La fée sanguinaire - Roland Lethem (1969)
Verfasst: Mo 9. Mai 2016, 12:28
Originaltitel: La fée sanguinaire
Produktionsland: Belgien 1969
Regie: Roland Lethem
Darsteller: To Katinaki, Pierre Lampe, Jean-Pierre Bouyxou, Raphael Marongiu
Produktionsland: Belgien 1969
Regie: Roland Lethem
Darsteller: To Katinaki, Pierre Lampe, Jean-Pierre Bouyxou, Raphael Marongiu
Es waren einmal zwei Engel…
Als ob Luis Bunuel auf seine alten Tage sich von dem Betreiber eines Grand-Guignol-Theaters in irgendeiner Montmartrer Seitengasse dazu habe überreden lassen, einen Splatterfilm für ihn zu drehen, der in ausgewählten Bahnhofskinos als Werbung für sein Etablissement dienen sollte.
Raphael Marongiu, der unter anderem in Jean Rollins LES DÉMONIAQUES (1974) mitspielen, für Jean-Pierre Bouyxous Kurzfilm SATAN BOUCHE UN COIN (1968) die Kamera führen und für Jean Rollins LES RAISINS DE LA MORT (1978) die Spezialeffekte besorgen sollte, und Jean-Pierre Bouyxou, der unter anderem in Alain Payets TRAIN SPÉCIAL POUR SS (1977) mitspielen, für Jean Rollins LES RAISINS DE LA MORT (1978) die Story beisteuern und selbst den exzellenten Kurzfilm SATAN BOUCHE UN COIN (1968) drehen sollte, tragen eine Tonne zu irgendeinem Pariser Stadthaus, klingeln, verschwinden und überlassen die seltsame Fracht einem jungen Mann, der ihnen die Tür öffnet, als sie längst Reißaus genommen haben. Bald entsteig der bis obenhin mit Wasser gefüllten Tonne ein splitternacktes, süß lächelndes Mädchen, das den Jüngling am liebsten in der Badewanne verführt. Doch wenn die beiden nicht gerade leidenschaftlich plantschenden Sex miteinander haben, vertreibt die titelgebende blutdürstende Fee sich die Zeit damit, die unterschiedlichsten Menschen auf grausame Weise vom Leben in den Tod zu befördern. Ein Polizist wird von ihr totgeprügelt. Eine Nonne wird von ihr auf einer öffentlichen Parkbank mit den Sinnesfreuden vertraut gemacht und anschließend mit dem Rosenkranz erdrosselt. Ein kleiner Junge, der sie mit einer Waffe bedroht, muss es sich gefallen lassen, dass sie ihm die Augäpfel aus ihren Höhlen reißt und genüsslich verzehrt.
Als ob der junge Jean Rollin sich nicht an menschenleere Strände zurückgezogen habe, um dort Gedichte von Tristan Corbière zu rezitieren, sondern seine geliebten nackten Vampirinnen eintauschte gegen eine allerdings nicht minder blutlüsterne Feengestalt, die er dann zum Töten durch die üblichen Stummfilm-Serial- und Vaudeville-Szenarien geschickt hätte.
LA FÉE SANGUINARE will ohne Zweifel ein (links-)politischer Film sein. Während unser Held in seiner Wohnung sitzt, ertönt von der Straße her Revolutionslärm. Studenten schreien sich die Lungen wund, Steine fliegen, Polizeisirenen heulen auf. Über seine gesamten fünfundzwanzig Minuten hinweg ist LA FÉE SANGUINARE getragen von einer anarchistischen Stimmung, für die alles möglich ist, und nichts verboten. Wer die im Fokus der bruchstückhaften Handlung - die mich oft darüber im Unklaren lässt, ob das, was ich sehe, nun eine Traumvision, eine Rückblende oder die tatsächliche Filmrealität sein soll - stehende Dame aus der Tonne nun eigentlich ist, das beantwortet Regisseur Roland Lethem genauso wenig wie dass er sich sonst großartig darum schert, in dem Chaos irgendeinen nacherzählbaren Sinn zu stiften. Soll ich die Fee im Blutrausch als Allegorie sehen für Faschismus, Kapitalismus, einen außer Kontrolle geratenen Feminismus, die Diskursmacht an sich? Soll ich in die Fee im Blutrausch überhaupt irgendwas hineininterpretieren, das sie zu mehr macht als die Bilder mir verraten wollen?
Als ob Herrschell Gordon Lewis sich einem marxistischen Filmkollektiv angeschlossen habe, das Godard und Vertov als Götter verehrte, und gemeinsam mit linksrevolutionären Studenten, wenn er nicht gerade mit ihnen Molotov-Cocktails braute oder Pflastersteine schmiss, einen Film gedreht habe, in dem radikale politische Positionen und genauso radikale Metzelszenen miteinander geschwisterlich Hand in Hand gehen.
