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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 19. Feb 2013, 20:48
von buxtebrawler
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Stiefel, die den Tod bedeuten
Als die durch einen Reitunfall erblindete Sarah (Mia Farrow) von einem Nachmittag mit ihrem Freund Steve (Norman Eshley) heim kommt, findet sie ihre ganze Familie ermordet vor. Als sie das Armband des Mörders findet, wird sie selbst zur Gejagten...
„Auf Wiedersehen!“ (manch Floskel überdauert jede Behinderung)

Hollywood-Routinier Richard Fleischer („20.000 Meilen unter dem Meer“) inszenierte im Jahre 1971 mit „Stiefel, die den Tod bedeuten“ einen packenden Thriller, der gut und gerne zum Bereich der „Prä-Slasher“ gezählt werden darf: Ein Unhold macht Jagd auf ein mehr oder weniger wehrloses Mädchen.

Sarah (Mia Farrow, „Rosemaries Baby“) ist durch einen Reitunfall erblindet und zieht nach ärztlicher Betreuung ins Haus ihrer Tante und deren Familie ein. Sie nähert sich ihrem früheren Freund Steve wieder an, überwindet mit dessen Hilfe ihre Angst und unternimmt Ausritte mit ihm. Als sie eines Tages von einem Ritt nach Hause zurückkehrt, muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass die ganze Familie ermordet wurde und ihre Leichen im Haus verstreut liegen. Doch es kommt noch schlimmer: Der Mörder hat etwas am Tatort zurückgelassen und kehrt wieder zurück, um es zu holen – während sich Sarah im Haus aufhält…

Zu Beginn sieht man nur die Stiefel – auffällige Cowboystiefel, um genauer zu sein. Ohne den dazugehörigen Träger oberkörperaufwärts zu zeigen, folgt man ihnen, wie sie durch die Stadt schlendern – und schließlich vor dem Anwesen der Tante Sarahs Halt machen. Schnitt. Fortan stellt Fleischer dem Zuschauer Sarah, ihr Schicksal und ihre Familie vor. Man wird Zeuge der Tücken, die der Alltag für die frisch Erblindete bereithält, aber auch der Fürsorge ihrer Familie. Der sehr ruhig erzählte Film nimmt sich viel Zeit, beispielsweise auch, um dramaturgisch geschickt Sarahs Leben im Haus detailliert zu zeigen, während sie auf ihre Nichte wartet. Durch diese Herangehensweise entwickelt sich eine unheilschwangere Stimmung, die dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn sich Sarah unwissentlich fast neben eine Leiche legt. Die vorausgegangenen Morde wurden dem Zuschauer nicht gezeigt, der ohnehin stets nur einen geringen Wissensvorsprung vor der Protagonistin hat. Dies wird insbesondere durch eine ausgefeilte Kameratechnik erreicht, die die Perspektive des Zuschauers stark einengt, kaum Übersicht bietet, häufig lediglich mit Sicht auf den Fußraum verharrt. Wichtige Informationen bleiben oftmals außerhalb des sichtbaren Bereichs, was der Zuschauer ahnt, aber nicht weiß und sich so ein gutes Stück weit in Sarahs Behinderung hineinfühlen kann. Diese Kameraarbeit geht dabei jedoch subtil genug vor, um nicht Gefahr zu laufen, ungenießbar zu werden. Hier wurde ein Kompromiss gefunden, der die Möglichkeiten des Mediums sehr gut ausnutzt, ohne den Zuschauer aus den Augen verlieren – obwohl man diesen vorsätzlich das Geschehen aus den Augen verlieren lässt.

Der unprätentiöse, spröde Stil des Films wurde zuvor lediglich von einer ausgiebigen, kitschigen Reitszene mit heroischer Musik aufgebrochen, die verdächtig nach Streckmittel aussieht. Erst in Minute 48 erlangt Sarah die Erkenntnis hinsichtlich ihrer lebensgefährlichen Situation, ab diesem Zeitpunkt zieht das Tempo etwas an. Doch während andere Thriller dieser Art gern auf visuelle Schocks, mit denen die Protagonisten konfrontiert werden, setzen, funktioniert dies hier nicht bzw. würde das Konzept über den Haufen werden. Stattdessen bemüht sich Fleischer um die volle Dosis nervenzerrender Suspense und ohnmächtige Panik, was in einigen starken, symbolträchtigen Momenten kulminiert. Wenn sich Sarah aus der Hütte befreien kann, bleibt sie dennoch Gefangene ihrer Behinderung, wehrt sich trotzdem redlich, ist gezwungen, vielleicht mehr als je zuvor ihre Intelligenz einzusetzen. Ein Survival-Abenteuer indes wird „Stiefel, die den Tod bedeuten“ nicht, denn schon bald naht die ersehnte Hoffnung in Form ihrer Freunde, nachdem die vorherige anscheinend (oder scheinbar?) jäh zerschlagen wurde. In diesem Zusammenhang, der einen etwas eigenartigen Plottwist beherbergt, thematisiert Fleischer am Rande Ressentiments gegen Zigeuner, wenngleich diese durch ihr Verhalten tatsächlich nicht sonderlich integer wirken. Jedoch komplett im Dunkeln bleibt das Motiv des Täters, das auch nach dessen Enttarnung nicht zur Sprache kommt.

Der im englischen Berkshire gedrehte Film ist eine intensive, konsequent psychologisch harte Tortur, die von einer wunderbar authentisch wirkenden, Zerbrechlichkeit suggerierenden schauspielerischen Leistung Mia Farrows lebt und neben der Angst vor dem Verlust des Augenlichts oder anderer Sinne die Paranoia vor sich unbemerkt im Haus aufhaltenden Menschen schürt. Auf sein entschleunigtes Erzähltempo sollte man sich jedoch einlassen können und ein ein wenig enttäuschendes Finale mit all seinen offenbleibenden Fragen akzeptieren können.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 20. Feb 2013, 14:54
von buxtebrawler
Horrorfilme - Von Apokalypse, Viren und Zombies
Regisseur Luc Lagier versucht der Faszination des im letzten Jahrzehnt praktisch wiederbelebten Horrorfilmgenres auf den Grund zu gehen und hat dazu die Regisseure vier erfolgreicher Filme (The Hills Have Eyes, Hostel, The Descent und [REC]) zu ihren Arbeiten befragt...
„Mein Leben lang habe ich davon geträumt, einen Film zu machen, der als viel gruseliger gilt, als er wirklich ist.“ (Eli Roth über „Hostel“)

Der französische Dokumentarfilmer Luc Lagier („Nouvelle Vague – Außenansichten“) beschäftigt sich in seinem 2011 gedrehten Film „Horrorfilme - Von Apokalypse, Viren und Zombies“ mit dem modernen Horrorfilm und interpretiert seinen gesellschaftlichen Ursprung und seine Funktion.

Zu Beginn des rund 50-minütigen Dokumentarfilms wird man mit einer Schockszene aus „The Descent“ ins kalte Wasser gestoßen. Lagier stellt anschließend die These auf, dass unsere Generation den Grundstein für die Horrorfilm-Faszination im Kindesalter gelegt bekam, als wir Bücher, Zeitschriften, Plakate, Fotos und Actionfiguren sammelten. Weitaus interessanter jedoch ist seine These, dass mit dem Beginn des 3. Jahrtausends eine neue Horror-Bewegung in Gang gekommen wäre, eine neue Horror-Welle die Welt überschwemmen würde, die allesamt US-amerikanische Horrorstreifen der 1970er zum Vorbild hätten, welche wiederum von politischem Chaos und dem Vietnam-Trauma geprägt gewesen wären, während sie in den darauf folgenden Jahrzehnten zunehmend harmloser geworden wären und das Genre zu Beginn des 21. Jahrhunderts nahezu tot gewesen wäre.

