Le sexe enragé - Roland Lethem (1969)
Verfasst: Di 10. Mai 2016, 20:35
Originaltitel: Le sexe enragé
Produktionsland: Belgien 1969
Regie: Roland Lethem
Darsteller: To Katinaki, Jean-Pierre Bouyxou, Raphael Marongiu, Monica Swinn, Roger Clermont
Produktionsland: Belgien 1969
Regie: Roland Lethem
Darsteller: To Katinaki, Jean-Pierre Bouyxou, Raphael Marongiu, Monica Swinn, Roger Clermont
Die Gemeinsamkeiten sind zunächst bestechend: Wie schon den Vorgängerfilm LA FÉE SANGUINAIRE drehte der belgische Filmemacher Roland Lethem LE SEXE ENRAGÉ auf 16mm und, zumindest größtenteils, in Schwarzweiß. Beide Filme pendeln sich bei einer Laufzeit von etwas mehr als zwanzig Minuten ein und weisen mit Jean-Pierre Bouyxou, Raphael Marongiu und vor allem To Katinaki, die erneut eine zwar süß lächelnde, aber kaltblütige Männerkillerin spielen darf, einen ähnlichen Cast auf. Ebenfalls identisch ist die dezidiert politische Stoßrichtung beider fernab kommerzieller Kinosysteme mit einem geringen Budget und einer Handvoll Bekannten realisierter Werke: Wo allerdings LA FÉE SANGUINAIRE zumindest noch den Ansatz einer Narration aufzuweisen hatte und, ob nun bewusst oder unbewusst, mit seiner allegorischen Titelfigur ein durchaus denkwürdiges Spiel trieb, das beim Rezipienten offenließ, ob und wie er die blutrünstige Fee denn nun decodieren solle – als, beispielweise, Sinnbild des Kapitalismus, der unter einer hübschen Hülle Tod sät, oder als, was genauso plausibel wäre, Sinnbild der von Lethem und seinen 68er Genossen angestrebten Weltrevolution, die die Machtelite, angefangen von Polizisten über Nonnen bis hin zu namentlich genannten Staatsoberhäuptern, auf grausame Weise aus dem Leben befördert -, da fällt es mir bei LA SEXE ENRAGÉ schon schwerer, den Film überhaupt in kohärente Worte zu fassen.
Grob gesagt zerfällt der Film in zwei Teile. Der erste, ungleich längere, ist schwarzweiß und wesentlich weniger auf Krawall und Schockwirkung gebürstet als die vergleichsweise doch ziemlich rüde und freizügig inszenierten Gewalt- und Sexeskapaden der schrecklichen Fee des Vorgängers. Zwar sieht man To Katinaki auch hier wie sie beispielweise einen Mann in einem Treppenhaus niedersticht – übrigens eine Szene wie aus einem Giallo, d.h. stilecht mit Großaufnahme eines ein Rasiermesser schwingenden Schwarzhandschuhs -, dies ist jedoch nur ein kurzer Moment in einem Kontext, der seine Herkunft aus dem linken Filmuntergrund Belgiens weitaus offener ausagiert als das bei LA FÉE SANGUINAIRE der Fall gewesen ist. Für heutige Betrachter mag es fast schon naiv und anstrengend wirken - und ein bisschen vielleicht wie die Light-Version der ungleich komplexeren, reflektierteren Essayfilme, die Jean-Luc Godard zur gleichen Zeit bereits mit seiner Dziga-Vertov-Gruppe inszeniert hat -, wenn ein Mann und eine Frau mit Blickkontakt direkt in die Kamera über Minuten hinweg mit emotionslosen Stimmen solche Phrasen dreschen wie, dass der Bourgeoise prinzipiell der Tod an den Hals zu wünschen sei, oder wenn der Titel des Films – LA SEXE ENRAGÉ – gefühlte einhundertmal zu Aufnahmen einer nächtlichen Großstadt wiederholt wird, in der To Katinaki auf der Suche nach neuen Opfer umherstreift. Noch am besten sind folgende zwei Einfälle der eher bemühten, wenig subversiven ersten Hälfte des Films: Zum einen präsentiert ein Herr, der augenscheinlich eine Parodie auf einen x-beliebigen Fernsehmoderator sein soll, uns den Vorspann des Films in verbaler Form, d.h. er liest von einem Blatt Papier direkt in die Kameralinse Namen der Hauptdarsteller und des Produktionsteams vor – eine Idee, die man zwar auch, wenn man will, auf Godard zurückführen kann, namentlich nämlich auf dessen Meisterwerk LE MÉPRIS von 1963 -, die aber im Zusammenhang mit den schwerfälligen Dialog- bzw. Monologszenen erheblich erfrischend wirkt. Als noch interessanter habe ich die Eröffnungsszene des Films empfunden, wenn Lethem einfach mal für etwa eine Minute in Großaufnahme ein weibliches Geschlechtsteil zeigt, das so lange ruhig und behaart zwischen