LA FÉE SANGUINARE will ohne Zweifel ein schockierender Film sein. Die Splattereffekte sind krude und, wohl schon für zeitgenössische Augen, recht leicht durchschaubar. Gerade in ihrer Grobheit liegt jedoch ihr Reiz: Mit zunehmender Laufzeit wirft Lethem jede Moral über Bord und lässt Ordensfrauen, Staatsdiener, unschuldige Buben gleichermaßen seiner Anti-Heldin zum Opfer fallen. UN CHIEN ANDALOU, BLOOD FEAST, LE VIOL DU VAMPIRE, LE RÉVÉLATEUR: von all diesen Filmen kann man Spuren in LA FÉE SANGUINARE finden. Vor- und Abspann sind offensichtlich nach Vorbild Godards modelliert: Auf einem Stück Zeitung ordnen sich die Namen der Beteiligten, um am Ende eine Swastika zu ergeben, dazu ein Photo Richard Nixons sowie: Fin. Pure Provokation ist auch die Schlussszene, die heute noch genauso wehtut wie in den 68ern: Unser namenloser Held wird, nachdem er einmal mehr ausgiebig den jungen Körper seiner neuen Mitbewohnerin genossen hat, endlich auch deren Opfer. Dass sie ihm den Penis per Rasiermesser raubt, verdeutlicht Lethem nicht nur indem er seinen Hauptdarsteller blutüberströmt und mit den Händen im Schritt sich auf dem Zimmerboden winden lässt. Ein Zwischenschnitt muss uns außerdem Bouyxou und Marongiu zeigen wie sie einem Hahn den Kopf abhacken und danach mit seinem noch zuckenden Körper "spielen". Dass es keine Dialoge gibt, keine wirkliche Dramaturgie, alles irgendwie improvisiert und unbeholfen wirkt, unterstreicht nur: LA FÉE SANGUINARE will mir nicht gefallen, sondern mich entrüsten, erschüttern, mir irgendeine extreme Reaktion entlocken. Wenn am Ende die Kamera über zahllose Glasbehälter voller männlicher Geschlechtsteile fährt – von Kiesinger, von Luther-King, von de Gaulle, von Salazar -, kann man das entweder als Audruck eines pubertären Protests oder als kluges politisches Statement verstehen.
Als ob Philippe Garrel schon früh den Tonfilm für sich entdeckt habe sowie eine Heimorgel, eingestellt auf die enervierendsten Zirkusklänge, und ein bisschen herausgekommen sei aus seiner introvertierten, elaborierten Bildsprache, um zusammen mit engen Freunden und weitläufigen Bekannten, jedoch unter Beibehaltung seiner spröden Ästhetik, einen kleinen Schocker zu drehen, der den Beteiligten Spaß und den Zuschauern Ekel bereiten sollte.
Es waren einmal zwei Engel…
Als ob Luis Bunuel auf seine alten Tage sich von dem Betreiber eines Grand-Guignol-Theaters in irgendeiner Montmartrer Seitengasse dazu habe überreden lassen, einen Splatterfilm für ihn zu drehen, der in ausgewählten Bahnhofskinos als Werbung für sein Etablissement dienen sollte.
Raphael Marongiu, der unter anderem in Jean Rollins LES DÉMONIAQUES (1974) mitspielen, für Jean-Pierre Bouyxous Kurzfilm SATAN BOUCHE UN COIN (1968) die Kamera führen und für Jean Rollins LES RAISINS DE LA MORT (1978) die Spezialeffekte besorgen sollte, und Jean-Pierre Bouyxou, der unter anderem in Alain Payets TRAIN SPÉCIAL POUR SS (1977) mitspielen, für Jean Rollins LES RAISINS DE LA MORT (1978) die Story beisteuern und selbst den exzellenten Kurzfilm SATAN BOUCHE UN COIN (1968) drehen sollte, tragen eine Tonne zu irgendeinem Pariser Stadthaus, klingeln, verschwinden und überlassen die seltsame Fracht einem jungen Mann, der ihnen die Tür öffnet, als sie längst Reißaus genommen haben. Bald entsteig der bis obenhin mit Wasser gefüllten Tonne ein splitternacktes, süß lächelndes Mädchen, das den Jüngling am liebsten in der Badewanne verführt. Doch wenn die beiden nicht gerade leidenschaftlich plantschenden Sex miteinander haben, vertreibt die titelgebende blutdürstende Fee sich die Zeit damit, die unterschiedlichsten Menschen auf grausame Weise vom Leben in den Tod zu befördern. Ein Polizist wird von ihr totgeprügelt. Eine Nonne wird von ihr auf einer öffentlichen Parkbank mit den Sinnesfreuden vertraut gemacht und anschließend mit dem Rosenkranz erdrosselt. Ein kleiner Junge, der sie mit einer Waffe bedroht, muss es sich gefallen lassen, dass sie ihm die Augäpfel aus ihren Höhlen reißt und genüsslich verzehrt.