Die Ursachen der neuen Welle sieht er einem „Amerika in Angst“ nach dem 11. September 2001 begründet, woraus der Horrorfilm seine Impulse ziehen würde. Als Startpunkt dafür benennt er konkret das Remake von „The Texas Chainsaw Massacre“ im Herbst 2003, das er zudem als Startschuss für den seitdem grassierenden Remake-Wahn betrachtet. Laut Lagier stach das „The Hills Have Eyes“-Remake des Franzosen Alexandre Aja besonders heraus, weshalb er den Film ausführlich vorstellt und Aja vor die Kamera holt, der die Hintergründe seiner Genrefaszination und seines Films erzählt. Der US-Paranoia-kritische „The Hills Have Eyes“-Subtext wird erläutert und geschlussfolgert: „In Krisenzeiten ist harter Horror populär.“ „Hostel“-Regisseur Eli Roth lädt ein zu einer Hausführung und äußert sich sehr kritisch in Bezug auf US-amerikanische Kriege, versteht seinen Film als Reaktion auf internationalen US-Terrorismus und -Folter. Von dort aus spannt man den Bogen zu „Found Footage“-Wackelkamera-Horror anhand des spanischen Erfolgs „[•REC]“; Regisseur Paco Plaza wird interviewt und auch sein Kompagnon Jaume Balagueró kommt zu Wort. Von Spanien aus geht es nach England und Lagier geht kurz auf die Klassiker der „Hammer Film Productions“ ein, um anschließend von neuen, realistischen britischen Horrorfilmen zu sprechen. „The Descent“ wird dabei besonders hervorgehoben, Regisseur Neill Marshall entsprechend ebenfalls interviewt. Aufgelockert werden die Gespräche und Kommentare durch zahlreiche Filmausschnitte.

Lagier, der als Off-Kommentator durch den Film führt, redet nicht viel um den heißen Brei im Konjunktiv herum, sondern formuliert seine sicherlich durchaus streitbaren Aussagen auf den Punkt. Die These, dass Krisenzeiten ein guter Nährboden für das Horrorgenre sind, ist dabei natürlich nicht neu. Mir gefällt an dieser Dokumentation aber besonders die Herangehensweise, die sich nicht erst lange mit einer Analyse dahingehend aufhält, ob in den oft verpönt und gesellschaftlich geächteten Horrorfilmen nicht doch auch über den reinen Schockeffekt hinausgehende Botschaften enthalten sein können, sondern steigt direkt damit ein, eben davon auszugehen und beschreibt ihre Ventilfunktion, ihren Symbolcharakter und ihre Verwurzelung in der Realität, deren Schrecken sie aufgreifen, verformen/variieren und damit den Zuschauer in die Lage versetzen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Schön ist zudem, dass er der aktuellen Horrorfilm-Generation bzw. der des ersten Jahrzehnts des Jahrtausends ein Gesicht, eine Identität gibt, indem er sie in die jüngste Historie einordnet und mit geschichtlichen Ereignissen verknüpft, ja, dass er überhaupt mehr in ihr erkennt als das laue Aufwärmen von schon oft Dagewesenem und ihr damit eine Existenzberechtigung zuspricht, die einige konservative Genrefreunde, die es sich in den 1970er-Jahren bequem gemacht haben, ihr häufig nur schwerlich zugestehen wollen.

Breiter Konsens hingegen dürfte sein, dass das sog. „Torture Porn“-Phänomen eines der „Genre-Neuzeit“ ist, zumindest in dieser Form und Häufung. Mit diesem Aspekt seines Themas tut sich Algier merklich schwer. Er scheint zunächst näher auf die spezielle Faszination, die von diesem Subgenre, sofern es überhaupt als solches existiert, ausgeht, eingehen zu wollen, schneidet diese letztlich aber doch nur unzulänglich an und verharrt bei seinem „Hostel“-Beispiel. Zudem bin ich mir nun wirklich nicht sicher, ob genannte Beispiele wie „Wolf Creek“ oder „The Devil’s Rejects“ nicht doch eher deplatziert in seiner Aufzählung sind. Das Konzept, nur einige wenige Filme bzw. Filmemacher herauszupicken und exemplarisch abzuhandeln, ist sicherlich der arg eingeschränkten Spielzeit geschuldet. Meines Erachtens aber lädt „Horrorfilme - Von Apokalypse, Viren und Zombies“ nichtsdestotrotz dazu ein, sich über den reinen Konsum zu Zerstreuungszwecken hinausgehende Gedanken über Horrorfilme zu machen und ist eine durchaus gelungene Retrospektive eines jüngst vergangenen Jahrzehnts, die diejenigen, die es in Genrefilm-Hinsicht aufmerksam verfolgt haben, im befriedigenden Gefühl bestärken wird, sich mit anerkannt Relevantem beschäftigt zu haben und manch Verweigerer halbwegs aktueller Filme evtl. doch noch anfixen, Interesse wecken wird.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 21. Feb 2013, 13:47
von buxtebrawler
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Oxford Murders
Der amerikanische Student Martin (Elijah Wood) reist nach Oxford, weil er hofft, daß das exzentrische Mathematikgenie Arthur Seldom (John Hurt) sein Doktorvater wird, doch der entpuppt sich als desillusionierter Zyniker, der die Suche nach absoluten, nachweisbaren Wahrheiten aufgegeben hat. Kurz nachdem sie in einer Vorlesung diskutiert haben, stehen sie gemeinsam vor einer Leiche: eine alte Freundin von Seldom und gleichzeitig Martins Zimmerwirtin ist erstickt worden. Bei der Leiche findet sich ein Zettel mit einem Zeichen, das eine mathematische Formel oder Reihe startet und baldigst stellen die beiden die Theorie auf, daß der Mörder etwas beweisen will - und zwar hauptsächlich Seldom. Das bedeutet natürlich, daß noch weitere Morde folgen und während die beiden an verschiedensten Theorien herumdoktern, gerät der Fall auch zu einer Logiklektion zwischen Lehrer und Schüler. Wer wird den Fall zuerst lösen und wird am Ende jemand mit der Lösung wirklich glücklich sein?
„Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen!“ ((k)ein Freund offener Worte: Arthur Seldom)

Das spanische Regie-Enfant-terrible Álex de la Iglesia ist immer für eine Überraschung gut: So drehte er nach seinem verdammt gruseligen Beitrag zur spanischen TV-Horror-Anthologie, „The Baby’s Room“, nicht etwa einen noch größeren Schocker, aber auch keinen offensiven Tabubruch à la „Perdita Durango“ und schon gar keine grimmige Anarcho-Phantastik-Komödie der Marke „Aktion Mutante“ oder „El dia de la bestia“, und, nein, auch keine turbulente schwarze, die spanische Gesellschaft aufs Korn nehmende, urbane Großstadtkomödie. Viel eher wird man bei seinem Italo-Western-Tribut „800 Bullets“ fündig, obwohl es doch etwas ganz anderes wurde – „Oxford Murders“ ist so etwas wie de la Iglesias‘ Hommage an den klassischen, einer strengen Logik unterworfenen britischen „Whodunit“-Tüftel-Kriminalfilm, und das mit Starbesetzung in Form von John Hurt („Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“, „Der verbotene Schlüssel“) und Elijah Wood („Hooligans“, „Herr der Ringe“-Trilogie). Der Film basiert auf Guillermo Martinez‘ mir unbekanntem Roman "Die Pythagoras-Morde“.

Martin (Elijah Wood) ist ein US-amerikanischer Student, der die Nähe des genialen Mathematikprofessors Arthur Seldom (John Hurt) sucht und deshalb ins britische Oxford zieht, um an der örtlichen Elite-Universität zu studieren. Eigentlich sollte Seldom Martins Doktorvater werden, doch dazu kommt es nicht, zudem entpuppt sich Seldom als zynischer, knurriger alter Mann, der über die Abwesenheit absoluter Wahrheiten philosophiert. Nachdem Martin durch das provokante Einnehmen einer konträren Position dennoch Seldoms Interesse während einer Vorlesung auf sich gezogen hatte, kreuzen sich ihre Wege wieder, als sie feststellen müssen, dass Martins Zimmerwirtin erstickt wurde. Seldom behauptet gegenüber der Polizei, zuvor einen Zettel zugesteckt bekommen zu haben, der auf den Mord hinwies und ein Zeichen enthielt, das den Start einer mathematischen Reihe darstellen könnte – und tatsächlich taucht ein weiteres Zeichen auf und geschieht ein weiterer Mord. Wer ist der Mörder, was ist sein Motiv und auf welches Opfer wird das dritte Zeichen verweisen? Seldom und Martin versuchen, der überforderten Polizei zu helfen, gleichzeitig den Verdacht von ihren eigenen Personen zu lenken und bewegen sich in ihren Diskussionen stets zwischen den Polen Philosophie und Mathematik bzw. vermischen diese miteinander…

Mit seinem gänzlich unanarchischen Film wird de la Iglesia mit so mancher Erwartungshaltung gebrochen haben, was auch der Grund für manch durchwachsene oder enttäuschte Kritik gewesen sein dürfte. Denn „Oxford Murders“ ist ein intelligenter Krimi der alten Schule mit gleichzeitigen Thriller-Anleihen, die ihn recht modern erscheinen lassen. Vor allem aber ist er eines: unheimlich nerdig. Mit wissenschaftlichen Fachtermini wird ebenso um sich geworfen wie mit philosophischen Ansätzen und Theorien sowie mathematischen Formeln, so dass manch einfacher gestricktem Zuschauer schon mal der Kopf rauchen könnte. Die nicht unkomplexe Handlung, die Gott sei Dank bei einer recht übersichtlichen Anzahl an Nebencharakteren – und Verdächtigen – bleibt, läuft auf eine Art Gegenüberstellung von Philosophie und Naturwissenschaft, Chaos-Theorie und Logik hinaus, die zumeist, aber nicht nur, in äußerst scharfzüngigen Dialogen zwischen Seldom und Martin stattfindet.

