Originaltitel: Soeur Vaseline
Produktionsland: Frankreich 1925
Regie: unbekannt
Darsteller: unbekannt
„Außer ein paar lebenden Bildern in Paris habe ich, glaube ich, in meinem ganzen Leben nur einen einzigen pornographischen Film gesehen. Er hatte den entzückenden Titel Soeur Vaseline. Man sah eine Nonne in einem Klostergarten mit einem Gärtner schlafen, der es seinerseits mit einem Mönch trieb, bis sich alle zu einer Nummer zu dritt zusammenfanden. Ich sehe noch die schwarzen Baumwollstrümpfe der Nonne vor mir, die über dem Knie aufhörten. Jean Meauclair vom Studio 28 hatte mir den Film geschenkt, ich habe ihn verloren. Mit René Char, der kräftig war wie ich, plante ich, in eine Kindervorstellung einzudringen, den Vorführer zu fesseln und zu knebeln und dem jugendlichen Publikum Soeur Vaseline vorzuführen. O tempora o mores! Kinder zu verderben erschien uns als eine der anziehendsten Formen von Subversion. Natürlich, es ist bei der Absicht geblieben.“
Niemand Geringeres als Luis Bunuel ist es, der in seinen Lebenserinnerungen MON DERNIER SOUPIR bei der Beschreibung seines einzigen Kontakts mit dezidiert pornographischem Bildmaterial ein recht gutes Gedächtnis beweist, wenn er einen Film beschreibt, den er vor über einem halben Jahrhundert zum ersten und letzten Mal gesehen hat. Seine Inhaltsangabe des mutmaßlich 1925 in Frankreich, natürlich anonym, produzierten etwa achtminütigen Pornos SOEUR VASELINE gibt die Handlung nicht nur in knappen Worten so detailgetreu wie möglich wieder, sondern betont sogar das dreistufige Strukturmodell, anhand dessen die sexuellen Eskapaden unserer Protagonisten sich entwickeln. Die erste Einstellung gehört einem Gärtner, der unter freiem Himmel dabei ist, einer Wiese Unkraut zu entreißen – oder zumindest so tut, denn sein Arbeitseifer wirkt genauso falsch wie der Schnauzer, mit dem der Mann vermutlich seine Identität zu schützen versuchte. Schwester Vaseline, die die Eintönigkeit des Klosterlebens zu einem Mittagsspaziergang im nahen Umfeld des Konvents animiert hat, kommt eine Texttafel später des Weges und leistet dem Gärtner Gesellschaft, indem sie sich in Reichweite seiner starken Arme auf einer Bank niederlässt. Die Stelle ihres langen Gewandes, wo man ihre Schenkel vermuten darf, ziehen die Gärtnerhände wie ein Magnet an, und es ist wirklich putzig anzusehen wie der Mann zunächst weiter so tut, als würde er im Schweiße seines Angesichts mit der Hacke zugange sein, während seine Finger sich gleichzeitig mehr und mehr zum Kleidersaum der frommen Frau verirren, ihn ein bisschen heben, ihr über die Beine streichen. Widerstand wäre zwecklos, wenn denn Schwester Vaseline überhaupt welchen ergreifen würde: ihre gen Himmel gefalteten Hände sind mehr ein fadenscheiniges Alibi als ein ernsthafter Versuch, dem Lüstling zu entkommen. Der bedeckt unsere Heldin dann auch bald mit leidenschaftlichen Küssen, worauf die Nonnenhände sich ein Beispiel an den seinen nehmen, ihm die Hose aufknöpfen, den prallen Penis hervorziehen und ihn dem zugehörigen Mund zuführen. Nachdem Schaft und vor allem Hoden genügend gerieben sind, schürzt der Gärtner ihre Röcke und nimmt sie von hinten.
