Der Hauptmann von Köpenick - Frank Breyer (1997)
Verfasst: Mi 4. Mai 2016, 14:12
von buxtebrawler
Originaltitel: Der Hauptmann von Köpenick
Herstellungsland: Deutschland / Schweiz / Österreich (1997)
Regie: Frank Breyer
Darsteller: Harald Juhnke, Udo Samel, Elisabeth Trissenaar, Katharina Thalbach, Hermann Beyer, Rolf Hoppe, Reimar J. Baur, Hark Bohm, Matthias Günther, Reiner Heise, Jürgen Hentsch, Horst Hiemer u. A.
Berlin, um 1900: Wilhelm Voigt (Harald Juhnke) erhält nach einem Gefängnisaufenthalt keinen Pass. Der Verzweifelte versucht, die preußische Bürokratie mit eigenen Mitteln zu schlagen: Er ersteht eine Uniform und besetzt das Rathaus von Köpenick...
Quelle:
www.ofdb.de
Re: Der Hauptmann von Köpenick - Frank Breyer (1997)
Verfasst: Mi 4. Mai 2016, 14:13
von buxtebrawler
„Der alte Fritz, der kategorische Imperativ und unser Exerzierreglement – das macht uns keiner nach! Das sind die Klassiker! Damit haben wir’s geschafft in der Welt!“
Nach einer aus den frühen 1930er-, einer aus den 1950er-Jahren und einer weiteren aus dem Jahre 1960 war Frank Breyers 1997 in deutsch-österreichisch-schweizerischer Koproduktion fürs Fernsehen entstandene Interpretation des klassischen Theaterstücks Carl Zuckmayers die vierte Verfilmung des „Hauptmanns von Köpenick“, jener Tragikomödie um den mittellosen Schuster Wilhelm Voigt, der sich schließlich eine Uniform überzieht und sich als jenen Hauptmann ausgibt. Dieser wird gespielt vom unvergessenen und unnachahmlichen Harald Juhnke, der in ihm seine Lieblings- und Paraderolle fand, die er vornehmlich im Theater spielte.
„Wat meinste, wie schön Deutschland ist, wenn man weit weg ist und nur dran denkt?“
Schuster Wilhelm Voigt (Harald Juhnke, „Der Trinker“) wird im Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts aus dem Gefängnis entlassen und steht vor dem Nichts. Dass sich seine Situation nicht zum Besseren ändert, verschulden die bürokratischen preußischen Behörden, die ihm partout keinen Pass ausstellen wollen, den er aber dringend benötigt, um arbeiten zu können. Er kommt bei Verwandtschaft außerhalb Berlins unter und verübt in seiner Verzweiflung schließlich einen Einbruch in die entsprechende Behörde, um seine ihm im Weg stehenden Akten zu vernichten. Er wird jedoch erwischt und erneut ins Zuchthaus gesteckt, wo er eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt – und unter Leitung des Direktors (Rolf Hoppe, „Tödlicher Irrtum“) in militärischem Drill geschult wird. Nach seiner Entlassung zieht er zu seiner Schwester Marie (Katharina Thalbach, „Die Blechtrommel“) und ihrem Mann Friedrich (Hermann Beyer, „Märkische Forschungen“), die außerdem das kranke Lieschen (Marlene Marlow, „Die Schulfeindin“) beherbergen. Als diese stirbt und er aus Berlin ausgewiesen werden soll, fasst er einen Entschluss: Er ersteht eine Hauptmannsuniforum aus zweiter Hand, befehligt einen Wachtrupp, besetzt das Rathaus von Köpenick und lässt den Bürgermeister (Udo Samel, „Kondom des Grauens“) auf vermeintlichen Befehl des Kaisers verhaften…
„Da steht man von selbst stramm, meine Herren!“
Ohne die vorausgegangenen Verfilmungen zu kennen oder das Stück je in einem Theater gesehen zu haben, kann ich Breyers einziger Regiearbeit guten Gewissens attestieren, ein unterhaltsames, skurriles Bild der preußischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende zu zeichnen. Der hintergründige Witz beginnt mit dem absurden Gerangel beim Schneider um eine korrekte Hauptmannsuniforum, setzt sich fort beim bürgerfeindlichen Behördenirrsinn, findet seine Entsprechung in den mit viel scharfzüngigem Sprachwitz gespickten Dialogen und der Parodie der sich durch den Staatsapparat ziehenden wilhelminischen Steifheit, um schließlich zu brillieren, wenn zu blindem Gehorsam führende Autoritätshörigkeit, Uniformfetisch und Militarismus der Deutschen kräftig aufs Korn genommen werden. Voigt, der selbst nie Soldat gewesen ist, sticht besonders hervor, als zur Begeisterung des Direktors im Knast Krieg gespielt wird und bekommt spätestens dort alles an die Hand, was er braucht, um die Stadtadministration später an der Nase herumzuführen.
Dies markiert den Höhepunkt des Films und führt zu viel Genugtuung, wenngleich der bittere Beigeschmack allgegenwärtig ist, dass eben diese Obrigkeitshörigkeit entschieden dazu beitrug, den späteren Hitlerfaschismus zu etablieren. Als Zuschauer identifiziert man sich dem einfachen Arbeiter Voigt, dem Verlierer dieses Systems, der mit seiner unangepassten Entschlossenheit, seiner bauernschlauen Intelligenz und der Gewissheit, nichts mehr zu verlieren zu haben, alles auf eine Karte setzt – und sei es nur, um seinen Peinigern eins auszuwischen. Der Produktion gelang es, ein nachvollziehbar authentisch anmutendes Bild der damaligen Verhältnisse zu zeichnen und fand in ihren Volksschauspielern, allen voran dem für seine Rolle prädestiniert erscheinenden Harald Juhnke, dessen Leben selbst zwischen großen Auftritten und privater Tragik beständig pendelte, die passende Darstellerriege, die sich enthusiastisch und spielfreudig zeigt. Es erfüllt mich mit einer gewissen Befriedigung, dass Juhnke die Gelegenheit bekam, seine liebste Theaterrolle in dieser Filmform verewigen zu können und seinen Landsleuten damit eine leider zeitlos erscheinende Warnung inkl. Aufruf zu zivilem Ungehorsam mit auf den Weg zu geben, ohne auf seinen spitzbübischen Charme verzichten zu müssen. Sicher, man merkt dieser Verfilmung den Theaterhintergrund und die TV-Produktionsmittel an, eine hochbudgetierte Kinoproduktion hätte bestimmt noch mehr aus dem Stoff herausholen können. Doch auch ohne Kirsche auf dem Sahnehäubchen lohnt sich „Der Hauptmann von Köpenick“ in dieser unprätentiösen Form, mit seinem Humor, der schnoddrigen Berliner Schnauze, seiner straffen Inszenierung und Pointiertheit, allemal – wohlgemerkt ohne, dass ich Vergleiche zu anderen Interpretationen anstellen könnte.
Re: Der Hauptmann von Köpenick - Frank Breyer (1997)
Verfasst: Mo 17. Okt 2016, 17:16
von buxtebrawler
Erscheint voraussichtlich am 21.10.2016 bei Studio Hamburg noch einmal auf DVD: