Originaltitel: Wend Kuuni
Produktionsland: Burkina Faso 1982
Regie: Gaston Kaboré
Darsteller: Serge Yanogo, Rosine Yanogo, Joseph Nikiema, Colette Kaboré, Simone Tapsoba, Yaya Wima
Burkina Faso im frühen neunzehnten Jahrhundert, viele Jahre bevor die ersten Weißen ihre Füße in das afrikanische Binnenland setzen: Ein reisender Händler findet mitten im Busch einen kleinen Jungen, der scheinbar nicht sprechen kann. Er nimmt ihn mit ins nächste Dorf, wo eine Familie sich bereiterklärt, ihn bei sich aufzunehmen bis man herausgefunden hat, wer seine Eltern sind. Allerdings verlaufen sämtliche Nachforschungen im Sande: In keiner der umliegenden Siedlungen wird ein Kind vermisst, in keiner der umliegenden Siedlungen lassen sich Hinweise darauf finden, wer der Knabe sein könnte und was dazu führte, dass er mutterseelenallein im Unterholz landete. Schließlich adoptiert die Familie, bei der sein Retter ihn abgegeben hat, den Jungen. Man nennt ihn von nun an Wend Kuuni, was in der Sprache der Mossi so viel bedeutet wie „Gottesgeschenk“, und bald schon ist er fester Bestandteil des Dorflebens. Als Ziegenhirte geht er seinem Ziehvater zur Hand, treibt jeden Morgen die blökende Schar in die Steppe hinaus, und führt sie am Abend zurück in den Stall. Vor allem zu seiner Stiefschwester Pognere, die ungefähr so alt ist wie er selbst, fasst er ein starkes Zutrauen, endlich eine tiefe Kinderfreundschaft. Letztendlich bleibt Wend Kuuni aber, wie der sich sporadisch einschaltende Erzähler aus dem Off betont, mit seinem Kummer allein. Unfähig, sich verbal zu äußern, muss er das schreckliche Geheimnis in sich verschließen, das ihn seiner Mutter beraubte und ihn von seinem Stamm trennte. Dann aber knüpft sich einer der Dorfbewohner an einem Baum auf, und da es ausgerechnet Wend Kuuni ist, der den Toten findet, hat der Suizid zumindest einen positiven Nebeneffekt: Er löst die Zunge des Jungen, der auf einmal wieder sprechen und seinen Pflegeeltern seine Geschichte erzählen kann…
Etwa siebzig Minuten dauert WEND KUUNI, der erste Spielfilm von Gaston Kaboré, einem Filmemacher, dessen Bedeutung man für das Kino seines Heimatlandes Burkina Faso wohl gar nicht hoch genug einschätzen kann, und in diesen knapp siebzig Minuten geschieht tatsächlich nicht viel mehr als das, was ich oben gemessen am Inhalt schon recht ausführlich beschrieben habe. Kaboré, der zwar an der Sorbonne studierte, dann aber, sowohl in seinen eigenen künstlerischen Arbeiten als auch in seinen Lehrtätigkeiten, vor allem den Ansatz verfolgte, für ein afrikanisches Kino nicht einfach nur Muster des westlichen Spielfilms zu reproduzieren, sondern eine Kinematographie zu schaffen, die dezidiert auf ein genuin afrikanisches Publikum zugeschnitten ist, liefert im Prinzip genau das nicht, was eine Hollywood-Produktion aus dem gleichen, WEND KUUNI zugrundeliegenden Drehbuch gemacht hätte. In diesem Film gibt es weder eine besondere Spannung noch irgendwelche Schauwerte, nicht einmal, für westliches Empfinden, eine sonderlich ausgefeilte Dramaturgie. Stattdessen ergeht WEND KUNNI, dessen Handlung im Übrigen auf mehreren lokalen Volkserzählungen beruht, die Kaboré miteinander verknüpft hat, sich über weite Strecken seiner Laufzeit in alltäglichsten Szenerien, die vor allem einen Eindruck vom Leben innerhalb des kleinen Dorfs vermitteln, in dem sein Held aufwächst. Zahllos sind die Szenen, in denen zum Beispiel Wend Kuunis Ziehvater einem anderen Dorfbewohner begegnet, man schüttelt sich die Hände, tauscht small talk aus, geht schließlich wieder seiner Wege, ohne dass das konkret etwas zur eigentlichen Geschichte beitragen würde. Ebenso zahllos – und herzallerliebst, zumal WEND KUNNI damit nach Michelangelo Frammartinos I QUATTRO VOLTE wohl der Spielfilm mit den meisten Ziegenszenen sein dürfte, den ich jemals sehen durfte – sind die fast schon meditativen Aufnahmen, die unseren Helden dabei zeigen wie er die ihm anver-traute Ziegenherde durchs Unterholz manövriert. Überhaupt ist der Stil, dessen Kaboré sich für sein Debut bedient, so unaufgeregt wie nur möglich: Seine Kamera erfreut sich an den schlichtesten Dingen wie zum Beispiel einem bestimmten Einfall von Sonnenlicht durch das Geäst eines Baumes hindurch oder banal klingenden Szenen wie die, in denen Pognere sich immer wieder zu Wend Kuuni auf die Weide stiehlt, um mit ihrem Stiefbruder Zeit verbringen zu können.
Nur ganz selten schlägt dieser stille, bescheidene Film etwas höhere Wellen, und interessanterweise bespritzen diese dann oftmals Fragen zur Beziehung der Geschlechter untereinander. In der wohl wildesten – und witzigsten – Szene des Films bricht auf dem Dorfplatz ein Streit aus zwischen einer jungen Frau, die wohl einem älteren Mann hatte verheiratet werden sollen, und ihrem Gatten in spe, der sich von ihr Vorwürfe gefallen lassen muss, er sei ein impotenter Greis, was ihn natürlich seinerseits auf die Palme bringt. Obwohl dieser Konflikt singulär in den meist dialoglosen, langen Einstellungen des Films steht und Kaboré später nicht mehr auf ihn zurückkommen wird, scheint es doch so zu sein, als ob die widerwillige Braut es mit ihren Anschuldigungen fertiggebracht hat, der unliebsame Ehe zu entgehen, und als ob der Verhöhnte dies zähneknirschend akzeptieren muss. Später sind es Pognere und Wend Kuuni, die aus ihrer unschuldigen Kinderperspektive heraus über die Verfasstheit der beiden Geschlechter und deren gesellschaftlichen Rollen reflektieren. Pognere fragt ihren Freund, ob er daran glaube, dass es Geister gäbe, die ein Mädchen wie sie in einen Jungen wie ihn verwandeln könne. Er bestätigt das, denn, sagt er, Geister seien mächtig, nur, fragt er, weshalb wolle sie denn kein Mädchen mehr sein? Pogneres Antwort ist so einfach wie bestechend: Damit ich den ganzen Tag mit Dir bei den Ziegen verbringen kann, und mich nicht um den Haushalt kümmern muss. Solche Szenen weisen nachdrücklich darauf hin, dass Kaboré es nicht nur daran gelegen war, den Bestand oral tradierter Erzählungen seiner Kultur zu verwalten und in bewegte Bilder zu übersetzen, sondern dass er wohl ebenfalls Gegenwart und Zukunft seines Heimatlandes im Blick hatte, als er WEND KUNNI konzipiert hat. Hierfür spricht ebenfalls, was Wend Kuuni uns schließlich über seine Herkunft enthüllt: Seine Mutter sei, nach dem Verschwinden des Vaters, der eines Tages einfach nicht aus dem Busch zurückkehrte, von ihrem Dorf aus völlig irrationalen Motiven heraus für eine Hexe gehalten worden. Mit Steinen und Beschimpfungen habe man sie zusammen mit Wend Kuuni selbst aus der Siedlung heraus in die Wildnis gejagt, wo sie dann entkräftet gestorben sei. Für jemanden wie mich, der nun schon einige Trash-Horrorfilme aus Nigeria und Ghana gesehen hat, wie zum Beispiel END OF THE WICKED oder WITCHES, weckt das natürlich mehr unangenehme als angenehme Erinnerungen, sind doch gerade beide oben genannten Filme zwar einerseits billiger, kurzweiliger, mitunter heftig surrealer Horror-Trash, andererseits aber zugleich Ausgeburten eines streng ausgelegten Christentums, das in besagten Ländern, gefördert von fanatischen Predigern wie Helen Ukpabio, oft genug dazu führt, dass Eltern ihre Kinder, in denen sie Hexen und Hexer zu erkennen glauben, verstoßen oder töten. Die Tragik in Wend Kuunis Biographie, dem der Aberglaube die Mutter genommen hat, könnte man somit auch als Kommentar Kaborés zu zeitgenössischen religiösen Entwicklungen in Westafrika lesen.
Alles in allem ist WEND KUUNI aber kein Film mit allzu lauten gesellschaftlichen oder politischen Obertönen, sondern vielmehr ein derart leiser Film, dass man sich zuweilen richtig anstrengen muss, ihn überhaupt flüstern hören zu können. Ohne zu idealisieren, ohne zu dramatisieren, mit einem Naturalismus, der die Schönheit der Welt in ihrer ganzen Schlichtheit vorführt, erzählt er eine Art coming-of-age-Geschichte von Sprachverlust und Sprachgewinn, von unschuldiger Geschwisterliebe, von Liebe und Hass in einem Umfeld, dessen Banalität zu einem Reichtum an alltäglichen Details führt, von denen jedes wichtig ist, und keins überflüssig. Man muss sich auf die langsame Bildsprache Kaborés einlassen, die jede einzelne Silbe betont, doch tut man das, wird man belohnt mit einem wundervollen, kleinen Film mit einem wundervollen Soundtrack und voller wundervoller, kleiner Ziegen.
Etwa siebzig Minuten dauert WEND KUUNI, der erste Spielfilm von Gaston Kaboré, einem Filmemacher, dessen Bedeutung man für das Kino seines Heimatlandes Burkina Faso wohl gar nicht hoch genug einschätzen kann, und in diesen knapp siebzig Minuten geschieht tatsächlich nicht viel mehr als das, was ich oben gemessen am Inhalt schon recht ausführlich beschrieben habe. Kaboré, der zwar an der Sorbonne studierte, dann aber, sowohl in seinen eigenen künstlerischen Arbeiten als auch in seinen Lehrtätigkeiten, vor allem den Ansatz verfolgte, für ein afrikanisches Kino nicht einfach nur Muster des westlichen Spielfilms zu reproduzieren, sondern eine Kinematographie zu schaffen, die dezidiert auf ein genuin afrikanisches Publikum zugeschnitten ist, liefert im Prinzip genau das nicht, was eine Hollywood-Produktion aus dem gleichen, WEND KUUNI zugrundeliegenden Drehbuch gemacht hätte. In diesem Film gibt es weder eine besondere Spannung noch irgendwelche Schauwerte, nicht einmal, für westliches Empfinden, eine sonderlich ausgefeilte Dramaturgie. Stattdessen ergeht WEND KUNNI, dessen Handlung im Übrigen auf mehreren lokalen Volkserzählungen beruht, die Kaboré miteinander verknüpft hat, sich über weite Strecken seiner Laufzeit in alltäglichsten Szenerien, die vor allem einen Eindruck vom Leben innerhalb des kleinen Dorfs vermitteln, in dem sein Held aufwächst. Zahllos sind die Szenen, in denen zum Beispiel Wend Kuunis Ziehvater einem anderen Dorfbewohner begegnet, man schüttelt sich die Hände, tauscht small talk aus, geht schließlich wieder seiner Wege, ohne dass das konkret etwas zur eigentlichen Geschichte beitragen würde. Ebenso zahllos – und herzallerliebst, zumal WEND KUNNI damit nach Michelangelo Frammartinos I QUATTRO VOLTE wohl der Spielfilm mit den meisten Ziegenszenen sein dürfte, den ich jemals sehen durfte – sind die fast schon meditativen Aufnahmen, die unseren Helden dabei zeigen wie er die ihm anver-traute Ziegenherde durchs Unterholz manövriert. Überhaupt ist der Stil, dessen Kaboré sich für sein Debut bedient, so unaufgeregt wie nur möglich: Seine Kamera erfreut sich an den schlichtesten Dingen wie zum Beispiel einem bestimmten Einfall von Sonnenlicht durch das Geäst eines Baumes hindurch oder banal klingenden Szenen wie die, in denen Pognere sich immer wieder zu Wend Kuuni auf die Weide stiehlt, um mit ihrem Stiefbruder Zeit verbringen zu können.