„Oxford Murders“ ist ergo nicht nur intellektuell beanspruchendes und (mitunter etwas schaumschlagendes) Rätselraten, sondern stellt die Logik des Krimi-Genres auf die Probe und in Frage, persifliert demnach hintergründig das Genre, das er gleichzeitig hofiert. Ferner stellt der Film gänzlich unaugenzwinkernde, beißend realistische Fragen nach der perfiden Logik eines Lebens, das gezeichnet ist von Krankheit, Elend und Not. Dies sind die Momente, in denen de la Iglesias' Wut erneut durchschimmert und die mit einer ganz selbstverständlichen visuellen Härte einhergehen – der unvermittelte Anblick eines amputierten Knochenkrebspatienten kann wesentlich härter treffen und nachhaltiger verstören als ein stilisierter Mord, auf den der Genrefreund in der Regel vorbereitet ist, den er hier so aber nicht bekommt. Ebenso wohltuend wie interessant für das Publikum, das soeben noch durch eine ungelöste „Idiotenreihe“ beleidigt und vorgeführt wurde, dürfte indes die Relativierung hoher Intelligenz sein, die in Relation gesetzt wird zu möglichen geistigen Leistung mental Behinderter und Derangierter.

An Originalschauplätzen in gerne schwelgerischen Bildern gedreht, vermittelt „Oxford Murders“ zudem anhand Martins die positive Aufbruchsstimmung, die mit seinem Wechsel des Lebensmittelpunks und dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts einhergeht: Eine neue Stadt, eine neue Liebe, und gleich mittendrin im Geschehen. Allen Widrigkeiten und entsetzlichen Ereignissen zum Trotz entfaltet de la Iglesia diese besondere Art der Wohlfühlatmosphäre, die bei aller Redseligkeit und bei allem Dialogreichtum den Film durchzieht und zu der auch die äußerst stimmige musikalische Untermalung Roque Baños' wunderbar passt. Sämtliche Charaktere sind mehrschichtig und überschreiten dabei das Standard-Repertoire eines „Whodunit?“-Krimis. John Hurt als Arthur Seldom versieht seine Rolle des abgeklärten, alternden Intellektuellen mit Witz und Esprit, bleibt dabei kauzig, schroff und auf gewisse Weise unnahbar, über den Dingen stehend. Neben Seldom geht insbesondere von den starken weiblichen Rollen eine gewisse Faszination aus. Julie Cox und Leonor Watling besitzen Ausstrahlung und während die eine geheimnisvoll und unberechenbar wirkt, avanciert die andere zur Sympathieträgerin mit erotischer Note (und macht Appetit auf Spaghetti). Für Elijah Wood bot sich eine weitere Möglichkeit, gegen sein „Hobbit“-Abo anzuspielen, was er mit Bravour meistert, indem er den auf der Sonnenseite des und in der Blüte seines Lebens stehenden, intelligenten, ambitionierten jungen Mann, der sich mit negativen Dingen der Existenz konfrontiert sieht und dadurch einen Reifeprozess durchläuft, glaubwürdig genug spielt, um unaufdringlich sympathisch und charmant durch die Handlung zu führen.

Mit „Oxford Murders“ ist de la Iglesia ein für ihn bzw. angesichts seiner sonstigen Arbeiten ungewöhnlicher, intellektuell fordernder Mix aus Krimi und Thriller gelungen, der die Konzentration des Zuschauers einfordert und mit einer spannenden, nicht unnötig verkomplizierten/-klausulierten Erzählweise belohnt, die mit einem kongenialen finalen Plottwist aufwartet, der dem Vorausgegangenen eine in diesem Ausmaß nicht unbedingt erahnbare Schwere verleiht, die dem Film ausgezeichnet zu Gesicht steht. Die Mühe des aufmerksam miträtselnden Zuschauers wird dabei nicht ad absurdum geführt, der entsprechende Spagat ist geglückt. Ein anspruchsvoller Film, der jedoch nie seine Unterhaltungsabsichten verleugnet oder aus den Augen verliert und in starken Bildern sowie bis zum Finale in regelrechter Leichtigkeit die mathematische Unberechenbarkeit des Lebens belegt. Die damit einhergehende Desillusion wird gut kaschiert in einem sehr erwachsen wirkenden Endergebnis – um mit einem auch mathematisch verwendbaren Begriff zu schließen.

Prädikat: Unterbewertet. Q.e.d…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 25. Feb 2013, 21:17
von buxtebrawler
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Der Ghul
In den Zwanziger Jahren: Nach einer ausgelassenen Party in einem abgelegenen Landhaus, veranstalten zwei junge Pärchen ein kleines Autorennen in Richtung Küste. Einsetzender Nebel bringt sie vom Weg ab. Schließlich verschwindet ein Pärchen, der Mann wird tot aufgefunden. Die überlebenden Geoffrey und Angela versuchen den Todesfall aufzuklären und geraten an den seltsamen Dr. Lawrence (Peter Cushing), der in seinem Keller Schreckliches vor der Welt versteckt hält. Allerdings läßt es sich nicht mehr ewig zurückhalten und rennt bald amok...
„Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink vertragen.“ (ein höflicher Gastgeber: Mr. Lawrence)

„Der Ghul“ aus dem Jahre 1975, der mit dem gleichnamigen Film mit Boris Karloff nichts zu tun hat, ist neben „Die Legende vom Werwolf“ eine weitere Produktion der wenig bekannten britischen „Tyburn“, die es in Deutschland zu einer VHS-Veröffentlichung brachte. Erneut verfilmte der britische Erfolgsregisseur Freddie Francis („Frankenteins Ungeheuer“) damit ein Drehbuch Anthony Hinds‘ und wieder einmal konnte er auf Genre-Ikone Peter Cushing („Frankensteins Fluch“) zurückgreifen.

Die sorglosen 1920er-Jahre: Während einer dekadenten Party in einem Landhaus spinnen zwei junge Pärchen die Idee zu einem Autowettrennen. Man bricht auf und braust übers Land bis hin zur nebligen Küste – die so neblig ist, dass man sich verfährt und das Rennen aufgeben muss. Ohne so recht zu wissen, wo sie sich gerade befinden, wird einer der Männer tot aufgefunden. Dem anderen Pärchen geht das Benzin aus. Nach und nach geraten alle ins Haus des seltsamen ehemaligen Indien-Missionars Dr. Lawrence (Peter Cushing), der mit einem finsteren Gärtner (John Hurt, „Oxford Murders“) und einer indischen Haushälterin zusammenlebt – und ein furchtbares Geheimnis im Keller des Gebäudes verbirgt...

„Der Ghul“ beginnt zunächst einmal mit einer Definition, was so ein Ghul eigentlich ist. Dann schwenkt man über zur ausgelassenen Party, auf der die schicksalhafte Entscheidung getroffen wird, das Wettrennen durchzuführen, wobei sich eine blonde Protagonistin als besonders und unangenehm herrisch herausstellt. Mitten im Genreklischee angekommen ist man dann, wenn irgendwo im Nirgendwo der Kerl doch tatsächlich beschließt, mutterseelenallein im dichten Nebel loszustapfen, um Benzin zu holen – und seine Freundin daraufhin auf sich allein gestellt beginnt, im moorigen Wald herumzulatschen! Soviel Doofheit muss natürlich bestraft werden und so trifft sie auf einen mysteriösen Fremden, der wiederum sie trifft – mit einem Stein am Kopf. Er kidnappt sie, um sie davon abzuhalten, das Haus zu betreten. Diese wenig vertrauenserweckende Gestalt ist allerdings nicht der Ghul, sondern der Gärtner Mr. Lawrences. Die Dame kann sich befreien und wird von Lawrence ins Haus geladen.