In meiner Zählung beginnt nun Akt Zwei des Schauspiels, und zwar mit einem visuellen Einfall, den die Zeitgenossen wohl kaum derart amüsiert haben dürften wie mich, zumal es sich um einen handelt, der Mitte der Zwanziger nun nicht wirklich zum ungewöhnlichen Repertoire filmischer Effekte gehört. Es ist eine Lochblende, die in ihrem hellen Oval ein Fenster des nahen Klosters zeigt. Dieses wird von einem Mönch geöffnet, der erst ein bisschen in der Landschaft umherschaut, dann unser Liebespaar erspäht und in einer völlig übertriebenen Geste des Entsetzens beide Arme hochreißt, sie dann vor dem Brustkorb faltet und zusieht, so schnell wie möglich zum Schauplatz des lasterhaften Treibens zu kommen, um es zu stören. Alles an dieser nur wenige Sekunden dauernden Szene besticht mich mit seiner Naivität scheinbar frei von jeder Ironie. Genauso wie die Lochblende, die für unsere heutigen Augen anmutet wie ein Relikt aus der Kinderspielzeugkiste, zeugt das überzogene Gebaren des Mönchs von einer sympathischen Einfalt, bei der es mir schwerfällt zu entscheiden, inwieweit diese von den Verantwortlichen nun mit einem Augenzwinkern versehen intendiert gewesen ist oder nicht. Feststeht: der Mönch verschlimmert aus christlicher Sicht das Geschehen mit seinem Intervenieren nur noch, denn selbst wenn es gutgemeint gewesen sein sollte, dass er die Sünder auseinandertreibt und den Hintern Schwester Vaselines zur Strafe mit einer Rute geißelt, verspielt er seine klerikale Reputation spätestens dann, als er die versohlten Backen zu küssen beginnt und sich nun seinerseits von der Betschwester einen blasen lässt. Die größte Überraschung für mich folgt direkt danach: der Mönch, nunmehr selbst in Hitze geraten, wendet sich dem untätig abseitsstehenden Gärtner zu und gönnt diesem nun ebenfalls einen Blow Job. Im dritten Teil werden dann einige gängige Konstellationen der horizontalen Dreieinigkeit durchexerziert, und zwar ohne Rücksicht auf hetero- und homosexuelle Grenzen. Der Gärtner penetriert den Mönch anal, während dieser die Nonne leckt. Der Mönch penetriert die Nonne vaginal, während diese den Penis des Gärtners oral verwöhnt. Am Ende liegen sich die drei Streiter verliebt züngelnd in den Armen bevor man sich voneinander trennt, jeder seines Weges zieht und der Film noch weit unter der Zehn-Minuten-Marke sein Ende findet.
Was fasziniert mich an einem Porno aus dem Jahre 1925, einmal abgesehen von der Tatsache, dass Bunuel ihn in seiner Autobiographie erwähnt und ich zufällig über ihn in der Anthologie stummer Sexfilmschätze LES FILMS DE MAISONS CLOSES gestolpert bin? Noch bevor ich eine klare Antwort auf diese Frage gefunden hatte, musste ich mich an einen Film erinnern, der von SOEUR VASELINE zwar durch einen Zeitraum von fast achtzig Jahren getrennt ist, ihm aber, auf den ersten Blick, in beinahe allen wesentlich und unwesentlichen Belangen gleicht. Es handelt sich um SCANDALO IN CONVENTO, eine direct-to-video-Produktion des italienischen Pornoregisseurs Nicky Ranieri, die mitunter wirkt, als sei sie bewusst wie eine Hommage an die Abenteuer der Schwester Vaseline konzipiert worden. Dort nämlich verschlägt es eine junge Nonne mit falschen Fingernägeln, Piercings und Silikonbrüsten strafweise in ein neues Kloster, wo sie sich indes schnell langweilt und deshalb Streifzüge durch das unweit gelegene Dorf unternimmt. Das ist, bis auf einen muskulösen, schweißtriefenden Gärtner, völlig ausgestorben, und dass Ranieris Nonne es, ebenso wenig wie ihre französische Kollegin, nicht dabei belässt, ihm einfach nur bei der Arbeit zuzuschauen, dürfte genauso klar sein wie, dass früher oder später die im gleichen Konvent untergebrachten Mönche ihre Gebetsübungen gemeinsam mit den Schwestern durchzuführen beginnen. Zumindest vermute ich das, denn nach etwa einer halben Stunde habe ich SCANDALO IN CONVENTO, den ich meinen Augen eigentlich nur wegen meiner derzeit laufenden Recherchearbeiten zum Nunsploitation-Genre vorgesetzt hatte, abbrechen müssen – zu unkreativ, zu unästhetisch, zu unerotisch fand ich diesen Porno von der Stange, bei dem ich mir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrach, wer sich denn zu ihm tatsächlich einen von derselben zu wedeln imstande ist. Trotzdem: rein inhaltlich sind SCANDALO IN CONVENTO, dessen Bilder ich am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen würde, und SOEUR VASELINE, dessen Bilder ich mir gleich mehrmals angeschaut habe, vollkommen wesensverwandt. Woran liegt demnach meine Ablehnung des einen und meine Anerkennung des anderen?
