bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Shakma
In einem medizinischen Laborkomplex führt Dr. Sorenson (Malcolm McDowell) Experimente an verschiedensten Tieren mit experimentellen Subtanzen durch. Diese sollen die Agressionen der Tiere steigern. Doch die meisten Versuche sind Fehlschläge, so auch der letzte an einem Pavian. Doch in diesem Fall handelt es sich um ein Lieblingstier seines Assistenten Sam (Christopher Atkins), so daß dieser das Tier nicht sofort danach einschläfert, sondern dies erst am nächsten Tag nachholen will. Niemand kann aber ahnen, daß das Experiment doch verhängnisvolle Wirkung hat, denn das gewichtige Tier verwandelt sich in der Folge in einen kaum aufzuhaltenen Killer. Und da Sorenson mit seinen jungen Assistenten und deren Freunden bei Nacht in dem abgeschlossenen Komplex ein Live-Action-Rollenspiel namens "Nemesis" spielt, hat der Affe bald so einige Angriffsziele...
„Sie sind die aggressivsten Primaten – neben den Männern!“

Das Regie-Duo Tom Logan und Hugh Parks (beide „King’s Ransom“) zeichnet verantwortlich für den US-Tierhorrorfilm „Shakma“ aus dem Jahre 1990, in dem ein mit Medikamenten vollgedröhnter, aggressiver Pavian Jagd auf (angehende) Mediziner macht. Der Pavian ist eines von vielen Opfern Dr. Sorensons (Roddy McDowall), der seinen Tieren aggressionssteigernde Substanzen verabreicht. Totgeglaubt wird das „Shakma“ getaufte Tier noch nicht sofort dem Krematorium übergeben, sondern für eine Nacht unbeaufsichtigt gelassen. Ein Fehler, denn wie sich herausstellt, misslang die Einschläferung. Ausgerechnet in dieser Nacht spielt das Laborpersonal das Live-Rollenspiel „Nemesis“ in den Räumlichkeiten des Gebäudes – und muss sich mit einem angriffslustigen ungebetenen Mitspieler auseinandersetzen: Shakma schnappt sich einen nach dem anderen.

Nach einer naturgemäß etwas unappetitlichen Operationsszene befindet man sich ruckzuck in der eigentlichen, reichlich doofen und dröge dargereichten „Handlung“ und sieht jungen wie älteren Menschen bei ihrem bescheuerten Rollenspiel zu. Sich dabei wachzuhalten fällt schwer, denn die Tonkulisse suggeriert zwar ständig, dass wer weiß was los wäre, nur zu sehen bekommt man nicht viel – beispielsweise irgendein Rumgezuckel in dunklen Räumen, wobei die Einrichtung zu Bruch geht. Gut, und natürlich den titelgebenden Affen, der durch die Gänge rennt und ab und zu gegen Türen springt. „Shakma“ entwickelt sich zu einer Art Slasher mit dem Affen als Antagonisten. Ab Minute 63 wird’s endlich expliziter, doch im Prinzip bekommt man lediglich blutig zugerichtete Leichen als Ergebnisse von Shakmas Attacken präsentiert, nicht den vorausgegangenen Tötungs- bzw. Verstümmelungsakt. Klar, dafür hätte es jemandes bedurft, der sich mit Spezialeffekten auskennt, doch das Budget ging augenscheinlich bereits für den Tierdompteur drauf. Immerhin hat dieser ganze Arbeit geleistet und macht Shakma zum besten Schauspieler dieses miesen Filmchens, in dem einem sämtliche Opfer herzlich egal sind und ihre strunzdummen, dabei leider langweiligen, weil völlig belanglosen Dialoge auch nicht dazu einladen, dies zu ändern. Generell verhält sich das Laborpersonal mitsamt seiner Freunde in bester Lemming-Manier und gießt Wasser auf die Mühlen der Verfechter der These, dass Affen eigentlich intelligenter wären als Menschen und dies nur nicht zeigen, damit sie nicht arbeiten müssen. Besonders krass: Nach 70, 80 Minuten wird das Tempo des Films noch weiter zurückgeschraubt, lässt man die letzten Verbliebenen Protagonisten in Zeitlupengeschwindigkeit agieren – der endgültige Todesstoß für jegliche Spannung oder Aufregung. Nicht minder einschläfernd wirken die als musikalische Untermalung fungierenden billigen Synthesizer-Teppiche.

Wäre da nicht die Dressur Shakmas, die immerhin ein paar Schauwerte bietet und uns einige schöne Bilder eines bedrohlichen Pavians in nicht artgerechtem Ambiente bietet, wäre „Shakma“ eine klassische Vollgurke. Hier waren echte Stümper am Werk, selbst jemand wie Roddy McDowell, bekannt aus (ausgerechnet) „Planet der Affen“ und dessen zahlreichen Fortsetzungen, macht sich durch seine Teilnahme irgendwie selbst zum, äh, Affen. Mit Ach und Krach gebe ich 3,5 von 10 rotleuchtenden Pavianärschen und rate im Zweifelsfall viel lieber zu Filmen wie „Link, der Butler“ und „Der Affe im Menschen“ – oder eben zu echten Slashern.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Ein Mann sieht rot
Der New Yorker Architekt Paul Kersey ist eigentlich ein ganz friedlicher Mann. Das ändert sich jedoch, als seine Frau ermordet und seine Tochter vergewaltigt wird. Nachdem er die Stadt zunächst verlassen hat, kehrt er eine Weile danach zurück, um sich an den Schuldigen zu rächen. Er besorgt sich eine Waffe und zieht durch die nächtlichen Straßen...
„Wovor haben Sie Angst, Paul?“

Der britische Regisseur Michael Winner („Hexensabbat“) verfilmte im Jahre 1974 Brian Garfields Roman „Der Vigilant oder ein Mann sieht rot“ und trat damit eine Kontroverse zum Thema Selbstjustiz los.

Das angenehme Leben des friedliebenden New Yorker Architekten Paul Kersey (Charles Bronson, „Spiel mir das Lied vom Tod“) ändert sich schlagartig, als in seiner Abwesenheit eine Bande Soziopathen seine Frau (Hope Lange, „Blue Velvet“) und seine Tochter (Kathleen Tolan, „The Rosary Murders“) in ihrer Wohnung überfällt, misshandelt und vergewaltigt. Seine Frau überlebt ihre Verletzungen nicht, die Tochter bleibt tief traumatisiert. Die Polizei zeigt sich rat- und machtlos und sieht sich nicht in der Lage, die Täter dingfest zu machen und der Justiz zuzuführen. Nach einem beruflichen Aufenthalt in Texas wird er mit den Vorzügen des Schusswaffenbesitzes vertraut gemacht und kehrt mit geladener Waffe ins New Yorker Moloch zurück, wo er sich fortan nichts mehr gefallen lässt. Aus dem ehemals pazifistischen Kriegsdienstverweigerer wird ein schießwütiger Rächer, der das Gesetz selbst in die Hand nimmt.