So schwer nachvollziehbar die Handlung bis jetzt auch anmutet, gewinnt der Film doch schlagartig an Klasse, sobald Peter Cushing die Szenerie betritt. Ihm wurde einmal mehr eine Paraderolle auf den Leib geschneidert, indem er den verbitterten, alternden Gentleman spielen darf, der um seine Frau trauert. In seinem Charakter schwingt die Melancholie eines gebrochenen Mannes deutlich mit, er wirkt mehr mitleidserregend als bedrohlich. Von seinem dunklen Geheimnis ahnen seine sich nach und nach zu seinem Haus im Moorgebiet verirrenden Opfer nichts, und Lawrence hat keine Ahnung vom eigenen Spiel, das die indische Haushälterin und der Gärtner treiben. Von der titelgebenden Kreatur (Don Henderson, „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“) bekommt man zunächst lediglich den Unterleib und seinen zustechenden Arm zu sehen. Fortan bewegt sich die Handlung etwas arg langsam und bisweilen beliebig auf die finale Konfrontation mit dem Ghul in Lebensgröße zu, dessen grünes Antlitz nach dem ganzen Brimborium, das um ihn veranstaltet wurde, leider enttäuscht. Visueller Höhepunkt war vielmehr ein gemessen am Stil des Films sehr blutiger Mord, kurz bevor das Finale eingeläutet wurde.

Auf der Haben-Seite für sich verbuchen kann „Der Ghul“ jedoch eine atmosphärische Inszenierung mit vielen düsteren Bildern und einem durchgehend ernsten (wenn auch stellenweise unfreiwillig komischen) Ton, auf die er sich indes zu sehr verlässt. Gesellschaftliche Ängste vor exotischer Mystik sowie ein aus dem Kolonialismus rührender Schuldkomplex klingen im Subtext an und sind weiß Gott keine allzu schlechte Ausgangssituation für einen Horrorfilm; das sich daraus ergebende Potential wurde aber nur unzureichend genutzt. Letztlich sind es die Schauspieler, allen voran der ehrwürdige Peter Cushing, aber auch John Hurt sowie prinzipiell auch diejenigen, die die vier Wettrennen-Begeisterten verkörpern, wären ihre Rolle erinnerungswürdiger ausgefallen und ihre Charaktere interessanter konzipiert worden, die „Der Ghul“ leicht über den Durchschnitt hinaushieven Ein großer Wurf ist das sympathische Filmchen aber beileibe nicht geworden und somit in erster Linie für Briten-Grusel-, Freddie-Francis- oder Peter-Cushing-Komplettisten interessant.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 26. Feb 2013, 17:10
von buxtebrawler
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I.K.U. – This Is Not Love, This Is Sex
Reiko ist ein Cyborg. Ihr Job besteht darin, Daten für eine große Orgasmus-Datenbank zu sammeln. Ihr Arbeitgeber, die GENOM Corporation, will damit virtuelle Sex-Erlebnisse vermarkten. Als Reiko sich in einem Nachtclub mit dem rätselhaften “Tokyo Rose” Virus ansteckt, scheint ihre Mission mitsamt allen Daten verloren zu sein. Doch ein System-Restart und eine wilde Affäre mit dem Stricher Akira laden ihren I.K.U.-Chip wieder auf. (Inhaltsangabe von User Mirco)
„London funktioniert nur mit ISDN!“

Japan, 21. Jahrhundert: Die Genom Corporation wiederverwertet ihre Replikanten als Porno-Stars. Reiko ist ein solcher Cyborg der neuesten Generation, der durchs Nachtleben streift und sexuelle Erfahrungen sammelt, die auf eine „Bio-Disk“ gespeichert werden, Diese sollen später in Automaten als Mikrochips verkauft werden, damit jeder Interessierte die Sex-Abenteuer nacherleben kann. Außerdem kursiert eine Art Droge, die den Konsumenten sein intensivstes Sex-Erlebnis noch einmal fühlen lässt. Die Konkurrenz der Genom Corporation schläft nicht und versucht, mittels der Replikantin „Tokyo Rose“ die Genom-Cyborgs mit einem Virus zu infizieren.

Soweit zumindest theoretisch die sich dreist bei „Blade Runner“ bedienende Handlung dieses eigenartigen japanischen Cyberpornos aus dem Jahre 2000, der unter Regie der Videokünstlerin Shu Lea Cheang entstand. „Theoretisch“ deshalb, weil sie praktisch im fertigen Film höchstens erahnbar ist. Reichlich kurz eingeblendete englische Texttafeln liefern ein paar dieser Hintergrundinformationen, die ansonsten äußerst lose eine viele Bereiche sexueller Vorlieben abdeckende Abfolge mehr oder weniger pornographischer Szenen miteinander verbinden. So ambitioniert und nicht unbedingt uninteressant diese „Virtual Reality“-Story auch klingen mag, letztlich hat sie mit dem Resultat nicht viel zu tun und scheint eine pornotypische Alibifunktion zu erfüllen. Dialoge gibt es wenige und wenn, sind diese einsilbig und verzichtbar sowie zudem in japanisch-englischem Mischmasch gehalten, was die Sache unnötig verkompliziert.

In Digitalvideo-Optik und abweisender, kalter, künstlicher Plastikästhetik deckt die gestaltenwandlerische Reiko (tatsächlich wurde natürlich mit verschiedenen Darstellerinnen gedreht) mit ihren episodenhaften Erlebnissen die Bereiche Hetero- wie Homo-Sex, Bondage, Transsexualität, Selbstbefriedigung etc. ab, für die mit hektischen Bildabfolgen, grell-neonbunten Farben und allerlei Science-Fiction-artigen Computeranimationen gearbeitet wird, darunter unfreiwillig Komisches wie die computergenerierte Innenansicht einer Vulva, in die ein ebenfalls computergenerierter Penis eindringt. Allzu Explizites wird mittels hochgradig nervender Verpixelung wegzensiert, was jedoch nur selten vorkommt, da „I.K.U.“ auch in den Sexszenen kein herkömmlicher Porno sein möchte, sondern seiner fragwürdigen Ästhetik folgt und fröhlich zwischen Soft- und Hardcore schwankt, vieles nur andeutet, anderes kurzzeitig in voller Pracht zeigt – eine klare Linie oder ein bestimmter Stil sind nicht erkennbar. So ansehnlich manch Darstellerin auch ist, so nur schwer genießbar ist das Herumgepoppe, das weitestgehend entmenschlicht und synthetisch wirkt – was jedoch wiederum sicherlich im Interesse der Regisseurin liegt, eventuell sollte dadurch Kritik an einer Sex-Industrie geäußert werden. Was auch immer die Beweggründe waren, letzten Endes ist die Art der Inszenierung für den gemeinen Pornoästheten sicherlich ebenso wenig befriedigend wie für den Science-Fiction-Freak, der um die vorgegaukelte Handlung glatt betrogen wird.