Dann stolpere ich über einen Absatz in Jean Baudrillards Promotionsarbeit SYSTÉME DES OBJECTS von 1968. Er schreibt: „Wenn der ,Eingeborene‘ sich auf eine Uhr oder auf einen Kugelschreiber stürzt, nur weil es ein ,westliches‘ Erzeugnis ist, so empfinden wir das als absurd und komisch, denn er gebraucht diese Dinge gar nicht, sondern nimmt sie nur mit Eifer in Besitz, auf kindische Weise und in der Vorstellung der Macht. Der Gegenstand hat hier keine Funktion, sondern eine Tugend, eine Eigenschaft: Er wird zu einem Symbolzeichen. Ist es aber nicht der gleiche impulsive Vorgang einer geistigen Aneignung und magischen Beziehung, den wir beim Zivilisierten beobachten, wenn er ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert oder eine Ikone erwirbt? Was beide, der Wilde und der Zivilisierte, mit einem Objekt an sich nehmen, ist eine ,Tugend‘, die für den einen in der technischen Güte, für den anderen in der Altehrwürdigkeit besteht.“ Möglicherweise liegt darin ein Schlüssel für meine Präferenzen verborgen. SCANDALO IN CONVENTO, das ist ein Film aus einer Welt, die ich kenne, aber nicht besonders mag. Die Stilistik einer pornographischen Video- oder Internet-Ästhetik ist ihm, was niemanden verwundern dürfte, derart eingeschrieben, dass er gar nicht aus ihrer Haut will. SCANDALO IN CONVENTO riecht und schmeckt für mich wie in den Filmkabinen einer Großraumvideothek fallengelassenes Sperma. Dass SOEUR VASELINE das gerade nicht tut, hat wohl einzig und allein mit der Zeit zu tun, die sich unüberwindlich zwischen mir und ihm erstreckt, und die ihn als ein historisches, gleichsam authentisches Dokument markiert, entstanden in einer Wirklichkeit, die so weit von meiner entfernt ist, dass sie auch ein Traum, ein Märchen, eine Phantasie sein könnte. Weiter oben habe ich SOEUR VASELINE schon mit Kinderspielzeug in Verbindung gebracht – und das trotz seines für Kinder nun überhaupt nicht geeigneten Inhalts.
Was SOEUR VASELINE so putzig, unbedarft, infantil wirken lässt, das ist wiederum nichts ihm Immanentes, sondern allein die Perspektive, aus der heraus ich ihn betrachte. Photographien von uns fremden Menschen aus dem, sagen wir, vorvorletzten Jahrhundert regen uns zum Fabulieren an. Wir erfinden Geschichten zu den Personen, die uns erscheinen wie welche aus Büchern, Sagen, Volksliedern. Der Mann mit dem langen Bart, das war bestimmt ein Offizier – und eine tragische, schwärmerische Liebesgeschichte folgt. Das Bauernmädchen, das die Gänse füttert, wird schikaniert von seiner bitterbösen Schwiegermutter, und der adrette junge Herr mit dem Spazierstock kann nur ein verkleideter Prinz sein. Sie sind tot, lange schon, wenn wir ihre Photographien ansehen – so wie keiner der Darsteller von SOEUR VASELINE noch unter uns weilt. Sie sind tot und auf ihren namenlosen Gräbern stehen Steine, die uns regelrecht anflehen, unsere Phantasie auf ihnen herumspringen zu lassen, mit viel Tinte an den Hufen. Nichts dergleichen passiert bei Photographien unserer eigenen Gegenwart. Wer wird schon von irgendeinem x-beliebigen Facebook-Selfie zum Träumen aufgefordert? Wir sind zu vertraut mit unserer Zeit, um in ihr noch irgendwelche großen oder kleinen Mythen zu vermuten. Offiziere, Gänsemägde, Prinzen gibt es nicht mehr, oder sie erzählen uns, wie alle andern, vor dem Schlafengehen noch schnell per Mitternachts-Post, was sie den Tag über gemacht haben und den folgenden Tag machen werden, und schnüren unsere Phantasie auf ein Minimum zusammen.