„Na, du schmieriger Arschlappen? Komm runter, ich will dich schlitzen!“

Michael Winner habe ich in erster Linie durch seine Arbeiten im Horror-Genre kennen- und schätzen gelernt. Um seinen berüchtigten „Ein Mann sieht rot“ hatte ich bisher einen Bogen gemacht, da ich die Glorifizierung kleinbürgerlicher „Law and Order“-Fantastereien fürchtete, denen gerade in einem bis in den privaten Bereich derart hochgerüsteten Land wie den USA immer wieder ganz real Menschen zum Opfer fallen, die schlichtweg nicht in das Weltbild schießwütiger Möchtegern-Wildwest-Cowboys passen. Doch „Ein Mann sieht rot“ zeigt sich glücklicherweise differenzierter.

Die Kriminalität nahm in den 1970ern in New York anscheinend tatsächlich überhand, 1975 musste die Stadt gar ihren Bankrott erklären. Ein gewisser realer Hintergrund dürfte also gegeben gewesen sein, als Winner New York als erschreckende Kriminalitätshochburg zeichnete. Eine Analyse der gesellschaftlichen Hintergründe indes ist nicht Bestandteil des Films, und darum geht es ihm auch gar nicht. „Ein Mann sieht rot“ entführt den Zuschauer zunächst nach Hawaii, wo Kersey gerade mit seiner Frau Urlaub macht – kurz bevor sie zurück in der Großstadt den Tod findet. Die Sonne auf Hawaii symbolisiert dabei die heile, idyllische Welt, der Schneefall während der Beerdigung von Kerseys Frau das exakte Gegenteil. Kersey, der sich wieder in die Arbeit stürzt, wird in Texas mit reaktionären Pro-Waffen-Lobby-Sprüchen konfrontiert und bekommt eine Handfeuerwaffe ausgehändigt, wobei Winner die dabei deutlich mitschwingende Mentalität meines Erachtens nicht positiv konnotiert, sondern durchaus zweifelhaft erscheinen lässt. Kerseys Entwicklung wird fortan nachvollziehbar nachgezeichnet, leisere, psychologisch tiefgründige Töne beherrschen das Geschehen. Kersey hadert mit sich und der Welt, ist nur noch schwer in der Lage, nach außen das Bild des souveränen weltgewandten Mannes, den so schnell nichts umhaut, aufrechtzuerhalten und findet kein rechtes Ventil für seine Trauer- und Wutarbeit. Dies ändert sich, als er in Notwehr einen Dieb auf offener Straße erschießt. Trotz anfänglicher innerer Konflikte freundet er sich mit seiner neuen Rolle an, die ihm als Ausgleich zum Alltag dient und ihm hilft, ein wenig Genugtuung zu erlangen. Schon bei der zweiten Konfrontation mit Straßenräubern erschießt er einen Flüchtenden und überschreitet damit die Grenzen der Notwehr. Später richtet er in einer U-Bahn ein paar Verbrecher regelrecht hin. Winner inszeniert diese Momente nicht wertend, weder glorifiziert er sie, noch verurteilt er sie. In Vertrauen auf eine gewisse Ethik auf Seiten der Zuschauer sollte jedoch deutlich werden, dass dies bestimmt kein moralisch integerer, heldenhafter Weg ist, sich solcher Übeltäter zu erwehren. Hinweise auf Kerseys angeschlagene Psyche gibt dann auch die psychedelische Wahnsinnsmusik, die die U-Bahn-Szene untermalt.

Angeblich ging durch den in den Medien nur noch „Der Rächer“ genannten Vigilanten die Kriminalität deutlich zurück, hier suggeriert die Handlung also tatsächlich einen Erfolg durch Härte und Abschreckung, genauer: durch Angst. Doch so wenig die Rolle der Medien auch vertieft wird, wird diese Entwicklung doch nicht unreflektiert als unzweifelhafter Erfolg verkauft. Stattdessen wird der Polizeiführung die Rolle zuteil, das aus in der öffentlichen Meinung positiv bewerteter Selbstjustiz resultierende Gefährdungspotential nicht nur für Straftäter zu erkennen. Doch steht diese vor dem Konflikt, aus einem kurzsichtig hochgejubelten „Rächer“ tunlichst keinen Märtyrer machen zu wollen, indem man ihn konsequent verfolgen und bestrafen würde, denn innerhalb der aufgeheizten Stimmung wären die gesellschaftlichen Folgen unabsehbar. Die Polizei, die erst völlig versagte und anscheinend gar nichts unternahm, agiert nun durchaus intelligent und findet eine scheinbar adäquate Lösung, die bei genauerer Überlegung letztlich jedoch ebenfalls das Versagen des Rechtsstaats bescheinigt. Die Schlusseinstellung ist dann ein böser, sich im Gedächtnis festsetzender Moment, der einmal mehr die angeknackste Psyche des zur wandelnden Zeitbombe gewordenen Kerseys dokumentiert. Die größte Überraschung allerdings: Die eigentlichen Täter hat Kersey gar nicht bekommen, darum scheint es ihm auch gar nicht mehr zu gehen, sie sind überhaupt kein Thema mehr.

Daraus entwickelt sich ein differenziertes Bild auf den Gegenstand des Films und seine Hauptrolle, was ein Mitdenken seitens des Zuschauers erfordert. Als reiner Selbstjustiz-Action-Kracher für simple Gemüter dürfte er nur leidlich zu gebrauchen sein, denn dafür ist insbesondere die erste Hälfte zu actionarm inszeniert worden. Sogar seine komödiantischen Momente hat „Ein Mann sieht rot“, beispielsweise als unversehens eine Karnevalstruppe auftaucht und der Polizei die Sicht versperrt. Schöne Bilder des 1970er-Jahrzehnts und seine urbane Atmosphäre machen in Kombination mit der gekonnten Kameraarbeit „Ein Mann sieht rot“ auch zu einem ästhetischen Genuss, in den sich Bronson gut einfügt. Seine Gegenspieler indes wurden meist arg überzeichnet, ihre Persönlichkeiten bleiben völlig unbeleuchtet. Doch sieht man den Film eben aus Sicht Kerseys und wie sich ihm seine Umwelt darstellt, und natürlich neigt man immer wieder zur Identifikation mit ihm, in entscheidenden Momenten jedoch (hoffentlich) wiederum nicht – sollte dies bewusst von Winner so konzipiert worden sein, hat er einen Film erschaffen, der den Zuschauer immer wieder vor Kersey und damit vor sich selbst erschrecken lässt und Anlass zu Zwiegesprächen mit sich selbst gegeben, zum Überprüfen eigener Grenzen und moralischer Standpunkte, zum Spekulieren über das eigene Verhalten in Extremsituationen. Dann wäre „Ein Mann sieht rot“ weitaus intelligenter, als er gemeinhin von der Kritik eingeschätzt wird, auch wenn er zugegebenermaßen auf den ersten Blick schon arg tendenziös wirken kann.