Vielleicht soll „I.K.U.“ Kunst sein, die viel zu elitär ist, um sich mit so etwas Profanem wie dem Zuschauer zu beschäftigen. Vielleicht bedient man aber auch einen ganz speziellen Fetisch, von dem ich bisher noch nichts wusste. Aus meiner Sicht, die erotischen Experimenten durchaus aufgeschlossen gegenübersteht, ist „I.K.U.“ aber das filmgewordene Äquivalent zur Stumpfelektrodisco – nicht zuletzt durch den unablässig dudelnden, furchtbaren Technokacke-Soundtrack –, ein Trip in eine gleichförmige, langweilige, synthetische Welt bar jeden Höhepunkts, jeder Emotion, jeder Seele; und das eben nicht nur als filmisches Stilmittel, sondern als gewollte (?) Form des dadurch nahezu reizlosen, abweisenden Gesamtwerks, das damit höchstens für jeder Realität entrückte, sedierte Chemie-Junkies erträglich scheint. Dank der zumindest im Ansatz spannenden Vorstellung perfekter Sex-Cyborgs und einiger unter etwas anderen Umständen sicherlich sehr erotischer Darstellerinnen springen bei mir zumindest noch drei Pünktchen heraus.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Feb 2013, 20:12
von buxtebrawler
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Tron
Alan Bradley (Bruce Boxleitner) arbeitet unter Leitung von Ed Dillinger (David Warner) für die Firma ENCOM. Als Bradley bei seiner Arbeit Zugriffsrechte für die Programmierung entzogen werden, sucht er gemeinsam mit seiner Freundin Lora (Cindy Morgan) einen Weg, um wieder an sein Sicherheitsprogramm TRON zu gelangen. Dazu begeben sich Alan und Lora zu Kevin Flynn (Jeff Bridges), Loras Ex-Freund. Flynn war einer der kreativsten Köpfe bei ENCOM, ehe er entlassen wurde. Kevin ist der Meinung, dass ihm Dillinger seine Programme, mit denen ENCOM riesige Gewinne macht, gestohlen hat. Nur wenn er irgendwie an die originalen Daten in ENCOMs Zentrale gelangen könnte, wäre es ihm möglich, den Diebstahl nachzuweisen. So begeben sich die drei in die Firma und stellen schnell fest, dass das Master Control Program (kurz MCP) die eigentliche Macht zu besitzen scheint. Da geschieht das Unglaubliche: Flynn wird vom MCP in die Welt der Bits und Bytes gebeamt. Hier trifft Flynn unter anderem auf das Programm TRON, mit welchem er sich aufmacht, sein Ziel zu erreichen…
„Macht’s euch Spaß, hier unten einfach Dinge zu desintegrieren?“ – „Nicht zu desintegrieren, Alan, zu digitalisieren. Der Laser absorbiert die Mokularstruktur des Objekts. Doch die Moleküle werden durch den Laserstrahl gespeichert. Und wenn der Computer das Modell dann wieder ausspeichert, fallen die Moleküle wieder an ihren Platz. Voilà!“ (etwas Technik-Gebrabbel gefällig?)

Als Disney im Jahre 1982 mit dem ambitionierten Virtual-Reality-Science-Fiction-Film „Tron“ ganz neue Möglichkeiten des Mediums in visueller Hinsicht auslotete, konnte die seinerzeit wenig computerisierte Zielgruppe noch nicht allzu viel mit dem Ergebnis anfangen, die Zuschauer im Kindesalter schon gar nicht. Dabei war es in der Tat bahnbrechend, was unter der Regie Steven Lisbergers entstanden war, doch erschien die Handlung in einem Zeitalter, in dem der Homecomputer seinen Siegeszug in die Privathaushalte noch nicht vollzogen hatte, vermutlich weitestgehend abstrakt:

Alan Bradley (Bruce Boxleitner, „Schattenreich des Todes“), der als Programmierer für die Firma Encom arbeitet, werden plötzlich die Zugriffsrechte entzogen, sein Sicherheitsprogramm „Tron“ scheint futsch. Daraufhin kontaktiert er den Ex-Freund seiner Lebensgefährtin Lora (Cindy Morgan, „Creeps – Eine unheimliche Geisterstunde“), Kevin Flynn (Jeff Bridges, „The Big Lebowski“). Der ehemalige Encom-Angestellte möchte seinen Arbeitgeber des Diebstahls seines geistigen Eigentums überführen, indem er im Großrechner des Unternehmens nach Beweisen sucht, dass dieser seine Spielideen gestohlen und selbst vermarktet hat. Zu dritt dringt man bei Encom ein und trifft auf das Master Control Program (MCP). Jenes entpuppt sich allerdings als mittlerweile so leistungsstark und mächtig, dass es Flynn kurzerhand dematerialisiert und als Programm in den Großrechner aufnimmt. Im Cyberspace angekommen erfährt Flynn, dass sich dort zahlreiche andere Programme tummeln, die ihren Anwendern verdammt ähnlich sehen und reden und agieren wie Menschen, ja, gar über eine erstaunlich breite Emotionspalette verfügen. Sie wurden zum Abschuss durch das MCP und dessen Schergen (= bösartige Programme) freigegeben, da er einen alleinigen Machtanspruch verfolgt und Unabhängigkeit von menschlichen Anwendern anstrebt. So kommt es von der Außenwelt unbemerkt zu gefährlichen Duellen, im Rahmen derer auch Flynn vernichtet werden soll. Doch dieser setzt sich zur Wehr – wird er zusammen mit dem Programm „Tron“ etwas gegen den MCP ausrichten können? Und wird er wieder als menschliches Wesen in die Welt, wie er sie kannte, zurückkehren?

„Computer sind immerhin nur Maschinen und können nicht denken.“ – „Manche Programme werden bald denken können!“ – „Na, das wird ja phantastisch! Computer und Programme können denken und die Menschen hören ganz damit auf...“ („Tron“ visionär: Auch ohne MCP bei Facebook längst Realität)

Auch mir ging es im zarten Alter von acht oder neun Jahren noch so, dass ich – da ich von der Computerwelt noch keinen Schimmer hatte – „Tron“ zwar durchaus als visuell beeindruckendes Werk wahrnahm, mit der Vermenschlichung des Computer-Innenlebens jedoch nichts anzufangen wusste und die zahlreichen Parallelen zur Funktionsweise von Computern nicht verstand. Dadurch erschien mir „Tron“ mystisch und verwirrend, obwohl der Film dies gar nicht beabsichtigte. Eigentlich ist die erzählte Geschichte sogar recht simpel und handelt vom klassischen Gut-gegen-Böse-Kampf, ohne sonderlich viel Substanz und Ambivalenz; höchstens die Stimulanz menschlicher Ängste vor sich verselbständigender, mächtiger Technologie könnte man attestieren. Ein klassisches Abenteuer, eingebettet in einen technokratischen Vorreiter der computergenerierten Spezialeffekte, das damalige Möglichkeiten voll ausreizte und auf speziellen Hochleistungsrechnern entwickelt werden musste. Ergebnis ist neben einem durchaus damaligen Vorstellungen vom „Cyberspace“ entsprechenden, durchgestylten Innenleben des Computers, in dem sich der Großteil der Handlung abspielt, eine ungefähr 15-minütige, damals vollkommen neuartige und erstaunliche rein am Computer entstandene, virtuelle Sequenz sowie die in diesem Ausmaße anschließend nie mehr erfolgte Anwendung der „Backlit-Animation“, durch die die grauen Charaktere mit ihren neonbunten Leuchtstreifen auf nur Platz fürs Gesicht lassenden Anzügen verwirklicht wurden. Dieses spezielle Erscheinungsbild, die visionäre dreidimensionale Videospielästhetik des Films, kann sich noch immer sehr gut sehen lassen, wurde zum faszinierenden Erkennungszeichen und Alleinstellungsmerkmal und findet ihren Höhepunkt im atemberaubenden Lightcar-Rennen. Damit nimmt „Tron“ eine Pionierstellung ein, was die Verwendung modernster computergenerierter Spezialeffekte und virtueller Welten betrifft, wie sie fortan immer häufiger in hochbudgetierten Science-Fiction-Produktionen anzutreffen waren und bis heute sind. (Wohlweislich meine ich damit keine CGI-Monster irgendwelcher Horrorproduktionen, die quasi nie mit ihren wesentlich plastischeren handgemachten Modell-Konkurrenten mithalten können.)

Die Dialoge stecken voller Anspielungen auf die Informationstechnologie – so kann ein Bit beispielsweise ausschließlich mit „ja“ oder „nein“ antworten –, was sich bis hin zu witzigen religiösen Metaphern erstreckt, wenn die Programme ihre „User“ als Götter verehren. Um Verständnis für die Abläufe innerhalb eines Computers zu wecken, ist „Tron“ sicherlich nicht geeignet, dafür ist es umso putziger, Programme Energie wie aus einem Fluss trinken zu sehen. Doch bei allem Spaß, den „Tron“ mit entsprechenden Vorkenntnissen auch macht, ist längst nicht alles 100%ig gelungen. So stört beispielsweise das, nun ja, recht trashige Aussehen des MCP die ansonsten bis in Details so stilsichere Optik des Films ein wenig; vor allem aber ist es die Handlung, die – wie es bis heute ein so häufiges Symptom derart aufwändig produzierter, stark auf visuelle Computerarbeit setzender Produktionen ist – bisweilen doch etwas sehr profan wirkt und hinter der Bilderflut eindeutig die zweite Geige spielt. Rechte Spannung kommt daher nicht auf und es kann sich demnach sogar ein wenig Gleichgültigkeit dem Geschehen gegenüber einstellen, hat man sich erst einmal sattgesehen. Schauspielerische Leistungen stehen ergo ebenfalls nicht im Vordergrund, fallen aber durch die Bank zweckmäßig bis gut aus. Der für das Entstehungsjahrzehnt so typische Synthesizer-Soundtrack von Wendy Carlos weiß ebenso zu gefallen wie die gitarrenbetonten Stücke der Classic-Rocker „Journey“.