Genau deshalb ist SOEUR VASELINE für mich wie eine altehrwürdige Kommode, die ich mir ins Zimmer stelle. Dieser Film besitzt keine Funktionalität mehr – ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich auf ihn heute noch irgendwer einen runterholt, dann schon eher auf SCANDALO IN CONVENTO, wenn überhaupt -, er ist ein Artefakt, das an Wert gewinnt je weiter zurück es liegt, er ist ein Blick durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer der Ururururgroßeltern.
Niemand Geringeres als Luis Bunuel ist es, der in seinen Lebenserinnerungen MON DERNIER SOUPIR bei der Beschreibung seines einzigen Kontakts mit dezidiert pornographischem Bildmaterial ein recht gutes Gedächtnis beweist, wenn er einen Film beschreibt, den er vor über einem halben Jahrhundert zum ersten und letzten Mal gesehen hat. Seine Inhaltsangabe des mutmaßlich 1925 in Frankreich, natürlich anonym, produzierten etwa achtminütigen Pornos SOEUR VASELINE gibt die Handlung nicht nur in knappen Worten so detailgetreu wie möglich wieder, sondern betont sogar das dreistufige Strukturmodell, anhand dessen die sexuellen Eskapaden unserer Protagonisten sich entwickeln. Die erste Einstellung gehört einem Gärtner, der unter freiem Himmel dabei ist, einer Wiese Unkraut zu entreißen – oder zumindest so tut, denn sein Arbeitseifer wirkt genauso falsch wie der Schnauzer, mit dem der Mann vermutlich seine Identität zu schützen versuchte. Schwester Vaseline, die die Eintönigkeit des Klosterlebens zu einem Mittagsspaziergang im nahen Umfeld des Konvents animiert hat, kommt eine Texttafel später des Weges und leistet dem Gärtner Gesellschaft, indem sie sich in Reichweite seiner starken Arme auf einer Bank niederlässt. Die Stelle ihres langen Gewandes, wo man ihre Schenkel vermuten darf, ziehen die Gärtnerhände wie ein Magnet an, und es ist wirklich putzig anzusehen wie der Mann zunächst weiter so tut, als würde er im Schweiße seines Angesichts mit der Hacke zugange sein, während seine Finger sich gleichzeitig mehr und mehr zum Kleidersaum der frommen Frau verirren, ihn ein bisschen heben, ihr über die Beine streichen. Widerstand wäre zwecklos, wenn denn Schwester Vaseline überhaupt welchen ergreifen würde: ihre gen Himmel gefalteten Hände sind mehr ein fadenscheiniges Alibi als ein ernsthafter Versuch, dem Lüstling zu entkommen. Der bedeckt unsere Heldin dann auch bald mit leidenschaftlichen Küssen, worauf die Nonnenhände sich ein Beispiel an den seinen nehmen, ihm die Hose aufknöpfen, den prallen Penis hervorziehen und ihn dem zugehörigen Mund zuführen. Nachdem Schaft und vor allem Hoden genügend gerieben sind, schürzt der Gärtner ihre Röcke und nimmt sie von hinten.