Ein bisschen Western-Hommage hat es ebenso in den Film geschafft wie der fieseste Bullenschnauzbart ever. Weshalb Kersey schon nach seinen ersten Liquidationen laut Polizei „ein genialer Schütze“ sein muss, obwohl er augenscheinlich erst später mit Italo-Western-Präzision auch aus weiter Entfernung punktgenau trifft, erschließt sich mir nicht so ganz, ansonsten habe ich aber wenig zu meckern, wenngleich mir im Genre diejenigen Filme, die stärker das große Ganze betrachten, lieber sind. In einer Debatte zum Thema Waffenbesitz und Selbstjustiz jedenfalls taugt „Ein Mann sieht rot“ nun nicht unbedingt als Pro-Argument, und das war mir wichtig. Wie es um die zahlreichen Fortsetzungen bestellt ist, mag dabei auf einem anderen Blatt stehen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Der Berserker
Der wahnsinnige Giulio (Tomas Milian) und zwei Kollegen planen Marilu, die Tochter eines reichen Firmenchefs zu entführen um eine halbe Milliarde Lire Lösegeld zu erpressen. Kommissar Grandi (Henry Silva) wird auf den Fall angesetzt. Grandi bleibt nicht viel Zeit, sich Sache aufzuklären. Giulio bringt jeden um, der sich gegen ihn stellt, egal ob Freund oder Feind. Und Giulio hat nicht vor, Marilu nach Übergabe des Geldes am Leben zu lassen...
„Dieser Mann starb für eine Handvoll Lire!“

Den italienischen Regisseur Umberto Lenzi habe ich (wie viele andere Freunde des Horrorgenres sicherlich auch) durch seine Kannibalenfilme kennengelernt, den ästhetischen Genuss und Genre-Pionier „Mondo Cannibale“ sowie seine berüchtigten und fragwürdigen Metzelorgien „Die Rache der Kannibalen“ und „Lebendig gefressen“. Doch als Meister des Subgenres tat sich schließlich Ruggero Deodato hervor. Auch eine Reihe von Gialli hat Lenzi gedreht, doch fällt sein Name kaum an vorderster Stelle, wenn es um das Thema geht, in dem Bava, Argento und Martino die Nasen vorn haben. Und darf man den Kritiken Glauben schenken, zählen seine nonkannibalistischen Beiträge zum Horrorgenre der 1980er eher zum Trash, wie die Werke anderer italienischer Regisseur in jenem krisengebeutelten Jahrzehnt auch. Schnuppert man jedoch ein wenig tiefer in das Werk italienischer Regisseure hinein, stößt man alsbald auf den italienischen Polizei- und Gangster-Film, meist zusammengefasst in den Begriffen „Poliziotteschi“ oder „Polizieschi“. Wenn ich richtig informiert bin, war der 1974 veröffentlichte „Der Berserker“ Lenzis zweiter Beitrag zum Genre und der erste, der eine deutsche Synchronisation erfuhr – und bereits dieser Film überzeugt mich davon, dass der Poliziesco die Berufung Lenzis gewesen sein muss.

Giulio verpatzt als Mitglied einer Gangsterbande einen Coup durch seinen sehr lockeren Finger am Abzug. Die Auftraggeber reagieren erbost und maßregeln Giulio mittels körperlicher Züchtigung. Doch nachdem seine Tränen getrocknet sind, wählt er die Flucht nach vorn und will es endlich allen zeigen. Zusammen mit zwei Komplizen entführt er die Tochter des Chefs seiner Freundin, um eine halbe Milliarde Lösegeld zu erpressen. Dabei macht er mit allen kurzen Prozess, die sich ihm in den Weg stellen. Kommissar Grandi (Henry Silva, „Der Teufel führt Regie“) steht zunächst vor einem Rätsel und als Indizien auf Giulio verweisen, sind ihm rechtlich die Hände gebunden…

Mit dem Charakter des Giulio Sacchi erschuf man unter Mithilfe des genialen Schauspielers Tomas Milian („Der Gehetzte der Sierra Madre“) einen hochinteressanten Gangster-Typus, einen gemeingefährlichen Kindskopf, der weder Verantwortung noch Skrupel kennt, einen größenwahnsinnigen, egozentrischen, dabei bauernschlauen Tunichtgut mit nervösen Zuckungen, der glaubt, sich nehmen zu können, was er will und sich von der Gesellschaft permanent benachteiligt fühlt. Sein Charakter ist der pure Zynismus, wenn er immer wieder auf seine eigene Mittellosigkeit anspielt, einen Spruch nach dem anderen klopft um im Wahn wahllos herumballert. In der Eröffnungssequenz muss zu einem treibenden Score Maestro Morricones zunächst ein nerviger Politess dranglauben, anschließend zerschüsselt’s einige italienische Kleinwagen. Doch wer das bereits für einen bösartigen, actionreichen Einstieg hielt, wird staunen, was der Film noch alles zu bieten hat. Eine unfassbare Entwicklung nimmt ihren Lauf, unbeschreiblicher Sadismus herrscht vor und man schafft es tatsächlich, immer wieder einen draufzusetzen. Milian liefert eine irrsinnige Performance, wird dabei fast schon comichaft überzeichnet und ist Garant für den bösartigen Humor des Films.

Hatte ich zunächst geglaubt, „Der Berserker“ würde thematisch an den kurz zuvor erschienenen Selbstjustiz-Thriller „Ein Mann sieht rot“ anknüpfen, sah ich mich getäuscht. Eher orientiert sich Lenzi bzw. das Drehbuch am umstrittenen US-Polizeifilm „Dirty Harry“, in dem sich Clint Eastwood als Inspektor Callahan ähnlichen Problemen wie Walter Grandi ausgesetzt sieht, Ferner greift „Der Berserker“ die Kritik der ein Jahr zuvor erschienenen, ebenfalls italienischen Produktion „Der unerbittliche Vollstrecker“ auf, der die Machtlosigkeit der Polizei bei Entführungen und die Attraktivität eben jener Verbrechensform für Kriminelle beschrieb. Beiden war Selbstjustiz zum Thema, der entscheidende Unterschied jedoch ist, dass „Der Berserker“ ganz eindeutig den Antagonisten Giulio ins Licht rückt und dem ermittelnden Kommissar lediglich eine größere Nebenrolle zuteilwird, deren selbstjustiziale Entladung am Ende neben der Charakterstudie Giulios im konsequent auf Schrecken und Unterhaltungsfaktor getrimmten Film nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das bedeutet auch, dass Henry Silva kaum zum Zuge kommt, in Anbetracht der unheimlichen Präsenz Milians fast schon ein bisschen verschwendet wirkt.

Rund 95 rasant und technisch einwandfrei umgesetzte Minuten lang sieht man den „Berserker“ über Leichen gehen, kaum zwischen Freund und Feind unterscheiden, rigoros ein Todesurteil nach dem anderen vollstrecken. Seine Aura eines leicht zu unterschätzenden Großmauls, dessen Gefahr oftmals erst erkannt wird, wenn es zu spät ist, wirkt beunruhigend und faszinierend auf den Zuschauer zugleich. Lenzi sollte zukünftig noch viele weitere Poliziesci inszenieren, Milian an vielen weiteren beteiligt sein. Mein Streifzug durch den internationalen Polizei-/Gangster-/Mafiafilm und Polit-/Justiz-Thriller mit Schwerpunkt auf Italien erweist sich immer wieder als wahre Wundertüte voller Überraschungen und ich kann es kaum erwarten, mehr davon zu sehen. Der Stoff liegt schon bereit, wird säuberlich eingeteilt und alsbald gedrückt werden. „Mit dem Verstand ist so was nicht zu erklären!“
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Adalmar
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von Adalmar »

Gute Rezension (den Gialli von Lenzi sollte mehr Aufmerksamkeit zukommen, leider sind sie hierzulande zum größten Teil nicht greifbar), aber:
buxtebrawler hat geschrieben:meist zusammengefasst in den Begriffen „Poliziotti“ oder „Poliziesci“.
Korrekt wäre als Plural Polizieschi bzw. Poliziotteschi (Poliziotti bedeutet einfach "Polizisten").