den Schenkel ruht bis diese sich wie ein zugehender Vorhang vor ihm schließen und es unseren Blicken entziehen – eine Einstellung, die so oder so ähnlich auch von Andy Warhol oder Yoko Ono hätte stammen können. Eher unfreiwillig komisch kommt indes eine unglaublich langgezogene Szene daher, in der To Katinaki einem Mann eine, nehme ich an, Heroinspritze in den Allerwertesten jagt und ihn auf einen Trip schickt, der ihm sämtliche Bewusstseinslichter ausbläst. Bevor er indes reglos auf seiner Matratze liegt und nur noch starren und stammeln kann, ertönt von der Tonspur, die sich ansonsten, gerade im Vergleich zur permanent meist äußerst kontrapunktisch dudelnden Heimorgelmusik in LA FÉE SANGUINAIRE, recht zurückhaltend gibt, eine völlig überzogene Klangcollage aus Stöhnen und Seufzen. Halten wir fest: für etwa vierzehn Minuten kann LA SEXE ENRAGÉ eigentlich in keiner Hinsicht mit seinem Vorgänger mithalten, und wirkt wie der missglückte Versuch einiger marxistischer oder maoistischer Studenten, ihrem Publikum eine politische Botschaft unter die Nase zu reiben, die sich schnell als leere Patronenhülse entpuppt.
Dann aber erfährt Lethems Film einen Kontinuitätsbruch, der mich fast mit allem versöhnt, was zuvor, meiner Meinung nach, schiefgelaufen ist, und mich stark an ein mit ähnlichen Verfahren im letzten Drittel stilbrüchig werdendes Werk wie José Mojica Marins zweites Zé-do-Caixão-Abenteuer ESTA NOITE ENCARNAREI NO TEU CÁDAVER von 1967 erinnert. Nicht nur, dass LA SEXE ENRAGÉ auf einmal farbig wird, und zwar ziemlich psychedelisch-farben, sprich: förmlich badend in grellen Rotttönen, Roland Lethem erinnert sich auch endlich daran, dass ein Experimentalkurzfilm vielleicht nicht nur statische These heraushauen, sondern vor allem ästhetisch und formal toben sollte. Genau das tut LA SEXE ENRAGÉ nun bis zu seinem Schluss: Eine nackte Frau, zwischen deren Beinen eine viel zu große Bunthaarperücke wohl ihre extreme Schambehaarung symbolisieren soll, und eine nackter Mann haben Sex vor laufender Kamera. Dass LA SEXE ENRAGÉ nicht zum plumpen Porno gerät, hat zwei Gründe: Zum einen zeigt Lethem den Geschlechtsakt nie auf eine Weise wie das ein beliebiger voyeuristischer Film tun würde, sondern – erneut vielleicht eine Reminiszenz an Yoko Ono – zergliedert das wilde Treiben in Detailaufnahmen, die die Kopulation bis an den Rand der Abstraktion führen. Was sie über diesen Rand hinausstößt, das sind Montage und vor allem das Mittel der Überblendung, mit dem Lethem zwei oder mehrere Bilder übereinander lagert, sodass der Betrachter in den schlimmsten bzw. besten Momenten kaum noch die eine Schicht von der andern zu trennen vermag. Eine weiße Maus läuft auf dem Körper unserer Heldin umher. Die Hüften unseres Helden stoßen unerbittlich zu. Die Kamera fährt über Hautpartien entlang, die oben, unten, in der Mitte sein könnten. Immer wieder ist die rote Schamhaarperücke zu sehen und wie Finger in ihr herumtasten. Das alles aber, wie gesagt, nicht etwa diachron hintereinander, sondern synchron übereinander gestülpt, sodass wirklich alles ineinandergreift: die Bewegung der Kamera, die Bewegung innerhalb des Bildkaders, die Bewegung der Montage. Das Finale dürfte dann freilich wieder der Geschmack der Wenigsten sein. Obwohl ich überzeugt davon bin, dass das bereits erwähnte Mäuschen während der Dreharbeiten zumindest nicht on-screen zu Tode gekommen ist und sein gewaltsames Sterben - anders als das des geköpften Hahns in LA FÉE SANGUINAIRE - von Lethem durch die oben genannten Stilmittel bloß simuliert wird, nichtsdestotrotz zeigen die letzten Bilder von LA SEXE ENRAGÉ sowohl den zerfetzten Körper des Nagers als auch, dahinter projiziert, einen offenen Menschenmund, der die noch lebende Maus zwischen den Zähnen zermalmt bis von ihm nicht viel mehr zu erkennen ist als eben eine zerfetzte, blutige Masse. Zurück im Schwarzweiß sehen wir das inzwischen schlafende Gesicht des Heroinkonsumenten – alles nur ein drogeninduzierter ekstatischer Traum? -, dann: FIN. Mein Magen hat sich bedankt.