In meiner Zählung beginnt nun Akt Zwei des Schauspiels, und zwar mit einem visuellen Einfall, den die Zeitgenossen wohl kaum derart amüsiert haben dürften wie mich, zumal es sich um einen handelt, der Mitte der Zwanziger nun nicht wirklich zum ungewöhnlichen Repertoire filmischer Effekte gehört. Es ist eine Lochblende, die in ihrem hellen Oval ein Fenster des nahen Klosters zeigt. Dieses wird von einem Mönch geöffnet, der erst ein bisschen in der Landschaft umherschaut, dann unser Liebespaar erspäht und in einer völlig übertriebenen Geste des Entsetzens beide Arme hochreißt, sie dann vor dem Brustkorb faltet und zusieht, so schnell wie möglich zum Schauplatz des lasterhaften Treibens zu kommen, um es zu stören. Alles an dieser nur wenige Sekunden dauernden Szene besticht mich mit seiner Naivität scheinbar frei von jeder Ironie. Genauso wie die Lochblende, die für unsere heutigen Augen anmutet wie ein Relikt aus der Kinderspielzeugkiste, zeugt das überzogene Gebaren des Mönchs von einer sympathischen Einfalt, bei der es mir schwerfällt zu entscheiden, inwieweit diese von den Verantwortlichen nun mit einem Augenzwinkern versehen intendiert gewesen ist oder nicht. Feststeht: der Mönch verschlimmert aus christlicher Sicht das Geschehen mit seinem Intervenieren nur noch, denn selbst wenn es gutgemeint gewesen sein sollte, dass er die Sünder auseinandertreibt und den Hintern Schwester Vaselines zur Strafe mit einer Rute geißelt, verspielt er seine klerikale Reputation spätestens dann, als er die versohlten Backen zu küssen beginnt und sich nun seinerseits von der Betschwester einen blasen lässt. Die größte Überraschung für mich folgt direkt danach: der Mönch, nunmehr selbst in Hitze geraten, wendet sich dem untätig abseitsstehenden Gärtner zu und gönnt diesem nun ebenfalls einen Blow Job. Im dritten Teil werden dann einige gängige Konstellationen der horizontalen Dreieinigkeit durchexerziert, und zwar ohne Rücksicht auf hetero- und homosexuelle Grenzen. Der Gärtner penetriert den Mönch anal, während dieser die Nonne leckt. Der Mönch penetriert die Nonne vaginal, während diese den Penis des Gärtners oral verwöhnt. Am Ende liegen sich die drei Streiter verliebt züngelnd in den Armen bevor man sich voneinander trennt, jeder seines Weges zieht und der Film noch weit unter der Zehn-Minuten-Marke sein Ende findet.
Was fasziniert mich an einem Porno aus dem Jahre 1925, einmal abgesehen von der Tatsache, dass Bunuel ihn in seiner Autobiographie erwähnt und ich zufällig über ihn in der Anthologie stummer Sexfilmschätze LES FILMS DE MAISONS CLOSES gestolpert bin? Noch bevor ich eine klare Antwort auf diese Frage gefunden hatte, musste ich mich an einen Film erinnern, der von SOEUR VASELINE zwar durch einen Zeitraum von fast achtzig Jahren getrennt ist, ihm aber, auf den ersten Blick, in beinahe allen wesentlich und unwesentlichen Belangen gleicht. Es handelt sich um SCANDALO IN CONVENTO, eine direct-to-video-Produktion des italienischen Pornoregisseurs Nicky Ranieri, die mitunter wirkt, als sei sie bewusst wie eine Hommage an die Abenteuer der Schwester Vaseline konzipiert worden. Dort nämlich verschlägt es eine junge Nonne mit falschen Fingernägeln, Piercings und Silikonbrüsten strafweise in ein neues Kloster, wo sie sich indes schnell langweilt und deshalb Streifzüge durch das unweit gelegene Dorf unternimmt. Das ist, bis auf einen muskulösen, schweißtriefenden Gärtner, völlig ausgestorben, und dass Ranieris Nonne es, ebenso wenig wie ihre französische Kollegin, nicht dabei belässt, ihm einfach nur bei der Arbeit zuzuschauen, dürfte genauso klar sein wie, dass früher oder später die im gleichen Konvent untergebrachten Mönche ihre Gebetsübungen gemeinsam mit den Schwestern durchzuführen beginnen. Zumindest vermute ich das, denn nach etwa einer halben Stunde habe ich SCANDALO IN CONVENTO, den ich meinen Augen eigentlich nur wegen meiner derzeit laufenden Recherchearbeiten zum Nunsploitation-Genre vorgesetzt hatte, abbrechen müssen – zu unkreativ, zu unästhetisch, zu unerotisch fand ich diesen Porno von der Stange, bei dem ich mir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrach, wer sich denn zu ihm tatsächlich einen von derselben zu wedeln imstande ist. Trotzdem: rein inhaltlich sind SCANDALO IN CONVENTO, dessen Bilder ich am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen würde, und SOEUR VASELINE, dessen Bilder ich mir gleich mehrmals angeschaut habe, vollkommen wesensverwandt. Woran liegt demnach meine Ablehnung des einen und meine Anerkennung des anderen?