Soweit ich weiß, ist für das, was wir mit Poliziesco bzw. Poliziottesco bezeichnen, in Italien der Begriff Poliziottesco gängiger.
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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Adalmar hat geschrieben:Gute Rezension (den Gialli von Lenzi sollte mehr Aufmerksamkeit zukommen, leider sind sie hierzulande zum größten Teil nicht greifbar), aber:
buxtebrawler hat geschrieben:meist zusammengefasst in den Begriffen „Poliziotti“ oder „Poliziesci“.
Korrekt wäre als Plural Polizieschi bzw. Poliziotteschi (Poliziotti bedeutet einfach "Polizisten").

Soweit ich weiß, ist für das, was wir mit Poliziesco bzw. Poliziottesco bezeichnen, in Italien der Begriff Poliziottesco gängiger.
Danke, besonders auch für die Erläuterung! Hab's geändert und steige jetzt auch endlich durch den Begriffs-Wirrwarr durch :D
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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The Card Player
Ein Serienkiller treibt sein Unwesen in Rom und er hat einen neuen Ansatz entwickelt, um mit der Polizei zu spielen: er entführt seine Opfer und zwingt die Behörden mit ihm um das Leben der Geisel eine Partie Onlinepoker zu spielen. Falls er gewinnt, bringt er das Opfer vor laufender Kamera um, andernfalls läßt er sie wieder frei. Die Polizistin Anna Mari (Stefania Rocca) nimmt sich des Falls an und bekommt von den britischen Kriminalbehörden bald Verstärkung, als eine englische Touristin dem Killer zum Opfer fällt. John Brennan (Liam Cunningham) unterstützt sie, wo er nur kann, doch die Spiele gehen fast immer zu Ungunsten der Beamten aus. Also holt sich Anna einen Pokerprofi in Gestalt von Remo (Silvio Muccino) zur Hilfe, doch der Killer ist noch lange nicht am Ende, er hat sogar damit gerechnet, daß die Polizisten ihm langsam auf die Spur kommen...
„…mit geschlossenen Augen an Bahngleisen entlang laufen…“ (dann doch lieber eine gepflegte Partie Poker)

Drei Jahre gingen ins Land, bevor der italienische Meisterregisseur Dario Argento („Tenebrae“) nach seinem gelungenen „Back to the Roots“-Giallo „Sleepless“ im Jahre 2004 mit „The Card Player“ sein nächstes Werk vorlegte. Erneut handelt es sich um einen Whodunit?-Thriller, wenn auch deutlich weniger gialloesk.

Eine Kriminalbeamtin (Stefania Rocca, „Der talentierte Mr. Ripley“) in Rom bekommt per E-Mail eine Einladung zu einem Online-Pokerspiel, bei dem es um Leben und Tod geht: Ein verrückter Serienkiller möchte um das Leben seiner weiblichen Geiseln spielen. Ignoriert die Polizei die Einladung oder verliert sie das Spiel, muss das Opfer sterben. Nach anfänglichem Zögern lässt sich die Polizei auf das makabre Spiel ein, stellt aber bald fest, dass sie die Hilfe eines Profis benötigt – den sie im jugendlichen Poker-As Remo (Silvio Muccino, „Ein letzter Kuss“) findet.

Der Vorspann irritiert bereits mit Elektro-Musik und modernen, schnellen Schnitten, die jedoch die Marschrichtung des Films anzeigen: Möglichst modern und technisch soll er sein. Nicht minder irritierend ist die Tatsache, dass die E-Mail, die jeder sich halbwegs bei Verstand befindende Computer-Nutzer recht schnell als Spam gelöscht hätte, sofort ernstgenommen wird und Polizistin Anna Mari holterdipolter ihrer Abteilung die Regeln und den Ablauf wie eine Spielleiterin erklärt. Dadurch kommt „The Card Player“ jedoch recht zügig in Fahrt, den warum auch immer völlig zum Clown überzeichneten Gerichtsmediziner tut der Argento-Kenner als bisher vermutlichen radikalsten Ableger seines Servus-Syndroms (vgl. „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) und dem damit verbundenen grottigen Humor des Italieners ab und ist froh, dass er nicht wieder auftaucht. Explizite Bilder einer Wasserleiche, sehr gut modelliert vom Spezialeffekt-Fachmann Sergio Stivaletti, lassen erste Hoffnung auf eine gewisse Härte des Films aufkeimen. Man setzt auf den Ekelfaktor, wenn die zweite Wasserleiche dem sich ebenfalls des Falls annehmenden irischen Detective John Brennan (Liam Cunningham, „Dog Soldiers“) ins Gesicht speit. Ein wenig eklig ist allerdings auch das Klischee vom problembehafteten Bullen mit ausgeprägter Neigung zum Alkohol, der sogar zu blöd ist, aus einem Flachmann zu trinken. Auch Anna Mari trägt ihre Dämonen mit sich herum, hat sie doch ihren Vater durch Suizid nach einem missglückten Glücksspiel verloren. Die sich anbahnende Romanze zwischen beiden ist da obligatorisch.

Doch bevor man gemeinsam in die Federn hüpft, recherchiert man unter „risikobereiten Hedonisten“ und in Pokerkreisen der Halbwelt. Dieser Passus scheint jedoch lediglich integriert worden zu sein, um die Polizei möglichst schnell auf den Profi-Pokerer Remo stoßen zu lassen, der fortan zum Gegenspieler des Killers wird. Ausflüge in eine halbseidene Welt voller verschrobener Gestalten darf man davon nicht erwarten, braucht man aber auch nicht, denn dafür haben wir ja die Polizei: Diese bricht nämlich ob eines einzigen gewonnenen Pokerspiels in wilden Jubel aus und feiert anschließend eine Party (!) – Lektion 1 aus dem Handbuch für unangemessene Reaktionen. Zugegeben, diesmal ging es gleich um die Tochter des Polizeichefs, die der Killer nach einer Stippvisite in Annas Wohnung entführte; außerdem hat er diesmal die Rahmenbedingungen erschwert, denn er schickte der Polizei Computerviren, die IP-Nummern lustig vom Bildschirm purzeln lassen – soviel zum Technikverständnis Argentos. Richtige Spannung kam bisher eigentlich nur dann auf, als sich eines der Opfer während einer Pokerpartie vorübergehend befreien und die Polizei über die Webcam des Killers ihren Überlebenskampf verfolgen konnte. Die Perspektive während der perversen Pokereien bleibt übrigens stets die der Polizei-Monitore, die Verstümmelungen und Tötungen des Opfers werden nicht explizit in Szene gesetzt.

