Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 19. Feb 2013, 20:48

Stiefel, die den Tod bedeuten
„Auf Wiedersehen!“ (manch Floskel überdauert jede Behinderung)Als die durch einen Reitunfall erblindete Sarah (Mia Farrow) von einem Nachmittag mit ihrem Freund Steve (Norman Eshley) heim kommt, findet sie ihre ganze Familie ermordet vor. Als sie das Armband des Mörders findet, wird sie selbst zur Gejagten...
Hollywood-Routinier Richard Fleischer („20.000 Meilen unter dem Meer“) inszenierte im Jahre 1971 mit „Stiefel, die den Tod bedeuten“ einen packenden Thriller, der gut und gerne zum Bereich der „Prä-Slasher“ gezählt werden darf: Ein Unhold macht Jagd auf ein mehr oder weniger wehrloses Mädchen.
Sarah (Mia Farrow, „Rosemaries Baby“) ist durch einen Reitunfall erblindet und zieht nach ärztlicher Betreuung ins Haus ihrer Tante und deren Familie ein. Sie nähert sich ihrem früheren Freund Steve wieder an, überwindet mit dessen Hilfe ihre Angst und unternimmt Ausritte mit ihm. Als sie eines Tages von einem Ritt nach Hause zurückkehrt, muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass die ganze Familie ermordet wurde und ihre Leichen im Haus verstreut liegen. Doch es kommt noch schlimmer: Der Mörder hat etwas am Tatort zurückgelassen und kehrt wieder zurück, um es zu holen – während sich Sarah im Haus aufhält…
Zu Beginn sieht man nur die Stiefel – auffällige Cowboystiefel, um genauer zu sein. Ohne den dazugehörigen Träger oberkörperaufwärts zu zeigen, folgt man ihnen, wie sie durch die Stadt schlendern – und schließlich vor dem Anwesen der Tante Sarahs Halt machen. Schnitt. Fortan stellt Fleischer dem Zuschauer Sarah, ihr Schicksal und ihre Familie vor. Man wird Zeuge der Tücken, die der Alltag für die frisch Erblindete bereithält, aber auch der Fürsorge ihrer Familie. Der sehr ruhig erzählte Film nimmt sich viel Zeit, beispielsweise auch, um dramaturgisch geschickt Sarahs Leben im Haus detailliert zu zeigen, während sie auf ihre Nichte wartet. Durch diese Herangehensweise entwickelt sich eine unheilschwangere Stimmung, die dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn sich Sarah unwissentlich fast neben eine Leiche legt. Die vorausgegangenen Morde wurden dem Zuschauer nicht gezeigt, der ohnehin stets nur einen geringen Wissensvorsprung vor der Protagonistin hat. Dies wird insbesondere durch eine ausgefeilte Kameratechnik erreicht, die die Perspektive des Zuschauers stark einengt, kaum Übersicht bietet, häufig lediglich mit Sicht auf den Fußraum verharrt. Wichtige Informationen bleiben oftmals außerhalb des sichtbaren Bereichs, was der Zuschauer ahnt, aber nicht weiß und sich so ein gutes Stück weit in Sarahs Behinderung hineinfühlen kann. Diese Kameraarbeit geht dabei jedoch subtil genug vor, um nicht Gefahr zu laufen, ungenießbar zu werden. Hier wurde ein Kompromiss gefunden, der die Möglichkeiten des Mediums sehr gut ausnutzt, ohne den Zuschauer aus den Augen verlieren – obwohl man diesen vorsätzlich das Geschehen aus den Augen verlieren lässt.
Der unprätentiöse, spröde Stil des Films wurde zuvor lediglich von einer ausgiebigen, kitschigen Reitszene mit heroischer Musik aufgebrochen, die verdächtig nach Streckmittel aussieht. Erst in Minute 48 erlangt Sarah die Erkenntnis hinsichtlich ihrer lebensgefährlichen Situation, ab diesem Zeitpunkt zieht das Tempo etwas an. Doch während andere Thriller dieser Art gern auf visuelle Schocks, mit denen die Protagonisten konfrontiert werden, setzen, funktioniert dies hier nicht bzw. würde das Konzept über den Haufen werden. Stattdessen bemüht sich Fleischer um die volle Dosis nervenzerrender Suspense und ohnmächtige Panik, was in einigen starken, symbolträchtigen Momenten kulminiert. Wenn sich Sarah aus der Hütte befreien kann, bleibt sie dennoch Gefangene ihrer Behinderung, wehrt sich trotzdem redlich, ist gezwungen, vielleicht mehr als je zuvor ihre Intelligenz einzusetzen. Ein Survival-Abenteuer indes wird „Stiefel, die den Tod bedeuten“ nicht, denn schon bald naht die ersehnte Hoffnung in Form ihrer Freunde, nachdem die vorherige anscheinend (oder scheinbar?) jäh zerschlagen wurde. In diesem Zusammenhang, der einen etwas eigenartigen Plottwist beherbergt, thematisiert Fleischer am Rande Ressentiments gegen Zigeuner, wenngleich diese durch ihr Verhalten tatsächlich nicht sonderlich integer wirken. Jedoch komplett im Dunkeln bleibt das Motiv des Täters, das auch nach dessen Enttarnung nicht zur Sprache kommt.
Der im englischen Berkshire gedrehte Film ist eine intensive, konsequent psychologisch harte Tortur, die von einer wunderbar authentisch wirkenden, Zerbrechlichkeit suggerierenden schauspielerischen Leistung Mia Farrows lebt und neben der Angst vor dem Verlust des Augenlichts oder anderer Sinne die Paranoia vor sich unbemerkt im Haus aufhaltenden Menschen schürt. Auf sein entschleunigtes Erzähltempo sollte man sich jedoch einlassen können und ein ein wenig enttäuschendes Finale mit all seinen offenbleibenden Fragen akzeptieren können.