Grob gesagt zerfällt der Film in zwei Teile. Der erste, ungleich längere, ist schwarzweiß und wesentlich weniger auf Krawall und Schockwirkung gebürstet als die vergleichsweise doch ziemlich rüde und freizügig inszenierten Gewalt- und Sexeskapaden der schrecklichen Fee des Vorgängers. Zwar sieht man To Katinaki auch hier wie sie beispielweise einen Mann in einem Treppenhaus niedersticht – übrigens eine Szene wie aus einem Giallo, d.h. stilecht mit Großaufnahme eines ein Rasiermesser schwingenden Schwarzhandschuhs -, dies ist jedoch nur ein kurzer Moment in einem Kontext, der seine Herkunft aus dem linken Filmuntergrund Belgiens weitaus offener ausagiert als das bei LA FÉE SANGUINAIRE der Fall gewesen ist. Für heutige Betrachter mag es fast schon naiv und anstrengend wirken - und ein bisschen vielleicht wie die Light-Version der ungleich komplexeren, reflektierteren Essayfilme, die Jean-Luc Godard zur gleichen Zeit bereits mit seiner Dziga-Vertov-Gruppe inszeniert hat -, wenn ein Mann und eine Frau mit Blickkontakt direkt in die Kamera über Minuten hinweg mit emotionslosen Stimmen solche Phrasen dreschen wie, dass der Bourgeoise prinzipiell der Tod an den Hals zu wünschen sei, oder wenn der Titel des Films – LA SEXE ENRAGÉ – gefühlte einhundertmal zu Aufnahmen einer nächtlichen Großstadt wiederholt wird, in der To Katinaki auf der Suche nach neuen Opfer umherstreift. Noch am besten sind folgende zwei Einfälle der eher bemühten, wenig subversiven ersten Hälfte des Films: Zum einen präsentiert ein Herr, der augenscheinlich eine Parodie auf einen x-beliebigen Fernsehmoderator sein soll, uns den Vorspann des Films in verbaler Form, d.h. er liest von einem Blatt Papier direkt in die Kameralinse Namen der Hauptdarsteller und des Produktionsteams vor – eine Idee, die man zwar auch, wenn man will, auf Godard zurückführen kann, namentlich nämlich auf dessen Meisterwerk LE MÉPRIS von 1963 -, die aber im Zusammenhang mit den schwerfälligen Dialog- bzw. Monologszenen erheblich erfrischend wirkt. Als noch interessanter habe ich die Eröffnungsszene des Films empfunden, wenn Lethem einfach mal für etwa eine Minute in Großaufnahme ein weibliches Geschlechtsteil zeigt, das so lange ruhig und behaart zwischen den Schenkel ruht bis diese sich wie ein zugehender Vorhang vor ihm schließen und es unseren Blicken entziehen – eine Einstellung, die so oder so ähnlich auch von Andy Warhol oder Yoko Ono hätte stammen können. Eher unfreiwillig komisch kommt indes eine unglaublich langgezogene Szene daher, in der To Katinaki einem Mann eine, nehme ich an, Heroinspritze in den Allerwertesten jagt und ihn auf einen Trip schickt, der ihm sämtliche Bewusstseinslichter ausbläst. Bevor er indes reglos auf seiner Matratze liegt und nur noch starren und stammeln kann, ertönt von der Tonspur, die sich ansonsten, gerade im Vergleich zur permanent meist äußerst kontrapunktisch dudelnden Heimorgelmusik in LA FÉE SANGUINAIRE, recht zurückhaltend gibt, eine völlig überzogene Klangcollage aus Stöhnen und Seufzen. Halten wir fest: für etwa vierzehn Minuten kann LA SEXE ENRAGÉ eigentlich in keiner Hinsicht mit seinem Vorgänger mithalten, und wirkt wie der missglückte Versuch einiger marxistischer oder maoistischer Studenten, ihrem Publikum eine politische Botschaft unter die Nase zu reiben, die sich schnell als leere Patronenhülse entpuppt.