Bis hierhin agierte „The Card Player“ auf eher drögem TV-Film-Niveau, sowohl was seine Optik, als auch seinen Inhalt (von den Wasserleichen einmal abgesehen) anbelangt – als wollten sich findige Unterhaltungsprogrammmacher Jahre nach der „technischen Revolution“ durch Heimcomputer auch einmal an das Thema wagen, nachdem sie etwas von trendigen Online-Pokerpartien gehört hatten, sich damit unheimlich „hip“ geben und ein technikaffines Publikum ansprechen. So richtig scheint Argento erst durch, als Remo ein Mädchen kennenlernt und mit ihr durch die Nacht rennt. Schön ausgeleuchtete und komponierte, atmosphärische Bilder wecken Erinnerungen an die traumwandlerische Ästhetik manch guten Giallos. Endlich gewinnt „The Card Player“ deutlich an Qualität. Voll anheimelnder und dennoch morbider Atmosphäre ist auch, wie kurz vorm Finale die Samen einer bestimmten, für die Handlung nicht ganz unwichtigen Pflanze durchs Bild wehen – und dies auch dann noch tun, als einer der Protagonisten ein überraschendes, fieses Ende erleidet. Realistisch und durch Mark und Bein gehend ist der Schrei Annas, als sie eine Betäubungsspritze in den Hals bekommt. Da war es also wieder, das inszenatorische Geschick Argentos.

Leider münden diese guten Ansätze dann in einem völlig trashigen Finale, das dem oftmals befremdlichen Verhalten der Charaktere die Krone aufsetzt, den Film endgültig der Lächerlichkeit preisgibt. Wer mehr über die Hintergründe des Täters wissen will, wird auch enttäuscht, denn seine Identität wird zwar enthüllt, das Motiv jedoch ist unspektakulär und sein Charakter bleibt oberflächlich. Die Pointe mit dem Ausspruch „Sie sind schwanger“ habe ich nicht verstanden, bezweifle aber, dass mir ein genialer Handlungstwist o.ä. dadurch verborgen blieb. Sie ist der Schlusspunkt unter eine bemüht und mehr schlecht als recht konstruierte Handlung, die dem weitestgehend nüchternen, Argentos originelle Kamera und Farbästhetik bis auf wenige Ausnahmen vermissen lassenden Film widerspricht und keiner kritischen Betrachtung standhält. Selbst Claudio Simonetti hat einen schlechten Tag erwischt und nervt mit einem furchtbaren Elektro-Soundtrack. „The Card Player“ ist eine leidlich unterhaltsame, billig und undurchdacht sowie inkohärent wirkende Enttäuschung im Pseudo-Techno-Gewand, die bei Erscheinen Argentos zweitschlechtester Film nach „Das Phantom der Oper“ gewesen sein dürfte. So gehen Thriller zum Abgewöhnen.
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Do You Like Hitchcock?
Filmstudent Giulio (Elio Germano) bereitet seine Abschlussarbeit über das Thema "Deutscher Expressionismus" vor. Um dem Lernstress zu entfliehen, beobachtet er mit einem Fernglas seine hübsche Nachbarin Sasha (Elisabetta Rocchetti). Eines Nachts wird er von Schreien aus dem Schlaf gerissen. Sashas Mutter wird ermordet aufgefunden. Giulio hat die Vermutung, das Sasha gemeinsam mit ihrer Freundin Federica (Chiara Conti) die Frau getötet hat, um an ihr Geld zu kommen. Der Student beginnt auf eigene Faust mit den Nachforschungen. (Quelle: www.filmreporter.de)
„Falls du 'ne Schauspielerin brauchst, ruf an! Du hast mich ja schon nackt gesehen!“

Nach seinem missglückten Thriller „The Card Player“ drehte der italienische Kult-Regisseur Dario Argento („Opera“) im Jahre 2005 mit „Do You Like Hitchcock?“ eine Alfred-Hitchcock-Hommage fürs italienische Fernsehen nach einem Drehbuch, das er zusammen mit Franco Ferrini verfasste, mit dem er schon für „Phenomena“ und „Opera“ zusammenarbeitete.

Giulio (Elio Germano, „Nine“) ist Filmstudent und arbeitet an seiner Abschlussarbeit zum deutschen Expressionismus – wenn er nicht gerade durch sein Fernglas seine attraktive Nachbarin Sasha (Elisabetta Rocchetti, „The 3 Faces of Terror“) beobachtet. Eines nachts jedoch wird Sashas Mutter ermordet, vom Täter fehlt jede Spur. Aufgrund der Informationen, die er immer wieder in der Videothek seines Freundes erhält, hegt er den Verdacht, dass Sasha ihre Mutter zusammen mit ihrer Freundin Federica (Chiara Conti, „William Shakespeare's Ein Sommernachtstraum“) nach Vorbild des Hitchcock-Films „Der Fremde im Zug“ umgebracht hat und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an – zum Leidwesen seiner genervten Freundin...

„Do You Like Hitchcock?“ entpuppt sich als einzigartiger Wohlfühlfilm für Film-Nerds, betrachtet er doch die Filmversessenheit und den mit ihr einhergehenden Voyeurismus aus einem liebevollen Blickwinkel heraus und wirft mit Filmzitaten nur so um sich. Im reichlich merkwürdigen Prolog sieht man in Form einer Rückblende den kleinen Giulio bei seinen ersten neugierigen Spannereien und welchen Ärger sie ihm einhandeln. Angekommen in der Gegenwart leistet Argento vorzüglichen Fan-Support, indem er Filmfreak Giulio ganz selbstverständlich mit einer wahren Sexbombe von Freundin zusammen sein lässt, mit der er sich eine heiße Erotikszene liefert. Spätestens jetzt sollte er das cineastische Publikum auf seiner Seite haben, und für die Italophilen unter ihnen gibt es reichlich mediterranes Flair mit Geigenmusik, Vespas und südländischem Temperament.

Hitchcockig wird es sodann, als Giulio aus seinem Fenster heraus Szenen wie im Klassiker „Das Fenster zum Hof“ beobachtet, filmnerdig erneut, wenn Giulio über expressionistische deutsche Filme referiert und „Nosferatu“ schaut, ganz zu schweigen davon, wie Argento eine Videothek als eine Art örtlicher Kommunikationszentrale etabliert und diesen sterbenden Geschäftszweig so in Szene setzt, dass einem ganz warm ums Herz wird: Die Videothek als gut sortierter Ort voller Filmklassiker (die auch ständig ausgeliehen werden), in dem man auch noch hübsche Frauen kennenlernt, die mit einem flirten. Fast eine Art Traumwelt für Filmfreunde, und manch einer wird sich in Giulio wiedererkennen (wollen). Wiederzuerkennen ist auch Argentos berüchtigter Stil, zumindest zum Teil: Er rückt wieder Architektur mit einer besonderen Ästhetik in Szene, lässt die Kamera schnittfreie Fahrten unternehmen – und lässt auf eine in bester alter Suspense-Manier aufgebaute Szene eine heftige, explizite Gewalteruption folgen (die in diesem Ausmaß indes die einzige bleibt, ein Splatterfilm ist „Do You Like Hitchcock?“ nicht und er will auch keiner sein). Dramaturgisch stimmt auch alles, Durchhänger habe ich keine bemerkt, womit Argento zugegebenermaßen aber ohnehin nur selten zu kämpfen hatte. Die Dialoge sind teils recht amüsant, werden jedoch nie albern, und vom gefürchteten Servus-Syndrom diesmal keine Spur. Auch schauspielerisch weiß „Do You Like Hitchcock?“ zu überzeugen: Germano nimmt man den studentischen Filmnerd ohne Weiteres ab, Cristina Brondo glänzte bereits im spanischen „Hypnos“ und ist auch hier eine Augenweide. Rocchetti und Conti fügen sich ebenfalls passabel ins Geschehen ein, insgesamt dürfen gleich drei hübsche Darstellerinnen blankziehen. Iván Morales („Das Kovak-Labyrinth“) gibt einen Videothekenbetreiber zwischen kumpelhaft und schmierig zwar leicht überzeichnet, doch wie man sie sich vorstellt.