Dann stolpere ich über einen Absatz in Jean Baudrillards Promotionsarbeit SYSTÉME DES OBJECTS von 1968. Er schreibt: „Wenn der ,Eingeborene‘ sich auf eine Uhr oder auf einen Kugelschreiber stürzt, nur weil es ein ,westliches‘ Erzeugnis ist, so empfinden wir das als absurd und komisch, denn er gebraucht diese Dinge gar nicht, sondern nimmt sie nur mit Eifer in Besitz, auf kindische Weise und in der Vorstellung der Macht. Der Gegenstand hat hier keine Funktion, sondern eine Tugend, eine Eigenschaft: Er wird zu einem Symbolzeichen. Ist es aber nicht der gleiche impulsive Vorgang einer geistigen Aneignung und magischen Beziehung, den wir beim Zivilisierten beobachten, wenn er ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert oder eine Ikone erwirbt? Was beide, der Wilde und der Zivilisierte, mit einem Objekt an sich nehmen, ist eine ,Tugend‘, die für den einen in der technischen Güte, für den anderen in der Altehrwürdigkeit besteht.“ Möglicherweise liegt darin ein Schlüssel für meine Präferenzen verborgen. SCANDALO IN CONVENTO, das ist ein Film aus einer Welt, die ich kenne, aber nicht besonders mag. Die Stilistik einer pornographischen Video- oder Internet-Ästhetik ist ihm, was niemanden verwundern dürfte, derart eingeschrieben, dass er gar nicht aus ihrer Haut will. SCANDALO IN CONVENTO riecht und schmeckt für mich wie in den Filmkabinen einer Großraumvideothek fallengelassenes Sperma. Dass SOEUR VASELINE das gerade nicht tut, hat wohl einzig und allein mit der Zeit zu tun, die sich unüberwindlich zwischen mir und ihm erstreckt, und die ihn als ein historisches, gleichsam authentisches Dokument markiert, entstanden in einer Wirklichkeit, die so weit von meiner entfernt ist, dass sie auch ein Traum, ein Märchen, eine Phantasie sein könnte. Weiter oben habe ich SOEUR VASELINE schon mit Kinderspielzeug in Verbindung gebracht – und das trotz seines für Kinder nun überhaupt nicht geeigneten Inhalts.
Was SOEUR VASELINE so putzig, unbedarft, infantil wirken lässt, das ist wiederum nichts ihm Immanentes, sondern allein die Perspektive, aus der heraus ich ihn betrachte. Photographien von uns fremden Menschen aus dem, sagen wir, vorvorletzten Jahrhundert regen uns zum Fabulieren an. Wir erfinden Geschichten zu den Personen, die uns erscheinen wie welche aus Büchern, Sagen, Volksliedern. Der Mann mit dem langen Bart, das war bestimmt ein Offizier – und eine tragische, schwärmerische Liebesgeschichte folgt. Das Bauernmädchen, das die Gänse füttert, wird schikaniert von seiner bitterbösen Schwiegermutter, und der adrette junge Herr mit dem Spazierstock kann nur ein verkleideter Prinz sein. Sie sind tot, lange schon, wenn wir ihre Photographien ansehen – so wie keiner der Darsteller von SOEUR VASELINE noch unter uns weilt. Sie sind tot und auf ihren namenlosen Gräbern stehen Steine, die uns regelrecht anflehen, unsere Phantasie auf ihnen herumspringen zu lassen, mit viel Tinte an den Hufen. Nichts dergleichen passiert bei Photographien unserer eigenen Gegenwart. Wer wird schon von irgendeinem x-beliebigen Facebook-Selfie zum Träumen aufgefordert? Wir sind zu vertraut mit unserer Zeit, um in ihr noch irgendwelche großen oder kleinen Mythen zu vermuten. Offiziere, Gänsemägde, Prinzen gibt es nicht mehr, oder sie erzählen uns, wie alle andern, vor dem Schlafengehen noch schnell per Mitternachts-Post, was sie den Tag über gemacht haben und den folgenden Tag machen werden, und schnüren unsere Phantasie auf ein Minimum zusammen.
Genau deshalb ist SOEUR VASELINE für mich wie eine altehrwürdige Kommode, die ich mir ins Zimmer stelle. Dieser Film besitzt keine Funktionalität mehr – ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich auf ihn heute noch irgendwer einen runterholt, dann schon eher auf SCANDALO IN CONVENTO, wenn überhaupt -, er ist ein Artefakt, das an Wert gewinnt je weiter zurück es liegt, er ist ein Blick durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer der Ururururgroßeltern.