse Weise also tatsächlich funktioniert, eine gewisse Faszination ausstrahlt. Das ist es, was ihn trotz gefühlter Überlange dann doch über den Durchschnitt hinausrettet. Ganz sicher nicht uninteressant ist zudem seine filmhistorische Relevanz, denn immerhin wurde „Amityville Horror“ zu einem echten Knüller, der mehrere Jahre als erfolgreichster Independent-Film galt und dessen inspirativer Einfluss für andere Genrefilmer nicht von der Hand zu weisen ist. Dass der Erfolg vermutlich eher cleverem Marketing denn den filmischen Qualitäten zuzuschreiben ist, habe ich hiermit zu erläutern versucht. Aber: Der Film lädt dazu ein, sich mit einem rätselhaften sechsfachen Mord in den USA näher zu beschäftigen, von dem eine morbide Faszination ausgeht.

„Hier ist der Eingang zur Hölle – verschließt ihn!“ (Hätte man dem Folge geleistet, wären uns vielleicht die bis dato acht (!) Fortsetzungen erspart geblieben...)

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 17. Feb 2013, 23:36
von buxtebrawler
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Amityville II – Der Besessene
Einige Jahre nach dem Auszug der Familie Lutz aus dem verfluchten Haus in Amityville zieht eine neue sechsköpfige Familie ein. Das Haus nimmt auch weiterhin unheimlichen Einfluß auf seine Bewohner, in diesem Fall auf den Sohn der Familie, der langsam aber sicher zu einem dämonischen Monster mutiert, welches seiner Familie ans Leben will. Zwischen Religiösität und Aggressionen wird dies aber nicht rechtzeitig bemerkt...
„Er tut es nur, um... zu verletzen.“ – „Um wen zu verletzen?“ – „Um Gott zu verletzen!“

Drei Jahre musste man warten, bis man die „Amityville“-Kuh nach einem sechsfachen Mord, einem von Dämonen und Geisterspuk faselnden Familienmörder, einer Reihe von Büchern und dem Film „Amityville Horror“ von Stuart Rosenberg aus dem Jahre 1979 erneut zu melken versuchte. Im Jahre 1982 erschien eine Fortsetzung bzw. vielmehr ein Prequel in US-amerikanischer-mexikanischer Koproduktion unter der Regie des Italieners Damiano Damiani („Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“), was ein kleines Kuriosum ist; immerhin gilt der Mann als Meister des mafia-, polit-, gesellschafts- und systemkritischen Films und ist nicht sonderlich bekannt als Jobber für kommerzielle US-Genrefilm-Fortsetzungen. „Amityville II – Der Besessene“ basiert erneut auf einem Buch, diesmal auf „Murder in Amityville“, das die Ereignisse, die zum DeFeo’schen Familienmord führten, beschreibt und demnach zeitlich eigentlich vor den Erlebnissen der Familie Lutz aus „Amityville Horror“ anzusiedeln ist. Nichtsdestotrotz änderte man die Namen und machte eine Fortsetzung aus dem Stoff.

Damiani erzählt die Geschichte einer zerrütteten Familie, die insbesondere unter dem gewalttätigen Vater (Burt Young, Paulie aus „Rocky“!), einem ehemaligen Angehörigen des Militärs, zu leiden hat. Frisch ins berüchtigte Haus eingezogen, ergreifen mysteriöse dämonische Kräfte nach und nach Besitz vom Sohn der Familie. Es kommt zu paranormalen Phänomenen, wie bereits aus dem Vorgänger bekannt – die Motivwahl bleibt größtenteils die Gleiche. Diese werden wie gewohnt zunächst einmal geflissentlich ignoriert, man ist auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Doch als Daddy wieder einmal austickt, reicht es dem Sohn und er greift – wie Überlieferungen zufolge DeFeo Jr. seinerzeit noch vor dem sechsfachen Mord – zum Gewehr und bedroht seinen Vater damit aufs Entschiedenste. Bereits in dieser intensiven, an die Nieren gehenden Szene wird die Erfahrung des Regisseurs deutlich, der anschließend noch einen Schritt oder vielmehr Tabubruch weitergeht und sich den Sohn auch sexuell für seine pubertierende Schwester interessieren lässt, bis es zum Inzestfall kommt. Diese Momente sind von einer perversen, verbotenen Erotik und unterstreichen den familiendramatischen Aspekt der Handlung mit dickem Filzstift, während zeitgleich der Sleazefaktor steigt. Eine für den Zuschauer nicht unangenehme Entwicklung, scheint Damiani dem Thema doch neue Seiten abgewinnen zu wollen.