Als ob der junge Jean Rollin sich nicht an menschenleere Strände zurückgezogen habe, um dort Gedichte von Tristan Corbière zu rezitieren, sondern seine geliebten nackten Vampirinnen eintauschte gegen eine allerdings nicht minder blutlüsterne Feengestalt, die er dann zum Töten durch die üblichen Stummfilm-Serial- und Vaudeville-Szenarien geschickt hätte.
LA FÉE SANGUINARE will ohne Zweifel ein (links-)politischer Film sein. Während unser Held in seiner Wohnung sitzt, ertönt von der Straße her Revolutionslärm. Studenten schreien sich die Lungen wund, Steine fliegen, Polizeisirenen heulen auf. Über seine gesamten fünfundzwanzig Minuten hinweg ist LA FÉE SANGUINARE getragen von einer anarchistischen Stimmung, für die alles möglich ist, und nichts verboten. Wer die im Fokus der bruchstückhaften Handlung - die mich oft darüber im Unklaren lässt, ob das, was ich sehe, nun eine Traumvision, eine Rückblende oder die tatsächliche Filmrealität sein soll - stehende Dame aus der Tonne nun eigentlich ist, das beantwortet Regisseur Roland Lethem genauso wenig wie dass er sich sonst großartig darum schert, in dem Chaos irgendeinen nacherzählbaren Sinn zu stiften. Soll ich die Fee im Blutrausch als Allegorie sehen für Faschismus, Kapitalismus, einen außer Kontrolle geratenen Feminismus, die Diskursmacht an sich? Soll ich in die Fee im Blutrausch überhaupt irgendwas hineininterpretieren, das sie zu mehr macht als die Bilder mir verraten wollen?
Als ob Herrschell Gordon Lewis sich einem marxistischen Filmkollektiv angeschlossen habe, das Godard und Vertov als Götter verehrte, und gemeinsam mit linksrevolutionären Studenten, wenn er nicht gerade mit ihnen Molotov-Cocktails braute oder Pflastersteine schmiss, einen Film gedreht habe, in dem radikale politische Positionen und genauso radikale Metzelszenen miteinander geschwisterlich Hand in Hand gehen.
LA FÉE SANGUINARE will ohne Zweifel ein schockierender Film sein. Die Splattereffekte sind krude und, wohl schon für zeitgenössische Augen, recht leicht durchschaubar. Gerade in ihrer Grobheit liegt jedoch ihr Reiz: Mit zunehmender Laufzeit wirft Lethem jede Moral über Bord und lässt Ordensfrauen, Staatsdiener, unschuldige Buben gleichermaßen seiner Anti-Heldin zum Opfer fallen. UN CHIEN ANDALOU, BLOOD FEAST, LE VIOL DU VAMPIRE, LE RÉVÉLATEUR: von all diesen Filmen kann man Spuren in LA FÉE SANGUINARE finden. Vor- und Abspann sind offensichtlich nach Vorbild Godards modelliert: Auf einem Stück Zeitung ordnen sich die Namen der Beteiligten, um am Ende eine Swastika zu ergeben, dazu ein Photo Richard Nixons sowie: Fin. Pure Provokation ist auch die Schlussszene, die heute noch genauso wehtut wie in den 68ern: Unser namenloser Held wird, nachdem er einmal mehr ausgiebig den jungen Körper seiner neuen Mitbewohnerin genossen hat, endlich auch deren Opfer. Dass sie ihm den Penis per Rasiermesser raubt, verdeutlicht Lethem nicht nur indem er seinen Hauptdarsteller blutüberströmt und mit den Händen im Schritt sich auf dem Zimmerboden winden lässt. Ein Zwischenschnitt muss uns außerdem Bouyxou und Marongiu zeigen wie sie einem Hahn den Kopf abhacken und danach mit seinem noch zuckenden Körper "spielen". Dass es keine Dialoge gibt, keine wirkliche Dramaturgie, alles irgendwie improvisiert und unbeholfen wirkt, unterstreicht nur: LA FÉE SANGUINARE will mir nicht gefallen, sondern mich entrüsten, erschüttern, mir irgendeine extreme Reaktion entlocken. Wenn am Ende die Kamera über zahllose Glasbehälter voller männlicher Geschlechtsteile fährt – von Kiesinger, von Luther-King, von de Gaulle, von Salazar -, kann man das entweder als Audruck eines pubertären Protests oder als kluges politisches Statement verstehen.
Als ob Philippe Garrel schon früh den Tonfilm für sich entdeckt habe sowie eine Heimorgel, eingestellt auf die enervierendsten Zirkusklänge, und ein bisschen herausgekommen sei aus seiner introvertierten, elaborierten Bildsprache, um zusammen mit engen Freunden und weitläufigen Bekannten, jedoch unter Beibehaltung seiner spröden Ästhetik, einen kleinen Schocker zu drehen, der den Beteiligten Spaß und den Zuschauern Ekel bereiten sollte.
Es waren einmal zwei Engel…