Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Mi 6. Mär 2013, 00:22

Das Millionenspiel
„Meine Grundeinstellung dazu ist: Wenn einer ins Wasser springen will, dann soll man ihm keinen Kahn kaufen.“Lotz ist Kandidat beim Millionenspiel, einer Live-Show, wo er von drei Profikillern gejagt wird und eine Woche lang überleben muss, um den Preis von einer Millionen Mark zu gewinnen. Doch das ganze ist kein Spiel: Die Killer schießen mit echten Patronen und haben den Auftrag, während dieser Zeit Lotz zu töten. Erst wenn er es ins Studio geschafft hat, ist er in Sicherheit. Die komplette Jagd wird via Kameras live übertragen...
„Das Millionenspiel“ ist eine in vollkommenem Ernst präsentierte TV-Satire aus dem Jahre 1970, dessen Drehbuch aus der Feder Wolfgang Menges („Ein Herz und eine Seele“) stammt, das wiederum auf der Kurzgeschichte „The Prize of Peril“ des US-amerikanischen Schriftstellers Robert Sheckley basiert. Die Regie führte Tom Toelle („Der Trinker“). Es handelt sich um die erste Verfilmung einer medialen Menschenjagd-Geschichte.
Bernhard Lotz ist Kandidat der fünfzehnten Ausgabe des „Millionenspiels“, einer Sendereihe des privaten TV-Senders „TETV“, die traumhafte Einschaltquoten erzielt. Gejagt von drei Killern, der Köhler-Bande, muss er eine Woche lang überleben, um das Preisgeld von einer Million Mark zu gewinnen. Die Killer wiederum erhalten umso mehr Geld, je später sie Lotz erwischen und töten. Showmaster Thilo Uhlenhorst führt durch die Livesendung, die sich mit zahlreichen Einspielern des ungleichen Duells einem sensationslüsternen Millionenpublikum präsentiert und die normale Bevölkerung einbezieht, indem sie Lotz sowohl helfen, als auch ihn verraten darf. Wird Lotz es schaffen, bis zum Showdown im Fernsehstudio zu überleben?
Die Dystopie des „Millionenspiels“ wurde im Jahre 1973 – also in einer nahen Zukunft – zeitlich angesiedelt, was noch lange vor der tatsächlichen Liberalisierung des Rundfunks war, die privaten Betreibern Tür und Tor öffnete. In hochgradig realistischem Stil wird der Zuschauer Zeuge der Live-Sendung, des Überlebenskampfes Lotz‘ und der Abläufe hinter den Kulissen. Gedreht wurde mit tatsächlichen bekannten Gesichtern aus der Fernsehwelt wie Dieter Thomas Heck und Heribert Faßbender. „Das Millionenspiel“ sollte sich als visionär erweisen, indem es den heutzutage längst als Normalität angesehenen Werteverfall weiter Teile des Fernsehens überspitzt aufs Korn nimmt und anprangert. Die Sensationslust des Publikums sowohl weckende als auch befriedigende TV-Formate sind längst Alltag, ebenso ständige Werbeunterbrechungen, die hier vom fiktiven Hauptsponsor „Stabilelite“ mit allerlei kuriosen Werbespots gefüllt werden. Kritische Stimmen der Zuschauer erfüllen eine Alibifunktion, wenn sie neben zahlreichen positiven eingespielt werden, denn die Sendungsmacher können sich sicher sein: Ansehen tun sich die Sendung ohnehin alle; Hauptsache, es wird darüber geredet. Die zynische Art der Moderation heuchelt Empathie für Lotz, während im Hintergrund der Spielverlauf manipuliert wird, um ihn möglichst spektakulär zu gestalten. Die Auftragskiller der Köhler-Bande werden in ihrem Handeln nicht mehr als kriminell verurteilt und müssen am Ende der mit Varieté-Einlagen garnierten Show gar Autogramme verteilen.