Dann aber erfährt Lethems Film einen Kontinuitätsbruch, der mich fast mit allem versöhnt, was zuvor, meiner Meinung nach, schiefgelaufen ist, und mich stark an ein mit ähnlichen Verfahren im letzten Drittel stilbrüchig werdendes Werk wie José Mojica Marins zweites Zé-do-Caixão-Abenteuer ESTA NOITE ENCARNAREI NO TEU CÁDAVER von 1967 erinnert. Nicht nur, dass LA SEXE ENRAGÉ auf einmal farbig wird, und zwar ziemlich psychedelisch-farben, sprich: förmlich badend in grellen Rotttönen, Roland Lethem erinnert sich auch endlich daran, dass ein Experimentalkurzfilm vielleicht nicht nur statische These heraushauen, sondern vor allem ästhetisch und formal toben sollte. Genau das tut LA SEXE ENRAGÉ nun bis zu seinem Schluss: Eine nackte Frau, zwischen deren Beinen eine viel zu große Bunthaarperücke wohl ihre extreme Schambehaarung symbolisieren soll, und eine nackter Mann haben Sex vor laufender Kamera. Dass LA SEXE ENRAGÉ nicht zum plumpen Porno gerät, hat zwei Gründe: Zum einen zeigt Lethem den Geschlechtsakt nie auf eine Weise wie das ein beliebiger voyeuristischer Film tun würde, sondern – erneut vielleicht eine Reminiszenz an Yoko Ono – zergliedert das wilde Treiben in Detailaufnahmen, die die Kopulation bis an den Rand der Abstraktion führen. Was sie über diesen Rand hinausstößt, das sind Montage und vor allem das Mittel der Überblendung, mit dem Lethem zwei oder mehrere Bilder übereinander lagert, sodass der Betrachter in den schlimmsten bzw. besten Momenten kaum noch die eine Schicht von der andern zu trennen vermag. Eine weiße Maus läuft auf dem Körper unserer Heldin umher. Die Hüften unseres Helden stoßen unerbittlich zu. Die Kamera fährt über Hautpartien entlang, die oben, unten, in der Mitte sein könnten. Immer wieder ist die rote Schamhaarperücke zu sehen und wie Finger in ihr herumtasten. Das alles aber, wie gesagt, nicht etwa diachron hintereinander, sondern synchron übereinander gestülpt, sodass wirklich alles ineinandergreift: die Bewegung der Kamera, die Bewegung innerhalb des Bildkaders, die Bewegung der Montage. Das Finale dürfte dann freilich wieder der Geschmack der Wenigsten sein. Obwohl ich überzeugt davon bin, dass das bereits erwähnte Mäuschen während der Dreharbeiten zumindest nicht on-screen zu Tode gekommen ist und sein gewaltsames Sterben - anders als das des geköpften Hahns in LA FÉE SANGUINAIRE - von Lethem durch die oben genannten Stilmittel bloß simuliert wird, nichtsdestotrotz zeigen die letzten Bilder von LA SEXE ENRAGÉ sowohl den zerfetzten Körper des Nagers als auch, dahinter projiziert, einen offenen Menschenmund, der die noch lebende Maus zwischen den Zähnen zermalmt bis von ihm nicht viel mehr zu erkennen ist als eben eine zerfetzte, blutige Masse. Zurück im Schwarzweiß sehen wir das inzwischen schlafende Gesicht des Heroinkonsumenten – alles nur ein drogeninduzierter ekstatischer Traum? -, dann: FIN. Mein Magen hat sich bedankt.