Sicherlich, es ist schon faszinierend, wie wenig verdeckt Giulio seine Ermittlungen und Beobachtungen anstellt, und von Vorhängen scheint man in Italien auch nicht viel zu halten. Trotzdem wurde die Handlung weit weniger mit dem Vorschlaghammer konstruiert als zuletzt bei „The Card Player“, der im Übrigen weit mehr nach einem TV-Film aussah als diese tatsächliche Fernsehproduktion. Am Ende wird gar das Videothekensterben thematisiert, hier ist Argento in der Tat am Puls der Zeit. „Do You Like Hitchcock?“ ist einerseits eine interessante, leichtfüßige Variante des klassischen Whodunit?-Krimis mit einigen argentoesken Momenten, andererseits eine gelungene Hommage an Hitchcock im Speziellen und die Spielfilmkunst im Allgemeinen sowie den Voyeurismus in so vielen von uns, und all das inklusive eines beachtlichen Wohlfühlfaktors. „Well done“, wie wir Freunde des britischen Kinos zu sagen pflegen.

7,5 von 10 neuen Nachbarinnen hat sich Argento mit diesem von Fans und Kritik zwar ebenfalls gemischt aufgenommenen, bei mir jedoch offene Türen einrennenden Film redlich verdient.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Christopher Lee - Gentleman des Grauens
Saruman und Dooku sind Charaktere, die dem jüngeren Publikum allgemein ein Begriff sind. Ältere Generationen verbinden Christopher Lee unweigerlich mit den Hammer-Produktionen, die in den 1960er Jahren so populär waren. Doch anders als Kollegen wie Karloff und Cushing verstand es der charismatische Hüne, sich nicht auf ein bestimmtes Genre festzulegen. Über 250 Filmauftritte bescherten ihm einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Dabei wurde Lee die Schauspielerei nicht in die Wiege gelegt. Mit einer imposanten Länge von 1,96m war er zu groß für die britischen Stars.

Das TV-Porträt beschränkt sich nicht nur auf die umfangreiche und vielseitige filmische Laufbahn, sondern fördert auch anderweitige Tätigkeiten und Interessen zu Tage, die Christopher Lee als Allroundtalent manifestieren. Dabei kann Lee mit mittlerweise 87 Jahren selbst viele Anekdoten beisteuern wie die Entstehung einer Narbe, die ihm Errol Flynn zufügte, seinen Auftritt in der US-Comedyshow Saturday Night Life, den über 35 Millionen Amerikaner sahen oder warum der deutsche Stummfilmstar Conrad Veidt sein Vorbild ist.
Zwischen seiner Pierre-Brice-Dokumentation „Winnetou darf nicht sterben“ und seinem Rückblick auf Edgar-Wallace-Verfilmungen „German Grusel“ drehte der Deutsche Oliver Schwehm im Jahre 2010 einen rund einstündige Biographie über und mit dem britischen Schauspieler Christopher Lee, der seine Karriere im Jahre 1946 begann und auch im hohen Alter noch immer erfolgreich vor der Kamera steht.

Schwehms Film „Christopher Lee - Gentleman des Grauens“ zeichnet Lees Karriere beginnend mit kleineren Nebenrollen und zahlreichen Problemen nach, die spätestens mit seinen Rollen in den Dracula- und Frankenstein-Filmen der britischen „Hammer Film Productions“ durch die Decke ging und den 1,96-Meter-Hünen zunächst zu einem beliebten Genre-Schauspieler machte, der mit der Profanisierung des Dracula-Themas sich jedoch gegen die Festlegung auf diese Rolle erfolgreich wehrte und seither in zahlreichen interessanten Projekten mitwirkt, die auch über den Spielfilmbereich hinausgehen.

Der sechs Sprachen sprechende Christopher Lee brachte eine gewisse Eleganz und Weltgewandtheit ins britische Kino. Er stammt aus gutem Hause, doch statt Arzt, Rechtsanwalt oder dergleichen wird er Horror-Schauspieler und arbeitetet sogar ohne Gage für den ambitionierten Kultfilm „The Wicker Man“. Ein gleich zu Karrierebeginn bei einem Drehunfall zerstörter Finger hielt ihn nicht von seiner Leidenschaft und Berufung ab – und dass Schwehm mit seinem Film das Geheimnis um den stets etwas abgespreizten Finger lüftet, dürften ihm viele detailaufmerksame Filmfreunde danken. Die Dokumentation setzt sich zusammen aus aktuellen wie alten Interviews mit Lee persönlich, Ausschnitten aus zahlreichen Filmen Lees von den Anfängen bis hin zu „Herr der Ringe“ und „Star Wars“, Statements von Tim Burton, Caroline Munro, Roger Moore, Viggo Mortensen sowie seiner Tochter Christina Erika Lee. Man erläutert, wie die Zusammenarbeit mit Tim Burton Lees Comeback einleitete und zeichnet ein sympathisches Bild eines Vollblut-Schauspielers der alten Schule, das spannend und kurzweilig erzählt sicherlich die wichtigsten Karrierestationen abdeckt und auch auf Nebentätigkeiten wie sein Musikprojekt mit der Heavy-Metal-Band „Rhapsody“ eingeht. Man bemerkt den angemessen respektvollen Umgang mit Christopher Lee und seinem Lebenswerk und die Kenntnis Schwehms von der Materie, der auch den einen oder anderen etwas bizarren „Ausrutscher“ in Lees Filmographie nicht unerwähnt lässt.

„Christopher Lee - Gentleman des Grauens“ porträtiert einen Mann und seine Arbeit auf gelungene, interessante, unterhaltsame Weise und macht Lust, sich wieder den einen oder anderen Film dieses faszinierenden Mannes anzusehen. Möge ihm noch ein langes, gesundes Leben beschert sein!
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The Throne of Fire
Der Dämon Belial zeugt den Satansbraten Morak (Harrison Muller jr.), der im altbekannten Barbarenland wahnsinnig gern König werden würde. Da ist aber der mysteriöse Thron des Feuers vor, der jeden zu Schaschlik macht, der auf ihm Platz nimmt und nicht zur königlichen Familie gehört. Ergo meuchelt Morak das monarchische Geblüt bis auf die äußerst knapp bekleidete Valkari (Sabrina Siani), die ihr eigenes Hüttendorf befehligt. Das wird natürlich niedergebrannt und die Prinzessin zur Heirat genötigt, denn eine Weissagung läßt Morak nur wenig Platz, so daß er "am Tage der Nacht während des Tages" nur die berühmte Sitzpause einnehmen kann. Da sprengt aus dem nahen Tann der muskulöse Siegfried (Pietro Torrisi) zur Rettung des königlichen Busens. Leider wird er gefangen genommen, kommt aber wieder frei, wird wieder gefangen, kommt wieder frei und irgendwann steht dann eine Sonnenfinsternis an...
„Ich spüre, dass heute der Tag der Gewalt ist!“

Wie manch anderer Landsmann auch, drehte der italienische Regisseur Franco Prosperi („Junge Mädchen zur Liebe gezwungen“), der übrigens keinesfalls zu verwechseln ist mit dem gleichnamigen Mondo-Dreher, einen Beitrag zum Fantasy-Subgenre des Barbaren-Bullshits, mutmaßlich begründet durch die US-Produktion „Conan – Der Barbar“ im Jahre 1982. Prosperi ließ bis auf das titelgebende Requisit nichts anbrennen, wollte noch im gleichen Jahr mit „The Throne of Fire“ etwas vom Kuchen abhaben und verpflichtete Pietro Torrisi und Sabrina Siani für folgende abenteuerliche Geschichte:

„Die Macht des Feuers beherrscht niemand!“ (Siegfried, noch nie etwas von Ator gehört?)