So kritisch es auch zu betrachten sein mag, wenn von amoralischer, ethisch bedenklicher Unterhaltung schwadroniert und der pädagogische Zeigefinger erhoben wird, so treffsicher legt das Team Menge/Toelle bisweilen subtil schwarzhumorig den Finger in die Wunde von Quotenjagd und der Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner, um möglichst breite Zuschauerschichten zu erreichen, dabei jedoch Bildungsauftrag und sozialethische Werte vernachlässigen. Jörg Pleva macht dabei als gehetzter Lotz eine sehr gute, weil authentische Figur, Kabarettist Dieter Hallervorden („Didi, der Doppelgänger“), der später stets zwischen plumpem Klamauk und anspruchsvollem politischem Kabarett pendeln sollte, ist in einer seiner ersten Filmrollen mit ungewohnten Ernst als Namensgeber und Anführer der Köhler-Bande zu sehen, die sich aus Kriminellen zusammensetzt, die unbehelligt ihrer Tätigkeit als Auftragskiller fürs Fernsehen nachgehen können. Hallervorden setzt eine finstere Verbrechervisage auf, die ihm besser steht als manch Grimasse. Showmaster Dieter Thomas Heck spielt Showmaster Thilo Uhlenhorst und sich damit quasi selbst, Dampfplauderei, die sich selbst gern reden hört und marktschreierisch den größten Dreck als spannenden kulturellen Höhepunkt ankündigt – was wenn überhaupt nur marginal von Hecks tatsächlicher Tätigkeit entfernt ist und es deshalb überrascht, dass ausgerechnet er diese Rolle übernahm, die sein eigenes Tun infrage stellt.
Der spannend inszenierte Film erzeugte seinerzeit einen TV-Skandal und wurde von Teilen der Zuschauerschaft – eben jenen, an denen sich heutzutage viele Privatsender orientieren – als echte Show erachtet, die sich daraufhin als Jäger oder Gejagte bewarben. „Das Millionenspiel“ hielt und hält den Zuschauern einen Spiegel vor, zeigt aber auch anhand unheimlich trister Bilder deutscher Innenstädte, weshalb man es sich 1970 lieber auf dem Fernsehsessel bequem machte. Selbst vor Mutter Lotz macht die Begeisterung für das Format nicht Halt, sie spielt mit und wünscht ihrem Sohn vor laufenden Kameras im Studio stolzerfüllt viel Glück, was die breite Akzeptanz derartiger Formate noch einmal unterstreicht und Parallelen zu heutigen Sendungen hervorruft, in denen beispielsweise Eltern vollkommen arglos ihre Kinder vor die Kamera zerren. Kurios ist, dass mit Dieter Thomas Heck ein CDU-Mitglied für den Film verpflichtet wurde, dessen Partei später maßgeblich für die Öffnung des Rundfunkmarktes verantwortlich war und bewusst die Entstehung von Privatsendern vorantrieb, hinter denen reiche Geldgeber stehen, deren Hauptinteresse nicht der seriösen Berichterstattung gilt und die keineswegs an einer Veränderung der Herrschaftsverhältnisse und der gerechteren Verteilung des Reichtums interessiert sind, sondern nach dem „Brot und Spiele“-Prinzip die Zuschauer einzulullen und abzulenken versuchen. Auch die F.D.P., der wiederum Dieter Hallervorden nahesteht, schlägt in ihrer politischen Ausrichtung in dieselbe Kerbe, wobei sich – insbesondere im Vergleich zu Heck – Hallervorden durchaus mit bissigem Kabarett um die politische Bildung des Publikums verdient macht.
Stephen King verfasste im Jahre 1982 unter seinem Pseudonym „Richard Bachman“ den Roman „Menschenjagd“, der noch ein paar Schritte weiter ging und die Dystopie noch einmal verschärfte. Dieser wurde als „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle als simpler Actionfilm verfilmt, beraubt um seine gesellschafts- und medienkritische Relevanz. „Das Millionenspiel“ ist „Runing Man“ daher in jedem Falle vorzuziehen und auch ungeachtet dessen ein großer Klassiker des mutigen deutschen Fernsehfilms.