Sein geschickteres Händchen für spannende Inszenierung als Rosenberg (Regisseur des ersten Teils) beweist Damiani auch während einer langen, ruhig gefilmten Odyssee des Sohns durch das Haus, die im Kontrast zum mitunter recht sprunghaften Schnitt des Vorgängers steht und viel Raum für die Entfaltung der unheimlichen Atmosphäre und Suspense-Grusel lässt – und letztlich in sehr grafischen Körperhorroreffekten mündet. Auch geht das Drehbuch wesentlich weiter als der blutleere „Amityville Horror“, denn hier kommt es tatsächlich zu verstörenden Familienmordszenen infolge anhaltender Besessenheit. Anschließend jedoch entpuppt sich die Handlung als streng zweigeteilt und der Haunted-House-Horror wird zum Okkult-Exorzismus-Schocker, wo man sich vermutlich endgültig von der Buchvorlage trennte und wobei der Film leider an Spannung einbüßt – dafür jedoch mit hübsch ekliger Make-up-Maskenarbeit und krassen, sehr gelungenen Mutations-Spezialeffekten prima unterhält. James Olson („Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All“) kommt als Pater Adamsky zu Ehren und muss mit ansehen, wie „Amityville II – Der Besessene“ jede Abzweigung in Richtung Hollywood-„Happy End“ verpasst und Jack Magner („Der Feuerteufel“) darf als Sonny seinen Dämonen freien Lauf lassen, die schnieke Diane Franklin („Bill & Ted's verrückte Reise durch die Zeit“) mit ihrem leicht exotischen Touch als geschwisterliebende Dolores ist zu diesem Zeitpunkt leider schon Geschichte. Dem ernsten Ton und der bedrückenden Stimmung des Films leisten sämtliche Darsteller folge, niemand sticht negativ oder unfreiwillig komisch heraus.

Als unprätentiös und atmosphärisch möchte ich bezeichnen, was Damiani und sein Team hier zur bekannten Musik Lalo Schifrins servieren. Wenn Rosenberg auch die bekannteren Schauspieler zur Verfügung hatte – Damiani weiß seine besser in Szene zu setzen. Seinem ruhigen Erzählstil indes muss das fertige Werk insofern Tribut zollen, als es bisweilen etwas gestreckt und langatmig wirkt, als wäre Damiani für einen Film mit der Zielgruppe ’80er-Genrepublikum noch etwas zu sehr den 1970ern verhaftet. Nicht nur dadurch holpert es hier dramaturgisch dann und wann, gerät der Fluss ins Stocken. Nichtsdestotrotz wurde ich aber insgesamt weit besser unterhalten, als ich es erwartet hatte und empfinde ich „Amityville II – Der Besessene“ als den besseren Film im Vergleich zum Vorgänger sowie als einen interessanteren Beitrag der Reihe. Ein Jahr später erschien unter der Regie Richard Fleischers eine weitere, diesmal sehr durchwachsene und mittelmäßige Fortsetzung, die noch einmal alle bekannten Motive des ersten Teils aufgreift und so etwas wie ein Quasi- oder Fast-Remake wurde, bevor sich ab 1989 mit dem vierten Teil das Böse „vergegenständlicht“ (z.B. in eine Stehlampe...) und damit portabel wird – ei der Daus! Da bin ich als Zuschauer raus.