Der satanische Dämon Belial (Harrison Muller Jr., „Söldner Attack“) vergewaltigt ein argloses Fräulein, um seinen Sohn Morak (ebenfalls Harrison Muller Jr.) zu zeugen, der später einmal als neuer König den von Odin geschmiedeten „Thron des Feuers“ besteigen soll. Doch hat er die Rechnung ohne den zeitnah ebenfalls gezeugten Siegfried (Pietro Torrisi, „Emanuelle im Sexrausch“) gemacht, der genau dies verhindern soll. Nachdem Morak fast das komplette Dorf dahingemeuchelt hat, will er die einzige am Leben gelassene Dame, die kämpferische Prinzessin Valkari (Sabrina Siani, „Mondo Cannibale 3“), ehelichen, was Grundvoraussetzung dafür ist, dass er nicht wie alle anderen Unglücklichen zuvor Feuer fängt und zum Häufchen Asche wird, sobald er sitzenderweise Anspruch auf den Thron erhebt. Stattfinden soll all das während einer Sonnenfinsternis, also bleibt Siegfried nicht viel Zeit, um die Holde heldenhaft zu erretten und Moraks Schreckensherrschaft den Garaus zu machen.

„Werft ihn in den Brunnen des Wahnsinns!“

Schon der Prolog macht die Marsch- bzw. Schleichrichtung dieses Testosteron-Tumbsinns deutlich: Nach einer angedeuteten Vergewaltigung (bei der man erst einmal darauf kommen muss, dass es sich um eine solche handeln soll) zwecks Stammhalterzeugung des Deibels schleppt sich das Opfer minutenlang schwanger durch den Wald – was Prosperi im Gegensatz zum Zeugungsakt auch explizit zeigt: Sie schleppt sich. Minutenlang. Der Film ebenso. Dies ändert sich kurzzeitig, als sich im Rahmen eines Barbarenkampfes halbnackte Prolls in superknappen Fetisch-Schlüpfern in einer Kieskuhle aufeinanderstürzen (angeblich geklaut aus „Das Schwert des Barbaren“!?). Doch da, ein Lichtblick! Die blonde Walküre Sabrina Siani stürzt ebenfalls, und zwar im Leder-/Fell-Bikini ins Bild. Gewinnt das Kostümfest jetzt an Charme, Anmut, Eleganz und Sex-Appeal? Nein, aber zumindest an Siani, deren spärlich bekleideter Körper fortan so manchen Fantasy-Fatzke bis zum kitschigen Ende durch den Film geführt haben dürfte.

Raus geht’s aus der Kieskuhle in die Schlossgemäuer, doch ansonsten gibt es nämlich nicht mehr viel zu sehen, was man wirklich sehen möchte. Spezialeffekte? Nun, ja, es sind welche vorhanden. Doch noch lächerlicher als die während Siegfrieds Angriff auf Belial sind die im wahrhaft wahnsinnigen „Brunnen des Wahnsinns“, in den der arme Siggi gesperrt wird und sich dort gegen eine hineingehaltene Plastikfratze, Ritterrüstungen und ein paar possierliche Tierchen verteidigen muss. Grandios-grotesk auch, wie sich Siegfried später mit Pfeilen bewerfen lässt. Besonders angetan hatten es Prosperi aber seine Kampfchoreographien, weshalb er sie immer wieder in Zeitlupe zelebriert. Welchen Effekt ständige Zeitlupen auf einen tendenziell doofen und langweiligen Film haben, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.

„Am Tage der Nacht während des Tages…“ (frei nach Loriot: zweites Futur bei Sonnenfinsternis)

Doch es gibt nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu hören, und das wären neben einem belanglosen Soundtrack diese unfassbar gestelzten, bemüht auf altertümlich getrimmten Dialoge, bei denen ich reflexartig und ohne es zu wollen auf Durchzug schalte und leider (?) kaum etwas haften bleibt. Doch das passt zum Film, in dem fast alles so aufgesetzt und gekünstelt wirkt wie in einer drittklassigen Laientheater-Aufführung. Zugegeben, zum Schmunzeln geben auch manch Zeilen Anlass; ich denke da z.B. an jene Wache, die, nachdem Siegfried als Unsichtbarer die Tür durchschritt und diese offen stehen ließ, zur anderen sagt: „Muss wohl der Wind gewesen sein!“ Spitze auch der Sianische Ausspruch „Eine Frau verfügt über Waffen, die kein Mann hat!“ – sprach die launenhafte und misstrauische Prinzessin und will innerhalb von Sekunden unseren Siggi nicht mehr umbringen, sondern mit ihm knutschen. Zum Knutschen solche Szenen!

Größtenteils jedoch wurde diese respektlose Durcheinanderwürfelung aus christlicher und nordischer/germanischer Mythologie, peinlichem Patriarchen-Protz und magischem Mumpitz schlicht langatmig, ohne Gefühl für Dramaturgie und Spannung, inszeniert und zudem schluderig geschnitten, so dass sie als wahrhaft schlechter Film zwar durchaus einen Kuriositätenbonus erhält, ansonsten aber auch unter Trash-Gesichtspunkten nicht ansatzweise soviel Freude bereitet, wie sie es theoretisch hätte können – das werden selbst anspruchsloseste Anabolika-Anbeter, Barbarenbusenfreunde, Schwertschwinger und Fellfetischisten konstatieren müssen. Ob Produzent Umberto Innocenzi später jegliche Schuld von sich wies, ist leider nicht überliefert (man verzeihe mir dieses Wortspiel).
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Kleinruppin forever
Der 19-jährige Mädchenschwarm und zukünftige Tennisprofi Tim (Tobias Schenke) fährt mit seiner Schulklasse nach Kleinruppin in der DDR. Dort trifft er auf seinen ihm bisher unbekannten Zwillingsbruder Ronnie (auch Tobias Schenke) der ihn kurzerhand niederstreckt und an seiner Stelle in den Westen zurückkehrt. Tim versucht zunächst dem Sozialismus zu entkommen, doch als ihm niemand seine absurde Geschichte abkauft, beginnt er sich mit der Situation zu arrangieren. Als Tim Jana (Anna Brüggemann) begegnet, wird für ihn die graue DDR bunt. Doch da bietet sich ihm die Chance, mit dem Kleinruppin-Schwimmteam in den Westen zu fahren…
„Wenn du jetzt gehst, dann kannste gleich drüben bleiben!“ (Gesagt, getan – wenn auch unfreiwillig…)

Im Jahre 2004 drehte der deutsche Regisseur Carsten Fiebeler („Die Datsche“) mit „Kleinruppin forever“ eine Komödie, die zu Zeiten der 1980er-Jahre in der damals noch real existenten DDR angesiedelt wurde. Damit lieferte er nach Meinung einiger Kritiker einen trendgerechten Beitrag zu einer filmischen „Ostalgie“-Welle, die ich als solche aber nicht zu erkennen vermag. Mit Filmen wie „Good Bye Lenin!“ und „Sonnenallee“ gab es zwar eine komödiantische Thematisierung der DDR, die meines Erachtens jedoch überraschend spät einsetzte und bis heute angesichts 40-jähriger Existenz jenes Staates, der immerhin über rund 16 Millionen Einwohner verfügte und das politische Geschehen im westlichen Teil Deutschlands oftmals indirekt mitbestimmte, über eine doch sehr überschaubare Anzahl an filmischen Beiträgen verfügt. Von einem großen Trend zur „ostalgischen“ DDR-Komödie kann meines Erachtens demnach kaum eine Rede und häufig erahne ich in der kritischen Beurteilung dieser Filme bewusste oder unbewusste, möglicherweise anerzogene ideologische Beweggründe.