Im Jahre 2013 ist es alles in allem ein besonderes Vergnügen, sich „Tron“ anzuschauen, denn der ehemals so futuristische Film wirkt heutzutage nostalgisch und entfaltet einen naiven Charme ob seiner Vermenschlichung und Verniedlichung der technischen Abläufe innerhalb des Computergehäuses. Da seine verwendete Technik währenddessen noch immer zu faszinieren weiß und recht gut gealtert ist, ergibt sich daraus ein besonderes Filmerlebnis, das im Laufe der Jahrzehnte auf diese eigenwillige Weise gereift ist.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Feb 2013, 23:52
von buxtebrawler
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Der Rasenmäher-Mann
Der geschasste Wissenschaftler Dr. Lawrence Angelo (Pierce Brosnan) benutzt den halbdebilen Gärtner Jobe (Jeff Fahey) illegal als Testperson für eine intelligenzfördernde Droge. Als Lernprogramm arbeitet er mit Jobe in einer künstlichen Realität, die man selbst formen kann. Das Experiment zeigte gute Erfolge, doch das wachsende Wissen weckt in Jobe eigene Ideen über sein künftiges Schicksal.
„Die virtuelle Realität ist der Schlüssel zur Entwicklung des menschlichen Bewusstseins!“

Da die Produzenten von „New Line Cinema“ die Filmrechte an Stephen Kings Kurzgeschichte „Der Rasenmäher-Mann“ besaßen, reicherten sie das ursprünglich unter dem Titel „Cyber God“ verfasste Drehbuch von Brett Leonard und Gimel Everett mit einigen wenigen Bezügen zu Kings Geschichte an und vermarkteten den 1992 unter der Regie Leonards („Dead Pit“) in US-amerikanisch-britisch-japanischer Koproduktion entstandenen Film als „Stephen King’s Lawnmower Man“, wogegen King mehrmals und letztlich erfolgreich klagte. Die Produzenten leisteten auch der Reputation des Films damit einen Bärendienst, denn das Publikum verglich den Beitrag zum Science-Fiction-Genre fortan mit Kings Geschichte und musste zwangsläufig enttäuscht werden. Seither wird der Film sehr gemischt aufgenommen, oftmals wird harsche Kritik laut. Dabei gibt die Handlung eigentlich einiges her:

Dr. Angelo (Pierce Brosnan, „GoldenEye“) experimentiert im Auftrag des US-Militärs an einem Schimpansen mit Drogen zur Leistungssteigerung, um einen neuartigen Soldatentypus zu erschaffen. Doch das Versuchstier flieht eines Tages und läuft direkt in die Hände des geistig zurückgebliebenen Jobe (Jeff Fahey, „Psycho III“). Dr. Angelos Auftragsgeber erschießen das Tier, doch Angelo lernt den einfältigen Jobe, der sich bislang quasi ausschließlich für seinen Job als Rasenmäher interessierte, näher kennen und führt seine Experimente zunächst spielerisch und ohne militärische Ausprägung sowie ohne Regierungsaufsicht an ihm fort. Nach einiger Zeit stellen sich tatsächlich faszinierende Erfolge ein, was Angelos ehemalige Arbeitgeber wieder auf den Plan ruft. Noch immer besessen von der Idee, eine perfekte Killermaschine zu schaffen, jubeln sie Jobe eine Substanz unter, die nicht nur seine Intelligenz, sondern auch seine Aggressivität steigert. Jobe, mittlerweile zu Telepathie und Telekinese fähig, gerät außer Kontrolle und wird zu einer ernstzunehmenden Gefahr, der kaum noch etwas entgegenzusetzen ist...

„Willst du mitten in der Nacht Rasenmähen?“

In einer Zeit, in der sich die Bevölkerung mittels Personalcomputern immer mehr technisierte, ein stärkeres Bewusstsein für technische Möglichkeiten entwickelte und der Faszination von leistungsstarken, computergenerierten virtuellen Welten erlag, wollte „Der Rasenmäher-Mann“ eigentlich ganz etwas anderes sein als die Verfilmung einer grotesken Kurzgeschichte eines Horrorautors aus dem Jahre 1970, nämlich ein modernistischer, visuell neue Maßstäbe setzender Science-Fiction-Thriller und wurde u.a. beworben als „Deutschlands (?!) erster Virtual-Reality-Film“. Tatsächlich ist „Virtual Reality“ als Modebegriff Thema des Films, jedoch in weitaus geringerem Maße, als man demnach annehmen konnte – sicherlich ein weiterer Grund für die missverständliche Resonanz des Publikums. Anstelle eines Cyber-Thrillers der Marke „Tron für Erwachsene“ handelt es sich nämlich um einen über weite Strecken herkömmlich erzählten und umgesetzten phantastischen Film, der eine grauenhafte Gefahr in eine verschlafene US-amerikanische Kleinstadt trägt. Der aufgeschlossene und von einer irreführenden Erwartungshaltung weitestmöglich befreite Zuschauer wird Zeuge, wie Pierce Brosnan rückblickend betrachtet in anerkennungswürdiger Weise gegen sein Bond- und Sunnyboy-Image anzuspielen scheint, das er damals natürlich noch gar nicht hatte, und ein wandlungsfähiger Jeff Fahey vom Einfaltspinsel zu Super-Jobe wird, zumindest im überlangen Director’s Cut durchaus ruhig und feinfühlig innerhalb einer Handlung konstruiert, die deutliche Kritik an Autoritäten, Militär, Gewalt und der Wissensfeindlichkeit und Geldgier der Kirche übt.

So richtig wird die Spezialeffekt-Kiste im Zusammenspiel mit Gewalt eigentlich erst nach fast 100 Minuten (Director’s Cut...) geöffnet, in Form einer leider eher misslungenen Illusion eines brennenden Priesters. In dieser Hinsicht an Fahrt gewinnt „Der Rasenmäher-Mann“, wenn der Allmachtsphantasien erlegene Jobe seine Gegenspieler per Telepathie/-kinese beseitigt oder in Pixel auflöst. Und dann wäre da natürlich die beschworene „Virtual Reality“, die durch eine Vorrichtung in Dr. Angelos Labor betretbar ist (und die auch schon wesentlich früher in die Handlung integriert wurde) und auf deren Ebene die Auseinandersetzungen irgendwann verlagert werden. In der Tat leisteten hier moderne Computer viel Arbeit für die Erschaffung dieser rauschartigen virtuellen Realität, die in kunterbunten Farben Zeit, Raum und Physik außer Kraft setzt und damit Bilder präsentiert, wie sie sich Computer- und Videospieler für die Objekte ihrer Begierde erhofften, da sie in ihrer Flüssigkeit die zukünftigen Möglichkeiten von Computeranimationen aufzeigten. Andererseits schlugen in den zwei Jahren zuvor bereits hochbudgetierte Filme wie „Total Recall – Die totale Erinnerung“ und „Terminator 2“ in weitaus subtilerer, weniger selbstzweckhafter Art genau diese Richtung ein, in deren Fahrwasser „Der Rasenmäher-Mann“ bestimmt gern rezipiert werden wollte. Dazu hat es dann auch mit dem offenen Ende und der eigenartigen Pointe nicht ganz gereicht, denn dafür fehlte es einfach an den ganz großen Bildern, an einer atemberaubenden, entschiedener auf den Punkt kommenden Dramaturgie und einer eindeutigeren, konsequenteren Science-Fiction-Stimmung sowie bestimmt auch mehr Action, ohne die die visuelle Technikdemonstration ein wenig verloren wirkt und Gefahr läuft, rein für sich betrachtet im Zuge des rasenden Fortschritts in diesem Bereich schnell überholt zu wirken.