Nur ganz selten schlägt dieser stille, bescheidene Film etwas höhere Wellen, und interessanterweise bespritzen diese dann oftmals Fragen zur Beziehung der Geschlechter untereinander. In der wohl wildesten – und witzigsten – Szene des Films bricht auf dem Dorfplatz ein Streit aus zwischen einer jungen Frau, die wohl einem älteren Mann hatte verheiratet werden sollen, und ihrem Gatten in spe, der sich von ihr Vorwürfe gefallen lassen muss, er sei ein impotenter Greis, was ihn natürlich seinerseits auf die Palme bringt. Obwohl dieser Konflikt singulär in den meist dialoglosen, langen Einstellungen des Films steht und Kaboré später nicht mehr auf ihn zurückkommen wird, scheint es doch so zu sein, als ob die widerwillige Braut es mit ihren Anschuldigungen fertiggebracht hat, der unliebsame Ehe zu entgehen, und als ob der Verhöhnte dies zähneknirschend akzeptieren muss. Später sind es Pognere und Wend Kuuni, die aus ihrer unschuldigen Kinderperspektive heraus über die Verfasstheit der beiden Geschlechter und deren gesellschaftlichen Rollen reflektieren. Pognere fragt ihren Freund, ob er daran glaube, dass es Geister gäbe, die ein Mädchen wie sie in einen Jungen wie ihn verwandeln könne. Er bestätigt das, denn, sagt er, Geister seien mächtig, nur, fragt er, weshalb wolle sie denn kein Mädchen mehr sein? Pogneres Antwort ist so einfach wie bestechend: Damit ich den ganzen Tag mit Dir bei den Ziegen verbringen kann, und mich nicht um den Haushalt kümmern muss. Solche Szenen weisen nachdrücklich darauf hin, dass Kaboré es nicht nur daran gelegen war, den Bestand oral tradierter Erzählungen seiner Kultur zu verwalten und in bewegte Bilder zu übersetzen, sondern dass er wohl ebenfalls Gegenwart und Zukunft seines Heimatlandes im Blick hatte, als er WEND KUNNI konzipiert hat. Hierfür spricht ebenfalls, was Wend Kuuni uns schließlich über seine Herkunft enthüllt: Seine Mutter sei, nach dem Verschwinden des Vaters, der eines Tages einfach nicht aus dem Busch zurückkehrte, von ihrem Dorf aus völlig irrationalen Motiven heraus für eine Hexe gehalten worden. Mit Steinen und Beschimpfungen habe man sie zusammen mit Wend Kuuni selbst aus der Siedlung heraus in die Wildnis gejagt, wo sie dann entkräftet gestorben sei. Für jemanden wie mich, der nun schon einige Trash-Horrorfilme aus Nigeria und Ghana gesehen hat, wie zum Beispiel END OF THE WICKED oder WITCHES, weckt das natürlich mehr unangenehme als angenehme Erinnerungen, sind doch gerade beide oben genannten Filme zwar einerseits billiger, kurzweiliger, mitunter heftig surrealer Horror-Trash, andererseits aber zugleich Ausgeburten eines streng ausgelegten Christentums, das in besagten Ländern, gefördert von fanatischen Predigern wie Helen Ukpabio, oft genug dazu führt, dass Eltern ihre Kinder, in denen sie Hexen und Hexer zu erkennen glauben, verstoßen oder töten. Die Tragik in Wend Kuunis Biographie, dem der Aberglaube die Mutter genommen hat, könnte man somit auch als Kommentar Kaborés zu zeitgenössischen religiösen Entwicklungen in Westafrika lesen.
Alles in allem ist WEND KUUNI aber kein Film mit allzu lauten gesellschaftlichen oder politischen Obertönen, sondern vielmehr ein derart leiser Film, dass man sich zuweilen richtig anstrengen muss, ihn überhaupt flüstern hören zu können. Ohne zu idealisieren, ohne zu dramatisieren, mit einem Naturalismus, der die Schönheit der Welt in ihrer ganzen Schlichtheit vorführt, erzählt er eine Art coming-of-age-Geschichte von Sprachverlust und Sprachgewinn, von unschuldiger Geschwisterliebe, von Liebe und Hass in einem Umfeld, dessen Banalität zu einem Reichtum an alltäglichen Details führt, von denen jedes wichtig ist, und keins überflüssig. Man muss sich auf die langsame Bildsprache Kaborés einlassen, die jede einzelne Silbe betont, doch tut man das, wird man belohnt mit einem wundervollen, kleinen Film mit einem wundervollen Soundtrack und voller wundervoller, kleiner Ziegen.