„Kleinruppin forever“ erzählt die Geschichte des 19-jährigen Tims aus gutem BRD-Hause, der sich neben der Schule als erfolgreicher Nachwuchs-Tennisspieler verdingt und als lebenslustiger Halbstarker wenig Interesse an der Erwartungshaltung seines Vaters entwickelt. Als er mit seiner Schulklasse an einem Ausflug nach Kleinruppin in der DDR teilnimmt, begegnet er durch Zufall seinem Zwillingsbruder, von dem er kurz nach der Geburt getrennt wurde. Dieser heißt Ronnie und wuchs als Heimkind in der DDR auf. Ronnie nutzt die Gunst der Stunde, schlägt seinen Bruder bewusstlos und kehrt an seiner statt in die BRD zurück, wo er sich zum neuen Lieblingssohn des Vaters entwickelt. Tim wiederum hält man nun allerorts für Ronnie und möchte ihn partout nicht ausreisen lassen, seine abenteuerliche Geschichte kauft man ihm schon gar nicht ab. Stattdessen handelt er sich Konflikte mit der Staatsmacht ein. Wohl oder übel muss er sich ein Stück weit mit den Gegebenheiten arrangieren. Er „übernimmt“ Ronnies Freunde und spielt weiter mit ihnen in der Hobby-Band, während er sich nebenbei dem Schwimmsport verschreibt und darin eine Möglichkeit zur Republikflucht sieht. Doch hat er sich auch in die bereits vergebene Jana verliebt… Gibt es für diese Liebe überhaupt eine Chance? Und wie wird Tim sich letztlich entscheiden?

Zunächst einmal hat das von klassischen Rollentauschfilmen inspirierte Drehbuch sehr gute Karten, denn es entbehrt keinerlei Komik, wenn Tennis-Popper Tim unheimlich blauäugig in der DDR herumläuft und neben einem Bruder, der (natürlich) Ronnie heißt mit Wartburgs, Polikliniken, Kohlenhandlungen, dem Oktoberklub, der Freikörperkultur sowie dem „Urst“-Laut konfrontiert wird. Zusammen mit Plattenbauten, Rollschuhen und Kindern in bayrischen Lederhosen (waren die eigentlich „typisch Ost“ oder trug man die – außerhalb Bayerns – auch im Westen?) ergibt sich so ein augenzwinkernd klischeehaftes, jedoch in seiner Selbstverständlichkeit sympathisch dargereichtes und mit vielen Wiedererkennungseffekten gespicktes Bild der 1980er der DDR noch vor den großen Umwälzungen. Zudem werden die DDR-Bürger anhand einzelner Beispiele nicht nur grob porträtiert, sondern wird im Subtext die keinesfalls klassenlose Gesellschaft (die sie eigentlich hätte sein sollen) verdeutlicht. Soziale Unterschiede gab es durchaus, auch wenn sich diese nicht vorrangig am materiellen Reichtum festmachen ließen. So komödientypisch überzeichnet man dabei auch vorgeht, so sehr verzichtet man dennoch auf antisozialistische Holzhammer-Polemik – was wiederum dazu führt, dass man den Eindruck bekommen könnte, Stasi und Staatsmacht würden zwar mitunter verdammt nerven, eine wirklich ernstzunehmende Gefahr ginge von ihnen jedoch nicht aus. Dem Film an dieser Stelle aber Verharmlosung vorzuwerfen, bedeutete, sein Genre zu ignorieren. Aufmerksame Zuschauer werden sehr wohl den Überwachungsstaat und die eingeschränkte persönliche Freiheit bis hin zu Repressionen erkennen, auch ohne explizite, plakative Unrechtsexzesse, die Betroffenheit und Wut im Zuschauer auslösen würden (was nicht Ziel einer derartigen Komödie sein kann).

Neben dem Genre ist einer der Gründe dafür, dass „Kleinruppin forever“ neben der DDR ein weiteres, wie sich herausstellen wird viel gewichtigeres Thema behandelt: das der Liebe zwischen zwei Menschen, Widerständen und unglücklichen Umständen zum Trotz. Was die unter keinen guten Sternen stehende Beziehung zwischen Jana und Tim betrifft, gestaltet sich Fiebelers Film lange Zeit spannend und mit einer dicken Prise nostalgischer (in Bezug auf die eigene Jugend, staatenunabhängig), melancholischer Emotion versehen und präsentiert mit Jana einen ambivalenten, interessanten Charakter, an dem Tim spürbar reift. Das Ende indes ist zwar arg kitschig geraten, die Aussage jedoch in Bezug auf die Kraft der Liebe mag zunächst ähnlich naiv anmuten wie Tims anfängliches Herumgestolpere in der DDR in Anwesenheit seiner Schulklasse, ist letztlich aber ein Plädoyer gegen Materialismus und vorgefertigte Karrierepläne sowie ein Aufräumen mit der Mär vom menschenunwürdigen Unrechts- und Terrorstaat, der 24 Stunden am Tag seine Bevölkerung malträtiert. Fiebeler zeigt die negativen Seiten des politischen DDR-Zentralismus, aber auch das lebenswerte Leben der Bürger, ihren eben nicht permanent von Unterdrückung und Diktatur bestimmten Alltag sowie ihre menschlichen Gefühle, die unabhängig vom politischen System die Menschen eint.

Mit all dem erreicht „Kleinruppin forever“ allerdings nicht die Qualitäten beispielsweise eines „Sonnenallee“, dafür wurde die Geschichte dann doch aus zu vielen Unwahrscheinlichkeiten konstruiert und zudem entscheidende Teile des Soundtracks dreist bei „La Boum – Die Fete“ geklaut, wird darüber hinaus auch nicht der Tiefgang hinter den Klischees erreicht, wie es anderen Filmen dieser Art gelang. Tobias Schenke („Knallharte Jungs“) meistert seine Doppelrolle solide, auch die anderen Jungdarsteller, insbesondere die in ihrer Rolle wirklich bezaubernde und freizügige Anna Brüggemann („Anatomie“), tragen ihren Teil zum Vergnügen bei. Insgesamt kein allzu großer Wurf, aber eine über weite Strecken gelungene, sympathisch menschliche romantische Komödie, die man in ihrer Leichtfüßigkeit bitte nicht auf die politisch-ideologische Goldwaage legen sollte – ganz gleich, von welcher Seite man sie betrachtet.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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