Mit dem mittlerweile großen zeitlichen Abstand empfinde ich „Der Rasenmäher-Mann“ jedoch als interessantes Stück Zeitgeschichte, das verglichen mit o.g. Beispielen auf meines Erachtens nicht unangenehme Weise weitaus weniger durchdesignt erscheint (ja, ich mache gerade aus der Not eine Tugend) und mit seinen sympathisch wirkenden Hauptdarstellern eine passable Alternative für Schwarzenegger-Skeptiker darstellen kann.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 2. Mär 2013, 00:19
von buxtebrawler
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Ein Tolpatsch auf Abwegen
Der Werbefotograf François (Pierre Richard) will Filmregisseur werden und schreibt mit seinem Freund Mercier (Henri Guybet) ein Drehbuch. Erst haben die beiden Probleme einen Produzenten für den anspruchsvollen Film zu finden, werden dann aber doch noch fündig. Allerdings hat die Sache einen Haken, denn der Produzent will aus dem Stoff einen Pornofilm machen. Mercier ist strikt dagegen, aber François will unbedingt einen Film machen und beginnt hinter dem Rücken seines Freundes mit den Dreharbeiten. Problematisch ist nur, dass Mercier der Tochter seines Chefs die Hauptrolle in dem „Liebesfilm“ versprochen hat und dass François´ Frau Christine (Miou-Miou) sich querstellt und ihren Mann daran hindern will einen Porno zu drehen...
„Was sind schon 46 Minuten Sex in einem eineinhalbstündigen Film?!“

Die französische Komödie „Ein Tolpatsch auf Abwegen“ von Regisseur Georges Lautner („Der Profi“) aus dem Jahre 1976 und mit Komödien-Star Pierre Richard („Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“) in der Hauptrolle nimmt die Filmbranche bzw. ihren Porno-Ableger aufs Korn.

Der glücklose Werbefotograf Francois (Pierre Richard) ist genervt und angeödet von seinem Beruf und fühlt sich zu Höherem berufen. Zusammen mit seinem Freund Mercier (Henri Guybet, „Der große Blonde kehrt zurück“) hat er ein Drehbuch verfasst und ist auf der Suche nach einem Produzenten. In Morlock (Jean-Pierre Marielle, „Sturmtruppen“) findet er einen Interessenten, doch ist diesem das Buch zu anspruchsvoll: Er möchte viel lieber einen Porno daraus machen und er hat auch schon einem Namen dafür: „La Vaginale“. Mercier ist strikt dagegen, doch Francois lenkt widerwillig ein – ohne Merciers Wissen... Er boxt die entsprechenden Drehbuchänderungen an seinem Freund und seiner Frau Christine (Miou-Miou, „Themroc“) vorbei durch und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Direkt zu Beginn zeigt „Ein Tolpatsch auf Abwegen“ eindrucksvoll, weshalb der Beruf des Werbefotografen nicht unbedingt erstrebenswert ist und weckt Verständnis für Francois, als eine Fliege die Käsefotografie empfindlich stört und ins Chaos stürzt. Kein Wunder also, dass er sich nach einer beruflichen Veränderung sehnt. Dennoch hadert er mit seiner schicksalhaften Entscheidung, die Ursache vieler Turbulenzen ist. So hat Mercier zum Beispiel nichts ahnend der Tochter seiner Chefin eine Rolle im Film versprochen. Doch damit nicht genug: Als seine attraktive Freundin Christine von der Sache Wind bekommt, will sie Francois ein Schnippchen schlagen und bewirbt sich als Darstellerin für den Film, ohne dass Morlock von ihrer Beziehung zu Francois weiß.

Daraus ergibt sich die Situationskomik des Films, der karikativ überzeichnet sowohl Filmproduzenten aufs Korn nimmt, die fürs schnelle Geld „Schmuddelfilme“ drehen und an wahren Inhalten schlicht überhaupt nicht interessiert sind, als auch die bizarre Stimmung der Vorbereitungen eines Pornodrehs, in die plötzlich arglose Biedermänner ebenso involviert sind wie zugeknöpfte Entscheidungsträger und Geldgeber. Doch über weite Strecken ist „Ein Tolpatsch auf Abwegen“ nur wenig lustig, stattdessen eher tragisch und dramatisch – was ihm sehr gut tut und Richard auch einmal von einer nur marginal klamaukigen Seite zeigt. So entwickelt man im Laufe der Handlung Verständnis für Francois und Christine und für die Versuche, Kompromisse zwischen allen Parteien zu finden. Zwar hat auch „Ein Tolpatsch auf Abwegen“ seine schlüpfrige Seite, doch wenn Christine nackt beim Darsteller-Casting die Blicke über sich ergehen lassen muss, fließen Tränen. Offensichtlich wollte man Erotikfilme nicht per se verdammen, denn zahlreiche weibliche Nackedeis bestimmen ebenso die Szenerie wie der kritische Blick auf die Pornoindustrie. Ein männlicher Porno-Darsteller freut sich darüber, „mal nicht bumsen zu müssen“ und übt damit subtil Kritik an Erwartungshaltung und Leistungsdruck, der Reduktion sexueller Lust auf eine Ware, während „im großen Finale“ sozusagen alles drunter und drüber geht und der Film zurückkehrt zu absurdem, übertriebenem – dabei komischem – Humor.

„Ein Tolpatsch auf Abwegen“ wird durchgehend spannend aufgebaut, da man als Zuschauer nie weiß, wie das alles ausgehen wird – und wie weit der Film gehen wird. Das ist nicht selbstverständlich für ältere Komödien und trägt entscheidend zum sehr positiven Gesamteindruck bei. Eine mutige, sich eindeutig an ein erwachsenes Publikum wendende Komödie mit teils derber Wortwahl, die gut gespielt den Grenzbereich zwischen harmloser Komik und provokantem Tabubruch auslotet, indem sie sich über eine tabulose Branche lustig macht.

7,5 von 10 Punkte

P.S.: Irritiert hat mich ein Dialog Merciers mit seiner Chefin, in dem er ihr eine Terrorismus-Geschichte auftischt und sie daraufhin von einer „gerechten Sache“ spricht...?! Oder ist Verständnis für gewaltsame, radikale Umwälzungen typisch für Arbeitgeber im Land der französischen Revolution?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 4. Mär 2013, 01:01
von buxtebrawler
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Subspecies
Die Studentinnen Michelle und Lilian reisen nach Transsylvanien, um dort Nachforschungen für ihre Examensarbeit über Vampire anzustellen. Sie übernachten in der berüchtigten Burg des Grafen Dracula. Ganz in der Nähe befindet sich eine verfallene Burgruine, wo der Vampir Raduh und seine Helfer ihr Unwesen treiben. Die Mädchen werden durch die Kreaturen der Hölle in einen Strudel von Blut und Gewalt gerissen.
„Die Vampire töteten die Türken!“ (Amerikanerinnen bekommen Geschichtsunterricht)

Im Jahre 1991 startete US-Produzent Charles Band für seine „Full Moon Pictures“-B-Movie/Direct-to-Video-Schmiede unter der Regie Ted Nicolaous („Lucky Luke – Der neue Film“) mit „Subspecies“ eine bis dato vierteilige Vampir-Horrorfilmreihe, die sich an klassischen Genre-Vorbildern orientiert, aber auch moderne Aspekte einzubringen versucht.

Die US-amerikanischen Studentinnen Michele (Laura Tate, „Dead Space - Galaxis des Grauens“) und Lillian (Michelle McBride, „Riptide“) verschlägt es nach Transsylvanien, wo sie für ihre Examensarbeit forschen wollen. Sie suchen die Burg des berüchtigten Grafen Dracula auf und stoßen auf den blutrünstigen Vampir Radu (Anders Hove, „Idioten“), der mittels des Blutsteins seines Vaters zu mehr Macht gelangen will. Doch ein friedliebender, freundlicher Vampir (Michael Watson, „Black Scorpion“) eilt ihnen zu Hilfe, der sich als Radus ungleicher Bruder entpuppt...

„Subspecies“ beginnt mit einem Wechselbad der Gefühle für den Zuschauer: Während sich Freunde des europäischen (Gothic-)Kinos an den rumänischen Originalschauplätzen erfreuen können und eine Fahrt mit einem Trabant ostalgische Gefühle weckt, sind bereits die Dialoge inhaltlich eher fragwürdiger Natur. Fast schon abgeschrieben hätte ich den Film dann, als Radus schlecht nachträglich in den Film eingefügte Helferlein, putzige kleine Teufelchen, mehr belustigten, als gruselig oder gefährlich zu wirken. Doch das wäre etwas vorschnell gewesen, denn obwohl die Handlung lange Zeit frei von Höhepunkten und recht langweilig vor sich hindümpelt und das ganze Gelaber vom Blutstein und allem, was damit zusammenhängt, ziemlich uninteressant ist, kann man mit dem einen oder anderen durchaus punkten: Das Ambiente ist stimmig und trägt positiv zur Atmosphäre des Films bei, die zumindest jeweils so lange besteht, bis die schlechten Helferlein-SFX sie wieder zerstören, und das Erscheinungsbild Radus wurde zwar recht eindeutig bei Max Schreck aus „Nosferatu“ entlehnt, was sich aber trotz der langen Gummifinger nicht als die schlechteste Inspirationsquelle erweist: Anders Hove als Radu ist zeitweise tatsächlich ernstzunehmen.

„Es wird mir ein so süßes Vergnügen bereiten... sie hier vor dir zu schänden – im Blickfeld deiner dünkelhaften Arroganz!“ (Radu versteht es, sich auszudrücken)

In Minute 53 bekommt man etwas entblößte weibliche Oberweite zu Gesicht, was – nennt mich ruhig Chauvi – wie ein willkommener Farbtupfer, wie die Chilischote in einem bis dahin eher faden Gericht wirkt. Denn über weite Strecken erinnert „Subspecies“ an Valium-Prinzen, die in immer gleichem Tonfall und Tempo eine ach so spannende Geschichte herunterrattern; leider erinnerte man sich bei „Full Moon“ nicht daran, dass man – gerade als Low-Budget-Klitsche – mangelndes erzählerisches Vermögen gern mal mit etwas Humor und/oder Augenzwinkern kaschieren darf. Doch „Subspecies“ gibt sich vollkommen ernst und humorlos... Im letzten Drittel aber geht’s aufwärts: Das schöne Bild einer leckeren barbusigen Vampirin, die angekettet in der Burg verharrt, wird immer wieder aufgegriffen, eine Bissszene mit dem geifernden und sabbernden Radu wird hübsch eklig eingefangen und ausgekostet sowie ein Kopf explizit, jedoch reichlich unblutig abgeschlagen. Bis zum düster-romantischen Schluss bekommt man also zumindest etwas fürs Auge geboten, was in sicherlich unbeabsichtigtem und dadurch irgendwie witzigem Kontrast zum weibischen Liebesgeplänkel steht, das der Film aufzufahren versucht, jedoch lange vor „Twilight“ damit scheiterte.

Der möchtegern-folkloristische Teil des Soundtracks nervt ebenso wie die billig klingende Synthesizer-Hintergrundbeschallung. Schauspielerisch geht die Leistung der Darsteller für eine Produktion wie diese in Ordnung, hier etwas Over-, dort etwas Underacting, Angus Scrimm („Das Böse“) ist dabei. Und kurz bevor die Kulissen und Landschaften sich so sehr abnutzen, dass sie die Kameraarbeit als niemals mehr als solide-unauffällig entlarven und man sich ernsthafte Fragen nach dem Kreativgehalt des Films stellen könnte, ist er dann auch schon vorbei. „Subspecies“ reiht sich damit im gesicherten B-Movie-Mittelfeld ein, allerdings ohne größere Ambitionen auf die vorderen Plätze.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 5. Mär 2013, 12:25
von buxtebrawler
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Das Spielzeug
Der Journalist François Perrin (Pierre Richard) besucht wegen eines Artikels die Filiale einer führenden und großen Spielzeugkette und wird vom verwöhnten Sohn des Konzernchefs und Millionärs Pierre Rambal-Cochet (Michel Bouquet) zum neuen Spielzeug auserkoren. Aus Angst vor dem Einfluss des Großindustriellen drängt der Zeitungsbesitzer und Chef von François diesen, in die Villa des Moguls einzuziehen und dort als Spielzeug für den Millionärssohn zu fungieren. François sagt zähneknirschend zu und freundet sich nach anfänglichen Querelen sogar mit dem kleinen Eric an und versucht nun die despotische Lebensart seines mächtigen Vaters öffentlich zu machen.
„Der braucht nur ‘ne Tracht Prügel, dann ist er wieder in Ordnung!“ (Erziehung à la Perrin)

Der französische Regisseur Francis Veber drehte in den 1980er-Jahren gleich drei Filme mit Komödienstar Pierre Richard („Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“) und Gérard Depardieu („Asterix & Obelix gegen Caesar“), darunter meinen persönlichen Richard-Favoriten „Ein Tolpatsch kommt selten allein“ alias „Der Hornochse und sein Zugpferd“. Vebers erste Zusammenarbeit mit Richard stammt allerdings noch aus dem Jahre 1976 und ist die Komödie „Das Spielzeug“, damals noch ohne Depardieu an Richard Seite.

Journalist François Perrin (Pierre Richard) hat endlich eine neue Anstellung bei einer großen Zeitung gefunden. Einer seiner ersten Wege im neuen Job führt ihn in einen Spielzeugladen, wo er durch Zufall vom Sohn des millionenschweren Konzernchefs entdeckt und als neues Spielzeug auserkoren wird. Aus Angst, gleich wieder seinen Job los zu sein, lenkt er widerwillig ein und zieht mit in die Villa des Verlegers ein. Mit der Zeit freundet er sich mit dem kleinen Eric an und arbeitet mit ihm zusammen an einer Enthüllungsstory über dessen Vater…

Wie so häufig handelt es sich auch bei „Das Spielzeug“ um keine plumpe, rein der oberflächlichen Unterhaltung verpflichtete Komödie, sondern um einen zunächst einmal recht bissigen Kommentar zur damaligen Beschäftigungssituation, der die grassierende Angst vor Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Abhängigkeit von Arbeitgebern ebenso kritisiert wie entsolidarisierte Belegschaften, die sich ängstlich an ihre Arbeitsstelle klammern, statt den Mund aufzumachen, wenn – wie in diesem Falle beispielsweise wegen schwitziger Hände – willkürlich verdiente Mitarbeiter urplötzlich entlassen werden. Die Macht der besitzenden und herrschenden Klasse, die mit einer Verschärfung und zunehmender Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt einhergeht und steigt, wird satirisch aufs Korn genommen, z.B. wenn der Präsident des Konzerns von der Belegschaft empfangen wird wie ein König von seinem Hofstab.

Gleichzeitig stimmt die mit etwas Slapstick angereicherte, aber nie allzu alberne, viel mehr ungewohnt ernste Handlung nachdenklich in Bezug auf die immer offensichtlicher werdende emotionale Vereinsamung des trotz reichen Elternhauses nur scheinbar verwöhnten Erics und die Gründe dafür: Fehlende Zeit und Liebe seitens der Eltern. Diese emotionale Karte wird gegen Ende so richtig ausgespielt und macht aus „Das Spielzeug“ einen anrührenden, aber nicht rührseligen Film. Letztlich hat die erzwungene Liaison sowohl den jungen Eric, als auch François menschlich weitergebracht, sie reifen lassen. Die gemeinsame Sache, die sie miteinander ausgeheckt haben und das Privatleben des Medienmoguls in bester enthüllungsjournalistischer Art an die Öffentlichkeit bringen soll, ist gleichzeitig als Fingerzeig in Richtung der Journalie zu verstehen, als Mahnung, die zugleich die Möglichkeiten zur Einflussnahme durch guten Journalismus aufzeigt.

Pierre Richards nach „Eine Wolke zwischen den Zähnen“ zweite Hauptrolle als Journalist – diesmal seriöser Natur – hört kurioserweise wie in den originalen „Der große Blonde“-Filmen auf den Namen François Perrin und zeigt ihn einmal mehr als in die unmöglichsten Situationen geratenden Pechvogel, aber auch, dass Richard sehr gut in der Lage ist, sein Spiel zugunsten einer ernsteren Ausrichtung gekonnt zu variieren. Jungmime Fabrice Greco als Eric zieht prima mit (anscheinend sollte es aber seine einzige Rolle als Schauspieler bleiben) und Michel Bouquet („Die Braut trägt schwarz“) gibt einen wunderbar despotischen Stinkstiefel ab. Lediglich das sehr abrupte und damit seltsame, in seiner unbestimmten Offenheit jedoch durchaus Sinn ergebene Ende irritiert. Eine lustige Pointe aber hätte man hier gern noch anbringen dürfen.